Flugschriften der 1848er Revolution aus Hessen
Flugschriften der 1848er Revolution aus Hessen

 

Flugschriften der 1848er Revolution aus Hessen

von Roland Müller

 

"Franzosen! Hochherzige Brüder! Aus mehrjähriger mitternächtiger Stille ist bei Euch plötzlich ein neues Feuer emporgestiegen, dessen Anbruch und Verbreitung wir mit Staunen und Bewunderung gesehen haben. Dreimal hat nun bereits der große Genius Frankreichs seit 1789 ganz Europa in fieberhafte Bewegung gesetzt..." So beginnt eine zweiseitige Lobeshymne auf das revolutionäre französische Volk, die Anfang März 1848 als Flugschrift in Marburg verteilt wurde (Dok. 1.1). Sie stammt von dem Philosophie-Professor Karl Theodor Bayrhoffer.

Die drei Bewegungen, die jeweils in Frankreich ihren Anfang nahmen (1789, 1830 und nun im Februar 1848) waren im Kern gegen die Vorherrschaft des Adels gerichtet. Dem deutschen Adel gelang es aber immer, mit einer Mischung aus Zugeständnissen und militärischer Gewalt seine Vorrechte zu behaupten. Das war auch diesmal nicht anders. Aber dazwischen schuf die Revolution für viele Monate einen Raum, in dem öffentlich mit großem Engagement über die Gestaltung der Zukunft gestritten wurde. Dieser Raum der Möglichkeiten soll hier anhand von Flugschriften aus Kurhessen und bevorzugt aus Marburg betrachtet werden. Sie stammen aus einer Sammlung (Sammlung 16a) im Staatsarchiv Marburg. In diesen Flugschriften wurde informiert, es wurden Bitten und Forderungen formuliert, Unterschriften gesammelt und zu Demonstrationen aufgerufen.

Ein besonderes deutsches Thema war die Zersplitterung in viele kleine Länder. Allein das heutige Hessen beherbergte derer sechs: Die Landgrafschaft Hessen-Homburg, die Freie Stadt Frankfurt, das Fürstentum Waldeck, das Herzogtum Nassau und die beiden Schwergewichte Großherzogtum Hessen im Süden mit Sitz in Darmstadt und das Kurfürstentum Hessen im Norden und Osten mit Sitz in Kassel. Hinzu traten Landflecken, die zu Preußen oder Bayern gehörten.

Die Besonderheit in Kurhessen war: Es verfügte seit 1831 (als Folge der Aufstände von 1830) über eine der fortschrittlichsten Landesverfassungen im Vergleich der deutschen Länder, dafür aber auch über eine herausragend schlimme Verfassungswirklichkeit. Der Kurfürst hatte die Verfassung nur ungern gewährt und anschließend alles dafür getan, möglichst wenige Rechte auch Wirklichkeit werden zu lassen. So garantierte die Verfassung durchaus Meinungsfreiheit, aber gleichzeitig wurde für alle Veröffentlichungen eine strenge Zensur angewandt und Professoren, deren Meinung der Obrigkeit nicht gefiel, wurde die Lehrerlaubnis entzogen, wie etwa auch Professor Bayrhoffer.

Unbeliebt machte die jüngsten beiden Kurfürsten auch ihr außereheliches Sexualleben. Das hatte weniger moralische Gründe, sondern materielle, denn alle unehelichen und damit nicht erbberechtigten Kinder wurden großzügig entschädigt. Das stand in Kontrast zur Armut in Kurhessen. Leinen und Eisen aus eigener Produktion war gegen die industrielle englische Waren nicht konkurrenzfähig. Das Handwerk klagte über Auftragsmangel. Missernten machten Lebensmittel knapp und teuer. Etliche suchten sich Saisonarbeit in Westfalen oder versuchten, in die USA auszuwandern.

 

Literatur

Stichnothe, Karin (Hg.): Marburg und die Revolution von 1848, Marburg 1999

Böhme, Klaus/Bernd Heidenreich (Hg.): "Einigkeit und Recht und Freiheit." Die Revolution von 1848/49 im Bundesland Hessen, Opladen u. Wiesbaden 1999

Hessisches Landesinstitut für Pädagogik (Hg.): "... und ein helleres und schöneres Licht beginnt den Völkern zu tagen!" Die Revolution von 1848 in Hessen und ihr Scheitern. Projektideen für den Unterricht, Wiesbaden 2002

Märzunruhen
Märzunruhen

Die Nachricht vom Sturz des französischen Königs löste in deutschen Ländern Freudendemonstrationen aus, in Marburg bereits am 29. Februar. Rasch wurden Petitionen verfasst und von Delegationen aus den Städten dem Kurfürsten vorgetragen. Bürger der Stadt Marburg forderten etwa das Vereins- und Versammlungsrecht, die Abschaffung der Zensur, dazu die Stärkung der Gemeindeebene, die Einführung öffentlicher und mündlicher Gerichtsbarkeit und das kurfürstliche Hinwirken auf eine Nationalvertretung (Dok. 2). Die Marburger Landgemeinden fügten u.a. hinzu, die alten Lehnsverhältnisse mögen beseitigt werden (Dok. 3) und Studierende der Marburger Universität wollten ihre mit Lehrverbot belegten Professoren wieder haben sowie den Zugang zum universitären Debattierclub (Dok. 4).

Es fällt auf, dass abgesehen von der Aufforderung, sich für eine Nationalvertretung einzusetzen, fast alle Forderungen darauf hinauslaufen: der Kurfürst solle seine Verfassung einhalten. In der Petition Kasseler Bürger vom 5. März wird aufgezeigt, wie bisher immer wieder Garantien der Verfassung plump oder auch mal trickreich ausgehebelt wurden (Dok. 5). Die Autoren machten dafür aber nicht den Kurfürsten verantwortlich, sondern seine von ihm eingesetzten Minister, vor allem Innenminister Hassenpflug, und forderten entsprechend deren Absetzung. Die Versuche der Ständeversammlung (der Landtag des Kurfürstentums), die Minister wegen Verstößen gegen die Verfassung zu entlassen, waren bisher alle fehlgeschlagen, weil die Macht der Regierung bei Einstellung und Versetzung der Richter am Obersten Appellationsgericht (heute wäre das der Hessische Staatsgerichtshof) einfach zu groß war. Das abzuändern gehörte auch zu den frühen Märzforderungen.

Die Bittschriften waren in einem unterwürfigen Ton gehalten und stark um Verständnis bemüht. Die Reaktion von Friedrich Wilhelm I. fiel entsprechend aus. Am 6. März (Dok. 6) teilt er einer Delegation mündlich mit, er habe bereits von ganz alleine eine Ständeversammlung einberufen, um mit ihr ein Pressegesetz zu beraten und er werde der Versammlung auch die weiteren Bitten und Anträge aus der Bevölkerung vorlegen.

Am 7. März verkündet der Kurfürst dann schriftlich die Aufhebung der Zensur "bei der Besprechung innerer Landesangelegenheiten" (Dok. 7). Dieses erste echte Zugeständnis wird begrüßt (Dok. 8), aber nun auch mit einer landesweiten Petitionskampagne begonnen, an deren erster Stelle die "unbedingte Pressefreiheit, nicht blos für innere Angelegenheiten" steht (Dok. 9).

In Hanau, der einzigen Stadt mit einem bedeutenden Arbeiteranteil im Kurfürstentum, wurde die fürstliche Proklamation dagegen schlicht als unvollständig kritisiert und eine Nachbesserung eingefordert, versehen mit einem dreitägigen Ultimatum und der Drohung, sich andernfalls nach einem anderen Land umzusehen (Dok. 10). Das war mal ein ganz anderer Ton. Und der zeigte Wirkung. Noch vor Ablauf des Ultimatums gab Friedrich Wilhelm I. am 11. März allen Forderungen nach (Dok. 11).

So schwer war das allerdings nicht, denn auch aus Hanau bewegten sich die Forderungen im Rahmen der bereits 17 Jahre zuvor gewährten Verfassung: Vollständige Pressefreiheit, vollständige Religions- und Gewissensfreiheit, Rücknahme aller Beschlüsse, die das Petitions-, Vereins- und Versammlungsrecht einschränken, Amnestie für alle seit 1830 begangenen politischen Vergehen und die Neubesetzung der Ministerien.

Waren die frühen Märzforderungen in Kurhessen nun eher bescheiden oder war einfach die Landesverfassung so fortschrittlich? Beides traf zu. Die Verfassung war eine der freiheitlichsten seiner Zeit, und den Fürsten vom Hof jagen wollten zunächst die wenigsten.

Zu Straßenkämpfen kam es in Kurhessen nur in Hanau, üblich waren Demonstrationszüge, die an den Häusern der fortschrittlichen Politiker ein Ständchen und bei den Reaktionären eine Katzenmusik darboten. Letzteres traf in Marburg regelmäßig den Gymnasialdirektor August Vilmar, der jede Verfassung ablehnte und dies in seiner Zeitung "Der hessische Volksfreund" verbreitete. Dabei gingen häufig auch Fensterscheiben zu Bruch. In Kassel führte das brutale Eingreifen von Gardesoldaten während einer solchen Katzenmusik zu Toten und Verletzten (Dok. 12). Nachdem sich Bürger bewaffnet hatten und ihrerseits diese Soldaten angriffen, erreichten sie beim Kurfürsten den Abzug des Gardekorps aus Kassel.

Die Volksversammlung etablierte sich in Marburg wie andernorts auch zu einer regelmäßigen Einrichtung. Diese ernannte einen Volksrat, dessen Aufgabe es war, Bitten und Beschwerden der Bürger an die richtige Stellen gelangen zu lassen (Dok. 13). Der Marburger Volksrat wollte z.B., dass den Städten die Polizeigewalt übertragen wird und das leitende Verwaltungspersonal auf Gemeinde-, Bezirks- und Provinzebene gewählt wird (Dok. 14); oder auch, dass die Beratungen von Gemeinde- und Stadtgremien öffentlich sind (Dok. 15).

Manifest Deutschlands an die französische Nation
Manifest Deutschlands an die französische Nation
Manifest Deutschlands an die französische Nation

Der Marburger Philosophie-Professor Karl Theodor Bayrhoffer würdigt die revolutionären Leistungen der Franzosen überschwänglich.

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Petition Marburger Bürger
Petition Marburger Bürger

Mit einer Bittschrift wenden sich Marburger Bürger Anfang März 1848 an den Kurfürst in Kassel.

 

Aufgaben:

a) Vergleichen Sie bitte die Forderungen der Stadtbürger, der Landbewohner und der Studierenden (Dok. 2-4).

b) Welche Forderungen kommen von Kasseler Bürgern hinzu (Dok 5)? Wie beurteilen Sie insgesamt die Tragweite aller Forderungen?

c) Charakterisieren bitte den Ton, in dem die Petitionen formuliert sind und vergleichen Sie ihn mit dem Hanauer Schreiben (Dok. 10).

d) Wie beurteilen Sie das Vorgehen des Kurfürsten (Dok. 6, 7, 11).

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Petition Marburger Landgemeinden
Petition Marburger Landgemeinden

Die besonderen Wünsche der Landbewohner formulieren hier Ortsvorstände aus dem Kreis Marburg, die sie Anfang März 1848 an den Kurfürst senden.

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Petition Marburger Studenten
Petition Marburger Studenten
Petition Marburger Studenten

In dieser Bittschrift an den Kurfürst schildern Anfang März 1848 Marburger Studenten, was sie bedrückt.

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Petiition Kasseler Bürger
Petiition Kasseler Bürger
Petiition Kasseler Bürger
Petiition Kasseler Bürger

Kasseler Bürger fordern die Entlassung aller Minister, die ihrer Ansicht nach die Verwirklichung der kurhessischen Verfassung bisher verindert haben.

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Erste Antwort des Kurfürsten
Erste Antwort des Kurfürsten

Friedrich Wilhelm I. kündigt an, die Petitionen der nächsten Ständeversammlung vorlegen zu wollen.

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Erste Zugeständnisse des Kurfürsten
Erste Zugeständnisse des Kurfürsten

Die Zensur wird von Friedrich Wilhelm I. weitgehend aufgehoben. Dafür erwartet er "gesetzlichen Gehorsam" von seinen Untertanen.

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Zweites fliegendes Blättchen
Zweites fliegendes Blättchen

Das erste Zugeständnis des Kurfürsten wird von dem nationalliberalen Rechtanwalt Friedrich Oetker begrüßt, aber weitere "zur Beruhigung der Gemüter" angemahnt. Aus seinem "Fliegenden Blättchen" wird bereits am 15. März die schnell erfolgreiche "Neue Hessische Zeitung".

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Grundzüge einer Petition aller Kurhessen
Grundzüge einer Petition aller Kurhessen

In dieser landesweiten Unterschriftenliste wird die lediglich eingeschränkte Aufhebung der Zensur vom 7. März aufgegriffen und neben der "unbedingten Freiheit der Presse" werden 19 weitere noch unerfüllte Forderungen aufgeführt.

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Die Volks-Kommission in Hanau an den Kurfürsten von Hessen
Die Volks-Kommission in Hanau an den Kurfürsten von Hessen

Die Forderungen der Hanauer Volkskommission sind mit einem Ultimatum versehen.

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Weitere Zusagen des Kurfürsten
Weitere Zusagen des Kurfürsten

Der Kurfürst erfüllt den Hanauer Forderungskatalog fristgerecht.

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Die Blutnacht in Kassel v. 9. auf den 10. April 1848
Die Blutnacht in Kassel v. 9. auf den 10. April 1848

Ein unbekannter Autor schildert mit Hilfe von Augenzeugen den Angriff von Gardesoldaten auf nächtliche Demonstranten in Kassel und die darauffolgende Selbstbewaffnung der Bürger.

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Ernennung des Marburger Volksrates
Ernennung des Marburger Volksrates

Der Marburger Volksrat ruft dazu auf, sich mit Bitten, Beschwerden und Wünschen an seine ernannten Mitglieder zu wenden.

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Verwaltungs- und Justizreform gefordert
Verwaltungs- und Justizreform gefordert

Die Ständeversammlung wird vom Marburger Volksrat aufgefordert, rasch eine Verwaltungs- und Justizreform auf den Weg zu bringen und nicht auf die Reichsverfassung zu warten.

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Öffentlichkeit kommunaler Sitzungen
Öffentlichkeit kommunaler Sitzungen

In dem Petitionsentwurf an die Ständeversammlung fordert der Marburger Volksrat, dass Sitzungen kommunaler Gremien in Zukunft öffentlich sein sollen. Auf dem Flugblatt wird daneben der Nationalversammlung nahegelgt, umgehend den Bundestag, die Versammlung der Länder des Deutschen Bundes, aufzuheben.

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Parteienbildung
Parteienbildung

Auch im Vormärz gab es Vereine, in Kurhessen beachtliche 60 Geselligkeitsvereine und 40 Turn- und Gesangsvereine. Etliche unter ihnen dienten dem Treffen Gleichgesinnter unter dem Deckmantel der harmlosen Freizeitbeschäftigung. Aber jetzt war es möglich, sich offen politisch zu organisieren und das musste schnell gehen, denn Wahlen zur Nationalversammlung waren schon für April vorgesehen. Die politischen Richtungen in Marburg organisierten sich zunächst in Wahlkomitees: die Demokraten unter der Leitung von Bayrhoffer und die liberal-konstitutionellen Bürger unter der Leitung des Historikers Heinrich von Sybel.

Das Vorparlament in Frankfurt hatte den Ländern die Entscheidung überlassen, ob sie die Wahlen zur Nationalversammlung als direkte Wahl oder als indirekte Wahl über Wahlmänner gestalten. In Marburg startete umgehend eine Unterschriftensammlung für die direkte Wahl (Dok. 1). Am Ende gehörte Kurhessen zu den wenigen Staaten, die sich für die direkte Wahl entschieden hatten. Allerdings blieb das Männer-Wahlrecht auf "selbständige Männer" beschränkt, was den Kreis der Wahlberechtigten nochmal um ein Drittel verringerte, nämlich um alle Handwerksgesellen, Dienstboten und Arbeiter (Dok. 2). Damit waren angehende Stammwähler der Demokraten ausgeschlossen, dafür waren sie zu einem frühen Zeitpunkt zentral in Frankfurt für den Wahlkampf organisiert (Dok. 3).

Der Demokrat Bayrhoffer strebte seinem Programm vom 10. April 1848 zu Folge eine Bundesrepublik an mit einem gesetzgebenden Einkammerparlament, der Nationalversammlung, und einem gewählten ausführenden Präsidenten (Dok. 4). Die einzelnen Bundesländer sollten ihre Verfassungen ebenfalls so gestalten. Soziale Not zu lindern, war für ihn Aufgabe des Staates, konkret sind "Arbeitsanweisungsanstalten" und "Anstalten für Invalide" genannt. Im Programm stehen aber auch die Ziele "Gründung einer deutschen Flotte und eines deutschen Systems von Kolonien", wie an anderer Stelle die Einführung einer progressiven Einkommens- und Vermögenssteuer.

Der liberale v. Sybel dagegen wollte sich in seinem Flugblatt vom gleichen Tage nicht auf eine Staatsform festlegen, und den Ländern wollte er ohnehin selbst überlassen, wie sie sich verfassen mögen (Dok. 5): "Man kann unfrei sein in einer Republik und frei sein in einer Monarchie". Er legte sich aber fest auf ein Zweikammermodell auf Bundesebene: Eine Volkskammer, gewählt wie gerade die Nationalversammlung, und eine Kammer, in der Vertreter der Länder zusammenkommen (also wie heute Bundestag und Bundesrat). Dann müsse es ein "Bundeshaupt" geben, umgeben von Ministern. Zur Linderung sozialer Not wollte er die Auswanderung erleichtern, unmittelbare Hilfe des Staates lehnte er dagegen ab. Er verwies die Armen auf die Vereinigungsfreiheit. Am besten geholfen sei den armen Klassen aber durch die Förderung der Wirtschaft und der Kolonisation.

Am 13. April, drei Tage nach der Veröffentlichung seines Wahlkampfflugblattes, unterschrieb v. Sybel einen Wahlaufruf für den beliebten Nationalökonomen Bruno Hildebrand (Dok. 6, 7). Das liberal-konstitutionelle Lager wollte seine Stimmen konzentrieren. Am Folgetag gab es dagegen einen Wahlaufruf für Bayrhoffer mit sechs Unterschriften mehr (Dok. 8). Das nützte aber nichts. Hildebrand (8789 Stimmen) gewann mit Abstand das Mandat für den Wahlkreis VIII (u.a. mit Marburg, Frankenberg, Kirchhain nebst Dörfern) vor Bayrhoffer (2778 Stimmen).

Nach den Wahlen nahmen die Parteigründungen Fahrt auf, 80 Parteivereine waren es bis Jahresende allein in Kurhessen, im Sommer 1849 dann 160. Auf dem Höhepunkt sollen nach Hochrechnungen 19.000 Männer oder 10 Prozent der männlichen Bevölkerung Kurhessens politisch organisiert gewesen sein.

In Marburg gründete v. Sybel Ende April den liberal-konstitutionellen Vaterlandsverein, der ausdrücklich eine erbliche Monarchie "auf breiter volkstümlicher Grundlage" bevorzugte und für den die Revolution in und für Hessen seit dem 11. März mit der neuen beim Kurfürsten erstrittenen Regierung beendet sei (Dok. 9). In dem Programm-Entwurf des Vaterlandsvereins wurden dann die Demokraten (ohne sie zu nennen) dafür verantwortlich gemacht, dass aktuell keine gesetzliche Ordnung herrsche, weil sie mit Gewalt Fürsten verjagen, Kirchen stürzen und Wohlhabende plündern wollten.

Bayrhoffer, der den Demokratischen Verein gegründet hatte, veröffentlichte umgehend eine Entgegnung (Dok. 10). Im Mai 1848 wurden die Marburger Turner aufgefordert sich ihm anzuschließen (Dok. 11) und im Sommer vereinigte sich der Demokratische Verein mit dem ebenfalls von Bayrhoffer gegründeten Marburger Arbeiterverein zum Demokratisch-sozialistischen Verein.

Für Leopold Eichelberg, der noch im Wahlkomitee mit Bayrhoffer zusammengearbeitet hatte, war die soziale Frage gegenüber der politischen nachrangig, weshalb er im Sommer die Gesellschaft der reinen Republikaner zu Marburg ins Leben rief (Dok. 12).

Ausruf hessischer Bürger!
Ausruf hessischer Bürger!

Für das direkte Wahlrecht bei den Wahlen zur Nationalversammlung in Kurhessen werden Unterschriften gesammelt.

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Aufforderung
Aufforderung

Das kurhessische Innenministerium fordert alle "selbständigen ehrenwerten Männer" auf, sich an den Wahlen zur ersten Nationalversammlung am 18. April zu beteiligen.

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Das demokratische Zentral-Komite für die Wahlen zur kostituirenden Versammlung an das deutsche Volk
Das demokratische Zentral-Komite für die Wahlen zur kostituirenden Versammlung an das deutsche Volk

Schon früh hatten sich die Demokraten eine zentrale Stelle in Frankfurt geschaffen, die ihren Kandidaten in den Wahlkreisen Wahlkampfhilfen an die Hand geben konnte. Zu den herausragenden Forderungen zählten: die Auflösung der stehenden Heere in eine "Volkswehr" und die Installierung eines "Arbeiterministeriums, welches den Wucher steuert, die Arbeit schützt und derselben namentlich einen Antheil an dem Arbeitsgewinne sichert".

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 Wahlprogramm der Demokraten in Marburg
 Wahlprogramm der Demokraten in Marburg
Wahlprogramm der Demokraten in Marburg

Karl Theodor Bayrhoffer positioniert sich als demokratischer Kandidat im Marburger Wahlkreis sehr klar. Bereits im Wahlkampf muss er sich dem Vorwurf erwehren, er wolle die Reichen plündern und alle Ordnung zerstören. Dem hält er entgegen, die Demokraten wollen "die Freiheit, den Wohlstand und die Bildung Aller erstreben".

 

Aufgabe: Vergleichen Sie bitte das Wahlprogramm des Demokraten Bayrhoffer (Dok. 4) mit dem Programm des Liberalen v. Sybel (Dok. 5). Worin liegen die wichtigsten Unterschiede?

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Wahlprogramm der Liberalen in Marburg
Wahlprogramm der Liberalen in Marburg
Wahlprogramm der Liberalen in Marburg

Der liberale Historiker Heinrich v. Sybel will sich in seinem Wahlprogramm nicht immer festlegen.

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An die Wähler des VIII. Wahlbezirks
An die Wähler des VIII. Wahlbezirks

Der liberale Bruno Hildebrand wirbt für sich im achten kurhessischen Wahlbezirk, zu dem auch Marburg gehört. Die Aufhebung der Armut sieht er nicht als Staatsaufgabe an, diese erwartet er "von dem freien Vereinigungsrecht und von der erstarkten sittlichen Kraft des Volkes".

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Wahlaufruf für Hildebrand
Wahlaufruf für Hildebrand

Das liberal-konstitutionelle Lager in Marburg will seine Kräfte bündeln und ruft zur Wahl von Bruno Hildebrand auf, weil ihm die größten Chancen auf den Wahlsieg zugetraut werden. Pro Wahlkreis wird nur ein Abgeordneter entsandt.

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Wahlaufruf für Bayrhoffer
Wahlaufruf für Bayrhoffer

Eher demokratisch gesinnte Marburger Bürger wenden sich hier direkt gegen den Wahlaufruf für Bruno Hildebrand vom Vortage. Sie stören sich vor allem an der Argumentationsfigur Hildebrand repräsentiere die "ächte und wahre Mehrheit der Volksmeinung". Dasselbe könnten sie von Professor Bayrhoffer behaupten. Sie fordern die Wähler auf, ihrer "selbständigen Überzeugung" und keiner Wahltaktik zu folgen.

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Entwurf zu einem Programm des Vaterlandsvereins
Entwurf zu einem Programm des Vaterlandsvereins
Entwurf zu einem Programm des Vaterlandsvereins
Entwurf zu einem Programm des Vaterlandsvereins
Entwurf zu einem Programm des Vaterlandsvereins

Heinrich v. Sybel erklärt in seinem Programmentwurf für das liberal-konstitutionelle Lager in Marburg die Revolution für beendet und warnt vor einer "allgemeinen Zerrüttung", wenn das Volk nicht der "gesetzlichen Ordnung" Achtung verschaffe.

 

Aufgabe: Unterziehen Sie bitte den Programm-Entwurf des Vaterlandsvereins (Dok. 9) und der Entgegnung (Dok. 10) einer Ideologiekritik.

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Der Verstand in dem Programm des Vaterlandsvereins
Der Verstand in dem Programm des Vaterlandsvereins
Der Verstand in dem Programm des Vaterlandsvereins

Bayrhoffer tritt den Vorwürfen gegen die Demokraten im Programm des Marburger Vaterlandsvereins entgegen. Die Herrschaft des Gesetzes werde wieder beginnen, wenn die Fürsten verweltlicht, Staat und Kirche getrennt und "den ärmeren Einwohnern neben den wohlhabenden auch ein glücklicheres Dasein bereitet sein wird".

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Zusammenstellung der neuesten Reden und Taten des demokratischen Vereins zu Marburg
Zusammenstellung der neuesten Reden und Taten des demokratischen Vereins zu Marburg

Auf diesem Flugblatt stellt der Demokratische Verein Nachrichten zwischen dem 19. und 29. Mai 1848 zusammen, die er für mitteilenswert hält; darunter die Gründung einer Freischaar zum Schutz der Nationalversammlung oder die Aufforderung an den Marburger Turnverein, sich ihm anzuschließen.

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Programm der "Gesellschaft der reinen Republikaner zu Marburg"
Programm der "Gesellschaft der reinen Republikaner zu Marburg"

Im Sommer 1848 gründet Leopold Eichelberg die Gesellschaft der reinen Republikaner in Marburg. Der liberal-demokratische Mediziner war erst Mitte März nach mehr als zehn Jahren aus der Festungshaft in Kassel entlassen worden. In Haft kam er im September 1837 wegen der Verbreitung des Hessischen Landboten.

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Sylvester Jordan
Sylvester Jordan

Sylvester Jordan (1792-1861) wurde 1821 Professor für Staatsrecht an der Universität Marburg. Er war maßgeblich an der Formulierung der kurhessischen Verfassung von 1831 beteiligt. Als Abgeordneter der Ständeversammlung ab 1830 zählte er zu den Liberalen. Nachdem er bereits sechs Jahre unter Polizeiaufsicht gestanden hatte, kam er 1839 in Untersuchungshaft. Ihm wurde u.a. eine Beteiligung am Frankfurter Wachensturm von 1833 vorgeworfen. Wegen Hochverrat wurde er 1843 zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt und im Marburger Schloss inhaftiert. Nach zwei Jahren kam Jordan frei, nachdem das Oberappellationsgericht das Urteil aufgehoben hatte.

Seine Arbeit und die Verfolgung durch die kurhessische Obrigkeit hatten Jordan großes Ansehen verschafft, aber genau dies machte dann die Fallhöhe aus, als er sehr früh zur Mäßigung mahnte und um Ausgleich mit dem Adel warb. Das machte ihn zum Symbol des liberalen Umfallers und setzte ihn dem Gespött all jener aus, für die die Revolution nicht nach den ersten Zugeständnissen des Adels beendet war (Dok. 1, 2, 3).

Für Kurhessen war er als Legationsrat am Bundestag, der Versammlung des Deutschen Bundes tätig, er war dort Mitglied im Siebzehnerausschuss, der im Auftrag der Fürsten eine Verfassung schon mal vorformulieren sollte. Jordan gehörte als Vizepräsident dem Vorparlament an, war von Juli 1848 bis Mai 1849 Abgeordneter für Fritzlar in der Nationalversammlung und gleichzeitig Vertreter Kurhessens bei der Provisorischen Zentralgewalt.

Die dankbaren Bewohner Marburgs Ihrem allverehrten Mitbürger Herrn Professor Jordan
Die dankbaren Bewohner Marburgs Ihrem allverehrten Mitbürger Herrn Professor Jordan

Mit gutem Willen kann man die Zeilen eine Weile als extrem pathetische Hymne lesen, aber auch der gutmütigste Leser wird den Autoren "D. W." spätestens nach dem Flußgleichnis nicht mehr für einen Freund Jordans halten: "Ströme lange noch und heiter, bis Du strömst ins todte Meer. - "

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Jordan's Triumpf-Einzug in Frankfurt a. M.
Jordan's Triumpf-Einzug in Frankfurt a. M.

Diese Glosse, die in dem Hersfelder Flugblatt dem national-liberalen Frankfurter Journal zugeschrieben wird, fingiert eine Reportage über den triumphalen Einzug Jordans in Frankfurt.

Höhepunkt ist der bildliche Vergleich mit der Rückkehr des Kurfürsten im November 1813 nach dem Ende der siebenjährigen napoleonischen Herrschaft. Der Legende nach sollen Kasseler Bürger vor lauter Freude die Pferde ausgespannt und die kurfürstliche Kutsche selbst in die Stadt gezogen haben. Der großzügige Verzicht Jordans auf diese Unterwerfungsgeste seiner Anhänger im März 1848 führt zu der rührenden Erkenntnis eines Fans: "Jordan ist kein Fürst und wir keine Sklaven, lasst die Pferde ziehen!"

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Sendschreiben eines konstitutionellen hessischen Staatsbürgers an den Geheimen Legationsrath Jordan
Sendschreiben eines konstitutionellen hessischen Staatsbürgers an den Geheimen Legationsrath Jordan

Hier wird der Vorwurf an Jordan, mit Ämtern käuflich zu sein, dann doch sehr direkt formuliert.

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Politische Streitfragen
Politische Streitfragen

Die Grundfrage, wie weit die Revolution gehen sollte, lag jedem politischen Thema letztlich zu Grunde. Manchmal wurde es aber auch direkt verhandelt wie bei der bundesweiten Tagung der Turnvereine Anfang Juli 1848 in Hanau (Dok. 1, 2). Die Satzung des Turnerbundes wies als einen seiner Zwecke aus, "für die Einheit des deutschen Volkes tätig zu sein". Ein Frankfurter Turner beantragte nun den Zusatz, dass diese Einheit in Form der demokratischen Republik erreicht werden solle. Der Antrag fand keine Mehrheit und so trennte sich der demokratische und der allgemeine Turnerbund. Im Marburger Turnverein zog auch die unterlegene Minderheit aus, aber es waren hier die Demokraten, die die Abstimmung mit 118 gegen 40 Stimmen gewannen.

Ein wichtiges kurhessisches Thema war die Wahlrechtsreform der Ständeversammlung (Dok. 3-6). Bisher konnte der Adel 20 von 53 Sitzen selbst bestimmen und je 16 Sitze der Städte und Landgemeinden wurden zwar per Wahl (über Wahlmänner) vergeben, wählbar waren aber nur wohlhabende Bürger und Bauern.

Der Marburger Volksrat schlug Ende April 1848 dem Landtag für alle zu vergebenden Sitze vor: direkte Wahl und das passive wie auch aktive Wahlrecht sollte jedem männlichen Staatsangehörigen zukommen, der mindestens 25 Jahre alt ist, dem kein Richter die Ehre absprach und der direkte Steuern zahlt. Der Vaterländische Verein in Marburg begründete den gewünschten Ausschluss der unteren Schichten Anfang August 1848 so: "Die selbständigen und unabhängigen Leute des Mittelstandes sind der Kern und die Kraft des Volkes: auf sie muss der Staat sein ganzes Dasein stützen, sie müssen auch bei den Wahlen entscheiden." Diese Position führte zu Austritten beim Vaterlandsverein und zu Eintritten bei den Marburger Demokraten. Die Volksversammlung in Kassel forderte Mitte August, nicht nur die Vorrechte des Adels zu entfernen, sondern auch auf "jeden Steuer- und Besitz-Census" zu verzichten. Heraus kam zuletzt eine Direktwahl selbständiger Männer ab 30 Jahren innerhalb von drei Wählergruppen, die jeweils 16 Sitze zu vergeben hatten: Höchstbesteuerte, Städter und Landbewohner. Das geburtsständische Vorrecht hatte sich in ein besitzständisches Vorrecht verwandelt. Das neue Wahlrecht, das im April 1849 in Kraft trat, war also kein allgemeines und gleiches Wahlrecht, wie es die Demokraten und die republikanischen Liberalen gefordert hatten, aber es brachte nun etliche Oppositionelle in den kurhessischen Landtag, Bayrhoffer wurde im Sommer 1850 sogar Landtagspräsident.

Ende Juni 1848 setzte die Nationalversammlung den österreichischen Erzherzog Johann als Reichsverweser ein. Während die einen sich schon länger nur noch mit der Frage befassten, wer künftiger Monarch der Deutschen sein solle (Dok. 7), versuchten die Demokraten, die Möglichkeit einer Republik offen zu halten (Dok. 8). Sie störte, dass ein Fürst zum Regierungsoberhaupt gewählt wurde. Aber noch viel mehr störte sie, dass dieser Regierungschef gar nicht an die Beschlüsse der Nationalversammlung gebunden war, er dagegen gehalten war, sich mit den Vertretern der deutschen Länder abzustimmen. Das kam einer Selbstentmachtung gleich. Aber die Wahl zur Nationalversammlung hatte eben eine klare Mehrheit für das liberal-konstitutionelle Bürgertum ergeben und dessen Begehrlichkeiten gegenüber dem Adel waren geringer als seine Ängste vor den Unterschichten.

Im Zusammenhang mit dem Waffenstillstand zwischen Preußen und Dänemark kam es im September 1848 zu Unruhen in Frankfurt, die durch preußische, bayerische, aber auch kurhessische Truppen blutig beendet wurden. Ihre Machtlosigkeit wurde der Nationalversammlung damit zweifach vorgehalten. Gleichzeitig genehmigte die Nationalversammlung die Verdoppelung des Heeres, also nicht ihres eigenen, denn das hatte sie nicht. Die Länder konnten nun doppelt so viele Bürger für ihre Heere einziehen. Die Kasseler Volksversammlung forderte deshalb am 23. September mit Schreiben an die Linke in der Nationalversammlung sowie an das kurhessische Justiz- und das Kriegsministerium, dass dann wenigstens die Kriegsartikel aufgehoben oder abgeändert werden sollten (Dok. 9). Die militärischen Ausnahmegesetze verweigerten Bürgern, kaum waren sie Soldaten geworden, Freiheitsrechte wie das Petitions- und Versammlungsrecht, unterwerfe sie dagegen einem demütigenden Reglement und barbarischen Strafen, die sie dann zu "willenlosen Knechten" der Reaktion erniedrigten, hieß es in den Appellen.

In Marburg kam es am 10. November 1848 zu einer Rekrutierungsverweigerung im Rathaus. Die ausgelosten Militärpflichtigen aus Marburg und Umland sangen vor der Kommission lauthals revolutionäre Lieder. Die Rekrutierung musste abgebrochen werden, auch weil sich der Oberbürgermeister weigerte, Polizei oder die Bürgergarde zu holen.

Zum Ende des Jahres 1848 setzte die Nationalversammlung aber nochmal ein Glanzlicht: die Verabschiedung der "Grundrechte des deutschen Volks" (Dok. 10). Ein starker Grundrechtekatalog nicht nur für die Zeit. Die 100 Volksschullehrer aus Oberhessen, die sich im Sommer 1848 zweimal in Marburg getroffen hatten, um auf ihre Notlage aufmerksam zu machen, sahen ihre Forderungen alle erfüllt: Sie wurden der kirchlichen Aufsicht und deren schlechter Bezahlung entzogen, sie sollten nun Staatsdiener werden. Nur zwei soziale Rechte haben Eingang in die Sammlung gefunden: die kostenlose Bildung für Unbemittelte und die Auswanderungsfreiheit mit dem Verbot von Abzugsgeldern. Manche Regel steht noch heute aus: die Trennung von Staat und Kirche etwa oder auch das Verbot aller Titel, die nicht mit einem Amt verbunden sind.

Objektive Darstellung der am 3. Juli auf der allgemeinen Turnerversammlung zu Hanau erfolgten Lossagung des demokratischen Turnerbundes von dem allgemeinen Turnerbunde
Objektive Darstellung der am 3. Juli auf der allgemeinen Turnerversammlung zu Hanau erfolgten Lossagung des demokratischen Turnerbundes von dem allgemeinen Turnerbunde
Objektive Darstellung der am 3. Juli auf der allgemeinen Turnerversammlung zu Hanau erfolgten Lossagung des demokratischen Turnerbundes von dem allgemeinen Turnerbunde

Objektiv, wie der Titel proklamiert, ist die Darstellung selbstverständlich nicht. Hier erzählen Vertreter der allgemeinen Ausrichtung wie es zur Abspaltung der demokratischen Ausrichtung im Turnerbund kam. Aber sachlich ist die Erzählung schon.

Aufgabe: Diskutieren Sie bitte die Streitfrage, die sich den Turnern 1848 stellte: Wann, wenn überhaupt, muss sich ein Sportverein eindeutig politisch positionieren (Dok. 1)?

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Erklärung den Austritt einer Minorität aus dem bisherigen hiesigen Turnverein betreffend
Erklärung den Austritt einer Minorität aus dem bisherigen hiesigen Turnverein betreffend

In Marburg entscheidet sich am 10. Juli 1848 eine Mehrheit für das demokratische Bekenntnis in der Vereins-Satzung. Die Minderheit, die einen neuen Verein gründet, erklärt, sie wolle "Andersdenkenden die Wohltat der Turnbildung nicht entziehen".

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Petition zum kurhessischen Wahlrecht
Petition zum kurhessischen Wahlrecht

Das aktive wie passive Wahlrecht solle auf mindestens 25-jährige ehrenhafte und direkte Steuern zahlende Männer erweitert werden, fordert der Marburger Volksrat von der Ständeversammlung in Kassel. 

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Grundsätze zum kurhessischen Wahlrecht
Grundsätze zum kurhessischen Wahlrecht

Männer, die es nicht wenigstens in den Mittelstand geschafft haben, sollen nicht wählen, meint v. Sybel vom Vaterländischen Verein in Marburg.

Aufgabe: Vergleichen und kritisieren Sie bitte die Wahlrechtsvorschläge des Marburger Vaterlandsvereins und der Kasseler Volksversammlung für die Wahlen zum kurhessischen Landtag (Dok. 4 und 5).

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Petitionen zum kurhessischen Wahlrecht an das Innenministerium und den Landtag
Petitionen zum kurhessischen Wahlrecht an das Innenministerium und den Landtag
Petitionen zum kurhessischen Wahlrecht an das Innenministerium und den Landtag
Petitionen zum kurhessischen Wahlrecht an das Innenministerium und den Landtag

Lediglich Altergrenzen wünscht sich die Volksversammlung in Kassel für das Männerwahlrecht zum kurhessischen Landtag: 25 Jahre für das aktive und 30 Jahre für das passive.

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Aufruf an die Wähler in Kurhessen
Aufruf an die Wähler in Kurhessen
Aufruf an die Wähler in Kurhessen

Der von gemäßigten Demokraten gegründete Verein für Volksrechte veröffentlichte im Mai 1849 Wahlprüfsteine für die Wahlen zum kurhessischen Landtag. Dazu gehörte auch die Reform des neuen kurhessischen Wahlgesetzes: Beschränkungen der Wahlberechtigung sowie das Vorrecht der Höchstbesteuerten sollten fallen. 

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Die deutsche Königswahl
Die deutsche Königswahl

Der Marburger Anwalt Karl Sternberg teilt das noch nicht bestehende deutsche Reich schon mal in zwei Teile.

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An das deutsche Volk!
An das deutsche Volk!

Die Demokraten, die sich gerade länderübergreifend organisieren, versuchen die Bevölkerung für eine alternative Nationalversammlung zu mobilisieren. Anlass ist die Einsetzung des Reichsverwesers. Das wird als Selbstentmachtung des Parlaments angesehen und stellt nach Ansicht der Demokraten die Legitimität der Nationalversammlung in der aktuellen Zusammensetzung in Frage.

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Aufhebung der Kriegsartikel!!!
Aufhebung der Kriegsartikel!!!
Aufhebung der Kriegsartikel!!!
Aufhebung der Kriegsartikel!!!
Aufhebung der Kriegsartikel!!!
Aufhebung der Kriegsartikel!!!
Aufhebung der Kriegsartikel!!!

In einer außerordentlichen Sitzung beschloss die Kasseler Volksversammlung am 21. September 1848 eine Kampagne gegen die militärische Sondergesetzgebung. Es folgte ein öffentlicher Aufruf, eine Petition an die Ständeversammlung, Eingaben an das kurfürstliche Kriegs- und Justizministerium und eine Adresse an die Linke in der Nationalversammlung.  

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Die Grundrechte des deutschen Volkes
Die Grundrechte des deutschen Volkes
Die Grundrechte des deutschen Volkes
Die Grundrechte des deutschen Volkes
Die Grundrechte des deutschen Volkes

Ende 1848 beschloss die Nationalversammlung die Grundrechte des deutschen Volkes in neun Artikeln. Prinzipiell galten die umgehend in allen deutschen Ländern, aber real nur dort und so weit die Landesfürsten sie gut fanden.

 

Aufgabe: Vergleichen Sie bitte "Die Grundrechte des deutschen Volks", die am 28. Dezember 1848 in Kraft traten, mit dem Grundrechtekatalog des heutigen Grundgesetzes und beurteilen die Unterschiede. Achten Sie auf die Regelungen, die ausdrücklich außer Kraft gesetzt wurden. Machen Sie sich also ein Bild davon, was vor der Einführung der Grundrechte möglich und wirklich war.

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Gegenrevolution
Gegenrevolution

Selbstverständlich begann die Gegenrevolution mit den ersten Zugeständnissen der Fürsten, denn diese dienten der Einhegung der Revolution. Und mit den ersten Zugeständnissen begannen die Versuche, diese wieder rückgängig zu machen. Auch Kurfürst Friedrich Wilhelm I. tauschte wenige Wochen nach ihrer Einsetzung erste "Märzminister" wieder aus, bis er das wieder zurücknehmen musste. Es war ein testendes Sticheln. Mehr als Sticheln, nämlich ein großer Sieg der Gegenrevolution, war die Einnahme Wiens Anfang November 1848, gefolgt von der standrechtlichen Erschießung des herbeigeeilten Abgeordneten der Nationalversammlung Robert Blum. Blum war Fraktionsführer der Demokraten, aber die Tat, mit der die Täter prahlten, wurde als das verstanden, was es war, eine Machtdemonstration gegenüber dem Parlament in Frankfurt. Der liberale Kasseler Bürgerverein sandte deshalb eine Solidaritätsadresse an die Nationalversammlung (Dok. 1). Ende November gab es in Kassel eine Trauerfeier (Dok. 2), in Marburg organisierten Studenten eine musikalisch-deklamatorische Abendunterhaltung, deren Erlös an die Hinterbliebenen von Robert Blum gehen sollte (Dok. 3).

Die Verfassung, die die Nationalversammlung Ende März 1849 verabschiedete, war mit ihrem gesetzgebenden Zweikammermodell (die zweite Kammer für die Landesfürsten) und einem Kaiser als Regierungsoberhaupt nicht gerade das, was Demokraten oder Sozialisten begeistern konnte. Als aber die großen Länder, also Preußen, Sachsen, Bayern und Hannover, nicht unterzeichnen wollten und damit drohten, dass alles zurückgedreht wird, rief die äußerste Linke der Nationalversammlung dazu auf, Wehrausschüsse zu bilden und sich ein Beispiel an den Pfälzern zu nehmen, die bereits einen bewaffneten Kampf begonnen hatten (Dok. 4). Solche Aufrufe gingen nun durchs ganze Land und wurden nicht nur von Demokraten getragen (Dok. 5, 6, 7). Ein Kasseler Aufruf forderte die kurhessischen Soldaten auf, für die deutsche Reichsverfassung zu kämpfen; unterzeichnet auch vom Bürgerverein und vom Verein der selbständigen Gewerbetreibenden. Der Marburger Wehrausschuss rief für den 20. Mai in den umliegenden Ortschaften zu Volksversammlungen auf (Dok. 8).

Die Stadt Marburg kaufte zur Verteidigung der Verfassung 200 gestreckte Sensen und lagerte sie im Rathaus ein. Es war geplant, mit den Hanauer Turnern die Aufständischen in Baden zu unterstützen. Anfang Juni machten sich zwar gut 30 Handwerksgesellen, Eisenbahnarbeiter und Studenten in Richtung Baden auf, kehrten aber kurz darauf zurück, um Verstärkung aus Nordhessen abzuwarten, die jedoch nicht kam. Die Hanauer Turner zogen allein nach Baden, wo der Aufstand Ende Juni von preußischen, bayerischen und kurhessischen Truppen niedergeschlagen wurde. Der gemeinsame Volksrat von Hanau und Marburg lud Vertreter aus allen kurhessischen und darmstädtischen Orten zur Besprechung am 23. Juni 1849 (Dok. 9). Doch das Treffen der 67 Vertreter in Marburg stand bereits unter Aufsicht der Obrigkeit.

Im Grunde war die Revolution zu dem Zeitpunkt längst am Ende. Die Reaktion brauchte nur noch ausfegen. Aber das zog sich in Kurhessen hin. Denn zum einen hatte das Land eine liberale Verfassung, und zum anderen gehörte es zu den 28 Ländern, die die Reichsverfassung akzeptiert hatten. Als Kurhessen dem Dreikönigsbündnis (Preußen-Sachsen-Hannover) beitrat und Anfang 1850 "Reichstagswahlen" mit Wahlpflicht angesetzt wurden, gab es entsprechend Boykottaufrufe. Diese Wahl verstoße gegen die gültige Reichsverfassung und sei damit Hochverrat, unterschrieben mehr als 30 Marburger Bürger (Dok. 10). Faktisch war die Reichsverfassung mit dem Bündnisbeitritt auch in Kurhessen Geschichte.

Die kurhessische Verfassung wollte Friedrich Wilhelm I. - wie bereits im Vormärz praktiziert - aushebeln, ohne sie abzuschaffen. Die Suche nach geeignetem Personal zog sich hin, bis im Februar 1850 wieder Ludwig Hassenpflug die Regierungsgeschäfte übernahm. Und der brach einen Streit über die Steuererhebung mit dem Landtag vom Zaun, der dazu führte, dass dieser die Bewilligung versagte. Das übliche Procedere der Auflösung des Landtags und seine Neuwahl machte die Opposition nur noch stärker (Dok. 11). Friedrich Wilhelm I. versuchte es nun mit einer Steuer-Notverordnung. Die Verwaltung setzte die Verordnung aber nicht um, weil sie diese für verfassungswidrig hielt. Das Oberappellationsgericht sah das genauso und erklärte die Verordnung für nichtig. Der Kurfürst verhängte nun das Kriegsrecht und zwang die Offiziere der kurfürstlichen Armee, sich zwischen ihrem Eid auf ihn und den auf die Verfassung zu entscheiden: Von 277 Offizieren reichten bis zum 12. Oktober 1850 241 (87 Prozent) Entlassungsgesuche ein. Der Kurfürst floh nach Frankfurt und bat den Deutschen Bund um Hilfe, und der schickte bayerische Truppen (Dok. 12). Und mit deren Hilfe wurde auch in Kurhessen der Raum der Möglichkeiten bis auf weiteres geschlossen.

Wer irgendwie an der Revolution beteiligt war, bekam bayerische Soldaten zur Strafe einquartiert. Es gab Amtsenthebungen, Versetzungen aber auch Festnahmen und Prozesse. Wem eine Festnahme drohte, floh. Karl Theodor Bayrhoffer ging nach Amerika.

Solidaritätsadresse an die Nationalversammlung
Solidaritätsadresse an die Nationalversammlung

Die Liberalen Kassels kündigen an, das deutsche Parlament gegen das ungesetzliche Vorgehen der Reaktion verteidigen zu wollen; gegen die "Anarchie" selbstverständlich auch.

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Rede am Trauerfeste für Robert Blum und die gefallenen Wiener
Rede am Trauerfeste für Robert Blum und die gefallenen Wiener
Rede am Trauerfeste für Robert Blum und die gefallenen Wiener
Rede am Trauerfeste für Robert Blum und die gefallenen Wiener

Trauerfeiern für Robert Blum gab es in allen deutschen Ländern. In Kassel warnte der Demokrat Gottlieb Kellner vor der slawischen Barbarei und rief zum Kampf auf. Dieses Feindbild spielte darauf an, dass der größte Teil der kaiserlichen Truppen, die Wien eingenommen hatten, aus slawischen Soldaten bestand.

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Musikalisch-deklamatorische Abendunterhaltung zum Besten der Hinterlassenen Robert Blum's
Musikalisch-deklamatorische Abendunterhaltung zum Besten der Hinterlassenen Robert Blum's
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Aufruf zur Verteidigung der Reichsverfassung
Aufruf zur Verteidigung der Reichsverfassung

Aus der Nationalversammlung wird die deutsche Bevölkerung zu den Waffen gerufen. Es gelte, "Eure Freiheit gegen die Angriffe der Fürsten zu schützen".

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Aufruf an Fulda's Jugend
Aufruf an Fulda's Jugend

In Fulda - wie an vielen anderen Orten - rufen Turnvereine zu den Waffen.

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Aufruf an die Demokraten Kurhessens
Aufruf an die Demokraten Kurhessens

Die kurhessischen Demokraten rufen dazu auf, den Hanauer Turnern nach Baden zu folgen, wo bereits gekämpft wird.

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Aufruf an die kurhessischen Krieger! Soldaten! Brüder!
Aufruf an die kurhessischen Krieger! Soldaten! Brüder!

Ein breites Bündnis Kasseler Vereine fordert die Soldaten der kurhessischen Armee auf, für die Reichsverfassung zu kämpfen, die in Kurhessen seit dem 8. Mai 1849 Gültigkeit hat.

 

Aufgabe: Welche Erwartung werden in diesem Aufruf an Soldaten (Dok. 7) zum Ausdruck gebracht? Sind diese Erwartungen Ihrer Ansicht nach realistisch gewesen und könnten sie es heute sein?

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Volksversammlungen
Volksversammlungen

In den umliegenden Dörfern lädt der Marburger Wehrausschuss zu Volksversammlungen. Das weitere Vorgehen zur Verwirklichung der Reichsverfassung soll besprochen werden.

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Aufruf an Stadt und Land
Aufruf an Stadt und Land

Zu dem Treffen am 23. Juni erschienen tasächlich noch 67 Vertreter aus hessischen Orten in Marburg und diskutierten Mittel und Wege, die deutsche Reichsverfassung zu verwirklichen. 

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Aufruf zum Wahlboykott
Aufruf zum Wahlboykott

Marburger Bürger werfen dem Kurfürsten Hochverrat vor - indirekt. Der war dem reaktionären Dreikönigsbündnis beigetreten, was der in Kurhessen gültigen Reichsverfassung eindeutig widersprach.

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Hornisse gegen Hassenpflug
Hornisse gegen Hassenpflug
Hornisse gegen Hassenpflug

In zwei Artikeln beschäftigt sich das satirische Wochenblatt "Die Hornisse. Zeitung für hessische Biedermeier" mit dem kurhessischen Steuerstreit. Friedrich Wilhelm I. wird vorgeworfen, sich mit einem Verbrecher, nämlich seinem Regierungschef Hassenpflug, zu umgeben. Hintergrund der Anspielung ist eine erstinstanzliche Verurteilung wegen Urkundenfälschung und Veruntreuung von Staatsgeldern im Zusammenhang seiner vorangegangenen Tätigkeit in Greifswald.

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Bundestruppen rücken in Kurhessen ein
Bundestruppen rücken in Kurhessen ein

Der Kurfürst begründet, weshalb er um Truppen des Deutschen Bundes bitten musste, die nunmehr in Kurhessen einmarschieren: die verfassungswidrige Steuerverweigerung der Ständeversammlung und die "Renitenz Unserer Behörden, durch welche auch eine große Zahl Unseres Offizier-Corps sich beirren ließ". Er verspricht, von seinen treuen Untertanen jeden Nachteil möglichst abzuwenden. Diese dezente Drohung an die untreuen Untertanen machte er alsbald wahr.

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