Die Republik von Weimar. Demokratie ohne Demokraten?
Die Republik von Weimar. Demokratie ohne Demokraten?

Editorische Vorbemerkung: Die DigAM-Dokumentation "Die Republik von Weimar. Demokratie ohne Demokraten?" ist die erweiterte Online-Version des gleichnamigen Quellenheftes von Reinhard Neebe aus der Reihe "TEMPORA Quellen zur Geschichte und Politik", Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1987, Nr. 490250.  Die Internet-Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Klett-Verlags.   

Einführung

Die Frage nach den Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik gehört zu den Grundfragen der deutschen Geschichte, und sie steht zu Recht in einem Mittelpunkt des historischen und politischen Interesses. Die Geschichte der er­sten deutschen Demokratie zwischen 1918 und 1933 darf dabei allerdings nicht auf eine bloße „Vorgeschichte” der Machteroberung Hitlers am 30. Januar 1933 reduziert werden. Die Weimarer Republik war trotz aller besonderen Belastungen nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Jene Epoche, die mit einer Weichenstellung von weltpolitischer Tragweite endete, stand im Schnittpunkt von zwei gegensätzlichen Entwicklungssträngen der deut­schen und europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, nämlich einer liberal-parlamentarischen, demokratischen Traditionslinie einerseits und einer obrigkeitsstaatlichen, vorbürgerlich-feudalen Kontinuität andererseits. Der Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland war in diesem Sinne nicht nur im Selbst­verständnis des „Dritten Reiches” zugleich auch die erfolgreiche Gegenrevolution gegen die Grundideen der Aufklärung und der bürgerlichen Revolutionen, also gegen Demokratie, Parlamentarismus, Liberalismus und Legalität.

Gewiß waren die Rahmenbedingungen für die Weimarer Demokratie vergleichs­weise ungünstig: Die Republik hatte die wirtschaftliche und politische „Erblast” der nicht akzeptierten militärischen Niederlage des kaiserlichen Deutschland im Ersten Weltkrieg zu tragen, und sie war durch den als „Diktat” empfundenen Frie­densschluß von Versailles und die Tributzahlungen" der Reparationen innen- und außenpolitisch gehandicapt. Sie sah sich ferner mit den Problemen des rapiden sozialen Wandels im Übergang zwischen einer nach wie vorvorindustriell gepräg­ten Gesellschaft zur modernen Industriewirtschaft konfrontiert, und sie operierte vor dem Hintergrund der langfristigen ökonomischen Stagnationsperiode der Zwischenkriegszeit mit dem säkularen Ereignis der Weltwirtschaftskrise in den Jahren zwischen 1929 und 1933.

Gleichwohl waren die wirtschaftlichen und politischen „Zwangslagen” nicht so, daß der Sieg Hitlers schließlich unabwendbar gewesen ist. Obwohl andere Länder von der Weltwirtschaftskrise gleichermaßen, teilweise sogar noch stärker, betrof­fen waren, blieb Deutschland der einzige hochentwickelte Industriestaat, in dem sich der Faschismus durchsetzen konnte. Auch die Weimarer Demokratie hatte in den Jahren der Großen Krise zu Beginn der 30er Jahre noch ihre Chance.

Die vorliegende Quellenzusammenstellung sieht es als eine wesentliche Aufgabe an, neben der Darstellung von „Zwangslagen” auch deutlich zu machen, wo „Handlungsalternativen und Handlungsspielräume” gegeben waren. Dabei ist vor allem zu fragen, wie die Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die vorhandenen Spielräume innerhalb vorgegebener Strukturen und Pro­zesse nutzten, wo also auch persönliche Verantwortung für Erfolg oder Mißerfolg der Weimarer Demokratie und den deutschen „Sonderweg” in der Krise benannt werden muß.

Diesem Frageansatz folgend, liegt ein besonderer Schwerpunkt des Quellenma­terials in der Ära der Präsidialkabinette 1930 -1933. In dieser Zeit wurde der Natio­nalsozialismus zur Massenbewegung, und hier vollzog sich die stufenweise Durchbrechung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar (Kap. IV), die eine wesentliche Voraussetzung für die Errichtung der faschistischen Diktatur bildete. In diesen Jahren fielen auch die grundlegenden Entschei­dungen, die Hitler den Weg in die Reichskanzlei schließlich möglich machten (Kap. V–VI). Breiter dokumentiert sind ferner die politischen, wirtschaftlichen und ge­sellschaftlichen Rahmenbedingungen: Dies bezieht sich zunächst auf die Grundlagen des Weimarer „Systems” (Verfassungsordnung – Machtverhältnisse) und die entscheidenden Weichenstellungen 1918/19 bis 1924/25, dem Beginn der relativen Stabilisierung (Kap. 1 und II). Grundprobleme der Sozialstruktur und des sozialen Wandels werden vor allem in Kap. III aufgegriffen. Im Sinne eines Per­spektivenwechsels soll hier auch „Betroffenheit” im Alltag unterschiedlicher sozialer Gruppierungen aufgezeigt werden. Gleichwohl dominiert die „große" Geschichte. Dies ist aber notwendig, wenn die zentralen Fragen nach den Ursachenzusammenhängen des 30. Januar 1933 überhaupt angesprochen werden sollen. Ein besonderes inhaltliches Anliegen ist schließlich, deutlich zu machen, daß ent­scheidende innenpolitische Weichenstellungen in Deutschland ohne den Wech­selbezug mit den Veränderungen des internationalen Systems der Zwischen­kriegszeit nicht hinreichend zu verstehen sind. Die Weimarer Außenpolitik (zur Grundproblematik ausführlicher Kap. II, Einleitung S.28) wird deshalb auch nicht separat dokumentiert, sondern sie bleibt eingebettet in den jeweiligen politischen Gesamtkontext (Abschnitte Kap. 1.3, 11.2, IV.2, V.2/3, VI.1 u. a.)

Als grundsätzliches Problem bleibt, daß alle komplexeren und z.T. tiefer in die Geschichte hineinreichenden Wirkungszusammenhänge nur schwer im Rahmen einer Quellenzusammenstellung für die Sekundarstufe 11/Kollegstufe zu doku­mentieren sind. Gleichwohl hat dieser Aspekt für die Herausarbeitung von über-greifenden Interpretationsmodellen und Theorien über das Scheitern von Weimar und die Ursachen des Nationalsozialismus grundlegende Bedeutung. Die Auto­rentexte zu Beginn der jeweiligen Hauptkapitel sollen diese Dimension, auch in bezug auf zentrale Punkte der Forschungsdiskussion, zumindest andeuten.

Zur Benutzung des Quellenheftes [bzw. der Online-Dokumentation] abschließend noch einige orientierende Hinweise: Die Auswahl und Zusammenstellung der Materialien ist so erfolgt, daß die selbständige Erarbeitung übergeordneter systematischer Zusammenhänge auch quer zu den jeweiligen Kapitelgliederungen gutmöglich ist. Die Thematik Soziale Schichtung und Mentalität (Kap. III.2) z. B. kann konkretisiert werden anhand verschiedener Quellen zum Wählerverhalten und seiner Interpretation (Kap. IV.4 u. a.). Oder etwa die Frage nach den Problemen der Verfassungsstruktur (Art. 48 WRV) ist in ihrer tatsächlichen Dimension zu erschließen aus einer Kombination der Basisinformationen (Kap. 1.2) einerseits und der zeitgenössischen Debatten und Politikstrategien 1929 ff. (vor allem Kap. IV.4) andererseits. Personenbezogene Querverbindungen zwischen den verschiedenen Texten und Sachzusammen­hängen lassen sich mit Hilfe der Kurzbiographien bzw. des Personenregisters (S.127-130) ohne Mühe herstellen. Die Materialien im Anhang (Reichstags­wahlen, Parteien, Kabinette, Karten) sowie die Zeittafel, die auf die im Heft dokumentierten Texte unmittelbar Bezug nimmt, sollen im übrigen den selbständigen Umgang mit dem Thema „Weimar” erleichtern. Diesem Zweck dient nicht zuletzt auch das thematische Stichwortverzeichnis am Schluß des Quellenheftes.

 

 

Politische Weichenstellungen 1918/19
Politische Weichenstellungen 1918/19

Der Übergang vom Kaiserreich zur Republik war durch ein beträchtliches Maß an Kontinuität gekennzeichnet. Der neuen„ revolutionären" Regierung unter der Füh­rung des Sozialdemokraten Friedrich Ebert wurde die politische Macht vom letzten kaiserlichen Reichskanzler übertragen, und auch Bürokratie und Staatsverwal­tung führten die Geschäfte ohne Unterbrechung weiter fort. Schon den Zeitgenossen war fraglich, ob für die Verschiebung der Machtverhält­nisse, wie sie sich 1918/19 ereignete, der Begriff „Revolution" tatsächlich ange­messen war. Wenn überhaupt, dann war es eher eine „Revolution von oben", ange­ordnet von der „Obersten Heeres-Leitung" (OHL), die so die Verantwortung für die militärische Niederlage auf die neue politische Führung und das Parlament ab­wälzen wollte. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß der Übergang zur parlamentarischen Regierungsform im Oktober 1918 noch vor Ende des Kaiser­reichs von den Mehrheitsfraktionen des Reichstags aus eigener Initiative ein­geleitet wurde.
Zu den umstrittensten Punkten in der Diskussion über die Novemberereignisse gehört die Frage, welchen Spielraum die Räteregierung besaß und ob die Führer der Mehrheitssozialdemokratie 1918/19 nicht die Chance zu einer grundlegenden Veränderung der überkommenen Machtverhältnisse ungenutzt verstreichen lie­ßen. Das Bündnis zwischen Ebert und der OHL ebenso wie die Vereinbarung über die „Zentralarbeitsgemeinschaft" vom November 1918 steckten bereits die Eck­punkte des Weimarer Kompromisses ab: Verzicht auf Sozialisierung gegen An­erkennung der Gewerkschaften und Ausbau der Sozialpolitik, Verzicht auf radi­kalen Eingriff in die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und Staatsorganisation gegen Anerkennung der politischen Führung durch Volksvertretung bzw. Mehrheitssozialdemokratie.
Die 1919 geschaffene Weimarer Reichsverfassung bestand in ihrem Kern aus einer Verknüpfung von Präsidialverfassung und parlamentarischer Verfassung. Ein Hauptproblem der Machtverteilung in der Weimarer Verfassung lag in der schwierigen Stellung des Reichskanzlers und der Reichsminister in ihrer doppel­ten Abhängigkeit vom Reichspräsidenten und vom Parlament. Es wäre aberfalsch, hier ein ursächliches Moment für die spätere stufenweise Durchbrechung der Verfassung zu sehen (vgl. Kap. IV, S. 68ff.). 1919 war völlig unstrittig, dass  der Artikel 48 niemals zu einer außerordentlichen Gesetzgebungskompetenz des Reichs­präsidenten zu verwenden war, wie dies zuerst 1923 und dann seit 1930 regelmäßig durch Notverordnungen geschah.
Ein außenpolitischer Handlungsspielraum bestand 1918/19 zu Beginn der Repu­blik noch nicht. Der im Juni 1919 unterzeichnete Versailler Vertrag war ein Diktat der alliierten Sieger. Der Versuch der Sieger, die Stellung des Deutschen Reiches als die einer geschlagenen Nation minderen Rechts in dem neuen „Weltsystem d ei Entente" auf Dauer zu fixieren, war allerdings sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht bereits vom Ansatz her problematisch Die Revision dieses „Versailler Systems" stand im Mittelpunkt der gesamten Weimarer Außenpolitik zwischen 1919 und 1932/33.

 

Über die Ursachen der Niederlage äußerte sich Major Erich Frhr. von dem Bussche im Auftrag der OHL vor den Parteiführern des Reichstages am 2.10.1918
Über die Ursachen der Niederlage äußerte sich Major Erich Frhr. von dem Bussche im Auftrag der OHL vor den Parteiführern des Reichstages am 2.10.1918

1.1. Das Ende des Kaiserreichs und die machtpolitischen Grundlagen der Republik


Die Frage, wer für den verlorenen Krieg die Verantwortung zu tragen habe, spielte in den innenpolitischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik eine zentrale Rolle. Ende September 1918 mußte die Oberste Heeresleitung (OHL) ein­gestehen, daß der Krieg militärisch nicht mehr zu gewinnen war. General Luden­dorff wies die Schuld der politischen Linken zu, die einen „Dolchstoß" in denRücken der kämpfenden Truppe geführt habe.

Über die Ursachen der Niederlage äußerte sich Major Erich Frhr. von dem Bussche im Auftrag der OHL vor den Parteiführern des Reichstages am 2.10.1918


:... Unsere Truppen haben sich in überwiegender Zahl vortrefflich geschlagen und Übermenschliches geleistet. Der alte Heldensinn ist nicht verlorengegan­gen. Die feindliche Übermacht hat die Truppe nicht erschreckt. Offiziere und Mann wetteiferten miteinander. Trotzdem mußte die Oberste Heeresleitung den ungeheueren schweren Entschluß fassen, zu erklären, daß nach mensch­lichem Ermessen keine Aussicht mehr besteht, dem Feinde den Frieden aufzu­zwingen.
Entscheidend für diesen Ausgang sind vor allem zwei Tatsachen: die Tanks. Der Gegner setzte sie in unerwartet großen Mengen ein. Wo sie ... über­raschend auftraten, waren ihnen häufig die Nerven unsrer Leute nicht mehr gewachsen. Dort brachen sie durch unsre vordersten Linien durch, bahnten ihrer Infanterie den Weg, erschienen im Rücken, erzeugten örtliche Paniken und brachten die Gefechtsführung durcheinander ... lediglich aus den Erfol­gen der Tanks sind die hohen Gefangenenzahlen, die unsre Stärken so emp­findlich herabsetzten und einen schnelleren Verbrauch der Reserven, als bisher gewohnt, herbeiführten, zu erklären. Dem Feind gleiche Massen deutscher Tanks entgegenzustellen, waren wir nicht in der Lage. Sie herzustellen, ging über die Kräfte unsrer aufs äußerste angespannten Industrie, oder andre, wichtigere Dinge hätten liegen bleiben müssen.
Restlos entscheidend ist die Ersatzlage geworden ... Der Feind ist durch die amerikanische Hilfe in der Lage, seine Verluste zu ersetzen. Die amerika­nischen Truppen als solche sind nicht von besonderem Wert oder gar den uns­rigen überlegen. Wo sie durch Masseneinsatz anfänglich Erfolge erzielten, wurden sie trotz ihrer Übermacht abgewehrt. Entscheidend wurde aber, daß sie weite Frontstrecken übernehmen konnten und dadurch dem Engländer und Franzosen die Möglichkeit gaben, einige kampfgewohnte Divisionen frei­zumachen und sich fast unerschöpfliche Reserven zu schaffen. Bis jetzt reich­ten unsere Reserven aus, um die Lücken zu füllen... Nun gehen unsere Reser­ven zu Ende.


Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918, hg. vom Auswärtigen Amt und vom Reichsministerium des Innern, Berlin 1928, S. 66ff.

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Zur Einleitung der Waffenstillstandsverhandlungen notierte Prinz Max von Baden am 16. 10. 1918
Zur Einleitung der Waffenstillstandsverhandlungen notierte Prinz Max von Baden am 16. 10. 1918

Am Abend des 3.10.1918 wurde der badische Thronfolger Prinz Max von Baden (1867-1929) zum neuen Reichskanzler ernannt. Er erhielt die Unterstützung der Mehrheitsparteien im Reichstag (SPD, Zentrum, Fortschrittliche Volkspartei), die auch Staatssekretäre in die neue Regierung entsandten.

Zur Einleitung der Waffenstillstandsverhandlungen notierte Prinz Max von Baden am 16. 10. 1918:

Die militärische Lage hat uns auf Verlangen der Obersten Heeresleitung uner­wartet genötigt, am 5. Oktober1 hastiges Ersuchen um Waffenstillstand an den Präsidenten der Vereinigten Staaten2 u richten. Dieser Schritt kam einer Kapitulation gleich und ist von unseren Feinden wie auch im neutralen Aus­land nicht anders als militärische Bankerotterklärung aufgefaßt worden. Für den Schritt trägt die Oberste Heeresleitung ebenso wie für seine Folgen die Verantwortung; sie hat die militärische Lage als aussichtslos bezeichnet; der politischen Leitung bleibt daher nur übrig, die Konsequenzen zu ziehen.

Die Regierung des Prinzen Max von Baden, bearb. von Erich Matthias und Rudolf Morsey, Düssel­dorf 1962, S. 216

1 Die Note war am 3.10.1918 datiert und ging tatsächlich am Nachmittag des 4. Oktober von Bern nach Washington ab. 

2 Der amerikanische Präsident Wilson hatte am 8.1.1918 vor dem Kongreß in Washington „14 Punkte“ als Richtlinien für den Weltfrieden formuliert und entwickelte diese in mehreren Reden, zuletzt am 27.9.1918 in New York, weiter. Wilsons Grundsätze gipfelten in den Begriffen einer „Herrschaft des Rechts und der Demokratie überall“, des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ und einer „unparteiischen Gerechtigkeit und Gleichberechtigung“ im Völkerleben.

 

 

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Die Revolution in Berlin am 9. November 1918. Augenzeugenbericht von Friedrich Glum
Die Revolution in Berlin am 9. November 1918. Augenzeugenbericht von Friedrich Glum

Das Ende der Monarchie in Deutschland wurde durch die Weigerung der Kieler Matrosen eingeleitet, zu der von der Marineleitung eigenmächtig angeordneten letzten „Todesfahrt" gegen die englische Flotte auszulaufen. Die am 30. Oktober beginnenden Unruhen griffen von den Küstenstädten bald auf Berlin über, wo die sich spontan konstituierenden Arbeiter- und Soldatenräte als wichtigste politi­sche Forderung die Abdankung des Kaisers erhoben.


Die Revolution in Berlin am 9. November1918. Augenzeugenbericht von Friedrich Glum:
                           
Am Vormittag des 9. November bummelte ich durch die Hauptstraßen, die Linden und die Wilhelmstraße. Endlose Züge von Arbeitern und Arbeiterin­nen bewegten sich, von Süden kommend, durch die Stadt. Sie trugen Schilder ihrer Fabriken: Schwartzkopf, Borsig, Knorrbremse usw. Sie trugen weder Fahnen, noch sangen sie. Sie kamen mit ruhigen und langsamen Schritten. Sie hatten nichts Wildes, Revolutionäres in ihren Zügen. Es waren Väter und Großväter, Mütter und Töchter, Arbeiter, die nichts anderes wollten als Frie­den. Aber in ihrem Tritt lag etwas Zwingendes. Der Krieg hatte aufzuhören. Die große Masse war auf die Straße gegangen, um dies zu demonstrieren. Man sah wenig Schutzleute und so gut wie kein Militär. Gegen Mittag wurden 10 Extrablätter verteilt, in denen der Prinz Max von Baden die Abdankung des Kaisers1 und des Kronprinzen2 bekanntgab und mitteilte, daß er sein Amt demAbgeordneten Ebert übergeben habe. Ich kehrte in das Landratsamt zurück. Als ich dies kurze Zeit darauf verließ, um nach Hause zu fahren und meine Frau zu benachrichtigen, sah ich, wie die Soldaten unseres Jägerbataillons ihre Gewehre in den Landwehrkanal warfen. Für sie war der Krieg zu Ende...
Arbeiter- und Soldatenräte wurden überall in Deutschland auf allen Ebenen, lokalen, städtischen, staatlichen, gebildet, auch zum Teil an der Front, die Offiziere des Kriegsministeriums wurden auf der Leipziger Straße insultiert, es wurden ihnen die Achselstücke abgerissen. Überall fuhren in offenen Autos Soldaten und Matrosen zusammen mit ziemlich übel aussehenden Zivilisten mit roten Kokarden an der Mütze und roten Fähnchen bewaffnet durch die Straßen, Flugblätter der verschiedenen Räte wurden verteilt, es gab einen Rat der Deserteure, auch einen Rat der Prostituierten. Verrückte Forderungen bis zu der Sozialisierung der Frauen wurden erhoben. Kurz gesagt: es schien ein ziemliches Chaos zu herrschen. In Nikolassee wurde eine Bürgerwehr gebil­det, um das Wasserwerk zu schützen, an der ich mich auch beteiligte.

Am Sonntag hatte sich das Bild gegenüber dem des Vormittags des 9. Novem­ber insofern verändert, als man die damals vereinzelt auftauchenden revolutio­nären Autos nun überall sah. Die Matrosendivision hatte ihr Hauptquartier im Marstallgebäude gegenüber dem Kgl. Schloß, zum Teil auch im Schloß selber, und man sah an vielen öffentlichen Gebäude Einschußstellen im Putz von Gewehren und Maschinengewehren. Der größere Teil der Bevölkerung aber ging spazieren, um sich anzusehen, inwieweit sich die Stadt verändert hatte...

Friedrich Glum, Zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Erlebtes und Erdachtes in vier Reichen, Bonn 1964, S. 176, S. 186f.


1Wilhelm II. (1859-1941) s. Kurzbiographien im Anhang - 2 Wilhelm (1882-1951) s. Kurzbio­graphien im Anhang

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Das Zusammengehen von Sozialdemokratie und OHL. Befehl des Generalfeldmarschalls von Hindenburg an das Deutsche Feldheer vom 10.11.1918
Das Zusammengehen von Sozialdemokratie und OHL. Befehl des Generalfeldmarschalls von Hindenburg an das Deutsche Feldheer vom 10.11.1918

Das Zusammengehen von Sozialdemokratie und OHL. Befehl des Generalfeldmarschalls von Hindenburg an das Deutsche Feldheer vom 10.11.1918:

An alle Heeresgruppen und Armeeoberkommandos und selbständige Stellen
des Großen Hauptquartiers.
1. Damit angesichts der dem Vaterlande durch den Bolschewismus drohenden Gefahr des Bürgerkrieges das Heer in Festigkeit und Ordnung in die Heimat zurückgeführt werden kann, sind alle Offiziere und Mannschaften moralisch verpflichtet, alle mit Recht bestehenden Gewissensbedenken bezüglich des Seiner Majestät dem Kaiser und König geleisteten Fahneneides zurückzustel­len und unvermindert ihre Pflicht zu tun zur Rettung der deutschen Lande aus größter Gefahr.
Aus demselben Grunde habe ich mich entschlossen, auf meinem Posten zu verharren und gemäß der mir mündlich gewordenen Weisung Seiner Majestät des Kaisers und Königs den Oberbefehl über das deutsche Feldheer über­nommen.
2. Nachdem die Bewegung zur Bildung von Soldatenräten in das Feldheer be­reits eingedrungen ist und meines Erachtens durch Widerstand nicht mehr 15 aufgehalten werden kann, ist es notwendig, diese Bewegung in die Hand der Offiziere zu bekommen.
Zu diesem Zweck sind bei allen Kompanien, Batterien, Eskadrons pp. Ver­trauensräte zu bilden...
Es wird sich empfehlen, die Vertrauensräte aus der freien Wahl von Offizieren und Mannschaften hervorgehen zu lassen und die Anzahl ihrer Mitglieder je nach den Verhältnissen in dem betreffenden Truppenteil zu bestimmen. Die Vertrauensräte sind zweckmäßig in allen wirtschaftlichen und sozialen Fragen zur engsten Mitarbeit von den Truppenbefehlshabern heranzuziehen, damit
die Ordnung im Heer aufrechterhalten wird. Die Führung der Truppen muß dabei jedoch fest in der Hand der Kommandobehörde bleiben...
3. Es kann bekanntgegeben werden, daß die OHL mit dem Reichskanzler Ebert, dem bisherigen Führer der gemäßigten sozialdemokratischen Partei, zusammengehen will, um die Ausbreitung des terroristischen Bolschewismus
so in Deutschland zu verhindern.
4. Die OHL hat den Reichskanzler gebeten, daß seitens der Regierung für das Feldheer die Beibehaltung der Rangabzeichen verfügt wird. Inzwischen muß es im Einzelfall dem Taktgefühl des Offiziers überlassen bleiben, derart zu handeln, daß Ausschreitungen der Mannschaften vermieden werden.
 gez. Hindenburg.

Zit. nach: G. A. Ritter/S. Miller, Die deutsche Revolution 1918-19, 2. erw. Aufl. Hamburg 1975, S. 99 f.

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Bekanntmachung der preußischen Regierung an Behörden und Beamte vom 12.11.1918:

Bekanntmachung der preußischen Regierung an Behörden und Beamte vom 12.11.1918:

Nachdem wir heute im Auftrage des Vollzugsrats des Arbeiter- und Soldaten­rats die Staatsleitung in Preußen übernommen haben, fordern wir sämtliche preußische Behörden und Beamte auf, ihre amtliche Tätigkeit fortzusetzen, um auch ihrerseits im Interesse des Vaterlandes zur Erhaltung der Ordnung
und Sicherheit beizutragen, wogegen ihnen ihre gesetzlichen Ansprüche unge­kürzt gewahrt bleiben sollen.
Die preußische Landesregierung.

Hirsch. Ströbel. E. Ernst. Braun. A. Hoffmann.

Reichsanzeiger Nr. 269 vom 13.11. 1918
zit. nach Ritter/Miller, Die deutsche Revolution, S. 100f.

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Erlaß der Reichsregierung vom 11.11.1918
Erlaß der Reichsregierung vom 11.11.1918

Die Tätigkeit der Reichsbehörden und der staatlichen Verwaltungen im Übergang vom Kaiserreich zur Republik wurde durch verschiedene Regierungserlasse geregelt.


Erlaß der Reichsregierung vom 11.11.1918:

Die Staatssekretäre und die Chefs der Reichsbehörden sind von der Reichs­regierung mit der vorläufigen Weiterführung der Geschäfte beauftragt wor­den. Das Eindringen unbefugter Personen in die Geschäftsräume der Reichs­behörden und die Übernahme amtlicher Geschäfte durch solche Personen ist
nicht gestattet.

Die Reichsregierung: Ebert, Haase.


Reichsanzeiger Nr. 268 vom 12.11.1918

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Erlaß des preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung 6 über den Geschichtsunterricht an die Provinzialschulkollegien und Regierungen, 15.11.1918:
Erlaß des preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung 6 über den Geschichtsunterricht an die Provinzialschulkollegien und Regierungen, 15.11.1918:

1. Wo bisher der Geschichtsunterricht mit anderen Lehrfächern dazu mißbraucht wurde, Volksverhetzung zu betreiben, hat solches in Zukunft unbedingt zu unterbleiben, vielmehr einer sachgemäßen kulturhistorischen Belehrung Platz zu machen. Alle tendenziösen und falschen Belehrungen über
den Weltkrieg und dessen Ursachen sind zu vermeiden.                                                 
2. Aus den Schulbibliotheken sind alle Bücher zu entfernen, welche den Krieg an sich verherrlichen.
3. In keinem Unterrichtsfache sind seitens der Lehrkräfte abfällige oder ent­stellende Bemerkungen über die Ursachen und Folgen der Revolution sowie der gegenwärtigen Regierung zu äußern, welche geeignet sind, bei der Schuljugend das Ansehen und die Errungenschaften dieser Volksbefreiung herab­zuwürdigen.
4. Es hat seitens der Schulleiter und Lehrer im Verkehr mit der Jugend alles zu unterbleiben, was geeignet ist, die Stimmung zu einer Gegenrevolution (besonders auf dem flachen Lande) zu schüren, da solches Vorgehen im jetzigen Augenblick die größte Gefahr eines Bürgerkrieges für unser Volk in sich birgt.                                                         5. Bis zum Erlaß über Trennung von Schule und Kirche sind Kinder von Dis­sidenten und solchen Andersgläubigen, für die ein Religionsunterricht im jetzigen Schulplan nicht vorgesehen ist, auf Antrag der Erziehungsberechtig- zo ten ohne jeden weiteren Nachweis vom Religionsunterricht zu befreien.


 Zit. nach: Ritter/Miller, Die deutsche Revolution, S. 278f.

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Aus der gemeinsamen Vereinbarung der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Berlin 15.11.1918:
Aus der gemeinsamen Vereinbarung der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Berlin 15.11.1918:
Aus der gemeinsamen Vereinbarung der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Berlin 15.11.1918:

Seit Oktober 1918 verhandelten führende Vertreter von Unternehmerseite (Hugo Stinnes) und von Seiten der Gewerkschaften (Carl Legien) über die Grundlagen einer „organischen Zusammenarbeit" im Rahmen der bestehenden Wirtschafts­ordnung. Am 15.11.1918 wurde die „Zentralarbeitsgemeinschaft" (ZAG) zwischen
den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften gegründet.

 

Aus der gemeinsamen Vereinbarung der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Berlin 15.11.1918:

Die großen Arbeitgeberverbände vereinbaren mit den Gewerkschaften der Arbeitnehmer das folgende:
1. Die Gewerkschaften werden als berufene Vertretung der Arbeitschaft aner­kannt.
2. Eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit der Arbeiter und Arbeiterinnen 5 ist unzulässig...
6. Die Arbeitsbedingungen für alle Arbeiter und Arbeiterinnen sind entspre­chend den Verhältnissen des betreffenden Gewerbes durch Kollektivverein­barungen mit den Berufsvereinigungen der Arbeitnehmer festzusetzen....
7. Für jeden Betrieb mit einer Arbeiterschaft von mindestens 50 Beschäftigten 10 ist ein Arbeiterausschuß einzusetzen, der diese zu vertreten und in Gemeinschaft mit dem Betriebsunternehmer darüber zu wachen hat, daß die Verhältnisse des Betriebes nach Maßgabe der Kollektivvereinbarung geregelt werden....
9. Das Höchstmaß der täglichen regelmäßigen Arbeitszeit wird für alle Betrie­be auf 8 Stunden festgesetzt. Verdienstschmälerungen aus Anlaß dieser Ver­kürzung der Arbeitszeit dürfen nicht stattfinden.
10. Zur Durchführung dieser Vereinbarungen sowie zur Regelung der zur Demobilisierung, zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens und zur Siche­rung der Existenzmöglichkeit der Arbeitnehmerschaft, insbesondere der schwer Kriegsbeschädigten, zu treffenden weiteren Maßnahmen wird von den beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen ein Zentralaus­schuß auf paritätischer Grundlage mit beruflich gegliedertem Unterbau errichtet...

zit. Nach: Ritter/Miller, Die deutsche Revolution, S.237f.

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Über die historische Bedeutung der Zentralarbeitsgemeinschaft urteilte einer der Mitbegründer, Hans von Raumer 1918

Über die historische Bedeutung der Zentralarbeitsgemeinschaft urteilte einer der Mitbegründer, Hans von Raumer:

Man geht nicht zu weit mit der Feststellung, daß die ZAG im ersten Jahre ihres Bestehens Deutschland vor dem Chaos und vor einer bolschewistischen Revolution bewahrt hat. Als alle Autoritäten zusammenbrachen: Monarchie, Staat, Militär und Bürokratie, schuf sie durch den Zusammenschluß der Unternehmen mit den Gewerkschaften eine Macht, die die Wirtschaft und die Betriebe in Ordnung hielt. Der bei allen Revolutionen sonst zu beobachtende Vorgang, daß sich die Arbeiter gegen ihre Arbeitgeber wandten, wurde nicht ausgelöst, weil die Gewerkschaften fest zur Ordnung und zu ihrer Aufrecht­erhaltung mit den Unternehmern zusammenstanden.

Raumer, Unternehmer und Gewerkschaften, S. 428 ff, zit. nach: Ritter/Miller, Die deutsche Revo­lution, S. 236f.

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Hugo Preuß: „Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat", 14.11.1918:

1.2. Rätesystem oder Parlamentarische Demokratie? Nationalversammlung und Weimarer Reichsverfassung

Im Zentrum der innenpolitischen Auseinandersetzung vom November und Dezember 1918 stand die Frage: Demokratie oder Rätesystem? Der liberale Staatsrechtler Hugo Preuß veröffentlichte dazu am 14.11.1918 im Berliner Tage­blatt den Artikel „Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat". Preuß, der im übri­gen für ein Zusammengehen von Linksbürgerlichen und Sozialdemokraten ein­trat, wurde daraufhin am 15. November von Friedrich Ebert zum Staatssekretär des Innern ernannt.

Hugo Preuß: „Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat", 14.11.1918:

Wenige Tage sind seit dem Sturz des alten Obrigkeitssystems in Deutschland erst verstrichen; dieser Umschwung hat sich bisher jedenfalls mit einer Ord­nung vollzogen, die für eine Revolution von so ungeheuerlicher Bedeutung erstaunlich und wunderbar ist; - und doch kann man schon immer zahl­reichere Stimmen hören, aus denen etwas wie Heimweh nach dem alten Ob­rigkeitsstaat spricht; und zwar auch von Soldaten, die bisher keineswegs seine Anhänger waren. Das ist psychologisch ebenso begreiflich, wie es politisch unsinnig ist. Denn die Ueberalterung des Obrigkeitsstaates war die Ursache seines Bankrotts und des gegenwärtigen Umsturzes; sie ist aber auch die Ursache, daß an seine Stelle noch keineswegs der Volksstaat getreten ist, sondern ein umgedrehtes Obrigkeitssystem. Im alten Obrigkeitsstaat hatte der Bürger sehr wenig, im gegenwärtigen hat er absolut gar nichts zu sagen; mehr als je vorher ist im Augenblick das Volk in seiner Gesamtheit lediglich ein Objekt einer Regierung, die ihm durch unerforschliche Ratschläge gesetzt wird, nur daß sich diese nicht auf ein Gottesgnadentum berufen, sondern 15 auf eine genau ebenso unfaßliche Volksgnade. Der Rechtstitel ist in einem wie im anderen Falle die Macht, oder vielmehr der Glaube an eine dahinter stehende überlegene Gewalt. Kurz, es ist ganz und gar der umgekehrte Obrigkeits­staat.
...Für den Lauf, den die Dinge bei uns nehmen werden, wird Haltung und 20 Stimmung des Bürgertums sicherlich von schwerwiegender Bedeutung sein. Dem entsetzlichen Wechsel von rotem und weißem Terror zu entgehen, haben wir nur dann Aussicht, wenn sich eine starke und energische Strömung innerhalb des deutschen Bürgertums entschlossen auf den Boden der vollzoge­nen Tatsachen stellt, aber nicht willenlos ihr Haupt unter die neue Obrigkeit 25 beugt, wie sie es so lange zum Schaden des deutschen Volkes unter die alte Obrigkeit gebeugt hat; und wenn ihre Mitarbeit in voller und verantwortlicher Gleichberechtigung nicht zurückgewiesen wird. Nicht zum Vortrupp reaktio­närer Bestrebungen darf und will sich das Bürgertum hergeben; es will Hand in Hand gehen mit den neuen Mächten, aber nicht als Handlanger, sondern als 30 gleichberechtigter Genosse. Nicht Klassen und Gruppen, nicht Parteien und Stände in gegensätzlicher Isolierung, sondern nur das gesamte deutsche Volk, vertreten durch die aus völlig demokratischen Wahlen hervorgehende deut­sche Nationalversammlung, kann den deutschen Volksstaat schaffen. Sie muß ihn baldigst schaffen, wenn nicht unsagbares Unheil unser armes Volk vollends verelenden soll. Gewiß muß eine moderne Demokratie vom Geiste eines kräf­tigen sozialen Fortschritts erfüllt sein; aber ihre politische Grundlage kann nie­mals der soziale Klassenkampf, die Unterdrückung einer sozialen Schicht durch die andere bilden, sondern nur die Einheit und Gleichheit aller Volks­ genossen. Im Rahmen der zu schaffenden demokratischen Verfassung sind die 40 unausbleiblichen sozialpolitischen Kämpfe der Zukunft friedlich auszutragen. Die Stellung zu der konstituierenden Nationalversammlung des deutschen Volksstaates ist zugleich die Stellung zu der Frage: Demokratie oder Bolsche­wismus.


Zit. nach: Ritter/Miller, Die deutsche Revolution, S. 364ff.

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Ernst Däumig über die Grundprinzipien des Rätegedankens (1920):
Ernst Däumig über die Grundprinzipien des Rätegedankens (1920):

Während die Parteiführung der SPD für eine repräsentative, parlamentarische Demokratie auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips eintrat, votierte der linke Flügel der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) für eine im einzelnen nicht präzise definierte Räteverfassung und eine sozialistische Republik. Der Sparta­kus-Bund (Vorläufer der am 30. 12.1918 gegründeten KPD) wiederum wollte die „Diktatur des Proletariats" nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution von 1917. Die Entscheidung fiel auf dem Reichskongreß der Arbeiter- und Sol­datenräte vom 16.-20. 12. 1918 in Berlin. Dort trat Ernst Däumig als Hauptbefür­worter des Rätesystems auf.
   

                 
Ernst Däumig über die Grundprinzipien des Rätegedankens (1920):


Das Wesen des Rätegedankens beruht auf folgenden Grundsätzen:
1. Träger des Rätegedankens kann nur das Proletariat sein, d. h. alle die Hand­ und Kopfarbeiter, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft dem Kapital zu ver­kaufen, um leben zu können. Damit steht der Rätegedanken in einem ebenso scharfen wie natürlichen Gegensatz zu dem landläufigen demokratischen Gedanken, der die Staatsbürger als eine einheitliche Masse wertet, ohne Rück­sicht auf den großen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit und die aus die­sem hervorgehenden Klassenscheidungen zu nehmen.
2. Da das dem Rätegedanken folgende Proletariat ausgesprochen antikapitali­stische Ziele verfolgt, kann es in seinen Räteorganisationen keine kapitalisti­schen Vertreter dulden.
3. Da die den formalen demokratischen Gedanken verkörpernden Parlamente solange kapitalistischen Tendenzen dienstbar gemacht werden, solange die kapitalistische Produktionsform besteht, kann der Rätegedanke nicht mit den Mitteln des Parlamentarismus verwirklicht werden, sondern muß in den Keimzellen der kapitalistischen Produktion, den Betrieben, dann aber auch in verschiedenen Einrichtungen des Obrigkeitsstaates, der auf der Grundlage der kapitalistischen Produktion errichtet ist, zur Anwendung gebracht werden.
4. Da die Verwirklichung des Rätegedankens die ständige aktive Anteilnahme des Proletariats an allen wirtschaftlichen und politischen Fragen erfordert, können die Organe der Räteorganisation nicht langbefristete Vollmachten erhalten, sondern müssen stets der Kontrolle ihrer Wähler unterstehen und jederzeit abberufen werden können, wenn sie das Vertrauen ihrer Wähler nicht mehr haben.
5. Da der Rätegedanke die Befreiung des gesamten Proletariats von der kapi­talistischen Ausbeutung zum Ziele hat, kann die Räteorganisation nicht die Domäne einer einzelnen Partei oder einzelner Berufsgruppen sein, sondern muß das Proletariat als Ganzes umfassen.


Ernst Däumig, Der Rätegedanke und seine Verwirklichung, in: Revolution. Unabhängiges sozialde­mokratisches Jahrbuch, Berlin 1920, S. 84-97, hier zit. nach: Heinz Hürten, Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg, Stuttgart 1982, S. 111


Däumigs Antrag, daß den Räten die höchste gesetzgebende und vollziehende Gewalt zustehen und ein neuer Rätekongreß die Verfassung beschließen sollte, wurde auf der Berliner Räteversammlung am 19.12.1918 mit 344 gegen 98 Stim­men abgelehnt. Dagegen fand der sozialdemokratische Antrag auf Festsetzung der Wahl zur Nationalversammlung am 19. 1. 1919 eine überwältigende Mehrheit.

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Kontroverse über die Beteiligung der KPD an den Wahlen zur Nationalversammlung auf dem Gründungsparteitag der KPD am 30.12.1918:
Kontroverse über die Beteiligung der KPD an den Wahlen zur Nationalversammlung auf dem Gründungsparteitag der KPD am 30.12.1918:

Kontroverse über die Beteiligung der KPD an den Wahlen zur Nationalversamm­lung auf dem Gründungsparteitag der KPD am 30.12.1918:


Gen. Dr. Levi: Ich weiß, es ist keine leichte Aufgabe, wenn ich eintrete für die Wahlen zur Nationalversammlung... Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß der Gedanke der Räteverfassung, kommend aus dem Osten, dem revolutio­nären Proletariat vorgedacht im Osten, eine faszinierende Gewalt haben mußte auf die Sinne des deutschen Proletariats. ... Wir wissen ganz genau, der Weg des Proletariats zum Siege, er kann nur gehen über die Leiche der Natio­nalversammlung hinweg... Es ist kein Zweifel, daß in dieser Nationalver­sammlung die Vertreter der entschlossenen revolutionären Richtung inner­halb des Proletariats in der Minderheit sich befinden werden. Parteigenossen! Trotzdem schlagen wir Ihnen vor, die Nationalversammlungswahlen nicht i o beiseite liegen zu lassen. Wir schlagen Ihnen vor, in diese Wahlen zur Natio­nalversammlung einzutreten mit aller Kraft... Wenn Sie jetzt die Parole für den Boykott der Wahlen ausgeben, so wird es Ihnen nie und nimmer gelingen, jene gewaltigen Scharen, die innerlich mit uns sympathisieren, die innerlich mit uns stehen und die wir in kurzer Zeit mit uns verbinden könnten zu gewinnen, sie werden beiseitestehen...
... Die deutsche Bourgeoisie konstituiert sich, faßt ihre ganze Macht zusam­men, schafft sich ein Organ, um noch einmal die Revolution zu unterdrücken, und da kommen Sie und sagen, das richtet sich von selbst. Das richtet sich nicht von selbst. Es ist unsere Pflicht, in jenes Gebäude einzudringen, es ist 20 unsere Pflicht, die Feuerbrände zu werfen in diese Schanzen...                                                                                               Gen. Rühle. Ich bin gegen den Vorschlag Levi, uns an den Wahlen zur National­versammlung zu beteiligen... Wir müssen die lebende Politik der Straße im­mer weiter aufstacheln, wir dürfen die Bewegung nicht wieder einlullen, indem wir dem Arbeiter einen Stimmzettel in die Hand geben... Wir sind doch im Begriff, die Macht an uns zu reißen. Wenn wir die Macht haben, werden wir sie uns nicht wieder entwinden lassen durch die Nationalversammlung... Ge­nosse Levi sagte, daß wir diese Tribüne brauchten. Wir haben jetzt andere Tribünen. Die Straße ist die großartigste Tribüne, die wir errungen haben, und die wir nie wieder aus den Händen geben, wenn man auch auf uns schießt, wir so geben sie nie wieder aus der Hand.
Gen. Rosa Luxemburg: (von lebhaftem Beifall begrüßt)
... ich bin verpflichtet, die Wege zugeben, die sich aus meiner Auffassung über die Zustände in Deutschlandergeben. Die Aufgaben sind gewaltig, sie münden in die sozialistische Weltrevolution. Aber was wir bisher in Deutschland 3s sehen, das ist noch die Unreife der Massen. Unsere nächste Aufgabe ist, die Massen zu schulen, diese Aufgaben zu erfüllen. Das wollen wir durch den Par­lamentarismus erreichen. Das Wort soll entscheiden. Ich sage Ihnen, gerade dank der Unreife der Massen, die bis jetzt nicht verstanden haben, das Räte­system zum Siege zu bringen, ist es der Gegenrevolution gelungen, die Natio- 40 nalversammlung als ein Bollwerk gegen uns aufzurichten. Nun führt unser Weg durch dieses Bollwerk hindurch...
Die Wahlen stellen ein neues Instrument des revolutionären Kampfes dar...
Sie können sich nicht vorstellen, dieses Mittel zu gebrauchen im revolu­
tionären Sinne. Sie verstehen: entweder Maschinengewehr oder Parlamenta­rismus. Wir wollen etwas verfeinerten Radikalismus. Nicht bloß dieses grob­körnige Entweder-Oder. Es ist bequemer, einfacher, aber das ist eine Verein­fachung, die nicht der Schulung und Erziehung der Massen dient...


Hermann Weber (Hg.), Der Gründungsparteitag der KPD. Protokoll und Materialien, Frank­furt a. M./Wien 1969, S. 88-135


Am 6. 2.1919 trat die Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung im National-Theater von Weimarzusammen. In der Reichshauptstadt Berlin herrsch­ten im Januar 1919 (Spartakus-Aufstand 5.-12. 1. 1919) bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Die Wahl der Stadt Weimar als Versammlungsort sollte aber auch die bewußte Anknüpfung des neuen republikanisch-demokratischen Staates an die geistigen Traditionen des deutschen Idealismus demonstrieren.

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Die Ansprache zur Eröffnung der Nationalversammlung hielt Friedrich Ebert, der  Vorsitzende des Rats der Volksbeauftragten, 6. 2.1919:
Die Ansprache zur Eröffnung der Nationalversammlung hielt Friedrich Ebert, der Vorsitzende des Rats der Volksbeauftragten, 6. 2.1919:

Am 6. 2.1919 trat die Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung im National-Theater von Weimarzusammen. In der Reichshauptstadt Berlin herrsch­ten im Januar 1919 (Spartakus-Aufstand 5.-12. 1. 1919) bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Die Wahl der Stadt Weimar als Versammlungsort sollte aber auch die bewußte Anknüpfung des neuen republikanisch-demokratischen Staates an die geistigen Traditionen des deutschen Idealismus demonstrieren.

Die Ansprache zur Eröffnung der Nationalversammlung hielt Friedrich Ebert, der Vorsitzende des Rats der Volksbeauftragten, 6. 2.1919:

Meine Damen und Herren, die Reichsregierung begrüßt durch mich die Ver­fassunggebende Versammlung der deutschen Nation. Besonders herzlich be­grüße ich die Frauen, die zum erstenmal gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen. Die provisorische Regierung verdankt ihr Mandat der Revolution;
sie wird es in die :Hände der Nationalversammlung zurücklegen. (Bravo!)  In der Revolutionn erhob sich das deutsche Volk gegen eine veraltete, zusam­menbrechende Gewaltherrschaft. (Zustimmung links. - Lebhafter Wider­spruch rechts.) Sobald das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes ge­sichert ist, kehrt es zurück auf den Weg der Gesetzmäßigkeit. Nur auf der brei­ten Heerstraße der parlamentarischen Beratung und Beschlußfassung lassen i o sich die unaufschiebbaren Veränderungen auch auf wirtschaftlichem und so­zialem Gebiete vorwärts bringen, ohne das Reich und sein Wirtschaftsleben zugrunde zu richten. (Sehr wahr! links.) Deshalb begrüßt die Reichsregierung in dieser Nationalversammlung den höchsten und einzigen Souverän in Deutsch­land. (Bravo links.) Mit den alten Königen und Fürsten von Gottes Gnaden ist 15 es für immer vorbei. (Bravo! links - Widerspruch rechts.) Wir verwehren nie­manden eine sentimentale Erinnerungsfeier. Aber so gewiß diese Nationalver­sammlung eine große republikanische Mehrheit hat, so gewiß sind die alten gottgegebenen Abhängigkeiten für immer beseitigt. (Lebhafter Beifall links.) Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert inn alle Zukunft sich selbst. 20 (Bravo! links.) Diese Freiheit ist der einzige Trost, der dem deutschen Volke geblieben ist, der einzige Halt, an dem es aus dem Blutsumpf des Krieges und der Niederlage sichh wieder herausarbeiten kann... Meine Damen und Herren, die provisorische Regierung hat eine sehr üble 1 ? rbschaft angetreten. Wir waren im eigentlichsten Wortsinne die Konkursver- 25 Walter des alten Regimes (sehr wahr! bei den Sozialdemokraten); alle Scheuern, alle Lager waren leer, alle Vorräte gingen zur Neige, der Kredit war rrschüttert, die Moral tief gesunken. Wir haben, gestützt und gefördert vom 7cnlralrat der Arbeiter- und Soldatenräte (Lachen rechts) - gestützt und 1„(-I'iirdert vom Zentralrat der Arbeiter-und Soldatenräte (lebhafte Zustim- 30 numg bei den Sozialdemokraten - Unruhe rechts) unsere beste Kraft einge­swIr.l, bei. Gefahren und das Elend der Übergangszeit zu bekämpfen...
Sozialismus ist nach unserer Auffassung nur möglich, wenn die Produktion eine
genügend hohe Stufe der Arbeitsleistung innehält. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)... Wir wollen planmäßig den Profit dort ausschalten, wo die wirtschaftliche Entwicklung ein Gewerbe zur Vergesellschaftung reif gemacht hat.
Sorgenvoll blickt uns die Zukunft an. Wir vertrauen aber trotz alledem auf die unverwüstliche
Schaffenskraft der deutschen Nation. Die alten Grundlagen der deutschen Machtstellung sind für immer gebrochen. Die preußische Hegemonie; das hohenzollernsche Heer, die Politik der schimmernden Wehr sind bei uns für alle Zukunft unmöglich geworden. Wie der 9. November 1918 angeknüpft hat an den 18. März 1848 (Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten),  so müssen wir hier in Weimar die Wandlung vollziehen vom Imperialis­mus zum Idealismus, von der Weltmacht zur geistigen Größe ... Jetzt muß der Geist von Weimar, der Geist der großen Philosophen und Dichter, wieder unser Leben erfüllen...
So wollen wir an die Arbeit gehen, unser großes Zielfest vor Augen, das Recht des deutschen Volkes zu wahren, in Deutschland eine starke Demokratie zu verankern (lebhafter Beifall links) und sie mit wahrem sozialen Geist und sozialistischer Tat zu erfüllen...


Die deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919, hg. von 8. El,cilrron, Bd. 1, Berlin o.J., S. 3ff.

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Graphik: Die Verfassung der Weimarer Republik, 1919
Graphik: Die Verfassung der Weimarer Republik, 1919
Graphik: Die Verfassung der Weimarer Republik, 1919
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Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. 8.1919:
Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. 8.1919:

Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. 8.1919:

Reich und Länder


Artikel 1
Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.


Der Reichstag


Artikel 20
Der Reichstag besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes.

 

Artikel 21
Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.
 

Artikel 22
Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über 20 Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Der Wahltag muß ein Sonntag oder öffentlicher Ruhetag sein...

 

Artikel 23
Der Reichstag wird auf vier Jahre gewählt. Spätestens am sechzigsten Tage nach ihrem Ablauf muß die Neuwahl stattfinden. Der Reichstag tritt zum ersten Mal spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammen.

 

Artikel 25
Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlaß. Die Neuwahl findet spätestens am sechzigsten Tag nach der Auslösung statt. Der Reichspräsident und die Reichsregierung

 

Artikel 41
Der Reichspräsident wird vom ganzen deutschen Volke gewählt. Wählbar ist jeder Deutsche, der das 35. Lebensjahr vollendet hat...

 

Artikel 43
Das Amt des Reichspräsidenten dauert sieben Jahre. Wiederwahl ist zulässig.
Vor Ablauf der Frist kann der Reichspräsident auf Antrag des Reichstags durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Der Beschluß des Reichstags er­fordert Zweidrittelmehrheit...

Artikel 47
Der Reichspräsident hat den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reiches.

Artikel 48
Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.
Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicher­heit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederher­stellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen. Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstags außer Kraft zu setzen. Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz. 1

 

Artikel 52
Die Reichsregierung besteht aus dem Reichskanzler und den Reichsministern.

Artikel 53
Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen.

Artikel 54
Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht.

 

Artikel 56
Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegen über dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.

 

Die Reichsgesetzgebung


Artikel 68
Die Gesetzesvorlagen werden von der Reichsregierung oder aus der Mitte des Reichstags eingebracht.
Die Reichsgesetze werden vom Reichstag beschlossen.

 

Das Wirtschaftsleben


Artikel 153
Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. ... Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das gemeine Beste.

 

Artikel 165
Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemein­
schaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedin­
gungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven
Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarun­
gen werden anerkannt...

 

Reichsgesetzblatt 1919, S. 1383-1418
 

1 Das hier vorgesehene Reichsgesetz ist niemals ergangen. Bereits 1924 faßte der Deutsche Juristentag einstimmig den folgenden Beschluß: „Der Erlaß des in Art. 48 der Reichsverfassung angekündigten Reichsgesetzes kann ohne schwere Gefahren für den Bestand der verfas­sungsmäßigen Rechtsordnung nicht länger verzögert werden." (s. auch Quelle 62, S. 75ff.)

 

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Entmilitarisierte und besetzte Zonen in der Rheinregion, Saargebiet und  Ruhrgebiet sowie Sanktionsgebiete gemäß Versailler Vertrag 1919
Entmilitarisierte und besetzte Zonen in der Rheinregion, Saargebiet und Ruhrgebiet sowie Sanktionsgebiete gemäß Versailler Vertrag 1919

Entmilitarisierte und besetzte Zonen in der Rheinregion, Saargebiet und  Ruhrgebiet sowie Sanktionsgebiete gemäß Versailler Vertrag 1919

mit Tabelle der amtlichen Dollarkurse 1919-1923

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Der Vertrag von Versailles, 28.6.1919:
Der Vertrag von Versailles, 28.6.1919:
1.3.  Das Diktat der Sieger: Der Versailler Vertrag
 
Nachdem am 11. 11. 1918 mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens durch Matthias Erzberger (Z) in Compiègne die Feindseligkeiten an allen Fronten eingestellt worden waren, trat am 18.1.1919 im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles die Friedenskonferenz von 27 Siegerstaaten ohne Vertreter des Deutschen Reiches zusammen. Am 16. Juni übergaben die Alliierten die endgülti­gen Friedensbedingungen, in denen die Grundsätze der „14 Punkte" des amerika­nischen Präsidenten Wilson (siehe Quelle 2, Anm. 2) zugunsten der weitgesteckten Kriegsziele vor allem Frankreichs verdrängt waren. Die Nationalversammlung stimmte dem Ultimatum der Siegermächte am 22. 6.1919 mit 237 gegen 138 Stimmen zu. Am 28. 6.1919  erfolgte die Unterzeichnung des Friedensvertrages in Versailles durch Reichs­außenminister Hermann Müller (SPD) und Verkehrsminister Johannes Bell (Z).

 
Der Vertrag von Versailles, 28.6.1919

Teil VIII Wiedergutmachungen, Abschnitt 1: Allgemeine Bestimmungen

Artikel 231: „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und asso­ziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben." ...Der Ausschuß stellt nach Artikel 233 einen Zahlungsplan auf, der die Fällig­keitszeiten und die Art und Weise vorschreibt, wie Deutschland vom 1. Mai 1921 ab seine gesamte Schuld in einem Zeitraum von dreißig Jahren zu tilgen hat...

Nach Anlage 1 wird von Deutschland voller Ersatz gefordert für 1. Schäden von Zivilpersonen an Gesundheit und Leben durch unmittelbare Kriegshandlungen und Entschädigung der Hinterblie­benen, 2. Schäden durch Grausamkeiten oder Mißhandlungen an Zivilpersonen, 3. Schäden an Gesundheit, Arbeitsfähigkeit oder Ehre von Zivilpersonen im besetzten Gebiet, 4. Schiiden aus Mißhandlung der Kriegsgefangenen, 5. alle Pensionen für die militärischen Opfer des Krieges, in Form des gegenwärtigen Kapitalwertes, 6. Erstattung der Regierungsaufwendungen Für Familien Kriegsgefangener, 7. Erstattung der Regierungsaufwendungen für die Angehörigen Mobilisierter, 8. Schäden aus Heranziehung von Zivilpersonen zur Zwangsarbeit, 9. Schaden am Eigentum infolge von Kriegshandlungen, 10. Schäden der Zivilbevölkerung durch Auflagen, Strafen und Beitreibun­gen. (Die Forderungen zu 5 bis 7 sind von Deutschland als unrechtmäßig bezeichnet worden. Sie betragen etwa 100 Milliarden Goldmark, während die rechtlich begründeten Forderungen etwa 60 Milliarden Goldmark ausmachen.) ...
Die Sachleistungen (Anlagen III bis V11 zu Teil 8 des Vertrages) § l: „Deutschland erkennt das Recht der alliierten und assoziierten Mächte auf Ersatz aller durch Kriegsereignisse verlorenen oder beschädigten Handelsschiffe und Fischereifahrzeuge, Tonne für Tonne und Klasse für Klasse an." Zu diesem Zweck überträgt die deutsche Regierung den alliierten und assoziierten Regierungen das Eigentum an allen deutschen Handelsschiffen von 1600 Bruttotonnen und darüber, ferner die Hälfte der Schiffe zwischen 1000 und 1600 Tonnen und je ein Viertel des Tonnengehalts der Fisch­dampfer und anderer Fischereifahrzeuge...
Zum Zwecke der Wiedererstattung dessen, was Deutschland im besetzten Gebiet beschlagnahmte, sind die fortgeführten Maschinen zurückzugeben oder durch gleichartige Stücke zu ersetzen. Der Viehbestand der Vertragsgegner ist wieder aufzufüllen, und zwar sind innerhalb drei Monaten u. a. zu liefern: an Frankreich 500 Zuchthengste, 30000 Stuten, 90000 Milchkühe, 2000 Stiere, 100000 Schafe, an Belgien 200 Zuchthengste, 10000 Stuten, 50000 Milchkühe, 2000 Stiere, 40000 Färsen, 20000 Schafe, 15000 Mutterschweine.
An Kohlen und Kohlenerzeugnissen hat Deutschland zu liefern: an Frankreich zehn Jahre lang 7 Millionen Tonnen Kohle jährlich, ferner den Unterschied zwischen der gegenwärtigen Jahresför­derung der in Nordfrankreich zerstörten Gruben und ihrer Friedensleistung, jedoch nicht mehr als 20 Millionen Tonnen jährlich während der ersten fünf und acht MillionenTonnen in den fünf folgenden Jahren; an Belgien zehn Jahre lang acht Millionen Tonnen jährlich; an Italien zehn Jahre lang Mengen, die von 41/2 auf 81/2 Millionen Tonnenjährlich ansteigen, an Luxemburg, wenn der Wiedergutmachungsausschuß es verlangt, eine jährliche Kohlenmenge, die seinem Vorkriegsverbrauch entspricht. An Kohlennebenerzeugnissen liefert Deutschland an Frankreich 35 000 Tonnen Benzol, 50000 Tonnen Steinkohlenteer, 30000 Tonnen schwefelsaures Ammoniak. Für alle diese Liefe­rungen wird nur der deutsche Inlandspreis bewilligt. Nur die auf dem Seeweg gelieferten Kohlen­mengen werden zum deutschen Ausfuhrpreis angerechnet.
An Farbstoffen und chemisch-pharmazeutischen Erzeugnissen räumt Deutschland dem Wiedergutmachungsausschuß ein Bezugsrecht ein auf 50% der Gesamtmenge jeder Art von Farbstoffen und chemisch-pharmazeutischen Erzeugnissen, sofern sie sich beim Inkrafttreten des Friedensvertra­ges unter deutscher Verfügungsgewalt oder in Deutschland befinden, und auf 25% der deutschen Er­zeugung für die Zeit vom 10. Januar 1920 bi s 1. Januar 1925. Alle wichtigen Kabellinien Deutschlands werden abgetreten....  
  
Teil X Wirtschaftliche Bestimmungen

Artikel 264 bis 312 sichern den Alliierten ohne Gewährung von Gegenseitig­keit Meistbegünstigung in Handel und Schiffahrt, Unterdrückung unlauteren Wettbewerbs, insbesondere Schutz der örtlichen Bezeichnung von alkoholi­schen Getränken (Kognak, Bordeauxwein usw.) bis zum 10. Januar 1925.

Teil XIV Bürgschaften für die Durchführung von Abschnitt l , Westeuropa.

Artikel 428: „Um die Ausführung des gegenwärtigen Vertrages durch Deutschland sicherzustellen, bleiben die deutschen Gebiete westlich des Rheins einseht. der Brückenköpfe während eines Zeitraums von 15 Jahren nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages durch die Truppen der alliier­ten und assoziierten Mächte besetzt." Bei getreulicher Erfüllung des Vertrages wird die Zone von Köln nach fünf Jahren, von Koblenz nach zehn Jahren, der Rest nach 15 Jahren geräumt.

Artikel 430: „Stellt während der Besetzung oder nach Ablauf der oben vor­gesehenen 15 Jahre der Wiedergutmachungsausschuß fest, daß Deutschland sich weigert, die Gesamtheit oder einzelne der ihm nach dem gegenwärtigen Vertrag obliegenden Wiedergutmachungsverpflichtungen zu erfüllen, so wer­den die im Artikel 429 genannten Zonen sofort wieder durch alliierte und assoziierte Streitkräfte ganz oder teilweise besetzt."

C. Horkenbach (Hg.), Das Deutsche Reich von 1918 bis heute, 4 Bde., Berlin 1931-35, hier Bd. 1: 1918-30, S. 345 ff.
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Die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik. Aus dem Aufsatz „Das Weltsystem der Entente" des Theologen und Politikers Ernst Troeltsch, 10.10.1920:
Die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik. Aus dem Aufsatz „Das Weltsystem der Entente" des Theologen und Politikers Ernst Troeltsch, 10.10.1920:

Die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik. Aus dem Aufsatz „Das Weltsystem der Entente" des Theologen und Politikers Ernst Troeltsch, 10.10.1920:

Der Bolschewismus ... ist eine Weltmacht, mächtig durch Militär, Diplomatie und Propaganda. Er bedroht militärisch vor allem die asiatischen Positionen Englands, hat seine Helfer in allen Staaten bei gewissen Teilen des Proletariats und seiner Intellektuellen, verfügt über den diplomatischen Trumpf des allgemeinen Begehrens nach russischen Rohstoffen und Handel mit Bußland... In diesem diplomatischen Spiel ist das Deutsche Reich ein Objekt neben anderen, besonders wichtig nur insoferne, als es in eine Ausfallspforte des Bolschewismus gegen den westlichen Kapitalismus verwandelt werden kann. Der weltpolitische Gegenspieler ist die zum Völkerbunde erweiterte Entente,
die man durchaus in ihrer weltpolitischen und nicht bloß gegen Deutschland gerichteten Bedeutung sehen muß. Es ist ein neues System der Weltgroß­mächte, die ganz Mitteleuropa und Bußland aus sich ausgeschieden und Frankreich zu dem von den Angelsachsen wesentlich abhängigen Verwalter der europäischen Konkursmasse gemacht haben...
Die siegreiche Entente ist eben neben ihrer neuen Weltverteilung auch ein Handelssyndikat, das immer noch den deutschen Handel und die deutsche Arbeit ausschalten oder besser rein auf das ihr nützliche Maß reduzieren will. Die deutsche Konkursmasse ist verteilt und an ihrer Stelle soll nichts Neues wieder aufwachsen. Das ist die erste und nächste Bedeutung, die das Welt­system der Entente für uns hat und deren Wirkungen auf unsere inneren 20 Zustände die ernstesten sein müssen.
Die zweite Bedeutung dieses neuen Weltsystems ist die Einigung aller kapitali­stischen Interessen und Mächte zum Kampf gegen die soziale Weltrevolution, gegen die russische zuerst, dann aber auch gegen jede Regung irgendwo sonst.
Das kehrt sich wieder gegen Deutschland, das man bald gegen die Bolschewismus benützen, bald ihnen preisgeben, jedenfalls mit ihnen verwickeln und in der Neutralität behindern möchte...
Die beiden gegeneinander kämpfenden Weltsysteme, Bolschewismus und Entente, gegeneinander auszuspielen, sind wir viel zu schwach und eigener Initiative viel zu sehr beraubt. Die Verzweiflungspolitik, mit dem Bolschewismus gegen die Entente zu gehen, wäre der Untergang unserer Kultur und begegnet auch im allergrößten Teil des Volkes absoluter Abneigung. So bleibt nichts übrig, als mit den Weststaaten zu gehen und gleichzeitig ihrer grau­samen Bedrohungen und Quälereien sich nach Möglichkeit durch Gebrauch der verbliebenen Rechtsmittel, durch Appell an die Weltmoral, durch Loyali­tät und Klarheit der Wiedergutmachung und durch immer neue Bestreitung des wahnsinnigen und heuchlerischen Dogmas von der alleinigen deutschen Schuld zu erwehren...

 

Spektator-Briefe. Aufsätze über die deutsche Revolution und die Weltpolitik 1918-22, hg. von Hans Baron, Tübingen 1924, S. 152-160

 

1 Entente (frz.) = Bündnis, zunächst zwischen England und Frankreich vor 1914, dann im Ersten Weltkrieg das Bündnis der Siegermächte (Alliierte)

2 zum Völkerbund s. Kap. 11.2, Quellen 30 und 31

 

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Die Krisenjahre 1919-1923 und der Übergang zur Stabilisierung 1924-1926
Die Krisenjahre 1919-1923 und der Übergang zur Stabilisierung 1924-1926

Die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages und die Inkraftsetzung der Reichsverfassung im Sommer 1919 brachten der Weimarer Republik nicht die erhoffte Phase der inneren Beruhigung. Das Gegenteil war der Fall. Die Republik­gegner vor allem aus dem rechten Lager traten jetzt offen hervor und kündigten den sozialen und politischen Kompromiß von 1918 auf. Die häufig wechselnden Regierungen auf Reichsebene (s. Anhang, Übersicht Reichsregierungen 1918-1933) sahen sich mit einer Fülle nahezu unlösbarer innerer und äußerer Probleme konfrontiert, und mehr als einmal war die Existenz der staatlichen Ordnung gefährdet. Die Stichworte Kapp-Putsch, Ruhrbesetzung und Ruhrkampf, Inflation, kommunistischer Umsturzversuch in Sachsen/Thüringen und Hitler­Ludendorff-Putsch in Bayern kennzeichnen nur die besonders markanten Er­eignisse und Vorgänge. Erst mit der Ausgabe der Rentenmark und der Stabilisie­rung der Währung im November 1923 kam die Krise der Nachkriegsjahre zum Abschluß und endeten die Versuche, die Weimarer Demokratie mit Gewalt zu Fall zu bringen.
Daß die „Welle von rechts" 1923 überhaupt gestoppt werden konnte, hing ins­besondere mit einem Szenenwechsel in der internationalen Politik 1923/24 zu­sammen. Die Außenpolitik der Weimarer Republik ist auf den ersten Blick einzu­ordnen in das Beziehungsgefüge des überkommenen europäischen Staatensystems, und sie vollzog sich vor dem Hintergrund der schwierigen „Mittellage" Deutschlands zwischen Ost und West. Diese traditionelle, europazentrische Frageperspektive erfaßt jedoch eine für die Weimarer Jahre zentrale Strukturver­änderung im internationalen System nur unzureichend, nämlich die zunehmende Einflussnahme der Vereinigten Staaten auf die innereuropäische Entwicklung. Dies zeigte sich beim Übergang zur Stabilisierung 1924-1925 beispielhaft: Das neu er­wachte wirtschaftliche und politische Interesse der USA vornehmlich an Deutsch­land verlangte stabile Verhältnisse in Europa. Aus deutscher Sicht wiederum stell­te die Kooperation mit den Vereinigten Staaten nicht nur eine willkommene Hilfe gegen die militärische Sanktionspolitik Frankreichs dar, sondern war darüber hinaus als entscheidender Hebel zur Revision des gesamten Versailler Systems gedacht (s. vor allem Quellen 29 u. 30). Die Ausgleichspolitik Gustav Stresemanns gegenüber den europäischen Staaten stand dazu nicht im Widerspruch. Vielmehr zeigte die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund im September 1926, daß aus dem erbittert bekämpften Kriegsgegner von einst inzwischen ein gleichbe­rechtigter und geachteter Partner auf der europäischen Bühne geworden war. Vor diesem Hintergrund der inneren und äußeren Stabilisierung zwischen 1924 und 1926 stellte auch der Wechsel im Reichspräsidentenamt von dem Sozial­demokraten Friedrich Ebert zu dem kaiserlichen Feldmarschall Paul von Hinden­burg im Jahre 1925 zunächst kein ernsthaftes Problem für die verfassungsmäßige Ordnung der Republik dar.

Ernst Troeltsch über „Die Welle von rechts", 19.12.1919:

 2.1. Die Krisenjahre 1919-1923

„Der Feind steht rechts"


Ernst Troeltsch über „Die Welle von rechts", 19.12.1919:    

                        
... Die Ordnung und der Friede kamen, aber mit ihnen auch die fürchterlichen,
sich täglich steigernden und von der Politik der Entente verschärften wirt­schaftlichen Probleme. Das Sinken der Valuta und die wahnsinnigen Preisstei­gerungen deuten das Kommen einer Katastrophe an, gegen die alle Regierung machtlos ist. Die von ihr geplanten und vorgeschlagenen Hilfsmittel machen heute erst das kommende Elend den Massen klar, und, ohne daß man ernst­hafte andre Hilfsmittel wußte, wirft man nun der Regierung Situation und Hilfsmittel zugleich vor. Damit beginnt die Zeit der allgemeinen Enttäu­schung, die Sehnsucht nach der guten oder jedenfalls besseren alten Zeit. Die vom Zusammenbruch überraschten, übertäubten und eine Zeitlang völlig hilflosen Kreise des alten Patriotismus und der alten Gesellschaftsordnung raffen sich wieder auf und benützen die von der Demokratie geschaffene Ordnung samt den dabei jetzt erst ganz klar werdenden Andeutungen der wirtschaft­lichen Folgen des Krieges und der Revolution zu einem leidenschaftlichen Kampfe gegen die Träger des jetzigen Regimentes und gegen die Revolution überhaupt.. .
Wo sind nun aber die eigentlichen Sitze dieser Reaktion? In den Parlamenten sind es die „Deutschnationale Volkspartei" und die immer näher an sie herandrängende „Deutsche Volkspartei"... Teilweise gehören dazu die alten Beamten, die sich zunächst zur Verfügung gestellt hatten und ohne die auch gar  nicht zu regieren gewesen wäre, die aber nunmehr sich vielfach zu einer Art Obstruktion oder gar Sabotage der Regierung gewandt haben... Die Bauern sind im allgemeinen misstrauisch nach allen Seiten und lediglich mit ihrer recht schwierigen Lage beschäftigt...
So bleiben für die „Welle von rechts" ganz wesentlich die Elemente der studentischen und akademischen Bildung... Sprach man vor einem Jahre vor Studenten, so musste man sich auf wilde pazifistische, revolutionäre, ja ideali­stisch-bolschewistische Widersprüche gefaßt machen; heute muß man auf antisemitische, nationalistische, antirevolutionäre Einsprüche sich einrichten.
In manchen juristischen Kollegien wird gescharrt, wenn das Wort „Reichs-Verfassung" fällt... Zum Teil steckt dahinter die patriotische Scham und Empörung über das Schicksal Deutschlands, den Betrug von Versailles und die Schwäche der Regierung, weiterhin ... die Agitation der sog. nationalen Parteien, der heute ein großer Teil der in tiefem Groll aus der alten, glanzvollen Armee ausgeschiedenen Offiziere als leidenschaftliche Träger zur Verfügung stehen...
Was sind die Wirkungen von alledem?... Eine Diktatur ist bei der Kontrolle der Alliierten und unserer militärischen Schwäche schwer vorstellbar. Deutschnationale Putsche vollends gehören meines Erachtens in das Reich der Legende. Dann aber hat die Heftigkeit der ganzen Opposition keinen Sinn und hindert nur die außenpolitische Einheitsfront und die damit eng zusam­menhängende wirtschaftliche Gesundung, die beide einfach eine Lebensfrage sind.


Ernst Troeltsch, in: Spektator-Briefe, 1924, S. 87-94


Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages mußte die Stärke des deut­schen Heeres auf 100 000 Mann verringert werden. Freikorps und Verbänden der Reichswehr stand gleichermaßen die Auflösung bevor. In dieser Situation be­setzte der General Walther Frhr. von Lüttwitz mit ihm unterstellten Freikorps-Verbänden aus dem Baltikum am 13.3.1920 das Regierungsviertel in Berlin. Mit ihm im Bunde war der ehemalige Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, im Kriege
Mitbegründer der annexionistischen Deutschen Vaterlandspartei. Während die
Regierung aus der Hauptstadt fliehen mußte, erklärte sich Kapp zum „Reichskanz­ler". Der Parteivorstand der SPD und die Gewerkschaften riefen daraufhin zum Generalstreik auf. Der Putsch erwies sich schnell als dilettantisches Abenteuer, und Kapp und Lüttwitz flohen am 17. März ins Ausland.

 

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Zum Scheitern des Kapp-Putsches schrieb Ernst Troeltsch am 23. 3.1920:
Zum Scheitern des Kapp-Putsches schrieb Ernst Troeltsch am 23. 3.1920:

 Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages mußte die Stärke des deut­schen Heeres auf 100 000 Mann verringert werden. Freikorps und Verbänden der Reichswehr stand gleichermaßen die Auflösung bevor. In dieser Situation be­setzte der General Walther Frhr. von Lüttwitz mit ihm unterstellten Freikorps-Verbänden aus dem Baltikum am 13.3.1920 das Regierungsviertel in Berlin. Mit ihm im Bunde war der ehemalige Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, im Kriege Mitbegründer der annexionistischen Deutschen Vaterlandspartei. Während die Regierung aus der Hauptstadt fliehen mußte, erklärte sich Kapp zum „Reichskanz­ler". Der Parteivorstand der SPD und die Gewerkschaften riefen daraufhin zum Generalstreik auf. Der Putsch erwies sich schnell als dilettantisches Abenteuer, und Kapp und Lüttwitz flohen am 17. März ins Ausland.

 

Zum Scheitern des Kapp-Putsches schrieb Ernst Troeltsch am 23. 3.1920:   

        
Woran ist der Prätorianer-Putsch gescheitert? Erstlich daran, daß das Reich und die größten Teile der Reichswehr nicht mitmachten; nur die „Junkerprovinzen" machten mit... Somit blieb der Putsch also auf Berlin beschränkt, und Berlin wurde vom Verkehr abgesperrt. Der zweite Grund ist, daß die Beamtenschaft bei ihrem Eide blieb und die Unterstaatssekretäre des Reichs s und Preußens... sich weigerten, Befehle von einer gesetzwidrigen Stelle anzu­nehmen...
Drittens wurde von der alten Regierung unter Unterstützung aller Koalition­sparteien der Generalstreik erklärt, der Berlin bis auf weiteres zur Hölle, aber jede Regierung zugleich unmöglich machte...                                                                 
Das deutsche Volk will die Reaktion nicht und hat die Feuerprobe bestanden. Vielleicht mußte das einmal sein, und hoffentlich ist es das letzte Mal. Aber um welchen Preis?


Ernst Troeltsch, in: Spektator-Briefe, 1924, S. 122ff.

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Morde und Mordversuche an bekannten Politikern 1919-1922:
Morde und Mordversuche an bekannten Politikern 1919-1922:

Morde und Mordversuche an bekannten Politikern 1919-1922:

15. 1.19 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht (KPD)
21. 2.19 Kurt Eisner (USPD), seit 1918 bayerischer Ministerpräsident
7.11.19 Hugo Haase (USPD), 1918 Volksbeauftragter, stirbt an den Folgen eines Attentats vom 8. 10. 19
26. 8.21 Matthias Erzberger (Zentrum), 1919-1920 Reichsfinanzminister
4. 6.22 Philipp Scheidemann (SPD), 1918/19 Volksbeauftragter, 1919 Reichskanzler, durch Blausäureattentat verletzt
24. 6.22 Walther Rathenau (DDP), 1921 Wiederaufbauminister, 1922 Reichsaußenminister, Unterzeichner des Vertrags von Rapallo mit Sowjetrußland                                                                                                                 
20.10.22 Attentat auf Joseph Wirth (Zentrum), mehrmals Reichsminister,
1921/22 Reichskanzler, mißlingt. Einen Tag nach Rathenaus Ermordung sprach Reichskanzler Wirth im Reichstag: „Da steht der Feind - und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!"


Zit. : „erinnern und urteilen", Bd. 4, Stuttgart 1981, S. 40

 

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Emil J. Gumbel über „DieTechnik des Freispruchs" und die Sühne der politischen Morde (1922):
Emil J. Gumbel über „DieTechnik des Freispruchs" und die Sühne der politischen Morde (1922):

 In einer akribischen Untersuchung stellte der engagierte Sozialist und Pazifist Emil Julius Gumbel (1891-1966) alle politischen Morde in der Zeit vom November 1918 bis 1922 zusammen und analysierte die jeweilige strafgerichtliche Behandlung. Die Erhebung Gumbels wurde vom Reichsjustizministerium in ihrem Wahrheitsgehalt ausdrücklich bestätigt.

 

 

Emil J. Gumbel über „DieTechnik des Freispruchs" und die Sühne der politischen Morde (1922):              

Wird ein Anhänger der linken Parteien von Rechts ermordet, so kann sich eben der Richter unwillkürlich nicht von der Vorstellung loslösen, daß der Ermordete sein Feind war, und schon durch seine Gesinnung eine schwere Strafe verdient hätte. Daß der Mörder eigentlich doch nur der strafenden Gerechtigkeit zuvorgekommen ist. Und schon deswegen mild zu behandeln ist. So kommt es häufig vor, daß bei der Gerichtsverhandlung nicht der Mör­der, sondern der Ermordete moralisch vor dem Richter steht. Der Mörder aber gehört derselben sozialen Schicht, demselben Leben an wie der Richter. Unzählige soziale Bande verknüpfen den Mörder-Offizier mit dem Richter, der ihn freisprechen wird, dem Staatsanwalt, der das Verfahren einstellen wird, dem Zeugen, der den „Fluchtversuch" eingehend schildert. Sie sind Fleisch von einem Fleisch, Blut von einem Blut. Der Richter versteht ihre Sprache, ihr Fühlen, ihr Denken. Zart schwingt seine Seele unter der schweren. Maske des Formalismus mit den Mördern mit. Der Mörder geht frei aus. Wehe aber, wenn der Mörder links steht. Dem Richter, der selbst zu den früher auch offiziell „oberen" Klassen gehört, ist der Gedanke, daß diese Wirtschafts­ordnung geschützt werden müsse, von alters her vertraut. Beruht doch auf ihr seine eigene Stellung. Und jeder Gegner dieser Wirtschaftsordnung ist an sich verwerflich. Der Angeklagte ist jeder Schandtat fähig. Und kann er auch nur annähernd überführt werden, so ist strengste Bestrafung sein sicheres Los.

Emil J. Gumbel, Vier Jahre Politischer Mord, Berlin 1922, S. 81 u. 149

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Reparationsforderungen der Alliierten 1920-1921 und Inflation (Dollar-Kurs) 1923
Reparationsforderungen der Alliierten 1920-1921 und Inflation (Dollar-Kurs) 1923

Reparationsforderungen der Alliierten 1920-1921 und Inflation (Dollar-Kurs) 1923

Konferenz von Boulogne 1920, Pariser Konferenz 1921, Londoner Ultimatum 5.5.1921

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Über die Inflation von 1923 urteilt Hjalmar Schacht, der bei der Stabilisierung der deutschen Währung Ende 1923 als Reichswährungskommissar maßgeblich mit­wirkte:
Über die Inflation von 1923 urteilt Hjalmar Schacht, der bei der Stabilisierung der deutschen Währung Ende 1923 als Reichswährungskommissar maßgeblich mit­wirkte:

Über die Inflation von 1923 urteilt Hjalmar Schacht, der bei der Stabilisierung der deutschen Währung Ende 1923 als Reichswährungskommissar maßgeblich mit­wirkte:


 Das Jahr 1923 machte erschreckend rapide Fortschritte im Währungszerfall. Es mußten so viele Geldscheine ausgegeben werden, daß die Reichsbank mit dem Drucken auch nicht entfernt mehr nachkommen konnte. Neben der Reichsdruckerei wurden eine große Anzahl privater Druckereien mit dem Druck von Geldscheinen beschäftigt, die auf immer höhere Beträge lauteten. Es kam rasch der Tag heran, wo für ein Straßenbahnbillett ein Geldschein von einer Milliarde Mark gezahlt werden mußte. Zahlreiche Kommunen und In­dustriebetriebe gingen dazu über, ihr eigenes „Notengeld" zu drucken und ihre Ausgaben damit zu bestreiten. Die Reichsbank konnte sich nicht weigern, deutschen Währung Ende 1923 als Reichswährungskommissar maßgeblich mit­wirkte:
Das Jahr 1923 machte erschreckend rapide Fortschritte im Währungszerfall. Es mußten so viele Geldscheine ausgegeben werden, daß die Reichsbank mit dem Drucken auch nicht entfernt mehr nachkommen konnte. Neben der Reichsdruckerei wurden eine große Anzahl privater Druckereien mit dem Druck von Geldscheinen beschäftigt, die auf immer höhere Beträge lauteten. Es kam rasch der Tag heran, wo für ein Straßenbahnbillett ein Geldschein von einer Milliarde Mark gezahlt werden mußte. Zahlreiche Kommunen und In­dustriebetriebe gingen dazu über, ihr eigenes „Notengeld" zu drucken und ihre Ausgaben damit zu bestreiten. Die Reichsbank konnte sich nicht weigern, dieses Notgeld an ihren Kassen anzunehmen und es als gleichwertig mit den eigenen Reichsbankgeldscheinen zu behandeln. Eine Kontrolle über das aus­ gegebene Notgeld wurde unmöglich. Der gesamte Zahlungsmittelumlauf ver­fiel dem Chaos. In dieser ganzen Zeit von Anfang 1919 bis gegen das Ende von 1923 haben weder die Reichsbank noch die Reichsregierung den Versuch gemacht, ein stabiles Geld zu schaffen. Die Reichsbankleitung stellte sich auf den Stand­punkt, daß es zwecklos sei, den Versuch einer Stabilisierung der Mark zu unternehmen, solange nicht feststehe, welche Kriegstribute Deutschland zu zahlen möglich sein würde, und solange hierüber kein Einverständnis mit den Siegermächten erzielt sei. Gegen diese Auffassung, die wohl auch von der 20 Reichsregierung geteilt wurde, war schwerlich etwas geltend zu machen. Eine stabile Währung, die nicht nur den innerwirtschaftlichen Zahlungsbedarf, son­dern auch die ungeheuerlichen Auslandszahlungen hätte befriedigen können, war in der Tat unmöglich.

 


 Hjallnar Schacht, 76 Jahre meines Lebens, Bad Wörishofen 1953, S. 209f.

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Der Historiker Arthur Rosenberg über die „Systematische Enteignung des deutschen Mittelstandes“ als Ergebnis der Inflation von 1923
Der Historiker Arthur Rosenberg über die „Systematische Enteignung des deutschen Mittelstandes“ als Ergebnis der Inflation von 1923

Der Historiker Arthur Rosenberg über die „Systematische Enteignung des deutschen Mittelstandes“ als Ergebnis der Inflation von 1923

Die … Nutznießer der Inflation, die Finanzspekulanten, Großindustriellen und Großgrundbesitzer, hatten goldene Zeiten. Da die deutschen Unternehmer mit lächerlich geringen Unkosten produzieren konnten, waren auf dem Weltmarkt die deutsche Preise niedriger als die Angebote jeder Konkurrenz. Darum wurde in Deutschland im Jahre 1923 ziemlich viel produziert, und die Waren gingen als Schleuderexport ins Ausland. Die Opfer der Inflation waren die deutschen Mittelschichten, die Lohn- und Gehaltsempfänger. Die deutschen Sparer verloren nun das Letzte.
Die systematische Enteignung des deutschen Mittelstandes, nicht etwa durch eine sozialistische Regierung, sondern in einem bürgerlichen Staat, der den Schutz des Privateigentums auf sein Banner geschrieben hatte, ist ein beispielloses Ereignis.

Arthur Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, Karlsbad 1935 (hier zit. nach der Ausgabe Frankfurt 1961), S. 128f.

 

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Deutschlands schwerster Verlust. Gustav Stresemann anläßlich der Entgegen­nahme des Friedensnobelpreises 1926 in der Aula der Universität Oslo am 29. 6.1927:
Deutschlands schwerster Verlust. Gustav Stresemann anläßlich der Entgegen­nahme des Friedensnobelpreises 1926 in der Aula der Universität Oslo am 29. 6.1927:

Deutschlands schwerster Verlust. Gustav Stresemann anläßlich der Entgegen­nahme des Friedensnobelpreises 1926 in der Aula der Universität Oslo am 29. 6.1927:


Der Geschichtsforscher sieht heute noch den Ausgang des Krieges für Deutschland vielfach nur in verlorenen Gebietsteilen, verlorener praktischer Kolonialbetätigung, verlorenem Staats- und Volksvermögen. Er übersieht vielfach den schwersten Verlust, den Deutschland miterlitten hat. Dieser schwerste Verlust bestand meiner Auffassung nach darin, daß jene geistige und gewerbliche Mittelschicht, die traditionsgemäß Trägerin des Staatsgedan­kens war, ihre völlige Hingabe an den Staat im Kriege mit der völligen Aufgabe ihres Vermögens bezahlte und proletarisiert wurde. Wie weit die Staatsräson dazu befugt war, dieses Opfer von einer ganzen Generation zu fordern, dieses Opfer, das darin bestand, daß das vom Staate ausgegebene Geld wertlos und nicht wieder ersetzt wurde, darüber ist der Streit der Geister und vielleicht auch die Praxis der Gesetzgebung bis heute nicht zum Abschluß gekommen.


Gustav Stresemann, Vermächtnis, hg. von Henry Bernhard, Bd. 3, Berlin 1933, S. 463

 

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Aus Ludendorffs Rede im Münchener Bürgerbräukeller am Abend des 8.11.1923:
Aus Ludendorffs Rede im Münchener Bürgerbräukeller am Abend des 8.11.1923:

Am 8./9.11.1923, dem 5. Jahrestag der Novemberrevolution, versuchten General Ludendorff und Adolf Hitler von München aus die Reichsregierung in Berlin zu stürzen.

Aus Ludendorffs Rede im Münchener Bürgerbräukeller am Abend des 8.11.1923:

Ergriffen von der Größe des Augenblicks und überrascht stelle ich mich kraft eigenen Rechtes der deutschen Nationalregierung zur Verfügung. Es wird mein Streben sein, der alten schwarz-weiß-roten Kokarde die Ehre wieder­zugeben, die ihr die Revolution genommen hat. Es geht heute um das Ganze.
Es gibt für einen deutschen Mann, der diese Stunde erlebt, kein Zaudern zur vollen Hingabe, nicht nur mit dem Verstand, nein, zur Hingabe mit vollem, deutschen Herzen an diese Sache. Diese Stunde bedeutet den Wendepunkt in unserer Geschichte. Gehen wir in sie hinein mit tiefem, sittlichen Ernst, über­zeugt und durchdrungen von unserer schweren Verantwortung... Ich bin überzeugt und zweifle nicht daran: Der Herrgott im Himmel, wenn er sieht, daß endlich wieder deutsche Männer da sind, wird mit uns sein.


Der Hitler-Prozeß vor dem Volksgericht in München, l.Teil, München 1924, S. Sf.

Durch Schüsse von Polizei und Reichswehr wird der Marsch der Putschisten am 9. November vor der Feldherrenhalle in München gestoppt. Hitler wird verhaftet und zur Mindeststrafe von 5 Jahren Festungshaft verurteilt, aber schon im Dezem­ber 1924 auf Bewährung entlassen. Ludendorff wird freigesprochen.

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Im Münchener Hitler-Prozeß würdigte der zuständige Staatsanwalt Dr. Stengelein die "deutsche Gesinnung" des Angeklagten Hitler, 19. Verhandlungstag, 21.3.1924
Im Münchener Hitler-Prozeß würdigte der zuständige Staatsanwalt Dr. Stengelein die "deutsche Gesinnung" des Angeklagten Hitler, 19. Verhandlungstag, 21.3.1924

Im Münchener Hitler-Prozeß würdigte der zuständige Staatsanwalt Dr. Stengelein den Angeklagten Hitler, 19. Verhandlungstag, 21.3.1924

Hitler ist aus einfachen Verhältnissen hervorgegangen, er hat im großen Krieg als tapferer Soldat seine deutsche Gesinnung bewiesen und nachher aus klein­sten Anfängen heraus, in mühsamer Arbeit eine große Partei, die national­sozialistische deutsche Arbeiterpartei geschaffen, wobei die Bekämpfung des internationalen Marxismus und Judentums, die Abrechnung mit den Novum berverbrechern und die Ausbreitung des nationalen Gedankens in allen Volkskreisen, besonders auch in der Arbeiterschaft, die wesentlichen Programm­punkte waren. Über seine Parteipolitik habe ich kein Urteil zu fällen, sein ehrliches Streben aber, in einem unterdrückten und entwaffneten Volke den Glauben an die deutsche Sache wieder zu erwecken, bleibt unter allen Umstän den ein Verdienst. Er hat hier, unterstützt durch seine einzigartige Rednergabe, Bedeutendes geleistet. Wurde er auch durch die Kampfstimmung in den Rei­hen seiner Anhänger zu einer einseitigen Einstellung geführt, so wäre es doch ungerecht, ihn als Demagogen zu bezeichnen; vor diesem Vorwurf schützt ihn die Echtheit seiner Überzeugung und die uneigennützige Hingabe an die von ihm selbst gewählte Lebensaufgabe...
Auch bei der Tat, die jetzt abzuurteilen ist, war nicht so sehr persönlicher Ehr­geiz, wenn er auch zweifellos eine Rolle mitspielte, als höchste Begeisterung für die deutsche Sache als Beweggrund ausschlaggebend. Als Mensch können
wir Hitler unsere Achtung nicht versagen, so schwer auch sein Verbrechen, so groß auch sein Verschulden ist.

Der Hitler-Prozeß vor dem Volksgericht in München. 2. Teil, München 1924, S.8

Hitler wird zur Mindeststrafe von 5 Jahren Festungshaft verurteilt, aber schon im Dezember 1924 auf Bewährung entlassen. In der Haft in Landsberg am Lech schreibt Hitler "Mein Kampf".

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Das amerikanische Interesse an Deutschland: Aus einem Schreiben von Unterstaatssekretär Norman Davis an den Secretary of State Charles E. Hughes, l2. 3.1921:
Das amerikanische Interesse an Deutschland: Aus einem Schreiben von Unterstaatssekretär Norman Davis an den Secretary of State Charles E. Hughes, l2. 3.1921:

Die Vereinigten Staaten suchten nach dem Friedensschluß 1918/19 für ihre während des Krieges enorm gesteigerten Produktionskapazitäten neue Märkte zum Export von Waren und Kapital. Die Umstellung auf die Friedenswirtschaft leite­te 1920 eine verheerende Depression in den USA ein (die Arbeitslosigkeit stieg im Durchschnitt des Jahres 1921 auf 11,9%). In den amerikanischen Überlegungen zur Überwindung der Krise kam Europa und vor allem Deutschland eine Schlüsselrolle zu.

Das amerikanische Interesse an Deutschland: Aus einem Schreiben von Unterstaatssekretär Norman Davis an den Secretary of State Charles E. Hughes, l2. 3.1921:

... Durch das hohe industrielle Wachstum Europas vor dem Kriege wurde Deutschland zur Achse, und der Wiederaufbau Europas und seine andauernde Prosperität hängen in erster Linie von Deutschland ab. Wenn Deutschland nicht tätig ist und gedeiht, kann Frankreich dies nicht sein, und die Prosperität der ganzen Welt hängt ab von der Fähigkeit des industriellen Europa, zu pro­duzieren und zu kaufen. Dorthinein kommt das Element des Vertrauens, und Vertrauen wird nicht entstehen, solange Stabilität und Zuversicht nicht da sind. Und bevor nicht Deutschlands Reparationszahlungen konstruktiv auf einer Grundlage geregelt sind, die Zutrauen einflößen wird, werden die für die Wiederherstellung normaler Voraussetzungen notwendigen Kredite nicht erfolgen.

Im Originaltext zit. bei: Werner Link, Die amerikanische Stabilisierungspolitik in Deutschland 1921-32, Düsseldorf 1970, S. 56, ins Deutsche übertragen vom Verfasser.

Eine verstärkte wirtschaftliche und politische Kooperation mit den USA war aus deutscher Interessenlage vor allem als Gegengewicht gegen die Repressionspolitik Frankreichs gedacht. Am 8.12.1923 kam es zur Unterzeichnung eines „Freundschafts- ,Handels- und Konsularvertrags" mit den Vereinigten Staaten, die sich im Herbst 1923 zugleich entschlossen hatten, Deutschland durch eine Inter­vention in der Reparationsfrage vor dem Zusammenbruch zu retten.

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Die Bedrohung der amerikanischen Interessen in Europa faßte Stephen Porter, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses, nach einer Unterredung mit Gustav Stresemann (27. 9. 1923) in drei Hauptpunkten zusammen
Die Bedrohung der amerikanischen Interessen in Europa faßte Stephen Porter, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses, nach einer Unterredung mit Gustav Stresemann (27. 9. 1923) in drei Hauptpunkten zusammen

Die Bedrohung der amerikanischen Interessen in Europa faßte Stephen Porter, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses, nach einer Unterredung mit Gustav Stresemann (27. 9. 1923) in drei Hauptpunkten zusammen (Aufzeichnung vom 7.10.1923):

1. durch das wirtschaftliche Chaos in Deutschland, das den gesamten Welthan­del zunehmend infizierte und dessen für Amerika nachteilige, ja gefährliche Aspekte nunmehr eindeutig, den anfangs nicht unwillkommenen Effekt der Ausschaltung der deutschen Konkurrenz überdeckten,

2. durch die separatistischen Bestrebungen, die Deutschland auseinander­brechen und eine politische und wirtschaftliche Übermacht Frankreichs erzeugen konnten;

3. durch eine revolutionäre Entwicklung in Deutschland, die auf das westliche
Europa hätte übergreifen und auch auf Amerika ausstrahlenn können, wodurch
die bisher erfolgreichen Bemühungen zur Eindämmung des Bolschewismus und Kommunismus annihiliert und der Aufbau einer konservativ-kapitalistischen Weltordnung vereitelt worden wäre.

Zit. nach: Link, Die amerikanische Stabilisierungspolitik, S. 203 f.

Unter dem Vorsitz des amerikanischen Finanzfachmanns Charles G. Dawes trat am 14.1.1924 eine internationale Sachverständigenkommission in Paris zusam­men und erarbeitete einen Wirtschafts- und Finanzplan, der die deutsche und europäische Zahlungsfähigkeit wiederherstellen sollte. Der Dawes-Plan trat, nachdem er auf der Londoner Konferenz (16. 7.-16.8.1924) die Zustimmung der Reparationsgläubiger gefunden hatte, am 1. 9.1924 in Kraft. Deutschland erhielt von den USA eine Anleihe von 800 Millionen Goldmark und die jährliche Reparationszahlungen sollten der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angepaßt werden.

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Internationaler Finanzkreislauf nach dem Dawes-Plan und Young-Plan 1924-1931/32
Internationaler Finanzkreislauf nach dem Dawes-Plan und Young-Plan 1924-1931/32

Internationaler Finanzkreislauf nach dem Dawes-Plan und Young-Plan 1924-1931/32

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Gesamtzahlungsplan Deutschlands nach dem Dawes-Abkommen sowie Schuldenabkommen zwischen Großbritannien, Italien, Belgien und Frankreich mit den Vereinigten Staaten, 1924
Gesamtzahlungsplan Deutschlands nach dem Dawes-Abkommen sowie Schuldenabkommen zwischen Großbritannien, Italien, Belgien und Frankreich mit den Vereinigten Staaten, 1924

Gesamtzahlungsplan Deutschlands nach dem Dawes-Abkommen sowie Schuldenabkommen zwischen Großbritannien, Italien, Belgien und Frankreich mit den Vereinigten Staaten, 1924

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Gründe für die Annahme des Dawes-Planes. Aus einer Rede des Reichsaußenministers Gustav Stresemann vor der Arbeitsgemeinschaft deutscher Lands­mannschaften in Berlin am 14.12.1925:
Gründe für die Annahme des Dawes-Planes. Aus einer Rede des Reichsaußenministers Gustav Stresemann vor der Arbeitsgemeinschaft deutscher Lands­mannschaften in Berlin am 14.12.1925:

Unter dem Vorsitz des amerikanischen Finanzfachmanns Charles G. Dawes trat am 14.1.1924 eine internationale Sachverständigenkommission in Paris zusam­men und erarbeitete einen Wirtschafts- und Finanzplan, der die deutsche und europäische Zahlungsfähigkeit wiederherstellen sollte. Der Dawes-Plan trat, nachdem er auf der Londoner Konferenz (16. 7.-16.8.1924) die Zustimmung der Reparationsgläubiger gefunden hatte, am 1. 9.1924 in Kraft. Deutschland erhielt von den USA eine Anleihe von 800 Millionen Goldmark und die jährliche Reparationszahlungen sollten der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angepaßt werden.

 

Gründe für die Annahme des Dawes-Planes. Aus einer Rede des Reichsaußenministers Gustav Stresemann vor der Arbeitsgemeinschaft deutscher Lands­mannschaften in Berlin am 14.12.1925.

... Die einzige große Waffe unserer Außenpolitik sehe ich in unserer wirt­schaftlichen Stellung und zwar in unserer wirtschaftlichen Stellung als Konsu­mentenland, in unserer Stellung als großes Schuldnerland gegenüber anderen Nationen. Unsere Stärke besteht nicht in der Stärke unserer Industrie und unserer Produktion. Völker sind immer Egoisten. Für andere Völker Mitleid, 5 Interesse oder Liebe zu haben, ist eine Krankheitsform, die sich auf Deutsche stets beschränkt hat. Ich glaube, man wird am weitesten kommen, wenn man irgendein Verhältnis zu anderen Nationen auf gleichlaufenden Interessen aufbaut. An unserer Produktion haben die anderen kein Interesse; aber sie haben ein Interesse daran, daß die aus den Fugen geratene Weltwirtschaft ... wieder in Ordnung kommt, und sie glauben nicht daran, daß sie wieder in Ord­nung kommt, wenn Deutschland in den Abgrund hineingezogen wird... Man muß nur genug Schulden haben, man muß soviel Schulden haben, daß der eigene Gläubiger seine eigene Existenz mitgefährdet sieht, wenn der Schuldner zusammenbricht... Diese wirtschaftlichen Dinge schaffen Brücken politischen Verständnisses und künftiger politischer Unterstützung. Denn wenn neben Amerika auch England solche Kredite gewährt, übrigens in 25 Jahren rückzahlbar, zum. Zinsfuß von 7,5 % - ich glaube, daß keiner unter Ihnen ist, der nicht dankbar wäre, wenn er auf ähnlicher Basis abschließen könnte. Wenn wir also auf diese Weise die Mächte an einem Wiederaufstieg 20 Deutschlands interessieren - dann haben sie ein Interesse an uns -, dann ist das meiner Meinung nach das, was wir aus unserer wirtschaftlichen Lage machen können... Wir können uns gegenwärtig nicht die Politik eines Kamp­fes gegen alle leisten, weil wir wirtschaftlich zugrunde gehen würden.

Geschichte in Quellen, Bd. 5, München 1975, S. 204 f.

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Die drei großen Aufgaben der deutschen Außenpolitik. Aus dem Briefwechsel zwischen dem ehemaligen deutschen Kronprinzen Wilhelm und Reichsaußenminister Stresemann.
Die drei großen Aufgaben der deutschen Außenpolitik. Aus dem Briefwechsel zwischen dem ehemaligen deutschen Kronprinzen Wilhelm und Reichsaußenminister Stresemann.

Unmittelbar  nach dem Inkrafttreten des Dawes-Planes beschloß das Reichskabi­nett, die Aufnahme in den 1919 gegründeten Völkerbund in Genf zu beantragen. Die Aufnahme erfolgte am 10. 9.1926 (s. Quelle 31). Zuvor hatte Deutschland auf der Konferenz von Locarno (5.-16. 10. 1925) die durch den Versailler Vertrag geschaffenen Westgrenzen endgültig anerkannt und damit die Verständigungs­politik gegenüber den Westmächten bekräftigt. Gleichzeitig aber pflegte das Deut­sche Reich die Kontakte zur Sowjetunion: Die Vereinbarungen von Rapallo über den gegenseitigen Verzicht auf Reparationen und die Wiederaufnahme der diplo­matischen Beziehungen mit der UdSSR (16. 4.1922) wurden so in dem Berliner Vertrag über wirtschaftliche Kooperation und politische Neutralität (24.4.1926) ausgebaut (s. Karte „Deutschland im europäischen Paktsystem", S.126).

Die drei großen Aufgaben der deutschen Außenpolitik. Aus dem Briefwechsel zwischen dem ehemaligen deutschen Kronprinzen Wilhelm und Reichsaußenminister Stresemann. Um seine Ausgleichspolitik innenpolitisch abzusichern, bemühte sich Stresemann, auch die politische Rechte für eine Verständigung mit den Westmächten zu gewinnen.

Kronprinz Wilhelm an den Reichsaußenminister, 28. 8.1925:
Lieber Herr Minister, ... [ich] ... möchte ... Ihnen noch einmal ... sagen, welch' schwere Besorgnisse ich hege für den Fall, daß wir uns dazu herbeiließen, ohne günstige Garantien in den Völkerbund einzutreten. Es mag ja sein, daß wir hier und da durch unseren Sitz im Völkerbunde kleine politische Erfolge erzielen könnten; aber ich fürchte, daß in den großen, unser Vaterland be- rührenden, Fragen wir noch immer von der Gegenseite überstimmt werden durften, und daß wir dann unsere Handelsfreiheit einbüßen. Augenblicklich und wir immer noch in der günstigen Lage, uns den Anschluß nach Osten oder Westen offen halten zu können. Wir sind sozusagen in dieser Beziehung
das Zünglein an der Waage...  Diese günstige Situation würde mit einem Schlage in ihr Gegenteil verwandelt, wenn wir jetzt eine feste Bindung mit den Westmächten eingingen.


Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Bonn, NL Stresemann, Bd. 28, Bl. 04537-38


Stresemann an den Kronprinzen, 7. 9.1925:
Zu der Frage des Eintritts in den Völkerbund möchte ich folgendes be­merken:
Die deutsche Außenpolitik hat nach meiner Auffassung für die nächste absehbare Zeit drei große Aufgaben:
Einmal die Lösung der Reparationsfrage in einem für Deutschland erträg­lichen Sinne und die Sicherung des Friedens, die die Voraussetzung für eine Wiedererstarkung Deutschlands ist, zweitens rechne ich dazu den Schutz der Auslandsdeutschen, jener 10-12 Mil- 20 lionen Stammesgenossen, die jetzt unter fremdem Joch in fremden Ländern loben. Die dritte große Aufgabe ist die Korrektur der Ostgrenzen: die Wiedergewin­nung von Danzig, vom polnischen Korridor und eine Korrektur der Grenze in Oberschlesien. Im Hintergrunde steht der Anschluß von Deutsch-Österreich, ...
Wollen wir diese Ziele erreichen, so müssen wir uns aber auch auf diese Auf­gaben konzentrieren. Daher der Sicherheitspakt, der uns einmal den Frieden garantieren und England sowie, wenn Mussolini mitmacht, Italien als Garan­ten der deutschen Westgrenze festlegen soll. Der Sicherheitspakt birgt ande­rerseits in sich den Verzicht auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit Frankreich wegen der Rückgewinnung Elsaß-Lothringens, ein deutscher Ver­zicht, der aber insoweit nur theoretischen Charakter hat, als keine Möglichkeit eines Krieges gegen Frankreich besteht...
Die Sorge für die Auslandsdeutschen spricht für den Eintritt in den Völker­bund...Die Bedenken, daß wir im Völkerbund überstimmt werden, gehen von der falschen Voraussetzung aus, daß es in diesem Völkerbundsrat, der die Ent­scheidung hat, eine Überstimmung gibt. Die Beschlüsse des Völkerbundsrats müssen einstimmig gefaßt werden... Die Frage des Optierens zwischen Osten und Westen erfolgt durch unseren Eintritt in den Völkerbund nicht. Optieren kann man ja übrigens nur, wenn man eine militärische Macht hinter sich hat. Das fehlt uns leider. Wir können weder zum Kontinentaldegen für England werden, wie einige glauben, noch können wir uns auf ein deutsch-russisches Bündnis einlassen. Ich warne vor einer Utopie, mit dem Bolschewismus zu kokettieren. Wenn die Russen in Berlin sind, weht zunächst die rote Fahne vom Schloß und man wird in Ruß­land, wo man die Weltrevolution wünscht, sehr zufrieden sein, Europa bis zur Elbe bolschewisiert zu haben und wird das übrige Deutschland den Franzosen zum Fraß geben. Daß wir im übrigen durchaus bereit sind, mit dem russischen Staat, an dessen evolutionäre Entwicklung ich glaube, uns auf anderer Basis zu verständigen und uns durch unseren Eintritt in den Völkerbund durchaus nicht nach dem Westen verkaufen, ist eine Tatsache, über die ich E.K.H. gern gelegentlich mündlich Näheres sagen würde ... Das Wichtigste ist für die unter s s 1) berührte Frage der deutschen Politik das Freiwerden deutschen Landes von fremder Besatzung. Wir müssen den Würger erst vom Halse haben. Deshalb wird die deutsche Politik, wie Metternich von Österreichwohl nach 1809 sagte, in dieser Beziehung zunächst darin bestehen müssen, zu finassieren und den großen Entscheidungen auszuweichen.

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Bonn, NL Stresemann, Bd. 29, Bl. 04584-86

 

  

 

 

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Die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund in Genf am 10.9.1926. Erlebnis­bericht des Chefdolmetschers im Auswärtigen Amt, Paul Schmidt:

Die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund in Genf am 10.9.1926.  Erlebnis­bericht des Chefdolmetschers im Auswärtigen Amt, Paul Schmidt:


Die Vollversammlung tagte bereits seit einer halben Stunde. Als erster Punkt stand die Aufnahme Deutschlands auf der Tagesordnung... Der große Augen­blick war gekommen...
Von allen Seiten wurde geklatscht und Bravo gerufen. Nur mit Mühe konnten sich die drei deutschen Delegierten durch die herandrängende Masse der aus­ländischen Völkerbundsvertreter den Weg zu ihren Plätzen bahnen. Alle woll­ten ihnen die Hände schütteln und ihnen persönlich zu diesem großen Ereignis Glück wünschen. Inzwischen tobte das Publikum auf den Tribünen, Tücher­winken, Hüteschwenken, „bravo Stresemann", Zurufe mit fremdländischen Akzentuierungen. Eine Szene, wie sie sich im Völkerbund noch nie abgespielt hatte, und wie ich sie selbst in einem so internationalen Kreise auch nie wieder erleben sollte. Dieser Empfang Deutschlands durch die Völker der Welt war wirklich etwas Einmaliges, um ein später so oft mißbrauchtes Wort hier zu verwenden.
Recht schwer hatte es der Präsident inmitten dieser Begeisterungsstürme, sich  für seine Begrüßungsworte Gehör zu verschaffen. Aber es wurde ganz still, als er Stresemann das Wort erteilte und dieser sich unter atemloser Spannung langsam auf die Rednertribüne begab... „Es kann nicht der Sinn einer göttlichen Weltordnung sein, daß die Menschen
ihre nationalen Höchstleistungen gegeneinander kehren und damit die allgemeine Kulturentwicklung immer wieder zurückwerfen", mit diesen weni­gen Worten umriß Stresemann sein gesamtes politisches Wollen und wies an anderer Stelle auf die Gründe hin, die ihn zu dieser Politik geführt hatten. „Wir sehen ... nach den grundstürzenden Ereignissen eines furchtbaren Krieges ... in vielen Staaten den Niederbruch wertvollster, für den Staat unentbehrlicher geistiger und wirtschaftlicher Schichten." Deshalb müsse man auch im inter­nationalen Zusammenleben sein ganz besonderes Augenmerk auf die „Wirt­schaft" lenken, „die die alten Grenzen der Länder sprengt und neue Formen internationaler Zusammenarbeit erstrebt."...
Er schloß mit der „Freiheit, um die jedes Volk ringt wie jedes Menschenwesen". „Möge die Arbeit des Völkerbundes sich auf der Grundlage der gro­ßen Begriffe Freiheit, Friede und Einigkeit vollziehen." Beifall tönte beim Schluß seiner Worte auf... Dann betrat Briand die Tribüne...
„Was bedeutet nun dieser heutige Tag für Deutschland und für Frankreich?  Das will ich ihnen sagen: Es ist Schluß mit jener langen Reihe schmerzlicher und blutiger Auseinandersetzungen, die die Seiten unserer Geschichte beflecken, es ist Schluß mit dem Krieg zwischen uns, Schluß mit den langen Trauer­ schleiern...
Deshalb sage ich: fort mit den Gewehren, den Maschinengewehren, den Kanonen! Freie Bahn für die Versöhnung, die Schiedsgerichtsbarkeit und den Frie­den!" Mit erhobener Stimme hatte der alte Mann auf der Tribüne diese Worte fast in beschwörendem Ton ausgerufen. Donnernder Beifall antwortete ihm. Minutenlang konnte er nicht weitersprechen. Ruhig und zufrieden gingen seine Augen über die aufgewühlte Versammlung. Dann blickte er zu Stresemann hin und hob etwas die Hand, um sich Ruhe zu verschaffen. In die lautlose Stille, die darauf eintrat, fielen die nun folgenden Worte wie die Schläge einer tiefen Glocke: „Ihnen aber, meine Herren Vertre­ter Deutschlands, möchte ich nur noch eines sagen: was Heldentum und Kraft anbetrifft, brauchen sich unsere Völker keine Beweise mehr zu liefern. Auf den Schlachtfeldern der Geschichte haben beide eine reiche und ruhmvolle Ernte gehalten. Sie können sich von jetzt ab um andere Erfolge auf anderen Gebieten bemühen." Jetzt war kein Halten mehr. Viele der Delegierten erhoben sich von ihren Sitzen, schrien ihre Begeisterung in irgendeiner Sprache hinaus und brachten ... eine lang andauernde, überwältigende Ovation dar...


Paul Schmidt, Statist auf diplomatischer Bühne 1923-45, Bonn 1949, S. 115-119


1 Die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund und seine Ernennung zum ständigen Rats­mitglied war vom Völkerbundsrat am 8. 9.1926 einstimmig beschlossen worden.

Am 9.12.1926 beschloß das Nobel-Komitee in Oslo, den Friedensnobelpreis 1926 Stresemann und Briand zuzuteilen. Der zurückgestellte Preis des Jahres 1925 wurde dem britischen Premierminister Chamberlain und Charles G. Dawes verlie­hen.

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Der sozialdemokratische Politiker Friedrich Stampfer über den Tod des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert im Februar 1925:
Der sozialdemokratische Politiker Friedrich Stampfer über den Tod des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert im Februar 1925:
Der sozialdemokratische Politiker Friedrich Stampfer über den Tod des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert im Februar 1925:

Am 28. Februar 1925 starb Friedrich Ebert, nachdem er mehr als sechs Jahre lang an der Spitze des Reiches gestanden hatte. Er hatte sein Amt übernom­men, als Deutschland im Weltkrieg geschlagen war und vor dem Untergang stand. Wenn zur Zeit seines Todes die schlimmsten Gefahren überwunden waren, die Welt wieder an Deutschland, Deutschland wieder an sich selber glaubte, so trug an diesem Erfolg niemand stärkeren Anteil als er. Deutschland hatte zum ersten Mal erlebt, daß ein Mann aus den „unteren" Volksschichten zur Würde eines Staatsoberhauptes emporstieg. Wo Kaiser und Könige, Fürsten und Junker versagt hatten, musste der ehemalige Sattlergeselle Ordnung schaffen. Eine alte Führerschicht, aufgewachsen an den Höfen, in den Offizierskasinos und den feudalen Korps, wurde durch eine neue abgelöst, die in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung ihre Schulung erhalten hatte. Ebert war ihr vornehmster Repräsentant. Kein Vorwurf ist ungerechter als der, Ebert habe die Grundsätze seiner Partei verlassen… Er war kein Held der Weltgeschichte, wie ihn der Historienmaler zeigt, hoch zu Roß über die Leichen gefallener Feinde reitend oder auf erstürmten Barrikaden mit der Fahne in der Hand. Aber man kann sich ihn vorstellen, wie er als Führer in unwirtlichem Hochgebirge die ihm anvertraute Schar vorsichtig und unverzagt durch Sturm und Wetter über vereiste Hänge zur sicheren Hütte geleitet.

Friedrich Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, 1. Aufl. Karlsbad 1936, S. 439ff.

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Reichspräsidentenwahl 1925:  Hindenburg setzt sich im 2. Wahlgang gegen Marx (Z) und Thälmann (KPD) durch, 26.4.1925
Reichspräsidentenwahl 1925: Hindenburg setzt sich im 2. Wahlgang gegen Marx (Z) und Thälmann (KPD) durch, 26.4.1925
Ergebnisse der beiden Wahlgänge vom 29.3. und 26.4. 1925 zum Reichspräsidenten
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Friedrich Stampfer: Hindenburg wird Reichspräsident (1925)
Friedrich Stampfer: Hindenburg wird Reichspräsident (1925)

Friedrich Stampfer: Hindenburg wird Reichspräsident (1925)


Wie in den Septembertagen des Jahres 1914, so war jetzt wieder der Name Hindenburg in aller Munde...
In seinen Memoiren nennt er sich selber „eine unpolitische Natur". „Betäti­gung innerhalb der Gegenwartspolitik widersprach meinen Neigungen. Viel­leicht war hierfür mein Hang zu politischer Kritik zu schwach, vielleicht auch mein soldatisches Gefühl zu stark entwickelt... Ich hatte die Empfindung, als ob die diplomatische Beschäftigung wesensfremde Anforderungen an uns Deutsche stellt." Daß er nach diesem Bekenntnis zum höchsten politischen Amt der Republik präsentiert wurde und selber Kandidatur und Amt annahm, gehört zu den großen Grotesken der Weltgeschichte ... Schon im selben Früh­jahr klagte Stresemann in seinem Tagebuch: „Es ist doch außerordentlich schwer, mit dem Reichspräsidenten über das verwickelte Gebiet der Außen­politik zu diskutieren." Aber doch glaubte er, mit ihm auskommen zu können, nur freilich: „Die Hauptsache ist, daß nicht unkontrollierbare Leute Einfluß auf ihn gewinnen."
Als den Retter hatten ihn die Plakate gepriesen. Als den Retter hatte ihn jener Teil des Volkes geholt, der nur von Monarchie und Diktatur das Heil erwartete und für den die sechs Jahre Ebert nur eine unbequeme Unterbrechung ihrer bequemen Gewohnheit gewesen waren. Aber als der Retter kam, war die Rettung schon vollbracht...
Ebert hatte auf harten Brettern geschlafen, Hindenburg kam i n eingutgemach­tes Bett. Kaum daß er seine neue Residenz bezogen hatte, so fand er auch, daß dort nichts oder wenig zu ändern war. Allerdings wurden die Repräsentations­gelder wesentlich erhöht, die fast kleinbürgerliche Haushaltung des ersten Präsidenten wurde aufgelöst, und ein kleines Hofleben begann. Es gab wieder Diener mit Escarpins und Schnallenschuhen, und wenn Empfang war, er­schien zunächst ein buntbetreßter Zeremonienmeister und kündete mit drei­maligem Aufschlagen seines langen Stabes das Kommen des Reichsoberhaup­tes an...  Die Rechte hatte mit den Mitteln der Demokratie gesiegt und war zufrieden.
Die politisch ungebildeten, gläubigen Massen, die bei den Wahlen den Rechts­parteien nachliefen, hatten nun wieder eine Stelle, zu der sie vertrauensvoll emporblicken konnten. Dort saß jetzt nicht mehr ein ehemaliger Sattlergehilfe, sondern, wie es sich gehört, ein adeliger Herr in Uniform und Ordenssternen, einer, der seine Sache noch besser machte als einst Wilhelm IL Die Republik mit Hindenburg an der Spitze anstatt der Monarchie mit dem zweiten Wil­helm, war gar kein so schlechter Tausch. Die Republikaneraber und die Arbei­ter sahen mit Staunen, daß die Republik sich befestigt und alles seinen ordentlichen Weg ging.


Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, S. 4S4 ff.

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Wirtschaft und Gesellschaft der 20er Jahre
Wirtschaft und Gesellschaft der 20er Jahre

Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Weimarer Republik ist in ihren Grundzügen durch den fortschreitenden Industrialisierungsprozeß be­stimmt. Dieser Prozeß schlug sich in einer - langfristig gesehen - dramatischen Veränderung der sektoralen Erwerbsstruktur nieder. Die Landwirtschaft verlor rapide an Bedeutung, während der industriell-gewerbliche Sektor und in einer Phasenverschiebung der Dienstleistungsbereich gewannen (s. vor allem Abb. 14 u. 15). Mit der fortschreitenden Ent-Agrarisierung hing zugleich der Trend zur Urbanisierung zusammen.

Die Gesellschaft der Zwischenkriegszeit war durch ihre „Ungleichzeitigkeit" ge­kennzeichnet. Während Industrie und Gewerbe in der Anzahl der Beschäftigten jetzt die Führung übernommen hatten und tiefgreifende Klassengegensätze das Erscheinungsbild des Weimarer Staates prägten, blieb die Gesellschaft in ihrer Mentalität und ihren Leitbildern überwiegend vorindustriellen und ständischen Wertmustern verhaftet. Dies bezieht sich nicht nur auf die von der sozialen Deklas­sierung in der Industriegesellschaft vor allem betroffene Landwirtschaft und den alten Mittelstand, sondern auch auf große Teile des Bürgertums. Realgeschichtlich waren die 20er Jahre indes eine Blütezeit des expandierenden Industriekapitalismus: Die modernen Großunternehmungen im Chemie- und Elektrobereich konnten die traditionelle Vorherrschaft der Schwerindustrie bre­chen, sie formierten sich zu Konzernen und monopolisierten die Märkte, und sie suchten den Ausgleich mit der organisierten Arbeiterschaft (s. Quellen 45 u. 46). Auch bei den Wirtschaftstheoretikern der Arbeiterbewegung war der Optimismus in den 20er Jahren, ungeachtet der hohen strukturellen Arbeitslosigkeit, groß. Im sog. „organisierten Kapitalismus" schien die endgültige Überwindung der bisheri­gen zyklischen Krisen erreicht, und man sah den Weg in den Sozialstaat und die Wirtschaftsdemokratie untrennbar damit verbunden (s. Quelle 47). Allerdings: diese Schlußfolgerungen teilten selbst die verständigungsbereiten Unternehmer nicht. Trotzdem ist richtig, daß in diesen Jahren wegweisende sozialpolitische Errungenschaften durchgesetzt werden konnten.

Verstädterung im Deutschen Reich 1875-1925
Verstädterung im Deutschen Reich 1875-1925

 3.1. Grunddaten zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung

Verstädterung im Deutschen Reich 1875-1925

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Idealschema der Entwicklung der sektoralen Erwerbsstruktur von der Agrargesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft
Idealschema der Entwicklung der sektoralen Erwerbsstruktur von der Agrargesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft
Idealschema der Entwicklung der sektoralen Erwerbsstruktur von der Agrargesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft, nach J. Fourastié, 1949
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Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen Deutsches Reich und Bundesrepublik Deutschland 1882-1986
Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen Deutsches Reich und Bundesrepublik Deutschland 1882-1986
Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen Deutsches Reich und Bundesrepublik Deutschland 1882-1986
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Soziale Gliederung in der Weimarer Republik nach dem Ergebnis der Volkszählung von 1925
Soziale Gliederung in der Weimarer Republik nach dem Ergebnis der Volkszählung von 1925
Soziale Gliederung in der Weimarer Republik nach dem Ergebnis der Volkszählung von 1925
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Konzentration und Beschäftigung im produzierenden Gewerbe im Deutschen Reich und in der BRD 1882-1956
Konzentration und Beschäftigung im produzierenden Gewerbe im Deutschen Reich und in der BRD 1882-1956
Konzentration und Beschäftigung im produzierenden Gewerbe im Deutschen Reich und in der BRD 1882-1956
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Arbeitslosigkeit  im Deutschen Reich 1919-1933
Arbeitslosigkeit im Deutschen Reich 1919-1933
Arbeitslosigkeit  im Deutschen Reich 1919-1933
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Schichtungsbild der deutschen Gesellschaft nach Theodor Geiger, 1925/1932
Schichtungsbild der deutschen Gesellschaft nach Theodor Geiger, 1925/1932

3.2. Soziale Schichtung und Mentalität

Der wichtigste Versuch, die Gesellschaft dert Weimarer Republik zu analysieren, war Theodor Geigers 1932 erschienene Untersuchung "Die soziale Schichtung des Deutschen volkes." Geiger unterschied, aufbauend auf der Berufszählung von 1925, fünf Hauptschichten, unter besonderer Berücksichtigung der Kriterien "materielle Situation", "Verhältnis zu den Produktionsmitteln" sowie "Mentalität". Unter Mentalität verstand Geiger "geistig-seelische Disposition", die "unmittelbare Prägung des Menschen durch seine soziale Lebenswelt und die von ihr ausstrahlenden, an ihr gemachten Lebenserfahrungen." 

Schichtungsbild der deutschen Gesellschaft nach Theodor Geiger, 1925/1932  (Theodor Geiger, Die soziale Schichtung des deutschen Volkes, Stuttgart 1932, S. 77)

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Von der Goltz-Greifswald, Lebenswege und Berufe für den Adel in der Gegenwart, in: Neue Preußi­sche (Kreuz-)Zeitung von 1925

Von der Goltz-Greifswald, Lebenswege und Berufe für den Adel in der Gegenwart, in: Neue Preußi­sche (Kreuz-)Zeitung von 1925:

Längst sind die Zeiten vorbei, da der Adel eine vor anderen Ständen priviligier­te Klasse war. Was ihm die Revolution unserer Tage genommen, war nur der königliche Schutz seines alten Namens. Wir wollen in der königlosen Zeit gern das Schicksal unseres Königshauses teilen, mit dem wir durch eine jahrhun­dertelange Geschichte eng verbunden waren. Was uns aber niemand nehmen kann, das ist unsere völkische Pflichterfüllung auf Grund unserer ruhmvollen, mit der Entwicklung unseres Vaterlandes eng verbunden Geschichte.

Die Bedeutung des Adels in der deutschen Geschichte, insbesondere in der preußischen, beruhte auf drei festen Säulen: der Familie, dem Grundbesitz und dem Staatsdienst. Ähnliches findet sich natürlich auch im Bauernstande und im städtischen Bürgertum. Aber die enge Verbindung mit dem Staats- und Heeres­dienst ist insbesondere unserem Adel eigentümlich... Das mühelose Erben eines alten Namens oder eines alten Besitzes hat gar keinen Wert mehr. Nur wo die ererbten sittlichen Kräfte eines Geschlechtes sich in der Gegenwart durch hervorragende Arbeit auswirken, bleibt auf die Dauer der Wert und Besitz einer Familie erhalten. Es war daher eine durchaus gesunde Entwicklung in dem letzten Jahrhundert, daß da, wo nicht mehr der alte väterliche Besitz erhalten und gepflegt werden konnte, sich auch die Lebenswege und Berufe erweitert haben, in denen der Adel dem Vaterlande und dem Gemeinwohl diente. Es finden sich heute Gelehrte und Künstler, Geistliche und Beamte, auch Ärzte, Ingenieure und Techniker in großer Zahl, die den alten Geschlechtern entstammen... Der Heeresdienst, der über 300 Jahre, besonders in Brandenburg-Preußen, der eigentliche adlige Beruf war, ist zurzeit so eingeschränkt und in so eigentümli­che Verhältnisse verflochten, daß es hier vielleicht gerade den Angehörigen des Adels schwerer gemacht ist als anderen, einen gesicherten Lebensberuf zu finden. Auch der Staatsdienst ist in der Republik kein gesichertes Arbeitsfeld mehr. Wenn früher vielleicht häufiger, als es gut war, adlige Geburt einen Vor­zug bedeutete, will sie jetzt als ein Nachteil erscheinen... Jede tüchtige Arbeit adelt natürlich und keiner von uns soll sie verachten, aber der ideale Grundgedanke, dem Volksganzen, dem Staate allein zu dienen, ist beeinträchtigt durch die Nebengedanken des Verdienens für sich selbst. Nach dieser Richtung wei­sen jedenfalls nicht die alten Überlieferungen unserer Familien.

 

zit. nach: Deutsche Sozialgeschichte 1914-45, hg. von W. Abelshauser u. a., München 1985, S. 93-97 

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Margarete Buber-Neumann in "Von Potsdam nach Moskau. Stationen eines Irrweges" über Berliner Boheme und ihr gesellschaftliches Leben von 1927
Margarete Buber-Neumann in "Von Potsdam nach Moskau. Stationen eines Irrweges" über Berliner Boheme und ihr gesellschaftliches Leben von 1927

Margarete Buber-Neumann in "Von Potsdam nach Moskau. Stationen eines Irrweges" über Berliner Boheme und ihr gesellschaftliches Leben von 1927:

Eines Tages wurde ich Theta Sch. vorgestellt und zu ihr eingeladen. Ich ging gegen Abend, zu etwas ungewöhnlicher Stunde, fand aber das Haus trotzdem voller Menschen. Sie saßen zwanglos umher, unterhielten sich, diskutierten, lachten... Man sprach über Literatur und Kunst, natürlich nur der aller­modernsten Richtungen, über Mode und gesellschaftliches Leben, und erzählte mit Geist und Temperament den neusten Klatsch... So vielfältig die Interessen der Gäste des Hauses waren, so vielfältig waren auch die Richtungen, die sie vertraten. Nur die bürgerliche Rechte oder gar die extreme Rechte schienen nicht dabei zu sein. Parteipolitisch waren überhaupt nur wenige gebunden, und so gab es denn auch kaum Parteibuchkommunisten. Auch Theta Sch. war kein Mitglied der KP, wenn sie auch oft an kommu­nistischen Demonstrationen und Versammlungen teilnahm. Was diese Men­schen untereinander gemeinsam hatten, war vor allem eins: sie waren allem Neuen aufgeschlossen, sie waren modern, sie waren Kinder des Nachkriegsjahrzehnts. Mochte es sich um Politik, Kunst oder Literatur handeln, immer blickten sie mit Horror auf die Beschränktheit einer ihrer Meinung nach ret­tungslos untergegangenen bürgerlichen Vergangenheit zurück. Man war ein Mensch, also durfte einem nichts Menschliches fremd sein. Diese durch Sieg­mund Freud und die ungehemmte Aussage der Schriftsteller und Künstler vorbereitete Grundhaltung der zwanziger Jahre herrschte auch im Hause Sch. Alles konnte gesagt werden. Einwände, die etwa erhoben wurden, waren niemals moralischer Natur. Und noch eins verband all diese Menschen: die Sympathie für die Sowjetunion. Natürlich gab es unter ihnen Kritiker an der sowjetischen Politik und an der bolschewistischen Gesellschaftlehre. Doch jeder war bereit, alles, was aus Rußland kam, mit offenen Armen aufzuneh­men. Was man auch sein mochte, man legte Wert darauf, „fortschrittlich" zu sein. Und Sowjetrußland war Fortschritt, Morgen, neue Zeit, neue Gesell­schaft…In diesem Hause wurde nicht missioniert. Dazu hatte man zuviel Ver­gnügen am Gespräch. Aber der erwartungsvolle, gespannte Blick gen Osten verband die meisten der Gesprächspartner.

 

Von Potsdam nach Moskau. Stationen eines Irrweges, Stuttgart 1957, S.111-114 

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Georg über Lebens- und Denkgewohnheiten des „Mittelstandes": Die Angestellten (1921) in "Unser Stand vor dem Abgrund"

Georg über Lebens- und Denkgewohnheiten des „Mittelstandes": Die Angestellten (1921) in "Unser Stand vor dem Abgrund":

Die Angestellten gehörten bisher zum Mittelstand. Daß ihr Einkommen zumeist nicht viel höher war als das des Arbeiters, ja oft noch dahinter zurück­blieb, beweist nicht das Gegenteil, sondern nur, daß die gesellschaftliche Stellung eines Berufes nicht unbedingt und unter allen Umständen abhängt von seiner wirtschaftlichen Lage. Wer will ernstlich bestreiten, daß die Lebensführung des Angestellten höher war als die des Arbeiters! Der Ange­stellte kleidete sich besser, wohnte vornehmer, besaß mehr gediegeneren Hausrat, nahm bildenden Unterricht, besuchte Vorträge, Konzerte oder Theater und las gute Bücher. Seine Lebenshaltung glich dadurch, zwar nicht dem Umfange und der Freiheit nach, doch in der Art derjenigen besitzender Kreise. Dieses anspruchsvollere Auftreten hatte seine Ursache weder im Dünkel, noch allein in den Erfordernissen des Berufes. Es war der durchaus berechtigte Ausdruck eines tieferen Bedürfnisses, einer feineren geistigen und seelischen Bildung. In dieser Feststellung liegt keine Herabsetzung des Hand­arbeiters, wohl aber liegt darin ein Vorwurf gegen die Freigewerkschaftler und Parteisozialisten, die den Angestellten unter Verkennung der Tatsachen als Stehkragenproletarier verspotteten ... Die Arbeit erschien ihnen nicht, wie dem Arbeiter, als unvermeidliches Übel, sondern war ihnen seelische Befrie­digung. Deshalb konnte sich der Stand allen trüben Einzelerfahrungen zum Trotz noch immer mehr oder minder in der Mitarbeiterrolle fühlen.

Seinem Einkommen nach unbestreitbar dem Proletarier am nächsten, seiner Lebens- und Denkgewohnheit entsprechend aber ebenso unbestreitbar dem Besitzenden am verwandtesten - so hielt der Angestellte zusammen mit dem Kleingewerbetreibenden die Mitte; daher die Bezeichnung Mittelstand.

Der Wert dieses Standes kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Die führenden Schichten des Volkes und die seiner Wirtschaft werden aus ihm ergänzt und aufgefrischt. Er selber wird erneuert durch den befähigsten Nachwuchs aus dem Proletariat, das eben dadurch seine besondere Bedeutung hat. Es ist ein fortdauerndes - man achte wieder aufs Wort: - Vermitteln zwischen unten und oben. Es liegt darin naturgewollte, unumgängliche Ordnung. Wer daran zweifelt, prüfe einmal die Lebensgänge der als Gemeindevorsteher, Bürger­meister, Regierungspräsidenten und Minister wirkenden ehemaligen Arbei­ter. Soweit sie überhaupt in ihren Ämtern etwas taugen, waren sie zuvor - An­gestellte, sei es als Parteisekretäre, Gewerkschaftsführer, Konsumvereinslei­ter oder Redakteure.


zit. nach: Deutsche Sozialgeschichte 1914-1945, S. 84f. 

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Theodor Geiger, Die soziale Schichtung des deutschen Volkes: Über den Familiencharakter des bäuerlichen Betriebes und die Lebensanschauungen der Landarbeiter von 1925/32

Theodor Geiger, Die soziale Schichtung des deutschen Volkes: Über den Familiencharakter des bäuerlichen Betriebes und die Lebensanschauungen der Landarbeiter von 1925/32

Beinahe die Hälfte aller landwirtschaftlichen Arbeiter, 1,12 von insgesamt 2,4 Millionen, sind Knechte und Mägde, die im Haushaltsverbande des Arbeitge­bers leben. Ausweislich der Betriebszählung sind sie der weit überwiegenden Mehrzahl nach (mit 950 000!) in Betrieben zwischen 5 und 50 habeschäftigt. In den letzten Jahrzehnten hat sich zwar auch das Verhältnis des bäuerlichen Betriebspersonals zum Bauern merklich geändert, dennoch darf man noch heute im Hinblick auf mindestens einen großen Teil der Knechte und Mägde behaup­ten: auch in ihrer Stellung drückt sich der Familiencharakter des bäuerlichen Betriebes aus. Dieser Familiencharakter bedeutet nicht nur, daß die im Betrieb anfallende Arbeitslast zum erheblichen Teil von Familienangehörigen des Unternehmers getragen wird, sondern auch umgekehrt: daß die daneben ver­wendeten fremden Arbeitskräfte ihrer Stellung nach an dem familiären Stil des Betriebes teilhaben. Wohnung und Verpflegung im Haushalt des Arbeitgebers sind dabei noch nicht das Entscheidende; diese Merkmale treffen auch auf die städtischen Hausangestellten zu. Wichtig ist aber, daß die soziale Distanz sehr viel geringer ist. Das drückt sich in der Tischgemeinschaft mit dem Arbeitge­ber, im Connubium und andern Erscheinungen aus. Knecht und Magd gehö­ren zur Familie, werden auch vielfach mit ihrem Vornamen und dem Hofna­men des Bauern genannt. So dürfen die Knechte und Mägde, vielfach Kinder selbständiger Bauern, als Grenzlage zwischen landwirtschaftlichem Arbeiter und bäuerlichem Mittelstand betrachtet werden; jedenfalls trifft das auf die Großknechte und Großmägde zu.

Sind Freizügigkeit und Beweglichkeit in bezug auf Betrieb und Wohnsitz kenn­zeichnende Merkmale des Industriearbeiters, so ist der Landarbeiter sein Anti­pode innerhalb der Lohneinkommensbezieher, denn er ist meist auf eine Landschaft, oft auch als Häusler auf einen benachbarten Gutsbetrieb festge­legt... In keiner Gruppe der Arbeiterschaft ist das durchschnittliche Qualifi­kationsniveau so niedrig wie in dieser. Was aber die Lebensanschauungen angeht, so sind sie nirgends so konservativ wie hier; der Landarbeiter ist noch so sehr von feudalistisch-patriarchalischer Atemluft eingehüllt, daß er noch heute vielfach ohne erheblichen Widerspruch z. B. die Bevormundung bei politischen Wahlen seitens des Arbeitgebers hinnimmt.

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Günther Dehn über die Lebensverhältnisse in einem Berliner Arbeiterviertel im Jahr 1929

Günther Dehn über die Lebensverhältnisse in einem Berliner Arbeiterviertel im Jahr 1929

Der im Zentrum stark bürgerliche Stadtbezirk, in dem viele Beamte und leidlich wohlsituierter Mittelstand wohnen, wird nach außen hin immer proletarischer. Wir sind eine reine Arbeitergemeinde. 95 bis 97 Prozent ihrer Glieder gehören soziologisch gesehen zum Proletariat. Die übrigen 3 bis 5 Prozent werden gebildet durch kleine und mittlere Beamte, Kaufleute und Hauswirte... Angehörige höherer Gesellschaftsklassen wohnen in unserer Gemeinde nicht. Die höchste Beamtenkategorie ist die des Sekretärs. Das Dutzend Ärzte, das wir haben, ist rein jüdisch. Zwei Rektoren haben in der Gemeinde ihre Amtswohnung. Lehrer wohnen in diesen „schlechten" Viertel kaum drei oder vier. Infolge des wirtschaftlichen Umsturzes der letzten Jahre kann man gelegentlich Angehörige früher wohlhabender Kreise, die jetzt verarmt sind, bei uns antreffen. Eine Anzahl von Geschäftsleuten ist leidlich situiert, doch haben wir keinen einzigen reichen oder gar nur wohlhabenden Mann in der Gemeinde. Die eigentliche Masse der Bevölkerung besteht aus einer in verhältnismäßig geordneter Lage sich befindenden Arbeiterschicht, die vielfach in den benachbarten großen Fabriken arbeitet... Der gelernte Arbeiter verdient 50 bis 60 Mark in der Woche, der ungelernte 30 bis 40, die Fabrikarbeiterinnen kommen häufig über 15 bis 20 Mark nicht hinaus...
... In der Lebensführung legt man vor allen Dingen Wert auf gute Kleidung. Wenn man es sich leisten kann, wird auch einigermaßen gut gegessen. Sehr trübe sind dagegen die Wohnungsverhältnisse. Die Häuser sind Mietskasernen der achtziger und neunziger Jahre... Die meisten Wohnungen bestehen aus Stube und Küche, nach vorne heraus liegen meist Zwei-Zimmerwohnungen. Drei Zimmer sind selten, vier kommen nur in wenigen besseren Häusern vor. In einer Anzahl von Häusern befinden sich Wohnküchen, also Wohnungen, die nur aus einem einzigen Raum bestehen. Gelegentlich sind findige Wirte auf den Gedanken gekommen, jeden Raum der Wohnung einschließlich Flur einzeln zu vermieten. Hier wohnt dann das ärmste Proletariat. Dem System des Kreidestrichs (zwei Familien in einem Zimmer) bin ich aber bei uns noch nicht begegnet. Von Badeeinrichtungen kann nirgendwo die Rede sein. Das gemeinsame Klosett für die Bewohner eines Stockwerks (3 bis 4 Familien) befindet sich meist einen Treppenabsatz tiefer... Das übliche Bild des Familienlebens ist etwa dies: Der Vater verläßt früh das Haus, um zur Arbeit zu gehen, die ihn je nach Länge des Weges 10 bis 12 Stunden fernhält. Die Mutter sorgt für den Haushalt, der dadurch erschwert wird, daß von den erwachsenen Kindern oft jedes zu einer anderen Zeit von der Arbeit zurückkommt und dann die Hauptmahlzeit für sich einnimmt. Daß die Frau regelmäßig neben dem Mann in die Fabrik geht, ist bei den ungünstigen Verhältnissen des Arbeitsmarktes eine Ausnahme. Häufig hat sie aber noch eine Heimarbeit, oder sie geht gelegentlich zur Wäsche oder zur Aufwartung aus dem Hause. Am Abend pflegt der Vater noch diese oder jene häusliche Beschäftigung zu erledigen (Stiefelbesohlen, Küchenreparaturen, Nachsehen von Schularbeiten bei den kleineren Kindern), dann liest er seine Zeitung und geht früh zu Bett. Nur etwa 25 bis 30 Prozent der Arbeiterschaft lesen übrigens die im eigentlichen Sinne sozialistische Presse...    Charakteristisch für das Proletarierviertel ist, daß der normale Typus der Familie (Vater, Mutter und Kinder aus der gemeinsamen Ehe) doch häufig stark gestört ist. Es gibt in den Familien sehr viel voreheliche und uneheliche Kinder. Man trifft auch viel Pflegekinder oder Kinder, die bei ihren Großeltern erzogen werden. In unserem armen Stadtteil wohnen auch viele Witwen mit so ihren Kindern, die auf Arbeit zu gehen genötigt sind. In diesen Familien machen sich die sozialen und sittlichen Nöte des Arbeiterquartiers besonders stark geltend.
Die politische Haltung der Bevölkerung ist ausgesprochen nach links hin gerichtet. Bei Wahlen ist die Zahl der abgegebenen kommunistischen Stimmen unbedingt überwiegend. Die älteren Arbeiter der großen Fabriken sind meist sozialdemokratisch, so auch die staatlichen oder städtischen Unterbeamten. Das Kleinbürgertum ist deutschnational.

Proletarische Jugend. Lebensgestaltung und Gedankenwelt der großstädtischen Proletarierjugend, Berlin 1929, S. 16-19

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„Das industrielle Unternehmertum Deutschlands in der Nachkriegszeit."  Aus einer Rede des rheinischen Braunkohlenindustriellen Paul Silverberg auf der Tagung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) am 6.9.1926:
„Das industrielle Unternehmertum Deutschlands in der Nachkriegszeit." Aus einer Rede des rheinischen Braunkohlenindustriellen Paul Silverberg auf der Tagung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) am 6.9.1926:

 3.3. Unternehmer, Gewerkschaften und Sozialpolitik

„Das industrielle Unternehmertum Deutschlands in der Nachkriegszeit."  Aus einer Rede des rheinischen Braunkohlenindustriellen Paul Silverberg auf der Tagung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) am 6.9.1926 in Dresden: (Dresdener Rede)

Die politische Revolution, mit der nach dem Kriegsverlust die Nachkriegszeit anfing, wurde sehr bald zu einer wirtschaftlichen und sozialen Revolution. Das deutsche Unternehmertum, bis zum Kriege und von einzelnen abgesehen auch im Kriege, politisch indifferent, jedenfalls nicht aktiv, sah sich plötzlich als Objekt des politischen Kampfes. Es sah als seine unmittelbaren Gegner die revolutionäre Arbeiterschaft und den von ihr beherrschten Staat. Es hatte einen Kampf um seine Existenz nach vielen Seiten zu führen: Gegen die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung, von der es gleichermaßen mit dem ganzen Volke getroffen wurde, dazu gegen die den Staat repräsentieren den revolutionären Regierungen. Gegen sie in ihren auf Sozialisierung und Gemeinwirtschaft hinzielenden Tendenzen mußte es um seinen Besitz und die Grundlage seiner Existenz den Kampf führen.

... es ist von ganz besonderem Interesse festzustellen, daß die politische Not des gesamten Volkes - ich nenne Reparationsfrage und Ruhrkampf - und damit die Außenpolitik es waren, die Unternehmertum und nachrevolutionäre Regierungen zu aktiver Zusammenarbeit für den Staat brachten. Und trotz aller besonderen neuen Schwierigkeiten und Kritiken am Tun oder Unterlassen hatte diese Zusammenarbeit das gute Ergebnis, daß die Einstellung des Unternehmertums auf den heutigen Staat auf eine klare Linie gebracht worden ist:

Das deutsche Unternehmertum steht heute restlos auf staatsbejahendem Standpunkt.

Es mag der eine oder der andere noch mehr oder weniger beeinflußt von Ressentiments mehr persönlicher Art sein: Alle ernsthaften und pflichtbewußten Menschen haben sich auf den Boden des heutigen Staates und der Reichsverfassung gestellt: der Reichsverfassung, die in allen Bestimmungen, mögen sie uns gefallen oder nicht gefallen, Respekt erheischt, aber, das sei aber auch aller Öffentlichkeit gesagt, mit allen den Bestimmungen, die ihre Änderung in manchen gewollt oder ungewollt unklaren Punkten vorsehen. Ebenso wie das deutsche Unternehmertum alle die extremen Elemente rechts und links ablehnt, deren offenes oder geheimes Ziel die verfassungswidrige, gewaltsame Änderung der Reichsverfassung darstellt, so lehnt das deutsche Unternehmerturn auch diejenigen Verteidiger der Republik ab, die in der Verfassung heute noch vornehmlich ein Instrument wirtschaftsrevolutionärer Ziele sehen...
Man sagte einmal, es kann nicht gegen die Arbeiterschaft regiert werden. Das ist nicht richtig: es muß heißen: nicht ohne die Arbeiterschaft regiert werden. Und wenn das richtig ist, muß man den Mut zur Konsequenz haben, es soll nicht ohne die Sozialdemokratie, in der die überwiegende Mehrheit der deutschen Arbeiterschaft ihre politische Vertretung sieht, regiert werden. Die deutsche Sozialdemokratie muß zur verantwortlichen Mitarbeit heran... Wenn eine soziale Demokratie sich auf den Boden der Tatsachen stellt, den radikalen Doktrinarismus und die immer zerstörende, nie aufbauende Politik der Straße und der Gewalt ablehnt, wird sie zusammen mit dem Unternehmertum und unter seiner Führung Deutschland und die deutsche Wirtschaft wieder zu Erfolgen und zur Blüte führen.

Zit. nach: Franz Mariaux, Paul Silverberg, Reden und Schriften, Köln 1951, S. 49-69

Zum politischen Wirken von Paul Silverberg in der Weimarer Republik siehe: Reinhard Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik, Göttingen 1981

 

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Zur grundsätzlichen Bedeutung der Silverberg-Rede und ihrem wirtschaftlichen und politischen Hintergrund äußerte sich der führende SPD-Politiker Rudolf Hilferding im Oktober 1926:

Die Rede des Großindustriellen Paul Silverberg vor dem Reichsverband der Deutschen Industrie in Dresden am  4. September 1926 in Dresden (Dokument 45) wurde in der Öffentlichkeit als sensationell empfunden, und sie löste eine heftige Kontroverse innerhalb der Industrie aus.


Zur grundsätzlichen Bedeutung der Silverberg-Rede und ihrem wirtschaftlichen und politischen Hintergrund äußerte sich der führende SPD-Politiker Rudolf Hilferding im Oktober 1926:

Dreierlei enthält dieses Pronunziamento der deutschen Industriellen: die Billigung der auswärtigen Politik, die nachdrückliche Anerkennung der Republik und die Aufforderung an die Sozialdemokratie zum Eintritt in die Regierung. Zur Beurteilung der Bedeutung und des Gewichts der Kundgebung wird man wieder von der ökonomischen Analyse ausgehen müssen. Seitdem Bismarck 1878 durch gleichzeitige Einführung der Getreide- und der Eisenzölle die neue Handelspolitik inauguriert hatte, war die deutsche Wirtschaftspolitik und von da aus immer mehr auch die Gesamtpolitik durch das Bündnis der Schwerindustrie mit dem Großgrundbesitz bestimmt worden. Zum erstenmal seit fast
50 Jahren erscheinen diese herrschenden Mächte, die von 1918 an die Gegenrevolution organisiert und geführt haben, uneins und im Widerstreit gegeneinander. Sind es vorübergehende Differenzen oder wirklich tiefere, länger dauernde Gegensätze?
Die Struktur der deutschen Industrie hat schon durch den Friedensvertrag eine bedeutsame Änderung erlitten. Der Verlust Elsaß-Lothringens und Oberschlesiens, die zeitweilige Abtrennung des Saargebiets haben das Gewicht der Schwerindustrie vermindert. Die Wirtschaftskrise (und vorher die Ruhrbesetzung) hat Kohle und Eisen am schwersten betroffen. Der Zusammenbruch der Konzerne hat gerade hier das Verhältnis zum Staate völlig umgekehrt. Die sich während der Inflation als Herren des Staates gefühlt und gebärdet hatten, wurden die Bittsteller um Sanierungskredite. Die wirtschaftliche und politische Autorität, die sie wie in allen anderen, so namentlich in den Kreisen der Industrie selbst geübt hatten, war dahin. Mit Stinnes, der im Reichsverband noch unbestrittene Autorität war, sank jene Epoche der Nachkriegszeit ins Grab, in der die Schwerindustrie noch einmal, und vielleicht zeitweilig am unumschränktesten, politische Herrschaft geübt hat.
... In derselben Zeit, in der die Rohstoffindustrie am schwersten litt, befestigte z. B. die deutsche Elektrizitätsindustrie durch technische Erneuerung und finanzielle Konsolidierung ihre Stellung; vor allem aber eroberte sich die chemische Industrie die überragende Position, die sie heute vor allen Industrien einnimmt. Sie ist mit ihrem Kapital von 1,1 Milliarden Mark das größte deutsche und eines der größten Unternehmen der Welt...
Das Entscheidende aber ist die Änderung der weltpolitischen Stellung der deutschen Industrie. Vor dem Kriege war die Schwerindustrie, immer im Bunde mit dem Großgrundbesitz, der die leitenden Stellen in Armee und Verwaltung besetzte, Trägerin des aggressiven deutschen Imperialismus. Die Niederlage hat Deutschlands militärische Kraft gebrochen, aber Deutschland ist ein ökonomisches Machtzentrum erster Ordnung geblieben. Deshalb muß der Expansionsdrang des deutschen Kapitalismus andere Formen suchen und er findet sie in den internationalen kapitalistischen Interessengemeinschaften aller Art...

In derselben Richtung entwickelte sich die Bankpolitik, insbesondere seitdem im letzten Stadium der Inflation der Verlust des mobilen Kapitals manifest und es klar wurde, daß Deutschland auf internationale Kredite angewiesen war. So wurde der Reichsverband zum Befürworter des Dawesplanes, zum Förderer der Locarno- und Völkerbundspolitik1; zur Stütze Stresemanns... Der Reichsverband will die Fortsetzung einer verständigen Außenpolitik der Verständigung, er will eine ungestörte Entwicklung im Innern und deshalb keinen Kampf um die Staatsform, er erkennt die Änderung der sozialen Machtverhältnisse an. Die Utopie..., Gewerkschaften und Sozialdemokratie zu vernichten, ist erledigt. Nur das Kompromiß erscheint verwirklichbar. Der deutsche Unternehmer hat sich zu der Einsicht durchgerungen, die der englische schon lange vor dem Kriege erreicht hat...

1Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund am 10. 9. 1926, s. Kap. 11.2, Quelle 31

 

Politische Probleme, in: Die Gesellschaft. Internationale Revue für Sozialismus und Politik Nr. 10, IIL Jg., Berlin Okt. 1926, S. 289-294 

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„Wirtschaftsdemokratie". Auszug aus einer Programmatischen Denkschrift, herausgegeben im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) von Fritz Naphtali, 1928:

„Wirtschaftsdemokratie". Auszug aus einer Programmatischen Denkschrift, herausgegeben im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) von Fritz Naphtali, 1928:

Seitdem die politische Vertretung der Arbeiterschaft in vielen Fällen, obwohl in der Minorität, in den Parlamenten mitentscheidend wirkt und manchmal das Zünglein an der Waage bildet, und die Arbeiterparteien in den verschiedenen europäischen wie auch überseeischen Ländern entweder eigene Regierungen gestellt haben oder mit den anderen Parteien zusammen an den Regierungen beteiligt waren, während andererseits die Gewerkschaften in vielen Ländern ganz unbestritten der uneingeschränkten Willkür der Unternehmer Paroli geboten haben, wird es zur gebieterischen Notwendigkeit, daß die Arbeiterschaft alle ihre politischen und wirtschaftlichen Machtmittel mit möglichst großem positivem Effekt zur Neugestaltung der Gesellschaft einsetzt. Dazu gehört, daß alle einzelnen Anstrengungen und täglichen Kämpfe durch den einheitlichen Willen und alle Teilforderungen durch einen Grundgedanken zusammengefaßt werden. Aus diesem Bedürfnis entsteht nun das Programm der Wirtschaftsdemokratie: durch Demokratisierung der Wirtschaft zum Sozialismus!
Kurz zusammengefaßt darf man sagen, daß es zwei Wege sind, die in der Forderung der Wirtschaftsdemokratie sich kreuzen: der eine geht aus von der Kritik der Unzulänglichkeit der politischen Demokratie, der andere von der Kritik der wirtschaftlichen Autokratie...
Die Kritik der politischen Demokratie stellt fest, daß die politische Demokratie allein keineswegs eine vollendete Demokratie ist und keine endgültige Befreiung der arbeitenden Massen bedeutet, daß sie von sich aus nicht einmal die schlimmsten Formen der Ausbeutung beseitigt. Diese Kritikbedeutet aber alles andere als eine Verneinung der politischen Demokratie: im Gegenteil, für jede Entwicklung in der Richtung zur Wirtschaftsdemokratie ist, wie gesagt, die politische Demokratie notwendiger Ausgangspunkt und unerläßliche Voraussetzung. Es liegt auf der Hand, daß zum Beispiel die Beeinflussung der Wirtschaft durch den Obrigkeitsstaat nichts mit der Wirtschaftsdemokratie zu tun hat. Andererseits bleiben die formale Gleichberechtigung aller Bürger in der politischen Demokratie und die sogenannte „Gleichheit der Chance" praktisch so lange nicht verwirklicht, als es auf dem Gebiete der Wirtschaft noch Herrschende und Beherrschte gibt, und die Möglichkeiten wegen der Vermögensverteilung von vornherein außerordentlich ungleich sind. Wirtschaftsdemokratie bedeutet also den Ausbau der politischen Demokratie durch die Demokratisierung der wirtschaftlichen Beziehungen...
Das Wesen der Wirtschaftsdemokratie ist daher erst erfüllt, wenn die Verfügung über die Produktionsmittel nicht mehr Einzelnen zu Privateigentum für private Zwecke zusteht, sondern einem Gemeinwesen der Wirtschaft, das einen wirtschaftlichen Gemeinwillen verkörpert, in dem nicht mehr der private Nutzen Einzelner, sondern der Gemeinnutzen bestimmend ist.

Wirtschaftsdemokratie. Ihr Wesen, Weg und Ziel, Berlin 1928, hier zit. nach: 4. Aufl. Köln/Frankfurt a. M. 1977, S. 28 ff 

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„Wirtschaftsdemokratie oder organisierte Wirtschaftsfreiheit?" Aus einer Denkschrift des Vereins deutscher Maschinenbau-Anstalten (VDMA) von Karl Lange, dem Hauptgeschäftsführer des VDMA, 1929:

„Wirtschaftsdemokratie` oder organisierte Wirtschaftsfreiheit?" Aus einer Denkschrift des Vereins deutscher Maschinenbau-Anstalten (VDMA) von Karl Lange, dem Hauptgeschäftsführer des VDMA, 1929:

Die gesamte deutsche Volkswirtschaft in einheitlicher Planwirtschaft organisiert, wie es den Verfechtern der sogenannten Wirtschaftsdemokratie vorschwebt, würde ein Unternehmen von über 30 Mill. Beschäftigten darstellen. Demgegenüber umfassen die größten deutschen Konzerne heute 100000 bis 200000 Beschäftigte, also noch nicht 1 v. H. eines solchen Umfanges, und doch stehen diese somit verhältnismäßig kleinen Gebilde bereits jetzt in einem täglich erneuerten und keineswegs immer erfolgreichen Kampf gegen das, was man „Industriebürokratie" genannt hat, gegen Verbeamtung, Verkalkung und Überorganisation, mit allen ihren verhängnisvollen Folgen. Und diese Gefahr wächst mit weiterer Vergrößerung sozusagen in geometrischer Progression. Jedenfalls kann man ruhig sagen, daß es für jedes Unternehmen einen Grad der Expansion gibt - und daß er für manche der größten bereits vielleicht erreicht, wenn nicht gar überschritten ist -, von wo ab der Kampf gegen Bürokratisierung und Überorganisation hoffnungslos wird und letzten Endes die Rentabilität in Frage steht.

Maschinenbau Heft 12, 1929, hier zit. nach: Nachkriegskapitalismus. Sonderausgabe der Handelsredaktion der Frankfurter Zeitung, Okt. 1931, S.127 

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„Neue Wege in der Sozialpolitik":  Ausführungen von Heinrich Brauns, Reichsarbeitsminister Juni 1920 bis Juni 1928, vom Oktober 1928:
„Neue Wege in der Sozialpolitik": Ausführungen von Heinrich Brauns, Reichsarbeitsminister Juni 1920 bis Juni 1928, vom Oktober 1928:

„Neue Wege in der Sozialpolitik": Ausführungen von Heinrich Brauns (1868 - 1939), Reichsarbeitsminister Juni 1920 bis Juni 1928 (Z), vom Oktober 1928:

Die stärkere, vielfach ausschlaggebende Beteiligung der Arbeitnehmer und der ihnen nahestehenden Kreise an der Staatsregierung und das Unterliegen der radikalen Elemente in den Wirren der Revolution erforderten gebieterisch eine weitgehende sozialpolitische Umstellung, die in ihrem Wesen sofort erkennbar werden mußte, wenngleich ihre Durchführung im einzelnen viele Jahre erforderte. Auch die gewaltige Not der Nachkriegszeit zwang zu sozialem Schaffen und steigerte die soziale Verantwortung des Reiches...
Im Gegensatz zu der Sozialpolitik vor dem Kriege ist die Sozialpolitik des letzten Jahrzehnts zum Kern der sozialen Frage vorgedrungen. Gewiß war auch die Fürsorge für die arbeitenden und nicht mehr arbeitsfähigen Proletarier eine wichtige Aufgabe der Sozialpolitik. Was aber eigentlich den Proletarier ausmachte, war wirtschaftlich gesehen doch die Unsicherheit seiner Existenz und politisch gesehen seine mindere Rechtsstellung in Staat und Gesellschaft, sowohl als Einzelperson wie als Stand, ein Zustand, der sich im Arbeitsverhältnis, in der ganzen Lebenshaltung der Arbeiter, im gesellschaftlichen Leben und in der Staatsordnung und Staatsverwaltung tagtäglich übel bemerkbar machte...
Es lag nahe, daß manche in den Tagen der Revolution die Lösung der Probleme zuvörderst im Sozialismus suchten... Aber ganz abgesehen von der grundsätzlichen Einstellung zu der Vergesellschaftung der Produktionsmittel mußte man bald einsehen, daß die Zeiten dafür wenig geeignet waren... Es blieb demnach nichts anderes übrig, als den Arbeitnehmern eine bessere Rechtslage und eine größere Sicherheit ihrer Existenz auf dem Boden der kapitalistischen Ordnung zu verschaffen. Damit war der sozialpolitischen Entwicklung der Nachkriegszeit der Weg gewiesen...
So steht heute das Gebäude der deutschen Sozialpolitik wieder groß und mächtig da. Es ist geschaffen worden in Zeiten wirtschaftlicher Not und Bedrängnis. Es mußte geschaffen werden, weil ohne dasselbe der Wiederaufstieg des deutschen Volkes und der Wiederaufbau des durch Krieg und Inflation Zerstörten unmöglich gewesen wäre. Das Geschaffene ist also eine wahre und große nationale Tat.

Deutsche Sozialpolitik 1918-1928. Erinnerungsschrift des Reichsarbeitsministeriums, Berlin 1929, S.1-11 

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"So hat die Republik die Stellung der Frau verbessert ..."  Die Frau im Staate vor und nach dem Kriege, Abbildung von 1930
"So hat die Republik die Stellung der Frau verbessert ..." Die Frau im Staate vor und nach dem Kriege, Abbildung von 1930
"So hat die Republik die Stellung der Frau verbessert ..."  Die Frau im Staate vor und nach dem Kriege,  Abbildung aus der Illustrierten Reichsbanner Zeitung, 1930
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Neuerungen in der Sozialpolitik und im Arbeitsrecht 1818-1927/28

Neuerungen in der Sozialpolitik und im Arbeitsrecht 1818-1927/28

1918/19

Achtstündiger Maximal-Arbeitstag, Aufhebung der Gesindeordnung, Anerkennung der Gewerkschaften als Vertretung der Arbeiterschaft, Kollektive Arbeitsverträge und Tarifautonomie von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Staatsbürgerliche Gleichberechtigung von Frau und Mann, Einführung des Frauenwahlrechts, Zulassung von Frauen zum Hochschullehrerberuf u.a.

1920   

Betriebsrätegesetz: Bildung von Arbeiterausschüssen (Mitbestimmung) in allen Betrieben und Verwaltungen mit mindestens 20 Beschäftigten

1922   

Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den AufSichtsrat

1923   

Schlichtungsordnung für Arbeitskämpfe (Zwangsschlichtung), Mieterschutzgesetz. Heimarbeiterlohngesetz: Sicherung eines ausreichenden Mindestlohnes

1924   

Fürsorgepflichtverordnung: Ablösung der kommunalen Armenpflege durch staatlich geregelte Fürsorge. Neufassung der Reichsversicherungsordnung (RVO): Bis heute in den Grundzügen gültige Rechtsgrundlage der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung

1925   

Gesetz über die Gesundheitsfürsorge: u.a. Wöchnerinnen-und Mutterschutz als neue Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen

1926   

Neuregelung der Arbeitsgerichtsbarkeit durch die Einrichtung von Landesarbeitsgerichten und des Reichsarbeitsgerichts

1927   

Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG): Arbeitslosenunterstützung für 26 Wochen, Finanzierung durch Pflichtbeiträge zunächst von 3% des Grundlohnes, je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen

1928   

Krankenversicherungspflicht für Seeleute

 

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Die Weltwirtschaftskrise und der Übergang zum Präsidialsystem
Die Weltwirtschaftskrise und der Übergang zum Präsidialsystem

Der „Schwarze Freitag" an der New Yorker Börse am 24. 10. 1929 beendete scheinbar abrupt die Phase der weltwirtschaftlichen Stabilisierung der Zwischenkriegszeit. Es zeigte sich jetzt, daß die von führenden Wirtschaftsexperten der 20er Jahre vertretene Prognose einer dauerhaften Prosperität zu optimistisch gewesen war. Der Zusammenbruch der Weltwirtschaft und des Weltwährungssytems in der Großen Depression 1929-1933 muß vor allem auf Strukturfehler im Nachkriegsaufbau zurückgeführt werden. Dazu gehörten: die tiefgreifenden Störungen im internationalen Waren- und Kapitalverkehr durch Zollprotektionismus und Reparationsleistungen, eine weltweite strukturelle Krise in der Landwirtschaft, die Überproduktion in der Industrie und eine Überschätzung der Aufnahmefähigkeit der Märkte.
Die politischen Rückwirkungen der Großen Krise in Deutschland dokumentierten sich in einer Zuspitzung der Interessengegensätze zwischen den tragenden gesellschaftlichen Gruppierungen der Republik: Aus dem dramatisch eingeschränkten Verteilungsspielraum folgte der Bruch der Großen Koalition von Sozialdemokratie und bürgerlichen Parteien im März 1930 mit einer gewissen inneren Logik. Die ökonomische „Zwangslage" war aber, wie neuere Dokumente bestätigen, nur ein Teilaspekt der Gesamtproblematik. Einflußreiche Kreise um den Reichspräsidenten Hindenburg hatten schon vor Einsetzen der Krise Planungen entwickelt, die die Wiederherstellung einer autoritären Staatsordnung zum Ziele hatten (s. Quellen S. 69-72). In dem Zentrum-Führer Dr. Brüning fanden sie den Kanzler, der bereit war, diese Vorgaben umzusetzen. So ist weithin unstrittig, daß Brüning seine rigorose Sparpolitik nicht primär auf eine Überwindung der wirtschaftlichen Not in Deutschland orientierte, sondern für sein weltgespanntes Restaurationskonzept instrumentalisierte (s. Quellen 56 u. 68). Kontrovers diskutiert wird allerdings die Frage, ob eine andere, antizyklische Konjunkturpolitik überhaupt hätte erfolgreich sein können - und ob nicht der Grundfehler in Wirklichkeit in einer ökonomischen Überlastung der Republik durch die ausgedehnte Sozialpolitik der 20er Jahre gelegen habe.
Unabhängig davon ist festzustellen, daß die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Deutschland, so gravierend sie im einzelnen sein mochten, im internationalen Vergleich keine absolute Besonderheit beanspruchen konnten. Der Weg in den autoritären Staat war von daher nichtzwangsläufig, dies belegen nicht zuletzt die Diskussionen im Sommer 1930 und nach der Reichstagswahl vom 14.9.1930 (s. vor allem Quellen 61, 62, 64-66). Vielmehr ordnete sich die im Laufe des Jahres 1930 vollziehende Wendung zum Präsidialsystem ein in die schrittweise Lösung aus den Versailler Bindungen und den so neu gewonnenen Handlungsspielraum nach innen: Die entscheidenden Schritte nach rechts folgten jeweils unmittelbar auf außenpolitische Entlastungen (s. u. a. Quelle 58). Dabei bot allerdings erst die Krise die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine Realisierung obrigkeitsstaatlicher Restaurationspläne. Die Polarisierung der politischen und sozialen Kräfte in Deutschland leistete einer zunehmenden Verselbständigung der präsidialen Exekutive Vorschub, die so auch grundlegende historische Weichenstellungen gegen das Votum maßgeblicher gesellschaftlicher und politischer Kräfte vollziehen konnte.

Friedrich Stampfer über die Ursachen der Weltwirtschaftskrise, ihren Verlauf und die sozialen Auswirkungen:

Friedrich Stampfer über die Ursachen der Weltwirtschaftskrise, ihren Verlauf und die sozialen Auswirkungen: 

Schon im Jahre 1928 hatten sich nach einer kurzen Periode des Aufstiegs in der Weltwirtschaft Niedergangserscheinungen gezeigt. Im Oktober 1929 brach die Überspekulation in den Vereinigten Staaten mit einem furchtbaren Börsenkrach zusammen. Es war ein Fieberanfall, der eine schwere Erkrankung anzeigte. Die Prosperity war zu Ende, der Abruf der angehäuften Konsumgüter stockte, ein Preissturz auf allen Rohstoffmärkten setzte ein. Infolge der Reparationszahlungen und durch die falsche Politik der Wirtschaftsführer, die zum Zweck der Rationalisierung gewaltige Kapitalien investierten, war Deutschland gegenüber dem Ausland stark verschuldet. Der große Bedarf und die gute Verzinsung hatten seit 1924 viel ausländisches Kapital ins Land gelockt. Nach den Septemberwahlen von 1930, die als Vorläufer noch größerer politischer Unruhen erkannt wurden, begannen Auslandskapitalien in großen Mengen abzuwandern, und unter den deutschen Kapitalbesitzern setzte eine heftige Kapitalfluchtbewegung ein... In der Zeit von Mitte 1930 bis Anfang 1932 sank der Gold- und Devisenbestand um 2 Milliarden: von 3078 auf 1077 Millionen.

Der Durchschnittskurs der an der Berliner Börse notierten Aktien betrug im Jahre 1929 150 Prozent, im Jahre 1930 120 Prozent, im September 1931 56 Prozent.

Vor dem Kriege hatten namhafte Nationalökonomen die Theorie verfochten, daß der Übergang der kapitalistischen Privatwirtschaft vom freien Wettbe­werb zur Kartell- und Monopolwirtschaft zu einer Beseitigung der Krisen, mindestens zu ihrer Milderung führen müsse. Die Ereignisse des Jahres 1931 haben diese Theorie widerlegt...

Ein neuer Ansturm der Auslandsgläubiger setzte ein und führte zu einer vollkommenen Katastrophe des deutschen Bankwesens. Auch die Bekanntgabe des sogenannten Hoover-Feierjahres', des einjährigen Moratoriums, ver­mochte die Panik nicht mehr aufzuhalten... Ungeheuer war die Katastrophe des deutschen Arbeitsmarktes... Von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern waren Ende 1931 nur noch ein Viertel voll beschäftigt, mehr als ein Viertel leistete nur noch Kurzarbeit, fast die Hälfte, 42,8 v.H., waren vollerwerbslos. In den ersten Monaten des Jahres 1932 betrug die Zahl der Arbeitslosen weit über 6 Millionen! ... Es gab in Deutschland keine Klasse und keinen Stand, die nicht von der Krise in Mitleidenschaft gezogen waren. Die Kapitalisten hatten ungeheuere Ver­luste und sie zitterten vor weiteren wirtschaftlichen oder politischen Ereignis­sen, die sie vor das Nichts stellen würden. Die Großgrundbesitzer waren in Bedrängnis und schrien nach Staatshilfe. Die mittleren und kleineren Land­wirte waren bis über die Ohren verschuldet und wußten nicht mehr aus und ein. Die kleinen Ladenbesitzer, müßig hinter dem Verkaufstisch stehend, bildeten einen statistisch nicht erfaßbaren und sozial vernachlässigten Teil der ungeheueren Arbeitslosenarmee. Die Beamten mußten eine Gehaltsreduktion nach der anderen über sich ergehen lassen. Die Masse der tätigen Arbeiter­schaft sah von ihren sozialen Errungenschaften, die sie sich bei günstigerer Konjunktur mit Hilfe ihres politischen Einflusses erkämpft hatte, ein Stück nach dem anderen dahinschwinden. Hinter all dem stand die ungeheuere Armee der Arbeitslosen, deren Unterstützung immer geringer und immer unsicherer wurde. Es war ein hoffnungsloses Absinken in drei Etappen: von der Arbeitslosenversicherung, die auf erworbenen Ansprüchen beruhte, in die öffentlich subventionierte Krisenfürsorge, von da in die gemeindliche Wohl­fahrtsfürsorge und schließlich in das Nichts

1 Am 19.6.1931 schlug der amerikanische Präsident Herbert Hoover (1929-33) einen einjähri­gen Aufschub aller zwischen den Regierungen bestehenden Verpflichtungen hinsichtlich der Reparations- und Kriegsschuldzahlungen vor. Das Moratorium trat am 7. 7.1931 in Kraft und galt zunächst bis zum 30. 6.1932.

Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, S. 585-88

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Deutschland in der internationalen Kapitalverflechtung, 1926-1930
Deutschland in der internationalen Kapitalverflechtung, 1926-1930
Deutschland in der internationalen Kapitalverflechtung, 1926-1930
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Arbeitslosigkeit, Löhne und Preise zur Zeit der Regierung Brüning: Sicht der Unternehmer und der Gewerkschaften, 1931
Arbeitslosigkeit, Löhne und Preise zur Zeit der Regierung Brüning: Sicht der Unternehmer und der Gewerkschaften, 1931
Arbeitslosigkeit, Löhne und Preise zur Zeit der Regierung Brüning: Sicht der Unternehmer und der Gewerkschaften, 1931
Arbeitslosigkeit, Löhne und Preise zur Zeit der Regierung Brüning:  Sicht der Unternehmer und der Gewerkschaften, 1931
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Wirtschafts- und Sozialstatistik für die Zeit der Krise 1928-1934
Wirtschafts- und Sozialstatistik für die Zeit der Krise 1928-1934

Wirtschafts- und Sozialstatistik für die Zeit der Krise 1928-1934: Industrieproduktion, Exporte, Importe, Wohnungsbau, Reallöhne pro Woche, Preisindex für Lebenshaltung, Streiks, Arbeitslosigkeit, Index der Kriminalität

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Rückgang der Industrieproduktion in Deutschland in Perioden der Wirtrschaftskrisen, 1901-1937
Rückgang der Industrieproduktion in Deutschland in Perioden der Wirtrschaftskrisen, 1901-1937
Rückgang der Industrieproduktion in Deutschland in Perioden der Wirtrschaftskrisen, 1901-1937
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Industrieproduktion in der Welt 1929-1937
Industrieproduktion in der Welt 1929-1937
Industrieproduktion in der Welt 1929-1937 (Veränderungen in Prozent)
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Die „Frankfurter Zeitung" über die politische Verantwortung für den Koalitions­bruch in ihrem Leitartikel vom 28. 3.1930

Der Young-Plan und das Ende der Großen Koalition

Das Auseinanderbrechen der „Großen Koalition" von SPD, DVP, DDP, BVP und Zen­trum im Frühjahr 1930 gilt zu Recht als ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte der Weimarer Republik: Mit dem Rücktritt des sozialdemokratischen Reichskanz­lers Hermann Müller am 27.3.1930 endete die letzte parlamentarische Regierung vor dem Machtantritt Hitlers im Januar 1933. Anlaß des Koalitionsbruchs waren Meinungsverschiedenheiten über die Finanzierung der Arbeitslosenversiche­rung. Die SPD lehnte dabei einen Kompromißvorschlag von DDP und Zentrum ab, zur Entlastung der Arbeitgeberanteile an der Arbeitslosenversicherung statt einer Erhöhung der Beiträge von 31/2 auf 4% zum jetzigen Zeitpunkt zunächst der Reichsanstalt einen staatlichen Zuschuß zu gewähren und über Beitragserhö­hungen oder Leistungsabbau erst im Herbst 1930 zu entscheiden.

Die „Frankfurter Zeitung" über die politische Verantwortung für den Koalitions­bruch in ihrem Leitartikel vom 28. 3.1930:

Es gibt ein Maß von Einsichtslosigkeit, das zur Schuld wird. Diese Schuldeiner wirklich unerlaubt großen Einsichtslosigkeit hat gestern die Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion auf sich geladen. Denn auch wenn man, wie wir, durchaus in Rechnung stellt, was der Sozialdemokratie in den ganzen eindreiviertel Jahren des Bestandes der großen Koalition das Zusam­menarbeiten mit der Deutschen Volkspartei wirklich nicht leicht gemacht hat, wenn man die Intransigenz der Deutschen Volkspartei jetzt bei der Frage der Arbeitslosenversicherung als dem letzten Streitobjekt schon in Anbetracht der Kleinheit dieses Objektes nicht weniger als großartig findet - so bleibt unab­weisbar, daß gerade darum die sozialdemokratische Fraktion dem gestern schließlich gefundenen Kompromiß hätte zustimmen müssen, um Größeres, Wichtigeres zu wahren. Der Gewerkschaftsflügell der Sozialdemokratie hat vor lauter Fachlich-Speziellem die Politik nicht gesehen... Es ist seit langem deutlich, daß im Zentrum und noch mehr in der Deuschen Volkspartei starke Kräfte am Werke sind, um die innere deutsche Politik, vor allem in den wirt­schaftlich-sozialen Fragen, stärker nach rechts zu führen. Nämlich nach rück­wärts, weg von der Entwicklung der letzten zehn Jahre. Doch sind bisher diese Kräfte noch einigermaßen gebunden gewesen...

Die Volkspartei hat es eilig gehabt, aus dem törichten Beschluß der sozial­demokratischen Fraktion sofort ein fait accompli zu machen. Die Entwick­lung soll nach rechts. Und das, worauf im Augenblick alle Aufmerksamkeit und alle Kraft zu konzentrieren ist, kann nur noch sein, daß vor allem die Demokratie und ihre Verfassung dabei nicht Schaden erleiden. Die künftige Regierung, wie sie auch aussehen möge, muß aus Männern bestehen, die die Verfassung zu wahren entschlossen sind und sich auf Parteien und Gruppen stützen, die dafür ihrerseits Gewähr leisten... Da hat man ein Problem der Verfassungstreue, das unmittelbar akut ist. Darüber hinaus: die parlamentari­sche Demokratie hat gestern eine Schlappe erlitten, schon droht für die Steuer­reform der Artikel 48 - wir dürfen nicht ins Schlittern kommen.

 

Frankfurter Zeitung, Nr. 235 vom 28. 3. 1930

Neuere Dokumente zeigen, daß in den Kreisen um den Reichspräsidenten von Hindenburg lange vor Eintritt der Wirtschaftskrise Planungen für ein vom Parla­ment unabhängiges „Präsidialkabinett" und die Wiedereinführung der Monarchie entwickelt worden waren.

 

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Der nach dem Sturz Hermann Müllers am 28.3.1930 zum Reichskanzler berufene Heinrich Brüning in seinen Memoiren über eine Unterredung mit dem zum Beraterstab des Reichspräsidenten gehörenden Reichswehrgeneral von Schleicher, Frühjahr 1929:
Der nach dem Sturz Hermann Müllers am 28.3.1930 zum Reichskanzler berufene Heinrich Brüning in seinen Memoiren über eine Unterredung mit dem zum Beraterstab des Reichspräsidenten gehörenden Reichswehrgeneral von Schleicher, Frühjahr 1929:

Der nach dem Sturz Hermann Müllers am 28.3.1930 zum Reichskanzler berufene Heinrich Brüning in seinen Memoiren über eine Unterredung mit dem zum Beraterstab des Reichspräsidenten gehörenden Reichswehrgeneral von Schleicher, Frühjahr 1929: 

Schleicher:... Der Reichspräsident sehe die Gefahr, daß die ganze Innen- und Außenpolitik im Sumpfe verlaufe. Er sei entschlossen, zusammen mit der Reichswehr und den jüngeren Kräften im Parlament die Dinge vor seinem Tode in Ordnung zu bringen. Ich fragte, ob der Reichspräsident das mit oder ohne Parlament machen wolle. Darauf Schleicher: Der Reichspräsident würde nicht die Verfassung verletzen, aber er würde das Parlament im gegebe­nen Augenblick für eine Zeit nach Hause schicken und in dieser Zeit mit Hilfe des Artikels 48 die Sache in Ordnung bringen... „Denken Sie nicht, daß wir die Monarchie im Handumdrehen wieder einfüh­ren wollen. Selbstverständlich muß man sich überlegen, was man tut beim Tode des Feldmarschalls." Meine Antwort: „Mich stört die Frage der Wieder­einführung der Monarchie nicht, aber die Dinge, die gemacht werden müssen in bezug auf die Ordnung der Finanzwirtschafts- und Sozialpolitik werden so unpopulär sein, daß man die Monarchie damit nicht belasten darf. Ich halte es nach den Erfahrungen der Etatsverabschiedung für möglich, die notwendigen Reformen auf diesen Gebieten schrittweise mit der jetzigen Mehrheit zu machen, bis das Rheinland1 geräumt ist. Der patriotische Schwung, der durch die Räumungsfeiern auch über die Sozialdemokratie kommen wird, schafft vielleicht die Möglichkeit, diese so weit zu bringen, daß sie zum mindesten eine Situation wie in Ungarn2 toleriert." Schleicher: „Phantastisch. Das ist ganz meine Idee. Hermann Müller ist zwar krank, aber ein fabelhaft anständiger und patriotischer Mann." Brüning: „Dann stimmen wir darin überein, daß die Monarchie unter keinen Umständen im Kampfe gegen die Masse der geschulten Arbeiterschaft ein­geführt werden darf. Die Monarchie muß am Ende der Reformen stehen. Der Artikel 48 ist zur Änderung oder Umbiegung der Verfassung nicht zu ge­brauchen."

Schleicher: „Das geht zu weit. Der Feldmarschall will nicht sterben, ohne diese Frage gelöst zu haben. Wir haben im Reichswehrministerium Gutachten von Kronjuristen gesammelt, die beweisen, daß man in Fortbildung der Praxis den Artikel 48 auch zur Verfassungsänderung gebrauchen kann." Brüning: „Ich kann mit Ihnen in diesem Punkt nicht übereinstimmen, aber schicken Sie mir diese Gutachten, und ich werde sie prüfen. Ich halte die An­wendung des Artikels 48 auf allen Gebieten des Wirtschafts- und Soziallebens für möglich, aber ich halte es für ausgeschlossen, daß man für eine längere Frist, selbst in diesen Dingen, ausschließlich mit dem Artikel 48 regieren kann."

Ich fürchtete, die Wirtschaftskrise würde gewaltige Ausmaße annehmen. Mit dem Artikel 48 konnte man die Dinge höchstens ein Jahr lang meistern. Dann war der Artikel 48 eine stumpfe Waffe geworden. Daher bat ich ihn, seinen Einfluß geltend zu machen, daß die Reformen zunächst mit dem Parlament gemacht würden. Erst wenn das Parlament sich daran gewöhnt habe, wie es jetzt zum ersten Mal im neuen Etat geschehen sei, die Ausgaben herabzusetzen, statt sie zu erhöhen, sei die Zeit reif, die letzte größte Reform mit Hilfe des Artikels 48 auf einen Schlag zu machen.

Heinrich Brüning, Memoiren, Stuttgart 1970, S. 145 ff.

1 zur antiparlamentarischen Wende unmittelbar nach der Räumung des Rheinlands am 30. 6. 1930 s. Quelle 62 u. Abb. 22

2 Anspielung auf die Machtstrukturen des autoritären Regimes des Admiral Nikolaus von Horthy in Ungarn (1920-1944). „Reichsverweser" Horthy sicherte, nicht zuletzt durch eine Änderung des Wahlrechts, der konservativ-liberalen Regierungspartei seit Anfang der 20er Jahre eine Dauermehrheit gegen die ungarischen Sozialdemokraten und andere kleinere Oppositionsgruppierungen. 

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Weisungen des Reichspräsidenten für ein zukünftiges „Hindenburg-Kabinett". Aufzeichnung des Grafen von Westarp über eine Unterredung mit von Hinden­burg, 15.1.1930
Weisungen des Reichspräsidenten für ein zukünftiges „Hindenburg-Kabinett". Aufzeichnung des Grafen von Westarp über eine Unterredung mit von Hinden­burg, 15.1.1930

Weisungen des Reichspräsidenten für ein zukünftiges „Hindenburg-Kabinett". Aufzeichnung des Grafen von Westarp über eine Unterredung mit von Hinden­burg, 15.1.1930

a) antiparlamentarisch, also ohne Koalitionsverhandlungen und Vereinba­rungen.

b) antimarxistisch, [es] sei... schon um der Wirtschaft und der Finanzen willen durchaus erforderlich, zum mindesten auf einige Zeit hinaus den sozialdemo­kratischen Einfluß auszuschalten.

c) Wandlung in Preußen... Das sei auch unbedingt erforderlich, um der unwiderbringlichen Schäden der Personalpolitik willen, insbesondere aber, weil eine sozialdemokratische Regierung in Preußen gewillt und... auch in der Lage sein werde, der geplanten neuen Reichsregierung unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg zu legen.1

1 Das Land Preußen verfügte über 62,5% der Gesamtfläche und über 61,2% der Gesamteinwohner des Reiches, es war im Reichsrat mit 27 von 68 Stimmen die dominierende, politische Kraft (s. auch Anhang, Karte S. 125). Von 1920 bis zum sog. „Preußenschlag" am 20.7.1932 (s. Quellen 86 u. 87) regierte eine Koalition von SPD, DDP und Zentrum unter Führung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun.

Politik und Wirtschaft in der Krise 1930-1932, Bd. 1, Düsseldorf 1980, S. 15-18

 

Die beabsichtigte Ausschaltung der SPD aus der Regierungsverantwortung war im Januar 1930 aus reparationspolitischen Gründen (vgl. auch Quelle 58) noch nicht möglich. Zuvor mußte der „Young-Plan"1 im Reichstag verabschiedet wer­den, und dafür wurde die Zustimmung der SPD benötigt. Die Parteien der „Großen Koalition" befürworteten den im Juni 1929 ausgehandelten „Neuen Plan", weil er eine Verminderung der jährlichen Reparationszahlungen um durchschnittlich 450 Millionen Mark und zugleich die Aufhebung verschiedener alliierter Restrik­tionen vorsah.

Die nationale Rechte (DNVP, NSDAP) rief demgegenüber im Oktober 1929 zu einem Volksbegehren gegen die Verabschiedung des „Young-Planes" auf. NSDAPund DNVP konnten über4 Millionen Unterschriften fürein „Volksbegehren" sammeln, scheiterten aber deutlich im Volksentscheid am 22.12.1929. Gegen den „Young-Plan" votierten nur 13,8% der Stimmberechtigten.

Die parlamentarische Verabschiedung des „Young-Planes" erfolgte am 12. März mit 266 Stimmen der Regierungsparteien gegen 193 Stimmen der Opposition. Damit war die politische Klammer zerbrochen, die die „Große Koalition" noch zu­sammengehalten hatte.

 

1 benannt nach Owen D. Young (1874-1962), s. Kurzbiographien im Anhang

 

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Über eine vertrauliche Besprechung rechtsstehender DVP-Parlamentarier am  4.2.1930 berichtete der Reichstagsabgeordnete Erich von Gilsa in einem Schreiben an den Ruhrindustriellen Paul Reusch, 5.2.1930
Über eine vertrauliche Besprechung rechtsstehender DVP-Parlamentarier am 4.2.1930 berichtete der Reichstagsabgeordnete Erich von Gilsa in einem Schreiben an den Ruhrindustriellen Paul Reusch, 5.2.1930
Über eine vertrauliche Besprechung rechtsstehender DVP-Parlamentarier unter Leitung des Fraktionsvorsitzenden Ernst Scholz in Berlin am 4.2.1930 berichtete der Reichstagsabgeordnete Erich von Gilsa in einem Schreiben an den Ruhrindustriellen Paul Reusch:

Das Ergebnis dieser Besprechung läßt sich wie folgt zusammenfassen: Zu­nächst will man möglichst schnell über den „Neuen Plan" abstimmen. Es steht fest, daß fast die ganze Fraktion der DVP für den Plan stimmen wird;... Nach Erledigung des Young-Planes sollen dann die innerpolitischen Dinge mit größter Beschleunigung in Ordnung gebracht werden. Hier steht Scholz völlig auf dem von mir Ihnen schon öfters vorgetragenen Standpunkt. Er beabsich­tigt in ultimativer Form an das Kabinett die Aufforderung zu richten, gesetz­lich festgelegte Bindungen für die Finanz- und Steuerreform vorzunehmen. Dabei sagte Scholz uns vertraulich, daß er hierbei bewußt auf einen Bruch mit der Sozialdemokratie hinarbeiten wolle. Er hat im Ausblick auf diesen Bruch auch schon Verbindungen mit Schiele, Treviranus und Brüning auf­genommen.

Die Gefahr, daß es trotz eines solchen Vorgehens nicht zum Bruch mit der Sozialdemokratie kommt... liegt daran, daß Moldenhauer immer noch daran festhält, im Jahre 1930 nur zu sanieren und erst im Jahre 1931 Steuersenkungen vorzunehmen... Es ist durchaus möglich, daß die Sozialdemokratie nach einigem Geschrei sich mit diesem Plan einverstanden erklärt... Aus diesem Grunde... verlangen wir, daß schon im Jahre 1930 mit einer fühlbaren Steuer­senkung begonnen wird

5.2.1930 von Gilsa an Reusch, Hist. Archiv der GHH Nr. 400101293/4a (Haniel-Archiv)

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Friedrich Stampfer über „Das Kabinett der Frontsoldaten"
Friedrich Stampfer über „Das Kabinett der Frontsoldaten"

Nach dem Bruch der „Großen Koalition" am 27. 3.1930 beauftragte der Reichs­präsident den Zentrumsführer Brüning mit der Bildung eines Kabinetts „ohne feste Bindung" an die Fraktionen.

Friedrich Stampfer über „Das Kabinett der Frontsoldaten"

Am 28.3.1930 schob eine Greisenhand den Zeiger der deutschen Uhr um vier­zehn Jahre zurück. Hindenburg übertrug dem Vorsitzenden der Zentrums­fraktion, dem 46jährigen Dr. Heinrich Brüning, die Bildung einer neuen Regie­rung, die nicht mehr auf koalitionsmäßiger Grundlage beruhen sollte... Brüning ist zwar bürgerlich, aber Sproß einer angesehenen Bürgerfamilie und Bruder eines katholischen Geistlichen. Im Krieg war er ein tapferer Offizier, der - anders als andere - seine beiden Kreuze ehrlich verdient hatte. Am 9. 11. 1918 hatte er an der Spitze seiner Maschinengewehrabteilung vergeblich der Revolution Einhalt zu gebieten versucht und so stark war dieses Erlebnis in ihm, daß er sich seiner Tat in öffentlicher Reichstagssitzung rühmte - zum Entsetzen der Sozialdemokraten, auf deren Hilfe er damals schon wieder ange­wiesen war. Dem alten Hindenburg stand er völlig unkritisch gegenüber, ein simpler Hauptmann dem Generalfeldmarschall, und wie ein Hypnotisierter pures Wasser für herrlichen Wein trinkt, so galten ihm die jovialen Banalitäten des hohen Vorgesetzten als staatsmännische Erleuchtungen. Brüning war, als er sein Amt übernahm, durch und durch autoritätsgläubig trotz seiner unleug­bar großen Intelligenz. Er hatte, als Stegerwalds rechte Hand, den christlichen Gewerkschaften aufrichtig gedient, war aber nur im Sinne der Sozialkonser­vativen sozial. In seiner Partei war der verschlossene, peinlich korrekte, auf Arbeit besessene Mann mehr angesehen als beliebt. Wo er eintrat, verstummten alle munteren Gespräche, gleich als ob ein strenger Kaplan in eine Knabenschar getreten wäre. Den Leuten, deren Ideal ein konservativ-klerika­les Regiment war, konnte Brüning geradezu als ein Mann der Vorsehung er­scheinen

Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, S. 567 ff..

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Aus der Regierungserklärung des Reichskanzlers Brüning im Reichstag, 1. April 1930
Aus der Regierungserklärung des Reichskanzlers Brüning im Reichstag, 1. April 1930

Aus der Regierungserklärung des Reichskanzlers Brüning im Reichstag, 1. April 1930: 

... Das neue Reichskabinett ist entsprechend dem mir vom Herrn Reichspräsi­denten erteilten Auftrag an keine Koalition gebunden. Doch konnten selbst­verständlich die politischen Kräfte dieses Hohen Hauses bei seiner Gestaltung nicht unbeachtet bleiben. Das Kabinett ist gebildet mit dem Zweck, die nach allgemeiner Auffassung für das Reich lebensnotwendigen Aufgaben in kürze­ster Frist zu lösen. Es wird der letzte Versuch sein, die Lösung mit diesem Reichstage durchzuführen. Einen Aufschub der lebensnotwendigen Arbeiten kann niemand verantworten...
Sanierung der Finanz- und Kassenlage, Unterstützung der Länder und Gemeinden in ihrer schwierigen finanziellen Lage ist das dringendste. Ohne 10 eine schnelle Ordnung der Kassen- und Finanzlage fehlt die Gewähr der drin­gend notwendigen Entlastung der Wirtschaft und der Milderung der Arbeits­losigkeit ... Eingehende Sparvorschläge auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens werden in kürzester Frist seitens der Reichsregierung den zuständigen Körperschaften unterbreitet werden. Diese Sparmaßnahmen sollen nicht von einem antisozialen Geist getragen sein. Sie haben lediglich den Zweck, ihrer­seits zur Senkung der Steuern, zur Hebung der Produktivität der Wirtschaft, zur Stärkung der Kreditwürdigkeit Deutschlands beizutragen. Sie sollen Raum schaffen für die Senkung der auf dem Handwerk und dem gesamten städtischen und ländlichen Mittelstand besonders schwer lastenden Realsteuern...
Gerade von diesem Standpunkt aus ist das Rettungswerk unserer in schwer­stem Ringen um die Existenz kämpfenden Landwirtschaft vordringlich... Stützung und Wiederbelebung der ländlichen Wirtschaft ist das wirksamste Mittel zur Drosselung der Landflucht und zur Schaffung neuer Absatz- und Arbeitsmöglichkeiten für Gewerbe und Arbeiterschaft. Von hier aus muß der Druck auf den Arbeitsmarkt und die ständige Bedrohung der Lebenshaltung des deutschen Volkes beseitigt werden... Gesundung der östlichen Landwirt­schaft ist die Grundlage nationaler und volkspolitischer Rettung des deutschen Ostens. Die Reichsregierung wird an diesen Vorschlägen und an ihrer schnellsten Durchführung unter allen Umständen festhalten. Sie ist gewillt und in der Lage, alle verfassungsmäßigen Mittel hierfür einzusetzen. Das Werk des ver­söhnenden Ausgleichs zwischen den einzelnen Berufsständen und Schichten der Bevölkerung verträgt keinen Verzug. Diesem Gedanken muß auch der Reichstag in seiner Stellungnahme zur neuen Reichsregierung Rechnung tragen. Parteipolitische Erwägungen müssen in dieser Stunde in den Hinter­grund treten. Sachliche Einstellung zu diesem Programm des Kabinetts allein sichert die Zukunft des deutschen Volkes.

Nach: Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427 (Sten. Ber.), S. 4728 ff., zit. nach: Ursachen und Folgen, Bd. 8, S. 21 ff 

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Die Reichstagsdebatte über die Regierungserklärung. Aus der Rede des Abgeordneten Dr. Rudolf Breitscheid (SPD) vom 2. April 1930
Die Reichstagsdebatte über die Regierungserklärung. Aus der Rede des Abgeordneten Dr. Rudolf Breitscheid (SPD) vom 2. April 1930

Die Reichstagsdebatte über die Regierungserklärung. Aus der Rede des Abgeordneten Dr. Rudolf Breitscheid (SPD) vom 2. April 1930:

Der Herr Reichskanzler will mit diesem, wie Sie mir zugeben werden, etwas bunt zusammengewürfelten Kabinett sein Programm durchführen. Er sagt, er werde es durchführen oder durchzuführen versuchen „mit allen verfassungs­mäßigen Mitteln". Wir geben uns alle keinem Zweifel darüber hin, was Herr Dr. Brüning unter den „verfassungsmäßigen Mitteln" versteht. Er hat deutlich genug mit dem Artikel 48 der Verfassung gewinkt. Im Artikel 48 heißt es, daß Ausnahmemaßnahmen getroffen werden können, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet ist. Wir werfen die Frage auf, ob in dieser Zeit die öffentliche Sicherheit und Ordnung so erheblich gestört und gefährdet ist, daß der Ausnahmeparagraph des Artikels 48 angewendet werden muß. Wir beantworten diese Frage mit einem glatten Nein...
Überdies, Herr Reichskanzler, wissen Sie so genau, wie ich es weiß, daß es... auf alle Fälle in diesem Hause eine Mehrheit gegeben hätte, die mit Ihnen gemeinsam eine Finanzreform durchgeführt hätte.
Diese ... Wege haben Sie nicht betreten. Statt dessen appellieren Sie jetzt an den Artikel 48, statt dessen künden Sie die Auflösung des Reichstags und die Anwendung des Artikels 48 an...
Mit der Anwendung des Artikels 48 wird ein erster Schritt getan, der, wie ich ehrlich befürchte, sehr bedenkliche Schritte mit sehr verhängnisvollen Folgen nach sich ziehen kann. Noch einmal, Herr Reichskanzler, es liegt mir nicht an großen Worten in diesem Augenblick. Ich mahne Sie, ich bitte Sie, ja, ich möchte sagen, ich beschwöre Sie: gehen Sie diesen Weg nicht, auf den Sie getrieben werden sollen.

Nach: Verhandlungen des Reichstags, Bd. 427 (Sten. Ber.), S. 4736ff., zit. nach: Ursachen und Folgen, Bd. 8, S. 24f. 

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Der Abgeordnete Landsberg (SPD) in der Reichstagsdebatte vom 18. 7.1930

Notverordnung oder reguläres Haushaltsgesetz? Am 16. 7.1930 erließ der Reichs­präsident die ersten Notverordnungen nach Artikel 48 zur Deckung des Reichs­haushalts.

Der Abgeordnete Landsberg (SPD) in der Reichstagsdebatte vom 18. 7.1930:

Wer sagt denn der Reichsregierung, daß eine Sanierung der Finanzen des Reichs, die wir alle wollen, anders als auf ihrem Wege, nicht möglich ist?
... Sie wissen, daß in der Politik nichts so verhängnisvoll ist, wie der Präzedenz­fall. Und was für einen Präzedenzfall haben Sie ihnen, haben Sie Desperados mit diesen beiden Verordnungen1 gegeben! Wenn diese beiden Verordnungen gültig sind, dann kann man mit dem Artikel 48 der Reichsverfassung - ich spreche es unumwunden aus - einfach alles machen. Dann kann man im Deutschen Reiche das Unterste zu Oberst kehren. Dann haben wir gegen die Zeit des Obrigkeitsstaats, der wenigstens zur Voraussetzung diktatorischer Maßnahmen die Verkündung des Kriegszustandes machte, keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt gemacht, obwohl wir in Weimar selbstverständlich das gerade Gegenteil gewollt haben.
Sie haben, sage ich, einen wunderbaren Präzedenzfall geliefert für Menschen mit allerlei verstiegenen Plänen. Ist das wirklich für einen Reichskanzler, der auf dem Boden der Verfassung steht, eine erträgliche Lage, wenn man von ihm getroffene Maßnahmen annimmt, um sie für gegen die Verfassung verstoßen­de Unternehmungen zu verwenden? Ich weiß, daß niemand, der zu einem Staatsstreich geneigt ist, über Gesetzes-, über Verfassungsbestimmungen stol­pern wird... Für die physische und moralische Widerstandskraft des Volks und für ihre Stärkung kommt es aber darauf an, daß im gesamten Volke nicht der leiseste Zweifel an der Unrechtmäßigkeit des Vorgehens des Staatsstreich­lers, an dem Vorliegen eines Putsches bestehen kann, und deshalb schwächt jeder die Grundlagen der Verfassung, der durch Verordnungen von der Art der vorliegenden, Männern, die später kommen und die sich auf den uns beschäfti­genden Präzedenzfall beziehen, ihr Werk erleichtern.
Das ist das politische Hauptdenken, das meine politischen Freunde gegen diese Verordnungen haben. Und... wenn die Männer in der Regierung, deren Liebe zu der Verfassung sehr jungen Datums ist, und wenn die Deutsche Volkspartei derartige Maßnahmen deckt, die die Verfassung von Weimar ab­gelehnt hat, so ist das noch eher zu begreifen. Aber bei Ihnen, meine Damen und Herren vom Zentrum und von der Deutschen Demokratischen Partei ver­stehe ich den Freibrief, den Sie dem Herrn Reichskanzler für sein Vorgehen erteilt haben, nicht. Wir haben in Weimar zusammen diese Verfassung gemacht in einer Zeit, die schwerer gewesen ist als die heutige, in einer Zeit, in der Ordnung und Sicherheit sehr viel mehr bedroht gewesen sind als heute, und wir haben gleichwohl in die Hände des Volkes vertrauensvoll die volle Staatsgewalt gelegt, weil wir wußten, daß wir uns auf das Volk verlassen konn­ten, und dieses Vertrauen hat uns nicht getäuscht... Nun frage ich Sie, meine Herren vom Zentrum und von den Demokraten: Hätten Sie es damals, als wir die Verfassung schufen, im entferntesten für möglich gehalten, daß der Artikel 48 einmal so angewendet werden könnte, wie es hier geschehen ist. Wenn wir an die Möglichkeit gedacht hätten, wir hätten da schon den Riegel geschaffen, den wir jetzt vorschieben müssen in Gestalt des längst fälligen Ausführungsgesetzes zum Artikel 48. Meiner Meinung nach hat sich die Reichsregierung der denkbar schwersten Verletzung der Verfassung schuldig gemacht... Wir beantragen die Aufhebung dieser beiden Verordnungen, und wir legen Wert darauf, daß abgestimmt wird über das Mißtrauensvotum, das wir beim Reichstage gegen die Reichsregierung eingebracht haben. Diese Reichsregie­rung hat Möglichkeiten der Verständigung nach links nicht nur nicht ausge­nutzt, sondern abgelehnt, um ausschließlich nach rechts zu verhandeln und zu einer Verständigung mit der Rechten zu kommen.

Nach: Verhandlungen des Reichstags, Bd. 428 (Sten. Ber.), S. 6501 ff., zit. nach: Ursachen und Folgen, Bd. 8, S. 43-46

 

1 Die 1. Notverordnung vom 16. 7.1930 entsprach im wesentlichen dem Kompromiß der Regie­rungsparteien über die Reichshilfe zur Deckung des Haushaltes. In der 2. Notverordnung vom gleichen Tage wurden die Befugnisse der Gemeinden zur Erhebung einer Getränkesteuer ge­regelt.

 

Der sozialdemokratische Antrag auf Aufhebung der Notverordnung nach Artikel 48, Absatz 3 wurde am 18. 7.1930 mit 236 gegen 221 Stimmen angenommen. Der Reichspräsident löste daraufhin nach Art. 25 der Reichsverfassung den Reichs­tag auf.

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Adolf Hitler zusammen mit Max Amann nach der Reichstagswahl vom 14. September 1930
Adolf Hitler zusammen mit Max Amann nach der Reichstagswahl vom 14. September 1930
Adolf Hitler zusammen mit Max Amann nach der Reichstagswahl vom 14. September 1930
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Stimmzettel zur Reichstagswahl vom 14. September 1930
Stimmzettel zur Reichstagswahl vom 14. September 1930
Stimmzettel zur Reichstagswahl vom 14. September 1930, Wahlkreis Schleswig-Holstein
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Das Ergebnis der Reichstagswahl vom 14. September 1930 (Graphik)
Das Ergebnis der Reichstagswahl vom 14. September 1930 (Graphik)

Das Ergebnis der Reichstagswahl vom 14. September 1930

 

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Woher kommen Hitlers 6 1/2 Millionen Stimmen? Analyse des Publizisten Hellmut von Gerlach in der „Welt am Sonntag" vom 6.10.1930

Der Erdrutschsieg der NSDAP in der Reichstagswahl vom 14.9.1930 veränderte das politische Spektrum entscheidend: Fast die Hälfte der im Reichstag sitzenden Parlamentarier gehörten jetzt Parteien an, die Verfassung und Republik offen bekämpften. Gleichwohl war nach wie vor eine rechnerische Mehrheit für die Par­teien der „Großen Koalition" gegeben (s. auch Anhang, Tabelle S. 122). Auch die Koalitionsüberlegungen nach dem Wahltag zeigen, daß der Weg in das Präsidial­system zumindest vom Wahlergebnis her nicht zwangsläufig diktiert war.

Woher kommen Hitlers 6 1/2 Millionen Stimmen? Analyse des Publizisten Hellmut von Gerlach in der „Welt am Sonntag" vom 6.10.1930:

Dem Ausland waren die Ausmaße des Hitlerischen Wahlsieges natürlich eine noch größere Überraschung als dem Inland, da es auf ein starkes, wenn auch nicht so starkes Anschwellen der nationalsozialistischen Stimmen gefaßt gewesen war. Die Welt zerbricht sich den Kopf darüber, worauf die Verneunfa­chung der Hitlerstimmen zurückzuführen ist. Die verschiedensten Deutungen kommen zum Vorschein.
Die Deutschland besonders wohlgesinnte Presse des Auslandes führt vielfach als Hauptgrund die riesige Arbeitslosigkeit an. „Deutschland hat drei Millio­nen Arbeitslose, sie haben fast sämtlich nationalsozialistisch gewählt. Ergo." So konnte man wörtlich in Paris und anderswo lesen.
Irrtum! Von den drei Millionen Erwerbslosen hat nur ein verschwindend geringer Prozentsatz Hitler seine Stimme gegeben. Diese drei Millionen stellen vielmehr das Gros der kommunistischen Wähler dar. Wenn die KPD von 55 auf 77 Mandate gestiegen ist, so ist das die automatische Rückwirkung der steigenden Arbeitslosigkeit.
Die Arbeitslosen waren also nicht die Hauptwähler Hitlers. Wohl aber ist richtig, daß die Wirtschaftskrisis, deren äußeres Symptom die riesenhafte Arbeitslosigkeit ist, die Grundlage des Hitlerischen Sieges war.
Die Hitlerwähler setzen sich aus zwei Kategorien zusammen: einer kleinen Minderheit von Nationalsozialisten, die auf das Hakenkreuz eingeschworen sind, und einer riesigen Mehrheit von Mitläufern. Keine andere deutsche Partei ist so labil wie die nationalsozialistische, das heißt bei keiner anderen ist das Mißverhältnis zwischen Stammkunden und Laufkunden ebenso groß. Sozialdemokratie, Kommunisten, Zentrum, Demokraten, Volkspartei - über­all gibt es Schwankungen, recht erhebliche vielleicht. Aber bei keiner anderen Partei ist es denkbar, daß eine plötzliche Verneunfachung erfolgt, die vielleicht bei der nächsten Wahl von einer Drittelung abgelöst wird. Die Nationalsozialisten haben ja schon einmal den Wechsel von Hoch und Tief erlebt. Aus den 32 Abgeordneten von 1924 wurden die 12 von 1928. Wieviel werden aus den 107 von 1930 bei den Wahlen von 193? werden?
Das hängt ganz von den Umständen ab. Scheint der deutschen Wirtschaft wieder einmal die Sonne, so schmelzen die Hitlerwähler wie Schnee dahin. Die 6'/z Millionen werden ja durch kein inneres Band zusammengehalten. Sie sind zu neun Zehntel nicht Wähler für, sondern nur Wähler gegen. Dabei soll nicht verkannt werden, daß Hitler, der ein ausgezeichneter Organi­sator mit Suggestivkraft ist, über eine ihm blind ergebene Kerntruppe von eini­gen hunderttausend Mann, meist recht jugendlichen Truppen verfügt... Idealisten mit verwirrtem Kopf und Landsknechte ohne Kopf, insgesamt ein paar hunderttausend Mann, das ist Hitlers Kerntruppe. Die Millionen der Wähler, die er diesmal mustern konnte, dank der Gunst der Umstände, das heißt dank der Ungunst der Wirtschaftslage, rekrutieren sich aus den verschiedensten Schichten.
Da sind Arbeiter, relativ genommen nicht sehr viele, aber eine Million wird es doch wohl gewesen sein. Es sind Landarbeiter, die sich immer noch vom „gnädigen Herrn" abhängig wähnen und von ostelbischen Granden für Hitler kommandiert wurden. Es sind jene labilen Elemente, die erst bei den Kommu­nisten hospitiert haben und sich nun den Nationalsozialisten zuwenden, weil diese sich noch radikaler gebärden. Es sind junge Leute, Friseurgehilfen, Chauffeure usw., die sich etwas Besseres dünken als die Masse der gewerk­schaftlich organisierten Fabrikarbeiter.
Da sind Massen von Angestellten, insbesondere aus den Kreisen der deutsch­nationalen Handlungsgehilfen, die berühmten oder berüchtigten Stehkragen­proletarier. Ihr Interesse müßte sie in eine Einheitsfront mit den Arbeitern füh­ren. Aber ihr „Standesgefühl" ist stärker als ihre soziale Einsicht. Da ist das Gros der Studenten und sonstigen jungen Akademiker. Bei ihnen fällt die antisemitische Hetzphase auf besonders dankbaren Boden. Der Jude wird eben als unbequemer Konkurrent empfunden. Sie sind fanatisch nationa­listisch. Den Krieg kennen sie nicht.
Darum begeistern sie sich für ihn ...
Da sind bedauerlich viele Beamte. Ihre politische Freiheit verdanken sie ausschließlich der Republik. Aber leider hat ihnen die Republik mit der politi­schen Freiheit nicht auch zugleich das politische Denken geben können, das ihnen in der Kaiserzeit ausgetrieben worden war. Sie sind ein besonders dank­bares Objekt für Demagogen.
Da ist vor allem der große Block des sogenannten selbständigen Mittelstandes. Diese Millionen von Handwerkern, Gewerbetreibenden und Kleinkaufleuten führen seit der nach 1871 einsetzenden großindustriellen Entwicklung einen verzweifelten Kampf um ihre Existenz. Es fehlt ihnen an wirtschaftlicher Ein­sicht. Darum fallen sie auf jeden Schwätzer herein, der ihnen die Wiederher­stellung des „goldenen Bodens" durch Kampf gegen Juden und Warenhäuser, gegen Börse und Gewerbefreiheit verspricht ... Heute ist Hitler ihr Prophet... Das ist das erschütternd Trostlose an dem Wahlergebnis vom 14. September, daß die Welt sehen muß, wieviel Millionen politische Analphabeten es noch in Deutschland gibt.

Zit. nach: W. Michalka/G. Niedhart (Hg.), Die ungeliebte Republik, München 1980, S. 287ff. 

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Erklärung zu den politischen Möglichkeiten nach der Reichstagswahl durch den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun gegenüber dem Berliner Vertreter der United Press am 15.9.1930
Erklärung zu den politischen Möglichkeiten nach der Reichstagswahl durch den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun gegenüber dem Berliner Vertreter der United Press am 15.9.1930

Erklärung des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun zu den politischen Möglichkeiten nach der Reichstagswahl gegenüber dem Berliner Vertreter der United Press am 15.9.1930:

Ich halte trotz dieses Wahlergebnisses weder die Verfassung, noch die öffent­liche Sicherheit, noch den Kurs unserer Außenpolitik auch nur einen Augen­blick für bedroht. Es ist ganz ausgeschlossen, daß die radikalen Parteien, die bei diesen Wahlen gewonnen haben, in die Lage kommen werden, ihre Regie­rungsrezepte praktisch zu erproben. Ich halte es vielmehr für sicher, daß eine große Koalition aller Vernünftigen sich zusammenschließen wird, um mit einer zweifellos ausreichenden Regierungsmajorität zunächst energisch alle Kräfte auf Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Existenzbedingungen der breiten Massen zu konzentrieren.

Horkenbach, 1918-1930, S. 319 

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Intervention des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) bei der Reichsregierung für eine parlamentarische Lösung. Aktenvermerk des Staatssekretärs in der Reichskanzlei, Hermann Pünder, vom 15.9.1930:

Intervention des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) bei der Reichsregierung für eine parlamentarische Lösung. Aktenvermerk des Staatssekretärs in der Reichskanzlei, Hermann Pünder, vom 15.9.1930 

Herr Geheimrat Kastl vom Reichsverband der Deutschen Industrie rief mich heute aus Sorge um die weitere politische Entwicklung nach den gestrigen Reichstagswahlen an. Damit keine Irrtümer aufkämen, lege er Wert darauf, von vornherein festzustellen, daß der Reichsverband der Deutschen Industrie absolut der Auffassung sei, daß die Regierung dafür sorgen müsse, ihr gutes Reformprogramm parlamentarisch im neuen Reichstag zu verankern. Das sei aber nach Lage der Dinge nur nach links hin möglich. Ich entwickelte ihm darauf die Gedankengänge, wie sie nach meiner Meinung augenblicklich der Herr Reichskanzler habe, und von denen er nach einer heutigen Rücksprache mit dem Herrn Reichspräsidenten in der morgigen Ministerbesprechung Mitteilung machen wolle... [Es] scheine ... mir sehr zweifelhaft, ob eine große Koalition der alten Form möglich sei, da hiergegen doch von verschiedensten Seiten die schwersten Bedenken bestehen würden. Was meines Erachtens dagegen möglich und notwendig sei, sei eine Zusammenfassung aller zur Mit­arbeit bereiten Kräfte, also eine Hinzuziehung der Sozialdemokraten, wie auch den Fortbestand der engen Zusammenarbeit mit den 3 neuen konservativen Gruppen.
Herr Geheimrat Kastl war durch vorstehende Darlegungen meinerseits sehr beruhigt und fügte noch hinzu, daß er dem Herrn Reichskanzler jederzeit zur Aussprache zur Verfügung stünde sowie auch zu einer Unterstützung der Reichsregierung durch den Reichsverband.
Am heutigen Abend rief mich dann Herr Kastl nochmals an und teilte mir mit, daß er inzwischen auch mit dem Präsidenten des Reichsverbandes, Herrn Geheimrat Duisberg, sowie den stellvertretenden Vorsitzenden Frowein1, Krämer2 und Müller-Oerlinghausen3 gesprochen habe. Alle diese genannten Herren seien der gleichen Auffassung, wie wir sie in unserer Mittagsbespre­chung aufgestellt hätten. Der gleichen Auffassung sei auch der Bankier Max Warburg4' in Hamburg, mit dem er soeben telephoniert habe sowie zweifellos auch Herr Silverberg5, der als einziger stellvertretender Vorsitzender des Reichsverbandes augenblicklich abwesend sei. Er lege besonderen Wert auf diese Feststellungen, weil heute abend in einer Notiz der Börsenzeitung ange­deutet sei, daß es vielleicht doch noch möglich sei, die politischen Geschäfte in Deutschland mit der radikalen Rechten zu leiten...

Bundesarchiv Koblenz, Akten der Reichskanzlei R 43 I, Bd. 1308 

Reichskanzler Brüning hatte Kenntnis von dem Vorstoß des RDI und zeichnete den Aktenvermerk Pünders am 16.9.1930 eigenhändig ab.

 

1 Frowein, Abraham, Textilindustrieller _ 2 Krämer, Hans, Direktor des Tiefdrucksyndikats, Mit­glied des Aufsichtsrats der Deutschen Golddiskontbank - 3 Müller-Oerlinghausen, Georg, Textilindustrieller - 4 Warburg, Max, Mitinhaber des Bankhauses M. M. Warburg & Co., Hamburg - 5 s. Quellen 45 u. 46

 

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Brüning berichtet in seinen Memoiren über die politische Linie des Reichspräsidenten und der Reichsregierung nach der Reichstagswahl vom 14.9.1930

Brüning berichtet in seinen Memoiren über die politische Linie des Reichspräsidenten und der Reichsregierung nach der Reichstagswahl vom 14.9.1930: 

Am folgenden Morgen ließ mir der Reichspräsident durch Pünder mitteilen, daß er nach wie vor hinter mir stehe und ich mich nicht durch den Wahl­ausgang beirren lassen solle. Das war ein guter Auftakt für die kommenden Monate. Sobald ich den Rücken durch den Reichspräsidenten gesichert hatte, konnte ich ruhig an die Arbeit herangehen trotz der Schwere der Lage... Der Schreck über den Wahlerfolg der Nazis war allen in die Knochen gefahren. Die demokratische Presse stellte auf einmal mit Genugtuung die gelassene Ruhe des Kanzlers fest. Was während der Wahlen nur ein Frage-und-Antwort-­Spiel zwischen dem preußischen Ministerpräsidenten Braun und mir gewesen war, sollte nun durch viele Persönlichkeiten, auch der Wirtschaft, in eine feste Koalition mit der SPD übergeleitet werden. Das war für mich bei der Einstel­lung des Reichspräsidenten schon an sich ganz unmöglich und schien mir, im Hinblick auf das Anwachsen der Rechtsopposition, auch für die Zukunft gefährlich. Mein Auftrag wäre gescheitert, wenn ich mich irgendwie auf Koalitonsversicherungen eingelassen hätte.

Brüning, Memoiren, S. 18617. 

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Die Haltung des westlichen Auslandes zur verfassungspolitischen Entwicklung in Deutschland. Aus einem Schreiben Erich von Gilsas an den Ruhrindustriellen Paul Reusch vom 5.12.1930

Die Haltung des westlichen Auslandes zur verfassungspolitischen Entwicklung in Deutschland. Aus einem Schreiben Erich von Gilsas an den Ruhrindustriellen Paul Reusch vom 5.12.1930:

Bei dem Abschluß des letzten Überbrückungskredits in Höhe von 125 Millio­nen Dollar1 soll nach meinen Informationen die Reichsregierung... erhebliche Zugeständnisse an Amerika gemacht haben... das Kabinett [habe] verspre­chen müssen, die Krise in Deutschland nicht auf außerparlamentarischem, sondern auf parlamentarischem Wege zu lösen. Mein Gewährsmann sagte mir, daß diese Bindungen ganz vertraulich behandelt würden.
Eigentlich ist es ja nicht recht verständlich, warum das Ausland gegen eine außerparlamentarische Lösung sein sollte. Es müßte doch nur daran interes­siert sein, daß bei uns endlich Ordnung geschaffen würde, damit dem Ausland die von ihm bei uns angelegten Gelder nicht verlorengingen. Die Psyche der Völker ist ja manchmal eigentümlich. In den westeuropäischen Ländern und auch in Nordamerika ist der Parlamentarismus ja ganz anders gestaltet und im Volksempfinden eingewurzelt als bei uns. Dort sieht man vielleicht in einem Bruch mit der parlamentarischen Form zugleich den Anfang des drohenden Chaos.

Politik und Wirtschaft in der Krise 1930-1932, Düsseldorf 1980, S. 48417. 

 

1Der Kredit wurde dem Deutschen Reich am 11.10.1930 von einem internationalen Banken­konsortium unter Führung des amerikanischen Hauses Lee-Higginson & Co gewährt.

 

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Brüning über die letzten Ziele seiner Innen- und Außenpolitik. Aus einer Niederschrift Brünings über eine Besprechung mit Adolf Hitler und der NSDAP-Führung am 6.10.1930

Brüning über die letzten Ziele seiner Innen- und Außenpolitik. Aus einer Niederschrift Brünings über eine Besprechung mit Adolf Hitler und der NSDAP-Führung am 6.10.1930:

... die Unterhaltung mit Hitler [wurde] so geführt, daß ihm über die Lage und die Absichten ohne jede weitere sonst im parlamentarischen Leben übliche taktische Zurückhaltung reiner Wein eingeschenkt wurde. Nach einigen ein­leitenden kurzen Gesprächen begann ich mit der Darlegung der Lage und der Absichten der Regierung für die Zukunft. Die Krise würde nach unserer Schätzung etwa vier bis fünf Jahre dauern, frühestens im Sommer 1932 sei die erste Besserung möglich... Eine Wiedererreichung des Lebensstandards von 1927/28 sei auch nach Streichung der Reparationen in den nächsten Jahren nicht möglich. Diese Streichung der Reparationen herbeizuführen, unter gleichzeitiger Inangriffnahme der Abrüstungsfrage, würde das erste Streben der Außenpolitik der Regierung sein. Mit beiden Fragen hoffe man im Laufe von anderthalb bis zwei Jahren den ganzen Versailler Vertrag, ohne darüber zu reden, ins Wanken zu bringen.
Der erste Ansatz dazu sei der schwierigste. Man müsse Finanzmaßnahmen treffen, die zunächst eine Atempause für ein halbes Jahr gäben. Dann würden weitere Einschränkungen der Ausgaben auf allen Gebieten notwendig, ver­bunden mit einer Senkung der Preise und Löhne, um, gestützt auf eine bis dahin zu verwirklichende Autarkie auf allen landwirtschaftlichen Gebieten mit Ausnahme der Fettwirtschaft, Deutschland als erstes Land so zu rüsten, daß es jeden Druck von außen her aushalten könne und dazu noch in der Lage sein würde, seinerseits jederzeit die Weltkrise zu benutzen, um durch sie einen Druck auf alle übrigen Mächte auszuüben...
Die Regierung sei fest entschlossen, den dargelegten Weg bis zum Äußersten zu gehen. Sie könne darüber vor der Öffentlichkeit keine Erklärung  abgeben. Allein die Idee, daß ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Young-­Planes die Offensive mit dem Ziel, die gesamten Reparationen zu streichen, beginnen würde, wäre ein Schock für die Welt und würde von ihr mit der so­fortigen Herausziehung des kurzfristigen Kapitals beantwortet, was eine Kapi­tulation Deutschlands zwei Monate später zur Folge haben müßte. Fast alle Gläubiger Deutschlands seien sich noch nicht klar darüber, wie verzweifelt die Lage im Augenblick schon sei. Um die Welt über diese Lage hinwegzu­täuschen, brauchte ich den 125-Millionen-Dollarkredit, der mir von Lee ­Higginson2 ohne jede politische Bedingung, nur gegen verstärkte Schuldentil­gung, angeboten war. Diesen Kredit müßten wir um jeden Preis haben, um  nicht schon Mitte Dezember einen Zusammenbruch zu erleben. Er würde zu­sammen mit den sonstigen Maßnahmen der Regierung die Chance bieten, im nächsten Jahr die Reparationen ausschließlich durch unsern Ausfuhrüber­schuß zu bezahlen und dadurch das Gefüge des gesamten Weltmarkts ausein­anderzubrechen. Ich schätze die Zeit, die notwendig sei, um auf diese Weise den Ruf nach Streichung der Reparationen in der Welt zu wecken, auf etwa 12 bis 14 Monate.
Das sei die erste Phase der Politik, für die eine schärfere außenpolitische Opposition seitens der NSDAP das zweckmäßigste wäre. Eine Verständigung im einzelnen über die Formen der Opposition wäre natürlich eine Voraus­setzung für ein späteres Zusammengehen. Ich hoffe, in der zweiten Phase zu­sammen mit der Rechten an die Verfassungsreform herangehen zu können, die nach meinen persönlichen Wünschen in einer monarchischen Restauration enden müsse, ohne daß es möglich sein würde, schon wieder einen Kaiser zu proklamieren, solange nicht im Hause Hohenzollern selbst eine Einigung über die ... möglichen Kandidaten erfolgt sei. Unter der Voraussetzung, daß er, Hitler, mir sein Wort gebe, sich mit mir in jeder Phase über die Form der Op­position zu verständigen, würde ich dafür sorgen, daß seiner Presse abseits jeder persönlichen Verunglimpfung volle Freiheit gegeben würde, auch zur schärfsten Kritik an der Außenpolitik und an meiner Person...
Wenn Hitler bereit sei, auf der Grundlage dieser Außenpolitik in loyaler Weise, erst versteckt und dann offen, mitzuarbeiten, so würde das deutsche Volk in zwei bis drei Jahren die Fesseln des Versailler Vertrages los sein. Ich hoffe, daß ich an ihn als alten Frontsoldaten nicht vergeblich appelliere, genauso wie es mir und meinen Freunden als alten Frontkämpfern gleichgültig sei, ob der Enderfolg mit unseren Namen verknüpft würde.
Hitler antwortete in einer einstündigen Rede...
Er ging mit keinem Wort auf die grundlegenden Fragen jeder künftigen Politik ein, namentlich nicht auf den finanziellen Mehrjahresplan, den er anscheinend nicht verstand. Immer häufiger kam das Wort „vernichten", zuerst gegen die SPD gerichtet, dann gegen die Reaktion und endlich gegen Frankreich als der Erbfeind und gegen Rußland als den Hort des Bolschewismus. Er mache sich stark, wenn er an der Regierung sei, gemeinsam mit England, dann mit Italien und Amerika diese Feinde in kurzer Zeit zu Boden zu werfen. Voraussetzung dafür aber sei zunächst die Vernichtung der KPD, der SPD und der Reaktion.
Er sei bereit, für den Beginn dieses Kampfes mit drei Ministern in das Kabinett einzutreten, ohne sich aber auf Maßnahmen der Regierung festlegen zu können...
Wir sahen, daß mein Angebot auf den ersten Anhieb gescheitert war. Trotz­dem durften die Fäden, mit Rücksicht auf das nunmehr beginnende Wagnis, nicht abreißen... Unter Ignorierung aller von ihm ausgesprochenen Unmöglichkeiten erklärte ich mich bereit, dafür zu sorgen, daß überall in den Länderparlamenten schon in dieser ersten Anlaufzeit, wo es zahlenmäßig möglich sein, NSDAP und Zentrum zusammen eine Regierung bilden konn­ten, um so die Brücken für die zweite Phase zu bilden. Das machte sichtlich mehr Eindruck auf ihn als alles vorher Gesagte.      
Mir wurde klar, daß sein Grundsatz: „Erst Macht, dann Politik" für ihn stets maßgebend sein würde. Nach drei Stunden wurde ein Kommunique verein­bart, und wir schieden mit der ausdrücklichen Zusage Hitlers, über die außen­politischen Pläne der Regierung stärkstes Stillschweigen zu wahren.

Brüning, Memoiren, S. 192-96 

 

1 Die Besprechung fand in der Berliner Privatwohnung von ReichsministerTreviranusstatt.Von nationalsozialistischer Seite nahmen neben Hitler der Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser (1892-1934) sowie Wilhelm Frick (1877-1946), Reichsinnenminister1933-1943,teil.­

2 s. Quelle 67, Anm. 1

 

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„Nationalsozialismus und Bürgertum". Aus den Betrachtungen des Historikers Friedrich Meinecke (1862-1954) in der „Kölnischen Zeitung" vom 21.12.1930

„Nationalsozialismus und Bürgertum". Aus den Betrachtungen des Historikers Friedrich Meinecke (1862-1954) in der „Kölnischen Zeitung" vom 21.12.1930:

Der Regierung Brüning ist die historische Aufgabe geworden, das, was man neuerdings die konstitutionelle Demokratie nennt, zu verwirklichen. Weil durch das Anwachsen des Rechts- und Linksradikalismus und die Zermür­bung der Mittelparteien das rein parlamentarische System bei uns erschüttert ist, gleitet der Schwerpunkt des staatlichen Lebens zwangsläufig auf die Regie­rung hinüber. Wir nennen diesen heute zunächst nur durch tatsächlichen Ver­fassungswandel, noch nicht durch Verfassungsänderung sich anbahnenden Primat der Regierung gegenüber dem Parlament konstitutionelle Demokratie, weil das demokratische Prinzip in ihm gesichert ist und auch immer bleiben muß durch den Willen des volksgewählten Reichspräsidenten. Volksmehrheit bedeutet mehr als Parlamentsmehrheit. Wenn die Parlamentsmehrheit durch Mißbrauch und Zerrüttung des Parteiwesens arbeitsunfähig wird, hat der Ver­trauensmann der Nation das Recht und die Pflicht, im Sinne der wahren Volks­mehrheit aller Vernünftigen, die nicht an Parteischranken gebunden ist und immer noch als vorhanden gelten kann, zu handeln. Daß Hindenburg dies heute tut, das danken wir ihm.
Das ist also der lichte Punkt in unsrer heutigen Lage. Und immer besteht auch noch im Reichstag zwar keine positive,
die Regierung einmütig und geschlos­sen stützende, aber doch eine negative, das Unheil der Radikalismen abwehrende Mehrheit. Aber es wird an ihr genagt und gezerrt, und von ihren rechten Flügelgruppen her wird sie unterminiert..., so geht... eine suggestive Wirkung der nationalsozialistischen Bewegung auf einen großen Teil der re­duzierten Mittelparteien aus. „Es muß doch etwas daran sein", sagt man und nähert sich wohlwollend den wilden Männern, die, so meint man, gar nicht so wild seien, wie sie sich im Augenblick gäben. Es seien doch wertvolle Ideen, Kräfte und Menschen in dieser Bewegung. Gewiß, dem ist so. Aber tritt das eigentlich Wertvolle an ihr, das starke nationale Wollen, das leidenschaftliche Empfinden unserer politischen Unfreiheit und die ethische Aufbäumung ge­gen Großstadtschmutz, hier nicht in einer demagogischen Verzerrungund Ver­gröberung auf, die es realpolitisch nicht nur unbrauchbar, sondern schädlich macht? Man sollte sie, sagt man darauf, nur hineinnehmen in die Ämter und die Regierung, damit sie hier erzogen würden und sich mauserten... Man lacht über ihre wirtschaftlichen Forderungen, schilt auch in den Kreisen der obern Zehntausend gesittet über ihren Straßenradau - und doch, merk­würdig, geht in diesen selben Reihen das Geraune über die Nützlichkeit und dermaleinstige Verwendbarkeit des Nationalsozialismus sachte weiter. Was steckt eigentlich dahinter?..., was die stille Gunst mancher mächtiger Wirt­schaftler für diese so wirtschaftswidrig sich gebärdende Bewegung erklärt. Sie sehen in ihr den Sturmbock gegen die verhaßte Sozialdemokratie. Zuweilen scheint es so, als sei der einzige politische Gedanke, von dem sie besessen sind, der, die unbequemen Gewerkschaften zu zerbrechen... Die Sozialdemokratie ist heute in dieselbe staaterhaltende Position wieder ein­gerückt, in der sie einst um die Wende 1918/19 den Bolschewismus von Deutschland hat abwehren helfen. Nur mit dem Unterschied, daß sie damals nur gegen eine Front, diesmal gegen zwei Fronten, gegen Kommunismus und Nationalsozialismus, zu kämpfen hat - genau gesehen, gegen drei Fronten, nämlich auch noch gegen jenen heimlichen oder offenen Haß gewisser bür­gerlich führender Kreise. Wir stehen nicht an, einen solchen Haß als das Dümmste und Kurzsichtigste zu bezeichnen, was sich das deutsche Bürgertum in seiner jetzigen weltgeschichtlichen Gefährdung leisten kann.

Friedrich Meinecke, Politische Schriften und Reden, hg. von Georg Kotowski, Darmstadt 1958, S. 442f 

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Friedrich Stampfer über die parlamentarische Situation bis zum Ende der Regierung Brüning im Mai 1932
Friedrich Stampfer über die parlamentarische Situation bis zum Ende der Regierung Brüning im Mai 1932

Friedrich Stampfer über die parlamentarische Situation bis zum Ende der Regierung Brüning im Mai 1932:

Die parlamentarischen Verhältnisse im Reich blieben von den Septemberwah­len des Jahres 1930 bis zum Sturz Brünings durch die Kamarilla am 30. Mai 1932, also einunddreiviertel Jahre lang, stabil. Diese Stabilität, ein unschätz­bares Aktivum in so stürmischer Zeit, hätte vielleicht noch lange dauern können, wäre sie nicht durch ein außerparlamentarisches Intrigenspiel zer stört worden. Es gab eine starke parlamentsfeindliche Opposition, bestehend aus Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Kommunisten, und trotz alle­dem eine stärkere Regierungsmehrheit, bestehend aus den übrigen Parteien. Es war - sonderbar genug - eine klare parlamentarische Mehrheit für die Anwendung des Artikels 48. Aber diese Mehrheit hat nicht in einem einzigen wichtigen Fall versagt. Sie lehnte die Einberufung des Reichstags ab, wenn eine Notverordnung erlassen war und die Regierung sich ihrer parlamentarischen Behandlung widersetzte. Sie lehnte im Reichstag die Aufhebung der Notver­ordnungen ab, und sie lehnte die Mißtrauensanträge ab, die von der Oppo­sition gestellt waren. Sie nahm das Osthilfegesetz an und erteilte der Regierung die Ermächtigung, von sich aus die Zölle zu ändern, d. h. zu erhöhen. Diese Mehrheit siegte am 6. Dezember 1930 mit einem Plus von 38 Stimmen, am 12. Mai - bei der letzten Abstimmung vor Brünings Entlassung - mit einem Plus von 30 Stimmen. Dazwischen lagen zahlreiche andere Abstimmungen ähn­licher Art.
Brüning brauchte, um dieses System zu erhalten, die Sozialdemokratie, der er manche Zugeständnisse im kleinen, besonders auf sozialem Gebiet machen mußte. Die Sozialdemokratie aber brauchte den Anschluß an die bürgerliche Mitte, wenn sie die Rechte von der Macht fernhalten wollte. Es war von beiden Seiten keine Liebesehe, nur eine Vernunftehe im strengsten Sinn des Wortes. Mit dem Herzen war Brüning viel eher als bei den Sozialdemokraten bei den Deutschnationalen, wären sie nur noch so gewesen wie 1925! Die Sozialdemo­kraten aber hätten hundertmal lieber opponiert als toleriert, nur die Einsicht, daß sie durch ihre Opposition die Entwicklung noch viel weiter nach rechts treiben würde, zwang sie in die Gefolgschaft eines sehr weit rechts stehenden Kanzlers.

Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, S. 598 f. 

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Reichstagssitzungen, reguläre Gesetzgebung und Notverordnungspraxis 1930-1932

Reguläre Gesetzgebung und Notverordnungspraxis 1930-1932

Reichstagssitzungen

Gesetze

Notverordnungen

1930

94

98

5

1931

41

34

44

1932

13

5

60

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Der Generalangriff der "Nationalen Opposition" 1931/32
Der Generalangriff der "Nationalen Opposition" 1931/32

Im Jahr 1932 erreichte die Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland stieg im Februar 1932 auf den absoluten Höchststand von 6,13 Millionen, und die politische Radikalisierung führte zu bürgerkriegsähn­lichen Auseinandersetzungen zwischen rechts und links. Der Aufstieg der NSDAP vollzog sich in einem atemberaubenden Tempo, aber bei der Reichspräsidenten­wahl im Frühjahr 1932 konnte Hitler die Mehrheit der Stimmen nicht erreichen und unterlag dem wiederkandidierenden Paul von Hindenburg. Es war jedoch unver­kennbar, dass die NSDAP inzwischen zu einem zentralen Faktor in der deutschen Politik geworden war: Ihr wuchsen jetzt nicht zuletzt wichtige gesellschaftliche Verbindungen zu, und auch führende Vertreter der Großindustrie begannen, ein Arrangement mit Hitler zu suchen. Wichtiger für Aufstieg und Erfolg der NSDAP blieb im wirtschaftlichen Bereich jedoch das Zusammenspiel mit den Agrariern und dem Reichslandbund.
Der Zusammenschluss der „Nationalen Opposition" zur „Harzburger Front" im Oktober 1931 markierte ein entscheidendes Datum, aber noch war die vereinigte Rechte weit davon entfernt, in programmatischer und auch personeller Hinsicht regierungsfähig zu sein. Vor allem war der amtierende Reichskanzler Brüning, der sich im Reichstag nach wie vor auf die Tolerierung durch die Parteien der „Großen Koalition" stützen konnte, zunächst noch notwendig, um die unpopuläre Vorarbeit der „Sanierung" zu erledigen. Insbesondere musste die Reparationsfrage geregelt sein. Insofern leitete der sich im Frühjahr 1932 immer deutlicher abzeichnende Reparationserfolg zugleich auch das politische Ende des Brüning-­Kabinetts ein (s. Quellen 76, 82, 85). In dieser Situation genügte ein Vorstoß der Großagrarier bei Hindenburg gegen das als „Agrarbolschewismus" gebrand­markte Programm der Reichsregierung, um die Demission Brünings herbeizu­führen.

 

Bürgerkrieg in Deutschland. Beobachtungen des amerikanischen Journalisten  Hubert R. Knickerbocker (1932):
Bürgerkrieg in Deutschland. Beobachtungen des amerikanischen Journalisten Hubert R. Knickerbocker (1932):

1. Deutschland im Jahre 1931/32: Politische und soziale Realität 

Bürgerkrieg in Deutschland. Beobachtungen des amerikanischen Journalisten  Hubert R. Knickerbocker (1932): 

„Werden wir den Bürgerkrieg bekommen?" fragte ein Deutscher. Die Antwort lautete: „Wir haben ihn schon."...

Der Hass, den die beiden Parteien gegeneinander hegen, lässt sich sogar stati­stisch erfassen. Das nationalsozialistische Hauptquartier in Berlin erklärt, dass vom 1. 12. 1930 bis 1. 12. 1931 79 Nationalsozialisten von Roten erschossen, erstochen, totgeschlagen oder zu Tode geprügelt worden seien. Das rote Büro für Rechtshilfe erklärt, dass in dem gleichen Zeitraum 103 Arbeiter von Natio­nalsozialisten und von der Polizei erschossen, erstochen, totgeschlagen oder zu Tode geprügelt worden seien, und zwar 52 von der Polizei, 51 von den Nazis.

Das ergibt eine Summe von 182 im Laufe von zwölf Monaten für das Hakenkreuzbanner und die rote Flagge im Gefecht Gefallener. Das ist jedoch nur ein Bruchteil der Gesamtverluste. Laut Angaben des nationalsozialistischen Hauptquartiers wurden im Laufe der letzten zwölf Monate gegen 5500 Nazis bei politischen Zusammenstößen verwundet. Die Roten melden für die gleiche Periode 9500 Verwundete. Die Verletzungen sind der verschiedensten Natur, von eingeschlagenen Nasen bis zu gebrochenen Wirbelsäulen, von Fleischwunden bis zu dauernder Verstümmelung. Wenn alle diese Verluste auf einen Tag fielen und eine Schlagzeile verkündete „Schlacht zwischen Nazis und Kommunisten; 182 Tote, 15 000 Verwundete",

würde niemand anstehen, das, was vorgeht, als Bürgerkrieg zu bezeichnen. Wenn man bedenkt, dass wahrscheinlich keine ganzen zehn Prozent der Kampfteilnehmer einander jemals vor den Zusammenstößen von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten und dass persönliche Motive nicht mitspielten, ist der kriegsartige Charakter des Konflikts deutlich erwiesen. Die Nazis haben die Angelegenheit geschäftlich aufgezogen und eine Versiche­rungsgesellschaft gegründet, die sie „Verwundetenhilfe" nennen. Jedes Partei­mitglied ist verpflichtet, eine Jahresprämie von 3,60 Mark zu zahlen. Wer ordnungsgemäß bezahlt hat, kann, wenn ihm bei einem Zusammenstoß etwas widerfährt, darauf rechnen, dass ihm bei völliger und dauernder Berufsunfähigkeit 5000 Mark ausgezahlt werden; stirbt er, so erhalten seine Hinterbliebenen 1000 Mark. Früher befasste sich eine Versicherungsgesellschaft damit; als die Anzahl der Beschädigten aber die Prämien verschlungen und ein Defizit verursacht hatte, gab sie es schleunigst auf.

 

Hubert R. Knickerbocker, Deutschland so oder so?, Berlin 1932. S. 27 ff.

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Hungersnot in Thüringen. Aus dem Reportagetext „Deesbach überlebt den 73 Winter nicht mehr",
Hungersnot in Thüringen. Aus dem Reportagetext „Deesbach überlebt den 73 Winter nicht mehr",

Hungersnot in Thüringen. Aus dem Reportagetext „Deesbach überlebt den 73 Winter nicht mehr",

 Die Gemeinden Thüringens erleben eine Notzeit, wie sie deutsche Gemeinden seit Jahrhunderten nicht erlebten. Hunger und Krankheit wüten durch das ganze Land. Die Gemeinden denken, dass sie, wenn rasche Hilfe nicht bald kommt, den Winter nicht mehr überleben werden. In den meisten Orten ist vier Fünftel der Bevölkerung erwerbslos. Die Gemeinden sind aber durch früher gezahlte Unterstützungsgelder derart verschuldet, dass sie ungeheuere Steuern auf das Trinkwasser setzen müssen. Siebenköpfige Familien können für M 1,75 in der Woche das Leben bestreiten. Der übrige Teil ihrer Unter­stützung wird für Miete und für das Wassergeld abgezogen. Sogar für jede Kuh und für jede Ziege muss Wassergeld gezahlt werden. Die Heimarbeit ist fast erloschen. Die Gemeindevorsteher mussten den Einwohnern amtliche Bettel­scheine ausstellen. Die Bevölkerung ist in tiefe Apathie versunken. Sie haben nicht mehr die Kraft, sich zu empören und zu hoffen. Eine ungeheuere Angst vor dem kommenden Winter bemächtigt sich der Einwohnerschaft.

 

Bundesarchiv Koblenz

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Die Arbeitslosen nach Berufsgruppen 1932:
Die Arbeitslosen nach Berufsgruppen 1932:

Arbeitslose im Jahresdurchschnitt
Berufsgruppen
1
2
3
in v. H.
der
Sp.l
insgesamt
v. H.
davon
weibl.
1/2. Landwirtschaft usw...........
222 830
4,0
50 197
22,5
3. Bergbau, Hüttenwesen usw.
211 955
3 8
716
0,3
4. Industrie der Steine und Erden ..............................................
209 838
3 8
18 580
8,9
5/6. Metallverarbeitung ...........
937 644
167
52 704
5,6
7/8. Chemische Industrie .........
27 184
0 5
7 415
27,3
9. Spinnstoffgewerbe .............
227 818
4 7
131 360
57,7
10. Zellstoff- und Papierherstellung .....................
55 649
1,0
28 593
51,4
11. Lederindustrie ...................
62 351
1 1
8 982
14,4
12. Holz- und Schnitzstoffgewerbe ................
289 589
5 2
10 296
3,6
13. Nahrungs- und Genußmittelgewerbe ...
162 524
2 9
59 059
36,3
14. Bekleidungsgewerbe .........
230 997
4 1
111 102
48,1
15. Reinigungsgewerbe ............
47 736
0 8
25 841
54,1
16. Baugewerbe ......................
500 923
8 9

 

 

17. Vervielfältigungsgewerbe ...
54 102
1,0
10 977
20,3
18. Kunstgewerbliche Berufe ...
6 250
0 1
1 092
17.5
19. Theater, Musik usw............
33 1 18
0 6
5 405
16,3
20. Gast- und Schankwirtschaft ................................................
92 962
1 7
44 931
48,3
21. Verkehrsgewerbe ..............
307 344
5 5
13 580
4,4
22. Häusliche Dienste ..............
219 523
3 9
217 810
99,2
23. Lohnarbeit wechselnder Art ................................................
1 150 417
205
146 717
12,8
24. Maschinisten und Heizer ....
40 555
0 7

 

 

25. Kaufmännische Angestellte
355 582
6,
140 038
39,4
26. Büroangestellte ..................
43 105
0,9
23 988
45,2
27. Techniker aller Art ............
94 306
1 7
1 541
1,6
28. Sonstige Angestellte ..........
8 409
0 1
3 306
39,3
Sämtliche Berufsgruppen .........
5 602 711
1000
1 114 230
19,9

 

Horkenbach, 1932, S. 507 (Nach den Meldungen der Arbeitsämter)

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Aus Hitlers Aussage vor dem Reichsgericht in Leipzig, 25. 9.1930:
Aus Hitlers Aussage vor dem Reichsgericht in Leipzig, 25. 9.1930:

5.2. Strategien der „Nationalen Opposition"

Vor dem Reichsgericht in Leipzig begann am 23. 9. 1930 ein Hochverratsprozess gegen die Reichswehroffiziere Scheringer und Ludin vom Ulmer Artillerieregiment 5. Beide wurden beschuldigt, durch die Bildung nationalsozialistischer Zellen in der Reichswehr eine hochverräterische Handlung begangen zu haben. Am 25. 9.1930 wurde Hitler als Zeuge über die Ziele seiner Partei vernommen. Hitlers Aussage verursachte, wie schon das Ergebnis der Reichstagswahl vom 14. 9., eine erneute Börsenpanik und die Zurückziehung ausländischer Guthaben.

Aus Hitlers Aussage vor dem Reichsgericht in Leipzig, 25. 9.1930:

Hitler: Wenn die Bewegung in ihrem legalen Kampf siegt, wird ein deutscher Staatsgerichtshof kommen, und der November von 1918 wird seine Sühne finden, und es werden auch Köpfe rollen... Vors.: Welche Bewandtnis hat es mit dem Dritten Reich? Hitler: Die nationalsozialistische Bewegung wird in diesem Staate mit den ver­fassungsmäßigen Mitteln das Ziel zu erreichen suchen. Die Verfassung schreibt uns nur die Methoden vor, nicht aber das Ziel. Wir werden auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebenden Mehrheiten in den gesetz­gebenden Körperschaften zu erlangen versuchen, um in dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form zu gießen, die unseren Ideen entspricht. Der Vorsitzende fasste die Aussage Hitlers dahin zusammen, dass die Errich­tung des Dritten Reiches auf verfassungsmäßigem Wege erstrebt werde.

 

Berliner Börsenzeitung Nr. 446, 25. 9. 1930, hier zit. nach: Ursachen und Folgen, Bd. 7, S. 531f.

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Das strategische Konzept der „Nationalen Opposition" für die Etappen bis zur Regierungsübernahme durch Hitler.

Das strategische Konzept der „Nationalen Opposition" für die Etappen bis zur Regierungsübernahme durch Hitler.

Aus einem Schreiben des dem Ruhrbergbau nahestehenden Wirtschaftspublizisten August Heinrichsbauer an Frhr. Heinrich von Gleichen, den Herausgeber der konservativen Wochenschrift „Der Ring",
12. 6.1931:

Der Kernpunkt der Auseinandersetzung dreht sich m. E. um die Art der Zu­sammensetzung der Regierung, die eines Tages dem Kabinett Brüning folgen wird und muss. Mein persönlicher Standpunkt geht dahin, dass es für die natio­nale Opposition, die ich mit Namen Hitler, Hugenberg, Seldte umreißen möchte, untragbar wäre, die unmittelbare Nachfolgerschaft entweder selbst oder durch Personen, die als Parteiangehörige hervorgetreten sind, zu über­nehmen. Zunächst werden die von dem künftigen Kabinett zu lösenden Auf­gaben - gleichgültig, wie es im Einzelnen personell zusammengesetzt ist - so schwierig sein, dass mit ihrer Lösung ein Höchstmaß von Unpopularität  untrennbar verbunden ist...
Dazu kommt noch, dass die nationale Opposition ein politisches und wirt­schaftliches Sanierungsprogramm zur Zeit noch nicht hat; selbst wenn sie es hätte, würden seiner Verwirklichung die allergrößten Schwierigkeiten entgegenstehen, da im In- und im Ausland sehr viele potente Leute darauf warten,
einem solchen „nationalen" Sanierungsprogramm Schwierigkeiten zu berei­ten. Das gilt besonders von der Außen- und der Reparationspolitik, die beide... in ihren Grundlinien so festliegen, dass auch eine noch so klug und geschickt geführte nationale Opposition an ihnen nicht viel ändern kann; jede eigene Machtübernahme wäre deshalb außen- und reparationspolitisch sehr schnell verbunden mit einer Beugung früherer Verheißungen und Ansichten. Mir persönlich scheint es am besten, wenn das jetzige Kabinett abgelöst wird von einem Kabinett starker und entschiedener Persönlichkeiten (wobei man zur Beruhigung ängstlicher Leute im In- und Ausland ruhig Brüning mit irgendeiner Funktion betrauen könnte), deren Angehörige der nationalen Rechten nahestehen müssten und denen von der Rechten wohlwollende (und natürlich weitgehend verabredete) Opposition zu machen wäre... Notwendig erscheint mir aber, im Reich keinen Schritt zu tun, der nicht von einer ent­sprechenden Handlung in Preußen begleitet ist... Ich bin fest davon überzeugt, dass das ganze jetzige System des anonymen, demokratischen Parlamentarismus im Laufe der Zeit von einem neuen System abgelöst wird, das auf die Führerverantwortlichkeit und auf die Gefolgschaftsverbundenheit abgestellt ist und das erhebliche Anklänge an den italienischen Faschismus haben wird, ohne ihn natürlich bis ins einzelne kopieren zu brau­chen bzw. zu dürfen. Es kommt mir nur darauf an, diesem künftigen System den Weg zu erleichtern und ihn ihm nicht unnötig zu erschweren.

Bundesarchiv Koblenz, NI. Luther Nr. 336

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Aus einem Schreiben des Ruhrindustriellen Paul Reusch an das Geschäftsführenne Präsidialmitglied des RDI, Ludwig Kastl, 6.9.1931

Aus einem Schreiben des Ruhrindustriellen Paul Reusch an das Geschäftsführenne Präsidialmitglied des RDI, Ludwig Kastl, 6. 9.1931:

...Ich bin der unmaßgeblichen Meinung, dass Herr Brüning, nachdem die Erwartungen, die wir auf ihn gesetzt haben, sich nicht erfüllt haben und nach­dem er nicht den Mut hat, sich von der Sozialdemokratie zu trennen, von der Wirtschaft und dem Reichsverband auf das allerschärfste bekämpft werden muss und dass ihm die Industrie ganz offen ihr Misstrauen aussprechen soll...

Im weiteren bin ich der Ansicht, dass wir endlich einmal unsere Taktik den Gewerkschaften gegenüber ändern müssen. Die Industrie war bisher zu feige, den Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe aufzunehmen. Das ganze Unheil, das über uns gekommen ist, ist nicht zum geringsten Teil auf die to Gewerkschaften zurückzuführen, von denen sich seit den Revolutionstagen alle Regierungen mehr oder weniger beeinflussen ließen und die im Hinter­grunde tatsächlich regiert haben. Wir haben den Fehler gemacht, in der Ver­gangenheit die Regierungen zu bekämpfen, statt dass wir die Gewerkschaften mit aller Schärfe bekämpft haben und sollten aus diesem Fehler der Vergangenheit nunmehr die entsprechenden Folgerungen ziehen.

Zit. Nach: Politik und Wirtschaft, Bd. 2, S. 944

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Aus der Erklärung des Kreisbauernbundes Süderdithmarschen, 10. 11. 1931
Der NSDAP gelang es seit 1931 zunehmend, in den Organisationen der von der Krise besonders scharf getroffenen Landwirtschaft Fuß zu fassen. So wurden z. B. am 10. 10. 1931 auf Veranlassung der regionalen Land- und Kreisbauernbünde und der NSDAP in Schleswig-Holstein etwa 1000 Protestversammlungen abge­halten, die auch im Zusammenhang mit der am folgenden Tag stattfindenden Tagung der „Nationalen Opposition" in Bad Harzburg (s. Quelle 79) zu sehen sind.

Aus der Erklärung des Kreisbauernbundes Süderdithmarschen, 10. 11. 1931:

 „Noch nie war die Lage der Landwirtschaft an der Westküste so ernst wie heute. Früher gingen die Untüchtigen und Leichtsinnigen Konkurs, heute gehen auch, und zwar in noch viel größerer Zahl, die Höfe Konkurs, deren Be­sitzer fleißig und tüchtig wirtschafteten und anspruchslos lebten, die nur den Fehler begangen haben, zu glauben ... dass uns vorwärts bringen würde, was man uns an guten Ratschlägen aus Studierstuben und vom grünen Tisch der Verwaltung vorredete und vorrechnete von Intensivierung, Rationalisierung, Produktionsvermehrung und Qualitätsverbesserung... Unsere Betriebe sind durch die niedrigen Preise landwirtschaftlicher Produkte und den erhöhten Zinsdruck... in ihrem Werte auf die Hälfte des Vorjahres gesunken... 50% müssen heute ihre Zahlungsunfähigkeit erklären ... Milchwirtschaft, Rinder­ und Schweinemast, Ferkel- und Kälberaufzucht und Gemüsebau - kein Betriebszweig liefert heute noch eine Rente... Die Polypenarme des inter­nationalen Finanzkapitals zeigen sich in letzter Wirkung durch alle Banken und Sparkassen." Deshalb sei man zusammengekommen, um durch Zusam­menfassung aller Kräfte mitzuhelfen, „dass auf den Trümmern eines abgewirt­schafteten Systems... ein neues Reich jugendlicher Kraft entstehe, in dem ehr­liche und fleißige Arbeit mehr Recht erhält als heute. Dazu gehört bei uns selber Beseitigung kleinlicher Hemmungen, der Selbstsucht und Eigen­brötelei. Wir sind lange genug zersplittert geblieben aus falsch verstandener Betonung unseres Königtums auf dem Hofe ... Wir können es uns nicht mehr leisten, dass der eine ohne Rücksicht auf das Schicksal des anderen lebt... So kommen wir einer nach dem anderen an den Bettelstab..." Deshalb hätten sich 65 000 Landwirte zu einer Notgemeinschaft zusammengeschlossen, als deren Ziele verkündet werden: Verhinderung der Zwangsversteigerungen durch Beseitigung ihrer Ursachen, und zwar: „1. schärfste und radikale Zinssenkung, 2. Grenzsperre durch Devisenverweigerung für Lebensmittel, die zur Genüge im eigenen Land erzeugt werden, 3. Beseitigung der ungesunden Handels­spanne, 4. Drosselung sozialer, staatlicher und anderer Überlastungen jeder Art unter Anpassung an die Leistungsfähigkeit des Berufsstandes, 5. Beseiti­gung der untragbaren Auslandsforderungen, 6. Gewährung einer hinreichen­den Stillhaltesumme bis zur Verwirklichung betrieblicher Rentabilität."

Rudolf Heberle, Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein 1918 bis 1932, Stuttgart 1963, S. 126, S. 164ff.

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Aus der gemeinsamen Entschließung der „Nationalen Front" in Bad Harzburg  am 11.10.1931:
Aus der gemeinsamen Entschließung der „Nationalen Front" in Bad Harzburg am 11.10.1931:

Die Führungsspitzen der Parteien und Verbände der „Nationalen Opposition", d. h. der Nationalsozialisten, der Deutschnationalen und des Stahlhelm, sowie manch andere Prominenz aus Industrie und Landwirtschaft trafen sich am 11. 10. 1931 in Bad Harzburg zum Generalangriff auf die Republik.' Die Bildung der „Harzburger Front" zeichnete die Bündniskonstellation des 30. 1. 1933 bereits präzise vor.

Aus der gemeinsamen Entschließung der „Nationalen Front" in Bad Harzburg am 11.10.1931: 

Die Nationale Opposition hat sein Jahren vergeblich gewarnt vor dem Ver­sagen der Regierungen und des Staatsapparates gegenüber dem Blutterror des Marxismus, dem fortschreitenden Kulturbolschewismus und der Zerreißung der Nation durch den Klassenkampf, vor der planmäßigen Ausschaltung der nationalen Kräfte aus der Leitung des Staates, vor einer Politik, die in der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Entmannung Deutschlands noch über das Diktat von Versailles hinausgeht, vor einer Politik, die die heimische Wirtschaft zugunsten weltwirtschaftlicher Utopien preisgibt, vor einer Politik der Unterwürfigkeit dem Ausland gegenüber, die weder die Gleichberechtigung Deutschlands gebracht hat, noch den zerrissenen Osten vor einem kriegerischen Einbruch bewahrt.
Entschlossen, unser Land vor dem Chaos des Bolschewismus zu bewahren, unsere Politik durch wirksame Selbsthilfe aus dem Strudel des Wirtschafts­bankrotts zu retten und damit der Welt zu wirklichem Frieden zu verhelfen, erklären wir: Wir sind bereit, im Reich und in Preußen in national geführten Regierungen die Verantwortung zu übernehmen. Wir stoßen keine Hand zu­rück, die sich uns zu wirklich ehrlicher Zusammenarbeit anbietet. Wir müssen es aber ablehnen, die Erhaltung eines falschen Systems und Fortsetzung eines falschen Kurses in einer nur national getarnten Regierung der bisherigen Kräfte irgendwie zu stützen. Jede Regierung, die gegen den Willen der geschlossenen Nationalen Opposition gebildet werden sollte, muss mit unserer Gegnerschaft rechnen.
So fordern wir den sofortigen Rücktritt der Regierungen Brüning und Braun, die sofortige Aufhebung der diktatorischen Vollmachten für Regierungen, deren Zusammensetzung nicht dem Volkswillen entspricht und die sich nur noch mit Notverordnungen am Ruder halten. Wir fordern sofortige  unsere Front zerreißen will.
Wir beschwören den durch uns gewählten Reichspräsidenten v. Hindenburg, dass er dem stürmischen Drängen von Millionen vaterländischer Männer und Frauen, Frontsoldaten und Jugend entspricht und in letzter Stunde durch Berufung einer wirklichen Nationalregierung den rettenden Kurswechsel herbeiführt.


1 Hauptredner der Veranstaltung waren Hugenberg, Hitler, die Stahlhelmführer Seldte und Duesterberg, der Vorsitzende des Reichslandbundes, Graf Kalckreuth, der ehemalige Reichsbankpräsident Schacht, der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes, Justizrat Class, und der Vorsitzende der Vaterländischen Verbände, Graf von der Goltz. Vor allem die Rede von Schacht erregte im In- und Ausland großes Aufsehen.

 

Horkenbach, 1931, S. 328f.

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Reichspräsidentenwahl 1932
3. Das Ende der Regierung Brüning

Die Reichspräsidentenwahl im Frühjahr 1932 offenbarte die tatsächlichen Kräfte­verhältnisse der politischen Lager in Deutschland auf dem Höhepunkt der wirt­schaftlichen Krise. Dabei war von Hindenburg, 1925 noch von der Rechten ins Amt gewählt, jetzt zum Kandidaten der bürgerlichen Mitte und der Sozialdemokraten geworden, während Hitler von den Gruppierungen der „Nationalen Opposition" unterstützt wurde.

 

80. Reichspräsidentenwahl 1932:        

    
1. Wahlgang (13. 3. 1932)

 

2. Wahlgang (10. 4. 1932)

 

 

 

in 1000
v. H.
in 1000
v. H.
Stimmberechtigte
43949,7
100
44064
100
Wahlbeteiligung
37890,5
86,2

 

36771,8
83,5
gültige Stimmen
37648,3
100

 

36490,8
100
davon entfielen auf:
Duesterberg (DNVP)
2557,7
6,s

 

 

 

Hindenburg
(Weimarer Koalition)
18651,5
49,6          Hindenburg
19360
53
Hitler (NSDAP)
11339,5
30,1          Hitler
13418,5
36,8
Thälmann (KPD)
4983,3
13,2       Thälmann
3 706,8
10,2
Winter (Splitterpartei)
111,4
0,3

 

 

Verschiedene
4,9
0
5,5
0
Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 427 (1932)

Der Sieg Hindenburgs im 2. Wahlgang am 10. 4.1932 führte nicht zu der politisch erwarteten Stabilisierung des Kabinetts Brüning. Der Reichspräsident machte vielmehr Brüning persönlich den Vorwurf, dass er von der falschen Seite gewählt worden sei und drängte nun ganz energisch auf eine Verlagerung der Reichsre­gierung nach rechts. Zudem war eine endgültige Lösung der Reparationsfrage in greifbare Nähe gerückt, so dass der amtierende Kanzler auch in außenpolitischer Hinsicht entbehrlich zu werden schien. Eine Schlüsselrolle spielte hier wieder General von Schleicher, der bereits einen Nachfolger für Brüning gefunden hatte und nun die Verbindung mit den Nationalsozialisten suchte, um eine neue Tolerierungsmehrheit für das geplante „Kabinett der nationalen Konzentration" zu
gewinnen.

 

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Über die politischen Intrigen von Mitte April 1932 bis zum Sturz der Regierung Brüning am 30. 5. 1932 notierte der spätere Reichspropagandaminister der NSDAP, Joseph Goebbels, in seinem Tagebuch
Über die politischen Intrigen von Mitte April 1932 bis zum Sturz der Regierung Brüning am 30. 5. 1932 notierte der spätere Reichspropagandaminister der NSDAP, Joseph Goebbels, in seinem Tagebuch

Über die politischen Intrigen von Mitte April bis zum Sturz der Regierung Brüning am 30.5.1932 notierte der spätere Reichspropagandaminister der NSDAP, Joseph Goebbels, in seinem Tagebuch:

14. April 1932
... Nachmittags um 5 Uhr kommt das SA-Verbot.' Es wird für das ganze Reich erlassen. Das ist Groeners Geschoss. Vielleicht aber wird er darüber zu Fall gebracht. Uns wird mitgeteilt, dass Schleicher seinen Kurs nicht billigt....
28. April 1932
... Der Führer ist bei Schleicher gewesen. Das Gespräch verlief gut....
8. Mai 1932
... Der Führer hat eine entscheidende Unterredung mit General Schleicher; einige Herren aus der nächsten Umgebung des Reichspräsidenten sind dabei. Alles geht gut. Der Führer hat überzeugend zu ihnen geredet. Brüning soll in den nächsten Tagen schon fallen. Der Reichspräsident wird ihm sein Vertrauen entziehen. Der Plan geht dahin, ein Präsidialkabinett zu installieren; der Reichstag wird aufgelöst, alle Zwangsgesetze sollen fallen, wir bekommen Agitationsfreiheit und liefern dann ein Meisterstück an Propaganda.
 ... Beglückend das Gefühl, dass noch kein Mensch etwas ahnt, am wenigsten Brüning selbst...
11. Mai 1932
Der Reichstag plätschert weiter. Groeners Stellung ist erschüttert, die Armee will ihn nicht mehr. Selbst seine eigene Umgebung drängt auf seinen Sturz. So muss es anfangen; wenn einer erst fällt, dann kommt das ganze Kabinett und mit ihm das System ins Purzeln. Brüning sucht zu retten, was zu retten ist. Er redet im Reichstag und zieht sich klugerweise auf die Außenpolitik zurück. Dort wird er sehr aggressiv. Er wähnt sich 100 Meter vor dem Ziel. Von Groener sagt er kein Wort. Er gibt ihn also auf...
12. Mai 1932
... Abends kommt die längst erwartete Meldung: Groener ist als Wehrminister zurückgetreten. Das ist der erste Erfolg. Er ist über die Schlinge gestolpert, die er sich selbst gelegt hatte. Und dann haben wir sie zugezogen. Der Reichsprä­sident fährt nach Neudeck ab. Die große Krise ist auf nächste Woche vertagt.
 Eine Gnadenfrist für Brüning. Ob er sie nützen wird?...
13. Mai 1932
Wir bekommen Nachricht von General Schleicher: Die Krise geht programm­gemäß weiter...
18. Mai 1932
... Brüning wird von unserer Presse und Propaganda auf das schärfste attackiert. Er muss fallen, koste es, was es wolle. Die geheime Aktion gegen ihn geht unentwegt weiter. Er ist bereits vollkom­men isoliert...
24. Mai 1932
 ... Am Sonnabend schon soll Brüning auffliegen. Staatssekretär Meißner reist  nach Neudeck. Nun wollen wir den Daumen halten. Die Ministerliste steht im großen ganzen fest: v. Papen, Reichskanzler, v. Neurath, Außenminister, dazu noch eine Reihe von unbekannten Namen. Für uns ist die Hauptsache, dass der Reichstag aufgelöst wird. Das weitere wird sich dann finden...
30. Mai 1932
Die Bombe ist geplatzt. Brüning hat um 12 Uhr dem Reichspräsidenten die Ge­samtdemission des Kabinetts überreicht.

Das System befindet sich im Fall ...

 

Joseph Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, München 1934. S. 80 ff

1 SA=Sturmabteilung, uniformierte, militärähnlich organisierte politische Kampfabteilung der NSDAP, von 1930/31 bis 1934 geführt von Stabschef Ernst Röhm. Das SA-Verbot wurde am 16. 6. 1932 wieder aufgehoben.

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Kritik am Sturz der Regierung Brüning. Aus einem Aufruf des ehemaligen Finanzministers im Kabinett Brüning, Hermann Dietrich, „An die Freunde im Lande", Juni 1932:
Kritik am Sturz der Regierung Brüning. Aus einem Aufruf des ehemaligen Finanzministers im Kabinett Brüning, Hermann Dietrich, „An die Freunde im Lande", Juni 1932:
Kritik am Sturz der Regierung Brüning. Aus einem Aufruf des ehemaligen Finanzministers im Kabinett Brüning, Hermann Dietrich, „An die Freunde im Lande", Juni 1932

Verfassungsmäßig nicht zuständige Kräfte haben die Regierung Brüning zu Fall gebracht und die Auflösung des Reichstages herbeigeführt. Gleichviel, ob die neue Regierung v. Papen die Macht in Deutschland kraft eigenen reak­tionären Willens auszuüben gedenkt oder sie nach den Wahlen an die Natio­nalsozialisten abtreten will - sie ist in jedem Fall ein Werkzeug Hitlers und sie hat Gefahren für das deutsche Volk und Reich heraufbeschworen, die wir eben durch die Präsidentenwahlen gebannt glaubten. Ein Sieg des Nationalsozia­lismus, der seinem innersten Wesen nach unduldsam und unfähig ist, bedeutet Terror gegen Andersdenkende, Unterdrückung der politischen Freiheit, unübersehbare wirtschaftliche Experimente.                       

Die bisherige Regierung ist über ihre Absicht gefallen, die verschuldeten Gü­ter des Ostens aufzuteilen und so die Grundlage des Bauerntums zu verbrei­tern... Aus den Vorarbeiten für die Befreiung von den Reparationen und aus den Aufgaben zur Bewältigung der Sorgen des nächsten Winters wurde das Kabinett herausgerissen und an seine Stelle auf einem verfassungsmäßig t s nicht einwandfreien Wege ein Kabinett von Angehörigen des Adels und des Militärs gesetzt, das schon in seinen ersten Anfängen zeigt, mit wie wenig Verständnis und Einfühlungsvermögen es die Politik betreibt ...

Karl-Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 5. Auflage Villingen 1971, S. 470

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Der Weg in die Diktatur: Entscheidungen in Deutschland 1932/33
Der Weg in die Diktatur: Entscheidungen in Deutschland 1932/33

Der Sturz Brünings und die Einsetzung des reaktionären Papen-Kabinetts im Mai/ Juni 1932 markierten einen entscheidenden Einschnitt in der politischen Entwick­lung zwischen 1930 und 1933. Der politische Szenenwechsel bestand in seinem Kern darin, dass nicht mehr wie bisher die Sozialdemokratie zur Tolerierung der Präsidialregierung hinzugezogen wurde, sondern die „Nationale Opposition" von NSDAP und DNVP diese Rolle übernehmen sollte. Insofern war es auch konse­quent, wenn von Papen mit dem Staatsstreich gegen die SPD-geführte preußische Regierung Braun-Severing am 20. 7. 1932 das letzte Bollwerk einer parlamentarisch-demokratischen Regierungsform im Reich zu beseitigen suchte. Der demonstrativ antiparlamentarische Reichskanzler von Papen scheiterte aber nicht zuletzt an dem mangelhaften Rückhalt im Reichstag, nachdem sich Hitler und die NSDAP zu der erhofften Duldung des Adelskabinetts nicht bereit fanden. Das Schlüsselereignis vom 13.8.1932, als Hindenburg dem Führerder NSDAP die Kanzlerschaft kategorisch verweigerte, bestimmte die letzten Monate des Weima­rer Staates: Der Streit der antidemokratischen Sieger über die Verteilung des Erbes.

In der Regierungszeit des letzten Kanzlers vor Hitler, dem Reichswehrgeneral Kurt von Schleicher, schien sich die Situation noch einmal grundlegend zu verändern. Schleicher zog die Schlußfolgerungen aus dem politischen Scheitern seines Vor­gängers, suchte wieder die Verbindung mit Sozialdemokratie und Gewerkschaf­ten und arbeitete an einer Spaltung der NSDAP durch die Einbeziehung des linken Flügels der Partei unter Gregor Strasser. Erstmals seit 1930 ging die politische Ent­wicklung wieder mehr zur Mitte und nach links, eine Tendenz zur Reparlamentarisierung wurde erkennbar. Auch die weitverbreitete These, dass sich die Großindu­strie geschlossen gegen die Regierung von Schleicher gestellt und jetzt die Machtübertragung auf Hitler betrieben habe, wird von den Quellen nicht bestätigt. Richtig ist vielmehr, dass der DIHT und auch die RDI-Führung Schleichers Kurs stützten, während der Reichslandbund das Kabinett wegen seiner Abwendung von dem Autarkiegedanken erbittert bekämpfte (s. Quellen 98, 104, 106). Anlass zur Hoffnung auf eine Fernhaltung der NSDAP von der Macht bestand zum Jahreswechsel 1932/33 also durchaus: Nicht zuletzt war jetzt erkennbar gewor­den, dass die Wirtschaftskrise ihren Tiefpunkt durchschritten hatte und eine Konjunkturbelebung bevorstand (s. Quellen 99-101).

Der Sieg Hitlers am 30.1.1933 war andererseits kein reiner Zufall. Er wurde möglich durch eine Intervention von Papens, der als Kanzler zwar restlos gescheitert war, aber nach wie vor das Vertrauen des Reichspräsidenten besaß. Hitlers „Machtergreifung" lag insofern in der Konsequenz der Zerstörung der Republik von rechts. Der zur Verfügung stehende Handlungsspielraum wurde von der prä­sidialen Exekutive in illusionärer Verkennung der realen Machtverhältnisse in der falschen Richtung genutzt: Nicht die konservative Rechte „engagierte" sich Hitler für ihre Zwecke, sondern der Führer der NSDAP nutzte das Bündnis mit den Konservativen, um die im autoritären System noch vorhandene Restsubstanz von Demokratie und Legalität endgültig zu zerschlagen und die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland zu errichten.

Zum Charakter des Regierungswechsels schrieb die rechtsgerichtete „Deutsche Zeitung" am 1.6.1932
1. Das „Kabinett der Barone"

Am 1.6.1932 trat die Regierung der „nationalen Konzentration" unter Franz von Papen als Reichskanzler ihr Amt an. Von den 21 Kabinetten der Weimarer Republik war das „Kabinett der Barone" das einzige, in dem alle Ministerposten einschließ­lich der Leitung der Reichskanzlei neu besetzt wurden. (Bei allen Regierungs­umbildungen 1919-1933 blieben mindestens 4 Minister im Amt. Dies gilt auch für die Regierung Hitler vom 30.1.1933, s. Anhang, Tab. „Reichsregierungen")

 

Zum Charakter des Regierungswechsels schrieb die rechtsgerichtete „Deutsche Zeitung" am 1.6.1932:

Die Regierung Papen-Schleicher steht an der Schwelle zwischen dem Zusam­menbruch des demokratischen Systems und der Revolution der deutschen Erneuerung. In den nächsten Wochen und Monaten werden die Grundlagen für das neue Reich geschaffen, muss der Riss geschlossen werden, der am 9. November 1918 durch die deutsche Entwicklung gezogen wurde. Die Regie­rung Papen-Schleicher muss der Stunde ihr Recht geben: Das erwachende Deutschland steht bereit zum letzten entscheidenden Angriff, der wie ein Sturmwind durch Deutschland fegen wird.


Horkenbach, 1932, S. 165
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Friedrich Stampfer über das „Kabinett der Barone":

Friedrich Stampfer über das „Kabinett der Barone":

 In der Zentrumsfraktion des preußischen Landtags galt Papen als ein etwas einfältiger Kavalier... Mitglied des Zentrums war er, weil sich das für einen ka­tholischen Edelmann so gehörte, und ungezählte Male hatte er im Landtag für Braun und Severing gestimmt, bis er schließlich unter dem Einfluss der steigen­den Welle der Reaktion seinen Beruf zum Führer erkannte und seine eigenen Wege ging. Warum auch nicht? Er war Anfang der Fünfzig, hatte Geld und beste Beziehungen, die bis in die französische Schwerindustrie hineinreichten, er war der Freund Schleichers und Oskar von Hindenburgs, und darum auch bei Meißner hoch im Kurs. Er hatte auch noch andere Freunde, die Literaten des Herrenklubs, die ihm ihren Geist liehen. Woran sollte es da fehlen? Daß ein solcher Mann deutscher Reichskanzler werden konnte, war ein Zei­chen einer auf die Spitze getriebenen Günstlingswirtschaft. Es war aber auch ein Beweis dafür, dass die alte Herrenkaste die Fähigkeit zu regieren nicht mehr besaß. Das Kabinett Papen war die destilliert reine Klassenherrschaft des Adels und der Großbourgeoisie. Neben sechs Aristokraten saßen zwei Bür­gerliche, davon einer der Vertreter des größten Chemietrusts der Welt. Da­gegen befand sich in dem neuen Kabinett - zum ersten mal in der Republik - kein einziger Vertreter der Arbeiterschaft. Im Herrenklub des Herrn von Glei­chen waren von Papen, von Braun und von Gayl Mitglieder, von Schleicher und Graf Schwerin von Krosigk häufige Gäste. Das war die neue Regierung der Republik. Die Herren waren ganz unter sich und mochten nun zeigen, was sie konnten. Das Ergebnis war, dass sie binnen acht Monaten vor einem Pöbel kapitulierten, dessen sie sich zwar im Kampfe gegen die Arbeiterschaft gern bedienten, den sie aber aus tiefster Seele verachteten.

 

 Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, S. 626f.
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Das Ergebnis der Konferenz von Lausanne würdigte von Papen in einer Rund­funkansprache, 10. 7. 1932:

Das Ende der Reparationen und der „Preußenschlag"


Fast unmittelbar nach der Regierungsübernahme begab sich von Papen zu­sammen mit Reichsfinanzminister Schwerin von Korsika zu der von seinem Amts­vorgänger mit den Gläubigerstaaten vereinbarten Reparationskonferenz von Lausanne (16.6.-10.7.1932), um dort den Erfolg der zähen Revisionspolitik Brünings für sich und seine Regierung der „nationalen Konzentration" verbuchen zu können. Am 10. 7.1932 erfolgte die Unterzeichnung der Lausanner Verträge, die das Kapitel der Reparationszahlungen endgültig beschlossen.


Das Ergebnis der Konferenz von Lausanne würdigte von Papen in einer Rund­funkansprache, 10. 7. 1932:


Das Ziel der Lausanner Konferenz, die völlige Beseitigung der Reparationen, ist erreicht. In keiner wie immer gearteten Form wird Deutschland vom 1. Juli 1932 ab Reparationen aufzubringen haben. Der Young-Plan ist gefallen. Zahlungen von über 33 Milliarden Mark, mit Jahresleistungen von rund zwei Milliarden, sind beseitigt.
... Die endgültige Beseitigung der Reparationen stellt unsere Unabhängigkeit in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht vollkommen wieder her, sie beseitigt alle Bindungen, die bisher noch aus dem Young-Plan bestanden. Das Reich gewinnt die volle Souveränität über Reichsbahn und Reichsbank zurück. In wirtschaftlicher Hinsicht wird diese Lösung den deutschen Kredit neu fundieren und damit eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die Erholung der deutschen Wirtschaft schaffen.
... Politisch bedeutet das Ergebnis der Lausanner Konferenz den Beginn einer neuen Ara unter den Völkern.
... Der neue Zeitabschnitt der heute für das deutsche Volk beginnt, die nun wiederhergestellte wirtschaftliche Freiheit und die Unabhängigkeit von den anderen Ländern werden es der deutschen Regierung ermöglichen, nun auch die politische Freiheit zu erkämpfen. Unser Weg von der heute erreichten wirt­schaftlichen Liquidierung des Krieges wird und muss zum Frieden in Ehren führen. Darin weiß sich heute die deutsche Regierung mit dem gesamten deutschen Volk einig.

 

Horkenbach, 1932, S. 23217.

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Der Staatsstreich gegen Preußen am 20.7. 1932 aus nationalsozialistischer Sicht. Joseph Goebbels in seinen Tagebuchaufzeichnungen

Was die wiederhergestellte Unabhängigkeit Deutschlands und der Beginn einer „neuen Ära" innenpolitisch bedeuteten, zeigte sich in der Kabinettssitzung vom 11. 71932, unmittelbar nach der Rückkehr des Reichskanzlers aus Lausanne: Das Kabinett beschließt den Staatsstreich gegen die SPD- geführte Preußen-Regie­ rund. Eine staatsrechtliche Begründung der vorzunehmenden Maßnahmen wird
dem Innen- und Justizminister überlassen. Den Anlass liefern dann gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten am 17. Juli, dem sog. „Altonaer Blutsonntag,"

 

Der Staatsstreich gegen Preußen am 20.7. 1932 aus nationalsozialistischer Sicht.
Joseph Goebbels in seinen Tagebuchaufzeichnungen:


20. Juli 1932
Alles rollt programmäßig ab. Bracht wird als Reichskommissar eingesetzt. Severing erklärt, nur der Gewalt weichen zu wollen. Ein leiser Druck mit dem Handgelenk genügt. Ausnahmezustand über Berlin-Brandenburg. Grzesinski, Weiß' und Heimannsberg verhaftet. Sie danken feige ab und werden dann wieder freigelassen. In der Reichshauptstadt bleibt alles ruhig. Man muss den Roten nur die Zähne zeigen, dann kuschen sie. SPD und Gewerkschaften rühren nicht einen Finger. Die Reichswehr steht bereit, aber braucht nicht unmittelbar einzugreifen. Wir sitzen im kleinen Kreise zusammen und stellen einen Wunschzettel auf, was Bracht nun alles tun muss...
Eben rückt die Reichswehr in die Reichshauptstadt ein. Mit Panzerwagen und Maschinengewehren. Ein wundervoller, beglückender Anblick. Die Lage ist gut. Ruhe und Ordnung gesichert. Eine unmittelbare Gefahr besteht nicht mehr.
21. Juli 1932
Alles rollt wie am Schnürchen ab. Die Roten sind beseitigt. Ihre Organisationen leisten keinen Widerstand. Das „8-Uhr-Abendblatt" verboten. Einige Polizei- und Oberpräsidenten abgesetzt. Der Generalstreik unterbunden. Es laufen zwar Gerüchte von einem bevorstehenden Reichsbanneraufstand um, aber das ist ja alles Kinderei. Die Roten haben ihre große Stunde verpasst. Die kommt nie wieder.

Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, München 1934, S. 132f.

 

1 Polizeivizepräsident von Berlin - ² Polizeikommandeur in Berlin

 

   
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Der Staatsstreich gegen Preußen aus der Sicht des Zentrums und der Gewerk­schaften:

SPD, Zentrum und Gewerkschaften lehnten es ab, Gewalt mit Gewalt zu beantworten und sahen auch keine realistische Chance für einen Generalstreik wie beim Kapp-Putsch 1920.


Der Staatsstreich gegen Preußen aus der Sicht des Zentrums und der Gewerk­schaften:


Der geschäftsführende Vorsitzende der Deutschen Zentrumspartei, Reichs­tagsabgeordneter Joos, gab nachstehende Erklärung heraus: „Die unerhörten Vorgänge in Preußen haben stärkstes Befremden und tiefen Unwillen in der gesamten Deutschen Zentrumspartei hervorgerufen. Anhänger und Freunde der Partei wissen sich eins in der schärfsten Ablehnung von Maßnahmen der Reichsregierung, die nach unserer Überzeugung mit der Verfassung nicht zu vereinbaren sind. Ihrem Wesen als Verfassungspartei treu, legt die Deutsche Zentrumspartei feierlich Verwahrung dagegen ein, dass der Artikel 48 der deutschen Reichsverfassung nicht zur Rettung des Volkes aus äußerster Not, sondern zur Durchsetzung einseitiger Parteiwünsche benutzt wird. Wesentliche Bestandteile dieser Verfassung sind in diesen Tagen verletzt, das Recht der Länder unter Drohung mit Waffengewalt beeinträchtigt worden."
Der Allgemeine deutsche Gewerkschaftsbund, der Allgemeine freie Angestelltenbund, der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands, der Gesamtverband deutscher Verkehrs- und Staatsbediensteter, der Gewerk­schaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände, der Allgemeine deutsche Beamtenbund und der Deutsche Beamtenbund erließen einen Aufruf, in dem es u. a. heißt: „Die neuesten politischen Vorgänge haben die deutschen Arbeiter, Angestellten und Beamten in große Erregung versetzt. Sie müssen trotzdem ihre Besonnenheit bewahren. Noch ist die Lage in Preu­ßen nicht endgültig entschieden. Der Staatsgerichtshof' ist angerufen. Die entscheidende Antwort wird das deutsche Volk, insbesondere die deutsche Arbeitnehmerschaft, am 31. Juli geben. Es ist die Pflicht aller gewerkschaft­lichen Organisationen und aller Volksschichten, die auf dem Boden der Verfas­sung und des Rechts stehen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür zu sorgen, dass diese Reichstagswahlen stattfinden."

 

Horkenbach, 1932, S. 253

1 Der Staatsgerichtshof in Leipzig bestätigte in seiner Entscheidung am 25.10.1932 einerseits die Exekutivbefugnisse des Reichskommissars, sprach andererseits aber der Regierung Braun die staatsrechtliche Vertretung Preußens im Reichsrat zu.

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Die Zusammensetzung des Reichstages

Der 13. August 1932: Hindenburg verweigert Hitler die Macht

Bei der Reichstagswahl vom 31.7.1932 wurde die NSDAP mit 37,4% und 230 Man­daten zwar die stärkste Fraktion im Reichstag und erreichte ihr bestes Ergebnis in Weimar überhaupt, aber sie blieb selbst mit der DNVP zusammen deutlich unter einer regierungsfähigen Mehrheit.

 

Die Zusammensetzung des Reichstages: Parlamentarische Kombinationen (in Prozent der Reichstagssitze)

 

 

Mai 1928

 

Sept. 1930

 

Juli 1932

 

Nov. 1932

 

Harzburger Front

(NSDAP - DNVP)

18,4

 

25,8

 

43,9

 

42,3

 

Hitler - Kaas

 

(Zentrum - B V P- NSDAP)
18,4

 

33,6

 

53,8

 

48,8

 

Brüning-Block

 

(Zentrum, BVP, DDP, SPD, DVP, WP, gemäßigte Rechte)
89,2

 

56,15

 

42,7

 

39,55

 

Große Koalition

 

(SPD, DDP, Zentrum, BVP, DVP)
61,2

 

50,4

 

39,6

 

38,2

 

Weimarer Koalition

 

(SPD, DDP, Zentrum)
48,6

 

40,0

 

34,9

 

33,05

 

Linksparteien

 

(SPD - KPD)
42,0

 

38,1

 

36,5

 

37,8

 

Negative Kooperation

 

der totalitären Parteien (NSDAP - KPD)

 

13,5

 

31,9

 

52,5

 

50,7

 

Ideologische Gruppierungen (in Prozent der Reichstagssitze)

 

Parteien

 

Mai

 

1928

 

Sept. 1930

 

Juli 1932

 

Nov. 1932

 

Demokratie

 

SPD, Zentrum - DVP,

 

 

56,7

 

47,3

 

38,8

 

36,6

 

Faschismus

 

Staatsp. - Wirtschaftsp.

NSDAP

 

2,5

 

18,5

 

37,8

 

33,6

 

Kommunismus

 

KPD

 

 

11,0

 

13,3

 

14,6

 

17,1

 

Konservativ

 

DNVP, DVP, Splitter

 

29,4

 

20,8

 

8,5

 

12,7

 

autoritär­

monarchistisch

 

 

 

 

 

 

Bracher, Auflösung der Weimarer Republik, S. 562

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Über die weiteren Aussichten der NSDAP urteilte der britische Botschafter in Berlin, Sir H. Rumbold

Über die weiteren Aussichten der NSDAP urteilte der britische Botschafter in Berlin, Sir H. Rumbold, in einem Bericht an Außenminister Sir J. Simon am 3.8.1932:


 ... Hitler scheint jetzt seine Reserven erschöpft zu haben. Die kleinen bürger­lichen Parteien der Mitte und der Rechten hat er geschluckt, und es sieht nicht so aus, als ob er in der Lage sei, eine Bresche in das Zentrum, in die Kommuni­stische und in die Sozialdemokratische Partei zu schlagen... Alle andern Parteien sind natürlich befriedigt darüber, dass es Hitler nicht gelungen ist, bei dieser Gelegenheit so etwas wie eine Mehrheit zu erreichen, insbesondere, weil sie überzeugt sind, dass er jetzt schon seinen Höhepunkt überschritten hat.

 

 

Geschichte in Quellen. Bd. 5, S. 268

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Der 13. 8.1932: Die Verhandlungen über eine Einbeziehung der Nationalsoziali­sten in ein von Papen geführtes Präsidialkabinett scheitern

Der 13. 8.1932: Die Verhandlungen über eine Einbeziehung der Nationalsoziali­sten in ein von Papen geführtes Präsidialkabinett scheitern, weil Hindenburg die Übertragung der gesamten Staatsgewalt an Hitler ablehnt. Aus der amtlichen Verlautbarung der Präsidialkanzlei vom 13. 8. 1932:


 Reichspräsident von Hindenburg empfing Sonnabend nachmittag in Gegen­wart des Reichskanzlers von Papen den Führer der NSDAP, Adolf Hitler, zu einer Besprechung über die politische Lage und die Frage einer Umbildung der Reichsregierung.
Der Reichspräsident richtete an Hitler die Frage, ob er bereit sei, selbst sowie mit anderen geeigneten Persönlichkeiten der NSDAP in die von dem Reichs­kanzler von Papen geleitete Regierung einzutreten. Herr Hitler verneinte dies und stellte an den Herrn Reichspräsidenten die For­derung, ihm die Führung der Reichsregierung und die gesamte Staatsgewalt im vollen Umfange zu übertragen.
Reichspräsident von Hindenburg lehnte diese Forderung mit der Begründung ab, dass er es vor seinem Gewissen und seinen Pflichten dem Vaterlande gegen­über nicht verantworten könne, die gesamte Regierungsgewalt ausschließlich der nationalsozialistischen Bewegung zu übertragen, die diese Macht einseitig anzuwenden gewillt sei. Er bedauerte, dass Herr Hitler sich nicht in der Lage sehe, entsprechend seinen vor den Reichstagswahlen abgegebenen Erklä­rungen eine vom Vertrauen des Herrn Reichspräsidenten berufene nationale Regierung zu unterstützen.

Die Aussprache schloss alsdann mit einer ernsten Mahnung des Reichsprä­sidenten an Hitler, die von ihm angekündigte Opposition der NSDAP ritter­lich zu führen und sich seiner Verantwortung vor dem Vaterlande und vor dem deutschen Volke bewusst zu bleiben.

 

 

Horkenbach,1932, S. 285-88

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Goebbels droht der „Adelsclique"

Unmittelbare Folge des Bruchs zwischen Hitler und Papen am 13. August war der Übergang der NSDAP zu schärfster Opposition gegenüber der Reichsregierung.


Goebbels droht der „Adelsclique". Auszug aus dem Berliner Tageblatt, 16. 8.1932:

Der weitaus größten Volksbewegung, die es in Deutschland jemals gegeben hat, wurde die Regierungsführung verweigert. Dafür hat man sie einer kleinen, volksfremden und reaktionären Adelsclique übertragen. Dass es soweit kommen konnte, dafür machen wir nicht den alten Reichspräsidenten verant­wortlich, von dem man nicht verlangen kann, dass er die Dinge noch wirklich zu übersehen vermag. Die Schuld tragen vielmehr jene gewissenlosen Int­riganten, die inbesondere aus dem Hugenberg-Lager stammen und die aus reinem parteiegoistischem Neid die Machtergreifung durch den National­sozialismus und damit die nationale Wiedergeburt Deutschlands vorläufig sabotierten ... Um so rücksichtsloser ... wird und muss der Kampfgeführt werden gegen die Clique von größenwahnsinnigen Reaktionären und egoistischen Saboteuren des nationalen Freiheitswillens, die sich im Hugenberg-Lager zusammengefunden haben und aus engstirniger Parteiverbohrtheit noch ein­mal die Machtergreifung Adolf Hitlers und damit die deutsche Freiheitser­hebung durch übelste Intrigen hinausgeschoben hat. Die jüngsten Ereignisse haben erneut gezeigt, dass die Wiedergeburt Deutschlands nur möglich ist, wenn mit den reaktionären Dolchstößlern restlos aufgeräumt wird. Sie sind im Augenblick gefährlicher als selbst der Marxismus und müssen ebenso wie dieser in die Knie gezwungen werden.


 

Staatsarchiv Dresden, Gesandtschaft Berlin, Nr. 353. B. 91, zit. nach: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Ges.-Sprachw. R. XXII (1973) ½ S. 36

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Adolf Hitler über seinen Machtanspruch. Am 17.10.1932 sprach Hitler in Königsberg über die Gründe seiner Weigerung, am 13. August in die Reichsregierung einzutreten:
Adolf Hitler über seinen Machtanspruch.
Am 17.10.1932 sprach Hitler in Königsberg über die Gründe seiner Weigerung, am 13. August in die Reichsregierung einzutreten:

Wonach ich strebe, ist die Macht und nicht ein Titel. Ich brauche keine staat­lichen Bezüge. Ich verzichte von vornherein für alle Zukunft auf jedes staatli­che Gehalt. Ich will nur die Macht. Wenn wir einmal die Macht bekommen, dann werden wir sie, so wahr uns Gott helfe, behalten. Wegnehmen lassen wir sie uns dann nicht mehr. Eine starke Regierung muss wurzeln in den Millionen von Volksgenossen. Ich werde mich mit jedem verbinden, wenn ich nur weiß, dass ich die Führung habe. In diesem Deutschland kann uns dann niemand den Weg versperren. Die Kräfte, die dann unserem Volke innewohnen, werden stark genug sein, um uns überall durchzusetzen.

 

 

Horkenbach, 1932, S. 346

Am 12. 9.1932 stimmte der Reichstag mit 513 gegen 32 Stimmen für die Aufhebung der letzten Notverordnungen (4. und 5. 9.1932) und sprach dem Kanzler zugleich das Mißtrauen aus. Dies war die vernichtendste Niederlage, die je ein Kabinett in der Weimarer Republik erlebt hatte. Papen hatte noch versucht, der Abstimmungsniederlage durch eine hastig zu Papier gebrachte Auflösungsorder auf einem Bogen mit der Blankounterschrift des Reichspräsidenten (s. Abb. 31) zuvorzu­kommen, wurde dabei aber von dem Reichstagspräsidenten Hermann Göring (NSDAP) bewußt übergangen.

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Beschluss des Ausschusses zur Wahrung der Rechte des Parlaments auf Antrag 93 des Zentrums

Beschluss des Ausschusses zur Wahrung der Rechte des Parlaments auf Antrag 93 des Zentrums:

... Die am 12. September 1932 ausgesprochene Auflösung des Reichstages ver­stößt gegen Art. 48 Abs. 3 Satz 2 der Reichsverfassung, weil sie das wichtige verfassungsmäßige Recht des Reichstags, die Aufhebung von Notverordnun­gen zu verlangen, verletzt und eine Wiederholung der Auflösung dieses Recht des Reichstags dauernd beseitigen würde.

 

 

Geschichte in Quellen Bd. 5, S. 270f.
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Die Stimmung in der NSDAP-Führung nach der Reichstagswahl vom 6.11.1932. Goebbels in seinen Tagebuchaufzeichnungen
In der auf den 6. 11. 1932 angesetzten Reichstagswahl änderte sich die aus­weglose parlamentarische Situation für das Präsidialkabinett von Papen nicht grundlegend. Immerhin aber verlor die NSDAP ca. 2,1 Millionen Wähler und fiel von 37,4 auf 33,1% zurück. Hitler hatte seinen politischen Zenit scheinbar schon über­schritten.

   Die Stimmung in der NSDAP-Führung nach der Reichstagswahl vom 6.11.1932. Goebbels in seinen Tagebuchaufzeichnungen: 6. November 1932

... Wir haben eine Schlappe erlitten. Die Gründe: der 13. August, für den das Verständnis in den Massen noch nicht weit genug vorgeschritten ist, und die gewissenlose Ausnutzung unserer Fühlungnahme mit dem Zentrum durch die deutschnationale Propaganda...
10. November 1932
Wieder in Berlin. Die anfänglich starke Stimmung in der Partei ist jetzt wieder einer flauen Depression gewichen. Überall tauchen nun Ärger, Streit und Mißhelligkeiten auf. Wie das immer so ist: nach der Niederlage kommt der ganze
Unrat hoch, und damit muss man sich dann wochenlang abrackern...
11. November 1932
Ich nehme einen Bericht über die Kassenlage der Berliner Organisation entgegen. Dieser ist ganz trostlos. Nur Ebbe, Schulden und Verpflichtungen, dazu die vollkommene Unmöglichkeit, nach dieser Niederlage irgendwo Geld in größerem Umfang aufzutreiben...

 

 

Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. S. 196-200
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Stimmungswandel in Kreisen der Ruhrindustrie zugunsten Hitlers. Vertraulicher Bericht von Dr. Scholz, dem Leiter des Pressebüros der Industriellen Otto Wolff und Friedrich Flick an den Reichskommissar in Preußen, Franz Bracht, 26.11.1932

Stimmungswandel in Kreisen der Ruhrindustrie zugunsten Hitlers. Vertraulicher Bericht von Dr. Scholz, dem Leiter des Pressebüros der Industriellen Otto Wolff und Friedrich Flick an den Reichskommissar in Preußen, Franz Bracht, 26.11.1932


Vertraulich!
Die Tagung des Langnamvereins' in Düsseldorf, die wohl ursprünglich im Rahmen des Papen-Programms und zur Stützung [der Regierung Papen] vor­gesehen war, ergab anlässlich der zwanglosen Unterhaltung die überraschende Tatsache, dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht. Während man noch vor wenigen Wo­chen Papen zugejubelt hat, ist man heute der Auffassung, dass es der größte Fehler sei, wenn Hitler, auch unter Vorbringung ernsthafter Gründe, nicht mit der Regierungsbildung beauftragt würde ...

Dabei scheint es sich weniger um einen Stimmungswandel zugunsten Hitlers als vielmehr um die Auffassung zu handeln, dass um eine Regierung Hitler nicht mehr herumzukommen ist. Unter diesen Umständen müsse man aber den Regierungsantritt Hitlers beschleunigen, auch wenn er sich nicht bewähre und seine Regierung, wie Skeptiker in der Industrie annehmen, nur wenige Wochen dauert... 

 

Deutsches Zentralarchiv Potsdam, NI. Bracht, Bd. 2


1 Regionalverband der Ruhrindustrie (Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen). Die Tagung fand am 23.11.1932 statt.

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Eingabe führender Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Industrie sowie großagrarischer Kreise an Reichspräsident von Hindenburg für die Berufung Adolf Hitlers, 19. November 1932
Eingabe führender Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Industrie sowie großagrarischer Kreise an Reichspräsident von Hindenburg für die Berufung Adolf Hitlers, 19. November 1932

Eingabe führender Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Industrie sowie großagrarischer Kreise an Reichspräsident von Hindenburg für die Berufung Adolf Hitlers, 19. November 1932

Ew. Exzellenz, Hochzuverehrender Herr Reichspräsident!


Gleich Eurer Exzellenz durchdrungen von heißer Liebe zum deutschen Volk und Vaterland, haben die Unterzeichneten die grundsätzliche Wandlung, die Eure Exzellenz in der Führung der Staatsgeschäfte angebahnt haben, mit Hoffnung begrüßt. Mit Eurer Exzellenz bejahen wir die Notwendigkeit einer vom parlamentarischen Parteiwesen unabhängigeren Regierung, wie sie in dem von Eurer Exzellenz formulierten Gedanken eines Präsidialkabinetts zum Ausdruck kommt.
Der Ausgang der Reichstagswahl vom 6. November d. J. hat gezeigt, daß das derzeitige Kabinett, dessen aufrechten Willen niemand im deutschen Volke bezweifelt, für den von ihm eingeschlagenen Weg keine ausreichende Stütze im deutschen Volk gefunden hat, daß aber das von Eurer Exzellenz gezeigte Ziel eine volle Mehrheit im deutschen Volke besitzt, wenn man — wie es geschehen muß — von der staatsverneinenden kommunistischen Partei absieht. Gegen das bisherige parlamentarische Parteiregime sind nicht nur die Deutschnationale Volkspartei und die ihr nahestehenden kleineren Gruppen, sondern auch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei grundsätzlich eingestellt und haben damit das Ziel Eurer Exzellenz bejaht. Wir halten dieses Ergebnis für außerordentlich erfreulich und können uns nicht vorstellen, daß die Verwirklichung des Zieles nunmehr an der Beibehaltung einer unwirksamen Methode scheitern sollte.
Es ist klar, daß eine des öfteren wiederholte Reichstagsauflösung mit sich häufenden, den Parteikampf immer weiter zuspitzenden Neuwahlen nicht nur einer politischen, sondern auch jeder wirtschaftlichen Beruhigung und Festigung entgegenwirken muß. Es ist aber auch klar, daß jede Verfassungsänderung, die nicht von breitester Volksströmung getragen ist, noch schlim­mere wirtschaftliche, politische und seelische Wirkungen auslösen wird.
Wir erachten es deshalb für unsere Gewissenspflicht, Eure Exzellenz ehrerbietigst zu bitten, daß zur Erreichung des von uns allen unterstützten Zieles Eurer Exzellenz die Umgestaltung des Reichskabinetts in einer Weise erfolgen möge, die die größtmögliche Volkskraft hinter das Kabinett bringt.
Wir bekennen uns frei von jeder engen parteipolitischen Einstellung. Wir erkennen in der nationalen Bewegung, die durch unser Volk geht, den verheißungsvollen Beginn einer Zeit, die durch Uberwindung des Klassengegensatzes die unerläßliche Grundlage für einen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft erst schafft. Wir wissen, daß dieser Aufstieg noch viele Opfer erfordert. Wir glauben, daß diese Opfer nur dann willig gebracht werden können, wenn die größte Gruppe dieser nationalen Bewegung führend an der Regierung beteiligt wird.
Die Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den besten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe wird die Schlacken und Fehler, die jeder Massenbewegung notgedrungen anhaften, ausmerzen und Millionen Menschen, die heute abseits stehen, zu bejahender Kraft mitreißen.


In vollem Vertrauen zu Eurer Exzellenz Weisheit und Eurer Exzellenz Gefühl der Volksverbundenheit begrüßen wir Euer Exzellenz mit größter Ehrerbietung***


*** Gemäß den Akten des Büros des Reichspräsidenten hatten die Eingabe unterzeichnet: G. Beindorff, K. v. Eichborn, E. Helfferich, E. Hecker, Graf Kalckreuth, C. V. Krogmann, E. Lübbert, E. Merck, H. K. v. Oppen-Dannenwalde, F. Reinhart, A. Rosterg, Hj. Schacht, K. v. Schröder, R. Ventzki, K. Woermann u. F. H. Witthoefft. Am 21. November 1932 reichte F. Reinhart die unterschriebenen Eingaben von Graf von Keyerlingk-Cammerau, von Rohr-Manze sowie Fritz Thyssen nach. Die Ruhrindustriellen Dr. Albert Vögler, Dr. Paul Reusch sowie Dr. Fritz Springorum ließen mitteilen, dass sie "grundsätzlich voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen, aber nicht zu unterzeichnen wünschen, da sie politisch nicht hervortreten wollen."


in: Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Berlin o.J., S. 687f., Dok. Nr. 1909. Nach: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 1949, Bd. XXXIII, Dok. Nr. 3901-PS, S. 531 ff. u. Albert Schreiner: Die Eingabe deutscher Finanzmagnaten, Monopolisten und Junker an Hindenburg für die Berufung Hitlers zum Reichskanzler (November 1932). In: Zeitschrift f. Geschichtswissenschaft, Jahrgang IV (1956), S. 366 ff.

Schreiner benutzte die Akten d. Büros d. Reichspräsidenten im Zentralarchiv Potsdam (Akte 47, Bl. 258-305). Bei diesen Eingaben handelte es sich um eine Reihe von gleichlautenden Briefen, die die Unterschrift des jeweiligen Absenders trugen. Die Eingaben wurden am 19. November 1932 von dem Direktor d. Commerz- u. Privatbank in Berlin, Friedrich Reinhart, dem Staatssekretär Meißner überreicht, der bestätigte, daß er diese Briefe dem Reichspräsidenten am gleichen Tage zur Kenntnis vorgelegt habe. Im Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg spielte eine Kopie dieser Eingabe eine Rolle, der eine Verteilerliste mit den Namen maßgebender Wirtschaftsführer beigefügt war. Diese Kopie hatte man im Tresor des Kölner Bankhauses H. Stein gefunden, dessen Teilhaber Bankier Schröder war.

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Die neue Regierung von Schleicher". Aus einem Artikel in der ,Täglichen Rundschau", dem Organ des Generals von Schleicher, vom 4.12.1932:

2. Weimars letzte Chance: Die Regierung von Schleicher

Am 3.12.1932 ernannte von Hindenburg den Reichswehrminister im Kabinett von Papen, General von Schleicher, zum neuen Kanzler. Schleicher zog die Schlussfolgerung aus dem politischen Scheitern seines Vorgängers und versuchte, eine neue „Massenbasis" zu finden: eine Querfront vom linken Flügel der NSDAP (Gregor Strasser) über Gewerkschaften und Sozialdemokratie bis hin zur Exportindustrie.

 „Die neue Regierung von Schleicher". Aus einem Artikel in der ,Täglichen Rundschau", dem Organ des Generals von Schleicher, vom 4.12.1932:

... Dieses Kabinett ist ein Ende und ein Anfang zugleich. Die ältere Generation hat heute in der Gestalt des Generals ihren stärksten und letzten Vertreter herausgestellt, sie hat nun keine Reserven mehr... Das letzte Pferd ist aus dem Stall herausgeholt worden, und dieser Stall ist bereits leer. Versagt auch dieses Pferd, dann geht die Führung der Entwicklung an ganz andere, jüngere Namen über...

Herr von Schleicher operiert auf einer Basis, die Rechts und Links zusammen­zufassen sucht. Er hat sich weiter nach „rechts" exponiert als jeder Staatsmann vor ihm, denn er hat immer die direkte Verbindung zur NSDAP gehalten. Er hat sich aber auch weiter nach „links" exponiert, denn seine Verbindungen rei­chen bis zu den Freien Gewerkschaften, was ihm die Bezeichnung: „Der rote General" eingetragen hat. Der Bogen dieser Politik ist also weit genug gespannt, um den Rahmen abzugeben, in dem sich der Umbau in Deutschland ruhig und sinnvoll vollziehen kann. Dieses Kabinett hat die große Aufgabe, die Kräfte von rechts und links langsam wieder in den Staat einzubauen und diesem Staat damit wieder ein festes Fundament und einen lebendigen Inhalt zu geben. Es hat einen langen Weg vor sich und - es kann sehr lange Zeit am Ruder bleiben...

Wenn der General dem Bild entspricht, das sich die Öffentlichkeit von ihm macht, so gehen wir heute einer langsamen politischen Entspannung und wirt­schaftlichen Aufwärtsentwicklung in Deutschland entgegen. Es muss dann auch endlich wieder mit größeren Zeiträumen gerechnet werden ... Es handelt sich dann nicht mehr darum, das „System" in seiner Totalität zu attackieren, sondern darum, innerhalb dieses staatlichen Rahmens für einen sinnvollen Umbau zu kämpfen. In die deutsche Entwicklung ist mit diesem Kabinett zum ersten Male wieder eine Spur von Kontinuität gekommen; wenn sie pfleglich behandelt werden sollte, haben wir den Höhepunkt der Krise überschritten.

 

 

Zit. nach: Ursachen und Folgen, Bd. 8, S. 711 f.  
 
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Zum Regierungsprogramm von Schleichers äußerte sich die „Deutsche Wirtschafts-Zeitung", das Organ des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), in ihrer Ausgabe vom 22.12.1932

 

Zum Regierungsprogramm von Schleichers äußerte sich die „Deutsche Wirtschafts-Zeitung", das Organ des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), in ihrer Ausgabe vom 22.12.1932:

 „Arbeit schaffen!"

Die Rede des Reichskanzlers r. Schleicher war eine klug abgewogene Darle­gung einer vorsichtigen, auf Experimente und Wundertaten verzichtenden, ganz und ausschließlich auf die Überwindung der augenblicklich brennenden Not abgestellten Wirtschaftspolitik. Über seine konkreten Pläne sagte der Reichskanzler nicht sehr viel, aber was er sagte und wie er es sagte, erweckte im Zuhörer den Eindruck, dass dieser Mann die Aufgaben der Staatsführung im schwersten Nachkriegswinter, den Deutschland durchzumachen hat, erfasst hat und dass er entschlossen ist, ihrer Lösung alle Kräfte zu widmen, ohne sich durch die Verfolgung im Augenblick minder dringlicher Ziele mehr Feinde zu schaffen als notwendig ist und Kräfte zu verbrauchen, die besser verwendet werden können.

 

 

DWZ Nr. 51/52, 22. 12. 1932. S. 1215

 

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Die positive Haltung des DIHT gegenüber der Regierung von Schleicher kritisier­te der Ruhrindustrielle Paul Reusch in einem Schreiben an das Geschäftsführen­de Präsidialmitglied des DIHT, Eduard Hamm, 22.12.1932
Die positive Haltung des DIHT gegenüber der Regierung von Schleicher kritisier­te der Ruhrindustrielle Paul Reusch in einem Schreiben an das Geschäftsführen­de Präsidialmitglied des DIHT, Eduard Hamm, 22.12.1932:

Sie gehen ziemlich leicht über die Tatsache hinweg, dass nach dem Programm der neuen Reichsregierung die Verfassungsreform in den Hintergrund treten soll. Ich sehe die Dinge anders: Nach meiner Auffassung hätte auf das allerschärfste dagegen protestiert werden müssen, dass die Regierung die Reform wieder ad Kalendas Graecas vertagen will. Gerade jetzt in der Krise noch müs­sen die entscheidenden Schnitte am staatlichen Organismus gemacht werden! Der Reformwille lässt sich nicht beliebig lange auf Eise legen! Wenn nach einer Besserung der Wirtschaftslage der finanzielle Druck erst wieder so weit von unserem staatlichen Organismus genommen ist, dass dieser wieder einiger­maßen tief Luft holen kann, dann ist der stärkste Impuls für die Durchführung einer wahrhaft großzügigen Reform unwiederbringlich dahin.

 

22. 12. 1932 Reusch an E. Hamm (DIHT), Hist. Archiv der GHH Nr. 40010123/25b

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Die Situation in der NSDAP Ende 1932. Goebbels in seinen Tagebuchaufzeich­nungen:
Die Situation in der NSDAP Ende 1932. Goebbels in seinen Tagebuchaufzeich­nungen:

Die Situation in der NSDAP Ende 1932. Goebbels in seinen Tagebuchaufzeich­nungen:

I5. Dezember 1932

Es kostet mehr Mühe, die SA und die Parteiamtswalterschaft in klarem Kurs zu halten. Es wird höchste Zeit, dass wir an die Macht kommen. Vorläufig aller­dings bietet sich nicht die geringste Aussicht...


 23. Dezember 1932

... Das Jahr 1932 war eine ewige Pechsträhne. Man muss es in Scherben schlagen. Draußen geht der Weihnachtsfrieden durch die Straßen. Ich sitze ganz allein zu Hause und grüble über so vieles nach. Die Vergangenheit war schwer, und die Zukunft ist dunkel und trübe; alle Aussichten und Hoffnungen vollends entschwunden...

 

Goebbels, Vorn Kaiserhof zur Reichskanzlei, S. 225 u. 229

 

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Das Ende der Krise. Der liberale Wirtschaftsjournalist Gustav Stolpes zieht eine Bilanz des Jahres 1932 in der Zeitschrift „Der deutsche Volkswirt" vom 23.12.1932
Das Ende der Krise. Der liberale Wirtschaftsjournalist Gustav Stolpes zieht eine Bilanz des Jahres 1932 in der Zeitschrift „Der deutsche Volkswirt" vom 23.12.1932:

Was die Ära Schleicher noch bringen wird, weiß niemand, gewiss Herr von Schleicher selbst nicht. Seine Anfänge sind gut, weil sie radikal mit den Fehlern brechen, die Papen begangen hat. Und wie hoch man an Papens Missgriffen Schleichers Mitschuld einschätzen mag, dieser hat gelernt, und das ist für einen Staatsmann ein hohes Lob...

Das Jahr 1932 hat Hitlers Glück Lind Ende gebracht. Am 31. Juli hatte sein Aufstieg den Höhepunkt erreicht, am 13. August begann der Niedergang, als der Reichspräsident von Hindenburg Hitler den Stuhl, den er ihm nicht zum Sitzen anbot, vor die Tür stellte. Seitdem ist das Hitlertum in einem Zusammenbruch, dessen Ausmaß und Tempo nur mit dem seines eigenen Aufstiegs vergleichbar ist. Das Hitlertum stirbt an seinem eigenen Lebensgesetz. Denn dieser Hitler mit seinem ganzen Stab, ohne eine einzige Ausnahme, ist die Verkörperung alles dessen, was im deutschen Volk an Minderwertigem, an Ungeist und Unmoral lebendig ist...

Das deutsche Volk hat einen Schutzengel, der ihm hilft, wann immer seine eigene Klugheit versagt. Dieser Schutzengel hat es vor einer Hitler-Diktatur bewahrt, die das Ende nicht nur der deutschen Freiheit, sondern des deutschen Geistes gewesen wäre, die das kostbarste Gut der Nation in kürzester Zeit ver­nichtet hätte... Zweimal in den letzten zwei Jahren schien die Welt endgültig aus dem Angst-traum der Wirtschaftskrise befreit zu werden: 1931, als Hoovers Moratoriums­plan' verkündet wurde, 1932, genau ein Jahr später, als Lausanne den Repara­tionen ein Ende bereitete. Beide Male sind die Hoffnungen wild aufgeflattert, beide Male sind sie einer Enttäuschung gewichen. Aber das Jahr 1932 war trotz allem ein Jahr des Fortschritts... Die Welt ist dem neuen Gleichgewichts­zustand, der am Ende der Krise erreicht werden muss, schon nahe gekommen. Das Ende der Krise ist schon mit Händen zu greifen...

 

Zit. nach: Toni Stolper, Ein Leben in Brennpunkten unserer Zeit. Gustav Stolper 1888-1947, Tübingen 1960, S. 307 ff.

 1s. Quelle 51. Anm. 1

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Aus der eidesstattlichen Erklärung des Bankiers von Schroeder über die Aussprache zwischen Hitler und von Papen am 4.1.1933
3. Die „Geburtsstunde des Dritten Reiches" und der Weg zum 30. Januar 1933

Die „Geburtsstunde des Dritten Reiches": Persönlicher Ehrgeiz und die Illusion, Hitler benutzen zu können, brachten den gescheiterten Kanzler von Papen dazu, erneut die Verbindung mit der NSDAP zu suchen. Auf Vermittlung des Kölner Bankiers Kurt Frh. von Schroeder kam es am 4.1.1933 zu dem historischen Zu­sammentreffen von Papen und Hitler.

Aus der eidesstattlichen Erklärung des Bankiers von Schroeder über die Aussprache zwischen Hitler und von Papen am 4.1.1933:

Am 4. Januar 1933 trafen sich Hitler, von Papen, Heß, Himmler und Keppler in meinem Hause in Köln. Hitler, von Papen und ich gingen in mein Arbeitszimmer, wo wir uns während einer etwa zwei Stunden dauernden Unterredung
entschlossen. ließ, Himmler und Keppler nahmen an dieser Besprechung nicht teil, hielten sich aber im nächsten Zimmer auf... Die Aussprache fand nur zwischen Hitler und Papen statt. Ich selbst hatte im Verlauf der Unterhaltung nichts zu bemerken. Das Treffen begann um etwa 11.30 Uhr...

Dann erzählte von Papen Hitler, dass es ihm als Bestes erschiene, die Konser­vativen und die Deutschnationalen, die ihn unterstützt hätten, mit den Natio­nalsozialisten zu vereinigen, um eine Regierung zu bilden. Er, schlug vor, diese neue Regierung solle, wenn möglich, von Hitler und von Papen auf der Grund­lage der Gleichberechtigung geleitet werden. Darauf hielt Hitler eine lange Rede, in der er erläuterte, wenn er zum Kanzler ernannt würde, sei es für ihn unbedingt notwendig, an der Spitze der Regierung zu stehen, aber die Anhänger Papens könnten in seine (Hitlers) Regierung als Minister eintreten, wenn sie einwilligten, mit ihm eine Politik zu verfolgen, durch die vieles geändert würde. Diese Änderungen, so erläuterte er damals, würden die Ausschaltung der Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden aus den führenden Stellen in Deutschland und die Wiederherstellung der Ordnung im öffentlichen Leben einschließen. Von Papen und Hitler erzielten ein grundsätzliches Übereinkommen, so dass viele Punkte, die sie miteinander in Konflikt gebracht hatten, ausgeschaltet wurden und sie einen Weg zueinan­der finden konnten. Sie stimmten darin überein, weitere Einzelheiten auszu­arbeiten. Dies könne in Berlin oder einem anderen passenden Ort erledigt werden.

Zit. nach: Ursachen und Folgen, Bd. 8, S. 743 f.

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Goebbels in seinem Tagebuch über das Kölner Treffen am 4.1.1933

Goebbels in seinem Tagebuch über das Kölner Treffen am 4.1.1933:


 5. Januar 1933
... Die Unterredung zwischen dem Führer und Herrn von Papen in Köln hat stattgefunden. Sie sollte geheim bleiben, aber durch eine Indiskretion ist sie in die Öffentlichkeit gedrungen, und Schleicher läßt sie nun ganz groß in der Pres­se ausposaunen, Man scheint zu ahnen, was hier gespielt wird. Die Journaille lügt das Blaue vom Himmel herunter.

Eins wird die amtierende Regierung auch wissen: dass es im Ernst uni ihren Sturz geht. Wenn dieser Coup gelingt, dann sind wir nicht mehr weit von der Macht entfernt.

 

Goebbels. Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. S. 235 f.

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Bruch zwischen Reichsregierung und Reichslandbund. Aus einer Entschließung des Reichslandbundes vom 11. 1. 1933

Bruch zwischen Reichsregierung und Reichslandbund. Aus einer Entschließung des Reichslandbundes vom 11. 1. 1933:

 

Die Verelendung der deutschen Landwirtschaft, insbesondere der bäuerlichen Veredlungswirtschaft, hat unter Duldung der derzeitigen Regierung ein selbst unter einer rein marxistischen Regierung nicht für möglich gehaltenes Ausmaß angenommen. Die Ausplünderung der Landwirtschaft zugunsten der all­mächtigen Geldbeutelinteressen der international eingestellten Exportindu­strie und ihrer Trabanten dauert an. Seitens der Reichsregierung hört die Landwirtschaft im wesentlichen nur Rundfunkreden und inhaltlose Formulie­rungen, denen trotz längst vorhandener sachlicher Möglichkeiten entschei­dende Taten nicht gefolgt sind.

 

 Horkenbach, 1933, S. 17

 

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Jeder schiebt Jeden! Aus einem Artikel des „Vorwärts" vom 20.1. 1933

Nach Bekannt werden der Entschließung brach die Reichsregierung die Beziehungen zum Reichslandbund ab und lehnte jede weitere Verhandlung mit Mitgliedern des Vorstandes des RLB ab. Gleichzeitig wandten sich der Reichsverband der Deutschen Industrie und der Reichsverband des Deutschen Groß- und Über­seehandels in schärfster Form gegen den Vorstoß des Reichslandbundes (s. auch Quellen 106 u. 108).

Jeder schiebt Jeden! Aus einem Artikel des „Vorwärts" vom 20.1. 1933:

.. Hitler bei Papen, Strasser bei Schleicher, Hugenberg bei Hitler, Papen bei Hugenberg, Hugenberg bei Hindenburg, Alvensleben schiebt vorne, Thyssen schiebt hinten, Strasser wird Vizekanzler, Hitler will das Reichsministerium, Schleicher ist für dieses geneigt, Hindenburg für jenes. Wer findet sich noch zurecht in der Geheimpolitik, die ohne das deutsche Volk getrieben wird?

 

Zit. nach: Ursachen und Folgen, Bd. 8, S. 749
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Der Reichsverband der Deutschen Industrie zur politischen Entwicklung in Berlin. Schreiben des Geschäftsführenden Präsidialmitglieds des RDI, Ludwig Kastl, an den RDI-Präsidenten Gustav Krupp von Bohlen und Halbach vom 26. 1.1933
Der Reichsverband der Deutschen Industrie zur politischen Entwicklung in Berlin. Schreiben des Geschäftsführenden Präsidialmitglieds des RDI, Ludwig Kastl, an den RDI-Präsidenten Gustav Krupp von Bohlen und Halbach vom 26. 1.1933

Der Reichsverband der Deutschen Industrie zur politischen Entwicklung in Berlin. Schreiben des Geschäftsführenden Präsidialmitglieds des RDI, Ludwig Kastl, an den RDI-Präsidenten Gustav Krupp von Bohlen und Halbach vom 26. 1.1933

 

Bei Erörterung der politischen Lage [mit Staatssekretär Planck] erfuhr ich ... als neuesten Stand das Bestreben der Deutschnationalen und der National­sozialisten, die Harzburger Front wieder herzustellen. Man spricht von einem Kampf-Kabinett Papen-Hitler-Schacht, bei dem Papen die Spitze darstellen soll und Hitler Wehrministerium und Ministerium des Innern erhalten soll, Schacht Finanzministerium, Hugenberg Wirtschafts- und Landwirtschafts­ministerium. Ich halte diese Kombination, an der sich keiner der gegenwär­tigen Minister beteiligen wird, für äußerst bedenklich und gehe so weit zu befürchten, dass eine derartige Kombination als offene Kampfansage gegen den größten Teil der Bevölkerung angesehen würde und man nicht ohne Un­ruhen durchkommen würde, wenn es tatsächlich dazu käme. Im Augenblick bestehen noch immer erhebliche Zweifel, ob der Herr Reichspräsident sich auf einen solchen Vorschlag einlassen wird. Andeutungen sprechen dafür, dass man nicht ganz ohne Erfolg ihm klargemacht haben soll, dass ein solches Kabinett ein ganz großes Kabinett werden würde mit größten Aussichten auf Stabilität. Man hat sogar von einem so genannten Bombenkabinett gesprochen, worauf ich scherzweise bemerkte, dass mir bedauerlicherweise der Nachdruck mehr auf Bomben als auf Kabinett zu liegen scheine. Das Zentrum ist entschie­dener Gegner und die Sozialdemokraten selbstverständlich erst recht. Ein anderer Ausweg, der versucht wird, ist der, den Reichstag am 31. d. M. zu­sammentreten zu lassen - die Regierung wird kurzen Vertagungen widersprechen - und einmal abzuwarten, was bei dem Zusammentritt des Reichstags herauskommt. Bleibt dann nichts anderes übrig als eine Auflösung, so soll hin­terher die Frage erneut geprüft werden, ob man die Neuwahl bis zum November verschieben kann. Der Reichspräsident soll sich angeblich nur dann für einen solchen Weg entscheiden, wenn ein derartiger Vorschlag entweder von den Parteien selbst gebracht oder toleriert würde, so dass konkrete gesetzliche Notmaßnahmen unterbleiben könnten. In diesem Falle würde das Kabinett Schleicher bleiben. Vom Standpunkt der Wirtschaft aus gesehen, würde natürlich ein solcher Ausweg weitaus jedem anderen vorzuziehen sein...

Dokumentenbuch von Bülow 1, Record Group 238, Case 10, N.A., Zit. nach: Reinhard Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933, Göttingen 1981, S. 152

 

PDF-Version von Reinhard Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933, Göttingen 1981, unter http://www.digam.net/expo/grossindustrie/index.htm 

 

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Die gespaltene Industriefront.  Zusammenfassende Ergebnisse aus: Reinhard Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933, Göttingen 1981
Die gespaltene Industriefront. Zusammenfassende Ergebnisse aus: Reinhard Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933, Göttingen 1981

Die gespaltene Industriefront.  Zusammenfassende Ergebnisse aus Reinhard Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933, Göttingen 1981

Die Großindustrie verfügte in dem „pluralistischen System organisierter Interessen” des Weimarer Staates über weitreichende politische Einflußchancen. Sie konnte ihre Bedürfnisse wirksam organisieren und besaß zugleich die Fähigkeit, dem Gesamtsystem restriktive Bedingungen aufzuerlegen. Die Chance zur Durchsetzung von solchen ökonomischen oder politischen Zielen, die jenseits eines gemeinsamen Grundkonsensus innerhalb der Industrie lagen, war allerdings wesentlich eingeschränkt. Schwerindustrie und Leichtindustrie standen sich in der Weimarer Republik trotz vielfacher organisatorischer und interessenpolitischer Verschränkungen als tendenziell antagonistische Gruppierungen gegenüber. Während die Schwerindustrie vor allem durch den Bergbau-Verein, aber auch den mächtigen Regionalverband der Ruhrwirtschaft, den Langnam-Verein, ihren Einfluß geltend machen konnte, fehlten der verarbeitenden Industrie entsprechende Organisationsfiguren. Andererseits konnte diese Industriegruppe im DIHT, vor allem aber im Präsidium des RDI, ihr tatsächliches Gewicht zunehmend zum Ausdruck bringen und ihre dortige Führungsposition zu Beginn der Weltwirtschaftskrise weiter ausbauen.
Keine der beiden industriellen Hauptgruppen verfügte angesichts dieser Voraussetzungen über die Chance, im Konfliktfalle ihre Strategie zu oktroyieren und gesamtverbindlich durchzusetzen. Die Kräfteverhältnisse innerhalb des industriellen Spektrums sind demnach durch die Betonung einer „Veto"-Position der Schwerindustrie nur unzureichend gekennzeichnet. Tatsächlich herrschte eher eine „Patt"-Situation zwischen den Polen der Industrie. Diese Konstellation prägte sich in der Krise noch deutlicher aus und war überdies überlagert von einem andauernden Spannungsverhältnis zur Landwirtschaft. Die Mechanismen zur Regulierung grundsätzlicher Konflikte innerhalb der Industrie und in ihrem Verhältnis zur Landwirtschaft waren 1932/33 kaum noch funktionsfähig. Dies dokumentierte sich u. a. im Gelsenberg-Streit im Sommer 1932 oder in der öffentlich ausgetragenen Fehde zwischen RDI und Reichslandbund im Januar 1933.
Die relative Autonomie des Staates verstärkte sich in der Weltwirtschaftskrise und spiegelte sich innenpolitisch im System der Präsidialkabinette wider. Dabei konnte die Exekutive auch grundlegende politische Entscheidungen gegen das Votum maßgeblicher Industriekreise durchsetzen: Für das Verhältnis von Ökonomie und Politik in der Übergangsphase zum autoritären Staat ist z. B. bemerkenswert, daß der „Reichsverband der Deutschen Industrie” das weitreichende verfassungspolitische Revisionskonzept Brünings zunächst nicht teilte und an einem formal-parlamentarischen System festhielt. Der Versuch des RDI, im Sommer 1930 und 'dann unmittelbar nach der Reichstagswahl vom 14. September 1930 auf eine Erneuerung der Großen Koalition hinzuwirken, scheiterte vor allem am Widerspruch des Kanzlers. Zu diesem Zeitpunkt dominierten damit die Vorgaben der politischen Führung, wenn auch die Industrie zuvor entscheidend zum Rücktritt des Kabinetts Hermann Müller beigetragen hatte.
Die Abgehobenheit des politischen Entscheidungsprozesses im Präsidialsystem dokumentierte sich auch in wichtigen Teilbereichen staatlicher Krisenpolitik. So wurde Brünings überzogene Deflationspolitik, die dem Primat der Außen- bzw. Reparationspolitik bedingungslos untergeordnet war und die die sozialen Voraussetzungen für die großen Wahlerfolge der NSDAP 1932 mit schuf, ab Sommer 1931 von wichtigen Teilen der Wirtschaft nachdrücklich kritisiert, ohne daß die notwendige Kursänderung erfolgt wäre.[…]
Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die Ernennung Hitlers zum Reichs­kanzler bei gespaltener Industriefront erfolgte. Der offenbare Sieg der Thyssen-Gruppe und die Unterordnung der gemäßigten Schwerindustrie und der Exportindustrie stellte dabei nicht Voraussetzung und Ursache der Machtergreifung dar, sondern war im Gegenteil deren Folge.
Für die Frage nach dem strukturellen Zusammenhang von Kapitalis­mus und Faschismus ist kennzeichnend, daß die Großindustrie auch in der offenkundigen Krise des überkommenen Wirtschaftssystems am Modell des liberalen Kapitalismus festhielt und die Störungen im ökonomischen Reproduktionsprozeß auf die politisch-soziale Ordnung von 1918/19 zurückführte. Dies wurde im Kampf gegen den „Staatsinterventionismus”, zuerst gegen die unmittelbare Vergesellschaftung der Schlüsselindu­strien, dann gegen die „Kalte Sozialisierung” zum Ausdruck gebracht. Die Gebrochenheit der liberalen Ideologie dokumentierte sich vor allem in der Haltung gegenüber den Gewerkschaften und in der Sozialpolitik. Die offene Gewerkschaftsfeindlichkeit der NSDAP, ihr Abheben auf Grundelemente der Unternehmerideologie wie „Persönlichkeit”, „Führerprinzip” und „starker Staat” wurde von großen Teilen der Industrie nachdrücklich begrüßt. Andererseits stieß der Nationalsozialismus als verstärkt interventionistisch agierendes System allgemein auf Ablehnung, ganz abgesehen von den massiven Gegensätzen im Bereich der Finanz- und Währungspolitik, insbesondere aber in der Frage Weltmarktorientierung oder Autarkie.
Die Umstellung auf das nationalsozialistische Wirtschaftssystem im Frühjahr 1933 war Ergebnis einer „terroristischen Konsensbildung” und erfolgte durch illegalen Eingriff des NS-Staates in die, wirtschaftlichen Interessenverbände bei gleichzeitiger Ausschaltung der Industrie-Opposition. Die Einschränkung der Unternehmerkompetenz und die Neuorientierung vor allem in der Handelspolitik konnten allerdings durch die Ankündigung forcierter Rüstungsprogramme in Verbindung mit einer am Unternehmerinteresse orientierten Lohn- und Sozialpolitik beinahe reibungslos kompensiert werden.
Eine Gesamtinterpretation der Auflösung der Weimarer Republik und der Herausbildung der nationalsozialistischen Diktatur, die diesen Prozeß vornehmlich aus der Perspektive struktureller Identitäten zwischen Kapitalismus und Faschismus erklären will und vor allem als Ergebnis großindustrieller Aktivitäten für eine Kanzlerschaft Hitlers sieht, greift zu kurz und verdeckt wesentliche Ursachenzusammenhänge: Hier müßten unter Hervorhebung des Primats der Politik im Entscheidungsprozeß 1930-33 vor allem Probleme im Rahmen eines gestörten gesellschaftlichen Umschichtungsprozesses in Deutschland stärker in den Vordergrund gerückt wer-den. Der Erfolg des Nationalsozialismus ist ohne das Bündnis mit den vom Abstieg bedrohten alten Eliten der Großlandwirtschaft, aber auch der Militäraristokratie und anderer Gruppen des Großbürgertums unter Mitwirkung von Bürokratie, Justiz und Staatsverwaltung bei ideologischer Wegbereitung durch antidemokratische und antiliberale Intellektuellenzirkel nicht zu denken. Die Machtergreifung stellt sich so nicht zuletzt als der gescheiterte Versuch dieser Kräfte dar, ihrer sozialen Deklassierung durch die „Einspannung” der NSDAP entgegenzuwirken.
Die Offensive großer Teile der Wirtschaft gegen Demokratie, Parlamentarismus und Weimarer Staat hat zum Sieg des Nationalsozialismus gewiß wesentlich beigetragen, erklärt aber nicht ursächlich die „deutsche Katastrophe” in der Übergangsphase zur modernen Industriegesellschaft.

PDF-Version von Reinhard Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933, Göttingen 1981, unter http://www.digam.net/expo/grossindustrie/index.htm 

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Die „Konservative Einrahmung". Theodor Duesterberg, Zweiter Bundesführer des Stahlhelm, über eine Besprechung am   26.1.1933
Die „Konservative Einrahmung". Theodor Duesterberg, Zweiter Bundesführer des Stahlhelm, über eine Besprechung am   26.1.1933
Die „Konservative Einrahmung". Theodor Duesterberg, Zweiter Bundesführer des Stahlhelm, über eine Besprechung am 26.1.1933

Die „Konservative Einrahmung". Theodor Duesterberg, Zweiter Bundesführer des Stahlhelm, über eine Besprechung am   26.1.1933:


Am 26. Januar fand eine Besprechung Papens mit Hugenberg, Seldte und mir statt. Diese eröffnete Papen mit einer kurzen Ansprache, in der er auf die zwin­gende Notwendigkeit einer neuen Regierung unter Hitler als Reichskanzler hinwies. Er schloss mit der Forderung, dass wir uns alle Hitler zu unterstellen hätten, auch der Stahlhelm. Seldte, dem inzwischen Papen mit Erfolg den von mir abgelehnten Ministerposten angeboten hatte, erklärte seine grundsätz­liche Bereitschaft. Ich widersprach und warnte vergeblich vor der Dynamik der Hitlerschen Natur und seiner fanatischen Massenbewegung. Hugenberg suchte meine Gedanken mit dem Hinweis zu entkräften, dass ja nichts passie­ren könne. Hindenburg bliebe Reichspräsident und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Papen würde Vizekanzler, er übernähme die ganze Wirtschaft, einschließlich der Landwirtschaft, Seldte das Arbeitsministerium, „Wir rah­men also Hitler ein." Mit einem drastischen Witz sagte ich prophetisch Hugenbergs persönliches Schicksal voraus. Er würde eines Nachts in Unterhosen durch die Ministergärten vor der Festnahme flüchten müssen. Alles war vergeblich! Der altrömische politische Erfahrungssatz „Principiis obsta" („Du sollst den Anfängen widerstehen") war durch die neuzeitliche Asphaltweisheit von dem „Chance geben" verdrängt. Der unmögliche Hitler würde sich ja bald selbst unmöglich machen, war die Beruhigungspille für die im Innersten selbst gehegten Bedenken.   

 

Theodor Duesterberg, Der Stahlhelm und Hitler, Wolfenbüttel u. Hannover 1949, S. 38 f.
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Der Reichslandbund und Hitler. Tagebuchnotiz von Goebbels
Der Reichslandbund und Hitler. Tagebuchnotiz von Goebbels

Der Reichslandbund und Hitler. Tagebuchnotiz von Goebbels:


27. Januar 1933
Besprechungen mit maßgebenden Herren vom Reichslandbund. Jetzt steht alles gegen Schleicher auf. Es gibt nur noch eine Lösung: Hitler muss Reichs­kanzler werden!...
Der Führer selbst ist abwartend. Es besteht noch die Möglichkeit, dass Papen wieder betraut wird, aber das wäre eine aussichtslose, kurzfristige Sache...

 

Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, S. 249

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Hindenburg zur möglichen Ernennung Hitlers in einem Gespräch mit dem Chef der Heeresleitung, General von Hammerstein, am 27.1.1933

Hindenburg zur möglichen Ernennung Hitlers in einem Gespräch mit dem Chef der Heeresleitung, General von Hammerstein, am 27.1.1933:

Sie werden mir doch nicht zutrauen, meine Herren, dass ich diesen österreichi­schen Gefreiten zum Reichskanzler berufe.

FAZ 5.5.1952

 

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„Es ist fast wie ein Traum." Goebbels über die Ernennung Hitlers am 30.1.1933: 110 30. Januar 1933
„Es ist fast wie ein Traum." Goebbels über die Ernennung Hitlers am 30.1.1933: 110 30. Januar 1933

Als der Reichspräsident dem amtierenden Reichskanzler von Schleicher das Auf­lösungsdekret für den auf den 31. Januar einberufenen Reichstag verweigerte, musste dieser am 28. 1. 1933 den Gesamtrücktritt seiner Regierung erklären. Am Vormittag des 30. 1. 1933, nach bis zur letzten Minute andauernden Schwierig­keiten zwischen den neuen Partnern, erfolgte die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Von Papen wurde Vizekanzler und das neu berufene Kabinett erhielt die Schleicher versagte Auflösungsorder sofort, so dass der Reichstag am 1. 2.1933 aufgelöst wurde. Die Neuwahlen fanden am 5.3.1933 statt.

 

„Es ist fast wie ein Traum." Goebbels über die Ernennung Hitlers am 30.1.1933

30. Januar  1933   Es ist fast wie ein Traum. Die Wilhelmstraße gehört uns. Der Führer arbeitet bereits in der Reichskanzlei. Wir stehen oben am Fenster, und Hunderttausen­de und Hunderttausende von Menschen ziehen im lodernden Schein der Fackeln am greisen Reichspräsidenten und jungen Kanzler vorbei und rufen ihnen ihre Dankbarkeit und ihren Jubel zu. Mittags saßen wir alle im Kaiserhof und warteten. Der Führer war beim Reichspräsidenten. Eine unbeschreibliche Spannung nahm uns fast den Atem. Draußen standen die Menschen zwischen Kaiserhof und Reichskanzlei und schwiegen und harrten. Wie wird es drinnen? Unsere Herzen werden hin und her gerissen zwischen Zweifel, Hoffnung, Glück und Mutlosigkeit. Wir sind zu oft enttäuscht worden, um uneinge­schränkt an das große Wunder glauben zu können... Peinigende Stunde des Wartens. Endlich biegt ein Wagen um die Ecke des Eingangs. Die Massen rufen und grüßen. Sie scheinen zu ahnen, dass die große Wendung bevorsteht oder gar schon eingetreten ist. Der Führer kommt!

Einige Minuten später ist er bei uns im Zimmer. Er sagt nichts, und wir alle sagen auch nichts. Aber seine Augen stehen voll Wasser. Es ist so weit! Der Führer ist zum Kanzler berufen. Er hat bereits in die Hand des Reichsprä­sidenten seinen Eid abgelegt. Die große Entscheidung ist gefallen. Deutsch­land steht vor seiner historischen Wende. Wir alle sind stumm vor Ergriffenheit. Jeder drückt dem Führer die Hand, und es ist, als würde unser alter Treuebund hier aufs neue beschlossen...

 

 

Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, S. 251 f.

 

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Das Ende der Demokratie. Friedrich Stampfer über den 30. Januar 1933
Das Ende der Demokratie. Friedrich Stampfer über den 30. Januar 1933

Das Ende der Demokratie. Friedrich Stampfer über den 30. Januar 1933

 

Als dies geschah, waren seit dem November 1918 vierzehn Jahre und drei Monate vergangen. Deutschland war wieder Großmacht und saß im Rat des Völkerbundes. Seine Gleichberechtigung, grundsätzlich auch die militärische, war anerkannt. Die Reparationen waren gestrichen, das Rheinland war seit drei Jahren - fünf Jahre vor Ablauf der Räumungsfristen - wieder frei. Die Rettung der deutschen Ehre durch Adolf Hitler gehört in das Reich der propagandistischen Geschichtslügen.

Das persönliche Regiment Wilhelm II. und die Militärdiktatur Ludendorffs hatten Deutschland in den Abgrund geführt. Die Republik befreite es von dem schweren Druck der Niederlage. Im Innern brachte sie das Ende der politi­schen Klassenprivilegien, der Gesinnungssklaverei, des Herr-im-Hause-Standpunktes. Sie machte den Arbeiter und die Frau zu gleichberechtigten Staatsbürgern. Sie gab dem deutschen Volk die menschlich-freieste Zeit seiner bisherigen Geschichte. Schöpfer und Träger der Republik war vor allem der Teil der deutschen Arbei­terklasse, der in den Reihen der Sozialdemokratischen Partei marschierte. Von einem Teil seiner Klassengenossen verlassen, ohne Mehrheit im Volke, suchte und fand er zeitweilig seine Bundesgenossen bei dem freiheitlich gesinnten Teil des politischen Katholizismus und der bürgerlichen Mittelparteien. Die Republik zerbrach an der Weltwirtschaftskrise. Es fehlte die Kraft, die imstande gewesen wäre, durch Maßnahmen eines praktischen Sozialismus die Krise zu mildern oder zu beseitigen. Es fehlte aber auch bei der Mehrheit des Volkes das Verständnis für den Wert der freiheitlichen Einrichtungen des Staates und der Wille, sie vor den Erschütterungen der Krise zu bewahren. So gewann der fanatische Machtwille einer Minderheit die Oberhand. Die mei­sten wussten gar nicht, was ihnen geschah. Deutschland schlitterte in die Hitler­Diktatur, wie es 1914 in den Weltkrieg geschlittert war. Die nationalsozialistische Bewegung war entstanden als eine Mobilisierung notleidender Kleinbürger und Bauern und politisch zurückgebliebener Schichten der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Sie entsprach in ihrer sozialen Zusammensetzung jener Masse, die von der Sozialdemokratie der Kaiserzeit als die „Hurrakanaille" bekämpft und verachtet wurde. Angehörige der alten Herrenschicht, Großkapitalisten, Großagrarier, Aristokraten und Offiziere öffneten ihr - in der Absicht, sich ihrer als Herrschaftsinstrument zu bedienen - den Weg zur Macht. Die Verteilung der Siegesbeute, wie sie durch die Bildung der „nationalen Regierung" am 30. Januar 1933 erfolgt war, wurde vier Wochen später durch den Reichstagsbrand korrigiert. Zum erstenmal kam der ersehnte Diktator nicht von oben, sondern - als eine Missgeburt der demokratischen Entwicklung - von ganz unten. Die Demokratie wurde abge­löst durch die Tyrannis ... Die Republik entsprang dem Geist der Humanität, der das deutsche Volk im Lauf seiner Geschichte in dreifacher Gestalt erfasst hatte: der christlichen, der liberalen und der sozialistischen. Das Dritte Reich bekämpft ihn in jeder dieser drei Gestalten, denn es entspringt einem Geist, der jenem der Humanität geradewegs entgegengesetzt ist.

 

Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, S. 669 ff.
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ANHANG: Reichstagswahlergebnisse, Parteientwicklung und Reichsregierungen; Das deutsche Reich (Karten)
ANHANG: Reichstagswahlergebnisse, Parteientwicklung und Reichsregierungen; Das deutsche Reich (Karten)
Reichstagswahlergebnisse 1919-1933
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Die deutschen Reichsregierungen von November 1918 bis Januar 1933
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Staatsfeindliche und staatstragende Parteien 1919-1933
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Parteientwicklung 1914-1933
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Das deutsche Reich nach dem Versailler Vertrag von 1919-1933
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Deutschland im europäischen Paktsystem nach dem Ersten Weltkrieg
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ZEITTAFEL - Kurzbiographien  -  Quellen- und Literaturverzeichnis
ZEITTAFEL - Kurzbiographien - Quellen- und Literaturverzeichnis
Zeitttafel 1918-1933 siehe > Dokument 1
ZEITTAFEL WEIMARER REPUBLIK 1918-1933

1918

14.8.    Kronratssitzung: General Ludendorff (OHL) gibt zu, daß der Krieg militä­risch nicht mehr zu gewinnen ist 3.10.­

9.11.    Prinz Max von Baden Reichskanzler

3.10.    Erstes deutsches Waffenstillstandsgesuch auf Verlangen 28.10. Parlamentarisierung des Reiches

3.11.    Matrosenaufstand in Kiel

9.11.    Abdankung des Kaisers und Ausrufung der Republik. Prinz Max von Baden überträgt Friedrich Ebert (SPD) das  Amt des Reichskanzlers

10.11.  Bündnis OHL-Ebert zur Verhinderung des „terroristischen Bolsche­wismus"

11.11.  Unterzeichnung des Waffenstillstands in Compitigne

15.11. Abkommen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften (ZAG)

16.12.-
20.12.
  Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin 30.12. Gründung der KPD

 

1919

5.1.-­
12.1.
    Spartakusaufstand in Berlin

15.1.    Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

19.1.    Wahlen zur Nationalversammlung. Eröffnung am 6.2. in Weimar

11.2.    Nationalversammlung wählt Ebert zum Reichspräsidenten

28.6.    Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages

11.8.    Unterzeichnung der Weimarer Reichsverfassung

 

1920

13.3.-  Kapp-Putsch: Scheitert am Widerstand der Beamtenschaft und der
17.3.   Gewerkschaften

 

1921

5.5.      Londoner Ultimatum der Ententemächte: Festsetzung der Reparations­forderung auf 132 Milliarden Goldmark

11.5.    Annahme des alliierten Ultimatums durch die Reichsregierung. Beginn der sog. „Erfüllungspolitik"

26.8.    Ermordung von Matthias Erzberger durch Angehörige der rechtsradi­kalen „Organisation Consul"

 

1922

16.4.    Vertrag von Rapallo: Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion und beiderseitiger Verzicht auf Kriegsentschädigung

24.6.    Außenminister Watther Rathenau ermordet

August  Beginn der beschleunigten Inflation

28.10.  Mussolinis „Marsch auf Rom" (Vorbild für Hitlers Münchener Putsch)

 

1923

11.1.    Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Trup­
pen wegen geringfügiger Rückstände in den Reparationslieferungen

Aug.-­
Nov. 
   Höhepunkt der Inflation

13.8.    Gustav Stresemann Reichskanzler, ab 30.11. Außenminister (bis 1929)

26.9.    Abbruch des „passiven Widerstandes" im „Ruhrkampf" 8./9.11. Hitler-Ludendorff-Putsch in München scheitert

15.11.  Ausgabe der Rentenmark. Ende der Inflation

8.12.    Unterzeichnung des Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrages
mit den USA (ratifiziert am 17. 8.1925)

 

1924

1.4.      Hitler zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt. In Landsberg schreibt er„Mein
Kampf"

16.7.-   Londoner Konferenz: Annahme des Dawes-Plans. Festsetzung der jähr
­16,8.    lichen deutschen Reparationsleistungen auf 2,5 Milliarden

29.8.    Annahme der Dawes-Gesetze im Reichstag. Beginn der relativen Stabilisierung

 

1925

24.2.    Neugründung der NSDAP nach Hitlers vorzeitiger Freilassung

28.2.    Tod des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert

26.4.    von Hindenburg wird im 2. Wahlgang zum Reichspräsidenten gewählt

5.10.-   Konferenz von Locarno: Unverletzlichkeit der Westgrenze Deutschlands
16.10. garantiert und gegenseitiger Gewaltverzicht

 

1926

8.9.      Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund beschlossen

 

1927

16.7.    Arbeitslosenversicherung durch Reichsgesetz geregelt. Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht

 

1928

28.6.-
27.3.30
­ Kabinett Hermann Müller: Große Koalition von SPD, Z, DDP und DVP

 

1929

6.8.-     1.HaagerKonferenzüberdenYoung-PIan:Herabsetzungderdeutschen
31.8.     Jahreszahlungen auf durchschnittlich 660 Millionen

3.10. Tod von Reichsaußenminister Gustav Stresemann

24.10. „Schwarzer Freitag" an der New Yorker Börse. Beginn der Weltwirtschaftskrise

22.12. Volksentscheid gegen den „Young-Plan" scheitert. Nur 13,8% stimmen für das „Gesetz gegen die Versklavung des deutschen Volkes"

 

1930

15.1.    Weisungen Hindenburgs für ein Präsidialkabinett

12.3.    Annahme des Young-Plans im Reichstag

27.3.    Rücktritt des Kabinetts Hermann Müller: Ende der Großen Koalition we­gen Meinungsverschiedenheiten über die Arbeitslosenversicherung


30.3.-  Minderheitskabinett Heinrich Brüning. Regierung stützt sich auf 30.5.32 „Vertrauen" des Reichspräsidenten
30.6.    Vorzeitige Räumung des Rheinlandes durch französische Truppen

18.7.    Beschluß des Reichstags auf Aufhebung der 1. Notverordnung zur Deckung des Reichsetats nach Art. 48. Daraufhin Auflösung des Reichstags nach Art. 25 durch den Reichspräsidenten

14.9.    Reichstagswahl: NSDAP von 12 auf 107 Mandate, fortan Tolerierung des Präsidialkabinetts Brüning durch SPD und bürgerliche Parteien

 

1931

6.7.      Plan des amerik. Präsidenten Hoover vom 20.6.31 tritt in Kraft: Aufschub für alle Reparations- und Kriegsschuldenzahlungen für ein Jahr

13.7.    Zusammenbruch des deutschen Kredits. Schließung aller Banken, Sparkassen und Börsen bis zum 15.7.

11.10.  Tagung der „Harzburger Front". Kampfansage von NSDAP, DNVP und Stahlhelm gegen die Brüning-Regierung und das Weimarer „System"

 

1932

26.1.    Rede Hitlers im Düsseldorfer Industrieclub

10.4.   Hindenburg wird im 2. Wahlgang erneut zum Reichspräsidenten gewählt (53,0%, Hitler erhält 36,8% und unterliegt)

13.4.     Verbot der SA und SS durch Notverordnung des Reichspräsidenten

30.5.     Hindenburg entzieht Brüning das Vertrauen. Rücktrittdes Kabinetts Brü­ning

1.6.-     Präsidialregierung von Papen. Das„Kabinett der Barone" sucht die Tole-­
2. 12.    rierung durch DNVP und NSDAP

4.6.       Auflösung des Reichtags nach Art. 25 durch den Reichspräsidenten

16.6.-    Reparationskonferenz von Lausanne.  Einigung über die endgültige Ein­-
9.7.        stellung aller Reparationszahlungen

20.7.     Staatsstreich von Papens gegen Preußen. Absetzung der Regierung Braun-Severing (SPD) und Verhängung des militärischen Ausnahme­zustandes

31.7.    Reichstagswahlen. Die NSDAP erreicht 37,4 % der Stimmen

13.8.    Hindenburg verweigert Hitler die Kanzlerschaft. Die NSDAP kündigt daraufhin die Tolerierung des Papen-Kabinetts auf

12.9.    Mißtrauensvotum des Reichstags gegen von Papen und erneute Auf­lösung des Parlaments nach Art. 25

6.11.    Reichstagswahlen. Die NSDAP fällt zurück auf 33,1

19.11. Eingabe von Vertretern aus Großlandwirtschaft, Industrie und Handel an Hindenburg für die Berufung Hitlers zum Reichskanzler

3.12.-    Präsidialkabinettvon Schleicher: Versuch einerQuerfrontvon Teilen der
28.1.33 NSDAP bis zur SPD und den Gewerkschaften

8.12.      Krise der NSDAP nach Rücktritt des Reichsorganisationsleiters Gregor Strasser

 

1933


4.1.      Besprechung von Papen-Hitler im Hause des Kölner Bankiers von Schroeder: „Geburtsstunde" des Dritten Reiches

11.1.    Bruch zwischen Reichslandbund und der Reg. v. Schleicher

15.1.    Wahlsieg der NSDAP bei der Landtagswahl in Lippe

28.1.   Rücktritt des Kabinetts von Schleicher nach Verweigerung des Auf­lösungsdekrets durch Hindenburg

30.1.    Hindenburg ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler

 

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KURZBIOGRAPHIEN

Kurzbiographien

Die Ziffern beziehen sich auf die Nummern der Quellen bzw. Abbildungen

d'Abernon, Lord Edgar Viscount (1857-1941), britischer Diplomat, Botschafter in Berlin 1920-26 21

Alvensleben, Werner von (1875-1949), Hauptmann der Reserve, Vertrauensmann von Schleichers in den Kreisen um den Reichspräsidenten 105

Beil, Johannes (1868-1949), 1919-20 Reichskolonialminister und Reichsverkehrsminister, 1926/27
Reichsjustizminister und Reichsminister für die besetzten Gebiete 15

Bracht, Franz (1877-1933),1924-32Oberbürgermeister von Essen, am 20.7.1932 zum kommissarischen Innenminister
in Preußen berufen, Dezember 1932Januar 1933 Reichsinnenminister in der Regierung von Schleicher 86

Braun, Magnus Frhr. von (1878-1972), Reichsernährungsminister in den Kabinetten von Papen und von Schleicher 1932-33 84

Braun, Otto (1872-1955), SPD, preußischer Ministerpräsident 1920-20. Juli 1932 (Staatsstreich gegen Preußen) 5b, 33, 64, 66, 79, 84; Abb. 25

Briand, Aristide (1862-1932), französischer Staatsmann, von 1906 an mehrfach Regierungsmitglied und Ministerpräsident, Bildung der Kabinette 1925, 1926 und 1929, nach 1926 Leiter der französischen Außenpolitik 31

Brüning, Heinrich (1885-1970), Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes, MdR 1924-1933, Fraktionsführer des Zentrums 1929-30, Reichskanzler 30.3.1930-30.5.1932 56, 59, 60, 62, 65, 66, 68-70, 76, 77, 79, 81; Abb. 21, 22,25

Däumig, Ernst (1866-1922), Redakteur, Exponent des linken Flügels der USPD, 1920 KPD 10

Dawes, Charles G. (1865-1951), Bankier, US-Vizepräsident 1925-29 29

Dietrich, Hermann (1879-1954), DDP, MdR 1920-1933, Reichsfinanzminister 1930-32 82; Abb. 21

Duisberg, Carl (1861-1935), Aufsichtsrats-Vorsitzender der IG Farben, Präsident des RDI 1925-1931 65

Ebert, Friedrich (1871-1925), SPD-Vorsitzender ab 1913, Vorsitzender des Rats der Volksbeauftragten 1918/19,
Reichspräsident 1919-25 3, 4, 5a, 12, 32, 34; Abb. 1, 2

Erzberger, Matthias (1875-1921), Oktober 1918 Staatssekretär ohne Geschäftsbereich, Februar 1919-März 1920 Reichsminister ohne Geschäftsbereich und Reichsfinanzminister, am 26.8.1921 durch Angehörige der rechtsradikalen Organisation „Consul" ermordet 15,19

Gayl, Wilhelm Frhr. von (1879-1950), Reichsminister des Innern im Kabinett von Papen, parteilos 84; Abb. 30, 31

Gilsa, Erich von (1879-1963), MdR DVP1928-1930, Abteilungsleiter im GHH-Konzern Oberhausen 58, 67

Glum, Friedrich (1891-1974), preußischer Regierungsreferendaram Landratsamt Teltow, 1920-1937 Generalsekretär
und Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 3

Goebbels, Joseph (1897-1945), seit 1922 (?) Mitglied der NSDAP, Schriftleiter nationalsozialistischer Zeitungen, 1926
Gauleiter von Berlin, 1928 Reichspropagandaleiter, ab März 1933 Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung 81, 86, 91, 94,100, 103,108,110

Groener, Wilhelm (1867-1939),1. Generalquartiermeister der OHL ab 26.10.191 8 als Nachfolger Ludendorffs, 1920-23 Reichsverkehrsminister, 1928-12. 5 1932 Reichswehrminister, Okt. 1931 -30. 5. 1932 zugleich Reichsminister des Innern 81

Grzesinski, Albert (1879-1947), SPD, 1926-30 preußischer Innenminister, 193020.7.1932 Polizeipräsident von Berlin 86

Hamm, Eduard (1879-1944), DDP, 1922-23 Staatssekretär in der Reichskanzlei 1923-25 Reichswirtschaftsminister,1925-1933 Geschäftsführendes Präsidiai mitglied des DIHT 99

Heß, Rudolf (1894-1987), NSDAP Eintritt 1920, seit 1925 Privatsekretär und Adjutant Hitlers, ab 1933 „Stellvertreter des Führers" 102

Hilferding, Rudolf (1877-1941),1923 und 1928-29 Reichsfinanzminister, führen der Theoretiker der Weimarer Sozialdemokratie 46

Himmler, Heinrich (1900-1945), NSDAP Mitglied seit 1925, Reichsführer der SS seit 1929 102

Hindenburg, Oskar von Beneckendorff und von (1883-1960), Sohn Paul von Hin denburgs und eine der maßgeblichen Figuren in der Kamerilla um den Reichspräsidenten 84

Hindenburg, Paul von Beneckendorff und von (1847-1934), Generalstabschef de OHL 1916-25.6.1919, Reichspräsident 1925-1934 4, 33, 34, 57, 59, 60, 65, 6~79-81, 90, 91,101,105-107, 109,110; Abb. 13, 19, 22, 29, 30, 31, 32

Hitler, Adolf (1889-1945), Führer der NSDAP seit 1921, 30.1.1933-1945 Reichskanzler 21, 25, 26, 63, 68, 75, 76, 79-81, 89-92,101-103,105-111; Abb. 7, 9, 2' 27,28

Hugenberg, Alfred (1865-1951), DNVP-Vorsitzender ab 1928, Leiter des gleici, namigen Pressekonzerns, übernahm in der am 30.1.1933 gebildeten Regie rung Hitler das Amt des Reichswirtschaftsministers und des Reichsministers f•; Ernährung und Landwirtschaft 76, 79, 91,105-107, Abb. 33

Kasti, Ludwig (1878-1969), Geschäftsführendes Präsidialmitglied des RDI 192` 1933, Dt. Mitglied der Mandatskommission des Völkerbundes 1929-32, M; unterzeichner des Young-Plans 1929 65, 77,106

Keppler, Wilhelm (1882-1960), Ingenieur in der Chemischen Industrie, Beauftr<r : ter Hitlers für Wirtschaftsfragen, Verbindungsmann der NSDAP zu Wirtschaf; kreisen („Keppler-Kreis") 102

Legien, Carl (1861-1920), Vorsitzender des Allgemeinen deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) 1890-1920, MdR SPD 1893-98 7

Levi, Paul (1883-1930), 1920-21 Parteivorsitzender der KPD, 1921 Parteiauschluß, 1922 Übertritt zur USPD und mit dieser zur SPD 11

Ludendorff, Erich (1865-1937), General der Infanterie, 1916-26.10.19181. Generalquartiermeister der OHL mit voller Mitverantwortung für die Kriegsführung, 9.11.1923 Teilnahme am Hitler-Putsch in München 1, 25, 33, 111; Abb. 7, 9.

Luxemburg, Rosa (1870-1919), 1905 Beteiligung an der russischen Revolui 1917 Mitbegründerin des Spartakusbundes, am 15.1.1919 zusammen mit ! Liebknecht von Angehörigen der Regierungstruppen ermordet 11, 19

Meißner, Otto (1880-1953), Staatssekretär in der Präsidialkanzlei 1923-19484

Metternich, Klemens Fürst von (1773-1859), 1809-48 Österreichischer Außenminister und Staatskanzler, durch geschickte Politik gegenüber Napoleon 1809-13/15 sicherte er Österreichs Stellung in Europa 30

Moldenhauer, Paul (1876-1947), MdR DVP 1920-32, Reichswirtschaft, Finanzminister 1929 bis zu seinem Rücktritt aus dem Kabinett Bruning am 20.6.1930 58

Müller, Hermann (1876-1931), 1919 Reichsaußenminister, 1920 und 1928-1930 Reichskanzler 15, 55, 56

Mussolini, Benito (1883-1945), italienischer Diktator (Duce) und Führer derfaschistischen Partei, Machtübernahme im Oktober 1922 30

Naphtali, Fritz (1880-1961), Leiter der Forschungsstelle Wirtschaftspolitik beim ADGB 1926-1933 47

Neurath, Konstantin Frhr. von (1873-1956), Diplomat, 1.6.1932-1938 Reichsaußenminister 81

Papen, Franz von (1879-1969), 1918-1932 Zentrumsabgeordneter des preußischen Landtages, 1.6.-2.12.1932 Reichskanzler, 30.1.1933-30.6.34 Vizekanzler 81-85, 90,101-103, 105-108; Abb. 29, 30, 31, 33

Preuß, Hugo (1860-1925), Mitbegründer der Demokratischen Partei (DDP), 15.11.1918-Juni 1919 Staatssekretär des Innern bzw. Reichsinnenminister, Schöpfer der Weimarer Reichsverfassung 9,13

Pünder, Hermann (1888-1976), Staatssekretär in der Reichskanzlei 1926-32, Zentrum, Mitbegründer der CDU nach 1945, MdB CDU 1949-57 65, 66; Abb. 21

Raumer, Hans von (1870-1965), Leiter des Zentralverbandes der deutschen elektrotechnischen Industrie, Mitbegründer der ZAG, 1920-21 Reichsschatzminister, 1923 Reichswirtschaftsminister (DVP) 8

Reusch, Paul (1868-1956), Vorstandsvorsitzender der GHH 1908-1942, maßgebliche Unternehmerpersönlichkeit in der Schwerindustrie 58, 67, 77, 99

Rosenberg, Arthur (1889-1943), MdR 1924-28, KPD-Austritt 1927, danach parteiloser Sozialist 23

Rühle, Otto (1874-1943), Redakteur, Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates in Dresden, Mitbegründer des Spartakusbundes 11

Schacht, Hjalmar (1877-1970), 1903/15 Stellvertretender Bankdirektor, dann Geschäftsinhaber der Danat-Bank, 1923 Währungskommissar, Dezember 1923-April 1933 und 1933-39 Reichsbankpräsident 22, 79,106

Schiele, Martin (1870-1939), MdR DNVP 1920-30, danach fraktionslos, am 30.3.1930 Berufung in das Kabinett Brüning als Ernährungsminister (bis 1932) 58, Abb. 21

Schleicher, Kurt von (1882-1934 ermordet), Generalstabsoffizier bei der OHL, 1926-1933 Chef des Ministeramtes des  Reichswehrministers, 1932-1933 Reichswehrminister, Dezember 1932 bis Januar 1933 Reichskanzler 56, 81, 83,
84, 96-98,101,105,108; Abb. 29, 30, 32

Scholz, Ernst (1874-1932) MdR DVP 1921-32, Fraktions- und Parteivorsitzender 1929-32 58

Schroeder, Kurt Frhr. von (1889-1966), Inhaber des Bankhauses Stein in Köln, Mitglied im „Keppler-Kreis" 102

Schwerin von Krosigk, Johann Lutz Graf (1887-1977), Reichsfinanzminister 1.6.1932-1945, parteilos 84

Seldte, Franz (1882-1947), Bundesführer des Stahlhelms 1918-1933, vom 30.1.1933-1945 Reichsarbeitsminister 76, 79,107; Abb. 33

Severing, Carl (1875-1952), SPD, 1928-30 Reichsinnenminister, 1920-26 und 1930-20.7.1932 preußischer Innenminister 84, 86

Silverberg, Paul (1876-1959), Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender der Rheinischen AG für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation 1908-1933, Stellvertretender Vorsitzender des RD) 1930-1933 45, 46, 65 

Stampfer, Friedrich (1874-1957), SPD, MdR 1920-1933, Chefredakteur des „Vorwärts" 1916-1933 32, 51, 60, 70, 84, 111

Siegerwald, Adam (1874-1945), Vorsitzender des Gesamtverbandes der Christlichen Gewerkschaften 1922-28, MdR 1920-33 Zentrum, Reichsverkehrsminister 1929-30 und Reichsarbeitsminister im Kabinett Brüning 1930-32 59

Stinnes, Hugo (1870-1924), Gründer und Leiter des Stinneskonzerns, Mitbegründer der Zentralarbeitsgemeinschaft 1918, MdR DVP 1920-24 7, 46

Strasser, Gregor (1892-1934 ermordet), Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Rücktritt von seinen Parteiämtern am 8.12.1932 68, 96,105

Stresemann, Gustav (1878-1929), Mitbegründer und Vorsitzender der DVP 19181929, August-November 1923 Reichskanzler und Reichsminister des Äußeren, dann Reichsminister des Äußeren bis zu seinem Tode im Oktober 1929 24, 28, 29, 30, 31, 46; Abb.12

Thyssen, Fritz (1873-1951), Vorsitzender des Aufsichtsrats der Vereinigten Stahlwerke, Mitglied der NSDAP seit 1923 und der wichtigste Förderer Hitlers innerhalb der Großindustrie 95,105; Abb. 27

Treviranus, Gottfried (1891-1971), MdR 1924-33, DNVP bis 1929,1930 Mitbegründer der Volkskonservativen Vereinigung, am 30.3.1930 Berufung in das Kabinett Brüning als Reichsminister für die besetzten Gebiete (bis 1932) 58, 68

Troeltsch, Ernst (1865-1923), Professor der Theologie und Philosophie, Mitbegründer der DDP 1918,1919-22 Unterstaatssekretär im Preußischen Kultusministerium 16-18

Westarp, Kuno Graf von (1864-1945), MdR 1920-32, Austritt aus der DNVP 1929,
Mitbegründer der Konservativen Volkspartei 1930 57

Wilhelm (1882-1951), Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen 3, 30

Wilhelm II. (1859-1941), Deutscher Kaiser und König von Preußen 1888-1918, Exil in Doorn (Holland) 3, 4, 34, 111

Wilson, Th. Woodrow (1856-1924), Demokrat, Präsident der USA 1913-1921 2,15 Young, Owen D. (1874-1962), Vorstandsvorsitzender der General Electric Company 1922-39, Vorsitzender der Pariser Reparationskonferenz 9.2.-7.6.1929 58; Abb. 20

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LITERATUR- und QUELLENVERZEICHNIS

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