Stalin-Note 1952
Stalin-Note 1952

Die Stalin-Note vom 10. März 1952

-eine verpasste Chance?-

Herausgegeben von Reinhard Neebe

Digitalisierung unter Mitarbeit von Hannjörg Göricke und Frithjof Klös

Der dieser Dokumentation zugrunde liegende Aktenbestand entstammt in seinem wesentlichen Kern den US-National Archives in Washington DC. Alle im folgenden online publizierten bzw. zitierten US-Dokumente sind in der Archivpädagogischen Arbeitsstelle am Hess. Staatsarchiv Marburg (Bestand Archivpädagogik US/NA) als Originalkopien verfügbar.

I. Die Stalin-Note- eine verpasste Chance?

Die Kontroverse über das sowjetische Wiedervereinigungsangebot aus dem Jahre 1952 und die damals möglicherweise vertanen Chancen zur Wiederherstellung der nationalstaatlichen Einheit Deutschlands hat in den letzten Jahren nach der Öffnung insbesondere der amerikanischen und britischen Archive neue Nahrung bekommen. Aus den Akten wird deutlich, daß in den Jahren zwischen 1945 und 1955 auf westlicher Seite durchaus ernsthaft Alternativen zur Westintegration der Bundesrepublik diskutiert und eine "Neutralisierung" Gesamtdeutschlands auch nach der Gründung der Bundesrepublik in britischen und amerikanischen Regierungskreisen zumindest zeitweilig ernsthaft in Erwägung gezogen worden ist.

Auf der Grundlage unseres heutigen Kenntnisstandes sind folgende Schlußfolgerungen möglich:

1) Die Seriosität des sowjetischen Angebots vom März 1952 wird in der Forschung kaum mehr bezweifelt. Auch die westlichen Regierungen nahmen die Offerte Stalins sehr ernst und sahen darin mehr als einen nur taktisch angelegten Schachzug.


2) Der Entscheidungsprozeß, der zur dauerhaften Ausbildung der deutschen Teilung führte, darf nicht nur aus der Perspektive des Kalten Krieges und des Ost-West-Konfliktes interpretiert werden. Aus französischer und britischer Sicht spielte die Frage des europäischen Gleichgewichts und die Furcht vor einem zu starken Gesamtdeutschland in Mitteleuropa eine mindestens genauso entscheidende Rolle.


3) Neuere Dokumente belegen schließlich immer deutlicher, daß Adenauer die Wiedervereinigung nicht ernsthaft gewollt hat, vor allem auch deshalb, weil sein Vertrauen in die "politische Reife" der Deutschen begrenzt war. Der Historiker Arnulf Baring hat hierzu geurteilt:  "Adenauer hat die eigenen Leute hinters Licht geführt, wenn er behauptete, die Wiedervereinigung sei das oberste Ziel seiner Politik ... Aber gerade das war Adenauers Größe, daß er als erster begriff, daß es keine Chance für eine Wiedervereinigung in Freiheit gab und eine Neutralisierung eines wiedervereinigten Deutschlands den politischen Selbstmord bedeuten würde."  (zit. nach Josef Foschepoth (Hg.), Adenauer und die Deutsche Frage, Göttingen 1988, S. 15f.)  Ob ein Eingehen auf die Stalin-Note tatsächlich den "politischen Selbstmord" für ein freies, wiedervereinigtes Deutschland bedeutet hätte, muss im Kontext der nachfolgenden US-Dokumente des State Departments in Washington allerdings kritisch hinterfragt werden.

II. Schwerpunkt der Dokumentation


Die vorliegende Dokumentation konzentriert sich schwerpunktmässig auf die Analyse der amerikanischen Position in der Deutschlandfrage im Jahre 1952. Sie folgt dabei im wesentlichen der Veröffentlichung von Reinhard Neebe, Wahlen als Test: Eine gescheiterte Initiative des Politischen Pla­nungsstabs im State Department zur Stalin-Note vom 10. März 1952 (Militärgeschichtliche Mitteilungen 1989). Aus dem historischen Rückblick -d.h. nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und der Überwindung der deutschen und gleichermassen europäischen Teilung- wird sehr deutlich erkennbar, dass sich im Kreis der westlichen Siegermächte USA, Grossbritannien und Frankreich bereits im Jahre 1952 ein Interessenmuster herauskristallisiert hatte, dass der politischen Konstellation von 1989/90 zumindest im Ansatz vergleichbar war. Während der französische Staatspräsident Mitterand und die britische Premierministerin Thatcher nach dem Fall der Mauer im November 1989 zunächst energisch gegen eine mögliche Wiedervereinung Deutschlands Front zu machen versuchten, sahen die USA in dieser Entwicklung keineswegs eine Bedrohung ihrer nationalen Interessen und trugen massgeblich dazu bei, dass der von Helmut Kohl vertretene Kurs der Einheit mit dem 2+4 Vertrag vom 12. September 1990 auf internationaler Bühne schliesslich erfolgreich abgeschlossen werden konnte. (Dokumente 13 und Dokument 14)

 

 

 

Optionen amerikanischer Deutschlandpolitik 1952

Die im vorliegenden Beitrag erstmals abgedruckten Dokumente aus den Akten des Po­litischen Planungsstabs im State Department vom März und April 1952 bestätigen die­sen Befund eindrucksvoll. Eine Analyse dieser Materialien lohnt vor allem deshalb, weil der Nachweis geführt werden kann, dass innerhalb amerikanischer Regierungs­kreise eine Lösung der deutschen Frage auf der Grundlage der Stalin-Note vom März 1952 durchaus vorstellbar erschien [6]. Die nicht zuletzt von engen Mitarbeitern Ade­nauers gern eingebrachte These, dass im Westen und in den USA »für jede Art von Neutralisierungskonzept nicht die leiseste Sympathie, sondern eine ganz dezidierte Abneigung bestand« [7], ist in dieser Form unzutreffend, und ihr ist im übrigen auch von kompetenter Seite widersprochen worden [8]. Zum Verständnis der amerikanischen Po­sition sind dabei vor allem zwei Punkte von Bedeutung:

Zunächst einmal nahmen die USA die unübersehbare Spannung zwischen dem Wie­dervereinigungswunsch in der deutschen Bevölkerung und der sich durch die Westin­tegration vertiefenden Spaltung sehr ernst. Nach dem amerikanischen Demokratiever­ständnis war es schlechterdings unvorstellbar, in einem fundamentalen politischen Ent­scheidungsprozeß und darum handelte es sich bei der Frage »Wiedervereinigung ja oder nein« zweifellos über den Mehrheitswillen der Bevölkerung und die Öffentli­che Meinung einfach hinwegzugehen. (siehe z.B.  Paul Sethe, Leitartikel in der FAZ vom 12. März 1952,  Dokument 4) Im State Department gingen regelmäßig detail­lierte Berichte der Hochkommission (HICOG) in Bonn und der verschiedenen Gene­ralkonsulate ein, die sich ausführlich mit der Stimmung in Westdeutschland und hier vor allem mit der Thematik »neutrality sentiment« auseinander setzten [9]. Es herrschte insgesamt die Überzeugung vor, dass die Wiederherstellung der Einheit Hauptziel der Deutschen sei und dass die amerikanische Politik, nicht nur weil sie dies öffentlich po­stuliert habe, diesen Faktor ernsthaft in Rechnung zu stellen habe [10].

Wohl noch entscheidender für die »relative Offenheit« der USA in der Deutschland­frage war indes ein ganz anders gelagerter Wirkungszusammenhang: Die ostpoliti­schen Konzeptionen der USA befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einem starken Wandlungsprozess. Nachdem im Jahre 1949 das amerikanische Atomwaffenmonopol zu Ende gegangen war, trat der Ausbau der militärischen Stärke immer mehr in den Vordergrund, und die Zurückdrängung des Einflussbereichs der Sowjetunion auf ihre Grenzen von 1939 wurde ein Ziel, das von immer größeren Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit vertreten wurde. Im Wahljahr 1952 erreichten die Diskussionen einen Höhepunkt [11]. Größere Meinungsdifferenzen bestanden vor allem hinsichtlich der an­zuwendenden Methoden. Hierbei ließen sich, wie auch im Auswärtigen Amt in Bonn mit Aufmerksamkeit registriert worden ist, vier Hauptkonzeptionen unterscheiden [12]:

1. Liberation (Dismemberment, Roll Back),

2. Containment Plus,

3. Negotiation und

4. Containment.

Die Vertreter des »Roll Back«, vor allem repräsentiert durch Robert A. Taft und John F. Dulles auf dem rechten Flügel der Republikaner, gewannen in der Öffentlichen Meinung erheblich an Einfluss und diskreditierten die Politik des »Con­tainment« als unmoralisch, weil diese ein weiteres Vordringen des Kommunismus nicht verhindert und die Satellitenstaaten noch fester mit der Sowjetunion verbunden habe. Die geforderte neue Offensivpolitik müsse notfalls sogar das Risiko eines dritten Welt­krieges in Kauf nehmen. Diesen Angriffen gegenüber geriet die Truman- Administration mit ihrer bisherigen Politik der Eindämmung durch vorwiegend wirtschaftlich­finanzielle Mittel immer mehr in die Defensive. Außenminister Acheson und der National Security Council (NSC) vertraten jetzt in Übereinstimmung mit dem größeren Teil der Demokraten und dem linken Flügel der Republikaner die Konzeption des »Containment Plus«, d. h. einer Eindämmung der Sowjetunion auf ihren derzeitigen Machtbereich mit allen Mitteln des »short of war«. Eine Politik der »Negotiation« wurde von zahlreichen Intellektuellen und einflussreichen Publizisten, darunter Walter Lippman, Hans J. Morgenthau und James Warburg, verfolgt. Auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Stevenson schien mit dieser Konzeption zu sympathisieren. Zielvorstellung der »Negotiation«-Politik war, mit der Sowjetunion sofort Verhand­lungen über begrenzte Verhandlungsgegenstände aufzunehmen, da nach dem Verlust des amerikanischen Atombombenmonopols die angestrebte »Befreiung« nicht mehr durch militärische Überlegenheit des Westens bzw. eine »position of strength« erreicht werden könne. Die verschiedenen ostpolitischen Konzeptionen implizierten naturgemäß auch unter­schiedliche Positionen in der Deutschland-Frage. Während die Anhänger der »Containment-Plus«- Politik die Integration Westdeutschlands in die westeuropäische Ge­meinschaft unter dem vorläufigen Verzicht auf die deutsche Einheit betrieben, befürworteten die Vertreter der »Negotiation«- Konzeption das genaue Gegenteil, nämlich eine Wiederherstellung der deutschen Einheit um den Preis des Verzichtes auf die deutsche Wiederbewaffnung. In diesem Punkte ergab sich paradoxerweise eine Achse zwischen »Negotiation« und »Roll-Back«, nämlich insofern, als beide Richtungen den Rückzug der Sowjetunion zumindest aus Ostdeutschland offensiv vertraten.

Anmerkungen:

[6] Steininger (wie Anm. 4), S. 52 ff., diskutiert bereits ausführlicher die Position des Politischen Planungsstabes. Die dortige Argumentation muss aber insofern bruchstückhaft bleiben, als die im Anhang des vorliegenden Beitrages abgedruckten Dokumente seinerzeit noch nicht zur Verfügung standen.
[7]  Diskussionsbeitrag von Wilhelm G. Grewe auf der Rhöndorfer Tagung am 26. 3. 1981, in: Die Le­gende von der verpassten Gelegenheit. Die StalinNote vom 10. März 1962. Hrsg. von H.-P. Schwarz. Stuttgart/Zürich 1982, S. 51. Siehe auch W. G. Grewe: Die deutsche Frage in der Ost­West-Spannung. Zeitgeschichtliche Kontroversen der achtziger Jahre. Herford 1986, S. 52 f.: »Niemand wollte die Neutralisierung.«
[8] Diskussionsbeitrag von Heinz L. Krekeler, dem ersten Botschafter der Bundesrepublik in den Vereinigten Staaten, auf der Rhöndorfer Tagung am 26. 3. 198 1, in: Die Legende von der verpassten Gelegenheit (wie Anm. 7), S. 56.
[9] Regelmäßige Berichte in der Dokumentenserie: National Archives, Washington (D.C.) (NA), Record Group (RG) 59, Decimal Files 1950-54, 762A.oo. Alle künftig benutzten Dokumente stammen aus den National Archives bzw. der Harry S. Truman Library, Independence, Miss.
[10] Siehe z.B. RG 59, Box 3857, 762A.00/5-652: 6. 5. 1952 Bericht Nr. 2960 HICOG Bonn an State Department »West German Desire for National Unity«. In dem Bericht heißt es resümierend: »Unity is a fixed German goal and the yearning for it among Germans is a significant force in the present world situation. The frustrated German is caught in the dileinma of power polarization between the US and the USSR with bis dismemberment nation a major theater of political conflict [. . .]. He is not persuaded that integration, as sponsored by the Western powers, will assure peace or advance the cause of German unity«. Vgl. im übrigen das unten in Anm. 47 wiedergegebene Zitat aus einem Memorandum von W. P. Armstrong zu dem OIR-Report vom 14. 5.1952.
[11] J. L. Gaddis: Strategies of containment. New York 1982, S. 128 ff.
[12] Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (PA, AA), Abt. IV, Ref. 414, Bd 41: Denkschrift des AA: Ostpolitische Konzeptionen in den USA, abgeschlossen 1. 10. 1952. Die folgenden Ausführungen basieren auf der zitierten Denkschrift und reflektieren damit zugleich den 1952 in der Bundesregierung vorhandenen Erkenntnisstand.

Stalins jähe Wendung. Leitartikel von Paul Sethe, dem Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, am 12. März 1952. FAZ Nr. 61, 12.3.1952, S. 1

Stalins jähe Wendung. Leitartikel von Paul Sethe, dem Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, am 12. März 1952. FAZ Nr. 61, 12.3.1952, S. 1

Der erste Eindruck bei der Lektüre der sowjetischen Dokumente, in denen der neueste diplomatische Vorstoß aus dem Kreml erläutert wird, ist der des Gespenstischen. Dies also ist möglich? Ist es wirklich noch nicht acht Jahre her, daß das Reich völlig zu Boden geworfen wurde, daß seine Soldaten verfemt und daß sich alle mächtigen Staaten der Welt darin einig waren, niemals, niemals wieder dürfe eine deutsche Wehrmacht auferstehen? Mit einer wahrhaft rasenden Eile scheint die Zeit darüber hinwegzuschreiten. Schon seit Jahren erleben wir, daß die Mächte des Westens die Deutschen auffordern, eben die Waffen wieder zu tragen, die ihnen für immer aus der Hand geschlagen sein sollten. Und gestern nun sahen wir, wie das mächtige russische Reich, das eben noch der erbittertste Gegner der deutschen Wiederbewaffnung gewesen war, den großzügigsten Vorschlag zu einer Friedensregelung mit Deutschland zu machen schien: ein ungeteilter Staat, Freiheit für alle, deutsche Souveränität, ungehemmte Entwicklung der deutschen Wirtschaft, gleiches Recht für Berufssoldaten und frühere Nationalsozialisten, und als überraschendstes: eine eigene deutsche Wehrmacht mit einer eigenen deutschen Waffenproduktion. Die Welt hat in den letzten Jahrzehnten mehr als eine plötzliche Wendung der sowjetischen Politik kennengelernt; keine doch war so jäh wie diese ...

Die Einheit

Die Ursache des diplomatischen Vorgehens der Moskauer Regierung liegt in ihrer Besorgnis davor, Deutschland könne politisch und militärisch in das System des Westens einverleibt werden. Dies zu verhindern, hat sie seit anderthalb Jahren einiges getan und noch mehr versprochen. In dieser Beziehung ist ihr Schritt von gestern nur eine Fortsetzung der Politik, die in den Briefen des Ministerpräsidenten Grotewohl zum Ausdruck kam. Sie wiederholen jetzt das Zugeständnis, das sie schon mehr als einmal haben machen lassen: die Herstellung der deutschen Einheit. Aber wieder finden sich über die Voraussetzung dieser Einheit nur höchst unklare Andeutungen in ihren Dokumenten. Gerade dieser Punkt bedürfte aber noch der genauesten Klärung. Die Sowjetunion müßte wissen, daß sie dem Verdacht ausgesetzt ist, den gesamtdeutschen Staat nur schaffen zu wollen, um Gesamtdeutschland zu bolschewisieren. Sie müßte wissen, daß uns dieser Preis zu hoch ist. Eben deshalb müßte sie auch, wenn sie es aufrichtig meint, endlich klarlegen, daß sie die Voraussetzungen für freie Wahlen schaffen will.

 

Man sollte auf der anderen Seite doch wohl aufhören, von den Sowjets die Zulassung der Kommission der Vereinten Nationen zu fordern, die prüfen soll, ob jetzt schon die Voraussetzungen für freie Wahlen gegeben sind. Alle Welt weiß, daß in Mitteldeutschland der Terror herrscht; gerade deshalb haben die Sowjets die Zulassung der Kommission abgelehnt. Gewiß ist eine internationale Kontrolle nötig, aber es genügt, wenn diese die Voraussetzungen für die Zukunft schafft. Das sollte man den Russen vorschlagen; wenn sie dies ablehnen, ist alles geklärt ...

Verhandeln!

Im ganzen ist es zu einem abschließenden Urteil wohl noch zu früh. Die Schriftstücke sind wichtig genug, daß sie sorgfältig geprüft werden müssen. Es gibt viele Bedenken, das wurde hier eben noch gesagt. Aber man darf seine Einwände nicht äußern, ohne gleich hinzuzufügen, daß man sich mit ihnen nicht begnügen darf. Eine einfache Ablehnung würde bei uns niemand verstehen. Mißtrauen gegenüber den Sowjets ist immer sehr naheliegend. Aber angesichts dessen, was auf dem Spiele steht, möchte man wünschen, die Diplomatie der Westmächte würde die Gelegenheit stärker als in den letzten Jahren benutzen, um in genauen Verhandlungen zu prüfen, welchen Wert eigentlich die russischen Vorschläge haben. Es ist möglich, daß die russischen Vorschläge wieder nur ein diplomatisches Scheingefecht bedeuten. Aber die Wahrheit wirklich mit äußerster Klarheit festzustellen, ist ohne eine gewisse diplomatische Aktivität auch der Westmächte kaum möglich. An ihre politische Phantasie und ihre Verhandlungskunst werden jetzt hohe Anforderungen gestellt. Kaum nötig zu sagen, daß dies auch für die Bundesrepublik gilt.

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Paul Nitze und das Tufts-Memorandum vom 12. März 1952

Der Eingang der Stalin-Note vom März 1952 trug den öffentlichen Diskurs über die amerikanische »Ostpolitik« in die Truman-Administration selbst. Im State Department wurde jetzt ein Denkprozess in Gang gesetzt, der zunächst auf einen engen Zirkel beschränkt blieb, insgesamt aber dazu führte, dass die bisherige amerikanische Deutschland- und Europapolitik grundsätzlich diskutiert und auch abweichende Lösungen durchgespielt wurden. Hierbei zeigte sich, dass die für die Koordination der amerikanischen Deutschlandpolitik unmittelbar zuständige Deutschlandabteilung (Bureau of German Affairs) am wenigsten flexibel reagierte und Alternativen zu dem eingeschlagenen Integrationskurs ablehnte. Hauptkontrahent der Deutschland-Abteilung war der Politische Planungsstab, der die Behandlung der deutschen Frage weniger als ein isoliertes deutsches oder regional-europäisches Problem ansah, sondern vielmehr aus der Perspektive der globalen Auseinandersetzung zwischen den USA und der Sowjetunion bewertete. Leiter des Planungsstabes in den Jahren zwischen 1950 und 1953 war Paul M. Nitze [13]. Nitze hatte bereits in der Zeit von 1947 bis 1949 eng mit George F. Kennan, seinem Vorgänger in der Leitung des Stabes, zusammengearbeitet und war auch persönlich an den im engsten Kreise geführten Beratungen über das »Program A« im Herbst 1948 beteiligt gewesen [14].

In den ersten Diskussionen im State Department über die sowjetische Deutschland­initiative vom 10. März 1952 brachte Nitze insofern wohl auch nicht zufällig die Mög­lichkeit einer alternativen, offensiven Antwort der USA ins Spiel [15]. Der Planungsstab schlug einen sofortigen, von jeglicher taktischen Rücksichtnahme absehenden Test vor, der die wirklichen Absichten der Sowjetunion in kürzester Frist aufdecken sollte. In Abstimmung mit Nitze arbeitete Robert W. Tufts, Mitarbeiter im Politischen Pla­nungsstab [16], diese Idee aus und präsentierte am 12. März ein erstes Memorandum »Comments on Soviet Note regarding Germany« (Dokument 5) [17].

Die Stalin-Note, so das Memorandum, eröffne die Chance, jetzt die diplomatische In­itiative für den Westen zurückzugewinnen. Die Sowjetunion müsse in einem »put-up-or-shut-up approach« gezwungen werden, ihre Karten auf den Tisch zu legen. Um sich nicht in endlosen Verhandlungen zu verlieren, müsse der Westen sofort einen definitiven Wahltermin (»a given date«) für gesamtdeutsche Wahlen vorgeben und die sowjetische Seite unter unmittelbaren Zugzwang setzen. Die Wahlen sollten bis spätestens 1. November 1952 stattfinden, Verhandlungen der vier Mächte über die Modalitäten müssten deshalb etwa Anfang Mai 1952 anlaufen. Zum 1. Mai 1953 sollte die neu gewählte gesamtdeutsche Regierung über die volle Souveränität verfügen, nachdem zuvor sämtliche westlichen und sowjetischen Besatzungstruppen abgezogen worden seien.

Falls die Sowjetunion diese Vorschläge zurückweise, was zu erwarten sei, werde die westliche Europapolitik als richtig bestätigt und zugleich bewiesen, dass eine Wiedervereinigung Deutschlands aufgrund der intransigenten sowjetischen Politik keine reale Alternative darstelle. Sollte die Sowjetunion aber wider Erwarten doch zustimmen und die Wiedervereinigung unter dem Vorzeichen der Neutralität zustande kommen, so sprächen aus westlicher Sicht vier Punkte für diese Lösung:

 

1.

Eine zukünftige gesamtdeutsche Regierung sei streng antikommunistisch, vor allem auch dann, wenn die SPD die Wahlen gewinnen werde.  

2.

Der Rückzug der Sowjetunion aus Ostdeutschland sei in der langfristigen Perspek­tive möglicherweise noch wichtiger als die jugoslawische Entwicklung.  

3.

Der Ausbau der Westeuropäischen Gemeinschaft, unter Einschluss von Deutsch­land, bleibe unter der Voraussetzung bestimmter Revisionen in der amerikanischen Europapolitik gleichwohl möglich.  

4.

Die USA könnten im Fernen Osten eine energischere Politik mit weniger Risiko als bisher verfolgen.  


Opposition gegen diesen Kurs sei, so Tufts, von zwei Seiten zu erwarten, von Adenau­er (Dokument 7), der im Falle einer Wiedervereinigung mit einer SPD-Herrschaft in Deutschland rechne, und von Frankreich (Dokument 9), das ein eventuell von der Sowjetunion umworbenes, zu starkes und unabhängiges Gesamtdeutschland befürchte. Beide Adenauer und Frankreich sollten nach Tufts Vorstellung mit dem Hinweise auf die geringe Chance einer sowjetischen Annahme einerseits und die zu erwartenden Vorteile bei einer Ablehnung andererseits beschwichtigt werden.

 


 

Anmerkungen:

[13] Zum politischen Hintergrund von Paul M. Nitze, seinem Wirken in der Truman-Administration und dem Verhältnis zu Acheson, Bohlen, Kennan etc. siehe W. Isaacson/E. Thomas: The Wise Men. Six friends and the world they made. New York 1986.
[14] RG 59, Records of the Policy Planning Staff (PPS) 1947-53 Box 15, 23. 9. 1948 Verbatim Transcript and Other Documents: Special Consultative Group on German Policy Questions, Meeting vom 16. 9. 1948. Nitze wurde 1949 Mitglied und stellvertretender Leiter im Planungsstab, nachdem Kennan ihn bereits im Frühjahr 1947 hinzuziehen wollte, zunächst aber am Widerstand Achesons scheiterte. 1950 übernahm Nitze die Leitung des Planungsstabes und hatte u.a. maßgeblichen Anteil an der Konzipierung der Direktive »NSC 68«, Isaacson/Thomas (wie Anm. 13), S. 485, 489 f., 495-504.
[15] RG 59, PPS, Country and Area Files, Box 16, 18. 3. 1952: Memorandum John H. Ferguson an Charles Bohlen u.a.
[16] Zur Tätigkeit von Robert W. Tufts im Planungsstab ebd., Box 9: Meetings vom 1. 11. 1949, 12.12. 1949; Box 28: Meeting vom 24. 1. 1950; Box 32: Meetings vom 11. 10. 1949, 18. 10. 1949, 1. 11. 1949, 30. 11. 1949, 1. 12. 1949, 16. 12. 1949, 11. 1., 13. 1., 18. 1., 24. 1. 1950 u.a. Siehe im übrigen FRUS, 1951 Vol. I, Washington 1979, S. 33, 37‑40, 238, 262‑263, 463 sowie FRUS, 1951, 2 Parts. Washington 1981, hier Vol. 111. 1., S. 58, 82,482.
[17] Am 12. März wurde im Politischen Planungsstab ein zweites, vergleichsweise weniger anspruchsvolles Memorandum von Henry Koch ausgearbeitet, dessen Betrachtung aber deshalb interessant ist, weil auch hier von einem alternativen Denkansatz ausgegangen wurde. Kochs Stellungnahme »Comments on Soviet Proposal with Respect to a German Peace Treaty« (RG 59, PPS Box 16) ließ sich weitgehend auf die sowjetischen Vorgaben ein und konstatierte, dass, selbst wenn freie Wahlen erst nach einer Aushandlung der Rahmenbedingungen für eine Wiedervereinigung stattfinden würden, in einer Lösung der deutschen Frage auf der Basis der Neutralität gleichwohl Vorteile für die westliche Position gesehen werden könnten: »This arrangement would, of course, give the Communists unwarranted influence in the determination of the character of the new unified German institutions but might be a price worth paying to achieve German unity and the withdrawal of the Red Army from East Germany [ ... ] A unified Germany with its territorial ambitions satisfied, though on the surface neutral, would in fact be favorably disposed to the West.«

Memorandum von Robert W. Tufts, für Paul H. Nitze, vom 12. März 1952

Memorandum von Robert W. Tufts, Mitglied des Politischen Planungsstabes, für Paul H. Nitze, Leiter des Politischen Planungsstabes im State Department, vom 12. März 1952 (Top Secret) National Archives, Washington (D. C), RG 59, Records of the Policy Planning Staff 1947-1953, country and area files, Germany, Box 16

Comments on Soviet Note regarding Germany


I believe that the Soviet Union has provided us with an opportunity to seize the diplomatic initiative and that we and out French and British allies should move boldly to exploit this opportunity.

Stripped to its fundamentals, the method of exploitation would be the following:


(1) We would generally endorse the stated purposes of the Soviet Union with reference to the formation of an all-German Government and the conclusion of a peace treaty and agree that these steps would strengthen peace.


(2) We would agree to early negotiations (beginning, say, May 1) concerning the electoral and other conditions under which an all-German Government will be created, subject to prior agreement:


(a) that the necessary elections will be held not later than, say, November 1 (I think the date should be one late in the fall) whether or not agreement is reached in the nego­tiations;


(b) that unless the four powers agree on the electoral and other conditions by, say, September 1, each power guarantees to enforce in its zone the terms of paragraphs 3 and 4 of the political provisions of the Soviet draft treaty and each power guarantees that representatives of each party participating in the election will participate at each stage of the ballot counting process. (The paras. referred to guarantee »democratic rights« to all Germans »including freedom of speech, press, religious persuasion, political conviction and assembly« and »free activity of democratic parties and organizations with right of freedom to decide their own internal affairs, to conduct meetings and assembly, to enjoy freedom of press and publication.«)


(3) We would agree to early negotiations concerning the terms of peace (beginning concurrently with the negotiations concerning the formation of an all-German Government), subject to prior agreement on: 


(a) an immediate reduction of occupation forces. We should propose a 2 to 1 or at most a 3 to 2 ratio between Western and Soviet forces, with a maximum of, say 200 to 250 thousand in the West;

(b) the withdrawal of remaining occupation forces by May 1, 1953 (i. e., within one year after the beginning of negotiations), with not less than one-fourth of the total being withdrawn each quarter;


(c) the right of the all-German Government to raise and equip a national police force of, say 300,000 men pending agreement on the treaty provisions regarding German armed forces and military production, the police forces to be permitted the equipment normally in use in the police forces of major states and

(d) the right of the all-German Government to exercise full sovereignty after May 1, 1953, subiect to the terms of the peace treaty, or, lf the treaty has not been concluded by that time, subiect to the requirement that the development of German armed forces and the entrance into milltary alliances must be approved by the four powers and subject to such other agreed directives as the four powers issue to the German Government.


It would be our expectation that the Soviet reaction to this put-up-or-shut-up approach would in effect be to reject the proposals. If this is the reaction, it should strengthen the view in Western Europe that present Western policies are correct and that unification of Ger­many is not a real alternative because of Soviet policy.


We would have to be prepared, however, for the contingency that the Soviet Government accepts our proposals. A careful study of the probable consequences should be prepared as a matter of urgency. It is my belief that the position of the West would be improved, and the position of the Soviet Union weakened. This belief rests on the following judgments, the ac­curacy of which should, of course, be reviewed. In the first place, I assume that the all-Ger­man Government would be strongly anti-communist. Secondly, we would have accom­plished first withdrawal of Soviet control from a territory which had been under Soviet mili­tary occupation. It would be, in my view, at least as significant and probably much more sig­nificant in the long run than the Yugoslav development. Thirdly, while certain revisions of our policy in Europe would be necessary, I believe that it would still be possible to move ahead with the formation of a Western European community, including Germany, on a basis that would serve U. S. interests and that would not, or rather, I suppose, should not give rise to French fears. By the same token I think we would have seriously setback any ex­pansionist plans of the Soviet Union in Western Europe. Fourthly, I believe we would be en­abled to pursue a bolder policy in the Far East with less risk.


Opposition to this course should be expected from Adenauer, who would fear that the SPD would win control of a unified Germany. It is my own belief, however, that even if Ade­nauer's estimate is correct, Germany will be more likely to develop as a strong and effective anti-communist force under the SPD than under right wing leadership. We may, in any event, be confronted with an SPD victory next year, with all that that [sic!] might involve for our present policy in Western Europe. I would emphasize to Adenauer the small chance of Soviet acceptance to the U. S. proposals and the resulting benefits he should expect.


Opposition should probably also be expected from the French, who would fear that an inde­pendent Germany could be successfully wooed by the Soviet Union or could successfully develop once again a position of strength. I would emphasize to the French (as to Adenauer) the small chance of Soviet acceptance and would attempt to reassure the French by reference to NATO, to the limitations on German rearmament and German alliances which would be included in a peace treaty, and to the possibilities for moving ahead with renewed vigor on European political and economic institutions.

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Karikatur von Low im "Daily Herald", London, zu EVG und Stalin-Note 1952
Karikatur von Low im "Daily Herald", London, zu EVG und Stalin-Note 1952

Karikatur von Low im "Daily Herald", London, zu EVG und Stalin-Note 1952

Beschreibung:

"Hinter Ihnen geht einer, dreh'n Sie sich nicht um."  Im Bild rechts von Bundeskanzler Konrad Adenauer (in der Mitte mit dem Rücken zum Fenster)  sitzt der französische Außenminister Robert Schuman, links der britische Außenminister Sir Anthony Eden, Adenauer gegenüber der amerikanische Außenminister Dean Acheson.

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Erste öffentliche Stellungnahme Adenauers zur Stalin-Note vor dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU in Siegen am 16. März 1952. Zusammenfassende Darstellung der Rede, zit. nach A. Hillgruber, Adenauer und die Stalin-Note vom 10. März 1952, in. D. Blumenw

Erste öffentliche Stellungnahme Adenauers zur Stalin-Note vor dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU in Siegen am 16. März 1952. Zusammenfassende Darstellung der Rede, zit. nach A. Hillgruber, Adenauer und die Stalin-Note vom 10. März 1952, in. D. Blumenwitz u. a. (Hg.), Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers, Bd. 2, Stuttgart 1976, S. 113 f.

"Seien wir uns darüber klar, daß dort (im Osten) der Feind des Christentums sitzt. Hier handelt es sich nicht nur um politische, sondern auch um geistige Gefahren ... Es gibt drei Möglichkeiten für Deutschland. den Anschluß an den Westen, Anschluß an den Osten und Neutralisierung. Die Neutralisierung aber bedeutet für uns die Erklärung zum Niemandsland.

Damit würden wir zum Objekt und wären kein Subjekt mehr. Ein Zusammenschluß mit dem Osten aber kommt für uns wegen der völligen Verschiedenheit der Weltanschauungen nicht in Frage. Ein Zusammenschluß mit dem Westen bedeutet - und das möchte ich nach dem Osten sagen - in keiner Weise ein(en) Druck gegen den Osten, sondern er bedeutet nichts anderes als die Vorbereitung einer friedlichen Neuordnung des Verhältnisses zur Sowjetunion, zur Wiedervereinigung Deutschlands und zur Neuordnung in Osteuropa. Und das sind auch die Ziele unserer Politik."

Direkt auf die Stalin-Note eingehend, meinte er: "Im Grunde genommen bringt sie wenig Neues. Abgesehen von einem starken nationalistischen Einschlag will sie die Neutralisierung Deutschlands, und sie will den Fortschritt in der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und in der Integration Europas verhindern." Gegen den sowjetischen Vorschlag nationaler gesamtdeutscher Streitkräfte wandte er ein, daß unter den gegebenen technologischen Bedingungen jede Möglichkeit fehle, sie mit modernen Waffen auszurüsten und zur Verteidigung Gesamtdeutschlands zu befähigen. "Es gehören ungeheure Summen dazu, auch nur einige Divisionen auszurüsten, an die wir gar nicht denken können, und deshalb ist dieser Teil der sowjetischen Note nichts weiter als Papier und sonst gar nichts!

Aber die Note ist da, und sie muß beantwortet werden, und sie bedeutet, wenn auch in viel geringerem Maße, als man das allgemein glaubt, doch einen gewissen Fortschritt, und darum dürfen wir keine Möglichkeit außer acht lassen, zu einer friedlichen Verständigung zu kommen und eine Neuordnung in dem von mir beschriebenen Sinne zu bekommen. Aber auf der anderen Seite dürfen wir unter gar keinen Umständen zulassen, daß eine Verzögerung in der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Platz greift; denn eine solche Verzögerung würde wahrscheinlich auch das Ende dieser gemeinsamen Bestrebungen bedeuten ...

Wenn diese Dinge jetzt nicht zu Ende gebracht werden, dann sind sie nach meiner Auffassung ein für allemal vorbei, und darum wiederhole ich: Der allgemeine Standpunkt gegenüber dieser Note muß sein: Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß jede Möglichkeit, bald zu einer Neuordnung Osteuropas zu kommen, ausgenutzt werden muß. Wir dürfen aber ebensowenig ein Werk, wie es sich jetzt der Vollendung nähert, zum Stillstand bringen; denn dann würden die Dinge sehr schlimm werden.

Ziel der Politik der Bundesregierung - so schloß Adenauer -müsse es sein: "Wir wollen, daß der Westen so stark wird, daß er mit der Sowjetregierung in ein vernünftiges Gespräch kommen kann, und ich bin fest davon überzeugt, daß diese letzte sowjetrussische Note ein Beweis hierfür ist. Wenn wir so fortfahren, wenn der Westen unter Einbeziehung der Veinigten Staaten so stark ist, wie er stark sein muß, wenn er stärker ist als die Sowjetregierung, dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Sowjetregierung ihre Ohren öffnen wird. Das Ziel eines vernünftigen Gesprächs zwischen Westen und Osten aber wird sein: Sicherung des Friedens in Europa, Aufhören von unsinnigen Rüstungen, Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und eine Neuordnung im Osten. Dann endlich wird die Welt nach all den vergangenen Jahrzehnten das werden, was sie dringend braucht: ein langer und sicherer Frieden!"

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Memorandum des PPS vom 14. März 1952: Gesamtdeutsche Wahlen am 16.11.1952?

 

Die erste größere Generalbesprechung im State Department über die Stalin-Note fand zwei Tage später, am 14. März 1952, im Büro des Stellvertretenden Unterstaatssekretärs Freeman H. Matthews statt. Folgt man einer Notiz von John F. Ferguson, dem Stellvertretenden Leiter des Planungsstabes, so zirkulierte bei dem Treffen neben dem von Perry Laukhuff, dem Leiter der Deutschlandabteilung, vorbereiteten Antworttext [18] ein alternativer Entwurf des Politischen Planungsstabes [19] (Abschnitt IV in Dok. 6). Übereinstimmend setzten beide Texte allein auf das Thema »freie Wahlen« als Prüfstein für die Ernsthaftigkeit von Stalins Angebot und sahen bewusst davon ab, mit der Sowjetunion bereits zu diesem Zeitpunkt substantielle Fragen eines Friedensvertra­ges mit Deutschland zu erörtern. Aber die Strategie war insofern anders, als die Deutschlandabteilung ganz auf die Modalitäten der Kontrolle von freien Wahlen und hier insbesondere auf die von der Sowjetunion bekanntermaßen schon früher abge­lehnte Überwachung durch eine UN-Kommission abstellte, während der Politische Planungsstab ein derartiges taktisches, auf die Vermeidung eines ernstgemeinten Ver­handlungsangebots hinauslaufendes Lavieren für problematisch und falsch hielt. In diesem Sinne präsentierten Robert W. Tufts und Richard M. Scammon [20] ein zwölfsei­tiges Memorandum mit dem Titel »Outline of factors bearing on the Western reply to the Soviet note on Germany« (Dokument 8).


Analog ihrer Konzeption vom 12. März plädierten die Autoren dafür, die Sowjetunion sofort mit einem vorgegebenen Termin für gesamtdeutsche Wahlen zu konfrontieren. Nach ihren Vorstellungen sollten die Wahlen für eine gesamtdeutsche Nationalver­sammlung am Sonntag, dem 16. November 1952 stattfinden, und zwar nach den Modalitäten der Wahl zur Nationalversammlung in der Weimarer Republik vom Januar 1919. Die Kontrolle sollte kennzeichnenderweise nicht durch eine UN-Kommission, sondern durch die vier Mächte nach dem Muster der Berliner Stadtwahlen vom Oktober 1946 ausgeübt werden. Die Alliierten Hohen Kommissare von Großbritannien, Frankreich und den USA sollten sich bis spätestens 1. April 1952 mit dem Vorsitzenden der sowjetischen Kontrollkommission treffen, um ein gemeinsames Kontrollgremium für die Wahlen zu bilden.


Die Begründung des alternativen Notenentwurfs folgte in den Grundzügen der bereits dargestellten Argumentation des Planungsstabes vom 12. März 1952 (Dokument 5). Gleich­wohl besticht das Memorandum vom 14. März durch seine unvoreingenommene, von taktischer Rücksichtnahme freie Analyse der Interessenlage der USA, der möglichen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Alternativen und ihrer jeweiligen Impli­kationen. Es sei möglich (Abschnitt I), dass die Sowjetunion mit ihrem Vorschlag für eine Neutralisierung Deutschlands bereit sei, eine grundlegende Wende in ihrer Politik, nicht nur auf Deutschland allein bezogen, zu vollziehen; denkbar sei aber auch, dass sie nur die Integration Westdeutschlands und die Integration Westeuropas insgesamt verzögern und blockieren wolle. Es bestehe vielleicht eine Chance von 1:10 für eine positive Reaktion der Sowjetunion. Das Ziel des Westens (Abschnitt II) müsse daher sein, erstens die sicherlich vorhandenen Fallgruben (»traps and pitfalls«) zu vermeiden, zweitens einen »Lackmus-Test« der sowjetischen Intentionen vorzunehmen, und drittens in Richtung der eigenen Interessen in Deutschland, Westeuropa und in der sowjetischen Einflusssphäre vorzustoßen.


Das eigentliche Kernproblem bestehe aber in einem ganz anderen Punkt, nämlich der Frage, ob ein wiedervereinigtes, unabhängiges und neutrales Deutschland mit den westlichen Interessen überhaupt vereinbar sei und die USA bereit seien, sich gegebe­nenfalls auf diesen Weg einzulassen. In Abschnitt III des Memorandums wird zunächst auf die großen Schwierigkeiten verwiesen, auf die die bisherige amerikanische Europapolitik gestoßen sei und die auch in Zukunft, vor allem in Hinblick auf Deutschland und Frankreich, zu erwarten seien. Diese Probleme würden durch eine Zurückweisung des sowjetischen Angebots nur noch intensiviert. Dagegen verbessere ein Eingehen auf Stalins Offerte nicht zuletzt das gespannte Verhältnis zur Sowjetunion, baue dort vorhandene Bedrohungsängste ab und stabilisiere durch die Auflockerung des Ost-West-Konflikts und die Herausbildung eines polyzentrischen Mächtesystems den Weltfrieden:


»On the whole it is probably in the long run interest of the U.S. if new power centers can be established and if the present East-West conflict can be replaced by an interplay of interests between several power centers. We need not fear Germany so long as we maintain a strong atomic capability« (Dokument 8).


Die atomare Überlegenheit der USA minimiere im übrigen das militärische Risiko eines nicht in das westliche Verteidigungssystem eingebundenen Deutschland. Für die amerikanische Europapolitik ergäben sich unter der Voraussetzung einer Wiedervereinigung somit folgende sicherheitspolitische Alternativen: die Beibehaltung der NATO in Verbindung mit der Absicht, Deutschlands Interessen mit dem Westen zu verbinden oder zumindest seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion zu sichern; oder die Auflösung der NATO und die Ausbildung eines neuen westeuropäischen, formal unabhängigen Machtzentrums, das aber für den Fall eines militärischen Angriffs die Schutzzusage der USA und Großbritanniens habe. Beide Möglichkeiten befänden sich in Übereinstimmung mit dem langfristigen amerikanischen Interesse; welcher Weg schließlich eingeschlagen werde, hänge weitgehend von den Präferenzen der kontinentaleuropäischen Länder, insbesondere Frankreich und Deutschland, ab. Falls sich die USA für eine ernsthafte Prüfung des sowjetischen Friedensvertragsangebots entscheiden würden, sei es aber von größter Bedeutung, so schnell wie möglich zu einem Abschluss der EVG-Verträge zu kommen. Nur so könne gezeigt werden, dass der Westen über eine reale Alternative verfüge, und zugleich Druck auf die Sowjetunion ausgeübt werden, einer Lösung der deutschen Frage zuzustimmen.

 


 

Anmerkungen:

[18] Der amerikanische Entwurf für die Antwortnote enthalten in: 14. 3. 1952 Telegramm Acheson an die amerikanische Botschaft in London (Secret), FRUS, 1952-54 Vol. VII, Washington 1986, 1, S. 173-75
[19] Ein ausführliches Protokoll der Sitzung vom 14. 3. 52 ist in den Akten bisher nicht gefunden worden. Hinweise auf die Besprechung finden sich in einem Memorandum von John F. Ferguson an Bohlen u.a. vom 18. 3. 1952. RG 59, PPS Box 16. Dort heißt es u.a. »I understand that last week when the reply to the Soviet note was being discussed, Paul raised with the secretary the possibility of drafting a different kind of reply than the one now under discussion. The suggestion, 1 believe, was that we test whether the Soviet Union was prepared to significantly alter its position by saying that if they were serious they should create in Eastern Germany the conditions necessary for a free election by a given date. A copy of such a draft was circulated at a meeting in Mr. Matthews' office on March 14.«
[20] Zur Tätigkeit von Richard M. Scammon im Planungsstab siehe u.a. 22 RG 59, PPS Box 9, Meetings 1. 11. 1949, 12. 12. 1949; Box 28, 24. 1. 1950; Box 32, 11. 10. 1949, 18. 10. 1949, 1. 12. 1949, 16. 12. 1949, 11. 1. 1950, 13. 1. 1950, 18. 1. 1950, 24. 1. 1950; für das folgende Zitat s. Dok. 3.

Memorandum von Richard. M. Scammon und Robert W. Tufts für Paul Nitze, vom 14. März 1952

Auszug aus dem Memorandum von Richard. M. Scammon und Robert W. Tufts, Mitglieder des Politischen Planungsstabes, für Paul Nitze, Leiter des Politischen Planungsstabes im State Department, vom 14. März 1952 (Top Secret) National Archives, Washington (D. C), RG 59, Records of the Policy Planning Staff 194 7‑ 1953, country and area files, Germany, Box 16

Outline of factors bearing on the Western reply to the Soviet note on Germany

 

I. The Soviet Purpose

 

A.

We do not know, of course, the real motivation of the Soviet note. There is general agreement, however, that it should be taken seriously, both because it has the ring of considered policy rather than propaganda and because it omits, superficially at least, de­mands for four power control of Germany and the Ruhr on which the Russians have been insistent heretofore and apparently reverses the previous Soviet positions on Ger­man armed forces and military production. The Russians probably believe that their move can be exploited in more than one way - in other words, the purpose for which the move will in fact be exploited is partly dependent on our reaction. We should keep the possibility in mind that the Russians:
 1.might be willing to negotiate a German settlement on this basis,-  
 2.might be trying to influence the Germans to go slow on the integration of Western Germany into the Western system;
 3.might be trying to involve the Western powers in endless negotiations a la Panmun­jom - as a means of blocking Western Germany's integration into the Western sys­tem and thus Western European integration in general;  
 4.might be trying to lay a basic political position which they feel they can live with over a long period and which they can profitably exploit over the long term;  
 5.might be laying the political basis for an early major shift in Soviet policy, not neces­sarily related to Germany alone. What such a shift might be is anybody's guess: it might range from a policy of preparation for a long contest in the West, beginning with a relaxation of tensions on European questions, through consolidation of the Soviet system by a new effort to evict the Western powers from Berlin, all the way to aggressive action probably involving war.

 

II. The Purpose ofthe Western Response  


 

A.Broadly speaking, we want to respond in such a way as:
 1.to avoid the traps and pitfalls, if any (and there almost certainly are)
 2.to run a litmus test on Soviet intentions; and
 3.to push, if possible, towards our objectives with respect to Germany, Western Europe, and the Soviet system.
B.Broadly speaking, there are four possible types of Western response:
 1.Outright rejection.
 2.A propaganda-type rejection (i.e., renewed expressions of the Western desire for German unity and a German peace treaty accompanied by conditions which are de­signed to appear as plausible as possible and to be unacceptable to the Russians).
 3.Request for clarification.
 4.Counter-proposals designed to call the Soviet hand (i.e., to make the Soviets decide whether to proceed promptly with the creation of an all-German Government and possibly with the withdrawal of forces or to indicate that they will not so proceed).
C.Traps and Pitfalls. Outright or propaganda rejection might lead us straight into a Soviet trap. It must be presumed that the Soviet rulers have considered the possibility that we will reject their proposals and have a plan for exploiting such a Western counter-move. Whatever their desired aim is, they could exploit a Western rejection by trying to in­fluence the Germans along the lines indicated in I. A.2 above or laying a political founda­tion along the lines indicated in I. A.4 and 5. The most obvious and probably the immedi­ate aim of the Russians is to elicit a request for clarification, to which they could respond in such a way as to make it very difficult for us to avoid negotiations, with their further aims dependent in large part on the course of the negotiations. This is the most obvious purpose because their note is not an easy one to reject as mere propaganda or old stuff. It is probably their immediate purpose because it offers not only short-term advantages in delaying action by the West but also preserves the opportunity for realizing long-term advantages if the Western position in negotiations provides any openings of this kind.
D.A Test of Soviet Intentions. A request for clarification will probably not give us a clear and early test of Soviet intentions, no matter how carefully it is worded. We might eventually learn what we want to know but only after long negotiations, which we want to avoid. A quick test of Soviet intentions can probably be obtained only by a counter-proposal specifically designed to call the Soviet hand. It goes without saying that it will be extremely difficult to draft a satisfactory counter-proposal. This problem is taken up in Section IV of this memorandum. What is clear is that if a counter-proposal is made, it must be one with which we can live and which will, if possible, advance us, whether accepted or rejected by the Soviet Union, toward our obj ectives.

 

III. Western Objectives

 

A.lf a Western counter-proposal is rejected by the Soviet Union, the Soviet reaction should greatly assist us in making progress on our present policies in Western Europe. It would again demonstrate that German unity is not a real alternative to our present policies and underline once more the phoneyness of Soviet proposals. Soviet rejection is the probable outcome of our move - if that move is well planned. The recent national intelligence es­timate, which OIR endorses, reaches the conclusion that the Soviet Union is not willing at this time to sacrifice its position in Eastern Germany for the sake of possible long-run advantages with respect to Germany as a whole.
B.Nevertheless, if a counter-proposal is made, there is an off chance that it will be accepted by the Russians. The question which immediately arises is whether a settlement on the basis of a unified, independent, and neutral Germany is consistent with our objectives.
C.This leads to the following questions:
 1.Are we likely to have success in carrying out our present policies if in addition to our present difficulties we add whatever difficulties would be caused by rejection of the Soviet proposals? It is only by rejection that we can be sure that we will not be trapped into frustrating negotiations or into a settlement on the basis of a unified Germany, with all that that implies. In answering this question, we must bear in mind that we have been having great difficulties and that great difficulties loom ahead in France and Germany and elsewhere on the continent. Rejection of the Soviet proposals would intensify these difficulties. The probable result would be, at best, even more halting rate of progress toward our present goals than we have been making and, at worst, a stymie. However, halting progress and perhaps even a stymie would be preferable to a basically unsound European situation. Would a settlement on the basis of a unified, independent, and neutral Germany create such a situation or would it be consistent with U.S. interests, and, if so, under what circumstances? We have to con­sider this question even though we estimate that the chances of a German settlement on this basis are probably not more than one in ten.

 

D.The Consequences ofa settlement involving a unified, independent, and neutral Germany. The United States would be confronted with a choice between two major lines of development of its European policy. First, we might seek to maintain NATO and undertake to align Germany's interests with the West or at least with the maintenance of its inde­pendence from the Soviet Union. Second, nie might seek to develop a unified Western Europe which would, as a bloc, play a strong neutral role and revise NATO so that the U.S. and U.K. guaranteed the security of the bloc without receiving reciprocal guaran­tees.

 

 1.Maintenance of NATO. It is possible that the French reaction to a unified, independent, and neutral Germany would be an even greater interest in the maintenance and development of NATO than it now has. It is most unlikely that Germany would, so long as it remained weak, make a deal with the Soviet Union. The more likely development, and one which should be able to assist indirectly, is that Germany would seek to develop enough strength to gain, in light of its recognition of our interests in preventing its domination by the Soviet Union, a sense of security. If this came about, there would then indeed be the possibility of deals with the Soviet Union, but these would be deals which Germany would conclude only if they improved its position vis­a-vis the Soviet Union. There might be a real advantage, in terms of our long tun interests with respect to the Soviet Union and to world peace, in having an independent Germany which could so negotiate with the Soviet Union, for in this case the Soviet Union might not be as reluctant to make concessions to Germany as to a united and in in [sic!] its view necessarily hostile Western bloc which included Germany. On the whole it is probably in the long run interest of the U.S. if new power centers can be established and if the present East-West conflict can be replaced by an interplay of in­terests between several power centers. We need not fear Germany so long as we maintain a strong atomic capability.
 2.Western European Unification. Alternatively, it might be possible to push forward with the creation of a new Western European power center, which would not be for­mally allied to the U.S. and the U.K., but which, for a variety of reasons, would be impelled to remain on friendly terms with us and to concentrate its available energies on improving the security of its position in the East. This would involve the alteration of NATO from a reciprocal undertaking to a pledge by the U.S. and the U.K. to re­gard an attack on Western Europe as an attack on themselves. Such a development would also be consistent with our long-term interests. Which of these two lines we could and should follow would depend largely on the preferences of the continental countries, especially France and Germany.

 

E.It should be emphasized once again that the probable results of a Western counter-proposal will be, first, to reveal that the Soviet Union is, at the moment, bluffing and thus, second to assist us in moving ahead with our present policies. Furthermore, even if the Soviet Union should be willing to make a German settlement, it seems unlikely that it will be willing to make one in the near future. The Soviet Union may see its choice as one between a German settlement and a preventive war, but it probably does not regard this as a choice which has to be made urgently. It may feel that the choice depends largely on the terms it could get for a German settlement. From this it is concluded that we should respond to the Soviet note in a way which indicates that we prefer a German settlement to war, if the terms of settlement are reasonable, but our price should be high enough to reflect confidence in the basic strength of our general position and the basic weakness of the Soviet position in Germany.

 

F.If we go down this course, it will be of the greatest importance to move as rapidly as possible on the contractual arrangements and the EDC-EDF arrangements, for it is only by demonstrating that we have a real alternative that we can effectively put pressure on the Soviet Union (whose alternatives are less favorable) to negotiate a German settlement.

 

IV. Form of a Reply to the Note of the USSR 

 

The essence of our reply to the Soviet note of 10 March should be as follows:
1.This Government welcomes the suggestions of the Soviet Government with respect to preparing in the nearest future an agreed draft peace treaty with Germany.
2.This Government agrees with the Soviet Government's view that any such agreed peace treaty must be worked out with direct participation of Germany in the form of an all­German Government.
3.In order to further the desires of the Soviet Government to proceed with discussions of such a treaty in the nearest future, this Government proposes that steps be undertaken immediately to organize the holding of democratic all-German elections on Sunday, November 16, 1952, or on such other similar date as mäy be agreed, to select an all-German Constituent Assembly.
4.In the organization of these elections this Government proposes that the laws, ordi­nances, administrative orders, and regulations concerning the election of the German Constituent Assembly of 1919 be applied, with the addition of a system of four-power control comparable to that employed in the Berlin city elections of October, 1946. To provide appropriate four-power responsibility in this matter, this Government proposes that the three High Commissioners of Great Britain, France, and this Government join with the head of the Soviet Control Commission not later than April 1, 1952, to establish such authority as may be deemed advisabie for these purposes.
5.Lest there be any misunderstanding of the firm intention of the responsible powers to proceed resolutely to the election of a democratic German Constituent Assembly, this Government proposes that each power guarantee in its zone the terms of paragraphs three and four of the political provisions of the Soviet Government's draft treaty of 10 March, namely - (3) Democratic rights must be guaranteed to the German people to the end that all per­sons under German jurisdiction without regard to race, Sex, language, or religion enjoy the rights of man and the basic freedoms including freedom of speech, press, religious persuasion, political conviction, and assembly. (4) Free activity of democratic parties and organizations must be guaranteed in Germany with the right of freedom to decide their own internal affairs, to conduct meetings and assembly, to enjoy freedom of press and publication.
6.This Government is prepared to presume that the implementation of paragraph five above will be in effect from April 1, 1952. Should any of the powers concerned fail to guarantee these terms in its zone of responsibility, this Government would feel that the other participating powers would automatically be freed from any further commitments with respect to the holding of an election to an all-German Constituent Assembly. Should any of the powers concerned not maintain the guarantees envisaged in paragraph five above after the holding of elections to the all-German Constituent Assembly, this Government would feel that such failure would be an effective cancellation of the elections and would automatically dissolve the Constituent Assembly.
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Sieg französischer und britischer Status-quo-Politik: Die westl. Antwortnote vom 25. März 1952

5. Sieg französischer und britischer Status-quo-Politik: Die westliche Antwortnote vom 25. März 1952


Zu einer seriösen Prüfung der Stalin-Note, wie sie Paul Nitze und der Politische Planungsstab wollten, ist es bekanntlich nie gekommen. In der Besprechung des State De­partments vom 14. März fiel vielmehr die Entscheidung zugunsten des taktisch anset­zenden Antwortkonzepts der Deutschlandabteilung. Acheson sandte diesen Entwurf noch am Abend des 14. März mit Billigung Trumans an die Botschaft in London [21]. Mit dieser Entscheidung war jedoch das letzte Wort über die grundsätzliche Haltung des State Department noch nicht gefallen. So beauftragte der Außenminister im Anschluss an die Besprechung bei Matthews den Politischen Planungsstab mit der Ausarbeitung eines Memorandums über eine mögliche alternative westliche Antwortnote. Am 18. März überreichte John Ferguson, der stellvertretende Leiter des Planungsstabes, Acheson die erbetene Denkschrift, nachdem der Außenminister zuvor noch einmal ausdrücklich sein Interesse bestätigt hatte [22]. In diesem wiederum von Robert Tufts verfassten Memorandum betonte der Planungsstab erneut die Notwendigkeit eines offensiven Vorgehens in der Wahlfrage und hob die Vorzüge seines Antwortentwurfes hervor, der der Sowjetunion keinen Spielraum für taktische Ausweichmanöver lasse. Dabei wurden die zentralen Aussagen der Denkschrift vom 14. März noch einmal resümiert:

»If the Russians are not bluffing and are really prepared to pay, if necessary, the price of free elections in order to block Western Germanys entrance into EDC, there is no way of avoiding the necessity for dealing with the problem of a unified Germany and for readjusting our European policy. There is only one chance in ten, S/P believes, that this is the situation. lf it is, however, we should attempt to make the Russians pay as high a price as possible and to gain as much credit for pushing them in this direction as we can. Our best chance of doing this (as also our best chance of calling their bluff) is to seize the initiative, to make the establishment of the conditions necessary for free elections the price of discussion of election arrangements, and to show the Russians that lf they go down this course, we will play the game in a tough and serious way.« [23]

Wie sich indes in den Verhandlungen mit Frankreich und Großbritannien zeigte, reduzierte sich der inneramerikanische Streit um die Ausformulierung der Wahlthematik fast auf eine akademische Auseinandersetzung. Der US-Geschäftsträger in Paris, Bonsal, telegraphierte nach Verhandlungen mit Eden und Schuman schließlich am 20. März 1952 resignativ nach Washington, dass der amerikanische »point of view« nicht durchsetzbar gewesen sei, weil lebenswichtige britische und französische Interessen zur Disposition gestanden hätten [24]. In den Gesprächen hatte sich gezeigt, dass vor allem in Frankreich beinahe traumatische Befürchtungen vor dem neuerlichen Übergewicht eines wiedervereinigten Gesamtdeutschland in Kontinentaleuropa und einer dann möglichen Koalition der Deutschen mit der Sowjetunion bestanden. Frankreich setzte deshalb alles daran, durch die konsequente Torpedierung aller Neutralisie­rungspläne eine Wiederholung des Alptraums von Rapallo zu verhindern. [25](siehe Dokument 9).

In der bisherigen Literatur sind die im Hinblick auf die möglichen Reaktionen der So­wjetunion entscheidenden Divergenzen zwischen dem ersten amerikanischen Entwurf[26] und den englischen und französischen Stellungnahmen [27] entweder weitgehend Übersehen [28] oder als eher taktische Unterschiede interpretiert worden. Die Tatsache, dass die Notenpolitik der Westmächte in Paris und London gemacht wurde und das State Department schließlich genötigt war, sich im Interesse einer gemeinsamen Antwort den sehr viel weitergehenden britischen und französischen Vorbedingungen zu beugen, ist wohl konstatiert, aber auf mögliche substantielle Unterschiede in der Interessenlage nur unzureichend geprüft worden [29]. Dass Acheson die von den Europäern durchgesetzten Verschärfungen im Hinblick auf die inneren Kräfteverhältnisse im State Department möglicherweise nicht einmal ungelegen kamen, ist im übrigen durchaus denkbar. jedenfalls zeigte der amerikanische Außenminister ein auffälliges Desinteresse an einer kompetenten amerikanischen Verhandlungsdelegation [30]. Eden und Schuman hatten so auch keine besonders großen Schwierigkeiten, gegen das amerikanische Votum durchzusetzen, dass die Statusfrage in Form von zwei entscheidenden Vorbedingungen in die westliche Antwortnote aufgenommen wurde: die volle, auch militärische Bündnisfreiheit für ein wiedervereinigtes Deutschland und ein Friedensvertragsvorbehalt für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und den Verlust der deut­schen Ostgebiete[31]. Die Ablehnung der Neutralität und die Infragestellung der Oder­Neiße-Linie in der westlichen Antwortnote vom 25. März 1952 [32] trafen die Stalin­Note in ihrem Kern, und die Gefahr einer sowjetischen Zustimmung zu der von den USA zunächst allein in den Mittelpunkt gestellten Wahlthematik wurde durch diese »Nachbesserungen« von vornherein ausgeschlossen. Die sowjetische Initiative musste sich damit, sollte in diesen Punkten keine Änderung in der Position der Westmächte erfolgen, praktisch totlaufen.


Anmerkungen:

[21]
14. 3. 1952 Telegramm Acheson an die Botschaft in Großbritannien, in: FRUS, 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 173 f. RG 59, PPS Box 16, 18. 3. 1952 Memorandum Ferguson an Bohlen u.a. bzw. ebd., Memorandum Ferguson an Acheson.
[22]
[23]
Das Memorandum ist abgedruckt bei Steininger (wie Anm, 4), S. 157 ff. Aus den jetzt neu zur Ver­fügung stehenden Dokumenten des PPS (18. 3. 1952 Memorandum Ferguson für Bohlen u.a.) geht hervor, dass Robert W. Tufts die Ausarbeitung abgefasst hatte und Ferguson diese lediglich weiter­geleitet hat. Hier zit. nach RG 59 PPS, Box 16, 18. 3. 1952 Memorandum Ferguson an Acheson. (S/P = Department of State, Policy Planning Staff).
[24]
20. 3.1952 Telegramm Bonsal an State Department, in: FRUS 1952‑54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 186. Acheson hatte an den Verhandlungen persönlich nicht teilgenommen, sondern den soeben aus Rom abgezogenen und in Paris noch nicht akkreditierten Botschafter Dunn mit der Wahrneh­mung der amerikanischen Interessen beauftragt. Aus Washington hatte Acheson den Leiter der Deutschlandabteilung, Perry Laukhuff, geschickt, und aus London wurde der amerikanische Gesandte Julius C. Hohnes zu den Gesprächen mit Schuman und Eden hinzugezogen.
[25]
Siehe u.a. Lagebeurteilung der Generaldirektion Politik des französischen Außenministeriums vom 12. 3. 1952, abgedruckt bei N. Meyer-Landrut: Frankreich und die deutsche Einheit. Die Haltung der französischen Regierung und der Öffentlichkeit zu den Stalin-Noten 1952. München 1988, S. 132 ff.
[26]
FRUS, 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 169 ff. und 173 ff.
[27]
Abgedruckt bei Steininger (wie Anm. 4), S. 116 ff., hier vor allem S. 144-146. Neue Dokumente zur französischen Position jetzt bei Meyer-Landrut (wie Anm. 25), S. 127 ff.
[28]
Vgl. Steininger (wie Anm. 4), S. 52: Danach habe der amerikanische Entwurf für eine Antwortnote »weitgehend« dem britischen Entwurf entsprochen.
[29]
Siehe u.a. H. Graml: Die Legende von der verpassten Gelegenheit. Zur sowjetischen Notenkampagne des Jahres 1952. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 29 (198 1), S. 307-34 1, hier S. 326-329. Graml gibt einen sehr präzisen Überblick über den Verhandlungsgang, analysiert aber die unterschiedlichen Interessenpositionen nicht weiter.
[30]
RG 59 Decimal files 1950‑54, Box 3856, 762A.00/3-1852 TSF: Memorandum of telephone call McCloy-Acheson (Top Secret).
[31]
Vgl. auch Graml (wie Anm. 29), S. 307-341, hier S. 327 L; Steininger (wie Anm. 4), S. 46- 53, S. 114-163, hier insbes. S. 50; Meyer-Landrut (wie Anm. 25), S. 132 ff.
[32]
Abgedruckt bei Jäckel (wie Anm. 1), S. 24 f.

 

Die französische Haltung zur Stalin-Note; Aufzeichnung des stellvertretenden Unterstaatssekretärs im Londoner Foreign Office, Frank Roberts, über ein Gespräch mit dem französischen Gesandten de Crouy-Chanel, 14. März 1952.
Die französische Haltung zur Stalin-Note; Aufzeichnung des stellvertretenden Unterstaatssekretärs im Londoner Foreign Office, Frank Roberts, über ein Gespräch mit dem französischen Gesandten de Crouy-Chanel, 14. März 1952.

Die französische Haltung zur Stalin-Note mit einem Kommentar des britischen Außenministers Sir Anthony Eden. Aufzeichnung des stellvertretenden Un- terstaatssekretärs im Londoner Foreign Office, Frank Roberts, über ein Gespräch mit dem französischen Gesandten de Crouy-Chanel, 14. März 1952.

Englischer Originaltext abgedruckt bei R. Steininger, Eine Chance zur Wiedervereinigung?, Bonn 1985, S. 136. Faksimilewiedergabe in: Ders., Deutsche Geschichte 1945-1961, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1983, S. 417 f.

Gesamtdokument ins Deutsche übertragen von R. Neebe:

Der französische Gesandte versicherte mir die französische Zustimmung zu unseren Vorschlägen ... Er trug mir die wichtigsten Passagen aus einem langen Telegramm vor, das er gerade aus Paris erhalten hatte. Vielleicht der wichtigste Punkt, der vom Quai d'Orsay [Sitz des französischen Außenministeriums in Paris] angeführt wurde, war, daß wir sehr vorsichtig sein müßten, damit wir nicht in eine Position gerieten, in der freie Wahlen stattfinden, eine neutralisierte deutsche Regierung (vielleicht eine Schumacher-Regierung) in Berlin etabliert und danach weitere Fortschritte in Richtung auf einen Friedensvertrag gemacht würden, wie in Österreich. Dies würde bedeuten, daß wir alle Vorteile der EVG, der Westlichen Integration etc. verloren hätten. Dagegen käme ein geeinigtes Deutschland zunehmend unter sowjetischen Druck und Einfluß.
Während wir uns in unserer Antwort unter dem Blickwinkel der öffentlichen Meinung in Deutschland selbstverständlich auf freie Wahlen und die Einheit konzentrieren müßten, sollten wir ganz klar in unserer eigenen Absicht sein, ein geeintes Deutschland nicht zu akzeptieren, selbst bei wirklichen freien Wahlen, bevor wir nicht wüßten, daß auch ein für uns zufriedenstellender Friedensvertrag in kurzem abgeschlossen werden könnte ...
In dem Telegramm des Quai d'Orsay wurden dann die folgenden Punkte aus der Sowjet-Note kommentiert:
(1) Saar. Die sowjetischen Vorschläge bedeuteten, daß Polen die Oder- Neiße-Grenze haben, Frankreich aber die Saar verlieren würde.
(2) Neutralisierungsklausel. Dies würde natürlich die vollständige Preisgabe der EVG und unserer gesamten gegenwärtigen Europa-Politik bedeuten.
(3) Militärische Klauseln. Als neues Element ist eingebracht worden, daß nicht nur die Truppen abgezogen, sondern auch die Stützpunkte aufgelöst werden müssen. Der wirklich entscheidende Punkt sowohl hinsichtlich der militärischen Klauseln als auch der Neutralisierungsbestimmung sei, daß hier überhaupt keine Regelung für irgendeine Kontrolle enthalten sei.
(4) Wirtschaftliche Klauseln. Diese seien möglicherweise sogar noch gefährlicher, da Deutschland völlig frei im Handel mit dem Osten wäre, während andere westeuropäische Länder bedeutende Einschränkungen ihrer Handelsbeziehungen mit der Kommunistischen Welt akzeptiert hätten. Deutschland könnte sehr rasch zu einer gefährlicheren wirtschaftlichen Größe als je zuvor heranwachsen, indem es in einem immensen Umfange Handel mit seinem natürlichen "Hinterland" in Osteuropa und auch in Rußland und China betreibe. Darüber hinaus könnte Deutschland in keiner Weise gehindert werden, eine ausgedehnte Rüstungsindustrie zur Versorgung der Truppen der Sowjetunion und ihrer Satelliten aufzubauen, selbst wenn die Rüstungsproduktion zur Ausrüstung seiner eigenen Armee auf einem relativ niedrigen Niveau gehalten werden könnte.
Mit anderen Worten, der Quai d'Orsay fürchtet, daß die sowjetischen Vorschläge im Endergebnis ein reiches und wirtschaftliches starkes Deutschland schaffen würden, das jedoch militärisch von der Sowjetunion dominiert würde und aus den genannten Gründen auch unter sowjetischer wirtschaftlicher Vorherrschaft stände. Insgesamt hat der Quai d'Orsay seine ursprüngliche Sicht modifiziert und denkt jetzt, daß die sowjetischen Vorschläge sehr viel mehr als ein taktischer Zug seien, nämlich ein ernsthafter, aber sehr gefährlicher Versuch, die Deutsche Frage zu lösen.*
Frank K. Roberts, 14. März 1952
 
*  Handschriftlicher Zusatz von Außenminister Eden zu dem letzten Absatz der Aufzeichnung: "Das ist immer meine Meinung gewesen, d. h. daß die Sowjets in diesen Vorschlägen ernsthaft sind, weil sie ihnen, obschon eine Gefahr darin liegt, insgesamt gut passen würden."
 

 

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Die Grundsatzbesprechung vom 1. April 1952: PPS versus Deutschlandabteilung des State Department

6. Die Grundsatzbesprechung vom 1. April 1952: PPS versus Deutschlandabteilung des State Department


Die Diskrepanzen zwischen den USA und ihren Verbündeten in Europa, die sich bei den Beratungen über die westliche Antwort auf die Stalin-Note gezeigt hatten, waren mit der Absendung der ersten gemeinsamen Note vom 25. März keineswegs erledigt. Innerhalb der amerikanischen Administration setzte jetzt ein in seinen Einzelheiten noch nicht hinreichend untersuchter, durchaus ambivalenter Klärungsprozess darüber ein, in welchem Verhältnis die immer wieder auch öffentlich postulierten Zielvorgaben von Wiedervereinigung und Westintegration zueinander standen und wie das Interesse der amerikanischen Außenpolitik in bezug auf die Sowjetunion überhaupt zu definieren ist. Hierbei ergriff der Politische Planungsstab abermals die Initiative und sprach sich in einem neuerlich von R.W. Tufts verfassten Memorandum vom 27. März 1952 an Außenminister Acheson noch einmal für ein offensives Vorgehen in der Wahlfrage aus, falls die sowjetische Antwort in die Richtung freier Wahlen weise.

»If the Russian rejoinder to our reply involves action pointing toward free elections, we will have to give more weight than we now do to the possibility that there has been a change in Russian policy. And we should consider now how we might best deal with a move toward free elections by the Russians [ ... ] In the event that Russian policy has changed, we want to make them pay as high a uce as possible since we will be forced to give up a line of development in whicl ave made a large investment.

If the second Russian note suggests that this may be our problem, S/P believes that the second Western note should seek to compel the Russians either to abandon their game or to go quickly all the way to free elections. It is recognized that it will be difficult to draft a note which will compel the Russians to make such a choice and perhaps even more diffieult to sell it to our allies [. . .] Nevertheless, the effort to draft such a note and to pre are our allies for the possible need for such a note is believed worthwile. A note of Tis kind would probably take the Russians by surprise. It should bring home to them that the unification game, if it is to be played at all, will be played seriously and to a conclusion.« [33]

Vor dem Hintergrund der immer deutlicher zutage tretenden Meinungsverschiedenheiten im State Department wie auch in der amerikanischen Öffentlichkeit [34] über die bisherige westliche Notenpolitik kam es am 1. April 1952 im Büro des Stellvertretenden Unterstaatssekretärs Matthews zu einer Grundsatzdiskussion über die möglichen Optionen und Implikationen der amerikanischen Deutschlandpolitik [35]. In dieser Besprechung der führenden Beamten des State Department wurde die überfällige Frage, ob man denn die Wiedervereinigung überhaupt wolle, erstmals in aller Offenheit erörtert. Unter Verweis auf das Memorandum des Politischen Planungsstabes vom 27. März standen als wichtigste Fragen auf der Tagesordnung:


1.        Wollen wir wirklich freie Wahlen? Haben freie Wahlen irgend ein anderes Ziel als ein wiedervereinigtes Deutschland?


2.        Wollen wir ein wiedervereinigtes Deutschland? Innerhalb oder außerhalb der EVG? Wie sind die Ansichten Großbritanniens und Frankreichs?


3.        Falls die Sowjetunion gewillt ist, substantielle Zugeständnisse zu machen, wollen wir dann zustimmen? [36]

Der Verlauf der Sitzung bestätigte, dass im State Department keineswegs eine einheitliche Einschätzung der sowjetischen Initiative vorhanden war. Auch hinsichtlich der denkbaren Optionen für die zukünftige amerikanische Deutschland- und Europapolitik gab es weitreichende Meinungsverschiedenheiten. Hierbei ließen sich im wesentlichen drei Gruppierungen unterscheiden:


1.        Die Vertreter der Deutschlandabteilung (Laukhuff und Lewis) urteilten ganz aus der Perspektive der bisherigen Integrationspolitik des State Department und lehnten deshalb freie Wahlen als ersten Schritt zu einem wiedervereinigten Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. Sie gingen davon aus, dass es besser sei, Westdeutschland in der EVG zu haben, als auf ein wiedervereinigtes Deutschland zu set­zen, das frei wäre, aus der Verteidigungsgemeinschaft auszuscheiden.  


2.        Der Politische Planungsstab (Nitze, Ferguson) vertrat in entscheidenden Punkten eine gegenteilige Auffassung. Wie Nitze ausführte, hatten sich die USA immer wieder für freie Wahlen ausgesprochen, die zu einem wiedervereinigten Deutschland führen sollten. Auch deshalb sei es jetzt nicht möglich, von dieser Position abzugehen. Vor allem Ferguson wies darauf hin, dass die Deutschen, wie auch Geheimdienstberichte zeigten, an allererster Stelle die Wiedervereinigung wollten. Gemeinsam mit Bohlen war Nitze deshalb der Meinung, dass die bevorzugte amerikanische Lösung ein wiedervereinigtes Deutschland innerhalb der EVG sei. Die Realisierbarkeit dieser Zielsetzung wurde im State Department indes übereinstimmend bezweifelt. Gleichwohl hielt Nitze ein offensiveres Vorgehen in der Wahlfrage mit allen denkbaren Konsequenzen für kein unkalkulierbares Risiko: im Gegenteil, die Wiedervereinigung Deutschlands würde die europäische Einigung insgesamt beschleunigen.  


1.        Eine eher vermittelnde Sicht nahmen die Russlandexperten (Charles E. Bohlen) und die Europaabteilung des State Department ein. Im Unterschied zur Deutschlandabteilung unterstellte vor allem »Chip« Bohlen [37] die Möglichkeit einer grundlegenden Wende in der sowjetischen Außenpolitik. Ein Ausgleich mit der Sowjetunion sei erstrebenswert, vor allem um die gegenseitige Bedrohungseskalation zu beenden. Eine zu schroffe Antwort müsse deshalb vermieden werden und die Chancen zu einer Wiederaufnahme des Gesprächs mit der Sowjetunion dürften nicht vertan werden [38]. Hinsichtlich der Option für ein wiedervereinigtes Deutschland in einem geteilten Europa war sich Bohlen indes nicht schlüssig. Dies berge die starke Gefahr einer Dominanz Deutschlands auf dem Kontinent oder eines möglichen »rapprochement« mit der Sowjetunion nach dem Muster von Rapallo.


Für das weitere Vorgehen in dem Notenwechsel einigte sich die Expertenrunde schließlich auf folgende Doppelstrategie: 1. mit der Integration fortzufahren und 2., falls die Sowjetunion wirklich bereit sei, freie Wahlen und dann die Wiedervereinigung zuzulassen, einer gesamtdeutschen Regierung die Entscheidung zu überlassen, ob sie Mitglied in der EVG und der Montanunion bleiben wolle.


 


Anmerkungen:

[33]
RG 59 PPS, Box 16, 27. 3. 1952 Memorandum von John H. Ferguson für Acheson, abgedruckt auch bei Steininger (wie Anm. 4), S. 170 ff. Der Hinweis auf R. W. Tufts als den eigentlichen Verfasser des Memorandums findet sich in der Kopie (Nr. 6 von 12) dieses Schriftstücks in der Dokumentenserie RG 59, Box 3856, 762A.00/3-2753 TSF. Die Fußzeile dieses Dokuments enthält die Paraphe »S/P: RWT: hh«.
[34]
So hatte sich u.a. Walter Lippman am 31. 3. 1952 in der New York Herald Tribune kritisch zu der westlichen Note vom 25. 3. 1952 geäußert. Einzelheiten bei Steininger (wie Anm. 4), S. 172, Anm. 2. Siehe auch W. Lippman: Amerikanische Gedanken zur deutschen Einheit. Die Außenpolitik der USA in einer neuen Weltlage. In: Außenpolitik 3 (1952), S. 775-783. In dem Aufsatz führt Lippman u.a. aus: »Wir dürfen nicht einer politischen Linie folgen, die bedeutet oder die zu bedeuten scheint oder in dem Sinn betrachtet werden könnte, dass unsere Maßnahmen für die Verteidigung Westeuropas vom Andauern der Teilung Deutschlands bedingt sind. Wir laufen Gefahr, in die völlig unhaltbare Lage zu geraten, dass wir unsere militärischen und politischen Pläne von der Verewigung eines geteilten Deutschlands abhängig machen, und von einer deutschen Regierung, die sich nur behaupten kann, wenn Deutschland geteilt bleibt [ ... ] Meiner Meinung nach haben wir keine andere Wahl, als die mögliche Räumung Deutschlands von nichtdeutschen Streitkräften zu einem klaren Ziel unserer eigenen Politik zu machen.« Unmittelbar auf die Stalin-Note eingehend, lehnte Lippman allerdings die sowjetischen Bedingungen eines völlig ungebundenen Deutschland sowie die in Potsdam vereinbarten Ostgrenzen ab. »Meine Ansicht ist, dass wir es für die Räumung Deutschlands zur Bedingung machen sollten, dass Gesamtdeutschland bereits mit Frankreich verbündet ist und mit Polen die gemeinsame Grenze, eine Entschädigung für die Vertriebenen und einen Wirtschaftsvertrag aushandelt. Nur wenn es ein französisch-deutsch-polnisches Einvernehmen gibt, kann man mit einiger Sicherheit von einem vereinten Europa sprechen oder, wie ich es lieber bezeichnen möchte, einem europäischen System.«
[35]
2. 4. 1952, Memorandum von Louis H. Pollak für Jessup, in: FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 194-199. Abgedruckt auch bei Steininger (wie Anm. 4), S. 181-185.
[36]
Siehe Steininger (wie Anm. 4), S. 18 1, Anm. 1.
[37]
Zu Charles E. Bohlen ausführlich Isaacson/Thomas (wie Anm. 13).
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Die "relative Offenheit" der USA vor der 2. westl. Antwortnote vom 13. Mai 1952
Die Beratung im State Department am 1. April 1952 hatte offenbart, dass die Position der Deutschlandabteilung, die in der Anfangsphase die amerikanische Notenpolitik in den Verhandlungen mit Großbritannien und Frankreich in unmittelbarer Abstimmung mit Acheson weitgehend unabhängig hatte gestalten können, mit ihrer ausschließlichen Orientierung auf die Westintegration der Bundesrepublik zunehmend auf Widerspruch stieß. Insofern bedeutete die explizite, nicht nur taktisch gemeinte Festlegung des State Department auf das Doppelziel von Integration und Wiedervereinigung einen erheblichen Positionsgewinn für die Konzeption des Politischen Planungsstabes.
Nach dem Eingang der zweiten sowjetischen Note vom 9. April 1952 wurde der Planungsstab nunmehr umgehend eingeschaltet. Nachdem am 10. April im Rahmen der täglichen Stabsbesprechungen Botschafter Philip C. Jessup Gespräche auf einem »medium-level« mit der Sowjetunion vorgeschlagen und Bohlen für die nächste westliche Antwort ein kraftvolles Statement in der Deutschlandfrage verlangt hatte, fand am 11. April im Büro von Nitze eine weiterführende Beratung statt. Neben Jessup und Nitze als Leiter des Planungsstabes waren noch Ferguson sowie Tufts und Scammon, die Autoren des Memorandums vom 14. März 1952, hinzugezogen worden. Der Zweck der Besprechung bestand darin, Jessup als Vertreter des State Department im Nationalen Sicherheitsrat mit dem alternativen Ansatz des Planungsstabes im Detail vertraut zu machen. Scammon und Tufts erhielten Gelegenheit, zunächst ihr Konzept der unmittelbaren Prüfung des sowjetischen Angebots durch die Vorgabe eines konkreten Datums für den Wahltermin (»a given date«) anstelle aller taktischen Manöver ("investigation of conditions"), zu (Dokument 10). Die Frage nach der Kontrolle durch eine UN-Kommission wurde folgerichtig als zweitrangig, da rein taktisch motiviert, be­trachtet. Wie Nitze und Ferguson noch einmal hervorhoben, sei der beabsichtigte Test für die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Absichten aus zwei Gründen unverzichtbar:
  1. at any time that the USSR is really willing to hold free elections and get out of East Germany it can block German integration, and


  2. if German integration is going to be blocked by the USSR, we ought to find that out as soon as possible and plan our future European policy accordingly « (Dokument 10).

Wie diese Argumente bestätigen, war man sich im State Department des schließlichen Erfolges in der europäischen Integrationspolitik zu diesem Zeitpunkt gar nicht so sicher [39]. Nitze unterstrich deshalb auch, dass der Westen, sollte die Sowjetunion die Abhaltung freier Wahlen wie erwartet ablehnen, einen entscheidenden Propagandavorteil erwerben würde: Die Westintegration der Bundesrepublik würde dann nachgewiese­nermaßen zur allein verbleibenden Alternative. Botschafter Jessup, der schon in der Besprechung vom 1. April einige Skepsis gezeigt hatte, war vor allem über das Starten einer derartigen Offensive im gegenwärtigen Moment beunruhigt. Im State Depart­ment, so Jessup, seien viele der Ansicht, dass zunächst der EVG-Vertrag unterzeichnet und vielleicht sogar ratifiziert werden müsse. Nitze, der sich durch diese Argumente offenbar nicht von seinem Konzept abbringen ließ, kam im letzten Teil der Beratung schließlich ausführlicher auf die Bedingungen zu sprechen, die nach Ansicht des Planungsstabes in der Zeit zwischen der Errichtung einer gesamtdeutschen Regierung und der Unterzeichnung eines Friedensvertrages herzustellen seien. Hier sah Nitze zwei entscheidende Punkte, nämlich erstens den Abzug der sowjetischen Truppen und zweitens die Auflösung der sowjetischen Aktiengesellschaft [40]. Richard Scammon bekam abschließend den Auftrag, die möglichen Reaktionen in Westdeutschland auf die verschiedenen Modelle eines sowjetischen Rückzuges zu analysieren (Dokument 11).
In dem amerikanischen Entwurf für die zweite westliche Antwort [41] blieb das State De­partment zwar nach außen hin bei seinem taktischen Ansatz »investigation of conditions«, und das vom Planungsstab favorisierte Konzept einer »declaration of freedom« [42] für die Sowjetzone kam nicht voll zum Zuge. Immerhin war der Planungsstab diesmal aber an der Beratung des Entwurfes beteiligt und konnte seine Vorstellungen wenigstens ansatzweise einbringen [43]. Von wesentlich größerer Bedeutung war allerdings, dass Außenminister Acheson jetzt selbst einen deutlich flexibleren Kurs einzuschlagen begann. Seine von den westlichen Regierungschefs mit ziemlicher Bestürzung aufgenommene Initiative vom 30. April 1952, zur Klärung der tatsächlichen sowjeti­schen Absichten eine Konferenz der vier Besatzungsmächte in Berlin zum Thema gesamtdeutscher Wahlen einzuberufen [44], reflektierte den inzwischen vollzogenen Mei­nungswandel im State Department [45]. Mit diesem Vorschlag bewegte sich Acheson jetzt genau auf der Linie des Tufts/Scammon-Memorandums vom 14. März 1952. Und auch die Begründung des Außenministers für die Notwendigkeit eines sofortigen konkreten Verhandlungsangebots an die Sowjetunion verriet sehr deutlich die Handschrift des Politischen Planungsstabes:

»Department has come increasingly to conclusion in this regard that we have much to gain and nothing to lose by making specifie proposal in this reply for talks [ ... ] Ac­cordingly, it is in our interest to expose Soviet insincerity alt earliest possible date and in any event before legislation debates are concluded [ ... ] If Soviets are really prepared to open Eastern Zone, we should force their hand. We can not allow our plans to be thwarted merely by speculation that Soviets may be ready actually to pay a high price.« [46]

Dieser Vorschlag signalisierte einen bemerkenswerten Positionswechsel in der Hal­tung des State Department. Unterstützt wurde diese neue Linie nicht zuletzt durch ei­nen Geheimbericht des »Office of Intelligence Research« vom 14. Mai 1952 über die jeweils zu erwartenden Reaktionen auf Annahme oder Ablehnung des sowjetischen Wiedervereinigungsangebots durch den Westen [47]. In einem Resümee des Berichtes ka­men die generellen Vorteile für die USA bei einem Eingehen auf Stalins Initiative ein­deutig zum Ausdruck [48]. Bemerkenswert an dem Geheimbericht war nicht zuletzt, wie hoch die zuständigen amerikanischen Experten die Bedrohungsangst der Sowjetunion durch NATO und Abschluss des EVG-Vertrages einschätzten. Aber dieser Wandel im State Department kam zu spät, wurde nicht konsequent genug zu Ende geführt und blieb deutschlandpolitisch folgenlos. Wie bereits bei der Abstimmung über die erste westliche Note mussten die USA auch bei der zweiten Note schließlich eine diplomati­sche Niederlage hinnehmen. Wieder gelang es Frankreich und Großbritannien, assi­stiert von Adenauer [49], in der gemeinsamen Note vom 13. Mai 1952 [50] alle konstruktiven Ansätze zu unterlaufen und die westlichen Vorbedingungen so hoch zu schrauben, dass der Sowjetunion de facto nur die Möglichkeit blieb, die DDR preiszugeben, ohne zu wissen, welche sicherheitspolitischen Garantien sie im Hinblick auf ein wiederher­gestelltes Gesamtdeutschland erhalten würde.
 
 

 
Anmerkungen:
 
[39] Falls die Integration scheitern sollte, wurde vom State Department deshalb im April 1952 auch ein Rückzug der amerikanischen Truppen aus Europa nicht ausgeschlossen. Aufzeichnung im State Department vorn 12. 4. 1952, mitgeteilt bei Graml (wie Anm. 29), S. 32.
[40] Auf der Grundlage des Befehls Nr. 167 vom 5. 6. 1946 gingen insgesamt 213 der wichtigsten deut­schen Industriebetriebe in der sowjetischen Besatzungszone und in Ost-Berlin in den Besitz der Sowjetunion über. Aus der Produktion der in Sowjetische Aktiengesellschaften" umgewandelten Betriebe, die 1950 einen Anteil von 22,60% der Bruttoproduktion der Industrie insgesamt inne hatten, wurden zwischen 1945 und 1953 Waren im Werte von 34,7 Mrd. Mark (zu Preisen von 1944) als Reparationsleistungen an die Sowjetunion entnommen. Der Rückkauf der SAG-Betriebe durch die DDR und ihre Umwandlung in Volkseigene Betriebe (VEB) wurde mit der Übernahme von 66 Betrieben am 28.4.1952 und der restlichen 33 Betriebe am 1.1.1954 abgeschlossen. Vgl. D. Staritz: Die Gründung der DDR. Von der sowjetischen Besatzungszone zum sozialistischen Staat. Mün­chen 1984, S. 55 ff.; DDR-Handbuch. 2. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Köln 1979, S. 906 ff.
[41] FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 220‑223. 30. 4. 1952 Telegramm 5593 Acheson an Botschaft in London, Absätze 4-10. Zur taktischen Linie des US-Entwurfs siehe in: 30. 4. 1952 Telegramm 5592 Acheson an Botschaft in London, Abschn. 4, ebd., S. 217 ff. Abgedruckt auch bei Steininger (wie Anm. 4), S. 232 ff, hier S. 233.
[42] RG 59, PPS Box 16, 24. 7. 1952 Memorandum R. M. Scammon für John H. Ferguson betr. »U.S. Policy on Four-Power Talks on Investigation of Conditions for Free Elections in Germany«.
[43] FRUS, 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 220, Anm. 1.
[44] Ebd., Abschnitt 9.
[45] Siehe u.a. Graml (wie Anm. 29), S. 333 f
[46] 30. 4. 1952 Telegramm 5592 Acheson an Botschaft in London, zit. nach Steininger (wie Anm. 4), S. 232 ff., hier Abschnitte 6 und 7, S. 233. Der vom Leiter der Deutschlandabteilung, Perry Laukhuff, angefertigte Entwurf vom 29. 4. 52 war in einer gemeinsamen Konferenz mit dem Planungsstab und anderen Abteilungen des State Departments abgeklärt worden.
[47] RG 59, PPS Box 16, 14. 5. 1952 Intelligence Report LE. 39 »Reactions to Western Acceptance or Rejection of an Assumed Soviet Offer to Unite Germany«, Department of State (OIR). Abgedruckt auch bei Steininger (wie Anm. 4), S. 254-258.
[48] Ebd., 16. 5. 1952, Memorandum W. Park Armstrong für Bohlen, Jessup, Nitze, Perkins, Riddleber­ger und Sargeant (Secret). Hierbei wurden drei Punkte als entscheidend angesehen: » (a) In Western Europe, either reiection or acceptance of a genuine Soviet offer to unify Germany would have adverse effects on rearmament; (b) In West Germany, rejection of such an offer would destroy any hope of securing an effective pro-Western orientation, while acceptance would lead to the creation of a neutral anti-Communist all-German government; (c) In the USSR, acceptance would produce no drastic change of policy, while rejection would lead the Kremlin to conclude that the NATO-West German threat that had prompted its offer could not be countered by a policy of retreat, and was bound to lead to war. It is estimated that the Soviet rulers would, therefore, follow a course that presupposed a military showdown with the West, and might, to this end, "adopt a vi­gorous stand in Korea or undertake a new aggression in Southeast Asia", even at the risk of general war."
[49] 3. 5. 1952 Telegramm McCloy an Acheson, abgedruckt bei Steininger (wie Anm. 4), S. 241.
[50] FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 242‑247.
 
Aufzeichnung von Louis H. Pollak über eine Besprechung im Büro von Paul Nitze betr. freie Wahlen in Deutschland vom 11. April 1952
Those present at the meeting were: Mr. Nitze Mr. Ferguson Mr. Tufts Mr. Jessup Mr. Scammon
  I. Messrs. Tufts and Scammon outlined a proposal for testing the possibilities of free elec­tions in Germany, not through »investigation of conditions«, but through the actual in­itiation, with Soviet agreement, of free political campaigning throughout Germany. The premise of the proposal was that the only »condition« relevant to the holding of free elections is actual Soviet willingness to hold such elections. Accordingly, we would propose to the Soviets - perhaps in the exchange of notes, or per­haps in the course of conversations, arising out of the notes, as to the feasibility of free elections - that as of a given date, free political campaigning be initiated throughout Germany. This would mean opening the borders and allowing adherents of all political parties to wander without restrictions through the entire territory - canvassing, driving sound trucks, holding political meetings, etc. It was felt that, if the USSR agreed to the proposal, we (and, more importantly, the West Germans) would be able to tell within a few days, and perhaps even within a few hours of the starting date, whether the Soviet Union really meant busi­ness.
The index of whether they meant business would be the very simple fact of whether the ad­herents and organizers of West German political parties were actually able to campaign without hindrance throughout the Soviet Zone. It was also felt that we would be able fully to reciprocate by guaranteeing in the Western Zone the full freedom we would insist on in the Soviet Zone - i.e., in the Western Zone the only restrictions would be dietated by the maintenance of law and order (aside from prohibitions on entry into certain narrowly defined military areas). In brief, the criteria of whether free elections were possible would be quite simple:
1. Complete freedom of campaigning and organization as indicated above. (As to this it was felt that the freedom accorded the SPD would be the decisive index of Soviet intentions; the USSR would be much more concemed about the efforts of the SPD, which would be aimed at the East German proletariat, than about the efforts of the »bourgeois« parties to the right of the SPD.)
2. Freedom from reprisals; it would be essential that the population of the Soviet Zone be able to support West German political parties without fear of Communist reprisals - but an estimate of the degree of fulfillment of this criterion might not be immediately obtainable.

On the question of inspection of the campaign process by the UN Commission or a com­mission of the four powers, it was felt that inspection machinery was not essential from a practical point of view, in as much as the members of the SPD and other Western parties operating in the Soviet Zone would determine the facts for themselves (and for West German opinion) with no difficulty. It was felt that such inspection would be desirable, how­ever, from a general propaganda point of view; that it would be desirable for East German morale if there were a considerable show of having inspection teams circulating freely; and that it would be desirable, in the event of disputes, that there be a UN or four power inspec­tion system which would be able to make official findings. (Retention of the inspection de­vice would, of course, maintain desirable consistency with our present insistence that a UN or quadripartite commission investigate the possibilites of free elections.)
II. The elaboration of the above scheme for a pragmatic test of Soviet intentions regarding free elections provoked tactical   discussion of the relationship of the free elections prob­lem to the general problem of German integration and/or unification.

The basic case for testing the genuineness of Soviet intentions was put by Messrs. Ferguson and Nitze on the grounds that (1) at any time that the USSR is really willing to hold free elections and get out of East Germany it can block German integration, and (2) if German integration is going to be blocked by the USSR, we ought to find that out as soon as possible and plan our future European policy accordingly. On the other hand, if the Soviet Union is not willing to hold free elections, the Soviet response to the proposal outlined above would demonstrate that fact to the West Germans dramatically and conciusively. The West would gain considerable propaganda advantage from having thus taken the initiative on the free elections question, and the demonstration of Soviet unwillingness to hold free elections would accelerate West German integration.
Mr. Jessup was dubious about the timing of such a proposal, wondering whether it would not be better to spring such an idea after the si gning and perhaps the ratification of the contractuals and the EDC Treaty.
Mr. Ferguson stressed the idea that the failure to make an offer of the kind indicated would contribute to delay the signing of the contractuals and the EDC Treaty. He and Mr. Scam­mon reiterated the idea that ratification of these agreein~rits was merely the beginning of the integration process, and that for whatever length of time we falled to test the genuine­ness of Soviet intentions the Soviet Union would retain the power to halt integration.
Mr. Jessup pointed out to the group the strong feeling of many in the Department that we should take no present step which would divert the attention of the West Germans from the immediate task of getting the contractuals and the EDC Treaty signed and ratified.
There than followed some discussion, initiated by Mr. Nitze, of the conditions which must in our judgement obtain in Germany in the interim period between the establishment of an all-German government and the signing of the peace treaty. Mr. Nitze felt that we had to insist on the withdrawal, in the interim period, of Soviet occupation forces and the Soviet AGs. Mr. Nitze felt that there had not been enough study in the Department of precisely what conditions should prevail during that period, but pointed to the great difficulties we would encounter if we were to permit anything like a repetition of the Austrian situation. Mr. Scammon recalled that a study of the problem had been made when he was in Germany some years back, and he will try to find a copy of it. Meanwhile, Mr. Nitze is thinking of having R prepare an estimate of the reaction of Western Germany to varlous hypothesized Soviet positions on conditions surrounding unification.
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Memorandum von Richard M. Scammon für John H. Ferguson, Stellvertretender Leiter des Politischen Planungsstabes im State Department, betr. freie Wahlen in Deutschland vom 11. April 1952 (Top Secret)
The responses to the questions put me this morning follow. Under all four situations the es­timates rest on the basic premise that the West German government and public opinion have completely accepted the bona fide nature of these propositions and are convinced that the USSR will in fact carry out the respective measures.
A. A freely elected all-German Government, with withdrawal ofall occupation forces and relinquishment of the Soviet AG's. This course would be taken by the West Germans as a complete reversal of Soviet policies. It would be considered as evidence that the USSR were willing to abandon all instruments of economic and political power. The SED would be relegated to the position of a minor political force with the USSR restricted to pressures such as those any other foreign power might bring to bear on Germany. In this eventuality the West German government would not be in a position to continue successfully its present integration policies with the West.
B. A freely elected all-German Govemment4 with withdrawal ofall occupationforces, but with retention ofthe Soviet AG's. Retention of the Soviet AG's would create suspicion among the Germans that the USSR would want to retain this lever not only for purely economic reasons, but also as a device to retain some administrative hold in Germany and to use such hold for economic pressure. The Germans, moreover, would fear that disputes over the status of the AG's would lead to renewed open Soviet interference. In the balance however, while such a situation would be distasteful to the Germans, reestablishment of an otherwise sovereign German government and the withdrawal of occupation troops would outweight this factor. The re-establishment of true legislative and administrative sovereignty over the whole country would make the Germans confident of their ability to keep polltical and economic interference in their affairs emanating from the Soviet AG's well in check and eventually allow them to buy off the Russians. The conclusion would therefore be identical with that under A.
C. A freely elected all-German Government, but with maintenance ofoccupationforces and Soviet AG's, Retention of Soviet troops (presumably in substantial numbers and well dis­tributed over the whole of Eastern Germany) would in the German eyes negate the very freedom and sovereignty of a united Germany. It would open the spectre of a continuation of the present East-West struggle over and in Germany in oniy a slightly modified version. Morcover, in this eventuallty the Germans would not feel confident of their ability to circumscribe and in time reduce the political and social influences emanating from the Soviet AG's. In this situation they would be scarcely willing to even temporarily renounce their claim to their eastern territories in exchange for a highly precarious autonomy. In this eventuality therefore EDC ratification would not likely be jeopardized.
D. A freely elected all-German Government, relinquishment of the Soviet AG's, but mainten­ance of occupation forces. As the retention of Soviet troops is the primary factor which would predispose the Germans towards rej«ecting a Soviet offer, the relinquishing of the Soviet AG's would not measurably change the German assessment of the Soviet proposal. German reaction would therefore not be very much different from the one described under C.

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Ausblick: Blockbildung in Europa 1952-55 ohne Alternative?
Die Unterzeichnung des Deutschland- und EVG-Vertrags am 26. und 27. Mai 1952 machte klar, dass Stalins Versuch, die Westintegration der Bundesrepublik aufzuhalten und möglicherweise durch ein anderes Modell der mitteleuropäischen Ordnung zu ersetzen, zunächst gescheitert war. Die sowjetische Initiative hatte aber auch deutlich ge­macht, dass der Westen über kein wirkliches Konzept verfügte, wie die Spannung zwischen Westintegration und Wiedervereinigung, falls die Sowjetunion zu ernsthaften Konzessionen tatsächlich bereit war, zu lösen war. Der für den Westen nach außen hin erfolgreiche Ausgang der »Notenschlacht« des Jahres 1952 bedeutete insofern gerade nicht, dass der Gedanke an eine Wiedervereinigung und eines Friedensvertrages mit Deutschland in den Planungsetagen der westlichen Außenministerien jetzt endgültig ad acta gelegt werden konnte. Da die Zukunft der EVG, trotz der Unterzeichnung der Verträge im Mai 1952, zu Recht als unsicher eingeschätzt wurde, musste vielmehr da­von ausgegangen werden, dass die deutsche Frage an oberster Stelle der Tagesordnung der Ost‑West‑Beziehungen bleiben würde. Insofern war es auch folgerichtig, dass das State Department jetzt erstmals begann, sich mit den Bedingungen eines Friedensvertrages mit Deutschland systematischer auseinander zusetzen [51].
Der Übergang zur Administration Eisenhower 1952/53 intensivierte diese Bemühungen. Unter der Ägide von John Foster Dulles wurde in den Jahren 1953 bis 1955 eine Reihe von offensiven Varianten zu der als unfruchtbar empfundenen »Contain­ment»- Politik der Truman-Ära entwickelt [52]. Im Rahmen des Projekts »Solarium« vom Frühjahr 1953 kam es zu einer grundsätzlichen Überprüfung der amerikanischen Politik gegenüber der Sowjetunion [53]. Um die Sowjetunion aus Mitteleuropa und den Satellitenstaaten auf friedlichem Wege zurückzudrängen, erschien eine Wiedervereini­gung Deutschlands selbst unter dem Vorzeichen der Neutralisierung als der noch am ehesten zum Erfolg führende Ansatzpunkt. Und George F. Kennan, der von der Eisenhower-Administration noch einmal als Chairman der Planungsgruppe »Task Force A« reaktiviert worden war [54], sprach offen aus, dass eine unter der genannten Zielsetzung angestrebte Einigung Deutschlands in bezug auf die EVG notwendigerweise die Konsequenz eines »quiet death« [55] haben müsse. Dass die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Mitteleuropa im übrigen durchaus innerhalb der Spannbreite der verschiedenen amerikanischen Optionen lag, zeigen nicht zuletzt die kürzlich bekannt gewordenen internen Verhandlungspapiere der USA für die Berliner Viermächte-Konferenz 1954 [56] und selbst noch für die Genfer Gipfelkonferenz vom Juli 1955 [57].
Aus einer anderen Interessenlage heraus verfolgte Premierminister Churchill nach dem Tode von Stalin und den Entspannungssignalen aus Moskau den Plan eines Ausgleichs in Mitteleuropa: Churchill sah Großbritannien dabei ganz nach dem Muster von Locarno neuerlich in der Rolle einer Garantiemacht, die bei der Wiedervereinigung Deutschlands zugleich die französischen und sowjetischen Sicherheitsinteressen zu schützen bereit sei [58]. Wenn auch das Foreign Office derartige Vorstellungen energisch bekämpfte, war Adenauer doch »zutiefst erschrocken« und sah sich noch 1955 genötigt, die britische Regierung nachdrücklich vor der tödlichen Gefahr einer Neutralisierungspolitik zu warnen [59]. (Dokument 12)
Wie bekannt, sind alle diese britischen und amerikanischen Alternativplanungen der Jahre 1952 bis 1955 nicht verwirklicht worden. Das Risiko einer solchen »anderen« Politik war den meisten Beteiligten schließlich zu hoch. Gleichwohl bestätigen die jetzt zugänglichen Akten, dass insbesondere die amerikanische Deutschlandpolitik konzeptionell doch sehr viel »offener« war, als im überlieferten Geschichtsbild bisher vermittelt worden ist.
 
 

 
 
Anmerkungen:
 
 
[51] Siehe vor allem: Rupieper: Deutsche Frage und europäische Sicherheit (wie Anm. 4), S. 179-209, hier S. 180 ff. Ein erster amerikanischer Friedensvertragsentwurf lag am 20. 11. 1952 vor.
[52] Ebd., S. 181 ff.; vgl. auch ders.: Wiedervereinigung und europäische Sicherheit: Deutsch-amerikanische Überlegungen für eine entmilitarisierte Zone in Europa 1953. In: MGM 39 (1986), S. 91­130.
[53] FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. 111, S. 323 ff.: 9.5.1953 Memorandum Robert Cutler »Solarium Project« (Top Secret).
[54] Siehe auch G. F. Kennan: Memoirs 1950-1963. NewYork 1972, S. 181 f.
[55] FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. 11 1, S. 388 ff., hier S. 389: 26. 6. 1953 »Notes Taken at the First Plenary Session of Project Solarium«. Vgl. im übrigen Rupieper: Deutsche Frage und europäische Sicherheit (wie Anm. 4), S. 18 5 f.
[56] H.J. Rupieper: Die Berliner Außenministerkonferenz von 1954. Ein Höhepunkt der Ost-West­-Propaganda oder die letzte Möglichkeit zur Schaffung der deutschen Einheit?. In: Vfzg 34 (1986), S.428-453.
[57] A. Schickel: Washington war nicht dagegen. Wie die USA ein neutralisiertes Deutschland sahen. Die Geheimakte 6993. In: Deutschland-Archiv 17 (1984), S. 590-593. Die Abhandlung basiert auf einer Interpretation des »Intelligence Report No. 6993« vom 12. Juli 1955: »Probleme und Politik eines wiedervereinigten neutralen Deutschlands«. Zum Gesamtzusammenhang der amerikanischen Deutschlandpolitik 1955 siehe im übrigen Rupieper: Deutsche Frage und europäische Sicherheit (wie Anm. 4), hier S. 190-209.
[58] J. Foschepoth: Churchill, Adenauer und die Neutralisierung. In: Deutschland-Archiv 17 (1984), S. 1286-1301; R. Steininger: Ein vereinigtes, unabhängiges Deutschland? Winston Churchill, der Kalte Krieg und die deutsche Frage im Jahre 1953. In: MGM 34 (1984), S. 105-144.
[59] Aufzeichnung von Sir Ivone Kirckpatrick, 16. 12. 1955, abgedruckt in: J. Foschepoth: Westintegration statt Wiedervereinigung: Adenauers Deutschlandpolitik 1949-1955. In: Adenauer und die Deutsche Frage (wie Anm. 4), S. 29-60 bzw. S. 289f.: Die Westintegration der Bundesrepublik müsse den unbedingten Vorrang vor der Wiedervereinigung behalten, weil er, Adenauer, kein Vertrauen in das deutsche Volk habe und eine künftige deutsche Regierung sich zu Lasten Deutschlands mit Russland verständigen könne. (Dokument 12)
 

Adenauer und die Einheit Deutschlands. Aufzeichnung des Unterstaatssekretärs im britischen Außenministerium, Sir Ivone Kirkpatrick über ein Gespräch mit dem deutschen Botschafter in London, Herwarth von Bittenfeld am 15. Dezember 1955. Aufzeichnung vom 16
Streng geheim

Einheit Deutschlands 1. Der deutsche Botschafter sagte mir gestern, daß er mir zu diesem Thema [Einheit Deutschlands] eine streng vertrauliche Mitteilung machen wollte. Ich würde mich daran erinnern, daß ich ihm bei meiner Rückkehr aus Genf erzählt hätte, daß wir [d. h. Großbritannien] in dieser Frage vielleicht flexibler als die Amerikaner sein sollten. Wir könnten zu einer Position kommen, in der wir erklärten, daß wir, unter der Voraussetzung einer Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage freier Wahlen und der Handlungsfreiheit für eine gesamtdeutsche Regierung in inneren und äußeren Angelegenheiten, jeden einigermaßen vernünftigen Sicherheitsvertrag mit den Russen unterzeichnen sollten.
2. Der Botschafter sagte mir, daß er diese Möglichkeit sehr vertraulich mit dem Kanzler erörtert habe. Dr. Adenauer wollte mich [Kirkpatrick] wissen lassen, daß er eine solche Haltung mißbillige. Der entscheidende Grund sei, daß Dr. Adenauer kein Vertrauen in das deutsche Volk habe. Er sei äußerst besorgt, daß sich eine künftige deutsche Regierung, wenn er von der politischen Bühne abgetreten sei, zu Lasten Deutschlands mit Rußland verständigen könnte. Folglich sei er der Meinung, daß die Integration Westdeutschlands in den Westen wichtiger als die Wiedervereinigung Deutschlands sei. Wir [d. h. die Briten] sollten wissen, daß er in der ihm noch verbleibenden Zeit alle Energien darauf verwenden werde, dieses Ziel zu erreichen, und er hoffe, daß wir alles in unserer Macht Stehende tun würden, um ihn bei dieser Aufgabe zu unterstützen.
3. In der Unterredung unterstrich der Botschafter nachdrücklich, daß der Kanzler Wert darauf lege, daß ich seine Meinung kennte. Aber es würde natürlich ganz katastrophale Folgen für seine politische Position haben, wenn seine Absichten, die er mir in solcher Offenheit dargestellt habe, jemals in Deutschland bekannt würden. I. Kirkpatrick

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Die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland 1990
Die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland 1990
in: Aussenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumente von 1949 bis 1994. Herausgegeben aus Anlass des 125. Jubiläums des Auswärtigen Amtes, Köln 1995, S. 1148
"Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik, Frankreich, Großbritannien, der UdSSR und den Vereinigten Staaten, unterzeichnet in Moskau am 12. September
Die Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Demokratische Republik, die Französische Republik, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Vereinigten Staaten Amerikas ... sind wie folgt übereingekommen:

Artikel 1

(1) Das vereinte Deutschland wird die Gebiete der Bundesrepuhlik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und ganz Berlins umfassen. Seine Außengrenzen werden die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland sein und werden am Tage des Inkrafttretens dieses Vertrages endgültig sein. Die Bestätigung des endgültigen Charakters der Grenzen des vereinten Deutschland ist ein wesentlicher Bestandteil der Friedensordnung in Europa.
(2) Das vereinte Deutschland und die Republik Polen bestätigen die zwischen ihnen bestehende Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag.
(3) Das vereinte Deutschland hat keinerlei Gebietsansprüche gegen andere Staaten und wird solche auch nicht in Zukunft erheben.  

Artikel 2

Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärung, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.  

Artikel 3

(1) Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihren Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen. Sie erklären, daß auch das vereinte Deutschland sich an diese Verpflichtungen halten wird. Insbesondere gelten die Rechte und Vepflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968 für das vereinte Deutschland fort.
(2) Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat in vollem Einvernehmen mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik am 30. August 1990 in Wien bei den Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa folgende Erklärung abgegeben:
"Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich, die Streitkräfte des vereinten Deutschland innerhalb von drei bis vier Jahren auf eine Personalstärke von 370 000 Mann (Land-, Luft- und Seestreitkräfte) zu reduzieren. Diese Reduzierung soll mit dem Inkrafttreten des ersten KSE-Vertrags beginnen. Im Rahmen dieser Gesamtobergrenze werden nicht mehr als 345 000 Mann den Land- und Luftstreitkräften angehören, die gemäß vereinbartem Mandat allein Gegenstand der Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa sind. Die Bundesregierung sieht in ihrer Verpflichtung zur Reduzierung von Land- und Luftstreitkräften einen bedeutsamen deutschen Beitrag zur Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa. Sie geht davon aus, daß in Folgeverhandlungen auch die anderen Verhandlungsteilnehmer ihren Beitrag zur Festigung von Sicherheit und Stabilität in Europa, einschließlich Maßnahmen zur Begrenzung der Personalstärken, leisten werden."  Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat sich dieser Erklärung ausdrücklich angeschlossen...  

Artikel 4 

(1) Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken erklären, das das vereinte Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in vertraglicher Form die Bedingungen und die Dauer des Aufenthalts der sowjetischen Streitkräfte auf dem Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins sowie die Abwicklung des Abzugs dieser Streitkräfte regeln werden, der bis zum Ende des Jahres 1994 im Zusammenhang mit der Verwirklichung der Verpflichtungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, auf die sich Absatz 2 des Artikels 4 dieses Vertrags bezieht, vollzogen sein wird. ...  

Artikel 5

(1) Bis zum Abschluß des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins in Übereinstimmung mit Artikel 4 dieses Vertrags werden auf diesem Gebiet als Streitkräfte des vereinten Deutschland ausschließlich deutsche Verbände der Territorialverteidigung stationiert sein, die nicht in die Bündnisstrukturen integriert sind, denen deutsche Streitkräfte auf dem übrigen deutschen Territorium zugeordnet sind. Unbeschadet der Regelung in Absatz 2 dieses Artikels werden während dieses Zeitraums Streitkräfte anderer Staaten auf diesem Gebiet nicht stationiert oder irgendwelche andere militärische Tätigkeiten dort ausüben.
(2) Für die Dauer des Aufenthalts sowjetischer Streitkräfte auf dem Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins werden auf deutschen Wunsch Streitkräfte der Französischen Republik, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und der Vereinigten Staaten von Amerika auf der Grundlage entsprechender vertraglicher Vereinbarung zwischen der Regierung des vereinten Deutschland und den Regierungen der betreffenden Staaten in Berlin stationiert bleiben. Die Zahl aller nichtdeutschen in Berlin stationierten Streitkräfte und deren Ausrüstungsumfang werden nicht stärker sein als zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Vertrags. Neue Waffenkategorien werden von nichtdeutschen Streitkräften dort nicht eingeführt. Die Regierung des vereinten Deutschland wird mit den Regierungen der Staaten, die Streitkräfte in Berlin stationiert haben, Verträge zu gerechten Bedingungen unter Berücksichtigung der zu den betreffenden Staaten bestehenden Beziehungen abschließen.
(3) Nach dem Abschluß des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins können in diesem Teil Deutschlands auch deutsche Streitkräfteverbände stationiert werden, die in gleicher Weise militärischen Bündnisstrukturen zugeordnet sind wie diejenigen auf dem übrigen deutschen Hoheitsgebiet, allerdings ohne Kernwaffenträger. Darunter fallen nicht konventionelle Waffensysteme, die neben konventioneller andere Einsatzfähigkeiten haben können, die jedoch in diesem Teil Deutschlands für eine konventionelle Rolle ausgerüstet und nur dafür vorgesehen sind. Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.  

Artikel 6

Das Recht des vereinten Deutschland, Bündnissen mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten anzugehören, wird von diesem Vertrag nicht berührt.  

Artikel 7

(1) Die Französische Republik, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst.
(2) Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten. ...  

Artikel 9

Dieser Vertrag tritt für das vereinte Deutschland, die Französische Republik, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Vereinigten Staaten von Amerika am Tag der Hinterlegung der letzten Ratifikations- oder Annahmeurkunde durch diese Staaten in Kraft. ...  
 
Moskau am 12. September 1990  
 
 
 
Für die Bundesrepublik Deutschland Für die Deutsche Demokratische Republik
Hans-Dietrich Genscher Lothar de Maizière
Für die Französische Republik Für das Vereinigte Königreich, Großbritannien und Nordirland
Roland Dumas Douglas Hurd
Für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Für die Vereinigten Staaten von Amerika
Eduard Schewardnadse James Baker
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Die Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen vom 3. Oktober 1990
Die Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen vom 3. Oktober 1990
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