Stadtrundgang Marburg im Mittelalter (Sek. II)
Stadtrundgang Marburg im Mittelalter (Sek. II)

Marburg im Mittelalter

Der Name „Marburg“ erscheint zum ersten Mal in einer Urkunde von 1138/39 und fällt damit in den Beginn der thüringischen Herrschaft in Oberhessen. Das Grafengeschlecht der Ludowinger hatte seinen Machtbereich durch Erbschaft bis nach Ober- und Niederhessen ausdehnen können; der neu dazugewonnene Besitz musste anschließend mithilfe des Baus von Burgen und Städten gesichert werden. Die Marburger Burg selbst war zu dieser Zeit schon vorhanden, eine genaue Datierung ihrer Erbauung ist allerdings bis heute nicht möglich. Wahrscheinlich hatte sich auch in ihrem Schutz bereits eine kleine Ansiedelung gebildet, vielleicht sogar ein Marktflecken. Sicher ist jedoch, dass die Ludowinger die Burg zur Befestigung mit Turm und Ringmauer versahen und die Entwicklung der Ansiedlung beeinflussten, indem sie sie planmäßig ausbauten; denn die Stadt lag verkehrsgünstig an den Verbindungsachsen Leipzig-Köln und Frankfurt-Norddeutschland. Belege für ihre Erweiterung liefern auch die Befestigung durch eine Stadtmauer und die Prägung einer eigenen Münze, dem Marburger Pfennig.

Diese Einheit ist nicht nur als Erarbeitung innerhalb der Schule gedacht, sondern soll die SchülerInnen selbst auch in die Stadt führen, wo sie den historischen Raum und seine Objekte an ihrem ursprünglichen Standort und in ihrem ursprünglichen Zusammenhang und nicht davon losgelöst wie im Museum erleben können.

Dazu bietet es sich an, jedem Thema einen eigenen Ort der Stadt zuzuordnen und die aus den Quellen zusammengetragegen Informationen an diesem vorzutragen. Die hier vorgestellten Orte und Plätze dienen dabei nur als Vorschlag.

Nicht alle der verwendeten Dokumente entstammen dem Mittelalter; da sie aber i.d.R. noch mittelalterliche Strukturen aufweisen, werden sie hier der Einfachheit halber als "mittelalterlich" bezeichnet.

Die Dokumente wurden so transkribiert, dass sie sinnvoll für den Schulgebrauch zum Einsatz kommen konnten.

 

Vorschlag zum methodischen Vorgehen:

Zum Einstieg bietet sich ein Vergleich eines mittelalterlichen und eines aktuellen Stadtplans an, der die Entwicklungsschritte der Stadt demonstrieren kann. Im 1. Raum befindet sich die Abbildung eines mittelalterlichen Stadtplans.

Im Anschluss daran können sich die SchülerInnen in Gruppen den einzelnen Themen zuordnen und die dazugehörigen Quellen in einem ersten Schritt mithilfe der Fragen erarbeiten. In einem weiteren Schritt können sie dann ihre Ergebnisse anhand der Erläuterungen überprüfen sowie Zusatzinformationen in ihren Vortrag einarbeiten.

Erläuterungen und Fragen befinden sich jeweils in der "Einleitung", die jedem einzelnen Ausstellungsraum zugeordnet ist. 

 

Folgende Themen können bearbeitet werden:

  1. a. Leben in der Stadt: die innere Ordnung
  1. b. Leben in der Stadt: Pflichten der Bürger
  1. c. Leben in der Stadt: Armut
  1. d. Leben in der Stadt: Verfassungsgeschichte und Stadtverwaltung
  1. Religiöse Minderheiten: Der Umgang mit Juden in Marburg:
  1. Schule in Marburg
  1. Handwerker und Zünfte

 

 

Verwendete Literatur:

Primärliteratur:

Küch, Friedrich: Quellen zur Rechtsgeschichte der Stadt Marburg. Bd. 1. Marburg 1918.

 

Sekundärliteratur:

Dettmering, Erhart: Kleine Marburger Geschichte. Regensburg 2007.

Erdmann, Axel: Die Marburger Juden. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Dargestellt anhand der staatlichen Quellen unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts. Dissertation. Marburg 1987.

Gottwald, Ursula: Marburg. Spurensuche in einer mittelalterlichen Stadt. Marburg. Jonas Verlag 1992.

Schwind, Fred: Zur Verfassungs- und Sozialgeschichte Marburgs im späten Mittelalter. In: Marburger Geschichte. Rückblick auf die Stadtgeschichte in Einzelbeiträgen. Hg. von Erhart Dettmering und Rudolf Grenz. S. 167-200. Marburg 1980.

Volk, Otto: Stadt und Schule im mittelalterlichen Marburg. In: Marburger Geschichte. Rückblick auf die Stadtgeschichte in Einzelbeiträgen. Hg. von Erhart Dettmering und Rudolf Grenz. S. 201-236. Marburg 1980.

Leben in der Stadt: die innere Ordnung
Leben in der Stadt: die innere Ordnung

Erläuterungen:

Die innere Ordnung der Stadt war klar geregelt und die soziale Kontrolle streng, um ein förderliches Zusammenleben ermöglichen zu können.

Ein Arbeitstag betrug im Sommer die Zeit zwischen Sonnenauf- und Untergang, im Winter war die Arbeitszeit kürzer, da in der Nacht nicht gearbeitet werden durfte. Jedes offene Licht hätte einen Brand auslösen können, wie es im Jahr 1319 geschah. Damals brannten alle Häuser der Oberstadt ab. Das erste danach errichtete Gebäude aus dem Jahr 1321 ist das Haus Hirschberg Nr.13.

Das formulierte Gebot, nachts Kerzen oder Leuchten dabei zu haben, verweist darauf, dass es in der Stadt keine Beleuchtung gab und die Straßen in einem völligen Dunkel lagen. Die Oberstadt erhält erstmals im Jahr 1808 20 Straßenlaternen.

Nächtliche Störungen und gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Bürgern und Studenten (z.T. sogar mit Toten und Verletzten) waren an der Tagesordnung. Die verfügte aufzustellende Bürgerwehr, die ein beträchtlicher Aufwand bedeutet, sollte diesen entgegenwirken und zwischen Ritterstraße und Untergasse, Barfüßer Tor und Wettergasse kontrollieren, um die Sicherung der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten. Aus den Artikeln geht ebenso hervor, dass die Universität noch eine eigene Gerichtsbarkeit hatte (Vergleich Ordnung des Landgrafen Philipp, Art.5).

Für Philipp den Großmütigen (1504-1567) sollte die Universität die Erziehung von jungen Männern zu leistungsfähigen und verlässlichen Staats- und Kirchenbeamten im eigenen Land leisten. Auch deshalb ist das ungebührliche Verhalten der Studenten nicht tolerierbar, die "prediger [...] und andere gelerten leute" werden sollten, "die der christlichen gemein und landen und leuten dienen mochten".

 


 

 

Arbeitsaufträge:

  1. Stellen Sie dar, wie die Stadt die innere Ordnung für die Bürger regelte.
  2. Beurteilen Sie, warum so genau ausgeführt wird, was in der Stadt gestattet bzw. verboten ist.
  3. Beurteilen Sie, warum eine Marktordnung für Marburg wichtig war.
  4. Bewerten Sie die bei Verstoß angedrohten Strafen.
  5. Recherchieren Sie, wie es in Marburgs Straßen heute zugeht und welche Regeln die Stadt für das Miteinander aufgestellt hat.
Stadtplan Marburg an der Lahn - Burg; Alt- und Neustadt, 12./13. Jahrhundert
Stadtplan Marburg an der Lahn - Burg; Alt- und Neustadt, 12./13. Jahrhundert

Der Stadtplan zeigt die Entwicklung der Alt- und Neustadt Marburgs sowie der Burg im 12. und 13. Jahrhundert. 

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Landgraf Wilhelm III. an Bürgermeister und Räte seiner Städte, Marburg, 19. Oktober 1491

Liebe Getreue.

Wir haben betrachtet und erkannt, was den Unsrigen aus der Verderblichkeit des Trinkens und aus der Betrunkenheit und dem unordentlichen Spiel erwächst, und darum beschlossen, solches in allen Schlössern, Städten, Dörfern und Flecken zu verbieten. Darum haben wir unseren Schultheißen aufzunehmen befohlen, euch solch ein ungehöriges Betrinken und Spielen bei einer Buße zu verbieten und niemanden solches zu tun gestatten, auch diese Gebote öffentlich unter der Glocke verkündigen lassen, sodass sich mit Unwissenheit keiner entschuldigen kann. Wer dann daraufhin in Missachtung solcher unserer Gebote sträflich gefunden wurde, so haben wir unseren Amtsleuten und Schultheißen befohlen, den deswegen zu strafen. Danach soll sich ein jeder zu richten wissen.

Gegeben zu Marpurg am Mittwoch nach st. Lucas anno 1491

 

Cetuala.[Des Weiteren.]

Auch ordnen wir an und wollen wir, dass die Unseren alle gebotenen Feiertage und vor allem die heiligen Sonntage ganz feiern und mit aller Arbeit und unordentlichen [ungehörigen] Werken stille stehen sollen. Und wer das nicht halten und [in der] die Feier der heiligen Tage übertreten hat, der soll uns mit zwei Pfund Wachs, eines für die Kirche bei euch und das andere für uns, verfallen sein.

Gegeben siehe wie oben.

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Markt- und Wachtordnung für Marburg, 1. Juni 1545
Markt- und Wachtordnung für Marburg, 1. Juni 1545
  1. Von den Marktstätten: Für das erste sollen alle Marktplätze, auf denen man zu feilen [verkaufen] und kaufen pflegt, gefegt und rein gehalten werden zu den Zeiten, wo man sie braucht, also mittwochs und sonnabends. Besonders aber der Marktplatz vor dem Rathaus, kein Hauskehrig soll auf die Gassen geworfen werden, sondern ein jeder soll ihn von seinem Gesinde in die Nebengassen auf gewöhnliche Mistplätze hintragen lassen. Das gleiche gilt für den Kilian und den Kornmarkt, auf den kein Holz oder Stein ohne das Wissen des Marktmeisters gebracht werden darf. Welcher dagegen verstoße, schuldet meinem gnädigen Fürsten und Herrn einen Gulden.
  2. Gassen rein zu halten: Zudem sollen alle Gassen von Holz, Mist und anderem Unrat rein und sauber gehalten werden, was durch den Marktmeister beaufsichtigt und kontrolliert wird. Wem gesagt wurde, die Gassen zu säubern, und der hält sich nicht daran, soll er jedes Mal zur Strafe und Buße einen halben Gulden Strafe zahlen.
  3. [...]
  4. Von den Pforten und auf den Gassen nicht zu kaufen und von den Vorhökern [Kleinhändler].
  5. Vor keinem Tor und in keiner Gasse darf von Fremden Brot, Salz, Rüben, Kraut, Butter, Käse und andere Ware verkauft werden, sondern erst dann, wenn sie auf den gewöhnlichen Marktplatz gebracht wurden. […]Vor den Markttagen soll auch kein Bürger oder Bürgerin, Knecht, Magd oder Gesinde vor den Toren, in den Gassen etwas abfeilschen oder kaufen, sondern erst auf dem Markt. Wer dagegen verstößt, soll zu Buße einen halben Gulden geben.
  6. [...]
  7. [...]
  8. [...]
  9. Das Wachtmeisteramt betreffend: Der Wachtmeister soll ungefähr alle 8 bis 14 Tage Scharwacht [kleine von Bürgern gebildete Wache] halten oder wenn es erforderlich ist. Und wenn er Scharwacht halten will, so soll er es dem Bürgermeister anzeigen, und der bestellt ihm von Stund an so viele Bürger mit Ausrüstung und Waffen, wie er braucht. Und wenn ein Bürger ein Bierbrauer wäre und ohne Ausrüstung käme, so soll er einen halben Gulden zur Buße geben. Wer den Auftrag zur Bewachung hat und nicht zur rechten Zeit käme, der soll einen Gulden zur Buße geben. Ein jeder Bürger sei so deshalb gewarnt. […] Es soll sich auch keiner mehr, wenn man die Glocken zu 8 Uhr geläutet hat, in einem Wein- oder Bierhause finden lassen. Wenn ein Gast vom Wirt gebeten wurde zu gehen, und der Gast aber das Wirtshaus nicht verlassen will, so soll der Wirt solches dem Schultheißen oder der Scharwacht, so sie da ist, anzeigen. So soll der Schultheiß oder der Wachtmeister sofort mit den Knechten kommen und ihn ins Gefängnis legen, so dass ein jeglicher Bürger in seinem Hause mitsamt Weib und Kind Friede haben möge. Zudem soll ein Wachtmeisters des Nachts, wenn er über die Zeit, die die fürstliche Ordnung bestimmt hat, in einem Hause Unruhe oder Geschrei hört, dorthin gehen und anhören, was der Grund für diesen Zustand sei und unverrichtet tun, was der Landgraf als Ordnung vorgegeben hat. Und welcher das Geld nicht geben kann, der soll vier Wochen sitzen bleiben und dem soll der Wachtmeister jeden Tag ein Stück Brot und einen Trunk Gebrannten schicken.
In allem dem durchlauchtigen, hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Philipp Landgraf zu Hessen. Diese Ordnung kann verändert, verbessert oder zum Teil abgeschafft werden nach seinem gräflichen Willen und nach dem Stand der Dinge der Stadt Marburg.
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Polizeiordnung des Landgrafen Philipp, 15.Okt. 1557

Wir, Philipp, von Gottes Gnaden Landgraf zu Hessen, Graf von Katzenellenbogen, veranlassen zu wissen, dass wir aus ernsthaften Gründen nachfolgende Ordnung und Satzung geben, [...], die also befolgt werden soll, während bei Zuwiderhandlung dabeigeordnete Bußen und Strafen unnachlässig folgen.

  1. Es soll keiner, sei es Hofgesinde, Student, Bürger oder ein anderer, den andern verachten oder mit bösen Worten bedenken, auch nicht schlagen oder herausfordern, sondern sich gegeneinander friedlich und gütlich verhalten.
  2. Wer bei Nacht über die Gassen gehet, soll Kerzen, Licht oder Leuchten tragen und still und züchtig sein, nicht rufen, juchzen oder schreien, auch vor niemandes Häusern auflaufen, Fenster einschlagen oder –werfen.
  3. Beide Artikel sollen verboten sein bei Pein vier Wochen lang im Turm zu sitzen und mit Wasser und Brot gespeist zu werden.
  4. Es soll keiner, er sei, wer er wolle, Student oder Bürger, bei der Nacht unter den Kleidern Feuerbüchsen tragen, bei Verlust des Kopfes.
  5. Kein Student soll Winterszeit, nach sieben Uhr des abends, auf der Gasse gehen und Sommerszeit nach neun Uhr. Welche dennoch die Gasse betreten, die soll der Wachtmeister aufgreifen und dem Rektor überantworten, dass der Rektor dieselbigen in Haft nimmt und bestraft.
  6. [...]
  7. [...]
  8. [...]
  9. Wer verursacht, dass einer den anderen tot oder wund schlägt, es sei eine Student, Bürger oder ihr Gesinde, derselbige soll, er sei, wer er wolle, herauf in unser Schloss geführt, daselbst festgehalten und deswegen bestraft werden.
  10. [...]
  11. Und damit diese unsere Ordnung durchgesetzt wird, Frieden und Ruhe erhält, so haben wir aus gnädiger Wohlmeinung verordnet und wollen, dass alle Nacht fleißige Wacht in unserer Stadt Marpurg gehalten werde, deswegen haben wir einen Wachtmeister eingesetzt.
  12. Dieser unser Wachtmeister soll alle Nacht mit fünfzehn Personen aus unserer Bürgerschaft zu Marpurg durch die Stadt wachen.

Gegeben den fünfzehnten Oktober anno domini 1557

Philipp I. zu Hessen

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Leben in der Stadt: Pflichten der Bürger
Leben in der Stadt: Pflichten der Bürger

Erläuterungen:

Da es im Mittealter keinen institutionalisierten Flächenstaat gab, also kein einheitliches staatliches Gebiet, in dem für alle Bürger überall die gleichen Rechte und Pflichten so wie in der Bundesrepublik Deutschland heute galten, verlieh der jeweilige Landesherr den Städten in seinem Einflussgebiet eine Art Verfassung, das sog. Stadtrecht. Das Stadtrecht spiegelt die jeweiligen aktuellen politischen und wirtschaftlichen Begebenheiten und Anforderungen wider und ist daher auch immer wieder Veränderungen unterworfen. Z. B. dann, wenn es einen neuen Stadtherren gab oder sich das Mächtegefüge innerhalb der Stadt verändert, da eine Gruppe mehr Einflussmöglichkeiten für sich beanspruchte, was nicht selten auch mit z.T. gewaltsamen Auseinandersetzungen vonstattenging.

Im 12. und 13. Jahrhundert entstanden viele neue Städte; um Marburgs Bedeutung zu erhalten und auszubauen, brauchte die junge Stadt viele Ansiedler. So ließen die Stadtherren besondere Rechte zu, um das Wohnen in Marburg "attraktiv" zu machen. Z. B. zeigt das Stadtrecht - rechtliche Gleichheit ohne Ansehen der Person - fortschrittliche Elemente im Gegensatz zum Landrecht, das auf persönlichen und ständischen Grundlagen urteilt.

Auch können sich Hörige binnen Jahr und Tag, also nach einem Jahr und einem Tag in der Stadt, ihrer rechtlichen Abhängigkeit entledigen, sofern sie sich in dieser Zeit unbescholten verhalten und nicht von ihrem Herrn zurückverlangt werden.

Die erste erhaltene Stadtrechtsurkunde Marburgs ist die von Bischof Ludwig von Münster. Er verfasste sie 1311. Ludwig erhielt Burg und Stadt von Landgraf Otto I., seinem Bruder, der ihn mit beidem versorgen wollte.

In der Urkunde hält er fest, welche Pflichten „unsere lieben und getreuen Bürger von Marburg“ sowie die Bewohner Weidenhausens, des Pilgrimsteins und der Neustadt haben. Und zwar müssen sie zusammen jährlich eine Summe von 300 Kölner Pfennigen [zum Vergleich: 2 Hühner oder 15 Brote kosteten etwa einen Kölner Pfennig] aufbringen. Diese Zahlung könne dann ausgesetzt werden, wenn die Stadt mit einem Brand oder einem anderen „Unglück“ zu kämpfen habe. Dieser Fall trat wenige Jahre später ein, als ein verheerender Brand im Jahr 1319 große Teile der Altstadt vernichtete. Positive Regelung für die Stadt: In seiner Urkunde von Okt. 1311 setzt der Landgraf, Ludwig, eine jährliche Gesamtsteuersumme fest. Er macht deutlich, dass er darauf verzichtet, die Steuer nach eigenem Gutdünken anzuheben. Außerdem wurde die Steuer von der Stadtgemeinde eingezogen, nicht von Beamten des Landgrafen selbst. Zwischen dem Stadtherren und der Stadt bestand also noch eine Behörde.

Um die vom Stadtherrn geforderte Summe begleichen zu können, hatten die Bürger zwei Steuern zu entrichten: Zum einen das Feuergeld, den Herdschilling, zum anderen das Geschoss, das sich nach dem Vermögen des Einzelnen berechnete. Dabei musste der Steuerpflichtige sein Hab und Gut selbst einschätzen und einen Eid darauf schwören. Je nach Bedarf des Landgrafen kam noch zweimal im Jahr die sog. Bede hinzu, die Kriege finanzieren oder Schulden minimieren sollte.

Es gab jedoch auch Personengruppen, die von der Steuerpflicht ausgenommen waren: Z. B. die Burgmannen, die der Burgherr unterhalb der Burg – in der heutigen Ritterstraße – angesiedelt hatte. Sie entstammten dem niederen Adel und unterstützten den Landgrafen, indem sie für ihn Aufgaben in der Politik, der Landesverwaltung oder beim Militär wahrnahmen. Auch nichtadlige landgräfliche Beamte, die hier wohnten, brauchten keine Steuern zu zahlen; ebenso wenig Geistliche, Kirchen und Klöster. Über dieses Sonderrecht, besonders der Letztgenannten, waren nicht nur die Marburger Bürger, sondern auch der Stadtherr verärgert. Denn ihm war so der Zugriff auf den geistlichen Besitz verwehrt. Hinzu kam, dass die religiöse Praxis vorsah, Sünden im Austausch von Spenden zu vergeben, sodass viele Bürger aus Wohltätigkeit den Kirchen und Klöstern z.T. beträchtliche Spenden vermachten – Vermögen, das nicht mehr besteuert werden konnte und so der Kasse des Landgrafen entging. Daher verfasst Stadtherr Bischof Ludwig von Münster mehr als 20 Jahre nach der ersten Urkunde einen Zusatz „über die Bedepflicht der Geistlichen“, 19. Mai 1331. Er bestimmt, dass alle „Pfaffen, Mönche, Nonnen oder Beginen [unverheiratete Frauen, die außerhalb eines Klosters ein spirituelles Leben führten; sie lebten oft in Städten, dann z. B. in sogenannten „Beginen-Höfen“]“, die in der Stadt „Gut“ besitzen, die gleichen Steuern darauf zu zahlen haben, wie „auch die anderen Bürger in der Stadt es tun“. Ein kleiner Schritt in Richtung Gleichberechtigung, denn die Gesamtsteuer musste ja so von einem kleinen Teil der Bürger entrichtet werden.

Nur das Bürgerrecht erlaubte es, am politischen Leben der Stadt teilzuhaben. Erlangt werden konnte es durch den Nachweis, über finanzielle Mittel zu verfügen – z. B. ein Haus zu besitzen - und damit wirtschaftlich unabhängig zu sein.

Die Stadt interessierte sich also im Hinblick auf ihr Fortbestehen und ihren Wohlstand für zahlungskräftige Neubürger, jedoch hatte es in den Jahren 1347-1351 eine verheerende Pest gegeben, und es wird vermutet, dass die Stadt darum bemüht war, die nicht geschlossenen Lücken in ihren Reihen zu füllen.

 


 

 

Arbeitsaufträge:

  1. Stellen Sie die Pflichten der Marburger Bürger dar.
  2. Arbeiten Sie heraus, welche Pflichten und Kosten ein Marburger Neubürger bei seiner Aufnahme in Kauf nehmen muss.
  3. Beurteilen Sie – aus der Sicht der Stadt – die Gründe, die für und gegen eine Aufnahme als Bürger sprechen.
  4. Erklären Sie, was das Wohnen in der Stadt attraktiv macht.
  5. Recherchieren Sie, welche Pflichten ein Marburger Einwohner heute hat und welche Aufgaben heute erfüllt werden müssen, um ein Neubürger Marburgs zu werden.

 

Stadtrecht des Bischofs Ludwig von Münster, 17. Oktober 1311

Wir, Ludwig von Gottes Gnaden und Bischof zu Münster, tun kund all denen, die diesen Brief sehen und lesen hören, unseren lieben und getreuen Bürgern von Marburg durch unsere Gunst und dem Lande zum Besten:

1. dass sie und die Einwohner von Weidenhausen, Bulkenstein [Pilgrimstein], der Neustadt und wer sonst noch zur Pfarrei Marburg gehört, uns jährlich sollen geben zu Weihnachten sämtlich und miteinander 300 Mark Kölner Pfennige. […] Und das Vorgenannte soll gelten solange wir es nicht höher setzen, also so lange wir leben.

Wir wollen und sprechen auch, dass aber, wenn in Marburg ein Brand oder ein anderes Unglück geschieht, sie dessen entbunden sind solange bis, dass sie es wieder erlangen können. […]

Damit diese Worte von uns und von euch eingehalten werden, so haben wir euch diesen Brief gegeben, gesiegelt mit unserem Siegel. Dieser Brief ist und war gegeben an dem Tag, als man von Gottes Geburt an tausend, dreihundert und elf Jahre zählte.

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Privileg des Bischofs Ludwig von Münster über die Bedepflicht der Geistlichen und der ausgewanderten Bürger, 19. Mai 1331

Wir, Ludwig von Gottes Gnaden und Bischof von Münster, wollen und gebieten, dass all die Leute, die Gut in der Stadt, in der Nowenstat [Neustadt], zu Weidenhausen und zu Bulkensten [Pilgrimstein] und an dem Grinde [am Grün] besitzen – seien es Pfaffen, Mönche, Nonnen oder Beginen – , für ihren Besitz eine Bede [Steuern] zahlen sollen wie auch die anderen Bürger in der Stadt es tun und es Brauch ist.

Der Bürger, der ausgewandert ist, aber wieder zurückkehren will, soll von seinem Gut geben, was auch die anderen Bürger geben; will er aber nicht zurückkehren, so soll man seinen Besitz schätzen und nach der Zählung soll er uns eine Ausgleichssumme zahlen. Wer sich widersetzt und die Steuer nicht geben will, wie es die anderen Bürger tun, dem soll unser Amtmann zu Marburg helfen, dass er es tun muss.

Unsern Bürgern geben wir zur Sicherheit diesen Brief, besigelt mit unserem Siegel. Dieser Brief ist gegeben dreizehnhundert Jahr nach Gottes Geburt in dem einunddreißigsten Jahr an dem Pfingsttag.

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Gewohnheitsrecht bei der Aufnahme als Bürger in Marburg, um 1395
  1. Nota [Es wird verfügt], dass die Stadt jeden Bürger aufnehmen kann, wie, wann oder woher er auch kommt, und wäre es, dass er nicht in die Stadt kommen konnte und steckte aber die Füße unter die Pforte in die Stadt und begehrte die Bürgerschaft, sollte man ihn empfangen, und er sollte sich verantworten.
  2. Wenn einer Bürger wird, so gibt es drei Gründe, weshalb ihn die Stadt nicht aufnehmen kann: Wenn ihm eine Fehde [Feindschaft, Streit, ausgetragen ohne das Einschalten einer höhere Instanz, die Recht spricht] droht, wenn er schon mit jemandem in Fehde liegt, wenn er eines Herrn oder eines Amtmanns eigen wäre, wenn er in der Schuld eines Herrn oder eines anderen stünde.
  3. Wenn einer die Bürgerschaft empfangen will, der soll dem Bürgermeister in die Hand geloben, unserm Herrn, dem Landgrafen und der Stadt Marburg getreu und hold zu sein und allen Schaden von der Stadt abzuwenden und sich nicht gegen unsern Herrn und gegen die Schöffen und den Rat zu wenden. Dann soll er seine Hand und die Finger erheben und schwören und sprechen: "Was ich in Treue gelobet habe, das will ich stets und fest halten."
  4. Außerdem soll der Bürger von dieser Zeit an ein Haus in der Stadt besitzen mit einem Herd und Hausrat, so dass man ihm alle Belange der Stadt mitteilen kann.
  5. Außerdem soll er ansagen, wo er vorher gewohnt hat und die Gebühr und den Botenlohn zahlen.
  6. [...]
  7. Ein Bürger soll zum Erwerb der Bürgerschaft ein Pfund Heller zum Bau der Pfarrkirche "Unser lieben Frau" geben, außerdem dem Obristen Hauptmann 1 Schilling Pfennige, dem Bürgermeister 1 Schilling Pfennige und jeglichem Schöffen vier Heller und dem Unterbürgermeister ein halbes Maß Wein und dem Schreiber ein halbes Maß Wein; hat er das alles erledigt, wird er sofort in das Bürgerbuch eingeschrieben.

Großes Stadtbuch Blatt 21; Eintrag von Johann Hottermann.

 

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Leben in der Stadt: Armut und Spenden
Leben in der Stadt: Armut und Spenden

Erläuterungen:

Anders als auf dem Land waren die Einwohner der Stadt keiner Hörigkeit mehr unterworfen; hier galt das Motto „Stadtluft macht frei“. Doch diese Freiheit war nicht automatisch mit Wohlstand oder dem Bürgerrecht gleichzusetzen. Denn nur diejenigen, die über ein gewisses Vermögen verfügten, konnten das Geld für den Eintritt in Zunft oder Bürgerschaft aufbringen. Verdient wurde es i.d.R. durch Handel oder einen eigenen Betrieb. Durch diese Zahlungen konnten sich die Vermögenden, die die Oberschicht ausmachten, von den weniger Wohlhabenden abgrenzen. Die Mittel-und Unterschicht bildete die sog. „Gemeinde“; zur Mittelschicht gehörten mittlere und kleinere Kaufleute, Meister und Handwerker, Anwälte, Apotheker und städtische Beamte wie etwa der Lehrer oder Stadtschreiber. Die Unterschicht umfasste unselbstständig Arbeitende wie Gesellen, Tagelöhner, Gesinde [für etwa ein Jahr Angestellte], verarmte Handwerker und Arme, die auf Unterstützung angewiesen waren. Ausschlaggebend für Zugehörigkeit zur Unterschicht war das fehlende Bürgerrecht sowie geringes oder kein Vermögen, also auch fehlende Rücklagen, die zu einem Leben „von der Hand in den Mund“ führten. Auch Juden und Personen, die „unehrliche Berufe“ wie Henker oder Totengräber ausübten, konnten keine Bürgerschaft erwerben; diese blieb auch unehelich Geborenen und deren Kindern verschlossen.

Die Stadt war in sich durch diese soziale Abgrenzung gegliedert; in der Regel blieb jede Schicht für sich, denn das Übertreten der Standesgrenzen konnte auch Nachteile mit sich bringen: Das gemeinsame Trinken eines Henkers und eines Handwerkers konnte z. B. seinen Ausschluss aus der Zunft bedeuten.

Genau lässt sich heute die Anzahl der Armen in Marburg nicht mehr rekonstruieren. Wahrscheinlich machten sie etwa 20 % der Einwohner aus. (Einwohnerzahlen: Im Jahr 1447 registrierten die Erheber der Steuern 650 Haushalte, das sind etwa 2500 Einwohner).

In den meisten Fällen handelte es sich bei den Abgaben um Brot, Heringe, Tuch und Geld.

Generell waren die Steuern und Abgaben, die zu zahlen waren, im Gegensatz zu heute regressiv - je höher das Einkommen, desto niedriger die Besteuerung.

Während die Ärmsten, deren Einkommen sich auf 5 Pfund (=50 Schilling) oder weniger belief, 3-4 Schilling Bede bezahlen mussten (was 10% ihres Einkommens entsprach), gaben die Reichsten 0,26%, also 40 Schilling ihres sich auf etwa 15000 Schilling belaufenden Vermögens.

Aufgrund der nach Wohngebieten eingetragenen Steuerzahlungen lässt sich nachvollziehen, wo die Ärmsten in der Stadt im Jahr 1455 wohnten: nämlich Am Grün und am sog. Leckerberg, also dem Roten Graben, Zwischenhausen und Ketzerbach. Dann folgte der Pilgrimstein, Weidenhausen, der Steinweg und die Neustadt. Die west-östliche Seite des Obermarktes sowie die Reitgasse, Aulgasse, Wettergasse und der Hirschberg waren die bevorzugten Wohngegenden der Reichsten, während die Wohlhabenden westlich der Hofstatt und in der Barfüßerstraße lebten.

Die Einstellung zu den Bettlern veränderte sich im Laufe der Zeit, wie die Quellen belegen:

In der ersten Aufzeichnung wird den Bedürftigen noch ein Tisch mit einem „weißen“ Tischtuch gedeckt; für diese Gaben verrichten sie im Gegenzug Gebete für die Wohltäter. Dieses Geben und Nehmen spiegelt die mittelalterliche Ordnung von Armut und Reichtum wider – die einen spenden, die anderen beten. Aus diesem Grund galt das Betteln auch nicht unbedingt als „unehrlich“ und sogar als ein Beruf.

Anders so die dritte Quelle: Nun möchte Marburg die Bettler nur noch sehr ungern in ihrer Stadt haben; die, die bleiben, müssen sich registrieren und werden mit einem sichtbaren Zeichen gebrandmarkt: Dieses bestand z. B. aus Messing und sollte auf der Kleidung angenäht werden.

 


 

 

Arbeitsaufträge:

  1. Notieren Sie, welche Personen Spenden erhalten, woraus diese bestehen und an welchen Orten die Spenden ausgegeben wurden.
  2. Ermitteln Sie anhand der Spendenempfänger, wie groß die Anzahl der Armen in Marburg gewesen sein könnte.
  3. Überlegen Sie, warum die Abgabe der Spenden auf bestimmte Tage fällt und überwiegend von Privatpersonen geleistet wurde.
  4. Beurteilen Sie die Veränderung im Umgang mit den Bettlern.
  5. Vergleichen Sie heutige soziale Aufwendungen wie etwa Hartz IV mit dem oben beschriebenen Spendensystem. Bedenken Sie dabei auch, was der Begriff "Spende" bedeutet.

 

Revers [schriftliche Erklärung] der Stadt Marburg über die Almosenstiftung des Schöffen Konrad Gutgemut für arme Frauen zum Gründonnerstag, 1395

[…] Also dass wir, die Burgermeister, Baumeister und vorgenannten Schöffen, jedes Jahr ewiglich ein Almosen sämtlich und mit unseren eigen Händen selbst betätigen, tun und begehen sollen auf dem heiligen grünen Donnerstag des morgens vor der Hochmesse auf unserem Pfarrkirchhof zu Marpurg, wann man das Mandat (Fußwaschung) begangen hat, zweiundsiebzig armen Frauen, die der Almosen bedürftig sind, den sollen wir eine Tafel decken mit einem weißen Tuche und jeglicher darauf legen und geben mit ihr heimzutragen drei schöne Brot von sechs Heller, drei Heringe für sechs Heller und sechs Heller an ausreichendem Geld in die Hand. Und wenn man die Almosen gegeben hat und die armen Leute aufstehen, so soll jegliches armes Mensche, die das Almosen genommen hat, fünf Pater Noster und fünf Ave Maria sprechen auf seinen Knien, Gott und unser lieben Frau zum Lobe und zur Ehre und den Seelen zum Troste, von denen das Almosen hergekommen ist. […]

Hierüber zu urkunden und zu einer festen Bestätigung haben wir Bürgermeister, Schöffen und Rat unser großes Stadtsiegel an diesen Brief gehängt. [...]

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Auszug aus der Aufstellung der Stadt Marburg über alle Armenspenden, um 1512

Die Spendenausgaben und -ausrichtungen zu Marburg

 

  1. Die erste Spende gibt man am Allerseelentag (2. November). Die Almosen des Kochs gibt man im Kerner armen Leuten, jungen und alten; auch ein schönes Brot.
  2. [...]
  3. [...]
  4. Die vierte Spende gibt man am Heiligen-Elisabeth-Tag (19. November), gestiftet von Else von Lare. [Else von Lare lebte im späten 15. Jahrhundert in der heutigen Oberstadt nahe bei Pfarrkirche und Kerner. Sie entstammte einem reichen Haushalt der oberen städtischen Gesellschaft. Ihre Schenkungen an Kirche und Klöster zeigen ihre Glaubensvorstellungen, die sie eine umfangreiche Vorsorge für ihren Tod treffen lassen, aber auch ihre Fürsorge für Lebende und Tote.] Auf dem Kirchhof soll man 20 Mannspersonen jeweils ein großes Tuch von 2 1/2 Ellen [1 Elle entspricht ca. einem halben Meter] geben, Kinder erhalten jeweils 2 1/2 Ellen Leintuch und 20 Frauen jeweils ein Paar Schuhe.
  5. [...]
  6. Die sechste Spende - zwei Pfennige [entspricht ungefähr 50 Cent] - gibt man zu Aschermittwoch 120 armen Menschen, Männern und Frauen, Geistlichen, Schülern und Aussätzigen [...]. In Contz Moelnhoebers Haus in der Lingelgasse in Weidenhausen gibt es einen Gulden, im Haus Haitzfelden in der Barfüßergasse zwei Gulden [1 Gulden = 240 Heller = Pfennig, heute umgerechnet etwa 20 Euro].
  7. [...]
  8. [...]
  9. [...]
  10. [...]
  11. [...]
  12. Die zwölfte Spende gibt man auf den heiligen Gründonnerstag [Tag vor Karfreitag], sie hat gestiftet der reiche Sifurt. [Siegfried zum Paradies war Sohn eines reichen Marburger Schöffen (einer von 12 vom Landgrafen auf Lebenszeit ernannten Schöffen, die aus den reichen Bürgerfamilien stammten. Unter dem Vorsitz des vom Landgrafen beauftragten Schultheißen bildeten die Schöffen das Verwaltungsgremium der Stadt sowie das Gericht) und Bürgermeisters, Geburtsjahr unbekannt, gestorben 1386 in Frankfurt am Main].

    Man gibt 72 armen Mannspersonen jedem 2 Pfennigwecke, 2 Heringe, ein Halbe Erbsen mit der Schüssel und ein Halben Wein mit dem Krug. Dem Pfarrer für die Seelenmesse 1 Pfund Geld, 6 schöne Brote, jedes einen Pfennig wert, ein Viertel Wein; dem Kaplan, der das Evangelium liest, 1 Tornes [1 Groschen, entspricht ungefähr 1 Euro], dem Schulmeister ein Tornes, beiden Opferleuten ein Tornes, dem Schultheißen ein halbes Viertel Wein, dem Bürgermeister ein Viertel Wein, jedem Schöffen, der Handreichungen tut oder gegenwärtig ist, ein halbes Viertel Wein, dem Unterbürgermeister 1/2 Viertel Wein. [...]

 [...]

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Stadtratsbeschlüsse, betreffend das Bettlerunwesen, 28. August 1550 und 27. Oktober 1552

1550 donnerstags nach Bartholomäus (28. August 1550)

Der Bettler wegen, die so umherlaufen, ist endlich beschlossen, dass nach kaiserlicher Polizeiordnung kein fremder Bettler hereingelassen noch ihm gestattet werden darf, zu betteln. Den Pförtnern und Bettelvogten [niedere Polizeibeamte, die das Betteln überwachen und verhindern sollen] wird geboten, diesen Beschluss zu halten. Da derweil große Buben und Mägde den Bettelstab nehmen, so soll auf der Kanzel und sonst öffentlich verkündet werden, dass ein jeder, der um Gottes Willen etwas nehmen wollte, er wäre jung oder alt, an einem bestimmten Tag auf dem Rathaus erscheinen soll, wo er aufgeschrieben und verzeichnet wird. Dem, der kein Zeichen hat, wird das Betteln nicht gestattet werden.

1552 donnerstags nach Severin (27. Oktober 1552)

Die unverschämten Bettler, die die Leute anlaufen und versuchen, ihnen etwas abzugeiern, die soll man sich vornehmen und bereden, solches Verhalten zu unterlassen; sonst sollen sie mit ihren Eltern zur Stadt hinausgejagt werden.

Ratsprotokoll

 

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Leben in der Stadt: Verfassungsgeschichte und Stadtverwaltung
Leben in der Stadt: Verfassungsgeschichte und Stadtverwaltung

Erläuterungen:

Da es im Mittealter keinen institutionalisierten Flächenstaat gab, also kein einheitliches staatliches Gebiet, in dem für alle Bürger überall die gleichen Rechte und Pflichten so wie in der Bundesrepublik Deutschland heute galten, verlieh der jeweilige Landesherr den Städten in seinem Einflussgebiet eine Art Verfassung, das sog. Stadtrecht. Das Stadtrecht spiegelt die jeweiligen aktuellen politischen und wirtschaftlichen Begebenheiten und Anforderungen wider und ist daher auch immer wieder Veränderungen unterworfen. Z. B. dann, wenn es einen neuen Stadtherren gab oder sich das Mächtegefüge innerhalb der Stadt veränderte, da eine Gruppe mehr Einflussmöglichkeiten für sich beanspruchte, was nicht selten auch mit z.T. gewaltsamen Auseinandersetzungen vonstattenging.

Im 12. und 13. Jahrhundert entstanden viele neue Städte; um Marburgs Bedeutung zu erhalten und auszubauen, brauchte die junge Stadt viele Ansiedler. So ließen die Stadtherren besondere Rechte zu, um das Wohnen in Marburg "attraktiv" zu machen. Z. B. zeigt das Stadtrecht - rechtliche Gleichheit ohne Ansehen der Person - fortschrittliche Elemente im Gegensatz zum Landrecht, das auf persönlichen und ständischen Grundlagen urteilt.

Die erste erhaltene Stadtrechtsurkunde Marburgs ist die von Bischof Ludwig von Münster. Er verfasste sie 1311. Ludwig erhielt Burg und Stadt von Landgraf Otto I., seinem Bruder, der ihn mit beidem versorgen wollte.

In der Urkunde hält er u.a. fest, welche Pflichten „unsere lieben und getreuen Bürger von Marburg“ sowie die Bewohner Weidenhausens, des Pilgrimsteins und der Neustadt haben. Außerdem spricht er von „Schöffen“ und „Ratsmänner[n]“: Die Schöffen wurden vom Landgrafen aus den wohlhabendsten Familien der Stadt ausgewählt, z. B. aus den Familien der reichen Wollweber und Kaufleute; sie erhielten ihr Amt auf Lebenszeit. Insgesamt gab es 12 Schöffen. Sie wurden stets nur aus eigenen Reihen ersetzt (sog. Kooptation), sodass Bürger, die dieser Schicht nicht angehörten, keine Chance auf Mitgestaltung der Stadt hatten. Ihr direkter Vorgesetzter war der Schultheiß, der vom Stadtherren, also dem Landgrafen, ausgewählt wurde. In seinem Auftrag hatte er für die „Wahrung der stadtherrlichen Interessen“ Sorge zu tragen. Gleichzeitig saß er auch dem Stadtgericht vor, das aus den 12 Schöffen bestand. Die Schultheißen entstammten in der Regel dem Ritterstand oder der Burgmannschaft.

Der Rat bestand aus sechs Männern der Gemeinde, vier stammten aus Weidenhausen, zwei aus der Neustadt. Sie wurden von den Schöffen gewählt, was bedeutete, dass sich die Schöffen solche Männer aussuchten, die in ihrem Sinne agieren würden. Der Rat sollte einen Ausgleich zwischen den einzelnen Gruppierungen in der Stadt schaffen. Das Amt des Ratsmanns hatte man i.d.R. nur für 1 Jahr. Das sicherte, dass unliebsame Ratsmänner so schnell wieder entlassen werden konnten. Ihre Aufgaben: Rat und Schöffen bestimmten gemeinsam Regeln zur „inneren Ordnung der Stadt“.

Aber auch die Stadt selbst hatte spätestens ab dem 13. Jahrhundert einen Vertreter; dieser symbolisierte die sich entwickelnde Selbstständigkeit der Marburger Bürgerschaft. Sichtbar wird dies in der Tatsache, dass der Bürgermeister (meist gab es zwei) nicht wie der Schultheiß vom Landgrafen ernannt, sondern von den Bürgern gewählt wurde – allerdings aus den Reihen der Schöffen. Die Verwaltung der Stadt übernahm er aber im Laufe der Jahre immer mehr vom Schultheißen, der ursprünglich dessen Leiter war.

Das Stadtrecht von 1428 zeigt, dass die Beteiligung der Zünfte und der Gemeinde an den Geschicken der Stadt verstärkt wurde – und zwar durch Einführung der Vier, als einem Organ der Stadtverfassung. Ihre Aufgaben: Sie durften an der Prüfung der Stadtrechnungen sowie an Erlassen zur „inneren Ordnung der Stadt“ teilhaben. Zudem sollten die Ratsmänner nun lebenslänglich eingesetzt werden; starb einer, wurde sein Amt nicht mehr besetzt. Starb hingegen ein Schöffe, sollte nun ein Ratsmann nachrücken. Dieses Verfahren bedeutete allerdings die allmähliche Abschaffung des Rats. Das Stadtrecht demonstriert aber auch eine finanzielle Autonomie Marburgs gegenüber dem Landgrafen (siehe z. B. Artikel 5.). Dabei hilft ihr der Umstand, dass sie die Steuern der Bürger einzog und nicht die Beamten des Landgrafen selbst. Artikel 2. zeigt, dass es offensichtlich Beschwerden wegen Vetternwirtschaft gegeben haben muss; um diese einzudämmen, entschied der Landgraf, dass nur noch ein Mitglied aus jeder Familie Schöffe sein sollte.

Die städtischen Ämter, Schöffen, Bürgermeister, Rat, waren ehrenamtlich; selten gab es unwesentliche Entschädigungen und Präsenzgelder wie z. B. gemeinsame Mahlzeiten, Bier- und Weinspenden; d. h., dass sich geeignete Kandidaten die Arbeit leisten können mussten: Z. B. ein Kaufmann mit einem größeren Geschäft, dessen Söhne vielleicht schon mitarbeiten konnten; Handwerksmeister, dessen Gesellen nach dem Rechten schauten; kleinere Wollweber oder Schuhmacher kamen dafür eher nicht infrage.

Patrizier, also begüterte Bürger, behielten so die politische Macht, da die wenigstens Marburger sich auf Dauer von ihren Geschäften verabschieden konnten.

 


 

 

Arbeitsaufträge:

  1. Halten Sie fest, welche Gruppen es in der Stadt gibt und welche Aufgaben diese jeweils haben.
  2. Stellen Sie grafisch dar, wie die Gruppen zueinanderstehen.
  3. Erläutern Sie, was es für die Entwicklung der Stadt bedeutet, dass der Rat von den Schöffen ausgewählt wurde.
  4. Überlegen Sie, wer als Schöffe oder Ratsmitglied überhaupt infrage kam.
  5. Recherchieren Sie, wer heute in der Stadt wichtige Entscheidungen trifft.
Stadtrecht des Bischofs Ludwig von Münster, 17. Oktober 1311

Wir, Ludwig von Gottes Gnaden und Bischof zu Münster, tun kund all denen, die diesen Brief sehen und lesen hören, unseren lieben und getreuen Bürgern von Marburg durch unsere Gunst und dem Lande zum Besten:

 

  1. dass sie und die Einwohner von Weidenhausen, Bulkenstein [Pilgrimstein], der Neustadt und wer sonst noch zur Pfarrei Marburg gehört, uns jährlich sollen geben zu Weihnachten sämtlich und miteinander 300 Mark Kölner Pfennige. […] Und das Vorgenannte soll gelten solange wir es nicht höher setzen, also so lange wir leben. Wir wollen und sprechen auch, dass aber, wenn in Marburg ein Brand oder ein anderes Unglück geschieht, sie dessen entbunden sind solange bis, dass sie es wieder erlangen können.
  2. Weiter setzen, wollen und gebieten wir, dass die Schöffen in der Stadt jährlich sechs Bürger aus der Gemeinde, vier von Weidenhausen und zwei von der Neustadt als Ratsmänner wählen. Die 12 sollen mit den Schöffen sitzen. […]

Damit diese Worte von uns und von euch fest behalten werden, so haben wir diesen Brief mit unserem eigenen Siegel besiegelt.

 

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Neue Stadtverfassung des Landgrafen Ludwig I. für Marburg, 24. November 1428

Wir, Ludwig von Gottes Gnaden, Landgraf zu Hessen, bekennen vor uns und unseren Erben öffentlich in diesem Brief, dass wir all unseren Zunftmeistern und der ganzen Gemeinde die Gnade und den Willen erweisen, wie er hernach geschrieben steht:

  1. Zum ersten, dass dieselben Zünfte und Gemeinden vier Männer mit unserem Wissen und die uns dazu geeignet dünken, aus ihnen wählen sollen, die zu den zwölf Schöffen und dem Rat, der jetzt besteht, zu Rat gehen [sie beraten] und alle Rechte helfen auszusprechen und von allem Geld und Ausgaben Kenntnis haben sollen, das die Stadt angeht und alle Rechnungen mithören und dabei sind, wenn man das Geschoss [eine Steuer, die sich nach dem Vermögen des Einzelnen berechnete. Dabei musste der Steuerpflichtige sein Hab und Gut selbst einschätzen und einen Eid darauf schwören] einnimmt oder festsetzt. Und was die zwölf Schöffen, der Rat und die Vier von der Gemeinde darum festlegen oder machen einträchtlich, das soll man so halten. Und die Gemeinde soll die Viere ändern [= neu oder hinzu wählen] jedes Jahr, wenn ihnen das recht ist oder wenn es nötig ist. […] Und diese Viere sollen dem Bürgermeister und den Schöffen glauben und schwören, ihre Heimlichkeiten nicht zu melden.
  2. Wir sind übereingekommen, dass von den zwölf Schöffen nicht mehr als einer aus einem Geschlecht [Familie] sein soll und die anderen, die im Rat sind, sollen zu dieser Zeit mit den Schöffen und den Vieren dabei bleiben, doch wenn einer von ihnen von Todes wegen abgegangen ist, dass man alsdann keinen anderen an des Abgegangenen statt wähle oder setze. Man soll auch, wenn einer der Schöffen von Todes wegen abgeht, einen anderen aus dem Rat an dessen statt nehmen und alsdann an des Rats statt keinen anderen wählen. Und wenn der Rat so ganz verstorben ist und ab wäre, so soll es bei den zwölf Schöffen und den Vieren von der Gemeinde bleiben und keinen anderen Rat ohne unser Wissen und Geheiß mehr wählen.
  3. Wir sind auch übereingekommen, wenn die Schöffen sich Sachen vornehmen und beraten, die die Viere von der Gemeinde mit den Zunftmeistern nicht ausrichten können, so mögen diese Viere diese Sache weiter an die Zünfte herantragen und wenn sie aber mit den Zünften auch nichts ausrichten können, so mögen sie die Sache dann weiter an uns, unsere Erben und unsere Amtsleute bringen und sollten damit nicht gegen ihren Eid gehandelt haben.
  4. Ebenso soll die Gemeinde jedes Jahr einen Bürgermeister wählen aus den zwölf Schöffen. Dann sollen die zwölf Schöffen einen Unterbürgermeister aus den Vier von der Gemeinde Gewählten auswählen. Ebenso sollen jedes Jahr die Schöffen einen aus ihnen und die Viere und die Gemeinde dazu auch einen von ihnen wählen und zu Baumeistern machen; und desgleichen soll jede Partei einen von ihnen wählen und setzen zum Ratshändler, Weinkenner, Brot- und Fleischbeschauer und anderen Dingen, die man zu besehen [=prüfen] pflegt.
  5. Ebenso sollen der Bürgermeister und der Unterbürgermeister mit ihren Gehilfen die Macht haben, alle Aufträge auszurichten und zu bezahlen.
  6. Auch sollen Bürgermeister, Schöffen und die ganze Gemeinde niemanden gestatten noch zulassen, selbst Gewalt [Recht] auszuüben noch Frevel [Übermut, Gewalttat] an dem anderen in unserem Schlosse [= Stadt Marburg] zu tun in keiner Weise, sondern das mit Hilfe unserer Amtsleute verhindern und aufhalten.
  7. Wir behalten uns und unseren Erben auch die Macht vor, alle vorgestellten Artikel, einen oder mehrere, einen Teil oder einmal oder jederzeit, wenn uns das passt [angebracht erscheint], zu verändern und es damit zu machen wie es uns dünkt zum besten unserer Stadt.

Dies zu beurkunden haben wir unser Siegel an diesem Brief angehängt. Im Jahre 1429.

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Religiöse Minderheiten: Der Umgang mit Juden in Marburg
Religiöse Minderheiten: Der Umgang mit Juden in Marburg

Arbeitsaufträge:

  1. Arbeiten Sie heraus, welcher Arbeit die Juden nachgehen dürfen. Welchen Bestimmungen unterliegen sie dabei? Recherchieren Sie, welche Berufe sie nicht ausüben durften.
  2. Beurteilen Sie die Bedeutung dieser „Berufswahl“ für ihre Stellung in der Stadt.
  3. Erläutern Sie die Einstellung gegenüber den Juden, die im siebten und achten Artikel von Philipps Ordnung deutlich wird. Wodurch bestimmte er das religiöse Leben der Juden?
  4. Erklären Sie, worum es sich beim sog. "Schutzpfennig" (14. Artikel) handelt.
  5. Recherchieren Sie, wie viele Mitglieder die Jüdische Gemeinde Marburgs heute hat und wo sich ihre Synagoge befindet.

 


 

Erläuterungen:

Jüdische Einwohner hat es in der Stadt Marburg schon seit dem 13. Jh. gegeben, wie die Ausgrabung der mittelalterlichen Synagoge auf dem kleinen Platz am Schlosssteig beweist.

Erste schriftliche Nachweise liefert ein Kaufvertrag aus dem Jahr 1317, in dem die "Judenschule" in der damaligen Judengasse erwähnt wird. Das jüdische Gotteshaus, das auch als Versammlungsraum und Schule diente, da jüdische Kinder keine christlichen Schulen besuchen durften, wurde später abgebrochen. Der Grund dafür ist die vermutlich die Vertreibung der jüdischen Gemeinde aufgrund des Vorwurfs, am Ausbruch der von 1347-51 dauernden Pest mitschuldig gewesen zu sein. Steine der abgebrochenen Synagoge wurden 1452 zum Bau einer Mauer für die Kilianskapelle verwendet.

Wo genau Juden in Marburg wohnten, ist bis heute ungeklärt. Man geht jedoch davon aus, dass sie über das Stadtgebiet verteilt lebten und nicht in einem Getto angesiedelt waren. Die Gegend, in der die Synagoge stand - am Randgebiet der frühesten Bebauung - muss aber als "üble" Wohngegend betrachtet werden, lief doch eine offene Abflussrinne vom Schlossberg durch die Judengasse und das "Dreckloch", die Verbindungstreppe zwischen Wettergasse und Pilgrimstein, in die Lahn.

Wie groß die Anzahl der jüdischen Bürger tatsächlich war, ist ungewiss; Anfang des 14. Jahrhunderts überstieg sie jedoch kaum die Zahl von 7 Familien (ca. 30-40 Personen). Zwei Quellen aus der Zeit geben Aufschluss über eine ihre Tätigkeiten: den Handel mit Geld. Die Aufzeichnung aus dem Jahr 1335 zeigt, dass mehrere Juden aus der Stadt dem Landgrafen zu einer größeren Summe Geldes verholfen haben müssen, da sie dieses hier zurückerhalten. Aber auch als private Geldvermittler sind sie tätig geworden, wie die Quelle aus dem Jahr 1348 nachweist.

Die Familien hatten einen eigenen Friedhof - der entsprechend der jüdischen Vorschrift außerhalb der Stadtmauern lag (heute Georg-Voigt-Straße/Alter Kirchhainer Weg). Für die Judenschule musste die Gemeinde Abgaben zahlen.

Trotz der Vorurteile der Bürger scheinen sich im 16. Jahrhundert aber wieder einige Juden in Marburg angesiedelt zu haben; dies zeigt zumindest der Beschwerdeartikel 26. aus dem Jahr 1525. Philipp selbst hatte ein Jahr zuvor bereits ein Gesetz erlassen, in welchem er die Juden aus Marburg ausweisen wollte – Hintergrund dieser Anweisung waren neben religiösen Überlegungen im Zuge der Reformation sicherlich auch finanzielle, da die Verordnung wenig streng umgesetzt wurde und z.T. durch teurere Schutzgeldbriefe umgangen werden konnte. Philipp ändert im Laufe der nächsten Jahre seine Ansichten jedoch und fordert die Stadt auf, wieder einzelne Juden zuzulassen. Diese Praxis bedeutete in der Konsequenz auch, dass das Entstehen einer neuen jüdischen Gemeinde verhindert wurde.

In diesem Zusammenhang erließ der Landgraf durch die sog. "Judenordnung", das Leben der Juden in seiner Stadt zu regeln und diese zu "schützen".

Die Regeln bedeuteten jedoch große Einschränkungen: So verlangte er, wie in Artikel 1 zu sehen, Mitsprache bei der inhaltlichen Verbreitung der Talmudischen Lehre und beschränkte den Bau von Synagogen (Artikel 2).

Zudem legt er den Juden einen "Schutzpfennig" auf, den sie an ihn zu bezahlen hatten, damit er ihnen im "Notfall" Schutz bieten konnte. Nur sog. "Schutzjuden" erhielten die Berechtigung, in Marburg zu leben.

In der Quelle nicht erwähnt: Juden ist der Besitz von Grund und Boden verboten, sodass sie keine Landwirtschaft betreiben können. Auch als Handwerker konnten sie nicht arbeiten, da ihnen der Zutritt zu einer Zunft verwehrt war. So blieben Handel und kleinere Gewerbe als Tätigkeitsfelder, u.a. Vieh- oder auch Geldhandel, der jedoch streng überwacht wurde.

Trotz der Vorurteile der Bürger scheinen sich im 16. Jahrhundert aber wieder einige Juden in Marburg angesiedelt zu haben; dies zeigt zumindest der Beschwerdeartikel 26. aus dem Jahr 1525 und die Beschlüsse des Rates von 1540/41, in denen die Stadt festlegt, dass die Juden ihren Pflichten in der Stadt nachzukommen hatten; ihre Rechte aber wurden nur bedingt gewahrt: Die beiden in Marburg ansässigen Juden Liebmann und Gottschalk wollten 1540 nämlich die Stadt verlassen, da sie durch die Judenordnung Philipps und die Überwachung der Stadt ihre Rechte immer weiter beschnitten sah. Denn sie durften immer noch weder ein Stück Land noch ein Haus besitzen oder einer bürgerlichen Arbeit nachgehen; als Liebmann eine Weinstube in der Stadt eröffnen wollte, untersagte sie ihm mit dem Hinweis auf seine Person dieses Vorhaben. Daher scheinen beide mit Geld gehandelt zu haben; denn der Rat entscheidet nun, dass sie auf ihren Zins zu warten haben, bis ihnen die Bürger, denen sie Geld geliehen hatten, dieses zurückzahlen können. Neben dem sog. Schutzpfennig an den Landgrafen mussten sie zudem auch jährlich 8 Gulden an die Stadt bezahlen.

Volprecht von Dernbach, Amtmann zu Marburg, 24. Januar 1335

Ich, Volprecht von Dernbach, Amtmann zu Marburg, bekenne in diesem Brief, dass ich Abraham und Hangor, Juden zu Marburg, die 400 Pfund Heller, die mein Herr von Münster auf sie angewiesen hat, überlassen habe. Sie verbürgen in dieser Urkunde, dass sie des Geldes ledig sind [das Geld erhalten haben und der Landgraf von den Schulden befreit ist].

Dieser Brief ist mit meinem Siegel besiegelt. Datum anno domini MCCCXXXV

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Schuldurkunde des Knappen Rüdiger Gaugrebe an den Juden Meygir zu Marburg, 4. Februar 1348

Ich, Rüdiger Gaugrebe, ein Schildknappe, bekenne in diesem gegenwärtigen Brief, dass ich Meygir, einem Juden zu Marburg, und seiner rechten Erbin dreißig gute kleine Gulden schulde. Und solange dies Geld nicht zurückbezahlt ist, so sollen auf jeden Gulden zu jeder Woche drei Heller Zinsen gehen. Hierfür habe ich als Bürgen festgesetzt, wie es das Recht verlangt, Herrn Michael von Schönstadt, Ritter, und Craftin Rodin, einen Knappen fon den wapenin, die für mich gebürgt haben. Wenn Meygir und seine Erbin Iris das Geld nicht länger verleihen wollen, so sollen sie als gute Bürgen dafür unverzüglich bürgen, bis das Endgeld und die Zinsen bezahlt sind. Auch gelobe ich, diese Bürgen ohne Eid und ohne Schaden auszulösen.

Wir, die Obengenannten, bekennen, dass wir für Rüdiger bürgen. Unsere rechtliche Verbindung erlaubt uns keine Feindschaft und keinen Zorn gegenüber Meygir und seiner Erbin, so wie es auch geschrieben steht.

Um diesen Vertrag zu beurkunden [beglaubigen], haben Rüdiger Gaugrebe, der Sachwalter [unbeteiligter Dritter, am Abschluss eines Vertrages beteiligt], und wir, die Bürgen, unser Siegel an diesen Brief gehängt.

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Beschwerdeartikel der Stadt Marburg, September 1525

Nachdem e.f.G. [eure fürstliche Gnädigkeit] aus gewohnter Guttat und fürstlicher Tugend durch göttliche Eingebung die Gnade und Gunst uns öffentlich verkündet, dass wir alle unsere Gebrechen, Beschwerden und Behinderungen e.f.G. anzeigen und zu erkennen geben dürfen, so wollen darüber dankbar sein. Darum haben wir diese folgenden Artikel und Punkte, die aus Armut, Bedrückung und Verderben erwachsen sind, zusammen hier aufgeschrieben [...].

26. Da man sich Sorgen darüber macht, dass hier zu Marburg und sonst viel gestohlen und den Juden, die hier täglich auf den Gassen laufen, verkauft wird, ist zu vermuten, dass, wo sie aus der Stadt bleiben, so etwas nicht geschieht. Deshalb bitten wir darum, sie des Landes vertreiben zu lassen.

Gnädiger Fürst und Herr, wir bitten untertänigst, die hier notdürftig geschriebenen Artikel und Beschwerden e.f.G. armen Stadt gnädig zu betrachten und unsere Bitten und Wünsche, die wir doch zu e.f.G. Wohlgefallen verändert wünschen, einzuhalten. [...]Bitten auch gnädig um Antwort.

E.f.G. untertänig

Bürgermeister, Rat, Zunft und Gemeinde zu Marburg.

 

 

Erläuterung:

In Marburg musste etwa die Hälfte der Einwohnerzahl allein für die gesamte Steuerlast der Stadt aufkommen, denn Geistliche, Burgmannen und landgräfliche Beamte galten als privilegiert und mussten keine Steuern zahlen. In die Kritik über die ungerechte Abgabenverteilung in der Stadt sowie auf dem Land mischte sich nach 1517 auch die Kritik an den Missständen in der Kirche. Als im Frühjahr 1525 die Bauernaufstände in Süddeutschland ausbrachen, unterstützte Landgraf Philipp die Fürsten bei der Niederschlagung der Revolten. Um Unruhen im eigenen Land zu verhindern, beauftragt er im August ein Ratsmitglied, die Beschwerden und Forderungen der Bürger und Bauern festzuhalten. Im September 1525 schrieben daher Bürgermeister, Rat, Zunft und die Gemeinde ihre Nöte und Ansprüche in 36 Artikeln auf. Sie betreffen Alltagssorgen, kirchliche Belange, den Handel, die Zünfte und die Ordnung der Stadt.

Einer der Artikel, Punkt 26, handelt von dem Umgang mit Juden.

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Auszug aus der Juden-Ordnung des Landgrafen Philipp von Hessen über das Verhalten der Juden in einer christlichen Gemeinschaft, 1539

Ordnung Philipps, unseres Landtgraven von Gottes Gnaden zu Hessen, [...], darüber, wie die Juden nun in unserem Fürstenthum, unserer Gravschaft und Gebieten gelitten und geduldet werden sollen.

  1. Zuerst sollen die Juden unsern Amtsleuten, auch den Pfarrherrn jedes Orts, wo sie wohnen, mit dem Eide versprechen, keine Gotteslästerungen wider Christus unsern Herrn und seine heilige Religion zu treiben [...]. Auch müssen sie versprechen, dass sie die Seelen der ihren [...] nicht beschweren wollen, damit [...]einige arme gutherzige Juden nicht davon abgehalten werden, zu unserer wahren Religion zu finden.
  2. Zum anderen sollen die Juden geloben [...], nirgends neue Synagogen auffzurichten, sondern alleyn die alten mit aller Stille zu gebrauchen.
  3. [...]
  4. Zum vierten, dass sie zu den Predigern, die man ihnen insonderheit verordnen wird, samt ihren Weibern und Kindern kommen und Predigt hören sollen und wöllen.
  5. Zum fünften sollen sie in zimlicher (wie es sich geziemt =mäßig und angemessen) Weise in den Städten und Orten, sofern dort Zünfte sind, kaufen und verkaufen. Doch sollen sie ihr Ware nicht verteuern, sondern für einen zimlichen billichen Pfennig geben, wie es ihnen unsere Beamten oder Burgermeyster und Rath befehlen, und sollen keine Ware verkaufen, die ihnen von unseren Beamten, Burgermeystern oder Rath nicht gestattet worden sind. [...]
  6. [...]
  7. Zum siebenden sollen Juden keinen Wucher [Praktik, beim Verleihen von Geld, beim Verkauf von Waren o. Ä. einen unverhältnismäßig hohen Gewinn zu erzielen] treiben und unsere armen Leuthe nicht ausnehmen. Leihen sie aber einem Bürger einen Gulden, zwei oder drei oder mehr, soll es geschehen im Beisein unserer Amtsleuthe. Für hundert verliehene Gulden erhalten sie eyn Jahr lang fünf Gulden. Treibt aber eyn Jude damit Wucher, so verliert er die Hauptsumme seines verliehenen Geldes, die Hälft aller seiner Güter und wird zudem mit vier Wochen Thurm gestraft. [...]
  8. Zum achten sollen sie eynen Eid zu Gott schwören, keynem Bürger, Burgermeyster oder Diener oder [deren] Weibern etwas zu schenken, bei der Strafe ihres Leibs und Lebens, damit unsere Beamten also nicht durch Gaben bestochen und so den Juden ihre Finanzen, unbilligen Wucher und ungebührlichen Handel gestatten oder zusehen.
  9. Zum neunten wird der Jude mit dem Tode bestraft, welcher eyn Christenweib oder eine Jungfrau schändet oder beschläft. [...]
  10. [...]
  11. [...]
  12. [...]
  13. [...]
  14. Zum viertzehenden wöllen wir haben, dass sie uns den Schutzpfennig geben.
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Stadtratsbeschlüsse wegen der Juden, 3. Juni 1540 - 22. Dezember 1541

1540 donnerstags des dritten Juni

Der Juden wegen ist beschlossen worden, nachdem etliche Bürger ihnen sehr mit Schulden verpflichtet waren und sie jetzt in der Eile nicht bezahlen mögen, dass die Juden [Libmann, Gotschalck] vorerst auf die Schulden der Bürger verzichten. So soll man noch ein Weiteres festlegen, nämlich dass sie eine Zeit lang hierbleiben und erst dann der Stadt ihre Schuldbriefe wieder ausstellen sollen?

1541 donnerstags nach octavas regum (20. Januar)

Die zwei Juden Libmann und Gotschalck sollen jeder zur Bewachung und Toraufsicht vier Gulden geben, auch für die Frondienste.

Der Bürgermeister soll mit den Juden reden, dass sie sich an ihre Ordnung, sonderlich an die des Viehkaufs, halten und darüber hinaus für ihren Bedarf ihrer Haushaltung kein weiteres Vieh kaufen oder schlachten.

Ratsprotokoll.

 

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Schule in Marburg
Schule in Marburg

Arbeitsaufträge:

  1. Nennen Sie die Pflichten, denen die Schüler nachkommen müssen.
  2. Stellen Sie die Aufgaben des Lehrers dar.
  3. Arbeiten Sie heraus, welche Fächer bzw. Fähigkeiten in der Marburger Stadtschule wohl gelehrt werden. Recherchieren Sie darüber hinaus Informationen.
  4. Stellen Sie anhand einzelner Artikel Vermutungen über das Verhältnis Lehrer/Schüler an.
  5. Überlegen Sie, welche Eltern ihre Kinder die Stadtschule besuchen lassen.
  6. Erläutern Sie mögliche Gründe für die enge Verzahnung von Schule und Kirche.
  7. Vergleichen Sie den Alltag eines Schülers im Mittelalter mit dem Ihrigen.

 


 

Erläuterungen:

Eine Quelle aus dem Jahr 1235 erwähnt zum ersten Mal die Existenz einer Schule in Marburg; aber erst die Schulordnung von 1431 lässt klarere Auskünfte über Lehrer, Schüler und Unterricht zu.

Der Schulmeister war zu dieser Zeit ein städtischer Bediensteter; ursprünglich aber handelte es sich bei der Lehrtätigkeit um ein geistliches Amt und wurde daher auch überwiegend von Geistlichen ausgeübt, denn die erste Schule in Marburg war wahrscheinlich in Anlehnung an die Pfarrkirche als sog. Pfarr- und Chorschule entstanden. Mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt Marburg im 13. Jahrhundert wird diese jedoch den Ansprüchen der Zeit nicht mehr gerecht geworden sein, sodass die Stadt begann, die Schule mehr und mehr in ihren Einflussbereich zu integrieren. Z. B. indem sie die Lehrer einstellte; Artikel 23 der Ordnung aus dem Jahr 1448 weist zumindest daraufhin, dass der Rat den Lehrer aus seinem Dienst entlassen konnte.

1431, zur Zeit der ersten Schulordnung, hieß der „Schulmeister“ Hermann; ob er Geistlicher oder Laie war, lässt sich leider nicht mehr feststellen. Bei seinem Nachfolger Johann Zcenner (ab1448) handelte es sich vermutlich nicht um einen Mann der Kirche, da Quellen belegen, dass er verheiratet war.

Über welche Ausbildung die beiden Männer verfügten, ist nicht mehr zu klären. Möglicherweise hatten sie an einer Universität einen akademischen Grad erworben, was allerdings keiner gezielten Lehrerausbildung entsprach.

Der Schulmeister erhielt bei Amtsantritt ein einmaliges Handgeld, den sog. Mietpfennig; seine Höhe von 6 Gulden bzw. 1 Pfund weist ihm einen hohen Rang unter den städtischen Beamten zu. Eine ähnlich hohe Bezahlung erhielt nur noch der Stadtschreiber (seine Aufgaben = oft hatte er eine juristische Ausbildung; er fertigte Urkunden, war für die Korrespondenz der Stadt verantwortlich und protokollierte gelegentlich auch Gerichtsverhandlungen), darunter lagen Stadtzimmermänner, Stadtsteinmetze, Stadtköche, Stadthirten, Wächter, Pförtner.

Artikel 23 spricht auch davon, dass der Lehrer bei Amtsantritt einen Eid – ähnlich wie heute – ablegen musste, bei dem er versprach, seine ihm auferlegten Pflichten zu erfüllen. Anders als heute aber begann das Schuljahr an Ostern.

Der Unterschulmeister wurde in der Regel direkt vom Oberschulmeister auf eigene Kosten angestellt. An beide Lehrer mussten die Schüler das Schulgeld bezahlen. Zudem waren sie verpflichtet Naturalabgaben in Form von kleinen Broten sowie Holz für den Ofen (im Winter) und Kerzen zur Beleuchtung mitzubringen.

Die Schulordnung aus dem Jahr 1448 regelt nur den Umgang des Lehrers mit seinen Schülern; auf inhaltliche Aspekte des Unterrichts geht sie nicht ein. Möglicherweise konnte er die Stunden innerhalb eines festgelegten Fächerspektrums selbst ausgestalten. Da aber überwiegend Söhne aus Familien erfolgreicher Kaufleute oder wohlhabender Handwerker, deren Mitarbeit zu Hause nicht benötigt wurde, die Schule besuchten, lassen sich einzelne Schwerpunkte ermittelt. Denn die Schüler sollten hier die die notwendigen Fähigkeiten erwerben, um einen Beruf in Handel oder Gewerbe ausüben zu können. Deshalb sollten sie Kenntnisse im Lesen, Schreiben, Rechnen und der Buchhaltung erlangen, aber auch im Geld- und Münzwesen, in Maß- und Gewichtseinheiten. Der Schulbesuch sollte sie aber auch auf einen Besuch der Universität vorbereiten; an den Hochschulen in Prag, Basel, Wien, Köln oder Erfurt finden sich in den Verzeichnissen aus Marburg kommende Schüler, die sicher zuerst die Marburger Stadtschule besucht hatten. Auch im Chorgesang unterrichtete der Lehrer die Jungen, worauf u.a. die Artikel 10 und 11 der Ordnung von 1431 hinweisen. Während der Gottesdienste oder anderer kirchlicher Feiern trat der Jungenchor in der Pfarrkirche auf, der die Lieder in lateinischer Sprache vortrug. Daher mussten die Schüler auch der lateinischen Sprache mächtig sein. Bei der Stadtschule wird es sich daher um eine sog. „Lateinschule“ handeln, im Gegensatz zu einer „deutschen Schule“, in der nur das Lesen und Schreiben der deutschen Sprache im Mittelpunkt stand und die für den Raum Hessen in dieser Zeit noch nicht nachgewiesen ist. Artikel 27 der Ordnung von 1460 weist darauf hin, dass der Schulmeister auch im Umgang mit dem anderen Geschlecht  eine Vorbildfunktion einnehmen sollte, um den Jungen eine der Zeit entsprechende tugendhafte Einstellung zu vermitteln.

 Im Unterricht selbst ging es vermutlich wenig schülerorientiert zu: Der Unterrichtsstoff wurde i.d.R. über Auswendiglernen vermittelt; um Schüler zu „motivieren“ oder zu bestrafen, bediente sich der Schulmeister seines „Stocks“; in Artikel 28 der Ordnung von 1460 wird er angewiesen, die Jungen damit nicht auf den Kopf zu schlagen – offensichtlich scheint diese Art der Prügel häufiger vorgekommen zu sein und zu Beschwerden geführt haben.

Die Schulwoche begann montags und endete samstags; Ferien gab es nur an Weihnachten und Ostern. Abgesehen von einer Mittagspause, die wahrscheinlich am Vormittag zwischen 10 und 11 lag, blieben die Schüler bis zum Abend. Allerdings wurde der Schultag auch zweimal von den Gottesdiensten unterbrochen, der Messe am Morgen und der Vesper am Nachmittag, bei denen die Jungen ihren Dienst im Chor zu versehen hatten (Vgl. Art. 10 und 11 der Ordnung v. 1431). Dazu kam der Chorgesang an Feiertagen; diesem Dienst wurde insgesamt viel Zeit geopfert, sodass für das eigentliche Unterrichten gar nicht mehr ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden haben kann.

Zwar gibt es keine Auszeichnungen über die Schülerzahlen, gemessen an den Einwohnerzahlen von ca. 2500 um das Jahr 1431 dürften aber etwa 80 bis 100 Jungen die Stadtschule besucht haben. Zudem erhielten auch Söhne aus dem Marburger Umland und anderen Städten die Möglichkeit, die Stadtschule zu besuchen. Aus der Quelle geht jedoch hervor, dass auch weniger begüterte Jungen aufgenommen wurden. Der Eintritt in die Schule lag wahrscheinlich zwischen 5 und 7 Jahren; die Dauer des Schulbesuchs war nicht vorgeschrieben. Wer aber die Universität besuchen wollte, wird vermutlich etwas länger – vielleicht bis 15 oder 16 Jahre – auf der Schule geblieben sein.  Das Schulhaus am heutigen Lutherischen Kirchhof 3 wurde von der Stadt finanziert – bei dem Bau handelt es sich aber nicht mehr um das Schulhaus aus dem späten Mittelalter – was auf eine städtische Kultur verweist, die religiös-kirchlich geprägt ist.

 Mädchen durften die Stadtschule nicht besuchen; erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts weisen die Quellen eine Schule für sie nach: die Mädchenschule von Clara von Löwenstein. Wie der Quelle zu entnehmen ist, billigen und unterstützen Bürgermeister und Rat die Schule finanziell; allerdings handelt es sich um eine Privatschule, die nicht allen Bürgerstöchtern der Stadt offen gestanden haben wird. Unterrichtet wurden hier Lesen, Schreiben und Rechnen, und das auf Deutsch.

Ordnung der Marburger Stadtschule, 14. Mai 1431
Ordnung der Marburger Stadtschule, 14. Mai 1431

Im Jahr tausend vierhundert dreißig eins des Herren am Montag nach unseres Herren Himmelfahrt haben Conrad Synning und Gerlach Schonenbach, Bürgermeister zu Marburg, Schöffen, Rat und die Vier, einträchtig im Rathaus zusammengesessen und sind darüber eingekommen, wie es von jeher gewesen und gehalten ist, wie ein Schulmeister und sein Unterschulmeister es mit ihren Schülern, die Bürgerskinder sind, halten sollen und was sie von den selben Bürgerskindern als Lohn nehmen sollen.

 

  1. Ein Bürgersohn, der es hat, soll dem Oberschulmeister ein Jahr als Lohn acht Turnose [=6,6 Schilling, ein Betrag zwischen 3 und 6 Euro = 4 Tageslöhne eines städtischen Handwerkers] der Marburger Währung geben. Wer nicht alles geben kann, von dem soll der Lehrer nehmen, was redlich ist. Und das Bürgerkind, das in der Stadt um Brot ansteht, braucht keinen Lohn zu geben.
  2. Der Bürgersohn, der es hat, soll seinem Hilfslehrer, von dem er unterrichtet wird, alle 14 Tage zur Speisung einen Heller [etwa ein Euro] geben.
  3. Der Bürgersohn, der es hat, soll jeden Tag zwei Brote geben, ausgenommen in der Fastenzeit.
  4. […]
  5. [...]
  6. Vor Ostern, wenn man die Schüler wegschickt, soll ein jeder Schüler zwei Heller geben und nicht mehr.
  7. [...]
  8. Ein Schulmeister soll zuerst und zuvor die Kinder der [Marburger] Bürger getreulich unterrichten, bevor er die Fremden bildet, und er soll seinem Unterschulmeister auftragen, gleiches zu tun.
  9. [...]
  10. Ein Schulmeister soll darauf achten, dass alle seine Schüler, die am Chorgesang teilnehmen, jeden Tag zur Messe und zur Vesper kommen, sie seien Bürgerkinder oder Fremde.
    11. Ein Schulmeister soll mit seinem Unterschulmeister und mit seinen Schülern jeden Sonntag und an allen Feiertagen das ganze Jahr hindurch in der Pfarrkirche die Frühmesse singen und an allen Tagen im Jahr das Hochamt und die Vesper. Ein Schulmeister soll auch dafür sorgen, dass in der Kirche richtig gesungen wird, ohne alle Konfusion.
    12. Kein Bürgersohn soll einem Oberschulmeister oder Unterschulmeister Geld und Wertsachen geben, um von der Frühmesse an den Sonn- und Feiertagen befreit zu werden.
  11. […]
  12. [...]
  13. [...]
  14. Der Oberschulmeister, seine Hilfslehrer und alle Schüler sollen jeden Sonntag und an allen Feiertagen in die Messe gehen.
  15. Ein Schulmeister und Unterschulmeister sollen alle ihre Schüler dazu anhalten, sich im Chor züchtig zu benehmen und nicht zu raufen und sich nicht zu ziehen und zu stoßen. [...]
  16. [...]
  17. [...]
  18. Kein Schüler soll dem Lehrer Holz aus dem Wald holen.
  19. Kein Lehrer darf mehr Lohn von seinen Schülern fordern als festgelegt.
  20. [...]
  21. Ein Schulmeister soll seine Schüler zu ordentlichem Benehmen anhalten und zu Ordnung erziehen.
  22. Auch soll ein Schulmeister seine Schüler dazu ernstlich anhalten, alle Gesangbücher oder alle anderen Bücher, die sie aus der Kirche mit in die Schule nehmen, reinlich zu bewahren; kein Schüler soll seine Hände oder Arme darauflegen, sie sollen sie auch nicht zerreißen oder zerschneiden und ihnen keinen Schaden zufügen.

Großes Stadtbuch Blatt 12; Abschrift von Heinrich von Homberg.

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Erneuerte und vermehrte Schulordnung, 12. April 1448

Bernhard von Fronhausen und Hermann Zcymmerman, Bürgermeister zu Marburg, haben den Meister Johann Zcenner als Schulmeister empfangen und aufgenommen. Der Bürgermeister, die Schöffen, der Rat und die Vier, wie es von alters her gewesen ist, sind darüber übereingekommen, wie es der Schulmeister und sein Untermeister mit ihren Schülern halten sollen, insbesondere mit den Bürgerskindern, und was sie von den Schülern, die Bürgerskinder sind, als Lohn nehmen sollen und was nicht.

1-22 (siehe Artikel der "Ordnung der Marburger Stadtschule" vom 14. Mai 1431)

  1. Wenn sich der Schulmeistern säumig hält, oder wenn der Rat ihm seinen Abschied gewährt, so soll er das dabei belassen, und in keiner Weise mehr fordern, als ihm sein Eid, den er zu dieser Zeit getan hat, gesetzt und gegeben hat.

Großes Stadtbuch, eingelegt nach Blatt 80 mit dem Zusatz: Dem vorgenannten Meister Johann sind diese Zeilen, als man ihn an dem Freitag aufgenommen und empfangen hat, vorgelegt worden […]; Abschrift von Joh. Noeß.

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Erneuerte und vermehrte Schulordnung, 22. Februar 1460

Anno domini millesimo qudringentesimo sexagesimo am Donnerstag haben Hennen Martdurffe und Herman Raben, Bürgermeister zu Marburg, den Meister Johan Spulmann als neuen Schulmeister aufgenommen und empfangen; die genannten Bürgermeister, Schöffen, Rat und die Vier sind einträchtig darüber eingekommen, wie das auch von alters her gewesen ist, wie es der Schulmeister und sein Untermeister mit ihren Schülern halten sollen, insbesondere mit den Bürgerskindern, und was sie von den Schülern, die Bürgerskinder sind, als Lohn nehmen sollen und was nicht

1-23 (siehe "Ordnung der Marburger Stadtschule) […]

  1. Der Schulmeister und Unterschulmeister sollen in der Schule, in Stuben oder Kammern, keine Frauen hereinholen noch in die Schule kommen lassen und unnütze Gedanken oder Gerüchte dadurch zu verhindern.
  2. Auch soll ein Schulmeister seinen Unterschulmeister dazu anhalten, die Kinder nicht mit Stöcken auf den Kopf zu schlagen.

Großes Stadtbuch Blatt 81ff; Eintrag von Johann Schönbach.

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Stadtratsbeschlüsse wegen der Mädchenschule der Klara von Löwenstein, 15. September 1547 – 22. Dezember 1552

1547 donnerstags nach exaltationis crucis (15. September)

Bürgermeister und Rat haben Clara von Löwenstein, damit sie die Töchter der Bürger desto fleissiger unterrichte, mit Ruel Nedernhofers Haus am Schneidersberg zu 6 Zins jährlich belehnt. Da sind die Vormünder von Antonia Breitrucks Tochter, die jährlich 1 Zins geben, so dass für Clara nur noch 5 gegeben werden müssen, etwa aus einem Testament, was noch mit ihr ausgehandelt wird.

1552 donnerstags nach sanct Thomastag (22. Dezember)

Clara von Löwenstein soll mit den drei Gulden, die ihr jetzt zur Steuer zu geben bewilligt wurde, gesättigt und zufrieden sein und die Belohnung von ihren Schülern abwarten.

Ratsprotokoll.

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Handwerker und Zünfte
Handwerker und Zünfte

Arbeitsaufträge:

  1. Arbeiten Sie heraus, welche Aufnahmebedingungen die Zunftmeister formulieren.
  2. Nennen Sie die Regeln, die die Zunftmitglieder zu beachten haben.
  3. Überlegen Sie, was die Regeln und Aufnahmebedingungen für die Gemeinschaft zu bedeuten haben.
  4. Beschreiben Sie, welche Aufgaben die Zunft übernimmt.
  5. Die Wollenweber geben sich selbst eine Zunftordnung, nicht der Landgraf. Bewerten Sie dieses Vorgehen.
  6. Recherchieren Sie, welche mittelalterlichen Zünfte es in Marburg noch gegeben hat. Ein Blick in den Stadtplan kann Ihnen dabei helfen.

 


 

Erläuterungen:

Den weitaus größten Teil der Gesamtbevölkerung in Marburg bildeten die Handwerker. Viele von mussten zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes aber noch eine kleine Landwirtschaft unterhalten, da sie allein von ihrer handwerklichen Arbeit nicht leben konnten. Die Handwerksmeister waren in sogenannten Zünften zusammengeschlossen; für das Jahr 1414 sind zwölf davon für Marburg verzeichnet.

Die Wollenweber sind die wichtigste Zunft für das Marburger Wirtschaftsleben. Aus der Einleitung lässt erschließen, dass die meisten von ihnen in Weidenhausen, der Marburger Vorstadt, lebten. Sie stellen Tuch her, dessen Verbreitung sich bis nach Basel, München, Wien und Budapest sowie Krakau verfolgen lässt. Zweimal im Jahr wurden die Waren auf der Messe in Frankfurt – Fastenmesse und Herbstmesse – verkauft.

Die Tuchherstellung bestand aus mehreren Arbeitsgängen: So musste die rohe Wolle zuerst gewaschen und geschlagen, dann gekämmt und gesponnen werden. Das so entstandene Garn wurde zu einem Tuch verwebt. Im Anschluss daran wurde das Tuch gewaschen und gewalkt (verfilzt). 

Aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsgänge waren in der Zunft mehrere Handwerkszweige vereinigt: Weber, Wollschläger, Kämmerinnen und Spinnerinnen, Färber und Walker.

Neben dem in der Quelle erwähnten Zunfthaus errichteten die Wollenweber 1560 ein zweites, noch erhaltenes Zunfthaus, was auf ein gewisses Vermögen hinweist. Das erste wurde 1891 jedoch beim Neubau der Weidenhäuser Brücke abgerissen. Ihre Waren verkauften die Zunftmitglieder in der unteren Etage des 1526 errichteten Rathauses.

Ihr Selbstbewusstsein, bedingt durch ihren Erfolg, drückten die Zunftmeister im Jahr 1365 damit aus, dass sie keine Bestätigung des Landgrafen für ihre Artikel vonnöten hielten.

 

Die Zunft war auch eine Gemeinschaft, die ihren Mitgliedern eine gewisse Lebenssicherheit bot – dem Artikel 3 ist zu entnehmen, dass in Not geratenen Handwerkern, also Berufsunfähigen, auch Alten und Witwen, eine materielle Absicherung zur Verfügung stand, für die, wie bei einer Art Versicherung, alle Mitglieder aufkamen. Auch die Kosten für ein Begräbnis übernahm die Zunft.

Die Artikel geben auch einen Eindruck über das Ausbildungsverhältnis zwischen Lehrling und Meister: Lehrlinge sich sollten neben dem Erlernen von handwerklichen Fähigkeiten ebenso ein „sittliches und soziales“ Verhalten aneignen. Die Lehrzeit von drei bis vier Jahren verbrachte der Lehrling in der Regel im Haus seines Lehrherren, im Anschluss daran begab er sich auf Wanderschaft, um bei anderen Meistern zu lernen. In den Zunftstuben wurden gemeinsame Feste gefeiert, wodurch alle Mitglieder einer Zunft das Gefühl von Zusammengehörigkeit entwickeln sollten.

Da die Zahl der Meister in einer Stadt begrenzt war, blieb oft nur die Möglichkeit, die Witwe eines Meisters zu heiraten, wie es auch in Artikel 2 heißt. Den Zünften kommt also in den Städten eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und karitative Bedeutung zu.

 

Die Zünfte entschieden, wie viele Meister, Gesellen und Lehrlinge in einem Gewerbe arbeiten durften, so sollte gewährleistet sein, dass alle Mitglieder einen gleichmäßigen Wohlstand erhielten – die Frage, ob dieses Vorhaben in der Praxis immer Erfolg hatte, kann nur ungenau beantwortet werden. Ein Teil der Wollweberfamilien lebte vermutlich in recht bescheidenen Verhältnissen (S. 194 MG). Um dieses Ziel zu erreichen, betrieben sie gemeinsame Walkmühlen ab dem 15. Jahrhundert und Färbehäuser, zudem mussten sie einheitliche Verkaufspreise, Arbeitszeiten und Löhne festsetzen und überwachen. Auf diese Weise wurde jegliche Konkurrenz nach Innen, aber auch nach Außen unterbunden. 

Man vermutet, dass ca. 10-20 % der Bevölkerung Marburgs am Gewerbe der Wollweber beteiligt war.

In der Stadtrechtsurkunde von 1311 wird das Verhältnis von Wollwebern und Tuchhändlern zueinander definiert. Wollwebern wird das „Schneiden“, der Verkauf ihrer hergestellten Tücher in kleinen Stücken, untersagt, während die Tuchhändler Tuch nicht selbstständig produzieren oder die Produktion in Auftrag geben dürfen. Hintergrund dieser Regelung war die Schaffung einer klaren Abgrenzung beider wirtschaftlicher Bereiche zueinander, die im Vorfeld offensichtlich des Öfteren miteinander vermischt worden waren. So sollten Streitigkeiten innerhalb der Stadt vermieden werden; auch galt es, die wirtschaftliche Existenz beider Gruppen zu sichern, da sie ein notwendiges Steuereinkommen für die Stadt darstellen.

Zur weiteren Anschauung kann der Zunftbrief der Marburger Lohgerber dienen.

Stadtrecht des Bischofs Ludwig von Münster, 17. Oktober 1311

Wir, Ludwig von Gottes Gnaden und Bischof zu Münster, tun kund all denen, die diesen Brief sehen und lesen hören, unseren lieben und getreuen Bürgern von Marburg durch unsere Gunst und dem Lande zum Besten:

[…]

  1. und wollen wir auch gebieten, dass derjenige, der Gewand macht [Tuch herstellt], es nicht schneiden soll [nicht damit handeln soll], und wer es schneidet, der soll keines machen.

Damit diese Worte von uns und von euch fest behalten werden, so haben wir diesen Brief mit unserem eigenen Siegel besiegelt.

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Artikel des Wollenweberhandwerks zu Weidenhausen, 24. Juli 1365

Bekanntgemacht sei all denen, die dieses Schriftstück sehen, hören oder lesen, dass wir, die Meister und sämtliche Handwerker des Wollenhandwerks zu Weidenhausen, übereingekommen sind, unserem Handwerk zu nutzen und es zu ehren mit allen Artikeln, wie sie hier geschrieben stehen:

 

  1. Aufnahmebedingungen: Wenn jemand zu den vier Meistern kommt und nach unserer Bruderschaft verlangt, den sollen die vier Meister achten und lehren, wenn er dem Handwerk treu und ehrlich ist, so sollen sie ihm die Bruderschaft für zwei Mark verleihen. Wer aber das Handwerk nicht genug achtet, dem sollen sie die Bruderschaft nicht verleihen. Wer die Tochter eines Meisters oder eines Meisters Frau heiratet, die eine Witwe ist, und auch das Handwerk achtet, der soll die Bruderschaft halb kaufen. Die vier Meister sollen niemanden in die Bruderschaft aufnehmen, der unehelich geboren ist.
  2. Was auch die vier Meister von den Handwerkern wegnehmen, das sollen sie für in Not geratene Handwerker und unser Rathaus [= Zunfthaus in der Lingelgasse] zu Weidenhausen abgeben.
  3. Einmal jährlich, am Sonntag nach dem Tag des heiligen Jacobs [25. Juli], sollen und wollen wir neue Meister wählen.
  4. [...]
  5. Wenn ein Zunftgenosse sich über den anderen beschwert, dann sollen die Klagen zuerst vor die vier Meister gebracht werden, welche unverzüglich gerecht und angemessen darüber urteilen sollen. Wenn sich aber die Meister nicht entscheiden können, dann erst möchten die Genossen ihre Klagen vor das Gericht bringen.
  6. Wer sich als Angehöriger des Handwerks schlecht und rücksichtslos verhält [u.a. gegenüber den Meistern], der soll solange unbeschäftigt sein, bis er die Bruderschaft erneut gekauft hat, so oft wie es nötig ist.

Auch soll man dies alles, wie es hier geschrieben steht, tun und halten, […] ohne alle Arglist. Und dass dies ewiglich steht und festgehalten wird, haben wir unser Handwerksiegel an diese Urkunde gehängt, die gegeben ist dreizehnhundert Jahre nach Gottes Geburt  in dem fünfunddreißigsten Jahr.

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