
Die Bundesrepublik Deutschland 1949-1963/66. Die Ära Adenauer
Die Ära Adenauer ist für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von zentraler Bedeutung. Wenn auch wichtige Strukturen durch die Entscheidungen der Siegermächte in den Jahren zwischen 1945 und 1949 vorgegeben waren und Westdeutschland anfänglich nur über einen sehr begrenzten Handlungsspielraum verfügte, so erfolgte die Grundlegung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung der Gegenwart doch im wesentlichen in der Regierungszeit des ersten Bundeskanzlers von 1949-1963: Während der Kanzlerschaft Adenauers wurde die Weichenstellung für die Westintegration und die Gemeinschaft der Bundesrepublik mit den westlichen Demokratien endgültig vollzogen. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen war damit, d. h. unter den Bedingungen des Kalten Krieges und des Ost-WestKonflikts, zugleich der Verzicht auf die Einheit im traditionellen nationalstaatlichen Rahmen verbunden. Im Inneren kam es in dieser Epoche zu einem ungeahnten wirtschaftlichen Aufstieg, der die maßgebliche Voraussetzung für Wohlstand, soziale Sicherheit und auch die langfristige politische Stabilität der Bundesrepublik bildete. Demgegenüber erwies sich der Weg zu einer demokratischen Erneuerung der Gesellschaft in den fünfziger Jahren als ein vergleichsweise schwieriger Prozeß. Das autoritäre Demokratieverständnis der Ära Adenauer prägte lange Zeit die politische Kultur der Bundesrepublik. Erst der Generationswechsel zu Ende der sechziger Jahre und im übergang zu den siebziger Jahren leitete hier einen tiefgreifenden Wandel ein.
Trotz der einschneidenden Zäsur nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und einem Neuanfang in vielen Bereichen von Wirtschaft und Politik konnte indes von einer "Stunde Null" weder im Jahre 1945 noch bei der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 die Rede sein. Wenigstens das erste Jahrzehnt der Bundesrepublik war in einem erheblichen Umfange von Kontinuitäten geprägt, die teilweise weit über das Epochenjahr 1945 zurückweisen. In diesem Sinne stellt sich die Ära Adenauer als eine durchaus spannungsgeladene Zeit des Übergangs dar: Neue, zukunftsweisende Entwicklungen standen neben Tendenzen, die Ausklang von Strukturmustern und Denkweisen der Vergangenheit waren.
Absicht der vorliegenden Quellensammlung kann nicht sein, möglichst viele Einzelereignisse und Entscheidungssituationen im Detail zu dokumentieren. Es kommt vielmehr darauf an, die Umrisse des Bildes einer Epoche zu entwerfen. In den einzelnen Kapiteln werden in diesem Sinne exemplarisch prägende Strukturen und Grundlinien der Entwicklung auf unterschiedlichen Ebenen dargestellt. Schwerpunkte bilden: 1) Die "Kanzlerdemokratie" und die Politik Adenauers als der "Zentralfigur" (Hans-Peter Schwarz) der Jahre 1949-1963.2) Die Thematik des Kalten Krieges, die westliche Integration und die deutsche Teilung. 3) Das "Wirtschaftswunder" und die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse. Dem Alltag und dem Lebensgefühl der fünfziger Jahre gilt ein besonderer Schwerpunkt, ausführlicher dargestellt werden ferner die Integration der Heimatvertriebenen und Probleme der "Vergangenheitsbewältigung". 4) Der Übergang zu den sechziger Jahren mit den Aspekten: Gründung der EWG, Herausforderung durch neue Technologien (Atomindustrie, Raumfahrt) und die programmatische Entwicklung der SPD von der Klassenzur Volkspartei. 5) In einem letzten Kapitel werden das Ende der Ära Adenauer, die Kanzlerschaft Erhards und der übergang zur Großen Koalition thematisiert. Inhaltliche Schwerpunkte bilden ferner die deutsch-französische Aussöhnung sowie das Ausklingen des Kalten Krieges. Eine Bilanz der Epoche, wie sie sich aus zeitgenössischen Bewertungen und einer aktuellen Darstellung (W. Loth) ergibt, schließt die Textsammlung ab.
Die Quellenauswahl bleibt im übrigen bewußt auf zeitgenössische Texte und Dokumente beschränkt. Soweit erforderlich, wird auf grundlegende Kontroversen in der Forschung in den jeweiligen Kapiteleinführungen bzw. den Erläuterungen zu den Quellen hingewiesen.

1. Besatzungsstatut u. Ziele amerikanischer Deutschlandpolitik
Nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 ging die Regierungsgewalt in Deutschland zunächst in die Hände der Sieger über. Das verbleibende Territorium wurde in eine amerikanische, britische, französische und sowjetische Besatzungszone aufgeteilt. Die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie wurden im Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 bis zu einer endgültigen Regelung durch einen Friedensvertrag unter vorläufige polnische und sowjetische Verwaltung gestellt. Die vier Mächte übertrugen die gemeinschaftliche Verwaltung Deutschlands dem Alliierten Kontrollrat, der aufgrund der zunehmenden weltpolitischen Spannungen zwischen West und Ost jedoch im März 1948 auseinanderbrach. Die seit 1946/47 offen zutage tretende ideologische und machtpolitische Konfrontation zwischen den Westmächten und der Sowjetunion rückte das besiegte Deutschland sehr rasch in den Brennpunkt des Ost-West-Konflikts. Im Zuge der westlichen "Eindämmungspolitik" wurden die amerikanische und britische Zone am 1.1.1947 zum Vereinigten Wirtschaftsgebiet der Bizone zusammengeschlossen, die französische Zone folgte am 8.4. 1949. Die drei Westzonen bildeten das Staatsgebiet der wenig später gegründeten Bundesrepublik, während sich auf dem Boden der sowjetischen Besatzungszone die DDR etablierte.
Aufgrund seiner geopolitischen Lage und seines wirtschaftlichen Potentials bildete Westdeutschland in der Ausformung des westlichen "Abwehrblocks" gegen eine sowjetische Expansion in Mitteleuropa das wichtigste Element. Für Bundeskanzler Adenauer ergab sich daraus als oberstes Ziel in der Außen- und Deutschlandpolitik die Herstellung der Souveränität Westdeutschlands durch Integration in den Westen (Kap. I, Abschnitt 2). Dies kam insbesondere den Interessen der USA entgegen, die durch die Marshallplan-Hilfe nicht zuletzt auch eine wirtschaftliche Stabilisierung der Bundesrepublik bezweckten.
Das Besatzungsstatut vom 21.9.1949 wurde bis zu seiner endgültigen Aufhebung durch die am 5.5.1955 in Kraft getretenen Pariser Verträge schrittweise gelockert, und die Bundesrepublik erhielt immer größere Souveränitätsrechte. Im Petersberger Abkommen vom 22.11.1949 wurde der Bundesrepublik gestattet, konsularische Beziehungen zu ausländischen Mächten aufzunehmen. Ferner wurde vereinbart, "die Teilnahme Deutschlands an allen den internationalen Organisationen herbeizuführen, in denen deutsche Sachkenntnis und Mitarbeit zum allgemeinen Wohl beitragen können" (OEEC, Europarat, Marshallplan-Hilfe). Gleichzeitig wurden die Auflagen für Produktionsbeschränkungen in der Industrie gelockert und die Demontage-Listen gekürzt. Nach der Anerkennung der deutschen Auslandsschulden durch die Bundesregierung am 1.3.1951 verkündete die Alliierte Hohe Kommission am 6.3. 1951 ein revidiertes Besatzungsstatut: Die Bundesrepublik konnte jetzt ein Außenministerium bilden und diplomatische Beziehungen zu allen Staaten mit Ausnahme der kommunistischen Länder aufnehmen. Zum ersten Außenminister wurde am 15.3.1951 Bundeskanzler Adenauer ernannt. Walter Hallstein war der erste Staatssekretär im Auswärtigen Amt.
Über ein Besatzungsstatut für die Bundesrepublik Deutschland einigten sich die USA, Großbritannien und Frankreich auf der Außenministerkonferenz der drei Westmächte in Washington vom 5.-8. 4. 1949. Das Statut wurde dem Parlamentarischen Rat in Bonn am 10.4.1949 übermittelt und trat am 21.9. 1949 in Kraft.
1. Die Regierungen Frankreichs, der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs wünschen und beabsichtigen, daß das deutsche Volk während des Zeitraumes, in dem die Fortdauer der Besetzung notwendig ist, das mit der Besetzung zu vereinbarende größtmögliche Maß an Selbstregierung genießt. Abgesehen von den in diesem Statut enthaltenen Beschränkungen, besitzen der Bund und die ihm angehörenden Länder volle gesetzgebende, vollziehende und richterliche Gewalt gemäß dem Grundgesetz und ihren Verfassungen.
2. Um sicherzustellen, daß die Grundziele der Besetzung erreicht werden, bleiben auf folgenden Gebieten Befugnisse ausdrücklich vorbehalten, einschließlich des Rechts, Auskünfte und Statistiken, welche die Besatzungsbehörden benötigen, anzufordern und nachzuprüfen:
a) Die Abrüstung und Entmilitarisierung, einschließlich der damit zusammenhängenden Gebiete der wissenschaftlichen Forschung, die Verbote und Beschränkungen der Industrie und die zivile Luftfahrt·
b) die Kontrollen hinsichtlich der Ruhr, die Restitutionen, die Reparationen, die Dekartellisierung, die Entflechtung, die Handelsdiskriminierungen, die ausländischen Interessen in Deutschland und die Ansprüche gegen Deutschland;
c) auswärtige Angelegenheiten, einschließlich internationaler Abkommen, die von Deutschland oder für Deutschland abgeschlossen werden;
d) kriegsversprengte Personen (displaced persons) und Zulassung von Flüchtlingen;
e) Schutz, Ansehen und Sicherheit der alliierten Streitkräfte, Angehörigen, Angestellten und Vertreter, deren Vorrechte sowie die Deckung der Kosten der Besatzung und ihrer anderen Anforderungen;
f) die Beachtung des Grundgesetzes und der Länderverfassungen;
g) die Kontrolle über den Außenhandel und Devisenverkehr;
h) die Kontrolle über innere Maßnahmen, jedoch nur in dem Mindestumfang, der erforderlich ist, um die Verwendung von Geldmitteln, Lebensmitteln und anderen Lieferungen derart sicherzustellen, daß die Notwendigkeit auswärtiger Hilfe für Deutschland auf ein Mindestmaß herabgesetzt wird;
i) die Kontrolle der Versorgung und Behandlung von Personen in deutschen Gefängnissen, die vor den Gerichten oder Tribunalen der Besatzungsmächte oder Besatzungsbehörden angeklagt oder von diesen verurteilt worden sind, über die Vollstreckung von Urteilen, die über diese Personen verhängt wurden, und über andere sie betreffende Fragen der Amnestie, Begnadigung oder Freilassung.
3 .... Die Besatzungsbehörden behalten sich indessen das Recht vor, auf 40 Weisung ihrer Regierungen die Ausübung der vollen Gewalt ganz oder teilweise wieder zu übernehmen, wenn sie dies als wesentlich ansehen für die Sicherheit oder die Aufrechterhaltung der demokratischen Regierung in Deutschland oder als Folge der internationalen Verpflichtungen ihrer Regierungen. . .
4. Die Deutsche Bundesregierung und die Länderregierungen haben die Befugnis, nach ordnungsmäßiger Unterrichtung der Besatzungsbehörden auf den Gebieten, die den Besatzungsbehörden vorbehalten sind, Gesetze zu erlassen und tätig zu werden, es sei denn, daß die Besatzungsbehörden ausdrücklich anders bestimmen, oder daß derartige Gesetze oder Maß- 50 nahmen mit den von den Besatzungsbehörden selbst getroffenen Entscheidungen oder Maßnahmen unvereinbar sind.
5. Jede Änderung des Grundgesetzes bedarf vor ihrem Inkrafttreten der ausdrücklichen Zustimmung der Besatzungsbehörden. Länderverfassungen, Änderungen dieser Verfassungen, jedes andere Gesetz und jede Ver- 55 cinbarung, die zwischen dem Bund und auswärtigen Regierungen getroffen wird, treten 21 Tage nach ihrem amtlichen Eingang bei den Besatzungsbehörden in Kraft, sofern sie nicht von diesen vorher, einstweilig oder endgültig, abgelehnt worden sind ...
9. Nach 12 Monaten und in jedem Fall innerhalb von 18 Monaten nach Inkrafttreten dieses Status werden die Besatzungsmächte seine Bestimmungen überprüfen im Lichte der Erfahrungen, die bei seiner Anwendung gemacht wurden, und im Hinblick auf eine Erweiterung der Zuständigkeit der deutschen Stellen auf den Gebieten der Gesetzgebung, der Exekutive und der Rechtspflege ...
Die politischen Ziele der USA in Deutschland. Aus einer Direktive für den amerikanischen Hohen Kommissar John McCloy vom 17. November 1949.
II. Dem deutschen Volk soll es ermöglicht werden, seine politische Unabhängigkeit nach demokratischen Prinzipien in enger Verbindung mit den freien Völkern Westeuropas zu entwickeln. Es soll voll integriert werden in die Gemeinschaft eines freien Europa, um zu gegebener Zeit als gleichberechtigter Partner die sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu übernehmen und an den wirtschaftlichen Vorteilen und der Sicherheit teilzuhaben.
III. In Deutschland darf auf gar keinen Fall wieder eine politische und militärische Entwicklung zugelassen werden, die die Unabhängigkeit anderer Nationen oder den Frieden der Welt bedroht. Eine der besten Sicherheitsgarantien ist, politisch gesehen, der Aufbau einer festgefügten europäischen Gemeinschaft unter Einschluß Deutschlands.
Sie sollten sich daher für möglichst enge Bindungen zwischen der deutschen Regierung und den übrigen westeuropäischen Staaten einsetzen und die Deutschen ermutigen, eine zunehmend aktive Rolle bei der politischen und wirtschaftlichen Organisierung eines freien Europas zu spielen.
IV. Vorbehaltlich dieser Überlegungen soll dem deutschen Volk die größtmögliche Freiheit zugestanden werden, seine eigene Demokratie in Freiheit zu gestalten. Die den Deutschen durch das Besatzungsstatut auf erlegten Beschränkungen sind unbedingt notwendig zur weiteren Realisierung der amerikanischen Ziele in Deutschland. Sie stellen ein Minimum
an Kontrollen dar, ohne die die Interessen der europäischen Gemeinschaft nicht hinreichend gesichert werden können. Sie sind jedoch weder dazu da, die angemessene Entwicklung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in Deutschland zu behindern noch den Deutschen eine ihnen fremde Kultur und Lebensart aufzuzwingen.
V. Sie sollten alle politischen Trends und Entwicklungen gen au beobachten und gemäß den Bestimmungen des Besatzungsstatutes eingreifen, um ein Wiederaufleben ultranationalistischer und antidemokratischer Gruppen und Tendenzen zu verhindern. Sie werden die demokratischen politischen Kräfte in Deutschland so unterstützen und ermutigen, daß Deutschland eine konstruktive Rolle im Leben Europas spielen kann ...
VI. Solange Deutschland politisch geteilt ist, werden sie sich in erster Linie um die Entwicklung in der Bundesrepublik kümmern. Sie werden sich jedoch darum bemühen, so weit das möglich ist, durch Konsultationen zwischen Vertretern der Besatzungsmächte und deutschen Stellen die Auswirkungen der Teilung zu mildern und die Beziehungen zwischen Ost- und Westdeutschland zu normalisieren. Sie werden zusammen mit den übrigen Hohen Kommissaren alle konstruktiven Schritte unterstützen, die zu einer Wiedervereinigung des besetzten Deutschland auf demokratischer und föderalistischer Grundlage führen - und auch der Bundesrepublik bei diesem Ziel behilflich sein. Sie sollten der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland und deren Auswirkungen auf die Bundesrepublik ihre besondere Aufmerksamkeit widmen. . .
Das auf der Grundlage des Economic Cooperation Act von 1948 entwickelte European Recovery Program (ERP) der USA sah langfristige Dollarkredite zur Stabilisierung der europäischen Wirtschaft vor. Den politischen Hintergrund bildete die Truman-Doktrin: Danach sollte durch die Gewährung von amerikanischer Hilfe, in erster Linie in Form von wirtschaftlicher und finanzieller Unterstützung, das Vordringen der kommunistischen Staaten "eingedämmt" werden. Gleichzeitig sicherten sich die USA mit der Vergabe der Marshallplan-Gelder einen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung der Empfängerländer und den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa.
Abkommen über Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (Marshallplan-Gesetz)
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika: in der Erkenntnis, daß die Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Grundsätze individueller Freiheit, freier Einrichtungen und echter Unabhängigkeit in den europäischen Ländern weitgehend beruht auf der Schaffung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse und stabiler internationaler Wirtschaftsbeziehungen sowie darauf beruht, daß die Länder Europas eine gesunde, von außergewöhnlicher Hilfeleistung von außen llnabhängige Wirtschaft erreichen, ... sind wie folgt übereingekommen:
Artikel I
(Hilfeleistung und Zusammenarbeit)
1. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika unternimmt es, die Bundesrepublik Deutschland zu unterstützen, indem sie der Bundesrepublik oder einer von dieser bestimmten Person, Behörde oder Organisation Hilfe gewährt gemäß den Bestimmungen. Bedingungen und Befristungen des Gesetzes über Wirtschaftliche Zusammenarbeit von 1948 ...
Artikel 11
(Allgemeine Verpflichtungen)
1. Um durch die Verwendung der von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika erhaltenen Hilfeleistungen den höchsten Grad des Wiederaufbaues zu erzielen, wird die Regierung der Bundesrepublik ihr möglichstes tun, um
a) diejenigen Anordnungen zu treffen oder beizubehalten, die notwendig sind, um eine wirksame und zweckmäßige Verwendung aller ihr zur Verfügung stehenden Hilfsquellen zu gewährleisten, ...
b) die industrielle und landwirtschaftliche Produktion auf gesunder wirtschaftlicher Grundlage zu entwickeln, Produktionsziele zu erreichen, die von der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit bestimmt werden, und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf Wunsch ausführliche Vorschläge für besondere Projekte vorzulegen, die die Regierung der Bundesrepublik im wesentlichen mit der aufgrund dieses Abkommens geleisteten Hilfe durchzuführen beabsichtigt, einschließlich, wenn immer tunlich solcher Projekte, die eine Steigerung der Kohlenförderung sowie der Produktion von Transportmitteln und Nahrungsmitteln zum Ziel haben,
c) die Währung zu stabilisieren, einen gültigen (valid) Wechselkurs herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten, die Haushaltspläne der Regierung sobald als möglich auszugleichen, stabile finanzielle Verhältnisse im Innern zu schaffen oder aufrechtzuerhalten und das Vertrauen in das Währungssystem im allgemeinen wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten und
d) mit anderen Teilnehmerstaaten gemeinsam zu arbeiten an der Erleichterung und Förderung eines erhöhten Austausches von Waren und Dienstleistungen unter den Teilnehmerstaaten und mit anderen Ländern sowie am Abbau der öffentlichen lind privaten Handelsschranken zwischen den Teilnehmerstaaten lind im Verkehr mit anderen Ländern ...
3. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wird geeignete Maßnahmen ergreifen und mit den anderen Teilnehmerstaaten zusammenarbeiten, um Geschäftspraktiken oder Geschäftsabmachungen seitens privater oder öffentlicher Handelsunternehmen im internationalen Handel zu verhindern, die den freien Wettbewerb einschränken, den Zugang zu den Märkten beschränken oder eine monopolistische Kontrolle begünstigen, wo immer diese Praktiken oder Abmachungen sich so auswirken, daß sie die Durchführung des gemeinsamen europäischen Wiederaufbauprogramms beeinträchtigen.
2. Westintegration und Wiederbewaffung in der innenpolitischen Kontroverse
Die Möglichkeit eines westdeutschen Verteidigungsbeitrags wurde von den westlichen Alliierten seit 1949 immer intensiver diskutiert. Nach dem Beginn des Korea-Krieges im Juni 1950 traten diese Überlegungen in ein konkretes Stadium. In diesem Sinne schlug der britische Oppositionsführer Churchill am 11.8.1950 im Europarat die Bildung einer Europa-Armee unter Einbeziehung eines deutschen Truppenkontingents vor. Adenauer, der bereits im Dezember 1949 eine derartige Lösung in Erwägung gezogen hatte, nahm Churchills Initiative positiv auf, während die SPD, aber auch große Teile der Öffentlichkeit, den Gedanken einer Remilitarisierung Deutschlands auf das schärfste bekämpften. Bis zur Unterzeichnung der Pariser Verträge und der Aufnahme der Bundesregierung in die NATO im Jahre 1955 stand die Frage der deutschen Wiederbewaffnung wie kein anderes Thema im Mittelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik.
Stellungnahme Adenauers zur Wiederbewaffnung. Interview in der "New York Times" am 17. August 1950.
Baut man eine Verteidigung auf oder nicht? Bis jetzt hat das deutsche Volk seine Haltung gegen die Drohung des Kommunismus durch sein Vertrauen auf die bewaffneten Streitkräfte der Vereinigten Staaten bewahrt. Die Ereignisse in Korea haben aber eine merkliche Auswirkung gehabt, und es besteht ein Gefühl der Hilflosigkeit, daß die Russen eines Tages die Macht ergreifen werden.
Die Volkspolizeiarmee in der Sowjetzone bildet offensichtlich die Grundlage für eine echte Angriffsmacht. Ihre Aufgaben sind nicht auf reine Polizeiarbeit begrenzt. Sie besteht getrennt neben der allgemeinen Polizei, ist in Kasernen untergebracht und erhält militärische Ausbildung.
Der einzige Gesichtspunkt, für den wir dankbar sein können, ist, daß sie zweifellos große Schwierigkeiten haben, alte Soldaten und Offiziere zu finden und insbesondere bei Offizieren auf junge Leute angewiesen sind. Außerdem haben die Russen eigene starke militärische Kräfte in der sowjetischen Zone. Ich bin kein militärischer Sachverständiger, aber MiIitärexperten berichten mir, daß ihre Formationen so organisiert sind, wie das nur für Angriffszwecke der Fall ist. Sie umfassen viele Panzereinheiten. Unter diesen Umständen muß die gegenwärtige psychische Haltung der westdeutschen Bevölkerung sofort durch die Vergrößerung der amerikanischen Streitkräfte gestützt werden. Die Vereinigten Staaten müssen in 20 den nächsten drei Monaten zwei oder drei weitere Divisionen nach Europa schicken und ihre Streitkräfte ständig bis zum Einschluß von etwa zehn Panzerdivisionen verstärken, um so einen Schutzvorhang für Vorbereitungen von seiten Deutschlands und anderer westlicher Nationen zu bilden.
Wir müssen die Notwendigkeit der Schaffung einer starken deutschen Verteidigungskraft erkennen. Ich will nicht von einer Armee oder Waffen sprechen, aber diese Streitmacht muß stark genug sein, um jede mögliche, den Vorgängen in Korea ähnelnde Aggression der Sowjetzonenvolkspolizei abzuwehren. So stark wie diese Volkspolizei ist, müssen auch wir sein. Das Ausmaß der Bewaffnung und Ausbildung muß dem Ausmaß der Bewaffnung und Ausbildung der Volkspolizei entsprechen.
Offensichtlich müßte diese Verteidigungsstreitkraft von den Vereinigten Staaten bewaffnet werden. Die Schnelligkeit ihrer Aufstellung würde von der Lieferung der benötigten Waffen abhängen. Außerdem müßten Maßnahmen für die Verteidigung gegen Luftangriffe und für allgemeine zivile Verteidigungsprojekte getroffen werden.
Unsere Beteiligung an westeuropäischen Armeen sollte schnell entschieden werden, ebenso wie konkrete Maßnahmen für die allgemeine westeuropäische Verteidigung getroffen werden sollten. Ebenso ist jedoch eine starke amerikanische Einwirkung (intervention) auf die europäische Politik notwendig, um auf eine politische und soziale Einigung Westeuropas zu drängen, so wie die Vereinigten Staaten bereits erfolgreich auf die wirtschaftliche Integration Westeuropas hingewirkt haben.
Am 29.8. 1950 legte Adenauer ein Sicherheitsmemorandum vor, in dem der Kanzler die Bereitschaft erklärte, "im Falle der Bildung einer internationalen westeuropäischen Armee einen Beitrag in Form eines deutschen Kontingents zu leisten".
"Der amerikanische Friede". In einem Artikel des "Spiegel" kritisierte Herausgeber Rudolf Augstein unter dem Pseudonym "Jens Daniel" die Argumentation Adenauers In der Sicherheitsfrage, 31. August 1950.
Es ist an der Zeit, Dr. Adenauer wieder einige unbequeme Wahrheiten zu sagen. Die Politik, die der Kanzler mit seinen 80 000 kasernierten Polizisten im Sinn hat, ist nicht geeignet, Westdeutschland zu schützen sondern es zu gefährden. Sie ist auch nicht geeignet, den USA der Schutzmacht der Freiheit, Hilfe zu leisten. Vielmehr kann eine deutsche Teilaufrüstung die Anstrengungen der USA, den Frieden durch Macht zu erzwingen, vereiteln, wiewohl diese Einsicht dem frischen Mut der Amerikaner schwer zugänglich sein mag ...
Es ist Zeit, wenn überhaupt noch Zeit ist, zu erkennen, warum und wie lange eine deutsche Aufrüstung für die westliche Welt nutzlos, für uns Deutsche aber unannehmbar sein wird.
Dies ist das eigentliche Argument: Sollten die Russen einen Krieg riskirren, so kann Europa nur mit Erfolg verteidigt werden, wenn Westdeutschland bewaffnet ist, wie Großdeutschland unter Hitler bewaffnet war. Eine Armee, von der der CDU-Fraktionsführer Dr. von Brentano erst noch versichern muß, daß die Deutschen auch Offiziere stellen dürften ist ein Monstrum, und eine Europa-Armee, in der die Deutschen die Minderheit sind, hält die Russen nicht auf.
Zwei Wege gibt es: Entweder die Amerikaner übernehmen, durch England und Frankreich unterstützt, die Verteidigung Europas. Das hieße das RISIko emes Weltkrieges herunterschrauben und den Deutschen den Bruderkrieg ersparen.
Oder aber: Westdeutschland übernimmt, unterstützt durch die Amerikaner, den Schutz Europas. Die Schutzmacht Europas würde dann, auch in einem Europa-Bund, zwangsläufig die Vormacht Europas werden. Dies zuzulassen sind selbst die Amerikaner nicht bereit.
Bleibt also die unangenehme Erkenntnis, daß die Deutschen ihre Aufrüstung nicht akzeptieren dürfen und daß die Amerikaner auch an der Elbe das Opfer bringen müssen, das die "Pax Americana" auf dem Erdball von ihnen fordert.
"Deutschlands Stellung und Aufgabe in der Welt". Außenpolitische Grundsatz rede Adenauers auf dem 1. Bundesparteitag der CDU in Goslar, 20. Oktober 1950.
Über Deutschlands Stellung und Aufgabe in der Welt zu sprechen, wäre noch vor einem Jahr nicht möglich gewesen, vor zwei Jahren hätte man ein derartiges Unterfangen als unbegreiflich empfunden. Ich glaube, daß man in diesen vielleicht das Schicksal Europas entscheidenden Monaten um Europas willen darüber sprechen muß.
Man ist es dem deutschen Volke und der Welt schuldig, darüber zu sprechen. Noch drücken uns zwar schwere soziale Sorgen - Wohnungsnot, Lastenausgleich, Kriegsopferversorgung - noch sind wir weder politisch noch wirtschaftlich frei, wenngleich wir auf dem Wege zur Freiheit sind, noch sind die beiden Teile Deutschlands durch den eisernen Vorhang getrennt, aber unser Aufbau, unsere innere Konsolidierung, hat doch schon solche Fortschritte gemacht, daß das deutsche Volk in allen seinen Schichten wieder beginnt, sich Gedanken über seine Zukunft zu machen. Das deutsche Volk, das schwer gelitten hat, das schwer arbeitet, fragt sich mit Recht, ob sich seine Arbeit, seine Mühen einmal in einer besseren Zukunft lohnen werden. Es fragt nach dem Zweck, nach der Bedeutung des ganzen Geschehens in Europa und der Welt ...
Es hat Sternstunden der Menschheit gegeben, aber auch Perioden tiefster Sorge und Not; Perioden, in denen die Zukunft in schwere Wolken gehüllt ist, in denen sich das Geschick der Menschheit für Generationen entscheidet, sei es zum Guten, sei es zum Bösen.
In einer solchen Zeit leben wir jetzt: in unserer Zeit wird es sich entscheiden, ob Freiheit, Menschenwürde, christlich-abendländisches Denken der Menschheit erhalten bleibt oder ob der Geist der Finsternis und der Sklaverei, ob der anti-christliche Geist für eine lange, lange Zeit seine Geißel über die hilflos am Boden liegende Menschheit schwingen wird.
... Wenn wir die politischen Verhältnisse des Jahres 1914 vergleichen mit dem heutigen Zustand, dann erkennen wir erst, was in der, geschichtlich betrachtet, so kurzen Zeitspanne von 36 Jahren sich ereignet hat. Wir nehmen wahr, welch ungeheuren Kräfte durch die beiden Kriege entfesselt worden sind und welch' neuer, noch unendlich größerer Katastrophe die Menschheit in reißender Schnelligkeit entgegentreibt, wenn nicht rechtzeitig, wenn nicht buchstäblich im letzten Augenblick, entscheidende Maßnahmen getroffen, feste Dämme gezogen werden ...
Und jetzt? Deutschland in zwei Teile gewaltsam zerrissen, politisch und wirtschaftlich schwer geschädigt, außenpolitisch ein Vakuum. Frankreich hat sich von den schweren Wunden, die es in den beiden Kriegen bekommen hat, bisher nicht erholen können. Das Gleiche gilt von Italien. England hat, obgleich es der Staatskunst seiner Lenker gelungen ist, in erheblichem Umfange die alten Empire-Verbindungen aufrecht zu erhalten, schwer in seinem wirtschaftlichen und politischen Einfluß gelitten und seine Weltgeltung zum Teil verloren.
Sowjet-Rußland fühlt sich nicht mehr als europäische, sondern als bolschewistische Macht. Sowjet-Rußland ist es gelungen, sich anzugliedern: die baltischen Staaten: Litauen, Lettland, Estland, das polnische Weißrußland, das ganze übrige Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, Rumänien, Bulgarien und fast die Hälfte Deutschlands in der Form der Sowjetzone ... Darüber hinaus hat Sowjet-Rußland in europäischen Ländern starke 5. Kolonnen errichtet und aufgebaut, kommunistische Parteien gegründet und finanziert. Es ist so in der Lage, auf die politischen Geschicke anderer europäischer Länder ohne kriegerische Maßnahmen unter Umständen einen entscheidenden Einfluß in seinem Sinne auszuüben. Es hat planmäßig und zielbewußt alle Kampfmittel des Kalten Krieges vorbereitet. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben sich seit 1914 zu einer Weltmacht allerersten Ranges entwickelt. Man kann, ohne zu übertreiben, sagen, daß seit der Zeit des Römischen Reiches unter Kaiser Augustus kein Land jemals eine solche Macht in Händen gehabt hat, wie sie jetzt die Vereinigten Staaten besitzen. Es ist die stärkste Militärmacht die stärkste wirtschaftliche Macht der Erde. Es ist ein großes Glück für die Menschheit, daß das amerikanische Volk freiheitsliebend, fortschrittlich und entschlossen ist. Es hat überraschend schnell die Rolle, die ihm nunmehr in der Geschichte der Menschheit zugefallen ist, begriffen, es hat klar erkannt, welche Verantwortung ihm seine Macht und sein Reichtum gegenüber der gesamten Menschheit auferlegt ...
Die beiden Super-Mächte, USA und Sowjet-Rußland, sind ideologisch völlig verschiedener Struktur. In Sowjet-Rußland: Vermassung und Beherrschung der Massen, rücksichtslose Ausbeutung durch eine kleine Oberschicht in der Form eines totalitären Staates, Sklaverei, Konzentrationslager, Verfolgung des Christentums. In den Vereinigten Staaten: Freiheit, Würde und Schutz der Einzelperson, Schutz auch der Person gegenüber einer Staatsallmacht. Der Gegensatz zwischen den beiden SuperMächten ist so groß, daß er schon an sich geeignet ist, Spannungen hervorzurufen.
Die aus der ideologischen Verschiedenheit herauswachsenden Spannungen werden gesteigert durch das Verhalten Sowjet-Rußlands seit 1945 ...
Wo in der Welt jetzt schon kriegerische Unruhen bestehen, in Korea in Indochina, hat Sowjet - Rußland seine Hand im Spiel ...
Die Entschlossenheit des amerikanischen Präsidenten Truman mit der er sofort nach dem Ausbruch der Feindseligkeit in Korea eingegriffen hat, die Energie, die die amerikanische Waffe im Verein mit den anderen UNO-Ländern gezeigt hat, die klare und unzweideutige Sprache, die Präsident Truman auf seiner in den letzten Tagen gehaltenen Rede in San Francisco gesprochen hat, eine Sprache, die Sowjet-Rußland deutlich macht, welch' Wagnis es läuft, wenn es nicht endlich Frieden gibt, sichern Präsident Truman einen hervorragenden Platz in der Geschichte nicht nur seines Landes, sondern in der Geschichte der Welt ...
Es werden sowohl bei uns wie auch im Auslande Stimmen laut, die befürchten, daß die Stellung eines deutschen Kontingentes in einer amerikanisch-europäischen Armee ein Wiederaufkommen militaristischen Denkens bei uns zur Folge haben werden. Darauf erwidere ich folgendes: Die 90 Bundesregierung, der Bundestag und ich persönlich werden uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, daß das militaristische Denken, das seine schärfste Ausprägung in der nationalsozialistischen Zeit gefunden hat, unter keinen Umständen wiederkommt ...
Von den Beschlüssen der New Yorker Außenministerkonferenz ist für die Stellung Deutschlands in der Welt besonders bedeutsam die völkerrechtliche Anerkennung der Bundesrepublik Deutschland als Vertretern des deutschen Volkes. Wir haben uns schon bei der Schaffung des Grundgesetzes als die berufenen Vertreter auch derjenigen Deutschen betrachtet, die der Bundesrepublik Deutschland noch nicht angehören können. Wir werden das mit wenn möglich noch größerer Energie und Entschlossenheit tun. Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist unser großes Ziel, das wir niemals aus dem Auge lassen und das wir - davon bin ich fest überzeugt - auch erreichen werden. Unseren deutschen Brüdern und Schwestern in der Ostzone rufe ich hier von Goslar aus zu: Harret aus und hofft auf uns. Wir werden wieder zusammenkommen. Nichts kann uns abhalten, dieses Ziel zu verfolgen ...
Es ist notwendig, daß das deutsche Volk weiß, daß es mit diesem Weltgeschehen noch eine Aufgabe zu erfüllen hat. In unserer Zeit wird es sich entscheiden, ob Freiheit, Menschenwürde, christlich-abendländisches Denken der Menschheit erhalten bleiben oder ob der Geist der Finsternis und der Sklaverei für eine lange Zeit seine Geißel über die hilflos am Boden liegende Menschheit schwingen wird. Deutschlands Aufgabe ist es, einen Frieden in Freiheit zu sichern.
Westintegration versus Wiedervereinigung. Aus einer Rede des SPD-Abgeordneten Dr. Luetkens im Deutschen Bundestag, 16. Oktober 1951.
Nun stellt sich heraus, daß die von Bonn auf den Weg gebrachten Pläne zu Konsequenzen führen, welche mit dem Hauptziel politischer Strategie nicht in Einklang zu bringen sind, das uns allen gemeinsam sein sollte. So hat der Bundestag kürzlich beschlossen: Die vordringlichste politische Forderung des deutschen Volkes und seiner frei gewählten Vertretung, des Deutschen Bundestages, ist es, die Einheit Deutschlands Freiheit mit friedlichen Mitteln wiederherzustellen.
Die Politik meiner Fraktion ist immer davon ausgegangen, daß die Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht nur für die Existenz unseres Volkes geboten sei, sondern auch die Voraussetzung bleibt für die erfolgreiche Integrierung eines freien Europas. In dieser Erkenntnis haben wir immer bei allen politischen Überlegungen Priorität für die Wiedervereinigung gefordert und uns solchen Plänen widersetzt, welche die Erreichung dieses Ziels gefährden könnten.
Wir haben die enge Zusammenarbeit mit den westlichen Völkern Europas immer begrüßt. Aber gerade auch im Interesse dieser anderen Völker und Europas haben wir uns widersetzt, wenn die Integration nach Westen über den Punkt hinausgetrieben werden sollte, wo sie automatisch die Wiedervereinigung mit der sowjetischen Besatzungszone gefährden muß.
Die Politik, die die Regierung zwei Jahre lang verfolgt hat, hat in diese Sackgasse geführt.
Alle Verträge, die der Herr Bundeskanzler abzuschließen plant, werden Barrieren aufrichten, die die deutsche Wiedervereinigung hemmen, er schweren, wenn nicht noch schwerere Wirkungen und Konsequenzen für die Wiedervereinigung haben.
Es ist notwendig, daß die westlichen Mächte überzeugt werden, daß sie um Europas willen, um der ganzen weltpolitischen Lage willen, einen anderen Weg beschreiten als den bisherigen, auf den sie auch durch die Initiative des Herrn Bundeskanzlers vom 29. August 1950 gelenkt worden sind.
Die Frage ist nicht, ob die Einheit Deutschlands das höchste Ziel der Politik und Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler, ist, sondern die Frage ist, ob Sie um dieses Zieles willen fähig sind, Verzicht zu leisten auf das, was Sie bisher angestrebt haben, nämlich eine Form der westlichen Integration, welche die Integration Deutschlands zu blockieren droht. Das ist Ihr Dilemma und das ist nunmehr unser aller Dilemma.
Die westeuropäische Integration erhielt durch den Vorschlag des französischen Außenministers Robert Schuman vom 9. Mai 1950, die deutsche und französische Kohle- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Hohe Behörde zu stellen, einen entscheidenden Impuls. Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion) wurde am 18.4.1951 von Frankreich, der Bundesrepublik, Italien und den BeneluxStaaten unterzeichnet.
Ablehnung des Schuman-Plans. Aus einer Rede des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher auf der Konferenz der Sozialen Arbeitsgemeinschaften der SPD in Gelsenkirchen, 24. Mai 1951.
Der Schuman-Plan ist, da er nur sechs Länder umfaßt, nicht ein europäischer Plan, sondern ein regionaler Spezialpakt innerhalb Europas. Er umfaßt die Länder eines gewissen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Typs. Dieser Typ ist konservativ und klerikal, er ist kapitalistisch und kartellistisch. Er ist bei der großen Auseinandersetzung der Prinzipien restaurativ und liegt nicht im Sinne der modernen Arbeiterbewegung. Er birgt, weil er nur eine bestimmte Gruppe von bestimmter Prägung umfaßt, mehr noch die Gefahr der Absonderung dieser Gruppe von den anderen europäischen Faktoren in sich als die Chance des Auswachsens zu einem Ganzen der Demokratie in Europa. . .
Es kommt noch ein anderer Faktor hinzu ... Dieser andere ist die große Hypothek der Unterschiede in den wirtschaftlichen Voraussetzungen der einzelnen Länder. Ich meine hier nicht nur die Verschiedenheiten in Löhnen, Steuern und Sozialgesetzen, die sich auch in den Produktionskosten auswirken. Ich denke an die machtpolitischen, von den Besatzungsmächten zum Zwecke der Begünstigung der einen und der Benachteiligung der anderen geschaffenen Tatsachen ...
Angesichts der Tatsache, daß mit Hilfe der amerikanischen ERP-Mittel speziell die Stahlindustrie der Nationalwirtschaften in Frankreich, in den Benelux-Ländern und in Italien übermäßig ausgebaut worden ist, bedeutet dieses Verhältnis von Kohle und Stahl eine Hypothek auf die zukünftige deutsche Produktion. Mit dem Schuman-Plan wird eine Marktordnung geschaffen, die Frankreich und den anderen Ländern die Konkurrenz der deutschen Stahlindustrie vom Halse schafft, aber den Zugriff auf die deutsche Kohle aus bevorzugter Position heraus ermöglicht. . .
Im Rat der Außenminister stellt die deutsche Bundesrepublik von sechs Vertretern einen. Das sind 16 Prozent. In der "Hohen Behörde" stellen wir zwei von neun Vertretern, das sind 22 Prozent. In der gemeinsamen Versammlung sollen wir 18 von 78 Delegierten, gleich 23 Prozent, haben. Das vergleiche man mit den 45 Prozent, die wir im Produktions- und Umsatzwert stellen ...
Die Zusammenfassung der "Hohen Behörde" ist nicht nur nationalpolitisch zu sehen, sie hat auch eine klassenpolitische Bedeutung. Acht Kapitalmanager sollen einem Gewerkschaftler gegenüberstehen. Das ist das "paritätische Mitbestimmungsrecht" für Kohle und Eisen im europäischen Rahmen. Ich meinte, die deutsche Mitbestimmung in diesen Wirtschaftszweigen erleidet aus dieser internationalen Organisationsform eine sehr starke Einbuße. Es gibt im Plan nicht nur privilegierte Völker, es gibt auch privilegierte Klassen. Aber die Schlacht um das Mitbestimmungsrecht der arbeitenden Menschen in Deutschland ist noch lange nicht geschlagen ...
Um den Weg nach Europa freizuhalten, müssen wir den Schuman-Plan ablehnen. Wir lehnen ihn ab aus der Gesinnung der internationalen Sozialisten. Wir lehnen ihn ab aus den Notwendigkeiten der Arbeiterbewegung. Wir lehnen ihn ab aus den Gründen der Selbstbehauptung des deutschen Volkes. Wir lehnen ihn gleicherweise ab als internationale Sozialisten wie als deutsche Patrioten. Wir lehnen ihn ab als Europäer! Wir wollen die Zusammenarbeit der Freien und Gleichen!
Die Bedeutung der Montanunion. Aus einer Rede Adenauers vor dem Deutschen Bundestag zur Begründung des Gesetzentwurfes betreffend den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 12. Juli 1951.
Das Gesetz, das Ihnen zur Beratung und zur Beschlußfassung vorgelegt wird, Ist sehr kurz; aber seine Bedeutung ist außerordentlich groß. Ich glaube, ich kann ohne zu übertreiben sagen, daß sich der Bundestag bisher noch mit keinem Gesetzentwurf hat beschäftigen können, der an Bedeutung diesen Gesetzentwurf übertrifft...
So sehr ich auch die wirtschaftliche Bedeutung bejahe, so sehr ich es als gut empfinde, daß für Kohle, Eisen und Stahl in einem Gebiete, das von 167 Millionen Menschen bewohnt wird, ein freier Markt geschaffen wird, so sehr ich es begrüße, daß auf dem Gebiete, das die Montanunion in sich schließt, die Zollschranken fallen, so sehr ich der Auffassung bin, daß dadurch ein wirtschaftlicher Impuls allerersten Ranges und von größter Kraft ausgehen wird - über alles dies scheint mir die politische Bedeutung noch unendlich viel größer zu sein ...
Als im Mai des Jahres 1950 Herr Schuman diesen Vorschlag machte, ging es ihm in erster Linie darum, die althergebrachten Gegensätze zwischen 15 Frankreich und Deutschland dadurch aus der Welt zu schaffen, daß auf dem Gebiete der Grundstoffindustrien gemeinsam gearbeitet und daß dadurch jeder Gedanke, einer wolle gegen den anderen rüsten, unmöglich würde. Es handelte sich auch darum, psychologisch zu wirken. Wir müssen uns darüber klar sein, daß französische Bevölkerungskreise vielfach noch immer in dem Gedanken leben, daß Deutschland ein eventueller zukünftiger Gegner sein würde. Die psychologische Bedeutung, die Frage der Beruhigung solcher Befürchtungen im eigenen Lande und die Erweckung des Gefühls der Zusammengehörigkeit zwischen Deutschland und Frankreich waren die politischen Gründe, die Herrn Schuman damals geleitet haben. Aber wie bei wirklich konstruktiven Gedanken hat sich im Laufe der Entwicklung gezeigt, daß in diesem Vorschlag eine solche lebendige Kraft lag, daß man über den ursprünglichen Zweck jetzt schon weit hinausgekommen ist. Man hat seit dem Mai 1950 erkannt, daß die Integration Europas für alle europäischen Länder eine absolute Notwendigkeit ist, wenn sie überhaupt am Leben bleiben wollen.
Man hat weiter erkannt, daß man die Integration Europas nicht mit Reden, mit Erklärungen herbeiführen kann, sondern daß man sie nur herbeiführen kann durch gemeinsame Interessen und durch gemeinsames Handeln.
Darin liegt die ganz große Bedeutung dieses Vertrages. Dieser Vertrag nötigt die europäischen Länder, die ihm angehören, zusammen zu handeln.
Etwas weiteres hat sich im Laufe der Verhandlungen ergeben. Ich glaube, daß wohl zum ersten Mal in der Geschichte, sicher der Geschichte der 40 letzten Jahrhunderte, Länder freiwillig und ohne Zwang auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten wollen, um die Souveränität einem supranationalen Gebilde zu übertragen.
Das ist - ich betone das nachdrücklich -, wie mir scheint, ein Vorgang von welthistorischer Bedeutung, ein Vorgang, der das Ende des Nationalismus in all diesen Ländern bedeutet.
Ich bin der festen Überzeugung, daß, wenn dieser Anfang einmal gemacht worden ist, wenn hier sechs europäische Länder, wie ich nochmals betone: freiwillig und ohne Zwang einen Teil ihrer Souveränität auf ein übergeordnetes Organ übertragen, man dann auch auf anderen Gebieten diesem Vorgang folgen wird und daß damit wirklich der Nationalismus, der Krebsschaden Europas, einen tödlichen Stoß bekommen wird.
3. Verpasste Chance? Die Stalin-Note vom 10.3.1952
Die Kontroverse über das sowjetische Wiedervereinigungsangebot aus dem Jahre 1952 und die damals möglicherweise vertanen Chancen zur Wiederherstellung der nationalstaatlichen Einheit Deutschlands hat in den letzten Jahren nach der Öffnung insbesondere der amerikanischen und britischen Archive neue Nahrung bekommen. Aus den Akten wird deutlich, daß in den Jahren zwischen 1945 und 1955 auf westlicher Seite durchaus ernsthaft Alternativen zur Westintegration der Bundesrepublik diskutiert und eine "Neutralisierung" Gesamtdeutschlands auch nach der Gründung der Bundesrepublik in britischen und amerikanischen Regierungskreisen zumindest zeitweilig ernsthaft in Erwägung gezogen worden ist.1 Auf der Grundlage unseres gegenwärtigen Kenntnisstandes sind folgende Schlußfolgerungen möglich: 1) Die Seriosität des sowjetischen Angebots vom März 1952 wird in der Forschung kaum mehr bezweifelt. Auch die westlichen Regierungen nahmen die Offerte Stalins sehr ernst und sahen darin mehr als einen nur taktisch angelegten Schachzug. 2) Der Entscheidungsprozeß, der zur dauerhaften Ausbildung der deutschen Teilung führte, darf nicht nur aus der Perspektive des Kalten Krieges und des Ost-West-Konfliktes interpretiert werden. Aus französischer und britischer Sicht spielte die Frage des europäischen Gleichgewichts und die Furcht vor einem zu starken Gesamtdeutschland in Mitteleuropa eine mindestens genauso entscheidende Rolle. 3) Neue Dokumente belegen schließlich immer deutlicher, daß Adenauer die Wiedervereinigung nicht ernsthaft gewollt hat, vor allem auch deshalb, weil sein Vertrauen in die politische Reife der Deutschen begrenzt war. Kennzeichnend für den sich gegenwärtig abzeichnenden Trend in der Adenauer-Forschung ist das Urteil des Historikers Arnulf Baring:
"Adenauer hat die eigenen Leute hinters Licht geführt, wenn er behauptete, die Wiedervereinigung sei das oberste Ziel seiner Politik ... Aber gerade das war Adenauers Größe, daß er als erster begriff, daß es keine Chance für eine Wiedervereinigung in Freiheit gab und eine Neutralisierung eines wiedervereinigten Deutschlands den politischen Selbstmord bedeuten würde." 2
1. Andreas Hillgruber, Alliierte Pläne für eine .. Neutralisierung" Deutschlands 1945 bis 1955, Opladen 1987.
2. Zit. nach Joset Foschepoth (Hg.), Adenauer und die Deutsche Frage, Göltingen 1988, S. 15 f.
3.1. Das sowjetische Wiedervereinigungsangebot 1952
Die Stalin-Note: Note der Regierung der Sowjetunion an die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten; 10. März 1952.
Entwurf für einen Friedensvertrag mit Deutschland
Seit Beendigung des Krieges mit Deutschland sind fast sieben Jahre vergangen. Jedoch hat Deutschland immer noch keinen Friedensvertrag. Es ist gespalten und befindet sich gegenüber anderen Staaten in einer nicht gleichberechtigten Situation. Diesem unnormalen Zustand muß ein Ende gemacht werden. Das entspricht dem Willen aller friedliebender Völker. Ohne den schnellsten Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland kann eine gerechte Behandlung der rechtmäßigen nationalen Interessen des deutschen Volkes nicht gewährleistet werden ...
Der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland wird für das deutsche Volk die Bedingungen eines dauerhaften Friedens herbeiführen, die Entwicklung Deutschlands als eines einheitlichen, unabhängigen, demokratischen und friedliebenden Staates in Übereinstimmung mit den Potsdamer Beschlüssen fördern und dem deutschen Volk die Möglichkeit einer friedlichen Zusammenarbeit mit anderen Völkern sichern.
Davon ausgehend, haben die Regierungen der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs beschlossen, unverzüglich mit der Ausarbeitung eines Friedensvertrages mit Deutschland zu beginnen.
Die Regierungen der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs sind der Meinung, daß die Vorbereitung eines Friedensvertrages unter Beteiligung Deutschlands, vertreten durch eine gesamtdeutsche Regierung, erfolgen muß, und daß der Friedensvertrag mit Deutschland auf folgender Grundlage aufgebaut sein muß:
Grundlagen des Friedensvertrags mit Deutschland
Die Teilnehmer
Großbritannien, die Sowjetunion, die USA, Frankreich, Polen, die Tschechoslowakei, Belgien, Holland und die anderen Staaten, die sich mit ihren Streitkräften am Krieg gegen Deutschland beteiligt haben.
Politische Leitsätze
1. Deutschland wird als einheitlicher Staat wiederhergestellt. Damit wird der Spaltung Deutschlands ein Ende gemacht, und das geeinte Deutschland gewinnt die Möglichkeit, sich als unabhängiger, demokratischer, friedliebender Staat zu entwickeln.
2. Sämtliche Streitkräfte der Besatzungsmächte müssen spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Friedensvertrages aus Deutschland abgezogen werden. Gleichzeitig werden sämtliche ausländische Militärstützpunkte auf dem Territorium Deutschlands liquidiert.
3. Dem deutschen Volke müssen die demokratischen Rechte gewährleistet sein, damit alle unter deutscher Rechtsprechung stehenden Personen ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion die Menschenrechte und die Grundfreiheiten genießen, einschließlich der Redefreiheit, der Pressefreiheit, des Rechts der freien Religionsausübung, der Freiheit der politischen Überzeugung und der Versammlungsfreiheit.
4. In Deutschland muß den demokratischen Parteien und Organisationen freie Betätigung gewährleistet sein; sie müssen das Recht haben, über ihre inneren Angelegenheiten frei zu entscheiden, Tagungen und Versammlungen abzuhalten, Presse- und Publikationsfreiheit zu genießen.
5. Auf dem Territorium Deutschland dürfen Organisationen, die der Demokratie und der Sache der Erhaltung des Friedens feindlich sind, nicht bestehen.
6. Allen ehemaligen Angehörigen der deutschen Armee, einschließlich der Offiziere und Generale, allen ehemaligen Nazis, mit Ausnahme derer, die nach Gerichtsurteil eine Strafe für von ihnen begangene Verbrechen verbüßen, müssen die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie allen anderen deutschen Bürgern gewährt werden zur Teilnahme am Aufbau eines friedliebenden, demokratischen Deutschland.
7. Deutschland verpflichtet sich, keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen irgendeinen Staat richten, der mit seinen Streitkräften am Krieg gegen Deutschland teilgenommen hat.
Das Territorium
Das Territorium Deutschlands ist durch die Grenzen bestimmt, die durch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der Großmächte festgelegt wurden.
Wirtschaftliche Leitsätze
Deutschland werden für die Entwicklung seiner Friedenswirtschaft, die der Hebung des Wohlstandes des deutschen Volkes dienen soll, keinerlei Beschränkungen auferlegt.
Deutschland werden auch keinerlei Beschränkungen in bezug auf den Handel mit anderen Ländern, die Seeschiffahrt und den Zutritt zu den Weltmärkten auferlegt.
Militärische Leitsätze
1. Es wird Deutschland gestattet sein, eigene nationale Streitkräfte (Land-, Luft- und Seestreitkräfte) zu besitzen, die für die Verteidigung des Landes notwendig sind. '
2. Deutschland wird die Erzeugung von Kriegsmaterial und -ausrüstung gestattet werden, deren Menge oder Typen nicht über die Grenzen dessen hinausgehen dürfen, was für die Streitkräfte erforderlich ist, die für Deutschland durch den Friedensvertrag festgesetzt sind.
Deutschland und die Organisation der Vereinten Nationen
Die Staaten, die den Friedensvertrag mit Deutschland abgeschlossen haben, werden das Ersuchen Deutschlands um Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen unterstützen.
Stalins jähe Wendung. Leitartikel von Paul Sethe, dem Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, am 12. März 1952.
Der erste Eindruck bei der Lektüre der sowjetischen Dokumente, in denen der neueste diplomatische Vorstoß aus dem Kreml erläutert wird, ist der des Gespenstischen. Dies also ist möglich? Ist es wirklich noch nicht acht Jahre her, daß das Reich völlig zu Boden geworfen wurde, daß seine Soldaten verfemt und daß sich alle mächtigen Staaten der Welt darin einig waren, niemals, niemals wieder dürfe eine deutsche Wehrmacht auferstehen? Mit einer wahrhaft rasenden Eile scheint die Zeit darüber hinwegzuschreiten. Schon seit Jahren erleben wir, daß die Mächte des Westens die Deutschen auffordern, eben die Waffen wieder zu tragen, die ihnen für immer aus der Hand geschlagen sein sollten. Und gestern nun sahen wir, wie das mächtige russische Reich, das eben noch der erbittertste Gegner der deutschen Wiederbewaffnung gewesen war, den großzügigsten Vorschlag zu einer Friedensregelung mit Deutschland zu machen schien: ein ungeteilter Staat, Freiheit für alle, deutsche Souveränität, ungehemmte Entwicklung der deutschen Wirtschaft, gleiches Recht für Berufssoldaten und frühere Nationalsozialisten, und als Überraschendstes: eine eigene deutsche Wehrmacht mit einer eigenen deutschen Waffenproduktion. Die Welt hat in den letzten Jahrzehnten mehr als eine plötzliche Wendung der sowjetischen Politik kennengelernt; keine doch war so jäh wie diese …
Die Einheit
Die Ursache des diplomatischen Vorgehens der Moskauer Regierung liegt in ihrer Besorgnis davor, Deutschland könne politisch und militärisch in das System des Westens einverleibt werden. Dies zu verhindern, hat sie seit anderthalb Jahren einiges getan und noch mehr versprochen. In dieser Beziehung ist ihr Schritt von gestern nur eine Fortsetzung der Politik, die in den Briefen des Ministerpräsidenten Grotewohl zum Ausdruck kam. Sie wiederholen jetzt das Zugeständnis, das sie schon mehr als einmal haben machen lassen: die Herstellung der deutschen Einheit. Aber wieder finden sich über die Voraussetzung dieser Einheit nur höchst unklare Andeutungen in ihren Dokumenten. Gerade dieser Punkt bedürfte aber noch der genauesten Klärung. Die Sowjetunion müßte wissen, daß sie dem Verdacht ausgesetzt ist, den gesamtdeutschen Staat nur schaffen zu wollen, um Gesamtdeutschland zu bolschewisieren. Sie müßte wissen, daß uns dieser Preis zu hoch ist. Eben deshalb müßte sie auch, wenn sie es aufrichtig meint, endlich klarlegen, daß sie die Voraussetzungen für freie Wahlen schaffen will.
Man sollte auf der anderen Seite doch wohl aufhören, von den Sowjets die Zulassung der Kommission der Vereinten Nationen zu fordern, die prüfen soll, ob jetzt schon die Voraussetzungen für freie Wahlen gegeben sind. Alle Welt weiß, daß in Mitteldeutschland der Terror herrscht; gerade deshalb haben die Sowjets die Zulassung der Kommission abgelehnt. Gewiß ist eine internationale Kontrolle nötig, aber es genügt, wenn diese die Voraussetzungen für die Zukunft schafft. Das sollte man den Russen vorschlagen; wenn sie dies ablehnen, ist alles geklärt ...
Verhandeln!
Im ganzen ist es zu einem abschließenden Urteil wohl noch zu früh. Die Schriftstücke sind wichtig genug, daß sie sorgfältig geprüft werden müssen. Es gibt viele Bedenken, das wurde hier eben noch gesagt. Aber man darf seine Einwände nicht äußern, ohne gleich hinzuzufügen, daß man sich mit ihnen nicht begnügen darf. Eine einfache Ablehnung würde bei uns niemand verstehen. Mißtrauen gegenüber den Sowjets ist immer sehr naheliegend. Aber angesichts dessen, was auf dem Spiele steht, möchte man wünschen, die Diplomatie der Westmächte würde die Gelegenheit stärker als in den letzten Jahren benutzen, um in genauen Verhandlungen zu prüfen, welchen Wert eigentlich die russischen Vorschläge haben. Es ist möglich, daß die russischen Vorschläge wieder nur ein diplomatisches Scheingefecht bedeuten. Aber die Wahrheit wirklich mit äußerster Klarheit festzustellen, ist ohne eine gewisse diplomatische Aktivität auch der Westmächte kaum möglich. An ihre politische Phantasie und ihre Verhandlungskunst werden jetzt hohe Anforderungen gestellt. Kaum nötig zu sagen, daß dies auch für die Bundesrepublik gilt.
Im amerikanischen State Department wurden nach dem Eingang der StalinNote Überlegungen angestellt, ob ein substantielles Eingehen auf die sowjetischen Vorschläge nicht auch von Vorteil für die weltpolitischen Interessen der USA sein könnte. In einem Memorandum des Politischen Planungsstabes vom 14. 3. 1952 war sogar bereits der Termin für gesamtdeutsche Wahlen genannt, nämlich Sonntag, den 16. November 1952.1 Der Politische Planungsstab und sein Leiter, Paul H. Nitze, konnten sich mit ihrer Auffassung einer "offensiven" Beantwortung der sowjetischen Initiative gegenüber Außenminister Acheson und der offiziellen Linie der amerikanischen Außenpolitik jedoch nicht in dem notwendigen Umfange durchsetzen. Aufgrund der inneramerikanischen Meinungsverschiedenheiten kam der Haltung Frankreichs, Großbritanniens und auch der Bundesrepublik indes eine besondere Bedeutung zu.
1 Reinhard Neebe, Wahlen als Test. Eine gescheiterte Initiative des Politischen Planungsstabes im State Department zur Stalin-Note vom 10.März 1952, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1/1989, S. 139-162.
Die französische Haltung zur Stalin-Note mit einem Kommentar des britischen Außenministers Sir Anthony Eden. Aufzeichnung des stellvertretenden Unterstaatssekretärs im Londoner Foreign Office, Frank Roberts, über ein Gespräch mit dem französischen Gesandten de Crouy-Chanel, 14. Marz 1952.
Der französische Gesandte versicherte mir die französische Zustimmung zu unseren Vorschlägen ... Er trug mir die wichtigsten Passagen aus einem langen Telegramm vor, das er gerade aus Paris erhalten hatte. Vielleicht der wichtigste Punkt, der vom Quai d'Orsay [Sitz des französischen Außenministeriums in Paris] angeführt wurde, war, daß wir sehr vorsichtig sein müßten, damit wir nicht in eine Position gerieten, in der freie Wahlen stattfinden, eine neutralisierte deutsche Regierung (Vielleicht eine Schumacher-Regierung) in Berlin etabliert und danach weitere Fortschritte in Richtung auf einen Friedensvertrag gemacht würden, wie in Österreich. Dies würde bedeuten, daß wir alle Vorteile der EVG, der Westlichen Integration etc. verloren hätten. Dagegen käme ein geeinigtes Deutschland zunehmend unter sowjetischen Druck und Einfluß. Während Wir uns in unserer Antwort unter dem Blickwinkel der Öffentlichen Meinung in Deutschland selbstverständlich auf freie Wahlen und die Einheit konzentrieren müßten, sollten wir ganz klar in unserer eigenen Absicht sein, ein geeintes Deutschland nicht zu akzeptieren, selbst bei wirklichen freien Wahlen, bevor wir nicht wüßten, daß auch ein für uns zufriedenstellender Friedensvertrag in kurzem abgeschlossen werden könnte ...
In dem Telegramm des Quai d'Orsay wurden dann die folgenden Punkte aus der Sowjet-Note kommentiert:
(1) Saar. Die sowjetischen Vorschläge bedeuteten, daß Polen die OderNeiße-Grenze haben, Frankreich aber die Saar verlieren würde.
(2) Neutralisierungsklausel. Dies würde natürlich die vollständige Preisgabe der EVG und unserer gesamten gegenwärtigen Europa-Politik bedeuten.
(3) Militärische Klauseln. Als neues Element ist eingebracht worden daß nicht nur die Truppen abgezogen, sondern auch die Stützpunkte aufgelöst werden müssen. Der wirklich entscheidende Punkt sowohl hinsichtlich der militärischen Klauseln als auch der Neutralisierungsbestimmung sei, daß hier überhaupt keine Regelung für irgendeine Kontrolle enthalten sei.
(4) Wirtschaftliche Klauseln. Diese seien möglicherweise sogar noch gefährlicher, da Deutschland völlig frei im Handel mit dem Osten wäre während andere westeuropäische Länder bedeutende Einschränkungen Ihrer Handelsbeziehungen mit der Kommunistischen Welt akzeptiert hätten. Deutschland könnte sehr rasch zu einer gefährlicheren wirtschaftlichen Größe als je zuvor heranwachsen, indem es in einem immensen Umfange Handel mit seinem natürlichen "Hinterland" in Osteuropa und auch in Rußland und China betreibe. Darüber hinaus könnte Deutschland in keiner Weise gehindert werden, eine ausgedehnte Rüstungsindustrie zur Versorgung der Truppen der Sowjetunion und ihrer Satelliten aufzubauen selbst wenn die Rüstungsproduktion zur Ausrüstung seiner eigenen Arme~ auf einem relativ niedrigen Niveau gehalten werden könnte.
* Mit anderen Worten, der Quai d'Orsay fürchtet, daß die sowjetischen Vorschläge im Endergebnis ein reiches und wirtschaftliches starkes Deutschland schaffen würden, das jedoch militärisch von der Sowjetunion dominiert würde und aus den genannten Gründen auch unter sowjetischer wirtschaftlicher Vorherrschaft stände. Insgesamt hat der Quai d'Orsay seine ursprüngliche Sicht modifiziert und denkt jetzt, daß die sowjetischen Vorschläge sehr viel mehr als ein taktischer Zug seien, nämlich ein ernsthafter, aber sehr gefährlicher Versuch, die Deutsche Frage zu lösen.
Frank K. Roberts, 14. März 1952
• Handschriftlicher Zusatz von Außenminister Eden zu dem letzten Absatz der Aufzeichnung: .. „Das ist immer meine Meinung gewesen, d. h. daß die Sowjets in diesen Vorschlägen ernsthaft sind, weil sie ihnen, obschon eine Gefahr darin liegt. lnsgesamt gut passen würden.“
Erste öffentliche Stellungnahme Adenauers zur Stalin-Note vor dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU in Siegen am 16. März 1952.
"Seien wir uns darüber klar, daß dort (im Osten) der Feind des Christentums sitzt. Hier handelt es sich nicht nur um politische, sondern auch um geistige Gefahren ... Es gibt drei Möglichkeiten für Deutschland: den Anschluß an den Westen, Anschluß an den Osten und Neutralisierung. Die Neutralisierung aber bedeutet für uns die Erklärung zum Niemandsland. Damit würden wir zum Objekt und wären kein Subjekt mehr. Ein Zusammenschluß mit dem Osten aber kommt für uns wegen der völligen Verschiedenheit der Weltanschauungen nicht in Frage. Ein Zusammenschluß mit dem Westen bedeutet - und das möchte ich nach dem Osten sagen - in keiner Weise ein(en) Druck gegen den Osten, sondern er bedeutet nichts anderes als die Vorbereitung einer friedlichen Neuordnung des Verhältnisses zur Sowjetunion, zur Wiedervereinigung Deutschlands und zur Neuordnung in Osteuropa. Und das sind auch die Ziele unserer Politik." Direkt auf die Stalin-Note eingehend, meinte er: "Im Grunde genommen bringt sie wenig Neues. Abgesehen von einem starken nationalistischen Einschlag will sie die Neutralisierung Deutschlands, und sie will den Fortschritt in der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und in der Integration Europas verhindern." Gegen den sowjetischen Vorschlag nationaler gesamtdeutscher Streitkräfte wandte er ein, daß unter den gegebenen technologischen Bedingungen jede Möglichkeit fehle, sie mit modernen Waffen auszurüsten und zur Verteidigung Gesamtdeutschlands zu befähigen. "Es gehören ungeheure Summen dazu, auch nur einige Divisionen auszurüsten, an die wir gar nicht denken können, und deshalb ist dieser Teil der sowjetischen Note nichts weiter als Papier und sonst gar nichts! Aber die Note ist da, und sie muß beantwortet werden, und sie bedeutet wenn auch in viel geringerem Maße, als man das allgemein erlaubt: doch einen gewissen Fortschritt, und darum dürfen wir keine Möglichkeit außer acht lassen, zu einer friedlichen Verständigung zu kommen und eine Neuordnung in dem von mir beschriebenen Sinne zu bekommen. Aber auf der anderen Seite dürfen wir unter gar keinen Umständen zulassen, daß eine Verzögerung in der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Platz greift; denn eine solche Verzögerung würde wahrscheinlich auch das Ende dieser gemeinsamen Bestrebungen bedeuten... Wenn diese Dinge jetzt nicht zu Ende gebracht werden, dann sind sie nach meiner Auffassung ein für allemal vorbei, und darum wiederhole ich: Der allgemeine Standpunkt gegenüber dieser Note muß sein: Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß jede Möglichkeit, bald zu einer Neuordnung Osteuropas zu kommen, ausgenutzt werden muß. Wir dürfen aber ebensowenig ein Werk, wie es sich jetzt der Vollendung nähert, zum Stillstand bringen; denn dann würden die Dinge sehr schlimm werden." Ziel der Politik der Bundesregierung - so schloß Adenauer - müsse es sein: "Wir wollen, daß der Westen so stark wird, daß er mit der Sowjetregierung in ein vernünftiges Gespräch kommen kann, und ich bin fest davon überzeugt, daß diese letzte sowjetrussische Note ein Beweis hierfür ist. Wenn wir so fortfahren, wenn der Westen unter Einbeziehung der Vereinigten Staaten so stark ist, wie er stark sein muß, wenn er stärker ist als die Sowjetregierung, dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Sowjetregierung ihre Ohren öffnen wird. Das Ziel eines vernünftigen Gesprächs zwischen Westen und Osten aber wird sein: Sicherung des Friedens in Europa, Aufhören von unsinnigen Rüstungen, Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und eine Neuordnung im Osten. Dann endlich wird die Welt nach all den vergangenen Jahrzehnten das werden, was sie dringend braucht: ein langer und sicherer Frieden!"
Der deutsche Botschafter sagte mir gestern, daß er mir zu diesem Thema [Einheit Deutschlands] eine streng vertrauliche Mitteilung machen wollte. Ich würde mich daran erinnern, daß ich ihm bei meiner Rückkehr aus Genf erzählt hätte, daß wir [d.h. Großbritannien] in dieser Frage vielleicht flexibler als die Amerikaner sein sollten. Wir könnten zu einer Position kommen, in der wir erklärten, daß wir, unter der Voraussetzung einer Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage freier Wahlen und der Handlungsfreiheit für eine gesamtdeutsche Regierung in inneren lind äußeren Angelegenheiten, jeden einigermaßen vernünftigen Sicherheitsvertrag mit den Russen unterzeichnen sollten.
2. Der Botschafter sagte mir, daß er diese Möglichkeit sehr vertraulich mit dem Kanzler erörtert habe. Dr. Adenauer wollte mich [Kirkpatrick] wissen lassen, daß er eine solche Haltung mißbillige. Der entscheidende Grund sei, daß Dr. Adenauer kein Vertrauen in das deutsche Volk habe. Er sei äußerst besorgt, daß sich eine künftige deutsche Regierung, wenn er von der politischen Bühne abgetreten sei, zu Lasten Deutschlands mit Rußland verständigen könnte. Folglich sei er der Meinung, daß die Integration Westdeutschlands in den Westen wichtiger als die Wiedervereinigung Deutschlands sei. Wir [d. h. die Briten] sollten wissen, daß er in der ihm noch verbleibenden Zeit alle Energien darauf verwenden werde, dieses Ziel zu erreichen, und er hoffe, daß wir alles in unserer Macht Stehende tun würden, um ihn bei dieser Aufgabe zu unterstützen.
3. In der Unterredung unterstrich der Botschafter nachdrücklich, daß der 25 Kanzler Wert darauf lege, daß ich seine Meinung kennte. Aber es würde natürlich ganz katastrophale Folgen für seine politische Position haben, wenn seine Absichten, die er mir in solcher Offenheit dargestellt habe, Jemals in Deutschland bekannt würden.
I. Kirkpatrick
4. Pariser Verträge und Souveränität 1955
Der eindeutige Sieg der CDU bei der Bundestagswahl vom 6. September 1953 wurde vom Kanzler nicht zu Unrecht auch als ein Plebiszit für seinen Kurs in der Deutschlandpolitik gewertet. Gleichwohl war die große innenpolitische Auseinandersetzung zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet, weil die Regierung keine schlüssige Antwort geben konnte, wie denn der Widerspruch zwischen der Westintegration und dem Wiedervereinigungsgebot zu lösen sei. In der sog. Paulskirchenbewegung formierte sich noch einmal eine von breiten gesellschaftlichen Kräften getragene Opposition gegen den Abschluß der Blockbildung. Daß die militärische Einbindung der Bundesrepublik in den Westen im übrigen auch in Frankreich innenpolitisch keineswegs unumstritten war, zeigte Im August 1954 das Scheitern des EVG-Vertrags in der französischen Nationalversammlung (Abb. 7, S. 37). Die anschließende rasche Verständigung über den NATO-Beitritt der Bundesrepublik im Herbst 1954 und das Inkrafttreten der Pariser Verträge im Mai 1955 bezeugten andererseits die Entschlossenheit der westlichen Regierungen, die westeuropäischatlantische Integration der Bundesrepublik schnell und endgültig abzusichern.
Das "Deutsche Manifest" von 1955. In der Frankfurter Paulskirche fand am 29. 1. 1955 eine von über 1000 Teilnehmern besuchte Protestkundgebung gegen die Außenpolitik der Bundesrepublik statt. Die sog. Paulskirchenbewegung vereinte verschiedene Gruppen aus Kirchen, Gewerkschaften und der SPD. Das in Frankfurt verabschiedete "Deutsche Manifest" gegen die Ratifizierung der Pariser Verträge wurde u. a. von dem SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer, dem späteren Bundespräsidenten Dr. Gustav Heinemann, dem stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Georg Reuter, dem evangelischen Theologen Prof. Helmut Gollwitzer und dem Nationalökonomen Prof. Alfred Weber unterzeichnet.
Aus ernster Sorge um die Wiedervereinigung Deutschlands sind wir überzeugt, daß jetzt die Stunde gekommen ist, Volk und Regierung in feierlicher Form zu entschlossenem Widerstand gegen die sich immer stärker abzeichnenden Tendenzen einer endgültigen Zerreißung unseres Volkes aufzurufen.
Die Antwort auf die deutsche Schicksalsfrage der Gegenwart - ob unser Volk in Frieden und Freiheit wiedervereinigt werden kann oder ob es in dem unnatürlichen Zustand der staatlichen Aufspaltung und einer fortschreitenden menschlichen Entfremdung leben muß - hängt heute in erster Linie von der Entscheidung über die Pariser Verträge ab.
Die Aufstellung deutscher Streitkräfte in der Bundesrepublik und in der Sowjetzone muß die Chancen der Wiedervereinigung für unabsehbare Zeit auslöschen und die Spannung zwischen Ost und West verstärken. Eine solche Maßnahme würde die Gewissensnot großer Teile unseres Volkes unerträglich steigern. Das furchtbare Schicksal, daß sich die Geschwister einer Familie in verschiedenen Armeen mit der Waffe in der Hand gegenüberstehen, würde Wirklichkeit werden.
In dieser Stunde muß jede Stimme, die sich frei erheben darf, zu einem unüberhörbaren Warnruf vor dieser Entwicklung werden. Unermeßlich wäre die Verantwortung derer, die die große Gefahr nicht sehen, daß durch die Ratifizierung der Pariser Verträge die Tür zu Viermächteverhandlungen über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit zugeschlagen wird.
Wir appellieren an Bundestag und Bundesregierung, alle nur möglichen Anstrengungen zu machen, damit die vier Besatzungsmächte dem Willen unseres Volkes zur Einheit Rechnung tragen.
Die Verständigung über eine Viermächtevereinbarung zur Wiedervereinigung muß vor der militärischen Blockbildung den Vorrang haben.
Es können und müssen die Bedingungen gefunden werden, die für Deutschland und seine Nachbarn annehmbar sind, um durch Deutschlands Wiedervereinigung das friedliche Zusammenleben der Nationen Europas zu sichern.
Das deutsche Volk hat ein Recht auf seine Wiedervereinigung.
Im. Juni 1955, nach dem Inkrafttreten der Pariser Verträge, bot die Sowjetunion der Bundesregierung eine" Normalisierung der Beziehungen" an und lud Bundeskanzler Adenauer zu entsprechenden Verhandlungen nach Moskau ein. Adenauers Moskau-Reise im September 1955 und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion waren im übrigen nicht als Beginn einer eigenständigen "Ostpolitik" der inzwischen souverän gewordenen Bundesrepublik gedacht. Die Kontakte mit dem Ostblock blieben auf das Notwendigste beschränkt und sie waren den westdeutschen Interessen im Westen untergeordnet: Dies zeigte deutlich die im Anschluß an den Moskaubesuch des Kanzlers entwickelte "Hallstein-Doktrin". Die Doktrin formulierte den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik und sie kündigte den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu allen Staaten (außer der Sowjetunion) an, sofern sie die DDR anerkannten.
Das Ergebnis von Moskau. Aus der Erklärung des Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 1955
... Die Delegation der Bundesrepublik hat in den Gesprächen mit den Vertretern der Sowjetregierung mit großer Klarheit darauf hingewiesen, daß eine Normalisierung der Beziehungen unter keinen Umständen darin bestehen kann, daß man den anomalen Zustand der Teilung Deutschlands legalisiert. Es ist auch darauf hingewiesen worden, daß das Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen zwei Staaten nicht mit einem freundschaftlichen Vertragsverhältnis gleichzusetzen ist, unsere sowjetischen Verhandlungspartner selbst haben erklärt, daß sie diplomatische Beziehungen auch zu Staaten unterhielten, mit denen sie im übrigen erhebliche politische und ideologische Meinungsverschiedenheiten hätten.
Andererseits ist folgendes zu bedenken: Die Sowjetunion ist eine der vier Siegermächte, ohne deren Mitwirkung das vornehmste Anliegen unserer Politik, die Herstellung der Einheit unseres Landes, nicht verwirklicht werden kann. Das Fehlen von Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten, die sich daraus für uns ergebende Unmöglichkeit, unsere nationalen Anliegen auch selbst in Moskau zu vertreten, ist eine Anomalie. Würde man uns auch deshalb nicht mit Recht unklug genannt haben, wenn wir das von der Sowjetregierung gemachte Angebot, die Beziehungen aufzunehmen, abgelehnt hätten? ...
Die Westverträge stehen normalen Beziehungen mit der Sowjetunion nicht nur nicht im Wege. Die Verträge sind vielmehr eine in die Zukunft weisende Möglichkeit einer internationalen Entspannung, die für die Welt den Frieden, für Deutschland die staatliche Einheit in Freiheit bringen soll. An unserer Vertragstreue lassen wir nicht den geringsten Zweifel zu ...
Die Vorgeschichte und der Verhandlungsverlauf haben gezeigt, daß die Sowjetregierung großen Wert auf die Herstellung der diplomatischen Beziehungen legt. Dabei mögen Prestigegründe eine Rolle spielen, vielleicht auch eine gewisse Entspannungsstrategie oder andere Momente, die noch nicht ganz überschaubar sind. Jedenfalls erwies es sich, daß die Vertreter der Sowjetregierung mit großer Empfindlichkeit auf die Möglichkeit reagierten, daß ihr Vorschlag abgelehnt oder die Annahme an Bedingungen geknüpft werde ...
Die Vertreter der Sowjetregierung zeigten sich zunächst von unseren Forderungen auf Freilassung der zurückgehaltenen Personen wenig beeindruckt. Die Verhandlungen über diese Frage nahmen tagelang einen so negativen Verlauf, daß wir allen Ernstes unsere Abreise in Erwägung ziehen mußten. Die Wendung trat ein, als die Herren Bulganin und Chruschtschow nun, nachdem sie zuvor härtesten Widerstand geleistet hatten, am Montag abend das Angebot machten, die Kriegsgefangenen freizulassen, wenn die diplomatischen Beziehungen aufgenommen würden. Die beiden Herren gaben mir darauf ihr Wort, und sie haben es vor den versammelten Delegationen wiederholt. Sie haben diese Zusage auf mein Drängen hin dahin erweitert, daß auch in der Sowjetunion zurückgehaltene Zivilpersonen, die wir ihnen durch Listen nachwiesen, freigelassen werden ... Ministerpräsident Bulganin versicherte mir wörtlich: Wir fangen mit unseren Maßnahmen an, ehe Sie Bonn auf Ihrem Rückflug erreicht haben ...
Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen machte völkerrechtliche Vorbehalte notwendig, um den deutschen Standpunkt in lebenswichtigen Fragen unseres Volkes zu wahren und die Entscheidungsfreiheit einer künftigen gesamtdeutschen Regierung nicht zu präjudizieren. Diese Vorbehalte sollten sicherstellen, daß in der Erklärung über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht ein Verzicht auf den bisherigen Rechtsstandpunkt der Bundesregierung bezüglich
1. der Grenzfragen,
2. des Rechts der Bundesregierung, Sprecher des ganzen deutschen Volkes
zu sein,
3. der Nichtanerkennung der sogenannten "DDR"
gesehen werden kann. Wir haben mit den Vertretern Sowjetrußlands in offiziellen Verhandlungen sehr offen darüber gesprochen. Sie haben erklärt, sie hätten andere Ansichten, aber wenn wir es für notwendig hielten, völkerrechtlichen Konsequenzen vorzubeugen, so hätten sie nichts dagegen, wenn wir diese Vorbehalte machten, und zwar in einer Weise, die wir wählten, sei es in Form eines Briefes, sei es in einer Erklärung an die Presse. Ich habe infolgedessen am Tage meiner Abreise einen Brief an Ministerpräsident Bulganin gerichtet, der folgenden Wortlaut hat: "Aus Anlaß der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der UdSSR erkläre ich:
1. Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschlamlund der Regierung der UdSSR stellt keine Anerkennung des derzeitigen beiderseitigen territorialen Besitzstandes dar. Die endgültige Fcstsctzung dcr Grcnzen Dcutschlands bleibt dem Friedensvertrag vorbehalten.
2. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Regierung der Sowjetunion bedeutet keine Änderung des Rechtsstandpunktes der Bundesregierung in bezug auf ihre Befugnis zur Vertretung des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten und in bezug auf die politischen Verhältnisse in denjenigen deutschen Gebieten, die gegenwärtig außerhalb ihrer effektiven Hoheitsgewalt liegen." ...
Die Haltung der Bundesregierung gegenüber der Sowjetzonenregierung wird - wie aus dem ersten Vorbehalt hervorgeht - durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik nicht berührt. Die Regierung der sogenannten "DDR" ist nicht auf Grund wirklich freier Wahlen gebildet worden, sie verfügt daher über kein echtes Mandat des Volkes, ja, sie wird von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt; es herrschen in der sowjetischen Besatzungszone Rechtsunsicherheit und Unfreiheit, und die Verfassung steht nur auf dem Papier.
Die Bundesregierung ist daher nach wie vor die einzige frei und rechtmäßig gebildete deutsche Regierung, die allein befugt ist, für das ganze Deutschland zu sprechen ...
Auch dritten Staaten gegenüber halten wir unseren bisherigen Standpunkt bezüglich der sogenannten "DDR" aufrecht. Ich muß unzweideutig feststellen, daß die Bundesregierung auch künftig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der "DDR" durch dritte Staaten, mit denen sie offizielle Beziehungen unterhält, als einen unfreundlichen Akt ansehen würde, da er geeignet wäre, die Spaltung Deutschlands zu vertiefen ... Wir haben in außerordentlich schwierigen Verhandlungen das im menschlichen und im politischen Bereich Mögliche aus der gegebenen Situation herausgeholt. Die Tragweite der zu treffenden Entscheidungen hat mich bewogen, die Wirksamkeit der Moskauer Vereinbarungen von dem Einverständnis des Bundestages abhängig zu machen. Ich verkenne nicht die in den Moskauer Entscheidungen liegende Problematik. Ohne jedes Risiko werden sich aber die schwierigen politischen Probleme unseres Staates nicht lösen lassen, wird die Einheit Deutschlands nicht zu verwirklichen sein. Ich glaube, Ihnen, meine Damen und Herren, empfehlen zu dürfen, sich mit den Moskauer Ergebnissen einverstanden zu erklären.
Die politische Struktur und die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland sind in wesentlichen Teilen ein Produkt der alliierten Siegermächte. In den sog. "Frankfurter Dokumenten", die den westdeutschen Ministerpräsidenten am 1. Juli 1948 übergeben worden waren, boten die westlichen Militärgouverneure die Bildung eines zunächst noch durch ein "Besatzungsstatut" eingeschränkten eigenständigen westdeutschen Staates an. Am 1. September 1948 nahm der "Parlamentarische Rat" aus gewählten Vertretern der Landtage die Beratungen über eine vorläufige Verfassung auf, die nach der Billigung durch die Militärgouverneure und der Ratifizierung durch die Landtage am 23. Mai 1949 als "Grundgesetz" der Bundesrepublik Deutschland verkündet und in Kraft gesetzt wurde.
1. Grundgesetz und Verfassungsordnung
Ansprache von Bundespräsident Theodor Heuss beim Amtsantritt am 12. September 1949
Es ist - davon ist neuerlich nicht viel zu sagen - das geschichtliche Leid der Deutschen, daß die Demokratie von ihnen nicht erkämpft wurde, sondern als letzte, als einzige Möglichkeit der Legitimierung eines Gesamtlebens kam, wenn der Staat in Katastrophen und Kriegen zusammengebrochen war. Dies ist die Last, in der der Beginn nach 1918, in der der Beginn heute mit uns steht, das Fertigwerden mit den Vergangenheiten. Diese Aufgabe war 1918 da. Damals dynastische Empfindungen, die weitergingen, von denen nicht gering zu sprechen ist; heute das Problem, vom Ausland stärker gesehen und groß gemacht, wieweit die nahe Vergangenheit, die hinter uns liegt, noch seelisch zwischen uns vorhanden ...
Der Bundesrat und der Bundestag werden vor schier unzählige Aufgaben gestellt sein: die Vereinheitlichung des Rechts, das in den Ländern und in den Zonen auseinandergelaufen ist, die Fragen des Lastenausgleichs, Finanzprobleme, die Fragen des Wohnungsbaus, der Kriegsbeschädigten, der Kriegshinterbliebenen, die Sorge für die Vertriebenen, die Eingliederung Deutschlands in die Weltwirtschaft, ohne die wir nicht leben können. Die Frage aber ist die erste im Sinne des Rangs, nicht im Sinne des Morgen-damit-fertig-Werdens. Wann wird es möglich sein, die vornehmste Aufgabe hier mit zu lösen, daß wir die staatliche Selbständigkeit für unser Volk und unseren werdenden Staat zurückgewinnen?
Wir wissen, daß eine Gesamtwende der Fragestellungen gegenüber den historischen Vorstellungen und Gegebenheiten von nationalstaatlicher Bindung im Werden ist und daß die europäische Gesamtstaatlichkeit nun nicht mehr bloß Traum- oder Wunschbild von Idealisten oder Geschichtskonstrukteuren ist, sondern daß sie als realistische Aufgabe vor uns steht.
Deutschland braucht Europa, aber Europa braucht auch Deutschland. Wir wissen es im Geistigen: wir sind in der Hitlerzeit ärmer geworden, als uns die Macht des Staates von dem Leben der Völker absperrte. Aber wir 30 wissen auch dies: die anderen würden ärmer werden ohne das, was Deutschland bedeutet ...
Verehrte Mitglieder des Bundestags, des Bundesrats und der Bundesversammlung! Im Bewußtsein meiner Verantwortung vor Gott trete ich dieses Amt an. Indem ich es übernehme, stelle ich dieses Amt und unsere gemeinsame Arbeit unter das Wort des Psalmisten: "Gerechtigkeit erhöhet ein Volk."
(Langanhaltender lebhafter Beifall.)
Die "Streitbare Demokratie" des Grundgesetzes. Aus der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts zum KPD-Verbot vom 17. August 1956
Es ist nicht denkbar, den Wesenskern des Grundgesetzes (Würde, Freiheit und Gleichheit der Person) aufrechtzuerhalten, wenn eine Staatsordnung errichtet würde, bei der die Prinzipien der Diktatur des Proletariats allein Geltung haben. Soziale rechtsstaatliche Demokratie, Mehrparteiensystem und Recht auf Opposition, geistige Freiheit und Toleranz, geduldige Reformarbeit und fortwährende Auseinandersetzung mit anderen grundsätzlich als gleichberechtigt angesehenen Überzeugungen stehen in unvereinbarem Gegensatz zur Diktatur des Proletariats.
Diesem Staatssystem liegt die Auffassung zugrunde, es müsse um der Ziele willen - die eine politische Partei oder Klasse als allgemeinverbindlich proklamiert - durch die Diktatur dieser Klasse die ganze freiheitliche Ordnung unter Einsetzung radikalster Mittel beseitigt und das Opfer von Generationen verlangt werden, denen weder Freiheit noch Gleichheit gewährt werden kann.
Auch die Vertreter der KPD haben in den mündlichen Verhandlungen die Unvereinbarkeit der beiden Staatsordnungen bejaht. Proletarische Revolution und Diktatur des Proletariats erstrebt die KPD zwar nicht als aktuelles, unmittelbar verwirklichbares Ziel. Aber die Art und Weise, wie sie die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats systematisch zum Gegenstand ihrer parteipolitischen Schulung, Propaganda und Agitation im politischen Kampf innerhalb der Bundesrepublik Deutschland macht, und ihr gesamtes Verhalten als Partei beweisen, daß sie schon jetzt darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zu untergraben ...
Die liberalen Verfassungen hatten bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hinein mit politischen Parteien, die die Grundlagen einer freiheitlichen Staatsordnung bekämpften, kaum zu rechnen; so war ihnen die Haltung unbedingter Toleranz und Neutralität gegenüber allen Parteien angemessen. Das ändert sich mit dem Aufkommen der "totalitären" Parteien nach dem Ersten Weltkrieg ... Das natürliche Streben jeder politischen Partei nach Einfluß auf den staatlichen Machtapparat wird bei diesen Parteien zum Anspruch auf eine "Machtergreifung", die, wenn sie erreicht wird, ihrem Wesen nach auf Ausschaltung aller anderen politischen Richtungen ausgehen muß ... Gegenüber solchen Parteien ist der freiheitlichen Demokratie, die die Würde des Menschen zu verteidigen und zu sichern hat, eine neutrale Haltung nicht mehr möglich, und es wird ein verfassungspolitisches Problem, weIche rechtlichen Mittel sie einsetzen will, um die sich nun für sie ergebende Forderung "keine unbedingte Freiheit für die Feinde der Freiheit" zu lösen. Die Weimarer Verfassung hat auf eine Lösung verzichtet, ihre politische Indifferenz beibehalten und ist deshalb der aggressivsten dieser "totalitären" Parteien erlegen.
Der verfassungsgeschichtliche Standort des Grundgesetzes ergibt sich daraus, daß es unmittelbar nach der - zudem nur durch Einwirkung äußerer Gewalten ermöglichten - Vernichtung eines totalitären Staatssystems eine freiheitliche Ordnung erst wieder einzurichten hatte. Die Haltung des Grundgesetzes zu den politischen Parteien - wie überhaupt die von ihm verwirklichte spezifische Ausformung der freiheitlichen Demokratie - ist nur verständlich auf dem Hintergrund der Erfahrungen des Kampfes mit diesem totalitären System. Der Einbau wirksamer rechtlicher Sicherungen dagegen, daß solche politischen Richtungen jemals wieder Einfluß auf den Staat gewinnen könnten, beherrschte das Denken des Verfassungsgebers. Wenn das Grundgesetz so einerseits noch der traditionellen freiheitlich-demokratischen Linie folgt, die den politischen Parteien gegenüber grundsätzliche Toleranz fordert, so geht es doch nicht mehr so weit, aus bloßer Unparteilichkeit auf die Aufstellung und den Schutz eines eigenen Wertsystems überhaupt zu verzichten. Es nimmt aus dem Pluralismus von Zielen und Wertungen, die in den politischen Parteien Gestalt gewonnen haben, gewisse Grundprinzipien der Staatsgestaltung heraus, die, wenn sie einmal auf demokratische Weise gebilligt sind, als absolute Werte anerkannt und deshalb entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt werden 60 sollen' soweit zum Zwecke dieser Verteidigung Einschränkungen der politischen Betätigungsfreiheit der Gegner erforderlich sind, werden sie in Kauf genommen. Das Grundgesetz hat also bewußt den Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung unternommen. Art. 21 Abs. 2 GG steht somit nicht mit einem Grundprinzip der Verfassung in Widerspruch; er ist Ausdruck des bewußten verfassungspolitischen Willens zur Lösung eines Grenzproblems der freiheitlichen demokratischen Staatsordnung, Niederschlag der Erfahrungen eines Verfassungsgebers, der in einer bestimmten historischen 70 Situation das Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber den politischen Parteien nicht mehr rein verwirklichen zu dürfen glaubte, Bekenntnis zu einer - in diesem Sinne - "streitbaren Demokratie". Diese verfassungsrechtliche Entscheidung ist für das Bundesverfassungsgericht bindend.
2. Konrad Adenauer und die „Kanzlerdemokratie“
Die Kanzlerdemokratie. Eine Analyse des Regierungssystems der Bundesrepublik in der Ära Adenauer durch den Publizisten Rüdiger Altmann (1963)
So wie sie uns vor Augen steht, stellt die Kanzlerdemokratie eine Zusammenfassung sehr verschiedener Elemente dar. Sie reicht von der persönlichen Macht des Kanzlers über seine Stellung als Parteiführer bis zu der Art, wie er seine amtlichen Kompetenzen ausübt. Man könnte fast sagen, daß sich gerade in dieser Verbindung ihr eigentlicher Charakter ausgeprägt hat. Trotzdem muß sie - zumal niemand die Verfassungsmäßigkeit dieser Art von Regierung ernsthaft bestritten hat - eine Basis im Grundgesetz der Republik haben, wenn sie nicht gar von der Verfassung gewollt ist.
Und tatsächlich sind im Grundgesetz eine Reihe von Bestimmungen getroffen worden, die der Position der Regierung und insbesondere des Kanzlers eine gewisse Stabilität verschaffen sollen. So wird der Bundeskanzler ohne Aussprache vom Parlament gewählt und kann, sobald er vom Bundespräsidenten ernannt ist, seinerseits die Ernennung der Minister vorschlagen. Er braucht dazu nicht einmal das ausdrückliche Vertrauen des Parlaments. Dasselbe gilt für seine Regierungserklärung. Das Parlament hat auch nicht das Recht, gegen einzelne Minister mit dem Mißtrauensvotum vorzugehen. Vor allem aber kann es den Kanzler und seine Regierung nur durch die Wahl eines Nachfolgers stürzen...
Zunächst schränkt das Grundgesetz die plebiszitäre Gewalt des Volkes auf den engstmöglichen Raum ein. Es gibt keine Volksbefragung mehr und keinen Volksentscheid, keine unmittelbare Wahl des Staatsoberhauptes, lediglich partielle Abstimmungen über die Neuordnung der einzelnen Länder. Allzu leicht könnte sonst der Volkswille in den Bann machthungriger Demagogen geraten. Auch die Parteien könnten im Falle einer Krise radikalisiert werden. Oder aber radikale Gruppen könnten zu einer Sturmflut heranwachsen, die - wie weiland die NSDAP - den normalen Parteienstaat überspülen. Solche Parteien müssen rechtzeitig illegalisiert werden. Und da die Parteien an der staatlichen Macht teilnehmen, muß ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen.
Nicht genug damit: Selbst das Parlament ist nicht gefeit davor, seine Funktionsfähigkeit und seine Kraft zur positiven Entscheidung zu bewahren. Aber die Regierung darf nicht negativen Mehrheiten zum Opfer fallen. Nur die positive Mehrheit, die weiß, was sie will, die fähig ist, ein neues Kabinett zu bilden, darf deshalb nach dem Grundgesetz die Regierung stürzen. Und schließlich wird das Staatsoberhaupt entmachtet, seines Einflusses auf die Exekutive beraubt, seine Kompetenz auf die bloße Repräsentation reduziert. Man sieht, hier werden die Kräfte und Mächte des Verfassungslebens von ihrem Funktionieren her, genauer gesagt, aus der Gefahr Ihres Nichtfunktionierens ihrer Entartung, begriffen. Die Verfassung selbst ist ein Funktionsschema das Sicherungen gegen alle Arten von "Kurzschlüssen" enthält, mögen sie durch das Volk, die Parteien, das Parlament oder
das Staatsoberhaupt ausgelöst werden.
Aber dann hört das Mißtrauen plötzlich auf: Der Regierung gehören die wohlwollende Sorge und die Sympathie des Grundgesetzes .... Das Grundgesetz will die Regierung bewahren vor dem Druck der radikalen Parteien, vor der Autorität des Staatsoberhaupts, vor der Willkür zufälliger Parlamentsmehrheiten, die einzelne Minister herausschießen oder gar das Kabinett stürzen, ohne selbst in die Verantwortung einzutreten.
Vor einer starken, d. h. autoritären Regierung glaubte hingegen der Parlamentarische Rat keine Sorge haben zu müssen.
... So ist die Regierung auf Kosten vor allem des Parlaments zum stärksten Verfassungsorgan der Bundesrepublik geworden. In der Stabilisierung der Regierung wird das Mißtrauen des Grundgesetzes in das Funktionieren der Demokratie konstruktiv. Die Krisenangst der Verfassung schlägt ins Gouvernementale um. Freilich war das alles weniger politisch im Sinne eines positiven Verfassungsbildes als technich-funktionell gedacht - als Krisenverhütungsanlage. An die Kanzlerdemokratie dachte man damals jedenfalls nicht ...
Sosehr diese Entwicklung den Motiven des Grundgesetzes widersprechen mochte, so wenig verstieß sie gegen seinen Wortlaut. Wir wollen nicht so weit gehen zu sagen, daß die Verfassungsväter mit der Stabilisierung der Regierung ein Kuckucksei ins Nest des Parlamentarismus gelegt hätten.
Jedenfalls gab der Funktionalismus der Verfassung einem so routinieren Techniker der Macht wie Adenauer genau die Chance, die er brauchte. ... Die CDU und die SPD mögen ihre festen Anhänger haben. Aber den Ausschlag gaben sowohl 1953 wie 1957 die breiten Wählermassen, die nicht mehr zwischen den Parteien und ihren Programmen, sondern für oder gegen Adenauer stimmten. Das war der entscheidende Schritt zur Kanzlerdemokratie ...
Die Macht des Kanzlers vervollkommnet sich - wiederum unter ungewollter Assistenz der Verfassung - in seinem Kabinett. Das Grundgesetz wollte, indem es das Einzelmißtrauen gegen die Minister verhinderte, auf eine audrückliche parlamentarische Investitur des Gesamtkabinetts verzichtete und die Position des Kanzlers gegen die Labilität eines pluralistischen Parlaments durch das konstruktive Mißtrauensvotum absicherte, lediglich die Funktionsfähigkeit der Regierung erhöhen. Aber es hat dadurch dem Kanzler die Möglichkeit gegeben, Minister ohne parlamentarischen Rückhalt ernennen zu lassen oder sie allmählich von einem solchen Rückhalt zu trennen. Sie sind dann in Sicherheit vor dem Parlament, sogar vor ihrer eigenen Parteifraktion, aber desto abhängiger vom Kanzler, der für seinen Schutz Gehorsam verlangt. Freilich hat das zur Voraussetzung, daß der Kanzler selbst über eine so stabile Majorität verfügt, wie Adenauer sie sich geschaffen hat...

Das "Wirtschaftswunder" der fünfziger Jahre zeichnete sich durch ein bisher nicht gekanntes Wachstum der wirtschaftlichen Produktivität, der Investitionen, der Beschäftigung und des Konsums aus. Der wirtschaftliche Erfolg übertraf alles, was die Bürger nach dem Zusammenbruch 1945 und zu Beginn der Bundesrepublik erwartet oder erhofft hatten. Erst in den sechziger Jahren kam die stürmische Aufwärtsentwicklung langsam zum Abklingen, und die Rezession von 1965/67 machte nachdrücklich klar, daß die Auftriebsfaktoren des "Wirtschaftswunders" nicht unbegrenzt anhielten. Die Ursachen des Wirtschaftswunders sind in einer Kombination verschiedener günstiger Faktoren zu suchen: Dazu gehörten die erfolgreiche Rekonstruktion der Weltwirtschaft unter amerikanischer Führung in den Jahren nach 1945, die außerordentlich schnelle Wiedereingliederung der westdeutschen Wirtschaft in den Weltmarkt, die anhaltend hohen Exportüberschüsse der deutschen Industrie seit 1951 und nicht zuletzt eine Stabilisierung des Wachtums durch steigende Realeinkommen und Massenkonsum. Mitte der fünfziger Jahre war Vollbeschäftigung praktisch erreicht. Dem beginnenden Arbeitskräftemangel wurde seit dieser Zeit zunehmend durch die Anwerbung von "Gastarbeitern" begegnet Gleichzeitig stieg der Anteil der erwerbstätigen Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten kontinuierlich an. Die gewandelte Rolle der Frau in Beruf und Familie gehört im übrigen zu den zu Beginn der sechziger Jahre am intensivsten diskutierten gesellschaftspolitischen Themen. Die grundsätzlichen Auseinandersetzungen über die in den Anfangsjahren der Bundesrepublik noch stark kritisierte "soziale Marktwirtschaft" waren zu diesem Zeitpunkt längst beendet. Die Marktwirtschaft hatte ihre Leistungsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt, und der von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard propagierte "Wohlstand für alle" schien keine Utopie mehr zu sein.
Das enorme Wirtschaftswachstum der fünfziger Jahre war zugleich das Fundament für die schnelle und erfolgreiche Eingliederung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, die Durchführung des Lastenausgleichs und den Ausbau der Sozialpolitik. Auch die strukturellen Belastungen durch den dramatischen Rückgang der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft von rund 24 % 1950 auf ca. 13 % 1960 bzw. ca. 8 % 1970 konnten so nahezu mühelos bewältigt werden.
Die Alltagskultur dieser Epoche wurde durch den Wunsch nach Rückkehr zur "Normalität" wesentlich geprägt. Hierbei überlagerten sich restaurative Tendenzen in Familie, Gesellschaft und Staat mit nach vorne weisenden Ansätzen, die allerdings erst in den sechziger Jahren zur vollen Ausprägung kamen und eine tiefgreifende Modernisierung aller Lebensbereiche einleiteten. Wie widersprüchlich und schwierig die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit war, zeigt auch die strafrechtliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen vor den Gerichten der Bundesrepublik.
1. Alltag und Lebensgefühl in den fünfziger Jahren
Frage: "Wann in diesem Jahrhundert ist es nach ihrem Gefühl Deutschland am besten gegangen?"
Die skeptische Generation. Aus einer Analyse des Soziologen Helmut Schelsky,1963
Man hört heute zuweilen in der Erwachsenenwelt die Forderung: "Wir brauchen neue Ideen für die Jugend", und die Enttäuschung der Älteren über den Mangel an ,Idealismus' in der gegenwärtigen jungen Generation ist ziemlich weit verbreitet; diese Einstellung verkennt, daß ,Ideen' genügend kursieren, die Jugend aber gar nicht danach sucht, weil ihr die Bereitschaft, sie zu glauben, fehlt, die in den 20er und 30er Jahren gerade aus den Krisen des politischen Geschehens aufstieg ... Die in Kriegs- und Nachkriegszeit erfahrene Not und Gefährdung der eigenen Familie durch Flucht, Ausbombung, Deklassierung, Besitzverlust, Wohnungsschwierigkeiten, Schul- und Ausbildungsschwierigkeiten oder gar durch den Verlust der Eltern oder eines Elternteils haben einen sehr großen Teil der gegenwärtigen Jugendgeneration frühzeitig in die Lage versetzt, für den Aufbau und die Stabilisierung ihres privaten Daseins Verantwortung oder Mitverantwortung übernehmen zu müssen. Die Gefährdung der vitalen und einfachsten materiellen Daseinsgrundlagen und die damit verbundene Erschütterung der unmittelbarsten Personenbeziehungen innerhalb der Familie und anderer kleingruppenhafter Sozialbeziehungen, im Lebensbereich der Schule und der beruflichen Ausbildung und Entwicklung haben eine den anderen Jugendgenerationen in diesem Ausmaß und dieser Eindringlichkeit nicht zugängliche neue Bedürfnisgrundlage der Jugend in ihrem Streben nach sozialer Verhaltenssicherheit geschaffen: sie sah und sieht sich heute vor der Notwendigkeit und Aufgapc gestellt, diese persönliche und private Welt des Alltags, vom Materiellen her angefangen, selbst stabilisieren und sichern zu müssen, was keiner der beiden vorangehenden Jugendgenerationen in diesem Umfange und in dieser Intensität angesonnen worden ist. Indem für diese Jugend nicht nur die Welt der sozialen Großstrukturen, der ,sekundäre' Horizont, in den sie als Jugend hineinwachsen wollte, sondern der Bereich der ,primären' Sozial- und Gruppenbindungen, der Ausgangsbereich ihrer kindlichen Verhaltensheimat, zutiefst verunsichert und gefährdet wurde, ging ihr Streben nach Verhaltenssicherheit und Bewahrung des Vertrauten auch auf die Festigung dieser persönlichen und privaten Lebensverhältnisse aus. Damit hat sich das typisch jugendliche Suchen nach Verhaltenssicherheit in dieser Generation genau auf die sozialen Bereiche zurückgewendet, deren Anliegen einst von der Generation der Jugendbewegung im gleichen Streben nach Verhaltenssicherheit als unjugendlich abgelehnt und verlassen worden waren: die eigene Familie, die Berufsausbildung und das berufliche Fortkommen, die Meisterung des Alltags ... Selbstverständlich haben die politischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte im politischen oder, genauer gesagt, im unpolitischen Verhalten der gegenwärtigen Jugendgeneration ihre Spuren hinterlassen. Der Zusammenbruch und die Untaten einer Politik und eines Systems, denen ein großer Teil der Jugend einmal gläubig und vertrauend angehangen hatte, die persönlichen Nachteile und Diffamierungen, denen auch ein Teil der Jugend dieser Generation auf Grund ihrer politischen oder militärischen Vergangenheit unterworfen war, vor allem aber wohl die Erkenntnis, in welchem Maße ein sozialer und politischer Idealismus durch die modernen Großorganisationen der Politik ideologisch ausgebeutet werden kann, haben zu einer Skepsis und Ablehnung gegenüber der Politik der Vergangenheit und der Gegenwart zugleich geführt, zu einem Mißtrauen gegen politische Ideologien und Ideen, zu eben dem ,Ohne-uns' gegenüber allen öffentlichen und gesamtgesellschaftlichen Ansprüchen, das sich auf das Private und das Berufliche, auf den in eigener Urteilskraft und Verantwortung überschaubaren Bereich des Daseins bewußt beschränken will.
2. Das "Wirtschaftswunder"
2.1. Grundzüge der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung
Die berufstätige Frau und die Situation der Familie. Aus einer Presseerklärung von Maria Weber, Hauptabteilung Frauen im DGB, 30. August 1960
Der Anteil der erwerbstätigen Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten nimmt ständig zu. Er ist von 28,5 Prozent im September 1948 auf heute 34 Prozent gestiegen. Gleichfalls hat sich der Anteil der verheirateten Frau unter den Beschäftigten erhöht.
Hervorgerufen wurde diese Entwicklung durch die laufend wachsende Nachfrage der Wirtschaft nach weiteren Arbeitskräften. Nachdem die Männer im erwerbsfähigen Alter schon fast hundertprozentig beschäftigt sind, wendet man sich heute in erster Linie an Frauen, und zwar an Hausfrauen und Mütter ...
Der DGB geht dabei von der Feststellung aus, daß
1. Frauenarbeit heute und in der Zukunft ein unentbehrlicher Faktor für die Wirtschaft ist und bleibt;
2. die Frauenarbeit also kein vorübergehender Zustand mehr ist;
3. trotz zunehmender Automation die Frau als Arbeitskraft gebraucht wird und
4. durch die Erhöhung des Lebensstandards und die Verlängerung der arbeitsfreien Zeit eine Ausweitung der Beschäftigung in den nicht produzierenden Bereichen vor sich geht (Handel, Dienstleistungen usw.), in denen schon immer ein hoher Anteil der Frauenarbeit vorhanden war. Hinzu kommt, daß durch die allgemeine Wehrpflicht heute ein erheblicher Teil der arbeitsfähigen jungen Männer für ein Jahr dem Arbeitsleben entzogen wird. Frauen treten im Betrieb an ihre Stelle, und darüber hinaus werden bei der Bundeswehr selbst viele Frauen beschäftigt.
Änderungen im Lehenslauf der Frau
Andererseits muß nach gewerkschaftlicher Auffassung auch die sonst noch viel zu wenig beachtete Tatsache berücksichtigt werden, daß durch die längere Lebenserwartung entscheidende Änderungen im Lebensablauf der Frau eingetreten sind. Während um 1900 die mittlere Lebenserwartung bei 48 Jahren lag, beträgt sie heute 68 Jahre. Die Zeit, in der die Frau mit der Erziehung der Kinder ausgefüllt ist, macht daher nur etwa ein Drittel ihrer gesamten Lebensdauer aus. So steht jetzt allgemein nicht nur das heranwachsende Mädchen bis zur Eheschließung oder bis zur Geburt des Kindes im Erwerbsleben, sondern man findet häufig einen Wiedereintritt ins Berufsleben, wenn die Kinder herangewachsen sind, die Mutter sich nicht mehr ausgelastet fühlt und entsprechende Anreize zur Wiederaufnahme der Arbeit vorhanden sind.
Falsche Einschätzung der Frauen-Erwerbsarbeit
Aus den vorgenannten Tatsachen geht hervor, daß die Frauenerwerbsarbeit nicht nur vorübergehend ist. Die falsche Einschätzung der Frauenbeschäftigung als vorübergehender Zustand ist die Ursache für die bisher eindeutige Benachteiligung der Frau
a) bei der Berufsausbildung: Diese Auffassung ist in zahlreichen Fällen der Anlaß, warum Mädchen keine oder nur eine unzureichende Berufsausbildung erhalten, obwohl geistige Voraussetzungen für die qualifizierte Berufsausbildung vorliegen;
b) bei der Entlohnung: Ihr Arbeitsverdienst wird sehr oft nur als Zu-Verdienst angesehen und ist deshalb häufig die Ursache für die ungerechte und niedrigere Bezahlung der Frauenarbeit;
c) bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes: Beim Bau von Maschinen und Arbeitsgeräten ist bisher die körperliche Konstitution der Frau zu wenig berücksichtigt worden.
Die Gewerkschaften fühlen sich verpflichtet, dafür zu sorgen, daß auch die Frauen den Arbeitsplatz bekommen, den sie sich auf Grund ihrer geistigen Fähigkeiten und handwerklichen Geschicklichkeiten verdienen und zwar nicht nur in Notzeiten, nicht nur im Notdiensteinsatz und im Katastrophenfall. In diesen Zeiten haben Frauen immer bewiesen daß sie dazu befähigt sind. Darum beanspruchen wir diese Plätze in normalen Zeiten und für die Dauer des gesamten Arbeitslebens.
Die soziale Situation der Familie
Für die allermeisten Frauen stellt sich allerdings nicht die Frage, ob sie arbeiten wollen. Sie müssen arbeiten und Geld verdienen,
a) weil sie allein stehen,
b)weil sie durch ein besonderes Schicksal der Ernährer ihrer Familien sind,
c) weil das Einkommen des Ehemannes nicht ausreicht,
d) weil die Kinder eine gute Berufsausbildung haben sollen.
Die Gewerkschaften bedauern, daß viele Mütter mit kleinen Kindern aus materieller Not gezwungen sind, zu arbeiten, weil die Betreuung der Kinder durch die Mütter nicht hoch genug bewertet werden kann.
Aber auch die Mütter selbst leiden darunter. Sie erleiden zudem durch doppelte Belastung oft auch gesundheitlichen Schaden. Leichtfertig werden solche Mütter von Außenstehenden abgeurteilt ...
Selbstverständlich arbeiten auch Frauen und Mütter in Betrieben und Büros, die nicht aus materieller Not dazu gezwungen werden. Immer sollte aber die persönliche Entscheidung respektiert werden. Kein Außenstehender kann beurteilen, warum eine Frau arbeitet ...
Andererseits wäre es wünschenswert, wenn in eindringlichster Weise von allen Organisationen und Institutionen ohne verletzende Äußerungen den Familien klargemacht würde, wie wertvoll die Mutter daheim für die Familie ist, und daß nur materielle Not Zwang sein dürfte, wenn Mütter mit kleinen Kindern einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund muß aber ebenso erwarten, daß alle diese Verbände und Institutionen, die sich für die Frau und die Familie verantwortlich fühlen, seine sozialpolitischen Forderungen unterstützen, damit H nicht mehr die materielle Not der Anlaß für die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern ist ...
2.2. Marktwirtschaft, Sozialreform und Weltmarktorientierung
In den Anfangsjahren der Bundesrepublik gehörte die Auseinandersetzung über die grundsätzlichen Konzeptionen in der Wirtschafts- und Sozialordnung zu den wichtigsten Streitpunkten zwischen Regierung und Opposition. Während SPD und Gewerkschaften, auch vor dem Erfahrungshintergrund der Weltwirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit der dreißiger Jahre, für eine volkswirtschaftliche Gesamtplanung eintraten, kämpfte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard für die Durchsetzung der "sozialen Marktwirtschaft", Der nicht zu übersehende Erfolg der Marktwirtschaft entzog ihren Kritikern im Laufe der fünfziger Jahre zunehmend die theoretische lind politische Argumentationsbasis. (Vgl. Godesberger Programm der SPD 1959, Q 49.)
Über die Aufhebung der Bewirtschaftungs- und Preisvorschriften im Juli 1948 schreibt Ludwig Erhard 1957
Tatsächlich wurde die Marktwirtschaft in Deutschland - ein fast einzigartiger historischer Vorgang - durch einige wenige Gesetze und durch kompromißlose Entschlossenheit eingeführt. Der Wille, etwas gänzlich Neues zu schaffen, fand seinen Niederschlag in dem "Gesetzes- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes" vom 7. Juli 1948, wo auf schlechtem, heute bereits vergilbtem Vorwährungsreformpapier das "Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform" vom 24. Juni 1948 verkündet wird. Mit diesem Gesetz wurde dem Direktor der Verwaltung für Wirtschaft das Recht eingeräumt, mittel- oder unmittelbar und in einem Zuge Hunderte von Bewirtschaftungs- und Preisvorschriften in den Papierkorb zu befördern. Ich wurde beauftragt, im Rahmen der angefügten Leitsätze die erforderlichen Maßnahmen auf dem Gebiete der Bewirtschaftung zu treffen" und "die Waren und Leistungen im einzelnen zu bestimmen, die von den Preisvorschriften freigestellt werden sollen" - dies bedeutete für mich, so schnell als möglich so viele Bewirtschaftungs- und Preisvorschriften als möglich zu beseitigen.
Bereits einen Tag später wurde die "Anordnung über Preisbildung lind Preisüberwachung nach der Währungsreform" erlassen, mit der Dutzende von Preisvorschriften außer Kraft traten. Wir gingen hierbei den einzig möglichen Weg: Es wurde darauf verzichtet, all das aufzuführen, was ungültig wurde, und nur das namentlich und ausdrücklich genannt, was noch Geltung behalten sollte. Damit war ein gewaltiger Schritt in Richtung auf das Ziel der Beseitigung einer unmittelbaren Einflußnahme der Bürokratie auf die Wirtschaft getan.
Was sich im Hintergrund dieses Übergangs zur Marktwirtschaft abspielte, ist der breiten Öffentlichkeit nie voll bewußt geworden. Nur ein Beispiel: Strenge Vorschriften der amerikanischen und englischen Kontrollinstanzen verlangten vor jeder Änderung von Preisvorschriften deren ausdrückliche Genehmigung. Woran die Alliierten allerdings nicht gedacht hatten, war, daß jemand überhaupt auf die Idee kommen könnte, diese Preisvorschriften nicht zu ändern, sondern sie einfach aufzuheben. So viel Kühnheit von einem Deutschen so kurze Zeit nach dem Kriegsende anzunehmen, paßte nicht in die Denkkategorie einer Verwaltung, kurz nach einem überwältigenden Sieg.
Zugute kam mir, daß sich General Clay, die wohl stärkste Persönlichkeit der Hohen Kommission [sic!], hinter mich stellte und meine Anordnungen deckte. Die Preisbildung deutscher Konsumgüter und wichtigster Nahrungsmittel war damit der alliierten Preisaufsicht entzogen.
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Wirtschaftspolitische Grundsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes, 14. Oktober 1949
Volkswirtschaftliche Planung steht ... im Gegensatz zu der chaotischen Marktwirtschaft, die in Deutschland seit der Währungsreform herrscht und zu ungeheurer Kapitalverschwendung durch Fehlinvestitionen und Erzeugung von Luxusgütern, zur Ausbeutung der Verbraucher durch ungerechtfertigt hohe Preise, zu Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit und sozialer Unsicherheit sowie zu einem weitgehenden Verfall der Wirtschaftseinheit geführt hat ... Heute ist die Marktwirtschaft weder frei noch sozial. Heute verhindert sie die freie Entfaltung; sie verschärft die ohnehin schon großen Gegensätze zwischen reich und arm. Sie ist unsozial und durch ihre Planlosigkeit unfähig, den schwierigen Aufgaben des Wiederaufbaues in Deutschland gerecht zu werden ...
1. Volkswirtschaftlicher Gesamtplan
Jede konstruktive Wirtschaftsführung braucht einen volkswirtschaftlichen Gesamtplan, hinter dem der Wille stehen muß, alle Mittel der modernen Wirtschaftspolitik zur Durchführung des Planes einzusetzen. Eines der wichtigsten Mittel ist die Geld- und Kreditpolitik, die in die staatliche Konjunktur- und Investitionsplanung einzuordnen ist ...
2. Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum
Lenkungsmaßnahmen allein reichen zur Sicherung einer einheitlichen Wirtschaftspolitik nicht aus, nachdem die Entwicklung der modernen Industriestaaten - insbesondere im Kohlenbergbau, in der Eisen- und Stahlindustrie sowie in der Großchemie - zur Zusammenballung von Großunternehmungen und damit zur Schaffung von Machtgebilden geführt hat, die das gesamte gesellschaftliche Leben durchdringen und unter bestimmten Voraussetzungen in der Lage sind, Parteien, Parlamente und Regierungen unter ihre Botmäßigkeit zu zwingen. Die Gewerkschaften fordern daher, gestützt auf die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes, die Vergesellschaftung der gewerblichen Urproduktion (Kohle-, Erz- und Ölgewinnung), der Basisindustrien (Eisen- und Stahlerzeugung, Industrien chemischer Grundstoffe), der Energiewirtschaft, der Versorgungsbetriebe, der wichtigen Verkehrseinrichtungen und der Kreditinstitute ...
3. Demokratisierung der Wirtschaft notwendig
Die Erfahrungen der Jahre 1918 bis 1933 haben gelehrt, daß die formale politische Demokratie nicht ausreicht, eine echte demokratische Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Die Demokratisierung des politischen Lebens muß deshalb durch die Demokratisierung der Wirtschaft ergänzt werden. Soweit der Staat im Interesse einer vernünftigen Dezentralisierung öffentliche Funktionen auf Organe der Selbstverwaltung der Wirtschaft überträgt, dürfen dies nur paritätisch besetzte Organe sein, in denen Arbeitnehmer und Unternehmer gleichberechtigt sind.
Die Betriebe als Zellen der Volkswirtschaft arbeiten nicht zum Selbstzweck, sondern müssen auf das gemeinsame Wohl der gesamten Bevölkerung abgestellt sein ... Wir fordern daher die verantwortliche soziale, personelle und wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer in allen Betrieben der Wirtschaft ...
4. Gesamtproblem: Volkswirtschaftliche Rationalisierung
Planmäßig und mit aller Energie ist die volkswirtschaftliche Rationalisierung als Gesamtproblem voranzutreiben. Der industrielle Produktionsapparat ist durchgreifend zu überholen und damit auf den höchstmöglichen Leistungsgrad zu bringen ...
Die Rationalisierung in der kapitalistischen Wirtschaft führt zur Freisetzung von Menschen durch Maschinenkräfte und damit zur Gefahr hartnäckiger Arbeitslosigkeit. In der planmäßig gelenkten Wirtschaft erstreckt sich die Rationalisierung auf den gesamten Wirtschaftsprozeß, damit alle Kräfte und Mittel dem Ziele einer optimalen wirtschaftlichen Gesamtleistung dienen. Sie erstrebt Vollbeschäftigung aller Arbeitswilligen, damit höchstmögliche Erzeugung und steigende Kaufkraft zur Hebung des allgemeinen Lebensstandards beitragen. .Deutschlands Abhängigkeit vom Weltmarkt. Aus einer Ansprache von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard bei der Eröffnung der Internationalen Frankfurter Messe am 11. März 1951
Wir haben ... nicht nur den Krieg verloren mit all seinen Konsequenzen, die sich aus dem Zusammenbruch ergaben, sondern es hat sich auch die ökonomische und damit die soziale und politische Struktur unseres Landes vollkommen gewandelt. Wir haben nicht nur die Hälfte unserer Agrargebiete verloren, sondern in diese an sich schon industriell überfüllten Gebiete des Westens, über die eine Welle der Zerstörung hinwegraste, sind ungefähr noch zehn Millionen Menschen neu eingeströmt, die nur im gewerblichen Sektor Beschäftigung, Arbeit und Brot finden konnten ...
Wir befanden uns und befinden uns in der sklavischen - wenn Sie wollen: tödlichen - Abhängigkeit vom Weltmarkt, denn sowohl die Sicherung unserer Ernährung als auch die Gewährleistung einer ausreichenden Rohstoffgrundlage für 50 Millionen Menschen (zehn Millionen mehr als vor dem Kriege) konnte nur gelingen, wenn es uns möglich war, deutschen Waren und Leistungen den Weg in die übrige Welt zu öffnen ...
Isolierung und Protektionismus waren das Kennzeichen der europäischen Handelspolitik durch viele Jahre - ich möchte meinen, zehn Jahre waren es ganz bestimmt. Und gerade, weil wir erkannten, daß der deutschen Wirtschaft hier eine Chance winkte und daß wir keine Aussicht hatten die drängenden sozialen Probleme zu lösen, wenn nicht das Problem des größeren europäischen Marktes erfolgreich in Angriff genommen wurde mußten wir handeln…
In den vergangenen fünf Jahren haben wir immerhin schon sehr viel erreicht. Und doch besteht in gewisser Hinsicht immer noch eine Primitivität der Austauschbeziehungen, die mehr an die Postkutschenzeit als an das Atomzeitalter erinnert. Die Technik ist weit vorangeschritten. Aus der Sorge, aus der Angst vor der Technik wird dem Fortschritt oft noch Widerstand geleistet. Und wenn dieser Widerstand mit nationalem Egoismus gepaart Ist, dann können die Dinge natürlich nicht gedeihen. Darum möchte ich ... hier vor Ihnen eindeutig bekennen:
...Die Effizienz der menschlichen Arbeit, die Steigerung der Leistung aller. Menschen in der Welt erfährt eine fruchtbare Bereicherung dadurch, daß in einer sehr weit gezogenen internationalen Arbeitsteilung, durch Zusammenfügung des Reichtums aller Nationen in einem möglichst freien Austausch der Güter ein Maximum an Ertrag erreicht wird.
Sozialreform und Rationalisierung. Nach der Bundestagswahl vom 16.9.1953 stellte der wiedergewählte Bundeskanzler Adenauer die Probleme und Aufgaben der Sozialpolitik an die Spitze seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 20. Oktober 1953
Die Probleme und die Aufgaben der Sozialpolitik, Wirtschaft und Finanzen hängen eng miteinander zusammen. Die Lösungen können nur gemeinsam gefunden werden. Sozialpolitik ist nur möglich, wenn die Wirtschaft gedeiht, Beschäftigung gibt und Steuern liefert. Es ist weder Sozialpolitik noch ein Gedeihen der Wirtschaft möglich, wenn wir keine gesunde) und feste Währung haben, für die die Finanzpolitik sorgen muß...
Es ist der ersten Bundesregierung gelungen, die jährlichen Aufwendungen für die soziale Sicherheit der Bevölkerung von 1949 bis 1953 nahezu zu verdoppeln. Das ist in hohem Maße ein Erfolg der sozialen Marktwirtschaft und einer guten Finanzpolitik. Das laufend steigende Sozialprodukt hat eine entsprechend höhere Beteiligung der Sozialleistungsempfänger gestattet.
An dem wirtschaftlichen Aufstieg in der Bundesrepublik haben jedoch nicht alle Bevölkerungskreise gleichmäßig teilgenommen. Es waren bisher in erster Linie die im Arbeitsprozeß Tätigen, die sichtbaren Nutzen aus den Erfolgen der sozialen Marktwirtschaft zogen. Es wird das besondere Anliegen der Bundesregierung sein müssen, die Arbeitslosen einzugliedern und dem Bundestag Maßnahmen vorzuschlagen, durch die die wirtschaftliche Lage der Rentner, Invaliden, Waisen und Hinterbliebenen weiter verbessert wird.
(Beifall bei den Regierungsparteien)
Dieses Ziel muß auf zwei Wegen erreicht werden: erstens durch eine weitere Erhöhung des Sozialprodukts, zweitens durch eine umfassende Sozialreform...
Diesem Ziele dienen die von der ersten Bundesregierung bereits eingeleiteten Vorarbeiten für die Durchführung einer Sozialreform. Die neue Bundesregierung wird diese Vorarbeiten energisch fördern und ein umfassendes Sozialprogramm vorlegen...
Nach der Sorge für den Menschen wird es das wichtigste Ziel unserer Wirtschaftspolitik sein, die industriellen Werke zu modernisieren und die Erzeugung zu rationalisieren, damit wir zu einer Verbilligung und damit zu einer Erhöhung unserer Produktion kommen ... Vor allem aber muß sichergestellt werden, daß Kosten- und Preissenkungen auch in vollem Umfang dem Verbraucher zugute kommen.
(Beifall in der Mitte)
Darin muß sich der soziale Charakter der Marktwirtschaft erweisen.
Die soziale Sicherung in der Bundesrepublik entsprach anfangs noch weitgehend dem System der deutschen Sozialversicherung aus der Bismarckzeit bzw. der Weimarer Republik (Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung). Neu hinzu kamen die Leistungen für Kriegsopfer und Heimkehrer (Bundesversorgungsgesetz 1950) und das Lastenausgleichsgesetz 1952 (siehe Q 38). Den entscheidenden Durchbruch zum Sozialstaat brachte jedoch erst die große Rentenreform von 1957. Die Höhe der Rentenzahlungen wurden jetzt an die Entwicklung der Löhne angepaßt (Dynamisierung), wobei die "Standardrente" 60 v. H. der Bruttobezüge der Versicherten betragen sollte. Zu den wichtigen neu geschaffenen Sozialleistungen gehörte auch das Kindergeldgesetz (1954), nach dem für das dritte und jedes weitere Kind 25 DM gezahlt wurden. Das Vermögensbildungsgesetz von 1961 sah eine steuerbegünstigte Zulage der Arbeitgeber in Höhe von 312 DM für vermögenswirksam angelegte Leistungen zugunsten der Arbeitnehmer vor.
Sozialbudget der Bundesrepublik Deutschland 1950-1970 in Millionen DM
Die sozialpolitische Gesetzgebung 1949-1965
9. April 1949 Tarifvertragsgesetz
8. Mai 1949 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
17.Juni 1949 Gesetz über die Anpassung von Leistungen der Sozialversicherung an das veränderte Lohn- und Preisgefüge und über ihre finanzielle Sicherstellung (Sozialversicherungsanpassungsgesetz)
8. Aug. 1949 Gesetz zur Milderung dringender sozialer Notstände (Soforthilfegesetz)
24. April 1950 Erstes Wohnungsbaugesetz
20. Dez. 1950 Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz)
22. Febr. 1951 Gesetz über die Selbstverwaltung und über Änderungen von
Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung
14. März 1951 Heimarbeitsgesetz
15. März 1951 Gesetz über Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie
21. Mai 1951 Gesetz über steuerliche Maßnahmen zur Förderung der Ausfuhr
10. Okt. 1951 Kündigungsschutzgesetz
27. Dez. 1951 Gesetz über die Finanzierung eines Sofortprogramms zur Arbeitsbeschaffung im Rechnungsjahr 1951
7. Jan. 1952 Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft
11. Jan. 1952 Gesetz zur Änderung des Tarifvertragsgesetzes
11. Jan. 1952 Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen
24. Jan. 1952 Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter
17. März 1952 Gesetz über die Gewährung von Prämien für Wohnbausparer
14. Aug. 1952 Gesetz über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz)
11. Okt. 1952 Betriebsverfassungsgesetz
16. Juni 1953 Schwerbeschädigtengesetz
3. Sept. 1953 Sozialgerichtsgesetz
7. Sept. 1953 Arbeitsgerichtsgesetz
13.Nov.1954 Gesetz über die Gewährung von Kindergeld und über die Errichtung von Familienausgleichskassen (Kindergeldgesetz)
5. Aug. 1955 Personalvertretungsgesetz
23. Febr. 1957 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz
23. Febr. 1957 Angestelltenversicherungs- Neuregelungsgesetz
21. Mai 1957 Gesetz zur Neuregelung der knappschaftlichen Rentenversicherung
27. Juli 1957 Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte
5.Mai 1959 Sparprämiengesetz
7. Dez. 1959 Gesetz über Maßnahmen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft und weitere Änderungen und Ergänzungen des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung
9. Aug. 1960 Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugendlichen
8. Sept. 1960 Gesetz über eine Rentenversicherung der Handwerker (Handwerkerversicherungsgesetz)
30. Juni 1961 Bundessozialhilfegesetz
12. Juli 1961 Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer
11. Aug, 1961 Gesetz für Jugendwohlfahrt
8. Jan. 1963 Bundesurlaubsgesetz
30. April 1963 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs- Neuregelungsgesetz)
14. April 1964 Bundeskindergeldgesetz
24. Aug. 1965 Gesetz zur Änderung des Mutterschutzgesetzes und der Reichsversicherungsordnung
3. Die Eingliederung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge
Im Jahre 1960 gehörten mehr als 25 % der Bevölkerung der Bundesrepublik zur Gruppe der Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten bzw. Zugewanderten aus dem Gebiet der SBZ/DDR. Während anfangs die Probleme der Eingliederung (siehe Lastenausgleichsgesetz Q 38) als eine nur schwer zu bewältigende Belastung angesehen wurden, ist rückblickend zu sagen, daß die Vertriebenen und Flüchtlinge den umfassenden Prozeß der Modernisierung der westdeutschen Wirtschaft und Gesellschaft wesentlich stimuliert und damit maßgeblich zur wirtschaftlichen Prosperität der Bundesrepublik beigetragen haben.
Anteile der Vertriebenen und Zugewanderten an der Bevölkerung im Bundesgebiet 1950 und 1960 in 1000 und v.H.
Charta der deutschen Heimatvertriebenen. Die Erklärung wurde vom Zentralverband der vertriebenen Deutschen und den Vereinigten Ostdeutschen Landsmannschaften am 5. August 1950 in Bad Cannstatt verkündet.
Im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen im Bewußtsein ihrer Zugehörigkeit zum christlich-abendländischen Kulturkreis im Bewußtsein ihres deutschen Volkstums und in der Erkenntnis der gemeinsamen Aufgabe aller europäischen Völker haben die erwählten Vertreter von Millionen Heimatvertriebener nach reiflicher Überlegung und nach Prüfung ihres Gewissens beschlossen, dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit gegenüber eine feierliche Erklärung abzugeben, die die Pflichten und Rechte festlegt, welche die deutschen Heimatvertriebenen als ihr Grundgesetz und als unumgängliche Voraussetzung für die Herbeiführung eines freien und geeinten Europas ansehen.
1. Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.
2. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.
3. Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.
Wir haben unsere Heimat verloren. Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Erde. Gott hat die Menschen in ihre Heimat hineingestellt. Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen, bedeutet ihn im Geiste töten. Wir haben dieses Schicksal erlitten und erlebt. Daher fühlen wir uns berufen zu verlangen, daß das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird. Solange dieses Recht für uns nicht verwirklicht ist, wollen wir aber nicht zur Untätigkeit verurteilt beiseite stehen, sondern in neuen geläuterten Formen verständnisvollen und brüderlichen Zusammenlebens mit allen Gliedern unseres Volkes schaffen und wirken. Darum fordern und verlangen wir heute wie gestern:
a) Gleiches Recht als Staatsbürger, nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch in der Wirklichkeit des Alltags.
b) Gerechte und sinnvolle Verteilung der Lasten des letzten Krieges auf das ganze deutsche Volk und eine ehrliche Durchführung dieses Grundsatzes.
c) Sinnvollen Einbau aller Berufsgruppen der Heimatvertriebenen in das Leben des deutschen Volkes.
d) Tätige Einschaltung der deutschen Heimatvertriebenen in den Wiederaufbau Europas.
Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden.
Die Völker sollen handeln, wie es ihren christlichen Pflichten und ihrem Gewissen entspricht. Die Völker müssen erkennen, daß das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen, wie aller Flüchtlinge, ein Weltproblem ist, dessen Lösung höchste sittliche Verantwortung und Verpflichtung zu gewaltiger Leistung fordert.
Wir rufen Völker und Menschen auf, die guten Willens sind, Hand anzulegen ans Werk, damit aus Schuld, Unglück, Leid, Armut und Elend für uns alle der Weg in eine bessere Zukunft gefunden wird.
Das Lastenausgleichsgesetz vom 14. August 1952 sah neben einer Hypothekengewinnabgabe und einer Kreditgewinnabgabe eine Vermögensabgabe auf das am Stichtag der Währungsreform vorhandene Vermögen (steuerlicher Einheitswert) in Höhe von 50 v. H. vor. Bis über das Jahr 2000 hinaus werden insgesamt 146 Milliarden DM an Leistungen erbracht und an die Anspruchsberechtigten verteilt worden sein. Damit gehört der Lastenausgleich "zu den größten Wirtschafts- und Finanztransaktionen der deutschen Geschichte.
In Anerkennung des Anspruchs der durch den Krieg und seine Folgen besonders betroffenen Bevölkerungsteile auf einen die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit und die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten berücksichtigenden Ausgleich von Lasten und auf die zur Eingliederung der Geschädigten notwendige Hilfe sowie unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß die Gewährung und Annahme von Leistungen keinen Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rückgabe des von den Vertriebenen zurückgelassenen Vermögens bedeutet, hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das nachstehende Gesetz beschlossen:
§ 1 Ziel des Lastenausgleichs
Die Abgeltung von Schäden und Verlusten, die sich infolge der Vertreibungen und Zerstörungen der Kriegs- und Nachkriegszeit ergeben haben sowie die Milderung von Härten, die infolge der Neuordnung des Geldwesens im Geltungsbereich des Grundgesetzes einschließlich Berlin (West) eingetreten sind, bestimmt sich nach diesem Gesetz; die erforderlichen Mittel werden nach Maßgabe dieses Gesetzes aufgebracht (Lastenausgleich). § 2 Zur Durchführung des Lastenausgleichs werden Ausgleichsabgaben erhoben und Ausgleichsleistungen gewährt.
§ 3 Ausgleichsabgaben
Als Ausgleichsabgaben werden erhoben:
1. eine einmalige Vermögensabgabe, 2. eine Sonderabgabe auf Gewinne aus Schulden für die Grundpfandrechte bestellt worden sind (Hypothekengewinnabgabe), 3. eine Sonderabgabe auf Schuldnergewinne gewerblicher Betriebe (Kreditgewinnabgabe).
§ 4 Ausgleichsleistungen
Als Ausgleichsleistungen werden gewährt:
1. Hauptentschädigung, 2. Eingliederungsdarlehen, 3. Kriegsschadenrente, 4. Hausratentschädigung, 5. Wohnraumhilfe, 6. Leistungen aus dem Härtefonds, 7. Leistungen auf Grund sonstiger Förderungsmaßnahmen, 8. Entschädigung im Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener, 9. Entschädigung nach dem Altsparergesetz, 10. Darlehen, die zur verstärkten Förderung der Flüchtlingssiedlung gewährt werden .
§ 12 Vertreibungsschäden
(1) Ein Vertreibungsschaden im Sinne des Gesetzes ist unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 ein Schaden, der einem Vertriebenen im Zusammenhang mit den gegen Personen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit gerichteten Vertreibungsmaßnahmen In den zur Zeit unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 entstanden ist ...
§ 16 Unbeschränkte Abgabepflicht
(1) Unbeschränkt abgabepflichtig sind
1. natürliche Personen, die zu Beginn des 21. Juni 1948 einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) gehabt haben;
2. die folgenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die zu Beginn des 21. Juni 1948 ihre Geschäftsleitung oder Ihren Sitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) gehabt haben: a) Kapitalgesellschaften ... , b) Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, c) Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, d) sonstige juristische Personen des privaten Rechts ...
§ 31 Die Vermögensabgabe beträgt einheitlich 50 vom Hundert des abgabepflichtigen Vermögens...
§ 246 Schadensgruppen und Grundbeträge
(1) Auf Grund der Schadensfeststellung wird der unmittelbar Geschädigte in eine der nachfolgenden Schadensgruppen eingestuft. Die Hauptentschädigung bemißt sich nach einem Grundbetrag, welcher der Schadensgruppe entspricht, in die der unmittelbar Geschädigte eingereiht worden ist.
4. Hypotheken der Vergangenheit
Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen. Aus einer Dokumentation des Leiters der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen Ludwigsburg, Leitender Oberstaatsanwalt Adalbert Rückerl, vom Dezember 1978
In den Jahren 1948 und 1949 hatte die Zahl der erfolgreichen Verfahrensabschlüsse mit 1819 bzw. 1523 rechtskräftigen Verurteilungen ihren Höhepunkt erreicht. Sie fiel in den folgenden Jahren bis 1955 rasch ab. In diesem Jahr kam es lediglich noch zu 21 rechtskräftigen Verurteilungen, davon einer zu lebenslangem Zuchthaus. Dieser Rückgang ist zum Teil auf die im Jahre 1950 eingetretene Verfolgungsverjährung aller minderschweren, mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsentzug bedrohten Straftaten zurückzuführen.
Außerdem war auch in den Jahren nach] 950 die Zahl der bei den Strafverfolgungsbehörden erstatteten Anzeigen erheblich zurückgegangen. Ein großer Teil der Ermittlungs- und Strafverfahren war nach 1945 auf Grund von Anzeigen der in den Lagern untergebrachten Verfolgten des NSRegimes in Gang gekommen. Da zahlreiche Insassen dieser Lager bis etwa 1950 ins Ausland emigriert und andere nach der im Jahre 1948 erfolgten Währungsreform mit dem Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz beschäftigt waren, erlahmte offenbar weitgehend das Interesse dieser Kreise an der Durchführung der Strafverfahren.
Von Amts wegen wurden nur in wenigen Fällen Ermittlungen eingeleitet. Die Staatsanwälte waren in der Regel nach wie vor mit der Bewältigung der aktuellen Alltagskriminalität bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit belastet. Erfuhr einer von ihnen durch die Presse, durch die in jenen Jahren stark aufkommende sogenannte "KZ-Literatur" oder - abgesehen von einer förmlichen Strafanzeige - auch auf anderem Wege von einem beispielsweise in Polen oder in Rußland begangenen Verbrechen so sah er noch keinen Anlaß, von Amts wegen tätig zu werden. Der Tatort lag außerhalb seines örtlichen Zuständigkeitsbereichs; Anhaltspunkte dafür, daß sich die zumeist noch nicht einmal namentlich bekannten Täter ausgerechnet in seinem Bezirk aufhalten könnten, lagen nicht vor. Aber auch manches bereits eingeleitete, objektiv durchaus erfolgsträchtige Verfahren endete seinerzeit mit einer Einstellung, weil es dem dafür zuständigen Staatsanwalt oft an den zur Aufklärung eines NS-Verbrechens erforderlichen zeitgeschichtlichen Kenntnissen fehlte und er deshalb vor den ihm unüberwindbar erscheinenden Beweisschwierigkeiten kapitulierte. Gegenüber einem mit den organisatorischen Zusammenhängen, insbesondere mit der zur Tatzeit bestehenden polizeilichen Befehlsstruktur nicht vertrauten Ermittlungsbeamten oder Staatsanwalt konnte ein Beschuldigter oft genug mit einem schlichten Bestreiten der gegen ihn erhobenen Vorwürfe erreichen daß das Verfahren mangels hinreichenden Schuldbeweises eingestellt wurde. Begünstigt wurde dies noch dadurch, daß manche dieser Beschuldigungen so unfaßbar erschienen, daß es einem rechtlich denkenden Menschen ohnehin schwer fiel zu glauben, daß sich solche Dinge überhaupt zugetragen haben könnten ...
5866 Personen waren auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 bis zum Ende des Jahres 1955 wegen ihrer Beteiligung an nationalsozialistischen Straftaten durch deutsche Gerichte verurteilt worden. Im Frühjahr 1955 war inzwischen die zehnjährige Verjährungsfrist für solche Straftaten abgelaufen, die das Gesetz mit einer Freiheitsstrafe bis zum Höchstmaß von zehn Jahren bedroht. Das bedeutete, daß künftig nur noch vorsätzliche Tötungsdelikte strafrechtlich verfolgt werden konnten.
Zur gleichen Zeit - am 5. Mai 1955 - traten der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA, Großbritannien und Frankreich geschlossene "Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen" (sogen. überleitungsvertrag) und das Gesetz der Alliierten Hohen Kommission A-37 betreffend die "Beseitigung der Wirksamkeit und Aufhebung bestimmter Vorschriften des Besatzungsrechts" in Kraft. Mit ihnen wurden praktisch die letzten auf strafrechtlichem Gebiet für die deutsche Justiz noch bestehenden Beschränkungen aufgehoben. Eine bedeutsame Ausnahme enthält jedoch die Bestimmung des Artikels 3 Absatz 3b des Überleitungsvertrages, demzufolge deutsche Gerichte die ihnen nach deutschem Recht zustehende Gerichtsbarkeit ausüben dürfen,
" ... in Strafverfahren gegen natürliche Personen, es sei denn, daß die Untersuchung wegen der angeblichen Straftat von den Strafverfolgungsbehörden der betreffenden Macht oder Mächte endgültig abgeschlossen war oder diese Straftat in Erfüllung von Pflichten oder Leistung von Diensten für die Besatzungsbehörden begangen wurde."
Die letztgenannte Bestimmung hatte auf die später vor deutschen Gerichten geführten NS-Prozesse nicht zu unterschätzende psychologische Auswirkungen. Hohe NS-Funktionäre, gegen die von britischen, französischen oder amerikanischen Strafverfolgungsorganen wegen bestimmter Taten Untersuchungen geführt worden waren, deren Verfahren jedoch damals mangels ausreichender Beweise eingestellt werden mußten, können wegen dieser Taten selbst dann, wenn der Schuldbeweis heute zu erbringen wäre, nicht mehr vor Gericht gestellt werden. Ehemalige Führer von Einsatzgruppen und Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD, die vom amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg im sogenannten "Einsatzgruppen-Prozeß" verurteilt und später begnadigt wurden, befanden sich um die Mitte der 50er Jahre (spätestens 1958) in Freiheit und konnten nicht weiter zur Rechenschaft gezogen werden. Ihre damaligen Untergebenen wurden dagegen in den darauffolgenden Jahren vor Gerichte gestellt und in mehreren Fällen zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.
Im einem in Luxemburg am 10. September 1952 von Konrad Adenauer unterzeichneten Abkommen verpflichtete sich die Bundesrepublik, dem Staat Israel einen Betrag von 3 Milliarden DM als Wiedergutmachung für die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verübten Verbrechen gegen das jüdische Volk zu zahlen.
Die Einstellung der Bundesbürger zu dem Wiedergutmachungsabkommen mit Israel, September 1952
Frage: "Soll Deutschland an Israel als Wiedergutmachung drei Milliarden Mark in Waren bezahlen, oder halten Sie es für überflüssig?" (Angaben in %)
5. Gesellschaftliche Wandlungen
Die Frage, ob die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik in ihrem Kern nach wie vor durch die Strukturen der kapitalistischen Klassengesellschaft bestimmt ist oder ob eine Nivellierung in Richtung auf eine Mittelstandsgesellschaft eingetreten sei, wird in den Sozialwissenschaften kontrovers diskutiert.
Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft. Die gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik aus Sicht des Soziologen Helmut Schelsky, 1965
Die Frage nach der Klassengesellschaft, wie sie von Marx aus zu definieren ist, heißt doch: Gibt es noch "die zwei großen feindlichen Lager", die sich auf allen Lebensgebieten im Interessengegensatz gegenüberstehen? Und bestimmt diese große Kluft zwischen den Klassen noch an erster Stelle unser soziales Geschehen? Diese Frage muss man heute als Sozialwissenschaftler wohl eindeutig verneinen: in diesem Sinne sind wir gegenwärtig keine Klassengesellschaft mehr…
In der deutschen Gesellschaft der zwei letzten Generationen sind vor allem umfassende und strukturell tiefgreifende soziale Aufstiegs- und Abstiegschancen zu verzeichnen. Zunächst haben der kollektive Aufstieg der technischen, kaufmännischen und Verwaltungs-Angestellten in den neuen Mittelstand der industriellen Gesellschaft von unten her an der Schließung der großen sozialen Kluft gearbeitet.
Mit diesen Aufstiegsprozessen kreuzen sich in etwas jüngerer Zelt breite soziale Abstiegs- und Deklassierungsprozesse die im ersten Weltkrieg begannen, in den Jahren nach 1945 in den Heimatvertreibungen und anderen Arten der Deklassierung und des Besitzverlustes bisher gipfelten und besonders die Schichten des ehemaligen Besitz- und Bildungsbürgertums betroffen haben. Das Zusammenwirken dieser sich begegnenden Richtungen des sozialen Auf- und Abstiegs führt einem Abbau der Klassengegensätze zu einer sozialen Nivellierung der Gesellschaft in einer sehr breiten, verhältnismäßig einheitlichen Gesellschaftsschicht, die ebensowenig proletarisch wie bürgerlich genannt werden kann. Eine umfassende und sich ständig ausdehnende Sozialpolitik auf der einen und eine strenge, sich in den höheren Einkommensstufen schnell verschärfende Steuerpolitik auf der anderen Seite sind zu Dauerfaktoren dieses sozialen Nivellierungsvorgangs geworden, dem sich heute nur noch wenige und sehr kleine, für die Struktur der Gesellschaft relativ unwichtige Gruppenentziehen können.
Dieser relativen Angleichung der wirtschaftlichen Positionen und der weitgehenden Einheitlichkeit des politischen Status folgt vor allem auch eine Vereinheitlichung der sozialen und kulturellen Verhaltensformen und Daseinswünsche in einem Lebenszuschnitt, den man, gemessen an der alten Schichtenstufung in der „unteren Mitte“ lokalisieren muss. Man könnte ihn als "kleinbürgerlich-mittelständisch" bezeichnen, wenn diese Begriffe nicht durch ihren Klassencharakter zu allzuviel Mißverständnissen führten. Dieser verhältnismäßig einheitliche Lebensstil der nivellierten Mittelstandsgesellschaft - wie ich diese Sozialstruktur einmal vorläufig nennen möchte - wird nämlich keineswegs mehr durch die alten Klassenkennzeichen bestimmt, sondern diese neue "mittelständische" Lebensform erfüllt sich und gewinnt ihr soziales Selbstbewußtsein darin, fast einheitlich an den materiellen und geistigen Gütern des modernen Zivilisationskomforts teilzunehmen. Hier liegt die große Rolle, die die industrielle und wirtschaftliche Entwicklung selbst, nämlich die Ausdehnung der Massenproduktion, in der Einebnung des Klassengegensatzes gespielt hat. Der universale Konsum der industriellen und publizistischen Massenproduktionen sorgt auf allen Lebensgebieten dafür, daß fast jedermann seinen Fähigkeiten angemessen das Gefühl entwickeln kann, nicht mehr "ganz unten" zu sein, sondern an der Fülle und dem Luxus des Daseins schon teilhaben zu können; vor allem aber ist diese Teilhabe zum selbstverständlichen Sozialanspruch aller geworden. In diesem Sinne liegt in der industriellen Massenproduktion von Konsum-, Komfort- und Unterhaltungsgütern, deren sich ja auch die ehemals oberen, bürgerlichen Schichten heute schon voll bedienen, die wirksamste Überwindung der Klassenstruktur der industriellen Gesellschaft selbst begründet, allerdings auch ihre Uniformierung in Lebensstil und sozialen Bedürfnissen. Diese verhältnismäßige Nivellierung ehemals schichten- und klassentypischer Verhaltensformen des Familienlebens, der Berufs- und Ausbildungswünsche der Kinder, der Wohn-, Verbrauchs- und Unterhaltungsformen, ja der kulturellen politischen und wirtschaftlichen Reaktionsformen überhaupt ist der heute vielleicht dominierendste Vorgang in der Dynamik unserer modernen Gesellschaft .
Die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung in den fünfziger und sechziger Jahren bestätigt Schelskys These der "sozialen Nivellierung" nur bedingt. Andererseits geben die zur Verfügung stehenden statistischen Werte aber auch keinen Hinweis auf eine Verschärfung der dualistischen Klassenspannung zwischen Kapital und Arbeit, wie sie von marxistischer Seite immer wieder prognostiziert worden ist. Richtig ist vielmehr, von einer "relativen Konstanz" in der Einkommens- und Vermögensverteilung auszugehen. Gleichzeitig muß allerdings gesehen werden, daß die allgemeine Einkommensentwicklung in den fünfziger Jahren die Voraussetzung für den Eintritt der Bundesrepublik in das Stadium des Massenkonsums (siehe Q 25) schuf, verbunden mit einer bisher nicht gekannten Tendenz zur Vereinheitlichung des Lebensstils.
Wandlungen der deutschen Elite. Aus einer Untersuchung des Soziologen Wolfgang Zapf, 1965
Welche sozialen Umschichtungen hat Deutschland seit Beginn dieses Jahrhunderts durchgemacht?
1. Aus der verspäteten deutschen Industrialisierung ist nicht das Junkertum, sondern das Kleinbürgertum angeschlagen hervorgegangen; dennoch bildet es zu Beginn des Jahrhunderts noch immer eine geschlossene Gruppe von etwa einem Viertel der Bevölkerung. Die Unterklassen verloren ihren agrarischen Charakter, sie sind urbanisiert und industrialisiert worden; innerhalb ihrer bilden die Landarbeiter eine Minderheit. Ihren proletarischen Kern stellt die Industiearbeiterschaft dar, hinzugekommen sind große proletaroide Randgruppen von Einzelselbständigen und Kleinbauern ....
2. Dreißig Jahre [d. h. 1930] später sind die neuen Schichtungslinien deutlich. sichtbar geworden. „Obwohl sich die Abstiegsprozesse aus dem Kleinbürgertum haufen, hat sich die gesellschaftliche Mitte verbreitet: Im neuen Mittelstand entwickelte eine Gruppe von Abhängigen Verhaltensmuster und Mentalitäten, die eindeutig von denen des Proletariats verschieden sind. Die Qualifikationsansprüche haben sich in der Gesellschaft insgesamt so stark differenziert, daß innerhalb der Klasse der Abhängigen selbst ein Aufstieg möglich geworden ist. Während sich die Situation der nichtindustriellen Proletaroiden, besonders der Kleinhändlerschaft, weiter verschärft hat, waren qualifizierte Angestellte und Techniker z. T. imstande, bis dicht an die gesellschaftliche Spitze heranzukommen. .
3. Die Gesellschaft hat sich nicht im Sinne der marxistischen Prophezeiungen polarisiert, sondern differenziert. Dieser Prozeß hat bis 1960 angehalten. Ökonomisch sind immer weniger Personen selbständig, und doch ist die Mitte weiter angewachsen. Schon aus der Berufsstatistik läßt sich ersehen, wie stark sich die Angestelltenschaft vergrößert hat.
Sie kann größtenteils nicht zur Unterschicht gerechnet werden. Das ist der harte Kern der These von der nivellierten Mittelstandsgesellschaft. Mit einer weiteren Angleichung der Konsum- und Verhaltungsgewohnheiten verschwinden allerdings - das muß bei allen Schichtungsanalysen beachtet werden - die Machtunterschiede keineswegs, denn Macht ist in Gesellschaften nicht geschichtet, sondern dichotomisch verteilt.
4. So kann man sagen, daß sich in nicht viel mehr als hundert Jahren die deutsche Gesellschaft aus einer einheitlich ländlichen in eine entwickelt industrielle verwandelt hat. Waren bourgeoisoide und proletarische Elemente um die Mitte des vorigen Jahrhunderts noch Randphänomene, so sind heute die nichtindustriellen Schichten im Begriff, ebenfalls von der Industrialisierung erfaßt zu werden ...
5. In der Ober klasse hat sich die industrielle Bourgeoisie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Platz neben der feudalen Herrenschicht erobert und die kleine Gruppe des Bildungsbürgertums überholt. Bis zum Untergang des Kaiserreichs hat sie willig ihr Geld in die Ehe mit den Mächtigen eingebracht. Den politischen und wirtschaftlichen Zusammebruch des alten Systems, in den auch die Bildungsbürger mit hineingerissen wurden, hat eine kleine wirtschaftliche Oberschicht überlebt... Während aber die Positionen des ökonomischen Reichtums in festen Händen blieben, sich sogar kumulierten, während sich als Spitze eines "neuen Mittelstandes" eine Gruppe von Experten in die Prestigepositionen von Adel und Bildungsbürgern teilte, blieb im Zentrum der Macht ein Vakuum, das die republikanischen Politiker nur so lange ausfüllen konnte, bis mit der Nazi-Elite eine Clique von Machtspezialisten in dieses Vakuum eindrang und die Machtpositionen zwölf Jahre lang okkupiert hat. Als die Nazielite von außen zerschlagen wurde, entstand erneut ein gefährliches Vakuum an der Spitze. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es jedoch "unter Aufsicht", d.h. zunächst von den Siegermächten, aufgefüllt, und zwar im Westen und Osten nach verschiedenen Prinzipien und mit sehr unterschiedlichen Elitegruppen ...
Die sowjetische Besatzungsmacht hat das Entnazifizierungsprogramm dazu benutzt, die geschlagene totalitäre Elite durch eine andere zu ersetzen; einige der prominentesten Kommunisten wurden direkt aus Moskau importiert, sie haben teilweise die russische Staatsbürgerschaft nicht abgelegt und ihre Entscheidungen gleichsam als Mitglieder der sowjetischen Exekutive getroffen. Die ostdeutschen Kommunisten begannen sofort damit, die Zwangsvereinigung aller politischen Kräfte zu betreiben. Sehr bald wurde die Vereinheitlichung auf andere gesellschaftliche Bereiche ausgedehnt. Das Ziel war und ist der Aufbau einer geschlossenen herrschenden Klasse, die Verwaltungen, Management, Justiz, Generalität, Erziehung und auch die Kirche unter die Führung der Einheitspartei zusammenfaßt. Die neue ostdeutsche Elite ist monolithisch und totalitär; politische Kader kontrollieren in einem vielfältigen System von Massenorganisationen praktisch jeden Winkel der Gesellschaft und jegliche Entwicklung...
Sobald die westlichen Besatzungsmächte unter dem Druck einer veränderten politischen Konstellation den Plan aufgegeben hatten, vor dem wirtschaftlichen Neuaufbau Westdeutschlands den politischen Aufbau abzuschließen, mußte auf erfahrene Experten der Verwaltung, des Militärs und vor allem der Wirtschaft zurückgegriffen werden, unbesehen ihres Entnazifizierungsbescheids '" Zwar wurden die politischen Führungsgruppen radikal ausgewechselt, in die nicht-politischen Spitzenpositionen kehrten aber einzeln und nacheinander große Teile der früheren Experten zurück. Was ihren sozialen Hintergrund, ihre Herkunft und Karriere anbelangt, so zeigt sich - wider manche Erwartungen - "trotz drastischer und plötzlicher Wandlungen der politischen Systeme ... eine große Kontinuität und nur ein begrenztes Maß langsamen Wandels im sozialen Hintergrund der deutschen Führungsgruppen während des letzten halben Jahrhunderts und besonders während der letzten zwanzig oder dreißig Jahre".
Für die soziologischen Beobachter deuten aber einige Anzeichen darauf hin, daß sich vor dem Hintergrund der sozialen Kontinuität die Werte der westdeutschen Führungsgruppen und die politischen und gesellschaftlichen Institutionen, in denen sie agieren, nicht unerheblich gewandelt haben '" Es gibt Ansätze zu einem funktionierenden repräsentativen System. Werte und Institutionen haben sich von der autoritären und totalitären Vergangenheit entfernt, wenn auch keineswegs alle autoritären oder totalitären Ingredienzen beseitigt worden sind. Es ist dieser veränderte Kontext, der der neuen westdeutschen Oberschicht trotz aller Kontinuitäten neue Funktionen und einen neuen Stellenwert zuweist ...
1. Europäische Integration und Gemeinsamer Markt
Auf der Konferenz von Messina (1.-2. Juni 1955) beschlossen die Außenminister von Frankreich, Italien, Belgien, der Niederlande, Luxemburg und der Bundesrepublik die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Marktes. Am 25. März 1957 wurden in Rom von den Regierungschefs der Sechs die Verträge unterzeichnet, die die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atombehörde (EURATOM) besiegelten. Aus westdeutscher Sicht waren dabei, genau wie zuvor bei der Montanunion, nicht die wirtschaftlichen, sondern die politischen Motive ausschlaggebend. So kam es in dieser Frage zwischen Bundeskanzler Adenauer und Wirtschaftsminister Erhard zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung. Während Erhard 1956/57 die Form des westeuropäischen Integrationsprozesses für "volkswirtschaftlichen Unsinn" hielt und in der Zollunion der Sechs vornehmlich die Abkehr von einer weltoffenen Handelspolitik sah, war für Adenaue I' die Integration "das notwendige Sprungbrett für uns, um überhaupt wieder in die Außenpolitik zu kommen"
Europäische Integration als Richtlinie deutscher Politik. In einem von Erhard als "Integrationsbefehl" kritisierten Schreiben vom 19. Januar 1956 an sämtliche Bundesminister machte Bundeskanzler Adenauer von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch.
Die gegenwärtige außenpolitische Lage enthält außerordentliche Gefahren. Um sie abzuwenden und eine günstige Entwicklung einzuleiten, bedarf es entschlossener Maßnahmen. Dazu gehört vor allem eine klare, positive deutsche Haltung zur europäischen Integration.
In dieser europäischen Integration sehen die entscheidenden Staatsmänner des Westens den Angelpunkt der Entwicklung ... Wenn die Integration gelingt, können wir bei den Verhandlungen sowohl über die Sicherheit wie über die Wiedervereinigung als wesentliches neues Moment das Gewicht eines einigen Europas in die Waagschale werfen. Umgekehrt sind ernsthafte Konzessionen der Sowjetunion nicht zu erwarten, solange die Uneinigkeit Europas ihr Hoffnung gibt, diesen oder jenen Staat zu sich herüberzuziehen, dadurch den Zusammenhalt des Westens zu sprengen und die schrittweise Angliederung Europas an das Satellitensystem einzuleiten. Hinzu kommt, daß die dauerhafte Ordnung unseres Verhältnisses zu Frankreich nur auf dem Wege der europäischen Integration möglich ist. Sollte die Integration durch unser Widerstreben oder unser Zögern scheitern, so wären die Folgen unabsehbar.
Daraus ergibt sich als Richtlinie unserer Politik, daß wir den Beschluß von Messina entschlossen und unverfälscht durchführen müssen. Noch stärker als bisher muß der politische Charakter dieses Beschlusses beachtet werden, der nicht allein eine technische Kooperation aus fachlichen Erwägungen, sondern eine Gemeinschaft herbeiführen soll, die (auch im Interesse der Wiedervereinigung) die gleiche Richtung des politischen Willens und Handelns sichert. Der OEEC-Rahmen genügt dafür nicht. In den Dienst dieser politischen Zielsetzung müssen alle fachlichen Erwägungen treten.
Insbesondere muß für die Durchführung des Programms von Messina folgendes gelten:
1. Die Integration zunächst unter den Sechs ist mit allen in Betracht kommenden Methoden zu fördern, also sowohl auf dem Gebiet der allgemeinen (horizontalen) Integration wie bezüglich der geeigneten (vertikalen) Teilintegration.
2. Hierbei ist von vornherein nach Möglichkeit die Schaffung geeigneter gemeinsamer Institutionen anzustreben, um im Sinne der großen politischen Zielsetzung eine feste Bindung der Sechs herbeizuführen.
3. Die recht gut gelaufenen Beratungen über die Herstellung eines gemeinsamen europäischen Marktes - d. h. eines Marktes, der einem Binnenmarkt ähnlich ist - müssen mit Nachdruck zu Ende geführt werden. Dabei müssen europäische Organe mit Entscheidungsbefugnissen geschaffen werden, um das Funktionieren dieses Marktes zu sichern und gleichzeitig die politische Weiterentwicklung zu fördern.
4. Ausgehend von dem Gedanken des Gemeinsamen Marktes muß auch für den Verkehr eine echte Integration der Sechs angestrebt werden. Das gilt insbesondere von der Luftfahrt; eine grundsätzliche Ablehnung oder Verzögerung von Integrationsplänen für die Produktion, das Beschaffungswesen und die Betriebsführung auf diesem Gebiet ist politisch nicht zu verantworten.
5. Das gleiche gilt für die Energie, insbesondere die Kernenergie. Es ist eine zwingende politische Notwendigkeit, jeden Zweifel darüber zu beseitigen, daß wir nach wie vor zu unseren Erlärungen von Messina stehen wonach eine europäische Atomgemeinschaft mit Entscheidungsbefugnissen, gemeinsamen Organen und gemeinsamen Finanz- und sonstigen Durchführungsmitteln gegründet werden soll. Die Amerikaner sehen, wie sie offiziell erklärt haben, in einer europäischen Atomgemeinschaft, die im Gegensatz zur OEEC eigene Rechte und Verantwortlichkeiten hat, ein entscheidendes Moment der politischen Entwicklung. Sie sind bereit, eine solche Atomgemeinschaft mit allem Nachdruck zu unterstützen. Andererseits läßt sich nach Auffassung der We1töffentlichkeit die friedliche Nutzung der Atomenergie von der Möglichkeit der Herstellung von Atombomben praktisch nicht trennen. Der deutsche Versuch einer rein nationalen Atomregelung würde daher vom Ausland mit größtem Mißtrauen aufgenommen werden. Insbesondere können wir, wenngleich selbstverständlich Deutschland nicht diskriminiert werden darf und die deutsche Forschung und Industrie möglichst freien Raum erhalten müssen, eine gemeinsame europäische Bewirtschaftung einzelner Stoffe nicht ablehnen, wenn sie aus Sicherheitsgründen erforderlich ist.
Ich bitte, das vorstehend Dargelegte als Richtlinien der Politik der Bundesregierung (Art. 65 GG) zu betrachten und danach zu verfahren.
Gez. Adenauer
Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Funktionsweise des Gemeinsamen Marktes sowie die Vor- und Nachteile für die Bundesrepublik in einer Zusammenfassung des "Spiegel", 27. Februar 1957
Der gemeinsame Markt
Das Ziel
Die Bundesrepublik, Frankreich, Italien, Belgien, Holland und Luxemburg einschließlich ihrer Überseegebiete erheben im Handelsverkehr untereinander keine Zölle mehr. Der übrigen Welt gegenüber schaffen sie sich einen gemeinsamen Zolltarif; die Bundesrepublik muß die meisten Zölle erhöhen. Investitionen in Überseegebieten der Staaten des Gemeinsamen Marktes werden von den Markt-Partnern gemeinsam finanziert.
Eine europäische Atomgemeinschaft ist Eigentümer aller spaltbaren Materialien für friedliche Zwecke, die im Marktgebiet vorhanden sind. In Frankreich bleibt spaltbares Material für militärische Zwecke in nationaler Regie. Die französische Regierung entscheidet, welche in Frankreich liegenden Kernbrennstoffe für friedliche und welche für militärische Zwecke bestimmt sind. Eine neunköpfige europäische Kommission, die 20 Stimmen repräsentiert (Bundesrepublik, Frankreich, Italien je 5, Holland und Belgien je 2, Luxemburg eine) und von einer 225köpfigen parlamentarischen Körperschaft (darunter 60 Deutschen) kontrolliert wird, steuert den Markt. Eine Gerichtsinstanz schlichtet Streitfälle.
Der Weg
Die Zölle zwischen den Markt-Staaten werden stufenweise in zwölf Jahren, für landwirtschaftliche Produkte in 15 Jahren abgebaut, die Zölle für Einfuhren aus den Überseegebieten der Markt-Staaten generell in zwölf Jahren. Die gemeinsamen Investitionen der Markt-Partner in den Überseegebieten hauptsächlich Frankreichs werden zunächst auf fünf Jahre und 581,25 Millionen Dollar beschränkt. (Aufbringung und Verteilung siehe unten.) Dann soll Bilanz gemacht werden, ob sich der Einsatz gelohnt hat.
Kritische Punkte
Die Währungen der Markt-Staaten haben unterschiedliche Kaufkraft, die Wechselkurse sind verzerrt. Ein Ständiger Ausschuß soll sich an der ziemlich unlösbaren Aufgabe versuchen, ein akzeptables Verhältnis zwischen den Währungen herzustellen.
Die Gestehungskosten der Industrie-Produkte in den Markt-Staaten sind mit verschieden hohen Löhnen und Sozialleistungen belastet. Löhne und soziale Lasten sollen in den sechs Staaten möglichst einander angeglichen werden. Die Landwirtschaft der sechs Markt-Staaten - überall direkt oder indirekt staatlich subventioniert - tritt nur beschränkt in freie Konkurrenz. Ausgleichsklauseln, langfristige Abnahmegarantien zu festen Preisen und so weiter sollen sie weiterhin schützen.
Vorteile für Bonn
Zollfreie Einfuhr aus den Überseegebieten der Markt-Staaten. Freier Zugang zu den Bodenschätzen Französisch-Afrikas. Gute Investitionsmöglichkeiten für deutsches Privatkapital.
Nachteile für Bonn
Wegen der Erhöhung der Zollsätze gegenüber Staaten die dem Gemeinsamen Markt fernstehen, und wegen der Angleichung des sozialen Niveaus der westdeutschen Produktionsarbeiter an - teurere - französische Regelungen besteht die Gefahr von Preissteigerungen. Wenn die zur Zeit gültigen Bonner Handelsabmachungen mit Staaten außerhalb des Gemeinsamen Marktes ausgelaufen sind, verliert die Bundesrepublik die Souveränität über ihre Handelsvertragspolitik. Die Beschränkung des deutschen Außenhandels durch die Zwangszölle des Gemeinsamen Marktes kann Störungen der gesamten Wirtschaft hervorrufen.
Der Beginn des planetarischen Zeitalters. Den Start des ersten sowjetischen Erdsatelliten "Sputnik" am 4. Oktober 1957 kommentiert der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Karl Korn, 7. Oktober 1957
Wir sind dabei gewesen
Goethe hat, als er vor Valmy die Kanonen der französischen Revolutionsheere donnern hörte, das säkulare Wort gesprochen, das Epoche machte, weil es genau in jenem erregenden Augenblick gesprochen wurde, da in jähem Bruch eine neue Epoche der Weltgeschichte anhub. Goethe hat seinem ahnungsvollen Wort damals den Nachsatz folgen lassen, daß er sagen könne: "Ich bin dabei gewesen."
Dies scheint ein Wort zu sein, brauchbar in dem ungeheuren Augenblick, da zum erstenmal aus dem Weltall Morsesignale von einem künstlichen Mond registriert werden, der in 900 Kilometer Höhe alle eineinhalb Stunden einmal um den Erdball kreist ... Die Perspektiven dessen, was auf diesen ersten Satelliten nun alles folgen wird, sind ungeheuer. Da wir seit Jahrzehnten mit technischen Wundern vertrauten alltäglichen Umgang haben, ist anzunehmen, daß wir bald gedankenlos in den Sog dessen, was nun Schlag auf Schlag folgen muß, gerissen werden.
Das Wettrennen der beiden Weltkolosse um wissenschaftliche, technische und das heißt allemal auch militärische Macht, um Prestige, und das heißt politische Macht, kann durch den sensationellen Vorstoß der Russen so fürchterlich gesteigert werden, daß die prometheische Größe des Ereignisses vom 4. Oktober im Schrecken eines neuen Wettlaufs verlorenzugehen droht ...
Wesentlich ist, daß wir den Moment in seiner allgemeinen fürchterlichen Bedeutung erkennen und wissen: Der erste mit Meßinstrumenten ausgestattete Satellit, der jetzt alle eineinhalb Stunden um die Erde kreist ist unser aller unheimlicher Trabant. Erfunden hat ihn der Menschengeist, nicht ein Machtblock in Rivalität zum andern.
Die Menschheit kann in diesen Tagen vom Rausch ihrer Größe trunken sein. Zugleich aber müssen wir alle wissen, daß, was jetzt folgt, von uns allen zu verantworten ist, daß es keinen Rückzug in den Stand unbeteiligter Unschuld mehr gibt und daß die großen moralischen Probleme der Menschheit, von denen ihr Fortbestand abhängt, so ungelöst sind wie je zuvor. Diese letzte Einsicht ist zugleich in gewisser Weise tröstlich, besagt sie doch, 111 politisches Vokabular übersetzt, daß man das Schicksal der Menschheit nicht auf automatisch rotierende Planetenbahnen setzen kann.
Während in der Frage der friedlichen Nutzung der Atomenergie in den fünfziger und sechziger Jahren ein weitgehender Konsens bestand, war ihr möglicher militärischer Einsatz innenpolitisch von Anfang an heftig umstritten. Als in der NATO Überlegungen angestellt wurden, auch nichtamerikanische Streitkräfte mit taktischen Kernwaffen auszurüsten, sprach sich Bundeskanzler Adenauer in einer Pressekonferenz am 4. April 1957 nachdrücklich für die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen aus, zumal die taktischen Waffen "nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie" seien. Daraufhin richteten die 18 führenden deutschen Atomwissenschaftler einen Aufsehen erregenden Appell an die deutsche Öffentlichkeit.
„Göttinger Erklärung“ der 18 deutschen Atomwissenschaftler, 12. April 1957
Die Pläne einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr erfüllen die unterzeichneten Atomforscher mit tiefer Sorge. Einige von ihnen haben den zuständigen Bundesministerien ihre Bedenken schon vor mehreren Monaten mitgeteilt. Heute ist die Debatte über diese Frage allgemein geworden. Die Unterzeichneten fühlen sich daher verpflichtet, ihrerseits auf einige Tatsachen hinzuweisen, die alle Fachleute wissen, die aber der Öffentlichkeit noch nicht hinreichend bekannt zu sein scheinen.
Erstens: Taktische Atomwaffen haben die zerstörende Wirkung normaler Atombomben. Als "taktisch" bezeichnet man sie, um auszudrücken, daß sie nicht nur gegen menschliche Siedlungen, sondern auch gegen Truppen im Erdkampf eingesetzt werden sollen. Jede einzelne taktische Atombombe oder -granate hat eine ähnliche Wirkung wie die erste Atombombe, die Hiroshima zerstört hat. Da die taktischen Atomwaffen heute in großer Zahl vorhanden sind, würde ihre zerstörende Wirkung im ganzen sehr viel größer sein. Als "klein" bezeichnet man diese Bomben nur im Vergleich zur Wirkung der inzwischen entwickelten "strategischen" Bomben, vor allem der Wasserstoffbomben.
Zweitens: Für die Entwicklungsmöglichkeit der lebenausrottenden Wirkung der strategischen Atomwaffen ist keine natürliche Grenze bekannt. Heute kann eine taktische Atombombe eine kleinere Stadt zerstören, eine Wasserstoffbombe aber einen Landstrich von der Größe des Ruhrgebietes zeitweilig unbewohnbar machen. Durch Verbreitung von Radioaktivität könnte man mit Wasserstoffbomben die Bevölkerung der Bundesrepublik heute schon ausrotten. Wir kennen keine technische Möglichkeit, große Bevölkerungsmengen vor dieser Gefahr sicher zu schützen.
Wir wissen, wie schwer es ist, aus diesen Tatsachen die politischen Konsequenzen zu ziehen. Uns als Nichtpolitikern wird man die Berechtigung dazu abstreiten wollen. Unsere Tätigkeit, die der Tätigkeit der reinen Wissenschaft und ihrer Anwendung gilt und bei der wir viele junge Menschen unserem Gebiet zuführen, belädt uns aber mit einer Verantwortung für die möglichen Folgen dieser Tätigkeit. Deshalb können wir nicht zu allen politischen Fragen schweigen.
Wir bekennen uns zur Freiheit, wie sie heute die westliche Welt gegen den Kommunismus vertritt. Wir leugnen nicht, daß die gegenseitige Angst vor den Wasserstoffbomben heute einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt und der Freiheit in einem Teil der Welt leistet. Wir halten aber diese Art, den Frieden und die Freiheit zu sichern, auf die Dauer für unzuverlässig. Und wir halten die Gefahr im Falle ihres Versagens für tödlich.
Wir fühlen keine Kompetenz, konkrete Vorschläge für die Politik der Großmächte zu machen. Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, daß es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden doch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet. Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichneten bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen.
Gleichzeitig betonen wir, daß es äußerst wichtig ist, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern, und wir wollen an dieser Aufgabe wie bisher mitwirken.
Professor Fritz Bopp, Professor Max Born, Professor Rudolf Fleischmann, Professor Walther Gerlach, Professor Otto Hahn, Professor Otto Haxel, Professor Werner Heisenberg, Professor Hans Kopfermann, Professor Max von Laue, Professor Heinz Maier-Leibnitz, Professor Josef Mattauch, Professor Friedrich-Adolf Paneth, Professor Wolfgang Paul, Professor Wolfgang Riezler, Professor Fritz Straßmann, Professor Wilhelm Walcher, Professor Carl-Friedrieh von Weizsäcker, Professor Karl Wirtz.
Öffentliche Entgegnung des Bundeskanzlers Adenauer auf die "Göttinger Erklärung anläßlich der Eröffnung der Politischen Akademie der CDU in Eichholtz bei Bonn, April 1957
Bei der Bedeutung der Angelegenheit wäre es gut gewesen, wenn sie mit Ihm als dem verantwortlichen Leiter der Politik gesprochen hätten, der nach der Verfassung für die Richtlinien der Politik verantwortlich zeichne. Wenn die Wissenschaftler die Absicht hätten, sich für eine allgemein kontrollierte atomare Abrüstung in der ganzen Welt und in allen Ländern einzusetzen, dann entspreche das durchaus den Absichten und Intentionen der Bundesregierung. "Ich hoffe, daß das ihre Absicht war." Es scheine ihm aber, daß die Wissenschaftler doch nicht im Besitz der Ergebnisse von Versuchen in den Vereinigten Staaten zum Schutz von Soldaten und Zivilisten vor der Wirkung der furchtbaren Waffen seien. Er hätte ihnen diese Ergebnisse gerne mitgeteilt. Wenn die Wissenschaftler sagten, ein kleines Land wie die Bundesrepublik schütze sich am besten durch einen ausdrücklichen Verzicht auf den Besitz atomarer Waffen, dann habe das mit wissenschaftlichen Erkenntnissen nichts zu tun. Das sei eine Erklärung rein außenpolitischer und militärischer Natur. Man müsse aber Kenntnis von den Erkenntnissen haben, die diese Wissenschaftler nicht hätten, weil sie nicht zu ihm gekommen seien.
Der Bundeskanzler fügte abschließend hinzu, das deutsche Volk könne sicher sein, daß die Bundesregierung und die Koalition alles tun würden, um das deutsche Volk, für das sie verantwortlich seien, vor den Folgen eines Atomkrieges zu schützen.
3. Das Godesberger Programm der SPD und die Wehner-Rede im Bundestag 1960
Das Godesberger Programm der SPD. Grundsatzprogramm, beschlossen vom außerordentlichen Parteitag der SPD in Bad Godesberg vom 13. bis 15. November 1959
Grundwerte des Sozialismus
Die Sozialisten erstreben eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann ...
Der demokratische Sozialismus, der in Europa in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen Philosophie verwurzelt ist, will keine letzten Wahrheiten verkünden - nicht aus Verständnislosigkeit und nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber den Weltanschauungen oder religiösen Wahrheiten, sondern aus der Achtung vor den Glaubensentscheidungen des Menschen, über deren Inhalt weder eine politische Partei noch der Staat zu bestimmen haben ...
Grundforderungen für eine menschenwürdige Gesellschaft
Wir streiten für die Demokratie. Sie muß die allgemeine Staats- und Lebensordnung werden, weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist.
Wir widerstehen jeder Diktatur, jeder Art totalitärer und autoritärer Herrschaft; denn diese mißachten die Würde des Menschen, vernichten seine Freiheit und zerstören das Recht. Sozialismus wird nur durch die Demokratie verwirklicht, die Demokratie durch den Sozialismus erfüllt.
Zu Unrecht berufen sich die Kommunisten auf sozialistische Traditionen. In Wirklichkeit haben sie das sozialistische Gedankengut verfälscht. Die Sozialisten wollen Freiheit und Gerechtigkeit verwirklichen, während die Kommunisten die Zerrissenheit der Gesellschaft ausnutzen, um die Diktatur ihrer Partei zu errichten.
Im demokratischen Staat muß sich jede Macht öffentlicher Kontrolle fügen. Das Interesse der Gesamtheit muß über dem Einzelinteresse stehen. In der vom Gewinn- und Machtstreben bestimmten Wirtschaft und Gesellschaft sind Demokratie, soziale Sicherheit und freie Persönlichkeit gefährdet. Der demokratische Sozialismus erstrebt darum eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung.
Alle Vorrechte im Zugang zu Bildungseinrichtungen müssen beseitigt werden. Nur Begabung und Leistung sollen jedem den Aufstieg ermöglichen ...
Die staatliche Ordnung
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands lebt und wirkt im ganzen deutschen Volke. Sie steht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In seinem Sinne erstrebt sie die Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit.
Die Spaltung Deutschlands bedroht den Frieden. Ihre Überwindung ist lebensnotwendig für das deutsche Volk.
Erst in einem wiedervereinigten Deutschland wird das ganze Volk in freier Selbstbestimmung Inhalt und Form von Staat und Gesellschaft gestalten können...
Landesverteidigung
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bekennt sich zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Sie bejaht die Landesverteidigung...
Die Sozialdemokratische Partei fordert die völkerrechtliche Achtung der Massenvernichtungsmittel auf der ganzen Welt. Die Bundesrepublik Deutschland darf atomare und andere Massenvernichtungsmittel weder herstellen noch verwenden.
Die Sozialdemokratische Partei erstrebt die Einbeziehung ganz Deutschlands in eine europäische Zone der Entspannung und der kontrollierten Begrenzung der Rüstung, die im Zuge der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit von fremden Truppen geräumt wird und in der Atomwaffen und andere Massenvernichtungsmittel weder hergestellt noch gelagert oder verwendet werden dürfen ...
Die Streitkräfte dürfen nur der Landesverteidigung dienen.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands stellt sich schützend vor jeden Bürger, der aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe oder an Massenvernichtungsmitteln verweigert.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands fordert eine allgemeine und kontrollierte Abrüstung und eine mit Machtmitteln ausgestattete internationale Rechtsordnung, die nationale Landesverteidigungen ablösen wird.
Wirtschafts- und Sozialordnung
Ziel sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik ist stetig wachsender Wohlstand und eine gerechte Beteiligung aller am Ertrag der Volkswirtschaft, ein Leben in Freiheit ohne unwürdige Abhängigkeit und ohne Ausbeutung.
Stetiger Wirtschaftsaufschwung
Die zweite industrielle Revolution schafft Voraussetzungen, den allgemeinen Lebensstandard stärker als bisher zu erhöhen und die Not und das Elend zu beseitigen, die noch immer viele Menschen bedrücken.
Die Wirtschaftspolitik muß auf der Grundlage einer stabilen Währung die Vollbeschäftigung sichern, die volkswirtschaftliche Produktivität steigern und den allgemeinen Wohlstand erhöhen.
Um alle Menschen am steigenden Wohlstand zu beteiligen, muß die Wirtschaft den ständigen Strukturveränderungen planmäßig angepaßt werden, damit eine ausgeglichene Wirtschaftsentwicklung erreicht wird…
Der moderne Staat beeinflußt die Wirtschaft stetig durch seine Entscheidungen über Steuern und Finanzen, über das Geld- und Kreditwesen, seine Zoll-, Handels-, Sozial- und Preispolitik, seine öffentlichen Aufträge sowie die Landwirtschafts- und Wohnbaupolitik ... Er ist verantwortlich für eine vorausschauende Konjunkturpolitik und soll sich im wesentlichen auf Methoden der mittelbaren Beeinflussung der Wirtschaft beschränken.
Freie Konsumwahl und freie Arbeitsplatzwahl sind entscheidende Grundlagen, freier Wettbewerb und freie Unternehmensinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik. Die Autonomie der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände beim Abschluß von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Bestandteil freiheitlicher Ordnung. Totalitäre Zwangswirtschaft zerstört die Freiheit. Deshalb bejahte die sozialdemokratische Partei einen freien Markt, wo immer wirklich Wettbewerb herrscht. Wo aber Märkte unter eine Vorherrschaft von einzelnen oder von Gruppen geraten, bedarf es vielfältiger Maßnahmen, um die Freiheit in einer Wirtschaft zu erhalten. Wettbewerb soweit wie möglich - Planung soweit wie nötig! ...
Wegmarke Godesberg. Kritik am Godesberger Programm durch Peter von Oertzen, führender Repräsentant des linken Parteiflügels der SPD, November/Dezember 1959
Mit dem außerordentlichen Parteitag zu Godesberg ist eine Epoche in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie zu Ende gegangen. Obgleich in der Praxis schon längst vor 1933 eine sozial reformerische demokratische Volkspartei, hatte die SPD doch Teile ihres marxistischen Erbes über die 12 Jahre des Dritten Reiches hinweg bewahrt. In einer 14 Jahre lang dauernden Übergangszeit haben sich diese ideellen Restbestände allmählich aufgelöst. Godesberg hat den Schlußpunkt hinter diese Entwicklung gesetzt. Der Marxismus als geschlossene politische Lehre ist in den Grundsätzen der SPD nicht mehr vertreten. Es gibt nur noch in der sozialdemokratischen Organisation in größerer oder geringerer Zahl einzelne Marxisten, vor denen nun die Frage steht: Was tun?
Ich kann meine Kritik bei dieser Gelegenheit nur andeuten. Sie in einer greifbaren, an der Praxis ausgerichteten, konstruktiven Art und Weise vorzutragen, wird für uns eine wichtige Aufgabe der nächsten Zukunft sein. Hier nur soviel:
1. Das Programmrichtet die Partei einseitig auf die parlamentarische Auseinandersetzung aus. Die Geschichte beweist aber noch zuletzt 1958 in Frankreich, daß sogar die parlamentarische Demokratie selbst, daß sogar die bescheidensten sozialen und politischen Reformen nur durch Entfaltung auch von außerparlamentarischer Macht erkämpft und bewahrt werden können.
2. Das Programm verwischt die Klassenlage und die Klasseninteressen der Arbeitnehmerschaft. Die Verfasser haben sich durch die Oberfläche der Scheinzufriedenheit in der Hochkonjunktur darüber täuschen lassen. Ohne eine bewußte und nachdrücklich auf die Arbeitnehmerschaft ausgerichteten Politik wird aber alle Hoffnung auf die 510f0igc Mehrheit vergeblich bleiben müssen, denn die Arbeitnehmer stellen nun einmal die Hauptmasse der Wähler.
3. Aus diesem Grunde ist auch das betonte Entgegenkommen gegenüber dem selbständigen Mittelstand fragwürdig. Die entscheidenden Wählermassen sind dort nicht zu finden.
4. Das so leidenschaftlich betonte Friedensangebot an die Kirchen ist gewiß gut gemeint. Die wichtigste aktuelle Aufgabe in dieser Richtung aber, das politische Ringen um die Millionenmassen der aus religiösen Gründen CDU wählenden katholischen Arbeitnehmer, ist durch die Formulierungen des Programms kaum berührt. Nur eine konsequente Politik der Sozialisten in den Gewerkschaften und auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet kann hier Einbrüche erzielen.
5. Der entscheidende Mangel des Programms ist sein unbegründeter wirtschaftlicher Optimismus. Die Verfasser glauben im Grunde nicht an die Möglichkeit ernsthafter konjunktureller Rückschläge. Einer wirklichen Krise gegenüber ist das vielberufene "wirtschaftspolitische Instrumentarium" des Programms einfach ungenügend. Ohne straffe wirtschaftliche Lenkung und Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien ist ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister im Ernstfall machtlos.
Dies sind nur einige der wundesten Stellen. In der Frage nach der Kontrolle wirtschaftlicher Macht, in der Wehrfrage, in der Außenpolitik, im Verhältnis zum Kommunismus und zur Kolonialrevolution liegen noch weitere. Unter diesen Umständen muß die Zuversicht Herbert Wehners, dieses Programm ermögliche den Sozialdemokraten, alles zu tun, was sie "für das Allgemeinwohl und das Wohl des Volkes schlechthin zu tun für notwendig halten", als eine Illusion angesehen werden.
Plädoyer für eine gemeinsame Politik. Aus einer programmatischen Rede von Herbert Wehner, dem stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD, vor dem Deutschen Bundestag am 30. Juni 1960
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, hat vor einigen Tagen auf Berührungspunkte der Auffassungen der demokratischen Parteien hingewiesen, über die, wie er sich ausdrückte - und auch ich bin dieser Meinung -, es eigentlich keine Auseinandersetzungen bei uns in der Bundesrepublik zu geben brauchte... Das sind:
Erstens: Berlin muß beim Bund bleiben. Aus einer Zweiteilung Deutschlands darf keine Dreiteilung werden.
Zweitens: Das deutsche Volk und die Bundesrepublik haben sich gegen jede Diktatur und für die westliche Gemeinschaft entschieden, das heißt für eine enge Zusammenarbeit mit den westlichen Nachbarn und der freien Welt.
Drittens: Die verantwortungsbewußten Kräfte Deutschlands haben sich gegen jede Form des Kommunismus und gegen die sowjetische Deutschlandpolitik entschieden.
Viertens: Es muß alles getan werden, um das Leben und das Los der 17 Millionen Landsleute im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zu erleichtern. Wir dürfen den Willen zur Selbstbestimmung in unserem Volk nicht erlahmen lassen und müssen uns ständig um neue Ansätze zur Lösung der deutschen Frage bemühen.
Fünftens: Nachdem Europa schon durch die Kommunisten gespalten ist, darf nicht dazu beigetragen werden, Europa noch einmal zu spalten. Vielmehr muß, soweit wir dazu etwas tun können, alles in die Wege geleitet werden, damit es in einer breiten Gemeinschaft zusammenarbeiten kann.
Sechstens: Bei aller Notwendigkeit, den Fragen der militärischen Sicherheit gerecht zu werden, muß die Bundesrepublik jede Anstrengung machen, um zur Sicherung des Friedens in der Welt beizutragen. (Unruhe bei der CDU/CSU.)
- Ich merke, es lockert sich auf. (Heiterkeit.) ...
Der Herr Bundesverteidigungsminister Strauß hat vor einigen Tagen in Schleswig gesagt, eine angestrebte gemeinsame Außenpolitik von Regierung und Opposition sei eine Frage von großer politischer Bedeutung, denn sie würde nicht nur der jetzt amtierenden Regierung, sondern auch künftigen Regierungen auf lange Sicht die politische Freundschaft der Verbündeten garantieren. Kurz darauf hat er in Erlangen von vier Voraussetzungen für eine gemeinsame Außenpolitik gesprochen ... Die vier Voraussetzungen, die er nennt... sind:
a) Die Sozialdemokraten müßten gemeinsam mit der CDU anerkennen, daß die europäische Einheit und die atlantische Allianz Voraussetzungen für die Erhaltung der Freiheit und für die ErJangung der deutschen Wiedervereinigung sind. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
b) Die Sozialdemokratische Partei müsse sich von der alten These distanzieren, daß die Wiedervereinigung nur möglich sei, wenn die Bundesrepublik Deutschland aus der NATO und aus den europäischen Bündnissystemen ausscheide.
c) Die Sozialdemokraten müßten nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat bereit sein, mit den Unionsparteien die Lasten und Bürden der Landesverteidigung zu tragen, gleichgültig wer in der Regierungsverantwortung und wer in der Opposition steht.
Dazu gibt es noch ein Anhängsel, das nicht numeriert ist, sondern sozusagen zwischen der dritten und der vierten Voraussetzung steht: Die Sozialdemokraten müßten alle irgendwie gearteten Disengagement-Pläne aufgeben.
d) Die Sozialdemokraten müßten den Begriff des Selbstbestimmungsrechts für ganz Deutschland, das heißt nach freien Wahlen für die Wiedervereinigung, uneingeschränkt anerkennen.
Das sind - mit der kleinen Unterteilung - die vier Voraussetzungen, von denen Herr Strauß gesprochen hat. Nun etwas auf Vorschuß. Für eine Bestandsaufnahme und für eine Diskussion, bei der man eingehend in die Sachverhalte hineinleuchten und hineingehen kann, möchte ich doch heute schon sagen:
Zu a). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht davon aus, daß das europäische und das atlantische Vertragssystem, dem die Bundesrepublik angehört, Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist.
Zu b). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat nicht gefordert und beabsichtigt nicht, das Ausscheiden der Bundesrepublik aus den Vertrags- und Bündnisverpflichtungen zu betreiben. Sie ist der Auffassung, daß ein europäisches Sicherheitssystem die geeignete Form wäre, den Beitrag des wiedervereinigten Deutschlands zur Sicherheit in Europa und in der Welt leisten zu können. (Sehr wahr! bei der SPD.)
Zu c). Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bekennt sich in Wort und Tat zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundrechte und der Grundordnung und bejaht die Landesverteidigung. (Unruhe bei der CDU/CSU.)- Meine Damen und Herren, unterschiedliche Auffassungen über Zweckmäßigkeiten auf diesem Gebiet, die im demokratischen Staat legitim sind und die demokratisch-parlamentarisch ausgetragen werden, bedeuten doch nicht, daß die parlamentarische Opposition weniger verantwortungsfreudig wäre als die Regierung. (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP.) ...
Zu d) berufe ich mich auf den Wortlaut des Beschlusses, den der Bundestag am 1. Oktober 1958 einstimmig, mit den Stimmen der Sozialdemokraten, in Berlin gefaßt hat. Er lautet:
Der Deutsche Bundestag erwartet die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands von einem unmittelbaren freien Willensentschluß des gesamten deutschen Volkes in seinen heute noch getrennten Teilen, der nach der Beseitigung der nicht in deutscher Zuständigkeit hegenden Hindernisse herbeizuführen ist.
Der Deutsche Bundestag erklärt seine Bereitschaft, jede Verhandlung zu unterstützen die die Wege zu einem solchen Willensentscheid des deutschen Volkes ebnet, sobald eine Vereinbarung der Vier Mächte diese Möglichkeit erschlossen hat.
Das zu den vier Voraussetzungen oder Fragen ...
Nach unserer Ansicht jedenfalls sind die Zeichen der Zeit so zu deuten: nicht Selbstzerfleischung, sondern Miteinanderwirken im Rahmen des demokratischen Ganzen, wenn auch in sachlicher innenpolitischer Ge?gnerschaft. Innenpolitische Gegnerschaft belebt die Demokratie. Aber ein Feindverhältnis, wie es von manchen gesucht und angestrebt wird, tötet schließlich die Demokratie, (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP) so harmlos das auch anfangen mag. Das geteilte Deutschland - meine Damen und Herren, ich will Sie damit nicht belehren; Sie wissen das wahrscheinlich zum größten Teil selbst - kann nicht unheilbar miteinander verfeindete christliche Demokraten und Sozialdemokraten ertragen. - Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. (Langanhaltender Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)
4. Mauerbau 1961: Festschreibung der Blockbildung in Mitteleuropa
Der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 wirkte wie ein Schock, und er machte klar, wie hoch der Preis für die Bewahrung des Status q~? in Mitteleuropa unter den Bedingungen des Ost-West-Konflikts war. Die Ordnung der Grenzen zwischen der DDR und der Bundesrepublik mehr als 28 Jahre später, am 9. November 1989, signalisierte einen Vorgang von welthistorischer Bedeutung: Das definitive Ende des Kalten Krieges und die Überwindung der aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangenen Spaltung des europäischen Kontinents.
Die Auswirkungen des Mauerbaus in Berlin am 13.8. 1961. Aus einem Bericht des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen vom 15. August 1962
Die Sektorengrenze zwischen Berlin (West) und Ostberlin wurde vor dem 13. August 1961 täglich von 500000 Berlinern überschritten. Jährlich besuchten 8 bis 10 Millionen Bewohner Ostberlins und der sowjetischen Besatzungszone Kultur- und Sportveranstaltungen in Berlin (West). Fast 30 Millionen Vorzugsfahrscheine wurden im Jahre 1960 in Verkehrsmitteln von Berlin (West) an Bewohner Ostberlins und der Sowjetzone verkauft. Bis zum 13. August 1961 standen für den intersektoralen Personenverkehr S- und U-Bahn als öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung.
Die kommunistischen Sperrmaßnahmen beendeten den Durchgangsverkehr von acht S-Bahn- und vier U-Bahn-Linien. Im sowjetischen Sektor wurden alle 48 S-Bahnhöfe für den Intersektorenverkehr gesperrt, von 33 U-Bahnhöfen in Ostberlin wurden 13 völlig geschlossen. Für den Intersektorenverkehr von Ausländern und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland sind in Ostberlin nur auf den S- und U-Bahnhöfen Friedrichstraße je ein Sonderbahnsteig eingerichtet.
Die Sektoren- und Zonengrenze um Berlin (West) zerschneidet 193 Haupt- und Nebenstraßen; 62 führen nach Ostberlin, 131 in die Sowjetzone.
Vor dem 13. August 1961 konnte die Sektorengrenze zwischen Berlin (West) und dem sowjetischen Sektor an 81 Übergangs stellen überquert werden.
Am 13. August 1961 wurden 69 Übergangsstellen mit Stacheldraht abgesperrt oder zugemauert. 12 besonders bezeichnete Übergänge blieben zum Betreten des sowjetischen Sektors geöffnet.
Am 23. August 1961 wurden davon fünf Kontrollstellen geschlossen; somit standen am 15. August 1962 sieben Übergänge zur Verfügung...
Die Absperrungen bestehen aus:
12 km Mauer
(= etwa 7200 cbm Betonplatten, das ist Material für 150 Einfamilienhäuser)
137 km Stacheldrahtverhau
(=, 8000 bis 10 000 km Stacheldraht)
450 000 bis 500000 qm Schneisen, Todes- und Schußstreifen.
Zur genaueren Bewachung der Zonen- und Sektorengrenze wurden nach dem 13. August 1961 in und um Berlin 116 Wachtürme errichtet. Davon sind 14 im Zonengrenzbereich aufgestellt; 32 Wachtürme stehen entlang der Sektorengrenze, die durch Stadtgebiet verläuft...
Durch die sowjetzonale Abriegelung seit dem 13. August 1961 haben fast 10000 Einwohner des freien Teiles der Stadt ihren Kleingarten oder ihr Grundstück mit Wochenendhaus in Ostberlin verloren. Schon im Jahre 1952 hatten 40000 Einwohner von Berlin (West) infolge der damaligen sowjetzonalen Sperrmaßnahmen Grundstücke und Anwesen im Zonenrandgebiet entlang der Grenzen von Berlin (West) entschädigungslos eingebüßt.
Bis Anfang August 1961 hatten rund 53 000 Einwohner des Sowjetsektors eine Arbeitsstelle oder ein Angestelltenverhältnis mit Betrieben in Berlin (West). Diesen sogenannten "Grenzgängern" wurde vom 2. August an von den sowjetzonalen Behörden eine weitere Tätigkeit im freien Tell der Stadt unmöglich gemacht. Ebenso können rund 1100 Schüler und mehr als 500 Studenten ihre Ausbildung und ihr Studium in Berlin (West) nicht mehr fortsetzen.
Die Zonen- und Sektorengrenzen in und um Berlin zerschneiden dichtbesiedelte Wohngebiete. Um der Ostberliner Bevölkerung jede Möglichkeit zur Flucht zu nehmen und jede Verbindung mit den Einwohnern von Berlin (West) unmöglich zu machen, wurden zahlreiche Grenzhäuser, -straßen und -siedlungen von der sowjetzonalen Volkspolizei gewaltsam geräumt. Die schwerbewaffneten Räumkommandos erschienen ohne Ankündigung meist in den frühen Morgenstunden und überraschten die ahnungslosen Wohnungsinhaber und Hauseigentümer. Möbel und Hausrat wurden in kürzester Frist, nur notdürftig zusammengepackt, verladen und abtransportiert. Die zwangsevakuierten Familien wurden zunächst in notdürftig eingerichteten provisorischen Auffanglagern, meist Schulturnhallen, untergebracht. Ihr weiterer Aufenthaltsort ist nicht bekannt. Nach vorliegenden Angaben wurden 3835 Bewohner des Sowjetsektors von diesen Maßnahmen betroffen
Die Bedeutung des 13. August 1961: Ausführungen der Publizistin Marion Gräfin Dönhoff zum ersten Jahrestag der "Mauer" am 10. August 1962
Fiktionen können in der Politik ebenso wichtig sein wie Fakten, aber sie haben nur selten die gleiche Lebensdauer. Und darum ist es wichtig, sich immer wieder Rechenschaft über ihre Lebensfähigkeit zu geben. Der Schock des 13. August [1961] war ja deshalb so groß, weil wir plötzlich erkennen mußten, daß die andere Seite (ich meine die Sowjets, nicht die DDR) mächtig genug war, ein angebliches Faktum als Fiktion aufplatzen zu lassen ...
Man sollte heute, am Jahrestag der Mauer, einmal Bilanz machen und den Blick zurückgehen lassen über Fakten und Fiktionen ...
Blicken wir zurück bis 1955, dem Jahr einer deutlich sichtbaren Zäsur. Bi~ dahin hatten die Sowjets dem Ziel der Wiedervereinigung nie grundsätzlich widersprochen. Im Jahr 1955 aber schlugen sie eine neue Politik ein: Anfang September gelang es ihnen, im Austausch gegen deutsche Kriegsgefangene Adenauer zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu bewegen. Drei Wochen später ... schlossen sie mit der Sowjetzone ein Abkommen, in dem diese als souveräner Staat anerkannt wurde. Nachdem auf diese Weise die Grundlage für die Zwei-Staaten-Theorie geschaffen worden war, verkündete Chruschtschow...: Wenn Wiedervereinigung, dann nur unter kommunistischen Vorzeichen ... Wir sollten uns nichts vormachen. Es gibt zwar immer einen Status quo, aber es ist jedes Jahr ein anderer, und jeder ist ein bißchen schlechter als der vorangegangene...
Wenn es aber so ist, daß auf lange Sicht des Westens Chancen - sofern keine wesentlichen Erschütterungen eintreten - größer sind, als man es noch vor wenigen Jahren für möglich hielt, dann sollte man die Frage der Fakten und Fiktionen unter diesem Aspekt heute noch einmal überdenken.
Zu den wesentlichen Erschütterungen, die wirklich alles gefährden würden, gehört zweifellos eine Veränderung des Status von Berlin zur Freien Stadt. Eine graduelle Verschlechterung des Status von Westberlin, die zwangsläufig zu seiner Preisgabe führen müßte, würde einen Vertrauensschock in Europa auslösen, dessen Konsequenzen ganz unabsehbar wären.
[Dank] der sehr energischen Politik Kennedys seit seiner militärischen ,Mobilisierung' im Juli 1961 ... [wissen heute] beide Seiten..., daß Westberlin ein Faktum ist und keine Fiktion wie der Vier- Mächte-Status.
Was aber ist mit unserer anderen großen Fiktion - der Behauptung, es gebe keinen zweiten deutschen Staat, obgleich er zusammen mit uns [1959] am Katzen-Verhandlungstisch in Genf saß, obgleich wir an seiner Grenze bereitwillig den Paß vorzeigen um nach Berlin durchreisen zu können, obgleich wir Handelsabkommen mit ihm schließen? Gewiß, das Regime werden wir nie anerkennen können, aber das Faktum der Existenz eines zweiten deutschen Staates - das haben wir doch längst zur Kenntnis genommen…
Wenn es stimmt, daß auf lange Sicht wir und nicht die Kommunisten im Einklang mit der geschichtlichen Entwicklung stehen, dann brauchen wir doch eigentlich vor einer De-facto-Anerkennung der DDR – falls sie und eine Garantie der Zugangswege nach Berlin einbringt – nicht mehr zurückzuschrecken… Die Zeit ist gekommen, die Lebensfähigkeit und den Tauschwert jener langgehegten Fiktion zu überprüfen, ehe sie uns vielleicht unter den Händen in Nichts zerrinnt.
Die Jahre zwischen 1962/63 und 1966 markieren in vielerlei Hinsicht einen Epochenwechsel: Im politischen System der Bundesrepublik zeigten sich die Grenzen der autoritären Demokratie am deutlichsten in der Spiegel-Affäre im Herbst 1962. Diese Krise erschütterte die inneren Strukturen der Bundesrepublik wie kaum ein anderes Ereignis seit ihrer Gründung. Der plötzlich wieder zum Vorschein kommende Obrigkeitsstaat weckte tiefgreifende Zweie an er Stabilität der rechtsstaatlichen Ordnung. Zugleich aber erwies sich die öffentliche Meinung in einem bisher nicht gekannten Maße als ein Machtfaktor, dem sich die Regierenden nicht entziehen konnten. Adenauer hatte seine politischen Zenit jetzt endgültig überschritten, und ein Ende der CDU-Vorherrschaft in der Bundesrepublik begann sich abzuzeichnen.
Die Kanzlerschaft Erhards von 1963-1966, die Aden bis zum Schluß verhindern wollte, brachte wohl einige Auflockerungen, bedeutete aber insgesamt nicht mehr als eine Übergangsepisode. Symptomatisch war daß Ludwig Erhard, der „Vater“ des Wirtschaftswunders, politisch an der ersten Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik scheiterte. Auch im wirtschaftlichen Bereich griffen die alten Konzepte nicht mehr: Erhards Vision von dem Spiel der freien Kräfte hatte sich spätestens mit dem Eintritt der Rezession 1965/67 als illusorisch erwiesen. Der Staat mußte nunmehr aktiv in den Konjunkturablauf eingreifen. Und auch außenpolitisch wußte die CDU keine Antworten auf den Wandel der weltpolitischen Konstellation und den Übergang zur internationalen Entspannung. Programmatisch und personell bot sich die SPD jetzt immer deutlicher als Alternative an. Der Übergang zur Großen Koalition von CDU und SPD im Dezember 1966 bedeutete insofern in vielerlei Hinsicht eine Epochenwende. Die Ära Adenauer war endgültig zu ihrem Abschluß gekommen.
1. Die Spiegel-Affäre und der Rücktritt Adenauers
In der Nacht vom 26. zum 27. Oktober 1962 begann auf Anordnung des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof eine Durchsuchung der Geschäftsraume des Nachrichtenmagazins Spiegel in Hamburg und Bonn. Zahlreiche Redakteure und Mitarbeiter, darunter der Herausgeber Rudolf Augstein und der stellvertretende Chefredakteur Conrad Ahlers wurden im Laufe der Aktion verhaftet. Dem Spiegel wurde vorgeworfen, in einem Artikel über das NATO-Manöver „Fallex 62“ Staatsgeheimnisse preisgegeben und damit „Landesverrat“ begangen zu haben.
Die Spiegel-Affäre. Aus einem Leitartikel der Londoner "Times" zu den Hintergründen und der politischen Bedeutung der Aktion gegen den Spiegel, November 1962
Die deutsche Bundesregierung ist mit knapper Not einer üblen Krise entronnen. Dr. Adenauer war gezwungen, zwei verläßliche Beamte in die Wüste zu schicken, und den Freien Demokraten war ein kleiner Sieg vergönnt, der es ihnen gestattet, in der Regierung zu bleiben, ohne allzuviel Gesicht zu verlieren. Aber damit ist die ganze Geschichte keinesfalls erledigt. "Der Spiegel" muß noch zu den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen Stellung nehmen, und die Bundesregierung muß noch genau erklären, was eigentlich geschah und warum es geschah. Insbesondere: Waren die gegen das Nachrichtenmagazin ergriffenen Maßnahmen rechtmäßig? Waren sie politisch inspiriert oder beeinflußt? Das sind ernste Fragen. Inzwischen ergibt sich aus dem Ablauf des bisherigen Geschehens eine Reihe von Schlußfolgerungen. Die offensichtlichste ist, daß die ganze Geschichte in einen Dunst von Gerüchten, ausweichenden Stellungnahmen, Widersprüchen und Ungewißheiten gehüllt ist, der unter den Deutschen und ihren Verbündeten nur Besorgnis erregen kann. Die nächtliche Polizeiaktion kam 18 Tage nach der Veröffentlichung des beanstandeten Artikels und 24 Stunden nachdem Verteidigungsminister Strauß hinsichtlich der in der Fibag-Affäre vom "Spiegel" erhobenen Anschuldigungen vom Bundestag entlastet worden war. Wenn auch die Forderung nach Vorlage der Druckfahnen der nächsten Nummer zur Prüfung gleich wieder fallengelassen worden ist, so war sie doch zweifellos gestellt worden. Das Personal wurde aus seinen Büros vertrieben. Ein Mitglied der Redaktion wurde in Spanien unter mysteriösen Umständen verhaftet, und niemand hatte den Mut, sich als hierfür verantwortlich zu erklären. Der Justizminister war von den Maßnahmen vorsätzlich in Unkenntnis gehalten worden. Schließlich bemühte sich noch Herr Strauß, seine Hände in dieser Angelegenheit in Unschuld zu waschen, obwohl sie doch gerade ihn am nächsten angehen sollte. Es überrascht daher kaum, wenn der rechtliche Tatbestand der Aktion gegen den "Spiegel" zugunsten eines fast allgemeinen Verdachts beiseite geschoben wurde, daß es sich hier um einen Racheakt handele für die lästige und verletzende Art, mit der die Zeitschrift die Regierung im allgemeinen und Herrn Strauß im besonderen ständig behandelt hatte. Seit dem politischen Ränkespiel nach der letzten Bundestagswahl ist der Stern des Herrn Strauß im Sinken, und der "Spiegel" hat an diesem Niedergang mit Genuß mitgewirkt. Unter diesen Umständen hätte man billigerweise erwarten können, daß - falls ein echter Grund für ein gesetzliches Einschreiten gegen den "Spiegel" bestand _ mit peinlichster Sorgfalt und untadelig vorgegangen worden wäre. Daß das Gegenteil geschah, verrät nicht nur eine völlige Mißachtung für korrektes Vorgehen, es erweckt unvermeidlich auch Zweifel hinsichtlich der Motive.
Aber das Vorgehen ist nicht der einzige beunruhigende Aspekt. Daß eine Vendetta zwischen einer Zeitschrift und einem Minister so plump gehandhabt Wird, kann kaum als ein gesundes Zeichen angesehen werden...
Wie sich im weiteren Verlauf der Spiegel-Affäre herausstellte, hatte Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß die Verhaftung von Conrad Ahlers, der sich gerade in Torremolinos im Urlaub aufhielt, mittels Einschaltung der spanischen Polizei persönlich veranlaßt. Die FDP erklärte daraufhin, daß es für sie keine Grundlage für eine „weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Bundesminier Strauß“ mehr geben könne und zog ihre Minister aus dem Kabinett zurück. Nachdem Adenauers Versuch, eine Regierung mit der SPD zu bilden, scheierte, kam es am 11. Dezember 1962 erneut zu einer CDU/ CSU-FDP Koalition. Zuvor hatte sich Adenauer allerdings verpflichten müssen, nach den Parlamentsferien im Herbst 1963 sein Amt niederzulegen.
Am 15. Oktober 196.3 trat Adenauer nach über 14jähriger Amtszeit zurück und am 16. Oktober wählte der Bundestag Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Ludwig Erhard zum Bundeskanzler. Bis zuletzt hatte Adenauer versucht, seinem Nachfolger den Weg ins Kanzleramt zu verbauen. "Erhard", so Adenauer, „ist ein hervorragender Wirtschaftler und ein Mann, der die besten Fähigkeiten hat: ob er aber auch ein hervorragender Politiker ist muß er erst noch beweisen...“
2. Erhard und der Übergang zur Großen Koalition
Gefährdungen des "Wirtschaftswunders". In einer Rundfunkansprache warnte Erhard vor Anforderungen, die größer als das Volksprodukt seien und forderte zum "Maßhalten" auf, 21. März 1962
Seit der Begründung der Bundesrepublik hat sich die weltpolitische Lage grundsätzlich gewandelt. Über die EWG hinaus rückt die Welt in offenen Markten mit allen sich daraus ergebenden politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen immer enger zusammen... Noch ist es Zeit, aber es ist auch höchste Zeit, Besinnung zu üben und dem Irrwahn zu entfliehen als ob es einem Volke möglich sein könnte, für alle öffentlichen und privaten Zwecke in allen Lebensbereichen des einzelnen und der Nation mehr verbrauchen zu wollen, als das gleiche Volk an realen Werten erzeugen kann oder zu erzeugen gewillt ist, und daß es im Zweifelsfall nur der Androhung oder auch Anwendung von Macht und Gewalt bedürfe, diese Grenzen zu sprengen. Solch törichtes Beginnen kann - von wem auch immer geübt - sehr wohl zu einem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht ausarten, aber in jedem Falle bedeutet es einen Mißbrauch des gesunden Menschenverstandes. An dieser Stelle kommt mit Sicherheit der Einwand, daß es ja gar nicht darum ginge, sondern nur um die ,Gerechtigkeit', sei es hinsichtlich der Verteilung des Vermögens oder des Volkseinkommens ... Aber selbst wenn ich vom Augenblick her gesehen, Mängel in der Vermögensschichtung zuzugeben bereit wäre, muß ich erst recht gegen die Torheit jener ankämpfen, die in der gewaltsamen Übersteigerung ihrer Ansprüche an das Sozialprodukt eine Kosteninflation auslösen, die unsere deutsche Wettbewerbsfähigkeit fortdauernd schmälern und am Ende vernichten müßte. Das eben macht den Ernst der Stunde aus, von dem ich eingangs sprach. Leider sind das auch nicht mehr mögliche Sorgen von morgen, sondern es sind die bereits beweisbaren Befürchtungen von heute. Man kann es nur als einen Wahnwitz bezeichnen, die vermeintliche Ungerechtigkeit der Vermögensverteilung durch eine Politik der Überforderung der Volkswirtschaft heilen zu woIlen. Dieses Verhalten führt vielmehr unausweichlich zu einer fortdauernden Schwächung unserer Leistungs- und Wettbewerbs kraft, zu einer Minderung der volkswirtschaftlichen Aktivität, zu einer anhaltenden Schmälerung der Erträge, zu einer rückläufigen Investitionsneigung und -fähigkeit, zur Gefährdung eines ausreichenden Steueraufkommens und am Ende zur Zerstörung der Vollbeschäftigung und zur Gefährdung der Arbeitsplätze ... Arbeitnehmer und Arbeitgeber ziehen schon seit Jahren aus dem Ertrag der Volkswirtschaft relativ höheren Nutzen als alle anderen Bevölkerungsschichten. So ist z. B. das Einkommen aus Lohn und Gehalt je Beschäftigtem trotz gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit von 1960 auf 1961 um 10% gestiegen, während sich die Produktionsleistung pro Erwerbstätigen nur um knapp 4% erhöhte ... Der Hexensabbat dauert fort, wenn überhöhte Löhne die Preise und steigende Preise dann wieder die Löhne treiben ... Arbeitgeber und Arbeitnehmer vergessen nur allzu leicht, daß wir die fluchwürdige Zeit der Devisenzwangswirtschaft hinter uns haben, mit der man hinter abgeriegelten Märkten jedweden wirtschaftlichen Unfug treiben konnte. In der weltpolitischen Ordnung, in der wir leben, gibt es keine Vollbeschäftigung ohne Leistungsbewährung; ein Volk, das diesem Gesetz entfliehen möchte, fällt in die Primitivität zurück und kann nicht länger am Fortschritt teilhaben...
Für eine aktive und zielbewußte Wirtschaftspolitik. Aus der Kritik des SPD-Wirtschaftsexperten Heinrich Deist an der Erhard-Rede, in einem Rundfunkbeitrag vom 23. März 1962
Die Rede Erhards sei eine sträfliche Philippika gewesen, wobei Erhard als Unheilsbote aufgetreten sei und den Unternehmern den Mut zu Investitionen genommen habe ... Anstatt über alle Sender drohendes Unheil zu verkünden, solle der Bundeswirtschaftsminister endlich eine aktive und zielbewußte Wirtschaftspolitik verfolgen. Die Bundesregierung solle ein Gremium hervorragender Wissenschaftler berufen, das die gesamte wirtschaftliche Entwicklung zu verfolgen hätte. Dazu gehörten die Entwicklung der Investitionen, Gewinne und Preise ebenso wie die Entwicklung der Löhne und Gehälter sowie die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand. Ein solches Gremium und nicht eines, das sich einseitig gegen die Lohnempfänger richte, könne die Voraussetzungen für eine objektive Wirtschaftspolitik schaffen. Darüber hinaus solle die Bundesregierung zum Beginn eines jeden Jahres in einem Jahreswirtschaftsbericht vor dem Parlament ihre Wirtschaftspolitik darlegen. Aus diesem Bericht müsse deutlich werden, daß hinter dieser Politik eine Regierung stehe, die ohne Rücksicht auf mächtige Interessengruppen zum Handeln bereit sei. Dann hätten sowohl Unternehmer wie Arbeitnehmer eine klare Grundlage für ihre Entscheidungen. Es gebe tatsächlich eine Maßlosigkeit, die angeprangert werden müsse. Dazu gehöre z. B. der Besuch der aufreizend exklusiven Vergnügungsstätten sowie der Kauf von Grundstücken in der Schweiz, Italien, Spanien und Irland. Warum wage der Bundeswirtschaftsminister aber nicht, hier Roß und Reiter zu nennen? Müsse er sich wirklich hinter eine Philippika über das ganze deutsche Volk verschanzen? Dürfe er nicht deutlich sagen, was doch wohl gesagt werden müsse? In der Lohnpolitik seien nicht die Gewerkschaftsforderungen ausschlaggebend, sondern das tatsächliche Verhandlungsergebnis. Ferner müsse festgestellt werden, daß das Volkseinkommen je Erwerbstätigem von 1950 bis 1960 um 67 %, die Löhne und Gehälter je Arbeitnehmer dagegen nur um 64 % gestiegen seien. Durch das stärkere Steigen der Löhne im Jahre 1961 sei nur ein Teil dieses Rückstandes aufgeholt worden. Deshalb sei es unzulässig, den Arbeitnehmern den Schwarzen Peter der Preissteigerungen zuzuschieben. Zu den Grundlagen einer freien Gesellschaft gehöre eine freie Wirtschaft. Der Staat sei aber dafür verantwortlich, daß alles geordnet zugehe, und vor allem der Verbraucher als der schwächste Teil der Wirtschaft zu seinem Recht komme.
Die Popularität, über die Erhard als Begründer des neuen Wohlstandes nach 1945 in breiten Bevölkerungsschichten verfügte und die das Fundament seiner politischen Stellung bildete, zerbröckelte nach dem Sieg in der Bundestagswahl vom 19. September 1965 rasch. Die sich bereits im Sommer 1965 bemerkbar machende und im Herbst 1966 voll einsetzende erste scharfe Rezession in der Konjunkturentwicklung der Bundesrepublik wirkte wie ein Schock. Das Vertrauen in die Selbst-Steuerungskräfte der Marktwirtschaft wurde nachhaltig erschüttert und Erhards Aufforderungen zum "Maßhalten" stießen zunehmend auf Skepsis und Ablehnung.
Die erste scharfe Rezession in der Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik. Aus dem Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (1967)
Derart scharf und umfassend wie in der Bundesrepublik zwischen Herbst 1966 und Frühjahr 1967 ist nach dem Zweiten Weltkrieg die Nachfrage noch in keinem der großen westeuropäischen Industrieländer zurückgegangen. Während der Aufschwungphasen der vorangegangenen drei Wachstumszyklen wurde in der Bundesrepublik zwar in einzelnen Bereichen die Produktion gedrosselt; im ganzen aber hatte sich lediglich das Expansionstempo abgeschwächt ...
Verschärft hat den zyklischen Rückgang der Investitionsnachfrage eine zunehmende restriktive Geld- und Kreditpolitik. Sie konnte wirksam werden da Geld auch im Ausland überall teurer wurde. Steigende Löhne und Preise veranlaßten die Bundesbank noch im Herbst 1966, ihren restriktiven Kurs zu bekräftigen. Sie erhöhte den Diskontsatz um einen ganzen Prozentpunkt auf 5%, obwohl die Produktion in vielen großen Bereichen schon damals stagnierte, zum Teil sogar schrumpfte ... Dieser Fehlentwicklung sind die wirtschaftspolitischen Instanzen zu spät und zu zögernd entgegengetreten. Obwohl sich seit dem Frühjahr 1966 die Zeichen für eine stärkere Konjunkturabschwächung mehrten, blieb die Wirtschaftspolitik bis zum Jahresende 1966 auf Restriktionskurs. Die Bundesbank unterließ es zwar, den Zustrom von Liquidität zu neutralisieren, der mit dem zunehmenden Zahlungsbilanzüberschuß einherging. Darüber hinaus aber tat sie nichts, um der Anspannung an den Kapitalmärkten entgegenzuwirken die im Sommer 1966 ein seit langem nicht gekanntes Maß erreicht hatte. Dies zwang letztlich auch die staatlichen Institutionen, zahlreiche Projekte zurückzustellen, obwohl die nachlassende private Investitionstätigkeit das Gegenteil erfordert hätte.
Das Ende des Wirtschaftswunders bedeutete zugleich auch das politische Scheitern von Bundeskanzler Erhard. Am 27. Oktober 1966 erklärten die FDP-Minister ihren Rücktritt aus der Bundesregierung, weil sie die von Erhard und der CDU zum Ausgleich des Bundeshaushalts erwogene Steuererhöhung grundsätzlich ablehnten.
Damit endete die Zusammenarbeit zwischen CDU/CSU und FDP und erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde eine Große Koalition zwischen CDU und SPD gebildet. Am 1. Dezember 1966 wählte der Bundestag den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Kurt Georg Kiesinger (CDU) zum Bundeskanzler, der regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt (SPD) wurde Vizekanzler und Außenminister. Bereits im Januar 1966 hatte Altbundeskanzler Adenauer im Anschluss an enstrepchende Äußerungen des Bundespräsidenten Heinrich Lübke die Notwendikeit einer „Großen Koalition“ hervorgehoben und die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten damit begründet, daß „wir Gesetze nötig haben, die nur mit Zweidrittelmehrheit wegen ihres verfassungsändernden Charakters beschlossen werden können.“
"Aufgaben einer neuen Bundesregierung". Aus dem 8-Punkte-Programm der SPD-Bundestagsfraktion für die zu lösenden Sachprobleme in einer Großen Koalition, 8. November 1966
1. Die Bundesregierung muß, um unserer äußeren Stabilität und Sicherheit willen, das Verhältnis zu Washington und Paris wieder in Ordnung bringen. 2. Um die Stabilität des Bündnisses willen und als Beitrag zur Entspannung muß sie den Ehrgeiz auf atomaren Mitbesitz aufgeben. 3. Sie muß aktiv für die Normalisierung unseres Verhältnisses zu den östlichen Nachbarvölkern und für die Versöhnung mit ihnen eintreten. 4. Sie muß Klarheit schaffen über unseren eigenen Handlungsspielraum gegenüber den Ostberliner Machthabern; sie muß diesen Handlungsspielraum ausfüllen. 5. Die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ist durch die politischen Versäumnisse der bisherigen Regierung in die Gefahr der Stagnation und des Rückschlags geraten. Durch sofort einzuleitende Maßnahmen muß der deutschen Wirtschaft die Möglichkeit geschaffen werden, in einen neuen Aufschwung einzutreten, damit in Zukunft Stabilität lind Wachstum gleichermaßen gesichert sind. 6. Die Ordnung der Staatsfinanzen ist hierzu unabdingbare Voraussetzung. Die neue Bundesregierung muß die Haushaltskatastrophe für 1967 abwenden; sie darf dabei die bisherige Augenauswischerei nicht fortsetzen, die für das Jahr 1968 das Defizit noch verdoppeln würde. 7. Bund, Länder und Gemeinden sind die gleich notwendigen tragenden Säulen unseres Staates; die finanzielle Neuordnung muß allen Dreien gleichberechtigt die Voraussetzung für die Lösung ihrer jeweiligen Aufgaben verschaffen. Die Bundesregierung muß für eine allgemeine Rangordnung sorgen, die sich an den wirtschafts- und sozialpolitischen Notwendigkeiten orientiert. 8. Wirtschaftliches Wachstum, finanzielle Ordnung und soziale Stabilität sind die innenpolitischen Grundlagen für einen Fortschritt unserer Gesellschaft und für eine kontinuierliche Politik nach innen und außen.
3. Die deutsch-französische Aussöhnung und der Abschied vom Kalten Krieg
Die letzte große außenpolitische Leistung Adenauers war die in dem Elysee-Vertrag von 1963 vollzogene Aussöhnung mit Frankreich. Damit kam der die Geschichte Europas lange Zeit beherrschende Gegensatz der beiden Nachbarstaaten endgültig zu einem Ende. Ansonsten wurde in den sechziger Jahren die Begrenztheit von Adenauers außenpolitischem Konzept, in dem für die Sowjetunion und die Ostblockstaaten als Kooperationspartner kein Platz war immer deutlicher. Mit dem Auslaufen des Kalten Krieges und der wachsenden Zusammenarbeit zwischen den USA und der Sowjetunion geriet die Bundesrepublik zunehmend in eine außenpolitische Isolierung, der mit den überkommenen Mustern der fünfziger Jahre nicht mehr zu begegnen war. Die Hallstein-Doktrin wurde so zum Symbol einer sich von den Realitäten immer mehr entfernenden Bonner Außenpolitik.
Unterzeichnung des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit im Elysee-Palast in Paris. Aus der gemeinsamen Erklärung, 22. Januar 1963
Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Konrad Adenauer, und der Präsident der Französischen Republik, General de Gaulle, haben sich zum Abschluß der Konferenz vom 21. und 22. Januar 1963 in Paris... in der Überzeugung, daß die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen Volk, die eine jahrhundertealte Rivalität beendet, ein geschichtliches Ereignis darstellt, das das Verhältnis der beiden Völker zueinander von Grund auf neugestaltet, in dem Bewußtsein, daß eine enge Solidarität die beiden Völker sowohl hinsichtlich ihrer Sicherheit als auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung miteinander verbindet, - angesichts der Tatsache, daß insbesondere die Jugend sich dieser Solidarität bewußt geworden ist und daß ihr eine entscheidende Rolle bei der Festigung der deutsch-französischen Freundschaft zukommt, - in der Erkenntnis, daß die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege zu dem vereinigten Europa bedeutet, welches das Ziel beider Völker ist, mit der Organisation und den Grundsätzen der Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten, wie sie in dem heute unterzeichneten Vertrag niedergelegt sind, einverstanden erklärt. Geschehen zu Paris, am 22. Januar 1963 in zwei Urschriften in deutscher und französischer Sprache. Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Der Präsident der Französischen Republik.
„Ohne die deutsch-französische Freundschaft wird es niemals ein Europa geben". Ansprache von Konrad Adenauer vor der 7. deutsch-französischen Konferenz in Bad Godesberg, 24. Mai 1963
Ohne eine deutsch-französische Verständigung wird es niemals ein Europa geben. Sicher, der Lauf der Zeit heilt manche Wunden. Es wird natürlich im Jahre 1963 nicht mehr dieselbe Stimmung zwischen Frankreich und Deutschland sein, wie sie im Jahre 1945 war. Damit sind aber die Wunden nicht geheilt und vernarbt. Ohne daß die Wunden, die diese beiden Völker sich gegenseitig im Laufe von vielen Jahrhunderten geschlagen haben, geheilt und vernarbt sind, gibt es eben keine Verständigung, und würde es kein Europa geben.
Die europäischen Einrichtungen, die nach dem Kriege geschaffen sind, haben in erster Linie einen politischen Zweck gehabt. Das wird meist zuwenig berücksichtigt. Ich habe dabei besonders die Gründung der Montan-Union im Auge und denke an den Brief, den mir der damalige französische Außenminister Robert Schuman schrieb und in dem er dem Sinne nach etwa ausführte, das Mißtrauen zwischen dem französischen und dem
deutschen Volke müsse aus der Welt geschafft werden ...
Ich glaube, wir sind auch jetzt noch Robert Schuman von Herzen dafür dankbar, daß er damals diese kühne Initiative ergriffen hat, die der Anfang des ganzen Versöhnungswerks zwischen Frankreich und Deutschland darstellt.
Was den Wert dieser Aussöhnung angeht, so muß ich doch noch etwas weitergehen, und zwar muß ich auf das Verhältnis dieser beiden Länder zum zaristischen Rußland zurückgehen. Wir müssen daran denken, daß lange Jahre eine Verbindung zwischen dem Deutschen Reich und dem zaristischen Rußland gegen Frankreich bestanden hat ...
Daher war es besonders wichtig, daß gerade die beiden Nachbarländer, Frankreich und Deutschland, diesen Freundschaftsvertrag schlossen, der es ausschließt, daß in Zukunft wieder Sowjetrußland mit Deutschland gegen Frankreich oder mit Frankreich gegen Deutschland Politik treibt. Ich glaube, daß Sowjetrußland die Bedeutung gerade dieses Vertrags im Hinblick auf die Rolle Sowjetrußlands sehr gut verstanden hat. Sie wissen, daß die Sowjetregierung gegen den Abschluß des Vertrags protestiert hat. Sie hat aus Anlaß der Unterzeichnung des deutsch-französischen Vertrags bei der französischen Regierung erneut Protest eingelegt. In diesem Protest befindet sich ein Satz, der in den offiziellen Veröffentlichungen nicht enthalten ist, den ich Ihnen aber verlesen möchte: Die geographische Lage und die Geschichte - so sagt man in Moskau - machten aus Frankreich und Rußland natürliche Verbündete, die sich in der Vergangenheit zu verständigen wußten und im Kampf gegen den deutschen Angreifer nie eine Rivalität kannten. Es wäre nicht übertrieben, zu behaupten, daß, wenn Frankreich und die Sowjetunion als die wichtigsten Mächte des europäischen Kontinents gemeinsam handelten, es niemand wagen könnte, die Karte Europas zu revidieren. Die freundschaftlichen Beziehungen Frankreichs und der Sowjetunion könnten ein Bindeglied zwischen West- und Osteuropa werden und zur Schaffung einer internationalen Zusammenarbeit beitragen. Sie ersehen daraus, meine Damen und Herren, daß dieser Vertrag, den Deutschland und Frankreich geschlossen haben, in dem ganzen politischen Gefüge, solange dieses in der bisherigen Weise beeinflußt wird durch den Druck der Sowjetunion oder ihrer Satellitenstaaten, also weit über die Grenzen unserer beiden Länder hinaus, von großer Bedeutung ist.
Es war daher ein wirklich großer Tag, als der Deutsche Bundestag fast einstimmig diesem Vertrag zugestimmt hat. Es ist davon gesprochen worden, daß der Vertrag zunächst kritisiert worden sei und daß Befürchtungen laut geworden wären. Nun, der Abschluß dieses Vertrages verdient in Wahrheit die Kennzeichnung, ein geschichtlicher Vorgang zu sein ...
Diese völlige Aussöhnung ist nach meiner tiefen Überzeugung, einer Überzeugung, die nach dem Kriege 1914-1918 in mir entstanden ist, wirklich ein Ereignis von sehr großer geschichtlicher Tragweite ... Ich bin überzeugt davon, daß der Verlauf der Ereignisse und der Ablauf der Geschichte mir darin recht geben werden ...
Vom Kalten Krieg zur Entspannung: Rede des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy vor der Universität Washington am 10. Juni 1963, wenige Tage vor dem Beginn seiner Europareise
Ich spreche vom Frieden, weil der Krieg ein neues Gesicht bekommen hat. Ein totaler Krieg ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem Großmächte umfassende und verhältnismäßig unverwundbare Atomstreitkräfte unterhalten können und sich weigern, zu kapitulieren, ohne vorher auf diese Streitkräfte zurückgegriffen zu haben. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem eine einzige Atomwaffe fast das Zehnfache an Sprengkraft aller Bomben aufweist, die von den gesamten alliierten Luftstreitkräften während des Zweiten Weltkrieges abgeworfen wurden. Und er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die bei einem Atomkrieg freigesetzten tödlichen Giftstoffe von Wind und Wasser, Boden und Saaten bis in die entferntesten Winkel des Erdballs getragen und sieh selbst auf die noch ungeborenen Generationen auswirken würden. Es ist heute, wenn der Friede gewahrt werden soll, unerläßlich, jedes Jahr Milliarden von Dollar für Waffen auszuwerfen, die lediglich zu dem Zweck geschaffen werden, sicherzustellen daß wir sie niemals einzusetzen brauchen. Aber zweifellos ist die Anlage solcher unnützer Arsenale, die nur der Vernichtung und niemals dem Aufbau dienen können, nicht der einzige, geschweige denn der wirksamste Weg zur Gewährleistung des Friedens...
Lassen Sie uns zunächst unsere Haltung gegenüber dem Frieden selbst überprüfen. Zu viele von uns halten ihn für unmöglich. Zu viele von uns halten ihn für nicht zu verwirklichen. Aber das ist ein gefährlicher, defätistischer Glaube. Er führt zu der Schlußfolgerung, daß der Krieg unvermeidlich ist, daß die Menschheit zum Untergang verurteilt ist, daß wir uns in der Gewalt von Kräften befinden, die wir nicht kontrollieren können…
Lassen sie uns zweitens unsere Haltung gegenüber der Sowjetunion überprüfen...
Keine Regierung und kein Gesellschaftssystem sind so schlecht, daß man das unter ihm lebende Volk als bar jeder Tugend ansehen kann. Wir Amerikaner empfinden den Kommunismus als Verneinung der persönlichen Freiheit und Würde im tiefsten abstoßend. Dennoch können wir das russische Volk wegen vieler seiner Leistungen - sei es in der Wissenschaft und Raumfahrt, in der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung, in der Kultur und in seiner mutigen Haltung - rühmen.
Unter den vielen Zügen, die den Völkern unserer beiden Länder gemeinsam sind, ist keiner ausgeprägter als unsere beiderseitige Abscheu vor dem Krieg. Unter den großen Weltmächten haben wir - und dies ist beinahe einzigartig - niemals gegeneinander im Krieg gestanden. Wohl kein anderes Volk in der Geschichte hat mehr gelitten als das russische Volk im Verlauf des Zweiten Weltkrieges. Mindestens zwanzig Millionen gaben ihr Leben. Zahllose Millionen von Häusern und Bauernhöfen verbrannten oder wurden zerstört. Ein Drittel des russischen Gebiets - darunter nahezu zwei Drittel seiner Industriegebiete - wurde verwüstet, ein Verlust, der der Verwüstung unseres gesamten Landes östlich von Chicago gleichkäme.
Sollte heute - wie auch immer - ein totaler Krieg ausbrechen, dann würden unsere beiden Länder die Hauptziele darstellen. Es ist eine Ironie, aber auch eine harte Tatsache, daß die beiden stärksten Mächte zugleich auch die beiden Länder sind, die in der größten Gefahr einer Zerstörung schweben. Alles, was wir aufgebaut haben, alles, wofür wir gearbeitet haben, würde vernichtet werden. Und selbst im kalten Kriege - der für so viele Länder, unter ihnen die engsten Verbündeten der Vereinigten Staaten, Lasten und Gefahren bringt - tragen unsere beiden Länder die schwersten Lasten. Denn wir werfen beide für gigantische Waffen riesige Beträge aus - Beträge, die besser für den Kampf gegen Unwissenheit, Armut und Krankheit aufgewandt werden sollten. Wir sind beide in einem unheilvollen und gefährlichen Kreislauf gefangen, in dem Argwohn auf der einen Seite Argwohn auf der anderen auslöst und in dem neue Waffen zu wieder neuen Abwehrwaffen führen.
Kurz gesagt: Beide, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sowie die Sowjetunion und ihre Verbündeten, haben ein gemeinsames tiefes Interesse an einem gerechten und wirklichen Frieden und einer Einstellung des Wettrüstens. Abkommen, die zu diesem Ziel führen, sind im Interesse der Sowjets wie auch im unsrigen. Selbst bei den feindlichsten Ländern kann man damit rechnen, daß sie solche vertraglichen Verpflichtungen akzeptieren und einhalten, die in ihrem eigenen Interesse sind...
Am 5.8. 1963 unterzeichneten die USA, Großbritannien und die UdSSR in Moskau ein erstes Abkommen über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser. Während viele Staaten dem Atomteststopp-Vertrag sofort beitraten, entschloß sich Bonn erst nach längeren Debatten am 19.8. 1963. Anläßlich der Abschiedskundgebung der CDU für den scheidenden Kanzler in Köln am 12. Oktober 1963 warnte Adenauer den Westen noch einmal eindringlich davor, sich auf das "Gerede von der Entspannung" einzulassen. Auch Bundeskanzler Erhard blieb bei einer zurückhaltenden Linie gegenüber der Sowjetunion.
"Der Weg zu echter Entspannung". Aus einer Ansprache des Bundeskanzlers Erhard vor dem Council on Foreign Relations in New York am 11. Juni 1964
Einige Aspekte der sowjetischen Politik erwecken auch bei uns Hoffnungen. Hoffnung strahlt Stärke und neuen Willen aus. Aber Hoffnung kann auch trügerisch sein. Darum gilt es, in großer Wachsamkeit die Grenze zwischen Hoffnung und Illusion scharf zu ziehen und darauf zu achten, nicht den Kompaß zu verlieren. Wir dürfen bei allem niemals vergessen, daß die Spannungen in der Welt ausschließlich deshalb entstanden sind, weil die Forderungen des Kommunismus immer auf eine ständige Erweiterung seines Machtbereichs und auf die Vergewaltigung des freien Willens der Völker hinausliefen und daher unannehmbar sind. Hier und da wird in diesem Zusammenhang der Ruf laut, auch wir Deutschen sollten unseren Beitrag zur Normalisierung und Entspannung leisten. Dazu sind wir bereit. Aber es wäre unverantwortlich und unzumutbar, von Deutschland die Bereitschaft zur Selbstaufgabe oder den Verzicht auf Selbstbestimmung des geteilten Volkes als Beitrag zur Normalisierung der Verhältnisse zu verlangen. Niemand in der Welt sollte sich eine bessere und friedliche Zukunft daraus erhoffen, daß man einem großen Teil unseres Volkes die Menschenrechte für immer vorenthält. Der Wille zu friedlichen Lösungen verlangt Bereitschaft zu gegenseitigem Entgegenkommen. 'Wir anerkennen das sowjetische Interesse an verläßlichen Garantien gegen eine Wiederholung der Ereignisse von 1941, wir haben das wiederholt ausgesprochen. Hitlers Wortbruch und Angriff hat verständlicherweise einen Schock im russischen Volk ausgelöst, der den Ruf nach Sicherheit trotz der erdrückenden militärischen Übermacht Moskaus wenigstens teilweise erklärt. Auch aus eben diesem Grunde hat die Bundesrepublik immer wieder ihre Bereitschaft zu einer allgemeinen kontrollierten Abrüstung ausdrücklich betont. Sie hat alle ihre Kampftruppen dem NATO-Oberkommando unterstellt. Sie hat in völkerrechtlich bindender Form auf Gewaltanwendung und bereits im Jahre 1954 auf die Produktion von ABC-Waffen verzichtet. Sie strebt für sich allein auch keine Verfügungsgewalt über atomare Waffen an. Sie hat die volle Freizügigkeit nicht nur im Personenverkehr zwischen Ost und West, sondern auch hinsichtlich des Austausches von Erzeugnissen der Presse und der Publizistik vorgeschlagen. Sie bemüht sich um die Verstärkung wirtschaftlicher und kultureller Kontakte trotz nur zu deutlich erkennbarer politischer Erpressungsversuche.
Die sowjetische Reaktion auf dieses unser ehrliches Bemühen bestand immer nur darin, als Voraussetzung für Verhandlungen Konzessionen zu verlangen, die vielfach nicht einmal das Ergebnis von Verhandlungen sein können. Initiativen, die nur einseitige Leistungen vorsehen, haben mit wahrer Entspannung nichts gemein. Es wird uns zuweilen von inoffizieller westlicher Seite geraten, uns mit dem materiellen Inhalt solcher "Entspannungsprojekte" zu befreunden ... Es hat, wie sie wissen, sogar Vorschläge gegeben, die den Sowjets selbst einen Kaufpreis für die Preisgabe dessen anboten, was der Westen rechtens unanfechtbar besitzt. Nehmen wir zum Beispiel das Recht des unbehinderten Zugangs nach Berlin, das dem Westen seit 1945 zusteht. Für seine Bestätigung durch die Sowjetunion entscheidende politische Grundsätze wie der der Nichtanerkennung des brutalen Gewaltregimes in der sowjetisch besetzten Zone aufzugeben, war ein wahrlich befremdender Gedanke. Die Sowjetunion fordert ... nach wie vor die Anerkennung des Gewaltregimes der Sowjetzone und der Teilung des deutschen Volkes ... Unser "Nein" zu den kommunistischen Forderungen hat weder mit nationalistischem Geist, noch mit Mangel an Phantasie etwas zu tun. Es ist das schlichte Bekenntnis, daß man keinem Volk die Erfüllung seiner politischen Aufgabe verwehren kann ohne seine Lebenskraft zu zerstören. . . '
Um jeden Irrtum auszuschließen: wir wollen nicht weniger, sondern mehr Entspannung. Wir wünschen z. B., daß die Sowjets den Grundsatz der "friedlichen Koexistenz" ausdehnen und daß sie auch einer Koexistenz der Ideen zustimmen. Wir wünschen und erwarten vor allem, daß die Entspannungsbemühungen von politischen Randgebieten auf zentrale politische Probleme gelenkt werden. Diese Hauptprobleme, von denen vor allem internationale Krisen ausgehen können, dürfen aus dem Ost-WestGespräch nicht ausgeklammert werden. An ihrer Lösung wird sich erst zeigen, ob der Entspannungswille der Sowjets echt ist oder nur ein taktisches Manöver bedeutet.
4. Das Erbe Adenauers
Am 19. April 1967 starb Altbundeskanzler Konrad Adenauer in seinem Haus in Röhndorf im Alter von 91 Jahren. An Trauerfeierlichkeiten zu seiner Beisetzung nahmen Delegationen aus 54 Staaten, darunter der amerikanische Präsident Johnson, der französische Staatspräsident de Gaulle und der britische Premierminister Wilson, teil.
"Der Begründer". Leitartikel zum Tode Konrad Adenauers von Jürgen Tern. dem Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, am 20. April 1967
Seit Bismarck hat keiner den Staat der Deutschen so lange, so entschlossen und so selbstsicher, mit so viel Glück und Erfolg regiert wie Konrad Adenauer. Es drängt sich auf, den Bogen bis zur Reichsgründung zurück zu schlagen, um den Maßstab für die Bedeutung und die Größe des Toten zu finden. Die Angst vor dem Klischee braucht einen davon nicht abzuhalten, auch nicht die Gegensätzlichkeit der zwei großen Naturen und nicht die Unvergleichlichkeit der von ihnen hinterlassenen Ausformungen deutscher Staatlichkeit. Konrad Adenauer zählt zu den ganz wenigen großen staatsmännischen Figuren des neuzeitlichen Deutschlands. Er wird als der Begründer der zweiten deutschen Republik über die Jahre und Jahrzehnte hinweg gelten. Respekt und Verehrung sind die Dankesschuld.
Der Verfassung dieser Bundesrepublik hat Adenauer nicht viel mitgegeben; die Bundesrepublik in ihrer historischen und politischen Realität ist dennoch zum großen Teil sein Werk und sein Erbe. Das intensive, zähe Leben, das politische Entwicklungsgesetz und den Kurs erhielt dieses neue, gebrechliche, ungeliebte, gleichwohl vitale Staatsfragment vom ersten Bundeskanzler. Er zögerte nie einen Augenblick, seinen Regierungskünsten ein hinreichend adäquates Objekt aus der (auch moralisch) zerfledderten Substanz zu gewinnen. Indem er in Bonn regierte, atmete er.
Was er bei seinem Regierungsantritt am 15. September 1949 an Staat vorfand, das war ein ärmliches, verludertes, hinfälliges, mühsam mit fremder Nachhilfe auf die Beine gestelltes Gebilde. Was er am 15. Oktober 1963 aus der Hand geben mußte, war damit gar nicht mehr zu vergleichen. Und auch der von der Bundesrepublik gewonnene m.0ralis.che Ruf geht zu einem guten Teil auf sein Konto, obschon man Ihn nicht einen Moralisten nennen wird. Adenauer hatte von Anbeginn an einen richtigen Staat gewollt, mit allen Attributen, allen Rechten, nicht bloß ein ökonomisches Zweckgebilde. Sein großes Glück war, daß er in Erhard einen optimistischen Wirtschaftspolitiker von adäquatem Format an seiner Seite fand; sein Verdienst war, daß er diesen Erhard wirken ließ.
Die unerwartete Größe des staatsmännischen Zuschnitts, in mancherlei Menschlichkeiten eingebettet, erwies sich, als die außenpolitischen Grundentscheidungen zu fällen waren. Sie erforderten nüchtere Voraussicht, Mut, Willensstärke. Damit wohl versehen, stellte sich Adenauer ohne Scheu den Herausforderungen, die ziemlich plötzlich auf die Bundesrepublik zukamen und auf die sie sich kaum hatte innerlich vorbereiten können. Ihn aber fand die Stunde gefaßt, kühlen Kopfes und zupackend. Er fürchtete sich vor den weittragenden Entschlüssen sowenig wie vor der Macht mit der er um so souveräner und herrischer umzugehen liebte, je mehr sie sich auswuchs. Seine Entschlüsse hießen: Westorientierung, Europa-Option, deutsch-französische Aussöhnung. Und das wird lange vorhalten. Es ist das Vermächtnis.
Verglichen damit war der Unterton von Antikommunismus doch fast von beiläufiger Natur. Die Staatsräson bedeutete ihm mehr als die Ideologie. Auf Kreuzzug war er nicht aus; das Arrangement entsprach seinem Naturell. Er wünschte den Ausgleich selbst mit dem Osten. Er wußte vom Unvollendeten, Unvollkommenen des Werks. "Wiedervereinigung", in welchem Wandel immer, war nicht Objekt seiner Gleichgültigkeit, sondern heimliche Hoffnung. Bis zuletzt ärgerte er sich bei der Vorstellung, daß ihm eine Chance nach Osten hin verpatzt worden sei. In aller Skepsis blieb er noch ein Patriot, der freilich von nationalistischem Pathos nichts Gutes mehr halten mochte. Und die Abkehr vom Nationalismus ist eine seiner besten Lektionen für die Nation, um die er in Sorge war.
Adenauers Ort in der deutschen Geschichte. Betrachtungen des Historikers Winfried Loth (1988)
Wesentliche Entscheidungen, die den Verlauf der deutschen Geschichte nach 1945 bestimmten, waren schon gefallen, ehe Adenauer die politische Bühne betrat. Das Deutsche Reich, so wie es Bismarck geformt hatte, war zusammengebrochen; die Ostgebiete waren für Deutschland verloren; und die Siegermächte, die Sowjetunion wie die Westmächte waren entschlossen, die Kontrolle über die, deutschen Angelegenheiten nicht mehr aus der Hand zu geben und so eine Rückkehr zur deutschen Hegemonie über den europäischen Kontinent zu verhindern …
Die zentrale Bedeutung Adenauers für den Gang der deutschen Gesehichte nach. 1945 liegt denn auch nicht in den Weichenstellungen der ersten Nachkriegsjahre. Sei ist vielmehr darin zu sehen, daß er für ein Festhalten an der Entscheidung zur Gründung der Bundesrepublik gesorgt hat, als ihre Konsequenzen nach und nach sichtbar wurden. Adenauers Wirken als verantwortlicher Leiter der bundesdeutschen Politik hatte maßgeblichen Anteil daran, daß aus dem Provisorium von 1949, das manche als Kernstaat verstanden und manche überhaupt noch nicht als Staat, bis 1955 ein zentrales Mitglied der westlichen Staatenwelt wurde, gesellschaftlich, ideologisch und sicherheitspolitisch fest im Westen verankert, formal nahezu gleichberechtigt und politisch oft einflußreicher als die britische oder französische Siegermacht…
Die Westdeutschen wurden in einem Tempo zu geachteten Mitgliedern der westlichen Staatengemeinschaft, das ohne den Kalten Krieg nicht denkbar gewesen wäre; und die Welt erlebte eine Bereinigung oder doch zumindest Vertagung der Deutschen Frage, die stabiler war als alles, was man bislang zur Lösung dieses leidigen Problems ausgedacht und ausprobiert hatte. Gleichzeitig mußten aber auch die Deutschen, die das Unglück hatten, auf dem Territorium der sowjetischen Besatzungszone zu leben, recht einseitig für die Sünden der Vergangenheit und die Niederlage büßen. Und Ost und West sahen sich vor die Notwendigkeit gestellt, endlose Ressourcen in Verteidigungsanstrengungen stecken zu müssen, ohne sicher sein zu können, ob die wechselseitige Abschreckung auch wirklich funktionierte.
Widerstand gegen die Westintegration der Bundesrepublik gab es folglich allenthalben, teils aus mangelnder Einsicht in die Notwendigkeiten der Situation und teils aus sehr begründeter Einsicht in die Kosten des Verfahrens. Immer wieder und an den unterschiedlichsten Orten tauchte die Frage auf, ob es nicht besser sei, wenigstens hinsichtlich des deutschen Problems nach einem Kompromiß zwischen Ost und West zu suchen, die Rückkehr zur Viermächtekontrolle anzustreben und damit auch die militärische Situation in Europa zu entzerren. George Kennan, der Vater der amerikanischen Eindämmungsdoktrin, wollte das schon im Sommer 1948, als die Berliner Blockade die Gründung der Bundesrepublik bedrohte; Churchill hielt den Zeitpunkt dafür nach dem Tode Stalins im März 1953 für gekommen; und die französischen Regierungen sahen sich permanent in Versuchung geführt, der mißlichen Kombination von amerikanischer Hegemonie und westdeutscher Wiederbewaffnung durch eine Wiederbelebung der Allianz der Siegermächte zu entkommen. Am gefährlichsten wurde es für das Westintegrationsprojekt, wenn sich die sowjetische Führung dazu durchrang, zur Verhinderung eines westdeutschen Verteidigungsbeitrags im Rahmen einer starken Allianz des Westens das Machtmonopol der SED in der DDR preiszugeben. Das war allem Anschein nach im Frühjahr 1952 der Fall; und ein Jahr später bewegte sich die sowjetische Politik noch einmal in die gleiche Richtung.
Adenauer hat in diesen Neutralisierungsplänen stets eine tödliche Gefahr nicht nur für die Bundesrepublik, sondern auch für Deutschland gesehen. "Bismarck", so vertraute er einmal einem Journalisten an, "hat von seinem Alpdruck der Koalitionen gegen Deutschland gesprochen. Ich habe auch meinen Alpdruck: er heißt Potsdam. Die Gefahr einer gemeinsamen Politik der Großmächte zu Lasten Deutschlands besteht seit 1945 und hat auch nach der Gründung der Bundesrepublik weiter bestanden. Die Außenpolitik der Bundesrepublik war von jeher darauf gerichtet, aus dieser Gefahrenzone herauszukommen. Denn Deutschland darf nicht zwischen die Mühlsteine geraten, dann ist es verloren."...
Der unglückliche Abgang des Altkanzlers sollte ... nicht den Blick dafür verdunkeln, daß er die Chancen für die Errichtung einer bürgerlichen Ordnung in Deutschland, die sich aus der von ihm gewählten Konstellation ergaben, nach Kräften genutzt und damit wenigstens auf einem Teil deutschen Territoriums Traditionen zum späten Durchbruch verholfen hat, die in der bisherigen deutschen Geschichte immer zu kurz gekommen waren, erst gegenüber dem Behauptungswillen der Feudalaristokratie und dann gegenüber den unkontrollierten Zukunftsängsten einer industriellen Massengesellschaft. Mit seinem von keinerlei Selbstzweifeln geplagten bürgerlichen Selbstbewußtsein, seinem pragmatisch-zupackenden Führungsstil und seiner Abschirmung der bundesdeutschen Gesellschaft vor aufwühlenden Problemen trug er dazu bei, daß die natürliche Dominanz des westdeutschen Bürgertums und der alten Partikularkräfte des Südwestens und des Südens, die sich aus der Beschränkung auf die Westzonen ergab, zu einer allgemeinen Verbürgerlichung des Lebensstils und des Wertesystems breiter Sichten führte. Die Modernisierung, die seit den Jahren des Dritten Reiches angebrochen war, wurde dadurch zum Teil wieder gestoppt, was der Adenauer-Ära nach den Umbruchhoffnungen der Befreiungsphase einen unverkennbaren restaurativen Zug beimischte und manchen Stützen des nationalsozialistischen Regimes ein Überleben im Schatten der antikommunistischen Frontstellung ermöglichte. Aber im Zusammenhang mit der Beschwörung der Gemeinsamkeiten der westlichen Welt wurden doch auch gleichzeitig das Tor zu den westlichen Demokratien weit geöffnet und so die Grundlagen dafür geschaffen, daß diese Republik die Verkrustungen des spätbürgerlichen Idylls später aus eigener Kraft überwinden konnte.
Es ist sicher richtig, daß dies, die Westintegration einmal vorausgesetzt, einem anderen Kanzler in ähnlichcr Weise gelungen wäre. Vielleicht hätten etwas weniger skrupelloser Umgang mit den Verfassungsinstrumentarien, etwas weniger Menschenverachtung und etwas mehr Zutrauen in den aufgeklärten Bürgersinn, als er sie vorexerzierte, der westdeutschen Demokratie sogar zu noch solideren Fundamenten verholfen. Aber ob die bürgerliche Ordnung auch bei einer Verwirklichung der gesamt-deutschen Alternative zum Adenauerstaat eine solche Spätblüte einschließlich der breiten Öffnung zum Westen erlebt hätte, darf füglich bezweifelt werden ... Der Zuschnitt der Republik, die wir kennen, ist jedenfalls unlösbar mit der Entscheidung Adenauers verbunden.
Weil es nicht möglich ist, mit Bestimmtheit zu sagen, welchen Weg ein neutralisiertes Deutschland genommen hätte, ist es auch aus der historischen Distanz nicht leicht, diese Entscheidung angemessen zu beurteilen. Diejenigen, die in der Tradition des westdeutschen Bürgertums stehen, werden sie sich gewiß leichter zu eigen machen können als diejenigen, die ihre Nachteile zu spüren bekamen. Undifferenziertes Wehklagen über angeblich verpaßte Chancen ist allerdings ebensowenig angebracht wie die eilfertige Versicherung, daß keine andere Entscheidung möglich und gangbar gewesen wäre. Wem es um den Erhalt des republikanischen Konsenses und um eine realitätsbezogene Politik in dieser Gesellschaft zu tun ist,wird immer beides zusammen sehen müssen: Adenauers Beitrag zum Aufstieg der Westdeutschen, zu ihrer Versöhnung mit westlichen Prinzipien und zur Befriedung Europas und sein Mitwirken an der Festschreibung der deutschen Teilung und der Verschärfung der Ost-West-Blockkonfrontation. Daß beides: die Leistungen Adenauers und die Kosten, die seine Politik verursachte, enorm waren, macht die historische Größe dieses Mannes aus.
1945
4.-11.2. Konferenz von Jalta (Stalin, Roosevelt und Churchill): Vereinbarung über Besetzung, Aufteilung, Kontrolle und Reparationen Deutschlands
8.5. Bedingungslose Kapitulation Deutschlands
17.7.-2.8. Potsdamer Konferenz zur weiteren Regelung der deutschen Verhältnisse
6./9.8. Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki durch die USA
30.8. Beginn des Alliierten Kontrollrates der Oberbefehlshaber der Siegermächte
1946
6.9. Stuttgarter Rede des amerikanischen Außenministers Byrnes: Beginn einer neuen Deutschlandpolitik
2.12. New Yorker Abkommen über die Errichtung der Bi-Zone zwischen Großbritannien und den USA (mit Wirkung vom 1. 1. 1947)
1947
12.3. Verkündigung der Truman-Doktrin vor dem amerikanischen Kongreß: Ziel ist Verhinderung kommunistischer Expansion
5.6. Außenminister Marshall kündet in Harvard ein Wiederaufbauprogramm für Europa an (Marshallplan)
1948
20.6. Währungsreform in den Westzonen zur Beendigung der Geldinflation
24.6. Beginn der Blockade Berlins durch die UdSSR (bis 12.5.1949)
1.7. Überreichung der "Frankfurter Dokumente": Alliierte bieten westdeutsche Staatsbildung an
1.9. Konstituierung des Parlamentarischen Rates zur Ausarbeitung einer Verfassung in Bonn
1949
4.4. Gründung der NATO in Washington
28.4. Abkommen über die Internationale Ruhrbehörde unterzeichnet
8.5. Parlamentarischer Rat billigt Grundgesetz
23.5. Verkündigung des Grundgesetzes
14.8. Wahlen zum 1. Deutschen Bundestag
12.9. Theodor Heuss zum Bundespräsidenten gewählt
15.9. Konrad Adenauer mit einer Stimme Mehrheit zum Bundeskanzler gewählt
21.9. Besatzungsstatut tritt in Kraft
23.9. UdSSR bringt Atombombe zur Explosion
7.10. Gründung der DDR (Ministerpräsident wird Otto Grotewohl)
22.11. Petersburger Abkommen: Teilsouveränität für die Bundesrepublik Deutschland
15.12. Abkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA über die Marshallplan-Hilfe
1950
9.5. Robert Schuman schlägt Bildung der Montanunion vor
25.6. Beginn des Korea-Krieges
1951
6.3. Revision des Besatzungsstatus: Bundesrepublik darf ein Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten errichten und diplomatische Beziehungen zu anderen Staaten aufnehmen
10.4. Bundestag verabschiedet Mitbestimmungsgesetz für die Montan-Union in Paris
18.4. Unterzeichnung des Vertrages über die Montan-Union in Paris
1952
10.3.-23.9. Viermaliger Notenwechsel zwischen der Sowjetunion und den Westmächten über einen Friedensvertrag mit Deutschland und die Wiedervereinigung
16.5. Bundestag verabschiedet Gesetz über Lastenausgleich
26.5. Unterzeichnung des Deutschlandvertrages: Souveränität mit Vorbehalten
25.7. Aufhebung des Ruhrstatuts und der Beschränkungen der westdeutschen Stahlindustrie
20.8. Tod des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher
10.9. Unterzeichnung des Wiedergutmachungsabkommens zwischen der Bundesrepublik und Israel
4.11. Präsidentenwahlen in den USA: Der Republikaner Dwight D. Eisenhower wird zum Nachfolger von Truman gewählt, Amtsantritt: 20. 1. 1953
1953
5.3. Tod Josef Stalins
6.4. Erste Reise Bundeskanzler Adenauers in die USA
17.6. Volksaufstand in Ostberlin und der DDR
27.7. Waffenstillstand in Korea
6.9. Wahlen zum 2. Deutschen Bundestag. CDU baut
7.9. Mehrheit aus Nikita Chruschtschow wird erster Sekretär der KPdSU
1954
25.1.-18.2. Vier-Mächte Konferenz in Berlin über die Wiedervereinigung
31.8. Scheitern des EVG-Vertrags in der französischen Nationalversammlung
23.10. Unterzeichnung der Pariser Verträge (Beitritt der Bundesrepublik zu NATO und WEU)
1955
5.5. Pariser Verträge treten in Kraft. Ende des Besatzungsstatus, die Bundesrepublik wird souverän
9.5. Bundesrepublik wird Mitglied der NATO
14.5. Konstituierung des Warschauer Paktes
1.-2.6. Konferenz in Messina: Beschluß der Außenminister zur Bildung eines europäischen Marktes und einer europäischen Atomgemeinschaft
9.-13-9. Moskau-Reise Adenauers. Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion
1956
1.1. Die ersten 1000 freiwilligen Soldaten werden zur Bundeswehr einberufen
25.2. Auf dem XX. Parteitag der KPdSU verurteilt Chruschtschow den Stalin-KuIt
17.8. Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht Beginn des Volksaufstands in Ungarn
23.10. Beginn des Volksaufstands in Ungarn
1957
25.3. Unterzeichnung der römischen Verträge über die EWG und die EURATOM. Sie treten am 1. 1. 1958 in Kraft
12.4. "Göttinger Erklärung": 18 deutsche Atomforscher warnen vor nuklearer Rüstung
15.9 Wahlen zum 3. Deutschen Bundestag: absolute Mehrheit für die CDU!CSU
4.10. Start des ersten künstlichen Erdsatelliten "Sputnik" durch die Sowjetunion
1958
7.3. Gründung des Arbeitsausschusses" Kampf dem Atomtod"
25.4. Unterzeichnung des 1. Handelsvertrages zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion
29.12. Die Deutsche Mark und mit ihr die Währungen von zwölf anderen westeuropäischen Ländern werden frei konvertierbar
1959
1. 1. Beginn der EWG. Die Zölle zwischen den Mitgliedsstaaten werden um 10 % gesenkt
13.-15.11. Godesberger Programm: SPD versteht sich als Volkspartei
1960
30.6. Programmatische Bundestagsrede von Herbert Wehner: SPD bekennt sich zur atlantischen Gemeinschaft
24.8. Willy Brandt wird zum Kanzlerkandidaten der SPD bestimmt
8. 11. Präsidentenwahlen in den USA: der Demokrat John F. Kennedy setzt sich gegen Richard M. Nixon durch und wird zum Nachfolger von Eisenhower gewählt. Amtsantritt am 20.1.1961
1961
6.3. 1. Aufwertung der DM
12.4. Erster bemannter Weltraumflug durch den Sowjetrussen Juri Gagarin
3.-4.6. Kennedy und Chruschtschow treffen in Wien zusammen
13.8. Bau der Berliner Mauer
17.9. Wahlen zum 4. Deutschen Bundestag
1962
2.-8.7. Staatsbesuch Adenauers in Frankreich
4.-9.9. Staatsbesuch de GaulIes in der Bundesrepublik
22.-28.10. Kuba-Krise
26.10. Beginn der "Spiegel"-Affäre: Versuch eines Eingriffs der Bundesregierung in die Pressefreiheit
7.12. Adenauer kündigt Rücktritt vom Kanzleramt für Herbst 1963 an
1963
22.1. In Paris wird der Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit geschlossen
23.-26.6. Kennedy besucht die Bundesrepublik und Westberlin
15.10. Rücktritt Adenauers als Bundeskanzler
16.10. Ludwig Erhard wird zum 2. Bundeskanzler gewählt
22.11. Ermordung Kennedys in Dallas/Texas. Nachfolger wird Vizepräsident Lyndon B. Johnson
1964
15.2. Der Reg. Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, wird als Nachfolger des verstorbenen Erich Ollenhauer zum Parteivorsitzenden der SPD gewählt
10.9. Die Zahl der Gastarbeiter in der BRD übersteigt eine Million
1965
12.5. Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel
15.6. Finanzminister Dahlgrün warnt Erhard vor einer kommenden Haushaltskrise: Ende des Wirtschaftswunders in Sicht
19.9. Wahlen zum 5. Deutschen Bundestag. Am 20.10. wird Erhard erneut zum Kanzler gewählt
1966
Herbst Beginn der ersten wirtschaftlichen Rezession in der Bundesrepublik: Arbeitslosigkeit steigt von 101 000 im Juli 1966 bis auf 673000 im Februar 1967
27.11. Ende der CDU-FDP Koalition. Rücktritt Erhards als Bundeskanzler
1.12. Bildung der "Großen Koalition" von CDU und SPD. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Kurt Georg Kiesinger, wird Bundeskanzler, Willy Brandt Außenminister, Karl Schiller Wirtschaftsminister, Franz Josef Strauß Finanzminister
1967
19.4. Tod Konrad Adenauers in Rhöndorf
Abkürzungsverzeichnis
DGB Deutscher Gewerkschaftsbund
EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montan-Union)
ERP European Recovery Program (Marshall-Plan)
EURATOM Europäische Gemeinschaft für Atomenergie
EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EZU Europäische Zahlungsunion
GATT General Agreement on Tariffs and Trades
GG Grundgesetz
ILO International Labor Organization
LAG Lastenausgleichsgesetz
NATO North Atlantic Treaty Organization
OEEC Organization for European Economic Cooperation (1948-1960)
OECD Organization for Economic Cooperation and Development(ab 1960)
SBZ Sowjetische Besatzungs-Zone Deutschlands
UNO United Nations Organization
UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
WEU Westeuropäische Union
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