Lifestyle im Archiv
Lifestyle im Archiv

Mode, Lifestyle und Archiv? Ist das kein Widerspruch? Nicht unbedingt. Denn die Lebenswirklichkeit zurückliegender Epochen findet ihren kontinuierlichen Niederschlag in den Schriftzeugnissen, die im Hessischen Landesarchiv aufbewahrt werden. Damit wird auch die Mode vergangener Tage dokumentiert.

Das kann ganz haptisch durch Stoffproben geschehen. Ihre lichtgeschützte Lagerung in den Akten und Archivkartons hat sie nichts von ihrer Farbigkeit verloren gehen lassen. Aber auch Modezeichnungen sind seit dem ausgehenden Mittelalter überliefert. Hinzu kommen Kleiderinventare, Werbung, Kleidungsordnungen und Kleidervorschriften und natürlich ein umfangreicher Schriftverkehr über das Anfertigen und Tragen von Kleidung.

Die Ausstellung mit Objekten aus den verschiedenen Standorten des Hessischen Landesarchivs möchte aber weder die Geschichte der Textilherstellung in Hessen noch einen Abriss der Modehistorie liefern. Vielmehr sollen Themenbereiche erkunden, was die Sprache der Mode über die jeweilige Zeit aussagt.

Wir versuchen über die Kleidung und Accessoires vergangener Jahrhunderte in die Köpfe der Zeitgenossen zu schauen, um damit über die Hülle in die dahinterliegenden Absichten und Weltanschauungen zu gelangen. Ein Plakat der Boutique Natho-Moden-Etage in Frankfurt von 1966 leitet deshalb bestens in diese Ausstellung ein. Denn auf der Hutkrempe der eleganten Dame steht: „Was Ihnen im Kopf herumgeht“. Die Mode der letzten sechshundert Jahre verrät sehr viel darüber.

Kleidung und Gesellschaftsordnung

Bereits in der Antike gab es Ordnungen, in denen dem gesellschaftlichen Status die entsprechende Kleidung zugeordnet wurde. Solche Regelungen, wie einzelne gesellschaftliche Gruppen sich zu kleiden haben, finden sich in allen Epochen europäischer Geschichte. Kleidung diente von jeher der Codierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Gesellschaftliche Hierarchien werden seither damit visualisiert; aber eben auch soziale Ausgrenzungen wie im Fall von Juden oder Prostituierten.

Seit dem Spätmittelalter sind Kleiderordnungen regelmäßiger Bestandteil übergreifender gesellschaftlicher Regelungen, die in der Frühen Neuzeit auch als „Policey-Ordnung“ bezeichnet wurden. Mit zu den frühesten Kleiderordnungen in Deutschland gehört die Frankfurter von 1336. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden in den verschiedenen Territorien immer wieder neue Verordnungen durch die Landesherren erlassen. Auch aus religiösen Gründen wurde darin textiler Aufwand untersagt. Nicht nur gesellschaftliche Hierarchien spielten eine Rolle. Auch religiös-moralische Aspekte waren von Belang. Wie schnell konnte man in Schmuck und aufwändiger Kleidung die Todsünde der Verschwendungssucht („Luxuria“) erkennen, hinter der vermeintlich der Teufel lauerte. Vor allem die Geistlichkeit ging dagegen vor.

Um dies zu verhindern, wurde der Aufwand für Bekleidung reglementiert. Ganz praktisch hätte ein verschwenderischer Lebensstil auch zur Verarmung sozialer Gruppierungen führen können. Eine Mainzer Verordnung gegen den überhandnehmenden Luxus von 1783 ist hierfür ein sehr eindrückliches Zeugnis. Darüber hinaus konnte auch die Textilindustrie eines Landes gefördert werden, indem der Erwerb einheimischer Produkte vorgeschrieben wurde.

Erst im Zuge der Aufklärung kamen diese Vorschriften aus der Mode. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Mode ihre Funktion der gesellschaftlichen Codierung verloren hätte.

Extravaganz und Statussymbol

Mode und Extravaganz sind eng miteinander verbunden. Kleidung soll in vielen Fälle dazu dienen, die Trägerin oder den Träger gesellschaftlich zu verorten. Je opulenter oder extravaganter dies geschieht, umso mehr scheint sie aufzuwerten. Seinen Ursprung hat dieses Denken im höfischen Umfeld, wenn auch hier Extravaganz und Uniformität eng miteinander verzahnt waren. 

Die schwarze spanische Hofkleidung des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts setzte sich an vielen Höfen Europas durch. An ihr werden Eleganz und Pracht ebenso ablesbar wie die Strenge und Uniformität. Alles Individuelle trat – wie im Spanischen Hofzeremoniell – hinter die Einförmigkeit der Kleidung zurück. Sie galt als repräsentatives Statussymbol für ein entindividualisiertes Amt. 

Das lockerte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts. Insbesondere die französische Hofmode trieb den Luxus auf die Spitze. Sie wurde bald zum Vorbild für die höfische Mode in ganz Europa. Trotz aller Extravaganzen musste aber auch hier die gesellschaftliche Hierarchie gewahrt bleiben. Nicht alles schickte sich für jeden. Es war daher eine Erleichterung, als im 18. Jahrhundert der Kleiderluxus in der höfischen Herrenmode zurücktrat. Die militärische Uniform ersetzte die individuelle Herrenmode. Rang und Bedeutung der Person versinnbildlichten sich dann nicht mehr im Aufwand der Kleidung, sondern im Rang der Uniform. Für die Damen der Gesellschaft galt dies mit ausladenden Reifröcken und Perücken noch nicht. 

Erst im Zuge der Französischen Revolution und der Orientierung an der antiken Mode erfolgte auch hier eine Vereinfachung. Die politische und soziale Codierung von Mode aber blieb. Ob ein Herr eine Kniebundhose oder eine lange Hose trug, war auch ein Zeichen seiner politischen Gesinnung. Grundsätzlich aber wurde die Herrenmode zusehends funktionaler. Die Schlichtheit hatte Einzug gehalten und hielt – mit eher geringfügigen Varianten – die Grundtypen bis heute bei. Die Damenmode durchlief allerdings im 19. Jahrhundert eine Vielzahl von Varianten. Viel stärker als im Bereich der Herrenbekleidung unterlag sie Moden, so dass Trends die Damenbekleidung prägten. 

Das hing damit zusammen, dass die Herren mit der Funktionalität eines werktätigen Bürgers in Verbindung gebracht wurden. Bequemlichkeit und Bewegungsfreiheit standen bei der Mode daher im Vordergrund. Die im 19. Jahrhundert üblicherweise nicht erwerbstätige Frau hingegen wurde als schmückendes Beiwerk bewertet, was den Kleidungsaufwand rechtfertigte und auf einem hohen Niveau hielt. 

Trotz emanzipatorischer Bewegungen und der Entwicklung verschiedener Strömungen der Anti-Mode im 20. und 21. Jahrhundert hat sich der größere modische Variantenreichtum bei der Damenmode bis heute gehalten.

Frühe Modezeichnung
Frühe Modezeichnung

Die womöglich früheste Modezeichnung in den Beständen des HessischenLandesarchivs ist auf den 14. Mai 1498 zu datieren. Landgraf Wilhelm von Hessen ließ seinem Vasallen, Graf Johann Ludwig von Nassau-Saarbrücken, die kolorierte Zeichnung eines blonden Mannes in roter Kleidung zukommen. Graf Johann Ludwig und seine Diener sollten sich auf Wunsch des Landgrafen beim Lehensdienst nach diesem Vorbild kleiden.

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Accessoires und Beautyprodukte
Accessoires und Beautyprodukte

Kleidung lebt auch durch Accessoires. Im 18. Jahrhundert waren es die Perücken und Turmfrisuren, die die üppigen Kleider und Roben abrundeten. Die wahrhaft ausladende Körpersilhouette erreichte dadurch erst ihren vollen Umfang, so dass es für Frauen mit Hochfrisur und Reifröcken nicht eben leicht war, sich fortzubewegen.

Was im Rokoko die Turmfrisur war, waren in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts die Nylonstrümpfe. Am 15. Mai 1940 wurden sie in US-amerikanischen Geschäften erstmals verkauft. Der Siegeszug begann. Als nach dem Zweiten Weltkrieg der Verkauf erneut startete, kam es in Amerika zu Ausschreitungen. In Pittsburgh sollen 40.000 Personen für 13.000 Paar Strümpfe angestanden haben. Und über Amerika gelangten die Strümpfe nach dem Krieg dann auch nach Deutschland, wo sie bald zum unverzichtbaren Modeaccessoire wurden.

In der Damenmode lange Zeit beherrschend blieb das Korsett. Es bestimmte bis ins späte 19. Jahrhundert das Bild der Frauenkleidung. Erste Vorläufer dazu entstanden in Burgund bereits im Spätmittelalter. Für die spanische Hoftracht in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde es dann unverzichtbar – am Anfang auch für Herren. Zunächst wurde die Taille mittels Fischbein eingeschnürt, im 19. Jahrhundert dann auch durch Stahlbänder. Die Sanduhrform mit besonders enger Taille galt als hochmodern, und Kaiserin Elisabeth von Österreich („Sisi“) soll es zu einem Umfang der Taille von 50 cm gebracht haben.

 

Natürlich wurde auch früh schon vor gesundheitsschädlichen Folgen gewarnt. Die Wirbelsäule konnte verkrümmt werden, Organe konnten Schaden erleiden und vieles mehr. Gerade in der Revolutionszeit um 1800 kam die ungesunde Form der Körperdeformierung in Misskredit. Sie wurde sogar gesetzlich verboten. Und in den Neuwiedischen Nachrichten wurde die Befreiung vom Korsett mit der Befreiung vom Korsen Napoleon gleichgesetzt.

Theater- und Fastnachtskostüme

So sehr Kleidung dazu genutzt wird, einen gesellschaftlichen Status zu visualisieren, so sehr kann sie auch als Maske dienen. Auch im alltäglichen Leben kann Mode verkleiden und maskieren. Immer wieder aber gibt es Situationen, in denen ganz bewusst mit Hilfe von Kleidung das gesellschaftliche Gefüge verlassen wird.

Besonders offensichtlich wird dies am Beispiel von Theaterkostümen. Diese sind im Hessischen Landesarchiv in der Überlieferung der Staatstheater recht umfangreich dokumentiert. Sie spiegeln nicht nur den modischen Zeitgeschmack wider, sondern zeugen auch von der Interpretation der präsentierten Theaterstücke und Opern. Über die Mode erschließt sich daher auch, wie die jeweilige Epoche die Welt interpretiert hat. 

Jenseits des Theaters sind es die Fastnachtskostüme, die jedem einzelnen die Möglichkeit bieten, Abstand vom Alltag zu gewinnen. Seit dem Hochmittelalter sind solche Kostüme in den Quellen überliefert. Sie sollten zunächst helfen, böse Geister zu vertreiben. Später wurden diese Kostüme profaniert. Insbesondere an den Höfen wurden bei maskierten Bällen und so genannten „Wirtschaften“ die Standes- und Landesgrenzen überschritten. Folgten die Kostüme in der Frühen Neuzeit dabei noch eher standardisierten Vorgaben, wurden sie im Laufe der Moderne immer individueller. Heute mag die Auswahl der Kostüme Soziologen – oder auch Psychologen – dazu dienen, anhand der Maskierungen ein Gesellschaftsbild zu entwickeln: ein Bild der Wünsche, Ideale und Sehnsüchte.

Uniformen und Staatlichkeit

Beim Begriff „Uniform“ denken wir sicherlich zuerst an das Militär. Uniformen – also einheitliche – Kleidung existiert jedoch auch in vielen anderen Bereichen. Viele Berufsgruppen hatten oder haben eine einheitliche Kleidung. Diese kann zum Zusammenhalt der Gruppen, aber insbesondere auch der Erkennbarkeit der Gruppenzugehörigkeit dienen. Sanitäter zum Beispiel sind auf diese Weise schnell zu erkennen, oder – negativ konnotiert – Strafgefangene. Lange Zeit war es auch üblich, dass Staatsbeamte grundsätzlich eine Uniform trugen, womit sie ihr Amt visualisierten. Die Person trat damit hinter das Amt zurück, das sie repräsentierte.

Im militärischen Bereich begannen sich Uniformen in unserem Sinne in Europa erst im 17. Jahrhundert herauszubilden, als der kollektive Ankauf der Ausstattung der Söldnerheere auch zu einem einheitlichen Erscheinungsbild führte. Das hatte zusätzlich die positive Folge, dass die Zugehörigkeit zur Truppe und zum Truppenteil schnell erkannt werden konnte. Abzeichen aller Art trugen das Ihrige dazu bei, dies zu erleichtern.

Bald aber führte die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft aber auch dazu, dass Uniformen mehr und mehr das Erscheinungsbild bestimmten. Monarchen traten im 19. und frühen 20. Jahrhundert vornehmlich in Uniform auf. Das Tragen des „Soldatenrocks“ galt als besonders ehrenvoll, so dass dieses Kleidungsstück den öffentlichen Raum bestimmte. Man denke hierbei nur an Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“, worin es heißt: „Na ja, in Uniform, da geht's ja, da macht man Figur, das gibt 'n kolossalen Halt, da is man 'n ganz anderer Kerl. Wissense – in Staatsbürjerkluft – da komm ick mir immer vor wie ne halbe Portion ohne Mostrich.“

Waren Uniformen zunächst noch sehr farbenprächtig, setzte sich erst im frühen 20. Jahrhundert die Tarnfarbe durch. In außereuropäischen Klimazonen waren Soldaten in traditionellen Uniformen oft allzu leicht zum Ziel geworden. 1902 ersetzten Großbritannien und die USA daher die traditionellen Uniformen durch sand- oder khakifarbene. Um 1900 erhielt auch ein ostasiatisches Expeditionsheer der deutschen Armee eine graue Tropenuniform. 1907 war dann das gesamte kaiserliche Herr feldgrau ausgestattet. Im Ersten Weltkrieg trugen fast alle beteiligten Armeen dann diese Tarnfarben.

Trachten und Nostalgie

Das Interesse an Volkstrachten ist oft nicht unverstellt und durch ideologische Sichtweisen geprägt. Erste Ansätze zur Erforschung einer vermeintlichen Volkstracht rührten aus dem 18. Jahrhundert her und erlebten einen gewissen Aufschwung während der Befreiungskriege. Im Zuge der Heimatschutzbewegung im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde mit großem Interesse auch auf die Kleidung der bäuerlichen Schichten geschaut. Erblickte man in ihnen doch vermeintlich authentische regionale Besonderheiten. In vielen Territorien entstanden in dieser Zeit nicht nur Studien zu regionalen Dialekten, sondern es werden auch sogenannte Trachtenbücher angelegt. In ihnen wird die Bekleidung verschiedener Regionen bildlich dokumentiert. Auch entstanden vielerorts Trachtenvereine.

Am bekanntesten in Hessen ist sicherlich die Schwälmer Tracht, die auch zu den ältesten deutschen Trachten zählt. Sie besteht aus schwarzer Kleidung mit bunten Applikationen. Ihre Grundlage ist in der Ansiedlung französischer Glaubens-flüchtlinge im späten 17. Jahrhundert zu suchen. Denn ihre textilen Fertigkeiten ermöglichten es, dass bäuerliche Kleidung stärker als bisher mit Verzierungen versehen wurde. Schließlich war es den hessischen Untertanen seit der Kleiderordnung von 1772 verboten, andere als in der Landgrafschaft produzierte Stoffe zu verwenden.

Im Großen und Ganzen werden Trachten aber im Gebiet des heutigen Bundeslandes nur noch zu speziellen Anlässen getragen. Dazu gehören auch Festumzüge wie zum Beispiel der Hessentag. Hier spielt nicht selten eine nostalgisch-verklärende Sicht auf zurückliegende Zeiten eine besondere Rolle. Für die einen steht sie daher als Symbol für die regionale Verwurzelung für die anderen für Heimattümelei.

Stoffherstellung
Stoffherstellung

Einen besonderen optischen und haptischen Wert haben Stoffproben, die in den Archiven überliefert sind. Durch die lichtgeschützte Lagerung in den Akten haben sie bis heute ihre ursprüngliche farbige Leuchtkraft erhalten.

Lange Zeit wurde die Textilindustrie in unserer Region durch kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe geprägt. Besonders eindrücklich ist eine Akte zur Tuchmanufaktur des Ph. Pitel in Hohenkirchen (Kreis Hofgeismar), weil dort nicht nur der Schriftverkehr dokumentiert ist, sondern auch Stoffproben und eine Zeichnung der Tuchherstellung ein anschauliches Bild vermitteln. Die Geschichte der Bekleidungsindustrie in Hessen muss allerdings noch geschrieben werden und wäre Thema für eine eigene Ausstellung.