
Einführung in die Ausstellung
Die nationalsozialistische Diktatur hatte in einer politischen und moralischen Katastrophe geendet. Die Besetzung Deutschlands durch die Alliierten erlebten die Gegner und Opfer des NS-Regimes in Konzentrationslagern und Zuchthäusern als Tag der Befreiung. Bei der Masse der Bevölkerung hingegen mischte sich in die Erleichterung über das Ende des Krieges die bange Frage nach der Zukunft unter der Herrschaft der Besatzungsmächte. Das Ende des Reiches, die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und der drohende Zusammenbruch des Versorgungssystems ließen die Zukunft mehr als ungewiß erscheinen.
Hauptziel der alliierten Mächte nach dem Ende des Krieges war es zu verhindern, daß Deutschland jemals wieder eine Bedrohung für den Weltfrieden werden könnte. Nach der bedingungslosen Kapitulation sollte zunächst Deutschland entmilitarisiert, die NSDAP und ihre Organisationen verboten und die Kriegsverbrecher bestraft werden. Verwaltung und Gesellschaft sollten entnazifiziert und die deutsche Rüstungsindustrie demontiert werden. Durch Lieferung von Maschinen und industriellen Gütern sollte Deutschland einen Beitrag zum Wiederaufbau der von deutschen Truppen zerstörten Regionen Europas leisten.
Über die weitere Behandlung der Deutschen hatten die Alliierten unterschiedliche Vorstellungen. Mit einem anspruchsvollen demokratischen Programm traten die Amerikaner an, zu deren Besatzungszone Hessen gehörte. Sie wollten die Deutschen durch „reeducation" zur Demokratie erziehen. Für viele Amerikaner - traditionell eher deutschfreundlich - bedeutete damals „the German mind" die Neigung zu autoritären Verhaltensweisen und gefährlichen Aggressionen, wie sie in der Auslösung zweier Weltkriege und in der Organisation millionenfacher Morde an Juden, Russen und Polen in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern zum Ausdruck gekommen war. Daher sollte dafür gesorgt werden, daß in Deutschland wieder demokratische Institutionen entstünden und sich der Charakter insbesondere der deutschen Jugend durch eine Erziehung in demokratischem und humanem Geist wandele.
Doch als die Amerikaner Hessen besetzten, lag noch keine wirkliche reeducation-Konzeption vor. In den USA war im Herbst 1944 ein grundsätzlicher Konflikt über die künftige Besatzungspolitik ausgebrochen. Ursprünglich war das amerikanische Kriegsministerium davon ausgegangen, daß nach der Zerschlagung der nationalsozialistischen Parteiorganisationen und Verwaltungsstrukturen eine möglichst baldige Normalisierung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft anzustreben sei. Wenn erforderlich, wollte die Militärregierung selbst die Wiederaufnahme der Industrieproduktion fördern, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Die Bildung demokratischer Institutionen wie z. B. der Gewerkschaften sollte baldmöglichst zugelassen werden. Deutsche Emigranten bestärkten die Amerikaner in der Zuversicht, daß sich wieder ein demokratisches Leben wie in der Zeit der Weimarer Republik entwickeln werde, sobald das NS-Regime beseitigt sei.
Gegen diesen pragmatischen Ansatz erhob aber im Herbst 1944 vor allem der amerikanische Finanzminister Morgenthau energisch Einspruch. Er befürchtete, daß ein rasches Wiedererstarken Deutschlands, besonders auf dem industriellen Sektor, die europäischen Nachbarn in eine erneute wirtschaftliche und politische Abhängigkeit treiben würde, und forderte Maßnahmen von außerordentlicher Härte, um dieser Gefahr vorzubeugen. Nicht nur die Schwerindustrie sollte vollständig zerschlagen, sondern die sonstige Industrieproduktion so weit reduziert werden, daß Deutschland auf lange Zeit daran gehindert wäre, wieder ein bedeutendes Industrieland zu werden.
Zwar wurde der von Morgenthau entwickelte Plan nie offizielles Dokument der amerikanischen Außenpolitik. Aber die von ihm ausgelöste Diskussion beeinflußte zunächst nachhaltig die amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland.
In der kurz nach der Besetzung Hessens im April 1945 erlassenen Direktive JCS 1067 hieß es: „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat". Hauptziel sei neben der Entnazifizierung und Entmilitarisierung auch die industrielle Abrüstung Deutschlands. Die amerikanischen Befehlshaber wurden angewiesen, „die Verbrüderung mit deutschen Beamten und der Bevölkerung streng zu unterbinden". Den Neuaufbau des politischen Lebens auf demokratischer Grundlage vertagte man auf später.
Diese Politik wurde von der öffentlichen Meinung in den USA gestützt, die über die bei der Besetzung Deutschlands entdeckten Greueltaten schockiert war. Die amerikanischen Militärs, ebenfalls zutiefst betroffen, blieben gleichwohl nicht unberührt von der Notlage der deutschen Zivilbevölkerung, die vor riesigen wirtschaftlichen und sozialen Problemen stand und schlicht zu verhungern drohte, wenn nicht wenigstens eine Mindestversorgung sichergestellt würde. Mit seinen Beratern entwickelte der amerikanische Militärgouverneur Clay ab August 1945 eine umfassende Konzeption, die zu einer baldigen Demokratisierung des politischen Lebens auch in Hessen führte.
Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörten die Zulassung von Gewerkschaften und politischen Parteien, der Aufbau einer unabhängigen überparteilichen Presse und die Gründung von Ländern mit verantwortlichen deutschen Regierungen. Damit wurde auch in Hessen der „Aufbruch zur Demokrade" eingeleitet, der binnen eines Jahres zum Volksentscheid über die Verfassung und zur Bildung der ersten gewählten Landesregierung unter Ministerpräsident Stock führte.
Obwohl nach der totalen Niederlage alle Machtbefugnisse auf die Sieger übergegangen waren, blieb man auch auf deutscher Seite nicht untätig. Sofort nach dem Einmarsch hatten sich hessische Politiker in Antifa-Ausschüs-sen und Bürgerräten organisiert, in „illegalen" Treffen Parteigründungen vorbereitet - Aktivitäten, die zunächst auf wenig Gegenliebe bei den amerikanischen Dienststellen stießen und von ihnen manchmal toleriert, manchmal verboten wurden.
Um so tatkräftiger haben sie die Chance zum Aufbau der Demokratie genutzt, sobald die US-Militärregierung ab Sommer 1945 die offizielle Gründung von Gewerkschaften und politischen Parteien gestattete - mochten die „gestandenen" Politiker unter ihnen auch etwas verwundert gewesen sein, wie schulmäßig die Amerikaner den Aufbau von Parteien und Gewerkschaften sowie die Wahl von Gemeindevertretungen und Parlamenten „von unten nach oben" anordneten. Viele Männer und Frauen der „ersten Stunde" waren schon in der Weimarer Republik politisch aktiv gewesen, viele von ihnen hatten unter der NS-Diktatur ihren Beruf verloren, nicht wenige waren im Widerstand tätig und in Zuchthäusern und Konzentrationslagern inhaftiert gewesen. Als es galt, den Aufbau eines demokratischen Deutschland zu wagen, sprangen sie in die Bresche und übernahmen erneut politische Verantwortung unter schwierigen Umständen und ganz außergewöhnlichen Bedingungen: Einerseits unterstanden sie den Anordnungen einer Militärregierung, zum anderen trugen sie nun die Sorge für das Wohl der Bevölkerung, die überwiegend noch von autoritären Leitbildern geprägt war und erst für die Demokratie gewonnen werden mußte.
Gleichwohl gelang es den deutschen Politikern in den ersten Nachkriegsjahren, entscheidende Grundlagen für unsere heutige parlamentarische Demokratie zu legen. Bemerkenswert war dabei auch in Hessen die Solidarität der Demokraten, die sich von Anfang an herausbildete. Die bitteren Jahre unter der NS-Diktatur hatten die Politiker der ersten Stunde ein hohes Maß an Toleranz gelehrt. Viele hofften, daß sich gesellschaftliche Gegensätze durch eine sachliche Politik versöhnen lassen würden.
Erstmals bestand jetzt in der deutschen Geschichte ein Konsens aller Parteien, daß die parlamentarische Demokratie die wünschenswerte Staatsform darstellte. Die Distanzierung von den westlichen Demokratien, die in der Weimarer Republik in konservativ-bürgerlichen Kreisen gang und gäbe gewesen war, fand in dem Parteiensystem nach 1945 keine ernstzunehmende Fortsetzung mehr.
Die Tendenz zu politischer Zusammenarbeit und Toleranz machte auch nicht vor gesellschaftlichen und konfessionellen Milieus halt, die sich in der Weimarer Republik noch politisch bekämpft hatten. Während damals katholische und evangelische Christen, gerade wenn sie kirchlich engagiert waren, unterschiedliche Parteien wählten, entstand jetzt die CDU als große interkonfessionelle Volkspartei neuen Typs.
Unverkennbar war auch, daß die SPD aus dem gesellschaftlichen Ghetto der Weimarer Zeit herausstrebte. Dies kam in der angestrebten Öffnung für bürgerliche Wähler zum Ausdruck; auch verzichtete die Parteiführung bewußt auf eine Wiederbelebung der typischen sozialdemokratischen Subkultur, wie sie in der Zeit vor 1933 bestanden hatte. Von großer Bedeutung war ferner, daß sich die Gewerkschaften zu Einheitsgewerkschaften anstelle der früheren Richtungsgewerkschaften zusammenschlössen.
Auch eine Verbesserung des Verhältnisses zur Arbeiterschaft wurde in bürgerlichen und kirchlichen Kreisen vielfach als notwendig angesehen. In der Weimarer Republik waren die politischen und sozialen Reformen, die die Arbeiterschaft in die Republik integrieren sollten, für viele bürgerliche Wähler ein wesentlicher Anlaß gewesen, der Demokratie den Rücken zu kehren. Daß nach 1945 in der Öffentlichkeit das Verständnis für die Belange der Arbeitnehmerschaft wuchs, trug entscheidend zur Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems bei.
Der Abbau ständischer und kirchlicher Schranken förderte die Funktionsfähigkeit eines Parteiensystems, das regierungsfähige Mehrheiten möglich machte und erheblich zur politischen Stabilität der Bundesrepublik beigetragen hat.
Gerade hessische Politiker waren davon überzeugt, daß die liberale Demokratie notwendigerweise ein soziales Fundament brauche. Daher strebte die hessische Verfassung nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Demokratie an. Nach den Worten eines ihrer Schöpfer, des späteren Kultusministers Erwin Stein, war sie von allen Nachkriegsverfassungen „das erste Staatsgrundgesetz, das den Wandel von der nur liberal-humanitären zur sozial-humanitären Ordnung vollzogen hat". Dies äußerte sich vor allem in der konkreten Formulierung sozialstaatlicher Postulate und dem Streben nach Chancengleichheit im Bildungswesen.
Es waren vor allem die SPD und der linke Flügel der CDU, die für eine Wirtschaftsdemokratie eintraten, wie sie in der Hessischen Verfassung insbesondere durch die sofortige Sozialisierung bestimmter Industrie- und Verkehrsbetriebe durch Art. 4l und durch das Gesetz über die gleichberechtigte Mitbestimmung von Betriebsräten auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten der Unternehmen angestrebt wurde.
Beide Entscheidungen lösten indessen grundsätzliche Konflikte mit der Militärregierung aus. Diese Meinungsverschiedenheiten fielen in die Jahre 1947 und 1948, in denen die Militärregierung entschiedener als zuvor bemüht war, durch eigene Gesetze und Erlasse ihre Vorstellungen von einer demokratischen Gesellschaft durchzusetzen. Beispielhaft seien hier die Einführung der Gewerbefreiheit — sie erwies sich als ein Segen für die nach einer selbständigen Existenz strebenden Flüchtlinge - sowie der Konflikt um die Einführung der sechsjährigen statt der traditionellen vierjährigen Grundschule erwähnt. Bei der Gewerbefreiheit setzte sich die Militärregierung durch, im Schulstreit resignierte sie. Hier behielten jene amerikanischen Kritiker recht, die schon frühzeitig vor der Utopie gewarnt hatten, daß man ein Bildungssystem exportieren und ein Volk von außen her erziehen könne. In der Tat waren die amerikanischen Erziehungsoffiziere am erfolgreichsten, wenn ihre Anregungen von deutschen Bildungsreformern aufgegriffen werden konnten, weil sie auch deutschen Reformvorstellungen entsprachen. Von großer Bedeutung waren vor allem kulturelle Initiativen, wie sie in der Gründung der Amerika-Häuser und dem amerikanischen Drängen auf einen „staatsfreien" Rundfunk zum Ausdruck kamen.
Die amerikanische Militärregierung formulierte ihre Politik auf Grund ihrer Erfahrungen im Jahr 1949 neu. Fortan hieß das Ziel nicht mehr „reeducation", sondern „reorientation": Deutschlands Hinwendung zur westlichen Welt sollte künftig allein durch kulturelle Anregungen und Initiativen gefördert werden. Und so entstand allmählich auch ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen den Deutschen und ihren ehemaligen „Besatzern".

Hitlers totaler Krieg endete mit der totalen Niederlage. In der Nacht auf den 23. März 1945 setzte Infanterie der 3. US-Armee unter General G. S. Patton bei Oppenheim über den Rhein. Kaum eine Woche später waren das gesamte Rhein-Main-Gebiet und die Wetterau besetzt. Weiter nördlich bewegte sich am 25. März von Remagen aus eine weitere US-Armee unter General C. Hodges auf den Westerwald und das Lahntal zu. Oft stellte sich den Amerikanern nur das in aller Eile zusammengebrachte „letzte Aufgebot" entgegen: Volkssturmeinheiten und Hitlerjugend, nahezu ohne Ausrüstung und Versorgung, sollten durch Panzersperren das Vorrücken der Amerikaner verhindern. Ein vorbeiziehender deutscher Leutnant meinte beim Anblick einer solchen Sperre bei Gadernheim nur: „Das hält den Ami genau 5 Minuten auf, eine Minute zum Wegräumen und vier Minuten zum Lachen." Angesichts des schnellen Vormarsches der gut ausgerüsteten amerikanischen Verbände nutzten aber auch viele die erstbeste Gelegenheit, sich zu ergeben; andere versuchten, sich von ihren Einheiten abzusetzen und die Uniform gegen Zivilkleidung einzutauschen.
Buchstäblich in letzter Minute gab Gauleiter Sprenger noch am 24. März einen Evakuierungsbefehl für Südhessen aus, der allerdings nicht mehr zur Ausführung kam. Danach sollte die gesamte Einwohnerschaft des Rhein-Main-Gebietes ohne Aussicht auf Verpflegung und unter der ständigen Gefahr von Tieffliegern auf die Landstraße geschickt werden, um in noch unbesetzte Gebiete zu fliehen. Gleichzeitig mit der Evakuierung war beabsichtigt, den anrückenden Amerikanern durch die Zerstörung der Versorgungs- und Kommunikationseinrichtungen ein nichtregierbares Chaos zu hinterlassen.
Während die NS-Funktionäre flüchteten, versuchten in einigen Städten leitende Beamte der örtlichen Militär- und Zivilverwaltung mit Erfolg, durch offene oder passive Resistenz das Schlimmste abzuwenden und eine gewisse Verwaltungskontinuität sicherzustellen. In Wiesbaden beispielsweise waren Stadtkämmerer Dr. Heß und Verwaltungsrat Reeg entschlossen, die Chaospolitik nicht mitzumachen. Durch vorsichtige Fühlungnahme und geheime Absprachen mit den verantwortlichen Stellen der Stadtwerke und des Militärs gelang es ihnen schließlich, weitere sinnlose Kämpfe und die angeordneten Zerstörungen zu verhindern. In anderen Städten leisteten noch verbliebene SS- und Wehrmachts-Einheiten gegen den Willen der längst kriegsmüden Bevölkerung allerdings bis zuletzt Widerstand. Mancherorts kam es auch zu standrechtlichen Erschießungen, weil Befehle nicht befolgt, Stellungen nicht ausgebaut oder weiße Fahnen aufgezogen wurden.
Teilweise forderten die US-Truppen mit Lautsprechern die Verantwortlichen zur Kapitulation auf und drohten andernfalls mit einem Bombenteppich. In Fritzlar versuchten daraufhin beherzte Frauen mit einer Demonstration vergebens, die Verteidiger zur Aufgabe der Stadt zu bewegen. In der Gegend um Eschwege wurden die Amerikaner noch bis zum 7. April in Kämpfe mit versprengten deutschen Einheiten verwickelt, dann schwiegen die Waffen auch hier. Einen Monat vor der Kapitulation Deutschlands waren Nazi-Diktatur und Krieg in den hessischen Gebieten beendet.
Übrig blieb ein Bild der Zerstörung. Nicht nur die kriegswichtigen Gleisanlagen, Straßen und Industriebetriebe hatten durch die alliierten Luftangriffe schwere Schäden davongetragen, sondern fast alle größeren Städte Hessens waren stark zerstört: In Kassel, Darmstadt und Frankfurt lagen rund drei Viertel aller Häuser in Trümmern. Unzählige Menschen standen praktisch vor dem Nichts, hatten ihr Hab und Gut, ihre Heimat und — am schlimmsten noch — ihre nächsten Angehörigen verloren.
»Verteidigung der Stadt bis zum letzten Mann« ist einer der Kernsätze der »Kampfanweisung«, die der Frankfurter Kampfkommandant Generalmajor Friedrich Stemmermann vom Oberkommando des Heeres erhält. Noch hält der Westwall die Alliierten auf. Doch der anglo-amerikanische Druck auf Eifel- und »Moselfront« nimmt zu. In Berlin befürchtet das Oberkommando der Wehrmacht eine Luftlandung der Amerikaner hinter dem Westwall, um einen Rhein-Brückenkopf bei Mainz zu bilden. Frankfurt komme als wichtigem Eisenbahnknotenpunkt in dieser Lage große Bedeutung zu. Stemmermann muß die Verteidigung Frankfurts mit dem letzten Aufgebot vorbereiten. Die wenigen, zusammengewürfelten Einheiten sind kaum kampffähig. Verfügbar sind eine Flakgruppe, eine Panzerabwehrabteilung, ein ungarisches Ersatzbataillon und Landesschützen mit zumeist älteren und gebrechlichen Soldaten. Dazu kommt der kaum ausgebildete und mangelhaft ausgerüstete Volkssturm. Es fehlt an Waffen und Munition. Am 11. März, vier Tage nach dem alliierten Rheinübergang bei Rema-gen, wird in den Städten und Dörfern Hessens der »Heldengedenktag« gefeiert. »Bis der Sieg errungen ist,« werde gekämpft, sagt Stemmermann in seiner Gedenkansprache an der Hohenzollernanlage. Während der Volkssturm in Frankfurts Straßen mit dem Bau von Straßensperren beginnt, singt der Soldatenchor auf dem Darmstädter Waldfriedhof vom »großen Morgenrot«, in dem man »die Fahnen fliegen« läßt. »Mit dem festen Verharren« auf den Grundsätzen des »Führers« so Darmstadts Kreisleiter Carl Schilling noch am 19. März, »werden wir am Ende doch Sieger bleiben.« Die Bevölkerung glaubt längst nicht mehr an die versprochenen »Wunderwaffen« und nimmt die gebetsmühlenhaft wiederholten Phrasen kaum noch zur Kenntnis.
17. März 1945: General Eisenhower warnt Frankfurt u. Mannheim
US-Jagdbomber werfen im Raum Frankfurt Flugblätter ab, auf denen der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, General Dwight D. Eisenhower, Frankfurt, Mannheim und Ludwigshafen zu »Kampfzonen« erklärt, die »von jetzt ab einem erbarmungslosen Bombardement ausgesetzt« werden. In deutscher, französischer, tschechischer, polnischer und italienischer Sprache heißt es in den Flugblättern weiter: »Es ist nicht das Ziel der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten. Vernichtet werden soll die deutsche Kriegsmaschine.« Eisenhower schließt mit dem Appell: »Handelt sofort! Heraus aus der Gefahrenzone! Heraus aus dem Krieg!« Über Radio wird der Aufruf zur Räumung stündlich wiederholt. Die meisten noch verbliebenen Frankfurter folgen der Aufforderung ebensowenig wie dem wenige Tage später ergangenen Evakuierungsbefehl des Gauleiters, der ohnedies nicht sagt, wohin die Menschen gehen sollen. […]
Die »Hoheitsträger« des NS-Regimes rüsten sich trotz der markigen Durchhalteparolen zum Abrücken. Im Hof der Gestapozentrale in der Frankfurter Lindenstraße werden tagelang Akten verbrannt. Vollgetankte Fluchtautos stehen bereit.
Lisa de Boor, Tagebucheintragungen 23. - 28. März 1945, geschrieben in Marburg/Lahn, im Hause Rotenberg 8
23., 24. März 1945
Bei unirdisch herrlichem Frühlingswetter vollziehen sich große Entscheidungen. Indes am blauen Himmel Schwärme von Bombern ziehen, wie weißsilberne Vögel blitzend in der Sonne, und wir nah und fern die Bomben krachen hören, haben Amerikaner und Engländer an mehreren Stellen den Rhein überquert, bei Wesel, bei Xanten, bei Remagen und westlich Darmstadt. Massen von Fallschirmtruppen und Lastenseglern landen hinter der Front. Die deutschen Truppen kapitulieren an vielen Abschnitten. Dies scheint nun wirklich die letzte Phase des gewaltigen Ringens zu sein, denn auch die Russen holen aus zu neuen Schlägen in der Slowakei, vor den österreichischen Grenzen und in Pommern und Ostpreußen. Trotz des Wissens um die Schrecken, die vor uns stehen werden in der kommenden Leidenswoche des Christus Jesus, will sich die Brust immerfort weiten, will aufatmen, weil das Ende nahe ist. Vielleicht kommen wir mit dem Leben davon und dürfen dann unsere Dienste anbieten als Helfer zum Aufbau einer menschenwürdigen Zukunft. Mir fällt jetzt ein, daß Monika und ihre Freunde sich „candidats of humanity" nannten, Kandidaten der Menschlichkeit, ein schöner Begriff für ein hohes Ziel.
Wolf ist den ganzen Tag im Garten tätig; es ist wichtig, in den kommenden Monaten von der Erde etwas zur Ernährung zu gewinnen. Wir hatten Post von Werner, er kam mit dem Rest seiner Gemeinde vor dem Russeneinbruch aus Stolp heraus, auf vereisten Landstraßen zu Fuß, alle nur Rucksäcke und einen Handkoffer mit ihrer Habe bei sich tragend.
25. März 1945, Palmsonntag
Mein Herz klopft stürmisch den Ereignissen entgegen. Im Evangelium las ich vom Einzug in Jerusalem. Alles gewinnt in dieser so ungeheuer bewegten Zeit einen neuen Aspekt. „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosiannah in der Höhe!" Ich möchte meine Seele ganz weit und ganz frei machen für die Ereignisse der Karwoche, für die seelisch-geistigen Christusereignisse und für die neuen Möglichkeiten der äußeren Entwicklung, die aus dem Westen hereinbrechen.
Der Oberkommandierende v. Rundstedt wurde abgesetzt, Kesselring übernimmt das Kommando. - Am Abend dieses Tages müssen wir uns sagen, daß Marburg, wenn die seit dem Morgen über uns kreisenden Flugzeuge ihre Bomben geworfen hätten, ein Trümmerhaufen wäre. So aber wurden nur Bahnanlagen bombardiert, und wir dürfen weiter hoffen.
26. März 1945
Nachts zwischen drei und vier Uhr klingelt es, zwei Verwundete an Krücken stehen vor unserer Haustür, sie kommen von der Front im Westerwald, ein Auto brachte sie hierher; der eine, ein siebenundvierzigjähriger Österreicher, hat nur ein Bein, der andere, ein achtzehnjähriger Thüringer, hat den rechten Fuß ohne Schuh im blutenden Verband. Ich wecke einen Nachbarn, der sie zum Lazarett bringt.
Ein milder Regen treibt alles Grün mächtig heraus, dies ist ein Frühling so zeitig, so schön, wie wir ihn noch nie erlebt haben. Es ist, als wisse die Natur, daß eine Zeit - zwölf Jahre waren es - der Dumpfheit, der Unterdrückung, der inneren Kälte zu Ende geht. Die Karwoche beginnt, an deren Ende das Auferstehungsfest anbricht. Die Nachrichten überstürzen sich. Alle Truppen aus Marburg sind in Richtung Frankfurt in Marsch gesetzt, sie sollen die amerikanischen Panzer mit Panzerschreck und Panzerfaust aufhalten. Darmstadt, Aschaffenburg, Limburg sind erobert. Über dem Abschnitt Niederrhein herrscht Nachrichtensperre. Aber Churchill, der alte Degen, soll in einem Sturmboot den Rhein überquert haben! In den englischen Frontberichten war etwas Seltenes zuhören: schottische Dudelsackspieler, die ein Jubelkonzert am Ostufer des Flusses gaben.
27. März 1945
Zur Illustration: in der Zeitung mehren sich die Anzeigen für englischen Sprachunterricht. Ein anderes Zeichen: ich stehe am Milchwagen und höre, wie zwei Frauen von Bonzen sich unterhalten, und eine jammert die andere an: „Womit haben wir das verdient!" Es ist noch immer zu früh, ihnen die Rechnung vorzulegen, an deren Schluß die Summe steht, über deren Umfang und Höhe sich einmal die Menschen entsetzen werden. - Ich sah an der sich begrünenden Hecke den ersten Zitronenfalter und alles Kindheitsglück regte sich in mir. Am Wilhelmsplatz saß ich auf einer Bank, ununterbrochen stürzte aus Richtung Gießen eine Flut von Wagen, Autos, Fahrrädern, Soldaten und Zivilisten vorbei. Die Auflösungserscheinungen mehren sich.
In der Stadt kribbelte es wie ein Bienenschwarm, der aufgestört ist. Viele Läden sind geschlossen, vor anderen stehen Scharen von Menschen, es wird frisch geschlachtetes Fleisch verkauft. Am Abend kommt P. und wir bedenken gemeinsam die zwölf Jahre, hinter die jetzt ein Schlußpunkt gesetzt werden wird. Radio London gibt Vordringen der Amerikaner über Gießen bekannt, nun kommt es auf uns an. Die ganze Nacht hindurch dröhnt der deutsche Rückzug über die Straßen.
28. März 1945
Der denkwürdigste Tag. Gegen zehn Uhr, als ich im Garten Feldsalat hole, hören wir Kanonendonner aus dem Westen, bereits in der Nähe der Stadt. Als die Pausen zwischen den Einschlägen sich immer mehr verkleinern, sagt Wolf : „Das sind die Panzerspitzen der Amerikaner." Ich laufe rasch in mein Zimmer, setze mich einen Augenblick vor meinen Schreibtisch, Weinen erschüttert mich. Die Wichtigkeit dieser Stunde wird mir ganz bewußt. Der Beschuß dauert etwa zwei Stunden, kommt immer näher heran. Vom oberen Stockwerk aus sehe ich dann, daß amerikanische Panzer bereits durch die Universitätsstraße in die Stadt hereinfahren. Nach einer Weile fasse ich mir ein Herz und laufe mit einem polnischen Arbeiter von der Kohlenhandlung gegenüber zum Barfüßertor hinunter, ich nehme den bereitgehaltenen amerikanischen Wimpel mit, den mir meine Schwester zurückließ. Eine lange Kolonne Rote-Kreuz-Wagen hält dort. Wir sind die ersten Menschen, die weit und breit zu sehen sind, die Sanitäter winken uns zu, wir laufen hinüber und begrüßen sie mit ein paar englischen Worten. Sie geben uns dann eine Unmenge Sachen, die von deutschen Soldaten unterwegs fortgeworfen wurden: Mäntel, Decken, Strümpfe. Wir nehmen sie mit für die polnischen Arbeiter. Inzwischen kommen von allen Seiten französische Kriegsgefangene und italienische und polnische Arbeiter. Ein amerikanischer Reverend macht den Dolmetscher, die Sanitätssoldaten scherzen mit den herankommenden Kindern, zeigen auch Fotos ihrer eigenen Kinder und Frauen.
Inzwischen fahren immer mehr Panzer auch unsern Rotenberg herunter, Soldaten mit schußbereiter Waffe marschieren nebenher. Vor unserm Haus hat ein gewaltiger Koloß haltgemacht, wir können einigen kriegsgefangenen Deutschen, die darauf stehen, zu essen und zu trinken geben. Später kommen lange Züge gefangener deutscher Soldaten vorbei, ganz junge Kerlchen, fast Kinder noch. Welch ein Verbrechen, diese Knaben gegen die bis an die Zähne bewaffneten kräftigen Männer in den Krieg zu schicken!
Um fünf Uhr gehe ich mit Wolf in die Stadt und lese die Maueranschläge. Das Wichtigste: Die NSDAP ist mit allen ihren Gliederungen aufgelöst. Schulen und Universitäten sind geschlossen, aber die Gottesdienste sind erlaubt. So will ich gleich anfangen, einen Raum zum Wiederbeginn der Arbeit der Christengemeinschaft herzurichten. Auf dem Rückweg nachhause treffe ich einen Russen, einen Schuhmacher, mit dem ich oft freundliche Blicke wechselte, wenn ich in die Werkstatt kam, wo er arbeitete, aber ich durfte ihn nicht ansprechen, der Meister war von der Polizei darauf hingewiesen worden. Er kommt nun auf mich zu, sein breites slawisches Gesicht strahlt, er faßt mit beiden Händen meine Hand, schüttelt sie immer wieder: „Nun nicht mehr verboten zu sprechen deutsche Frau und russischer Mann!" Und er verabschiedet sich endlich mit einem: „Do swidanja", „Auf Wiedersehen". Was gäbe ich darum, könnte ich die russischen Mädchen noch einmal sehen, die sich im Winter bei uns wärmten, Pellkartoffeln und Salz aßen und mich Pani Mama, Frau Mutter, nannten.
In der Dämmerung dieses für uns wichtigsten Tages der Geschichte der letzten Jahre trete ich auf den Balkon: groß und rot steht der Frühlingsmond im Osten über dem dunklen Wald. Langsam ist eine Wolke gewichen, die ihn zuerst verdeckte. Dies ist der Frühlings Vollmond, auf den der Ostersonntag mit der Auferstehung folgt. Wir wissen, daß die kommende Zeit Schweres und Schwerstes bringen wird. - Dennoch ist meine Seele an diesem Abend voll Dank für die Himmlischen und es jubelt in mir:
Sursum corda! Aufwärts die Herzen!

Aber auch Frankreich forderte eine eigene Zone. Die französischen Ansprüche umfaßten ursprünglich neben Baden, Saar und Pfalz auch die Rheinprovinz und Hessen-Nassau. Damit hatten die Franzosen den Bogen überspannt und riefen den entschiedenen Widerstand der Amerikaner hervor. Als äußerstes Zugeständnis wurde den Franzosen schließlich Rheinhessen um Mainz und die rechtsrheinischen nassauischen Kreise Unter- und Oberwe-sterwald, Unterlahn und St. Goarshausen zugestanden. Diese kamen am 22. Juni 1945 zur französischen Besatzungszone und wurden später in das Land Rheinland-Pfalz eingegliedert.
Um Deutschland einheitlich verwalten zu können und ihre Besatzungspolitik zu koordinieren, richteten die Alliierten in Berlin den Kontrollrat ein. Mit der Zeit traten aber die gegensätzlichen politischen Interessen immer mehr in den Vordergrund und machten eine gemeinsame Deutschlandpolitik unmöglich. So nahmen die Zonen schon frühzeitig unter der jeweiligen Besatzungsmacht politisch und wirtschaftlich eine eigenständige Entwicklung.
In der US-Zone gewann Hessen auch als Sitz zentraler amerikanischer Verwaltungsstellen eine überregionale Bedeutung. Unmittelbar nach der Besetzung Frankfurts wurde das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa (US-FET) im Frankfurter LG.-Farben-Haus eingerichtet. Später hatten die Bizonenverwaltung sowie der Hohe Kommissar für Deutschland in Frankfurt ihren Verwaltungssitz.
Anfangs übten die Amerikaner ein recht rigides Regiment aus. Schießlich sahen sie in den Deutschen ein Volk, das nicht nur den Zweiten Weltkrieg verschuldet, sondern auch ein unmenschliches System von Konzentrations- und Vernichtungslagern hervorgebracht und hierfür Verantwortung zu tragen hatte. Obwohl der NS-Diktatur Millionen von Menschen — Juden, Russen, Polen, Sind und Roma, politisch Andersdenkende — zum Opfer gefallen waren, schien die deutsche Bevölkerung bis zuletzt das System gestützt zu haben.
Sofort nach dem Einmarsch wurden alle deutschen Soldaten in Gefangenschaft genommen und sämtliche Waffen eingezogen. Amerikanische Militärgerichte fällten Todesurteile gegen Deutsche, die amerikanische Flieger gelyncht hatten. Da die Amerikaner zunächst noch das Aufleben nationalsozialistischer Widerstandsorganisationen („Werwolf) fürchteten, verhängten sie nächtliche Ausgangssperren und Verkehrsbeschränkungen; selbst die Benutzung eines Fahrrads bedurfte einer förmlichen Genehmigung des zuständigen Militärkommandos. Radiosender, Post- und Fernmeldeanlagen wurden besetzt, Zeitungen verboten, Gerichte und Schulen geschlossen. „Fraternisierung", d. h. private Kontakte von amerikanischen Soldaten zur deutschen Bevölkerung, war verboten.
Nach wenigen Tagen übernahmen eigens für diese Aufgaben vorbereitete Militärregierungseinheiten in den Städten und Kreisen alle Vollmachten. Ihre Aufgabe bestand zunächst darin, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, führende NS-Funktionäre und leitende Verwaltungsbeamte zu verhaften, aber auch Maßnahmen zu ergreifen, welche wenigstens die notwendige Versorgung der Bevölkerung sicherstellten.
Schon wenige Monate später zeichnete sich eine Wende in der amerikanischen Besatzungspolitik ab. In einer Botschaft vom 6. August 1945 schlug Eisenhower gegenüber der deutschen Bevölkerung einen versöhnlichen Ton an. Zwar wies er die Zivilbevölkerung nachdrücklich auf die schwierige Versorgungslage hin, kündigte aber auch die Zulassung von Gewerkschaften und politischen Parteien auf örtlicher Ebene an: „Wir werden Euch helfen, Euer Leben auf demokratischer Grundlage wieder aufzubauen." Auch das Fraternisierungsverbot wurde im Sommer 1945 offiziell gelockert - Frauen und Kindern gegenüber war es ohnehin nie ganz eingehalten worden.
Schon bald wurde den Amerikanern bewußt, daß die Besatzung auf längere Sicht einen erheblichen materiellen und personellen Aufwand erforderte. Ziel war es daher, die Militärverwaltung zu entlasten und zu straffen. Einerseits sollte den Deutschen zumindest so viel Verantwortung übertragen werden, daß sie sich selbst versorgen könnten. Andererseits wurde ein gegenüber der allgemeinen Militärverwaltung besser abgegrenzter Verwaltungszug für die zivilen Belange aufgebaut. So entstand im Herbst 1945 das OMGUS (Office of Military Government of the United States in Berlin), dem das später eingerichtete OMGH (Office of Military Government Greater Hesse in Wiesbaden) unter der Leitung von Dr. J. R. Newman unterstellt wurde.

Bereits wenige Wochen nach der Besetzung durch die Amerikaner wurden in zahlreichen Städten und Kreisen, zum Teil unter Mitwirkung der Betroffenen der Übersiedlung in Drittländer. Speziell die jüdischen DP's warteten und hofften auf die Einreise nach Palästina, auf die sie, unterstützt durch jüdische Hilfsorganisationen, in den Lagern vorbereitet wurden selbst, „Sonderbetreuungsstellen" für Verfolgte eingerichtet. Im Sommer 1947 waren in Hessen 10487 Personen bei den Betreuungsstellen registriert. In zäher Kleinarbeit bemühte man sich zunächst um die dringlichsten Lebensbedürfnisse der NS-Opfer, wie Kleidung, Wohnung und Hausrat, dann aber auch um die Vermittlung von Arbeitsplätzen und den Aufbau einer selbständigen Existenz. Für die schwer in ihrer Gesundheit Geschädigten wurden, sobald es möglich war, Kuraufenthalte vermittelt. Auch Einrichtungen der Kirchen, Parteien und der Vereinten Nationen (UNRRA und IRO) nahmen sich der Verfolgten an, die sich bald in eigenen Interessenverbänden organisierten. Ab Juli 1946 sicherte ein Landesgesetz erste Entschädigungsleistungen an die NS-Opfer, die vor allem den Aufbau einer neuen Existenz erleichtern sollten.
Weit größer war die Zahl der von den Nazis rücksichtslos als Arbeitskräfte ausgebeuteten Ausländer, sog. Displa-ced Persons (DP's), die während des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat verschleppt oder vertrieben worden waren und nun von den Alliierten befreit wurden. Dabei handelte es sich besonders um ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus der Sowjetunion und Polen. Viele von ihnen waren aufgrund menschenunwürdiger Lebensbedingungen in Lagern krank und unterernährt.
Die Zahl der DP's auf hessischem Gebiet dürfte 1945 weit über 100000 betragen haben. Unmittelbar nach der Besatzung wurden die DP's in die Obhut der Militärregierung genommen; einerseits, um sie in Barackenlagern, Kasernen, Schulen, Hotels oder Privathäusern wenigstens halbwegs geordnet unterzubringen, aber auch, um Rachemaßnahmen der verbitterten Opfer des Nazi-Regimes an der Übersiedlung in Drittländer. Speziell die jüdischen DP's warteten und hofften auf die Einreise nach Palästina, auf die sie, unterstützt durch jüdische Hilfsorganisationen, in den Lagern vorbereitet wurden.
Nicht nur in den Industriebetrieben, auch in der Landwirtschaft wurden während des zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter eingesetzt. Das Foto zeigt polnische Arbeiter in Brandoberndorf, die in das Wetzlaer Lager für Displaced Persons gebracht werden.

Als erster Schritt erfolgte im Frühjahr 1945 eine große Verhaftungswelle. Auf Grund des „Arrest Category Handbook", das NS-Funktionäre und Beamte in bestimmte Kategorien einstufte, wurden NS-Führer, SS- und Gestapo-Leute sowie Verwaltungsbeamte (oft vom Regierungsrat aufwärts) interniert. In der US-Zone waren bis Ende 1945 über 100000 Personen hiervon betroffen. Sie wurden in ehemalige Kasernen, Baracken oder provisorisch eingerichtete Lager auf der „grünen Wiese" verbracht. Das größte dieser Lager in Hessen war das „Civil Internment Enclosure 91" (CI Camp 91) in Darmstadt. Nachdem die kleineren Lager Ende 1945 allmählich aufgelöst wurden, faßte man hier in einer von Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen umgebenen Zeltstadt zeitweise bis zu 25 000 Internierte aus ganz Hessen zusammen: örtliche Parteigrößen, Dorf- wie Hochschullehrer, Polizisten wie Gestapoangehörige, SA-und SS-Führer aller Rangstufen bis hin zu hochrangigen Funktionären und Beamten wie den ehemaligen Kasseler Oberpräsidenten Prinz Philipp von Hessen. In dem Areal befand sich auch ein Frauenlager. Das CI Camp 91 verfügte über eine gewählte Selbstverwaltung, eine eigene Lagerpolizei, eine Lagerzeitung, eigene Versorgungsbetriebe und Werkstätten, ein Theater und sogar über eine Lageruniversität. Die Amerikaner beließen es aber nicht bei der Internierung der NS-Funktionäre. Weitere radikale Entnazifizierungsmaßnahmen in den folgenden Monaten sollten sämtliche Mitglieder von NS-Organisationen erfasssen.
Das sofortige Verbot der NSDAP und ihrer Gliederungen war nur der erste Schritt zur Entnazifizierung Deutschlands.

In den Arbeitervierteln der Großstädte bildeten sich gleich nach der amerikanischen Besetzung spontan Antifaschistische Ausschüsse. Einige dieser Ausschüsse hatten ihre Ursprünge in konspirativen Kreisen der NS-Zeit und bereiteten schon vor Kriegsende erste Maßnahmen für den Wiederaufbau vor. Den „Antifa-Ausschüssen" gehörten ehemalige Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Zentrumsleute und vor allem Kommunisten an, die häufig dominierten. Sie sahen ihre erste Aufgabe darin, die öffentliche Ordnung und die Versorgung zu sichern. Darüber hinaus bemühten sie sich, ehemalige Nationalsozialisten zu Aufräumarbeiten zu verpflichten und NS-Funktionäre dingfest zu machen.
Doch die amerikanischen Ortskommandeure waren gemäß der Direktive JCS 1067 vom April 1945 angewiesen, politische Aktivitäten von deutscher Seite nicht zu fördern. Um die öffentliche Ordnung und die notwendigste Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, setzte die amerikanische Besatzungsmacht ihrerseits auf die Zusammenarbeit mit deutschen Stadt- und Gemeindeverwaltungen. Daher wurden die Antifa-Ausschüsse im Laufe des Frühjahrs häufig verboten, vor allem, sobald sich Konflikte mit der örtlichen Verwaltung ergaben.
Schon in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft hatten die örtlichen Militärverwaltungseinheiten begonnen, in Städten und Kreisen neue Landräte, Bürgermeister und leitende Verwaltungsbeamte einzusetzen. Hier entstand für demokratische Politiker und Verwaltungsfachleute das erste wichtige Tätigkeitsfeld nach dem Krieg. Die politisch verantwortlichen Posten sollten vor allem Persönlichkeiten übertragen werden, die in Opposition zum NS-Regime gestanden hatten. In vielen Fällen waren es Sozialdemokraten, aber ebenso Persönlichkeiten aus dem konservativchristlichen Lager und Kommunisten. Häufig standen ihre Namen auf sogenannten „weißen Listen", die amerikanische Stäbe auf Grund von Mitteilungen von Emigranten und Geheimdiensten bereits vor der Besetzung Deutschlands zusammengestellt hatten. In anderen Fällen mußten sich die amerikanischen Ortskommandanten auf den Rat vertrauenswürdiger Ansprechpartner wie Pfarrer oder Verfolgte des NS-Regimes verlassen, um geeignete Demokraten oder wenigstens unbelastete Persönlichkeiten als Bürgermeister oder Behördenleiter zu finden.
Während die Amerikaner als Oberbürgermeister der Großstädte sowohl frühere Sozialdemokraten als auch bürgerliche Politiker aus der Zeit der Weimarer Republik beriefen, dominierten an der Spitze der besonders einflußreichen Regierungspräsidien sozialdemokratische Persönlichkeiten. Als Regierungspräsidenten in Kassel setzten die Amerikaner im Frühjahr 1945 den Sozialdemokraten Fritz Hoch ein. Die Darmstädter Regierung übernahm der sozialdemokratische Professor Dr. Ludwig Bergsträsser; er war in der Weimarer Zeit Mitglied des Reichstags, später Mitarbeiter des Reichsarchivs und Dozent an der Universität Frankfurt. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung entlassen, hatte er Kontakte mit Widerstandskreisen gehalten. In Wiesbaden ernannten die Amerikaner zunächst den parteilosen Dr. Hans Bredow zum Regierungspräsidenten, den die Nazis 1933 als Reichsrundfunkkommissar aus dem Amt gedrängt hatten, das er in der Weimarer Republik bekleidet hatte. Bredow wurde im August 1945 von seinem Stellvertreter, dem Sozialdemokraten Martin Nischalke abgelöst, der aufgrund seiner Parteizugehörigkeit im Jahr 1933 als Schulrat entlassen worden war.
Aufgabe der neuen deutschen Verwaltungsspitzen war es zunächst, die Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung zu übernehmen, die hierzu notwendigen Verwaltungsgeschäfte wieder in Gang zu setzen und erste Aufräumarbeiten zu organisieren. Selbstverständlich mußten sie die Anweisungen der Amerikaner befolgen und gegenüber der zivilen Bevölkerung durchsetzen. In der Praxis zeigte sich aber, daß die amerikanischen Stellen auf die Mitarbeit der Deutschen angewiesen waren, so daß sich vielerorts rasch ein Klima der Kooperation entwickelte.
Bald erklärten sich die Amerikaner auch damit einverstanden, daß den Bürgermeistern und Landräten beratende „Bürgerräte" mit unbelasteten Persönlichkeiten zur Seite traten. Anders als bei den Antifa-Ausschüssen dominierten hier neben Vertretern der Arbeiterparteien häufig bürgerliche Politiker und Honoratioren. Zum Teil hatten sich derartige Bürgerräte aus ehemaligen Kommunalpolitikern unmittelbar nach der Besetzung als Aufbau-, Bürger-, Ordnungsausschuß oder Staatspolitischer Ausschuß spontan gebildet.
Da es noch keine gewählten Stadtverordnetenversammlungen gab, stellten sie ein Bindeglied zwischen Stadtverwaltung und Bürgern dar und ergriffen häufig die Initiative, um auf die Tätigkeit der kommunalen Verwaltungen Einfluß zu nehmen. Die örtlichen Militärregierungen erhofften sich von ihnen eine breitere Akzeptanz ihrer z.T. unpopulären Maßnahmen bei der Zivilbevölkerung, besonders in den kritischen Bereichen der Wohnraumaufteilung, der Entnazifizierung und der Versorgung. Die halboffizielle Anerkennung der Bürgerräte erleichterte es den Besatzungsoffizieren, unmittelbar Einfluß auf sie auszuüben. Entsprach ihre Politik nicht den Vorstellungen der amerikanischen Verantwortlichen, so konnten sie personell verändert oder gar aufgelöst und neu eingerichtet werden, wie das etwa in Marburg, Butzbach oder Bensheim geschah. Nachdem die Amerikaner aber Vertrauen zu der Arbeit der Bürgerräte gewonnen hatten, räumten sie ihnen ab Juli 1945 einen offiziellen Status ein.
Mut zum Neuanfang spiegelt dieses Leitmotiv "Wir wollen die Vergangenheit gur machen, die Gegenwart bezwingen, die Zukunft gestalten!" einer Plakatserie, die in Süd- und Mittelhessen nach dem Kriegsende Verbreitung gefunden hat, wieder.

Der demokratische Neubeginn nach dem Krieg erfolgte unter den ungünstigsten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Vor allem der Lebensmittelmangel stellte die verantwortlichen deutschen Stellen vor kaum überwindbare Probleme. Die Menschen hungerten, und die heimische Landwirtschaft konnte sie bei weitem nicht ausreichend ernähren. Die westlichen Besatzungszonen waren von ihren angestammten Kornkammern im Osten abgeschnitten. Für Hessen kam erschwerend hinzu, daß Rheinhessen als wichtige Lieferregion für das Rhein-Main-Gebiet ausfiel, da es nun zur französischen Zone gehörte. Nachteilig wirkte sich vor allem aus, daß vergleichsweise unrentable, Viehzucht betreibende Kleinbetriebe sich weit in der Überzahl befanden und daß die Nutzflächen durch immer geringere Düngergaben in den Kriegsjahren ausgelaugt, z.T. auch ganz stillgelegt worden waren. Außerdem fehlten Maschinen, Ersatzteile, Benzin, Dünger und Arbeitskräfte. Die hessische Landwirtschaft konnte unter diesen Umständen bestenfalls 900-1000 Kalorien pro Person und Tag erzeugen - weit weniger als die Hälfte des normalen Bedarfs. Mangel herrschte jetzt sogar in ländlichen Gebieten Hessens, und so war für die Situation 1945 der Ausspruch eines Landrats bezeichnend: „Aus meinem Kreis kommt kein Sack Mehl und keine Maus heraus".
Da auch an Lebensmittelimporte wegen abgeschotteter Grenzen sowie fehlender Devisen nicht zu denken war, zumal in ganz Europa Lebensmittelmangel herrschte, schien eine gerechte Verteilung der wenigen Nahrungsmittel nur durch die Weiterführung der staatlichen Zwangsbewirtschaftung möglich. So wurden alle produzierten Lebensmittel beim Landwirt erfaßt, die Weiterverarbeitung kontrolliert und mittels Lebensmittelkarten an die Bevölkerung verteilt. Die Bemessung der Rationen richtete sich nach Altersklassen, nach der Möglichkeit der Selbstversorgung und danach, ob man zu einem besonders belasteten Personenkreis gehörte (Arbeiter, Schwerarbeiter, werdende und stillende Mütter). Kamen die ersehnten Lebensmittel schließlich in den Läden zur Ausgabe, hieß das oft erst einmal: geduldig Schlangestehen!
Eine grundlegende Besserung war nicht in Sicht. Im März 1946 rief General Clay die amerikanische Öffentlichkeit um Hilfe an: Krankheit und Unterernährung würden die deutsche Bevölkerung arbeitsunfähig machen; die Militärregierung könne Seuchen und Unzufriedenheit nicht verhindern, geschweige denn hoffen, mit einem hungernden Volk eine Demokratie aufzubauen. Doch trotz nun langsam anlaufender amerikanischer Hilfsprogramme erhielt der hessische „Normalverbraucher" auch im Jahresdurchschnitt 1946 und 1947 nur Tagesrationen von rund 1300 Kalorien. Zeitweise gab es nur noch 100 g Fleisch und 37,5 g Fett pro Woche.
Für besonders Bedürftige richteten Hilfsorganisationen schon 1945 Volksküchen ein. 1946 ergaben Wiegeaktionen auf Straßen, in Schulen, Heimen usw., daß vor allem Schulkinder unter Mangelernährung litten. Berichten zufolge kamen häufig 30% bis 50% ohne Frühstück in die Schule. Die Lage besserte sich erst mit der sogenannten Hoover-Speisung. Von April 1947 an konnten nun mit Nahrungsmitteln aus amerikanischen Armeebeständen landesweit für gut 300000 Kinder täglich eine Zusatzmahlzeit ausgegeben werden.
Erleichterungen brachten auch die CARE-Pakete, die Bedürftige über Hilfsorganisationen oder von Privatleuten aus den USA erhielten. Im Umfang bedeutender als GARE waren die Hilfen der Gemeinschaftsaktion CRALOG (Council of Relief Agencies Licensed for Operation in Ger-many), die amerikanische Wohlfahrtseinrichtungen gegründet hatten. CRALOG lieferte größere Nahrungsmittel- oder Medikamentenkontingente z. B. an Flüchtlingslager oder sonstige karitative Einrichtungen und Projekte, die von deutschen oder ausländischen Hilfsorganisationen betreut wurden.
Natürlich versuchte jeder, der dazu in der Lage war, die kargen Rationen aufzubessern: durch das Sammeln von Wildfrüchten oder Bucheckern, die gegen Öl eingetauscht werden konnten, durch Hamstern auf dem Land oder Handel auf dem Schwarzmarkt.
Überfüllte „Hamstererzüge" brachten Tausende von Städtern auf das Land, die verzweifelt bei den Bauern anklopften und versuchten, Eßbares einzutauschen. Während der Erntezeiten strömten sie auf die Äcker und „stoppelten" nach Kartoffeln oder lasen die nach der Ernte liegengebliebenen Ähren auf. Die Stadtbevölkerung blickte neidvoll auf die vergleichsweise gut genährten Bauern. Trotz nicht endender Appelle an die Landwirte, alle Kräfte zu mobilisieren, und scharfer Kontrollen durch Ernährungsämter und Polizei blieben die Ablieferungen der Landwirtschaft hinter den Erwartungen zurück. Auch die amerikanische Besatzungsmacht setzte die Landwirte unter Druck und forderte die Rückführung der Viehbestände, damit die Futterbauflächen - z. B. für Kartoffeln - genutzt werden könnten. Das Viehabbauprogramm scheiterte aber im wesentlichen am Widerstand der Bauern, die angesichts minimaler Fleisch- und Fettrationen gerade hier durch Schwarzverkauf beste Gewinne erzielen konnten. Weiter sollte eine Bodenreform die Grundlage dafür schaffen, möglichst vielen Menschen, vor allem Heimatlosen und Vertriebenen, Gartenland zur Selbstversorgung zur Verfügung zu stellen und mehr Flächen als bisher landwirtschaftlich zu nutzen. Am 15. Oktober 1946 wurde das „Gesetz zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform" verkündet, durch das ein Jahr später immerhin rund 44 000 Familien mit Land für Gärten und Kleinsiedlungen versorgt werden konnten.
Die Ernährungskrise wurde erst 1948/49 endgültig überwunden. Durch die Auswirkungen der Währungsreform von 1948 verbesserten sich die Produktionsbedingungen der Landwirte allmählich. Hinzu kam - endlich - eine gute einheimische Ernte. Mit der schrittweisen Aufhebung der Lebensmittelrationierung endete auch der Schwarzmarkt.
Wie hier in Darmstadt musste man in den Jahren 1945-1948 überall nach den mageren Lebensmittelrationen geduldig Schlange stehen. Im Durchschnitt erhielt der hessische "Normalverbraucher" bis zum Sommer 1948 weniger als die Hälfte des zum Leben Notwendigen an Nahrungsmitteln.

Hunderttausenden Menschen fehlte ein Dach über dem Kopf. Die Lage hatte sich bereits in den letzten Kriegsjahren verschlechtert. Aus kriegsgefährdeten Gebieten und insbesondere den zerbombten Großstädten, auch außerhalb Hessens, waren zehntausende „Evakuierte" auf das flache Land gezogen oder verschickt worden. Nach Kriegsende war ihnen eine rasche Rückkehr in die zerstörten Heimatstädte meist nicht möglich, da diese in der Notsituation Zuzugsgenehmigungen nur dringend benötigten Arbeitskräften erteilten. Zudem beschlagnahmte die Besatzungsmacht mitunter ganze Straßenzüge für eigene Zwecke und versah sie mit „Off limits"-Schildern.
Viele Menschen mußten mit einer behelfsmäßigen Unterkunft vorlieb nehmen. Aber selbst eine provisorische Bleibe wollte im Winter beheizt sein. In seiner Botschaft an das deutsche Volk vom 6. August 1945 erklärte Eisenho-wer: „Für die Beheizung von Wohnhäusern wird in diesem Winter keine Kohle zur Verfügung stehen." Der amerikanische General erteilte den Rat, „in den nächsten Monaten genügend Holz zu fällen und einzusammeln". Hier zeigte sich - wie ein amerikanischer Offizier bemerkte -, daß die US-Zone zwar aus „schönen Landschaften" bestand, aber die britische Zone über die Ruhrkohle verfügte. Die Braunkohle aus hessischen Gruben konnte nur einen Bruchteil des Bedarfs decken.
Da an die Wiederingangsetzung von Zentralheizungen unter diesen Umständen nicht zu denken war, behalf man sich überall mit eisernen Öfen und Herden, deren Abzugsrohre, war kein Schornstein vorhanden, durch die Wand oder ein Fenster gelegt wurden. Aber auch Ofen waren Mangelware, und so wurden für Bedürftige in zahlreichen Städten eigens Wärmestuben eingerichtet.
Bevor an den Wiederaufbau von Wohnhäusern gedacht werden konnte, mußten die Trümmer beseitigt und die wichtigsten Versorgungseinrichtungen wieder in Gang gesetzt werden. Zu den Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten wurden zunächst vor allem ehemalige Nationalsozialisten und deutsche Kriegsgefangene herangezogen. Die Stadtverwaltungen erkannten aber bald, daß nur durch massenhaften Bürgereinsatz den immensen Trümmerbergen zu Leibe zu rücken war. So organisierten sie, einige schon nach wenigen Wochen, sogenannte „Bürgereinsätze" oder „Ehrendienste" zur Trümmerbeseitigung. Die brauchbaren Steine wurden gleich vor Ort zur Wiederverwendung gesäubert, der verbleibende Schutt hingegen per eigens aufgebauter Trümmerbahnen zu Verwertungsanlagen geschafft und dort zu neuen Steinen verarbeitet.
Nach einigen Monaten war bereits viel geleistet worden. Straßen und Wege waren Ende 1945 zu 95% geräumt, Kanalisation, Müllabfuhr funktionierten wieder und auch die wichtigsten Elektrizitäts- und Gaswerke, die allerdings aus Mangel an Gas und Kohle nur wenige Stunden am Tag betrieben werden konnten. Doch die Trümmerberge in den Städten verschwanden nicht von heute auf morgen. Die Hinterlassenschaften des Bombenkrieges blieben noch lange Jahre alltäglicher Anblick in den hessischen Städten.
Wegen der unzureichenden Industrieproduktion fehlte es darüber hinaus an sämtlichen Gütern des täglichen Bedarfs. Nur über Bezugsscheine, welche die Wirtschaftsämter ausgaben, waren Treibstoffe, Kohlen, Spinnstoffe, Textilien, Leder, Schuhe, Möbel, Haushaltswaren aus Metall, Glas, Keramik und Porzellan sowie Lampen zu haben. Eine andere Möglichkeit, an die begehrten Waren zu kommen, bot der Schwarzmarkt - allerdings nur gegen horrende Preise oder die geläufigen „Ersatzwährungen" wie Zigaretten, Kaffee oder Nylonstrümpfe.
Da so nicht einmal die dringendsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen waren, versuchte man über die Einrichtung amtlicher Tauschzentralen, wie z. B. im Kaufhof auf der Frankfurter Zeil, eine legale Alternative zum Schwarzmarkt zu schaffen. Ein anderer Weg waren Tauschangebote per Kleinanzeige in den Zeitungen.
Aber es blieben immer noch viele, die nicht in der Lage waren, durch Eigeninitiative das Überleben sicherzustellen und der Unterstützung bedurften: Alte und Kranke, Kinder in Heimen, Flüchtlinge und Ausgebombte. Zur Linderung wenigstens der schlimmsten Not wurde immer wieder zu Spenden aufgerufen. Damit die Hilfsorganisationen auf diesem Gebiet nicht gegenseitig konkurrierten, wurde ein einheitliches Vorgehen vereinbart und der Landes-Wohl-fahrtsausschuß gegründet, dem sich die meisten großen Wohlfahrtsverbände anschlössen. Gesammelt wurde alles, was unmittelbar gebraucht oder sonstwie verwertet werden konnte: Kleider, Schuhe, Hausrat, Geld, Altpapier und Lumpen.
Die Luftaufnahme zeigt das in Trümmern liegende Frankfurt 1945. Hessenweit waren nach Kriegsende insgesamt 23 Millionen Kubikmeter Trümmerschutt in den Städten zu beseitigen, davon allein in der Mainmetropole 12 Millionen Kubikmeter. Das entspricht einem gedachten Schuttwall von 1 Meter Höhe und 1 Meter Breite in einer Länge von 12 000 Kilometern!
Schweres Gerät war vielerorts in Frankfurt erforderlich, um die riesigen Trümmermengen zu beseitigen.

Hemmend auf den Wiederaufbau in der Industrie wirkte sich darüber hinaus die Politik der Alliierten aus, deren Ziel es war, das deutsche Kriegspotential vollständig zu vernichten. Ehemals kriegswichtigen Betrieben drohte die Demontage. In Hessen sollten zunächst 112 Industriebetriebe vollständig oder teilweise demontiert werden, eine revidierte Demontageliste führte im Oktober 1947 immer noch 51 hessische Betriebe auf.
Unter diesen Bedingungen konnte es wirtschaftlich nur langsam bergauf gehen. Da wegen des eklatanten Warenmangels Angebot und Nachfrage nicht ausgeglichen werden konnten, gleichzeitig aber durch den gewaltigen Geldüberhang, den das NS-Regime zur Finanzierung des Krieges produziert hatte, eine Inflation drohte, wurden die meisten Güter der Bewirtschaftung unterworfen und sowohl Preise als auch Löhne festgesetzt. Angesichts der prekären Lage traten bis 1947 auch bürgerliche Politiker für eine gewisse Lenkung der Wirtschaft durch den Staat ein. Grundlinie der hessischen Wirtschaftspolitik war andererseits, auf offene Grenzen zu dringen und den ungehinderten Warenverkehr zu fördern, damit Rohstoffe und Kohle eingeführt und durch Exporte Devisen erwirtschaftet werden konnten, die Lebensmittelimporte ermöglichten.
Trotz aller Schwierigkeiten gelang den hessischen Unternehmen bis 1947 ein Anstieg auf 50% der Friedensproduktion. Doch erreichten freilich nicht alle dringend benötigten Güter den Verbraucher: Vielmehr wurden sie im Hinblick auf die bald erwartete Währungsreform bei Unternehmen und Händlern gehortet. Am „Tag X" lagen die Schaufenster der Läden plötzlich voller Waren. „Das Auge", so ein Zeitzeuge aus Kassel über die ersten Tage nach der Währungsreform in Juni 1948, „mußte sich erst daran gewöhnen, Waren in den Auslagen zu sehen, die uns jahrelang verschlossen waren".
Der eklatante Warenmangel bewirkte einen enormen Nachfragedruck, der durch den gewaltigen Geldüberhang noch verschärft wurde. Zur Abwendung einer Inflationsgefahr wurden Löhne und Preise amtlich festgesetzt. Mit der Öffnung der Grenzen innerhalb Deutschlands, dann auch zum Ausland, besserte sich die Lage allmählich. Die Währungsreform im Juni 1948 erbrachte endlich spürbare Erleicherungen für den Verbraucher.
Die Opelwerke in Rüsselsheim waren durch alliierte Bomber schwer getroffen worden. Fast 50% der Gebäude waren total zerstört. Es bedurfte großer Anstrengungen von Unternehmensleitung und Belegschaft, bis im Juli 1946 wieder der erste Opel-Blitz vom Band lief.

Da die Städte aufgrund der starken Zerstörungen keinen Wohnraum zur Verfügung stellen konnten, mußte die Masse der Flüchtlinge in ländliche Gebiete gelenkt werden. Bereits im Oktober 1945 wurden in den Kreisen ehrenamtliche Flüchtlingsfürsorgeausschüsse gebildet, die Unterbringung, Versorgung, berufsmäßige Erfassung und Arbeitseinteilung, kulturelle und soziale Betreuung vorbereiten sollten. Als die Transporte nicht abrissen, war durch guten Willen der Bevölkerung und Improvisation allein nicht mehr viel zu bewegen. Ein Staatskommissar und hauptamtliche Bezirks- und Kreisflüchtlingskommissare übernahmen die wichtigsten Aufgaben.
Die in Zügen zu etwa l 000 Personen eintreffenden Flüchtlinge wurden zunächst in Auffangstationen von Rot-kreuz-Schwestern mit dem Nötigsten versorgt, registriert, ärztlich untersucht und schließlich in die Aufnahmeorte gebracht. Hier wies man ihnen im günstigsten Fall direkt Privatquartiere zu. Die vorübergehende Unterbringung in Turnhallen, stillgelegten Fabriken oder Kreisflüchtlingslagern ließ sich aber nicht immer vermeiden.
Die Aufnahme der Vertriebenen führte nun auch zu einer dramatischen Verschärfung der Wohnungssituation auf dem Lande und in den kleineren Städten. Nach einer Volkszählung war im Oktober 1946 jeder fünfte hessische Bürger „zugezogen". Zu diesem Zeitpunkt gab es darüber hinaus 200000 Evakuierte aus den hessischen Großstädten auf dem Lande, so daß fast jeder vierte hessische Bürger nur über eine provisorische Bleibe verfügte. In Bensheim etwa wuchs die Bevölkerung gegenüber 1933 im Jahr 1947 um 39%. Die Einwohnerzahl der von Kriegseinwirkungen kaum betroffenen typischen oberhessischen Landstadt Hungen erhöhte sich gegenüber dem Vorkriegsstand 1947 auf das Doppelte. Der Kreis Waldeck mußte im gleichen Zeitraum eine Steigerung um 47,5% verkraften. Kam es in der ersten Zeit noch zu freiwilligen Belegungen, so wurden bald die Wohnungsämter tätig und wiesen, im Zweifelsfall unter Androhung von Zwangsmitteln, Quartiere zu. Die zugezogenen Flüchtlinge blieben dennoch zunächst schlechter gestellt. So mußten sich zu Beginn des Jahres 1947 statistisch 1,8 Einheimische ein Zimmer teilen, während mehr als drei Flüchtlingen nur ein Wohnraum zur Verfügung stand.
Von der Not besonders betroffen waren Mütter, Kinder und alte Menschen. Schon bei der Flucht trugen die Hauptlast die Frauen. Häufig war der Ehemann (noch) nicht aus dem Krieg zurückgekehrt oder gefallen. Nach Erhebungen setzten sich die frühen Transporte im Jahr 1946 zu 51% aus Frauen und nur zu 26% aus Männern zusammen. Kirchen und Wohlfahrtsverbände versuchten nach Kräften, die Ankömmlinge zu unterstützen. Das Großhessische Hilfswerk etwa veranstaltete Sammlungen, es gab Wohltätigkeitsveranstaltungen, aber auch unzählige kleine Dienste im Stillen. Eine wesentliche Rolle spielten großzügige Auslandsspenden, mit deren Hilfe Kleidung, Lebensmittel und Medikamente verteilt werden konnten.
Die hessische Flüchtlingspolitik legte besonderen Wert auf die rasche Eingliederung der „Neubürger". Die Vertriebenen sollten bei der Planung und in der Verwaltung beteiligt werden, auch an Selbsthilfe beim Wohnungsbau war gedacht. Nach diesen Prinzipien, die maßgeblich von dem Flüchtlingsbeauftragten der Staatskanzlei und früheren Rüdesheimer Landrat Dr. Nahm entworfen worden waren, arbeitete das Anfang 1947 gegründete Landesamt für Flüchtlinge.
Gemessen an den Umständen wurde in Hessen viel geleistet. Nach Umfragen äußerten sich hier im März 1947 61% der Flüchtlinge zufrieden über die Behandlung durch die einheimische Bevölkerung (in Bayern nur 37%). Gleichwohl waren Spannungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen kaum zu vermeiden. Unterbringung undVersorgung sicherzustellen, erforderte mitunter herbe Opfer auf beiden Seiten. Für die Flüchtlinge, die zum großen Teil auf dem Land untergebracht waren, ließen sich dort nur schwer Arbeitsplätze finden. Trotz der schwierigen Ausgangslage versuchten sie tatkräftig, neue Existenzen zu gründen. Viele waren bereit, auch berufsfremde Tätigkeiten aufzunehmen, andere gingen daran, eigene Betriebe aufzubauen.
Allein 1946 erreichten 400 000 Flüchtlinge mit Zügen zu durchschnittlich 1000 Personen hessischen Boden. Rotkreuz-Schwestern empfingen sie in Auffangstationen. Hier wurden die Flüchtlinge registriert, ärztlich untersucht und mit dem Nötigsten versorgt, bevor man sie in ihre Aufnahmeorte weiter leitete.

der Einsicht, daß sie als Partner verantwortliche deutsche
Länderregierungen brauchte. Um ein neues demokrati
sches Staatswesen aufzubauen, bedurfte es neuer Gesetze,
die sinnvoll nur in Zusammenarbeit mit deutschen Länder
regierungen erlassen werden konnten. Auch waren größere
Verwaltungseinheiten notwendig, um die schwierigen Ver-
sorgungs- und Verkehrsprobleme in Angriff nehmen zu
können.
Bereits im Mai 1945 hatte die amerikanische Militärregierung eine deutsche Regierung für das Land Bayern eingesetzt. In Hessen dagegen bereitete zunächst die Tatsache den Amerikanern einiges Kopfzerbrechen, daß dieser Raum seit 1866 zwischen der ehemaligen preußischen Provinz Hessen-Nassau mit den Regierungsbezirken Kassel und Wiesbaden einerseits sowie dem früheren Großherzogtum und späteren Volksstaat Hessen mit der Hauptstadt Darmstadt andererseits zweigeteilt war.
Es waren deutsche Politiker - insbesondere der Darmstädter Regierungspräsident Ludwig Bergsträsser -, die der Militärregierung rieten, jetzt die bisher getrennten hessisehen und nassauischen Gebiete zu vereinen. Sie konnten dabei darauf verweisen, daß es bereits in der Weimarer Republik politische Bestrebungen gegeben hatte, den Volksstaat Hessen mit dem Regierungsbezirk Wiesbaden zusammenzuschließen, um das wirtschaftlich bedeutende Rhein-Main-Gebiet einheitlich verwalten zu können. Damals waren derartige Reichsreformpläne an dem Widerstand Preußens gescheitert, das allein zwei Drittel des Reichsgebietes umfaßte. Jetzt aber vollzog die amerikanische Militärregierung den Zusammenschluß der hessischen Gebiete. Am 19. September 1945 erließ General Eisenhower die Proklamation Nr. 2, die die Gründung des Landes „Groß-Hessen" verkündete. So jedenfalls hieß das neue Land im ersten Jahr seines Bestehens, bis die Verfassungberatende Landesversammlung sich für die schlichte Bezeichnung „Land Hessen" entschied.
Mehr als ein Schönheitsfehler war es, daß die ursprüngliche Hoffnung aus der Zeit der Weimarer Republik, das Rhein-Main-Gebiet politisch und wirtschaftlich zu vereinigen, auch jetzt nur teilweise verwirklicht werden konnte. Denn Rheinhessen mit Mainz und Worms gehörte inzwischen zur französischen Besatzungszone und ging bald darauf in dem Land Rheinland-Pfalz auf.
Bereits am 26. September 1945 fiel eine weitere wichtige Entscheidung. Die amerikanische Militärregierung bestimmte Wiesbaden zur Landeshauptstadt. Sie übertrug Oberst Newman, der bisher für den Regierungsbezirk Wiesbaden zuständig war, die Leitung der Militärverwaltung für Groß-Hessen (Office of Military Government for Greater Hesse - OMGH). Newman wurde sogleich beauftragt, unverzüglich eine deutsche Landesregierung einzusetzen.
"Groß-Hessen" hieß das neugebildete Land nur bis 1946. Die Verfassungsberatende Landesversammlung einigte sich auf die schlichtere Bezeichnung "Land Hessen". Aber nicht alle historisch zugehörigen Gebiete wurden in das neue Land einbezogen. Das ursprünglich hessen-darmstädtische Rhein-Hessen sowie die früheren nassauischen Kreise Oberwesterwald, Unterwesterwald, Unterlahn und St. Goarshausen verblieben in der fränzösischen Besatzungszone und kamen später zu Rheinland-Pfalz.

Auf Wunsch der Militärregierung waren die kurz zuvor zugelassenen Parteien an der Regierungsbildung zu beteiligen. Am 16. Oktober 1945 präsentierte Geiler der Öffentlichkeit ein Rumpfkabinett: Zwei Minister gehörten den Arbeiterparteien (Innenminister Venedey, SPD, und Arbeitsminister Oskar Müller, KPD) und zwei dem bürgerlichen Lager an (Finanzminister Wilhelm Mattes und Justizminister Robert Fritz, beide parteilos).
Die führenden Funktionäre von SPD und KPD befürchteten offenbar, daß Geiler eine Mehrheit von bürgerlichen oder parteilosen Politikern anstrebe, und kritisierten öffentlich die Kabinettsbildung. Sie forderten von Geiler eine personelle Zusammensetzung des Kabinetts, die „eine klare antifaschistische und demokratische Politik" garantierte. Die Kritik zielte indirekt auch auf Justizminister Fritz, der zwar kein NSDAP-Mitglied gewesen war, gegen den aber wohl im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Landgerichtsdirektor politische Bedenken erhoben worden waren; nach einer Intervention der amerikanischen Militärregierung wurde Fritz durch den Sozialdemokraten Georg August Zinn ersetzt. Von nun an wurden die Vorschläge der Parteien für die Auswahl der weiteren Minister stärker von Geiler berücksichtigt.
Am 28. Oktober 1945 war die Kabinettsbildung abgeschlossen. Neben dem Ministerpräsidenten gehörten folgende Mitglieder dem Großhessischen Staatsministerium an:
- Stellvertretender Ministerpräsident und Minister ohne Geschäftsbereich Werner Hilpert, Geschäftsführer der IHK Frankfurt, CDU;
- Finanzminister Wilhelm Mattes, früherer DVP-Abgeordneter im Badischen Landtag und bis 1933 Finanzminister in Baden, zuletzt Steuerberater in Mannheim, parteilos, dem bürgerlichen Lager zuzurechnen;
- Innenminister Dr. Hans Venedey, Notar aus Wiesbaden, SPD;
-Justizminister Georg August Zinn, Rechtsanwalt und Landgerichtsdirektor a. D. aus Kassel, SPD;
- Wirtschaftsminister Dr. Rudolf Mueller, ehemaliger Direktor der chemischen Fabrik Rohm und Haas, dann Vorsitzender der Handelskammer Darmstadt, dem bürgerlichen Lager zuzurechnen;
- Minister für Wiederaufbau und politische Befreiung Gottlob Binder, vorher Gewerkschaftssekretär und Stadtrat in Bielefeld, seit Juni 1945 Direktor des Arbeitsamtes Frankfurt, SPD;
—Arbeitsminister Oskar Müller, früher Parteisekretär der KPD im Bezirk Hessen und Mitglied des Preußischen Landtags, KPD;
— Landwirtschaftsminister Georg Häring, Landeshauptmann des Bezirkskommunalverbandes Kassel, SPD;
— Kultusminister Prof. Dr. Franz Böhm, vorher Prorektor
der Universität Freiburg/Br., CDU.
Damit bestand die neue Landesregierung neben dem parteilosen Ministerpräsidenten aus vier Sozialdemokraten, einem Kommunisten, zwei christlichen Demokraten und zwei bürgerlichen Parteilosen.
Gleich in der ersten Kabinettssitzung des Rumpfkabinetts am 19. Oktober 1945 kam es um die Frage der Entscheidungsbefugnis der Minister zur Kontroverse zwischen Geiler und seinen Kabinettsmitgliedern. Ministerpräsident Geiler unterstrich seinen Führungsanspruch als Chef der Regierung und betonte seine alleinige Verantwortung gegenüber der amerikanischen Militärregierung. Mehrheitsentscheidungen des Kabinetts gegen ihn wären nicht zulässig, die Minister könnten ihn lediglich beraten. Abweichende Meinungen sollten nicht in die Öffentlichkeit getragen werden. Das am 22. November 1945 durch das Staatsministerium erlassene Staatsgrundgesetz führte diese Prinzipien noch einmal in aller Klarheit auf. Es sah allerdings vor, daß Gesetze durch den zuständigen Fachminister gegengezeichnet werden mußten. Für deren Inkrafttreten war also de facto dessen Zustimmung erforderlich.
Als die Regierung ihre Arbeit aufnahm, zeigte sich, daß Geiler in der Praxis den Mehrheitsbeschlüssen des Kabinetts fast durchgängig folgte. Die noch frischen Erfahrungen mit der NS-Diktatur und der gemeinsame Wille, die verheerenden Folgen des Krieges zu überwinden, bildeten eine tragfähige Basis für die Zusammenarbeit zwischen bürgerlichen und sozialistischen Demokraten.
Mit dieser knappen Direktive vom 12. Okrober 1945 wurde die Regierungsbildung für das soeben geründete Land eingeleitet.

Die Beteiligten betrachteten den Länderrat vor allem als Koordinierungsorgan. Der Zusammenschluß bot sich besonders für die früheren Reichsaufgaben an, die einheitlich geregelt werden mußten, etwa Interzonen- und Außenhandel, Preisbildung und -Überwachung, Ernährung, Verkehrswesen mit Eisenbahnen und Wasserstraßen sowie Post- und Fernmeldewesen. Im Mittelpunkt der Arbeit stand die Wirtschafts- und Ernährungspolitik. Gerade hier lagen auch die hessischen Erwartungen, da man auf Nahrungsmittel- und Rohstoffimporte, aber auch auf Absatzmärkte für die heimischen Produkte angewiesen war.
Nicht zuletzt unter dem Druck, die Besatzungskosten in Grenzen zu halten, machten die Amerikaner im Juli 1946 einen Vorstoß, die im Potsdamer Abkommen beschlossene Wiederherstellung der Wirtschaftseinheit Deutschlands endlich umzusetzen. Politisch durchsetzbar war zu diesem Zeitpunkt aber nur die Schaffung einer Bizone mit den Briten. Von hessischer Seite konnte man nun aufbessere Versorgung mit Ruhrkohle hoffen, doch gab es auch Ängste, daß die Nahrungsmittelrationen durch den großen Bedarf des Ruhrgebiets sinken würden.
Im Winter 1946/47 nahmen fünf Bizonen-Verwaltungen für die Bereiche Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft, Finanzen, Verkehr sowie Post- und Fernmeldewesen ihre Arbeit auf. Seit 1. Januar 1947 waren die amerikanische und die britische Zone offiziell vereinigtes Verwaltungsgebiet. Zur besseren Koordinierung der Bizonen-verwaltungen, die bis dahin auf verschiedene Orte verteilt waren, wurde im Frühjahr 1947 als gemeinsamer Sitz Frankfurt a.M. bestimmt. Dort sah man der Entscheidung zuerst durchaus mit gemischten Gefühlen entgegen. Ohnehin war Wohnraum schon äußerst knapp, nun sollten weitere 2 600 Büros und gut l 000 Wohnungen bereitgestellt werden.
Die Bizonenverwaltung wurde von Mai/Juni 1947 an schrittweise ausgebaut: Der Wirtschaftsrat und seine Koordinierungs- und Ausführungsorgane nahmen ebenfalls ihren Sitz in Frankfurt. Damit schien die Mainmetropole in die Rolle einer Hauptstadt Westdeutschlands hineinzuwachsen — allerdings nur, bis die Bundesrepublik gegründet und, zur Enttäuschung der Frankfurter, Bonn zur Hauptstadt erklärt wurde.
Kurz und knapp war das Organisationsstatus des Länderrates vom 6. November 1946. Der Länderrat sollte ausdrücklich ein Koordinierungsorgan gleichberechtigter Partner sein. Der föderale Charakter hatte Vorbildfunktion für die späteren Ländervertretungen der Bizone und den Bundesrat. Bis zur Gründung der Bundesrepublik regelte der Länderrat die gemeinsamen Angelegenheiten der Länder der US-Zone.

Unmittelbar nach der Besetzung verboten die Amerikaner sämtliche NS-Organisationen und internierten ihre bedeutenderen Funktionäre, soweit sie ihrer habhaft wurden. Auch höhere NS-Beamte wurden gleich in den ersten Wochen aus ihren Positionen in der öffentlichen Verwaltung entlassen und ebenfalls in Lager auf der „grünen Wiese" verbracht.
Dies war aber nur der erste Schritt. Im Sommer 1945 wurden Zehntausende von Beamten, Angestellten und Arbeitern aus dem öffentlichen Dienst entlassen, die vor dem 1. Mai 1937 in die NSDAP eingetreten waren; an diesem Tag hatte das NS-Regime ein neues Beamtengesetz erlassen und seitdem den Druck auf die Mitarbeiter in den öffentlichen Verwaltungen verstärkt, der NSDAP beizutreten. In manchen Stadtverwaltungen verringerte sich durch diese Maßnahme der Besatzungsmacht der Personalbestand innerhalb weniger Wochen um mehr als ein Drittel.
Das Gesetz Nr. 8 der Militärregierung vom 26. September 1945 verfügte schließlich auch die Entfernung ehemaliger Mitglieder von NS-Organisationen aus leitenden Stellungen in den Wirtschaftsunternehmen, sie durften dort nur noch „gewöhnliche Arbeit" leisten. Durch die amerikanischen Entnazifizierungsmaßnahmen waren im Mai 1946 schließlich 26% der leitenden Angestellten aus der privaten Wirtschaft sowie 57% der Beamten und 34% der Angestellten im öffentlichen Dienst entlassen worden.
Ein positives Ergebnis dieses radikalen Vorgehens war, daß dadurch in den öffentlichen Verwaltungen in ganz erheblichem Umfang Raum geschaffen wurde für die Einstellung neuer, unbelasteter Kräfte. Gleichwohl war der amerikanischen Militärregierung klar, daß sich angesichts von Millionen Mitgliedern der NS-Massenorganisationen und des Mangels an Fachkräften in lebensnotwendigen Verwaltungs- und Versorgungsbereichen eine solch weitgehende Entlassungspraxis, die auch nominelle Parteigenossen einbezog, nicht auf längere Zeit durchhalten ließ. Mit der Beurteilung der individuellen Schuld im Einzelfall fühlte sich die Militärverwaltung aber überfordert, so daß sie die Entnazifizierung schließlich den deutschen Regierungen übertrug.
Während diese dafür eintraten, nur die wirklich aktiven Nationalsozialisten zur Rechenschaft zu ziehen, bestand die amerikanische Militärregierung darauf, daß jedes - auch nur nominelle - Mitglied einer NS-Organisation in einem schriftlichen oder mündlichen Verfahren entnazifiziert werden müßte. Die weitgefaßten amerikanischen Kategorien, so ahnten die Ministerpräsidenten zu recht, würden zu Massenverfahren führen, die in absehbarer Zeit nicht zu bewältigen waren. Doch die Amerikaner beharrten auf ihrem Standpunkt: Von der erfolgreichen Durchführung ihrer Vorstellungen, so erklärten sie unmißverständlich, würde nicht zuletzt die weitere Übertragung von politischer Verantwortung an die Deutschen abhängen.
In diesem Sinne schuf das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" vom 5. März 1946 die Grundlage für das weitere Vorgehen. Jetzt wurden alle Mitglieder von NS-Organisationen von einem „Öffentlichen Kläger" nach den strengen „automatischen Kategorien" der Militärregierung angeklagt. Die Durchführung der, je nach Fall, schriftlichen oder mündlichen Verfahren oblag in Hessen 101 Spruchkammern sowie 8 Berufungskammern, die teils mit Juristen, teils mit Mitgliedern der politisehen Parteien besetzt wurden. Sie nahmen die Einstufung der Betroffenen in 5 Gruppen vor:
1. Hauptschuldige
2. Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer)
3. Minderbelastete
4. Mitläufer (in der Regel nur nominelle Mitglieder)
5. Entlastete
Als Sühnemaßnahmen sah das Gesetz bei Mitläufern Geldbußen vor, bei stärker Belasteten Beschäftigungsverbote (bis zu zehn Jahren bzw. Beschäftigung in geringerer Stellung), Einzug des Vermögens (zum Zwecke der Wiedergutmachung) und Arbeitslager (bei Hauptschuldigen bis zu zehn Jahren). Den Betroffenen blieb es überlassen, im Spruchkammerverfahren Entlastungsmaterial - im Volksmund „Persilscheine" genannt - vorzulegen, das für eine günstigere Einstufung sprach.
Die Aufgabe war enorm: Allein in Hessen mußten fast eine Million Verfahren eingeleitet werden. Viele Betroffene mußten Jahre auf ihren Spruchkammerbescheid warten, was einem zeitweiligen Berufsverbot gleichkam, da der Bescheid häufig Voraussetzung für die berufliche Wiedereingliederung war. Fachkräfte wurden aber fast überall dringend benötigt. Dies führte zu einer heftigen Diskussion, in der auch ehemalige KZ-Häftlinge wie Eugen Kogon und Martin Niemöller für ein „Recht auf politischen Irrtum" bei denjenigen Betroffenen eintraten, die nur nominelles Mitglied einer NS-Massenorganisation gewesen waren.
Von 1947 an wandelte sich allmählich die amerikanische Politik. Die Schlüsselstellungen der Verwaltung waren inzwischen mit Demokraten oder Unbelasteten besetzt, und das Wiederaufleben von NS-Organisationen wurde als höchst unwahrscheinlich eingeschätzt. Den amerikanischen Steuerzahlern, die eine aufwendige Besatzungsverwaltung und umfangreiche Hilfsimporte finanzierten, war schwer verständlich zu machen, daß immer noch viele geringfügig Belastete auf ihr Entnazifizierungsverfahren warteten und ihre Arbeitskraft brachlag. Außerdem änderte sich die politische „Großwetterlage": Das Problem des offenbar überwundenen Nationalsozialismus wurde allmählich von der Frontstellung gegen den Kommunismus überlagert.
Schrittweise gab es Erleichterungen für einen Teil der Betroffenen. Nach der Jugendamnestie für Mitläufer und Minderbelastete sowie der Weihnachtsamnestie für Mitläufer mit kleinem Einkommen, deren Strafen absehbar auf geringe Geldzahlungen hinausliefen, wurde noch im Jahr 1946 die auf die amerikanischen „automatischen Kategorien" zurückgehende Anklage- und Sühnepraxis immer mehr gelockert. Die weitaus meisten Betroffenen durften nach einiger Zeit wieder in ihre Stellungen in Wirtschaft und öffentlichen Dienst zurückkehren. Schließlich drängten Anfang 1948 die Amerikaner auf das rasche Ende der Entnazifizierung. Es waren jetzt die deutschen Länderregierungen, die erfolgreich dafür eintraten, die Spruchkammerverfahren gegen belastete NS-Funktionäre bis 1954 weiterzuführen.
Die Entlassungswelle im Rahmen der Entnazifizierung hatte im Sommer 1945 vor allem den öffentlichen Dienst erfasst. In den Unternehmen der privaten Wirtschaft war die Zahl der Entlassenen zunächst weit geringer. Um diese ungleiche Handlung zu beenden, erließ die Militärregierung im Oktober das Gesetz Nr. 8.

Junge Volksschullehrer wurden nach einer mehrmonatigen Kurzausbildung eingestellt, um dem dringendsten Lehrermangel abzuhelfen und die Klassenstärken, die bis zu 85 Schüler betrugen, allmählich abzubauen. Wo besondere fachliche Qualifikationen - wie z.B. ein längeres Universitätsstudium — berufliche Voraussetzung waren, bestanden freilich noch längere Zeit erhebliche personelle Engpässe.
Besondere Schwierigkeiten gab es im Justizdienst, auch wenn schon im Juni 1945 die ersten Amtsgerichte wiedereröffnet wurden und schließlich als oberste gerichtliche Instanz für Hessen auch das Oberlandesgericht Frankfurt am 8. März 1946 seine Tätigkeit aufnahm. Aber noch im Mai 1946 war gerade die Hälfte der Richterstellen besetzt, obwohl sich das Justizministerium nach Kräften bemühte, politisch unbelastete Juristen z.B. unter den Rechtsanwälten für den Justizdienst zu gewinnen. Zeitweise wurde sogar eine Dienstverpflichtung für Rechtsanwälte erwogen, um sie als Richter oder Staatsanwälte an hessischen Gerichten einstellen zu können.
Trotz der erheblichen Unterbesetzung waren auch die hessischen Gerichte schon von 1945 an bestrebt, die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen zu ahnden. Um die Strafverfolgung sicherzustellen, wurden die Verjährungsfristen im Mai 1946 durch Gesetz aufgehoben. Hunderte von Strafverfahren richteten sich vor allem gegen Verbrechen, die während der sogenannten „Kristallnacht" geschehen waren. Die Zahl der entsprechenden NS-Verfahren, die in Hessen geführt wurden, lag weit über dem Bundesdurchschnitt.
Auch die Polizei galt als ein sensibler Bereich, der zunächst auf örtlicher Ebene unter Kontrolle der Militärregierung neu aufgebaut wurde. Die Stadt-, Land-, Grenz-und Kriminalpolizei erhielt weitgehend neues Personal. Wie improvisiert es dabei zuging, zeigt das Wetzlarer Beispiel. Die durch einen amerikanischen Offizier eingewiesenen neuen Polizisten wurden kurzerhand in umgefärbte Wehrmachtsuniformen eingekleidet. Da die hessischen Polizeikräfte zunächst unbewaffnet agieren mußten, war ihre Wirksamkeit angesichts der schwierigen Nachkriegsverhältnisse stark eingeschränkt.
Nach den Massenentlassungen durch die Entnazifizierung gab es in fast allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung bedrohliche personelle Engpässe. Die entstandenen Lücken mussten möglichst schnell ausgefüllt werden.

Wie in keinem anderen gesellschaftlichen Bereich wurde im Theater dem Gefühl der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Wiederaufbauwillen lebhaft Ausdruck verliehen. In Wiesbaden und Kassel beispielsweise gründeten die Ensembles der ehemaligen Staatstheater „Notgemeinschaften", um den Theaterbetrieb angesichts noch fehlender öffentlicher Budgets und trotz zerstörter oder beschlagnahmter Spielstätten so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. In Ruinen und Behelfsquartieren wurden notdürftig die ersten Bühnen eingerichtet. Auf dem Programm standen zunächst Bunte Abende, Gesangs- oder konzertante Veranstaltungen. Karten waren oft nur gegen „Sachleistungen" wie Briketts und Brennholz zum Beheizen der provisorischen Spielstätten zu erwerben. Dennoch fanden die Vorstellungen ein begeistertes Publikum, boten sie doch für ein paar Stunden eine willkommene Ablenkung von den Alltagssorgen.
Die Überwachung des Kultur- und Medienbereiches durch die amerikanische Militärregierung beschränkte sich in der Regel auf die Wiedereinsetzung und Lizenzierung politisch unbelasteter Persönlichkeiten in verantwortungsvolle Positionen der Kulturverwaltung und der Kultureinrichtungen. Zwar bedurften so gut wie alle Veranstaltungen und Veröffentlichungen einer Genehmigung der Militärregierung, doch suchte diese eine inhaltliche Einflußnahme auf die Entfaltung des kulturellen Lebens im allgemeinen zu vermeiden. Ausnahmen bildeten allerdings Bühnenstücke, in denen eine Diktatur gerechtfertigt wurde, wie etwa Shakespeares Julius Caesar, oder gar Widerstand gegen eine Besatzungsmacht, wie in Goethes Egmont oder Schillers Wilhelm Tell.
Ein erfolgreiches Beispiel für den kulturellen Wiederaufbau ist Darmstadt. Im August 1945 nahm die städtische Kulturverwaltung ihre Arbeit auf. Dichterlesungen und Vorträge waren die ersten Angebote an das Publikum. Im Oktober wurde bereits die erste Kunstausstellung Südwestdeutschlands veranstaltet, eine weitere im Dezember zeigte „Befreite Kunst". Das Landestheater eröffnete im Winter 1945/46. Die viel beachteten, von nun an jährlichen „Internationalen Ferienkurse für neue Musik" fanden erstmals im August 1946 statt.
Neben der „ernsten" Kultur brachten aber auch populäre Unterhaltungsangebote eine willkommene Ablenkung und Zerstreuung. In Frankfurt verzeichnete der Zoo schon ab Juni 1945 wieder steigende Besucherzahlen, die ersten Lichtspielhäuser waren hier im Juli 1945 wieder in Betrieb. Selbst öffentliche Sportveranstaltungen wie Fußballspiele gab es seit Sommer 1945 wieder, aber sogar diese bedurften zunächst der Genehmigung durch die Militärbehörden.
Das besondere Augenmerk der Amerikaner im Rahmen des Reeducation-Programms galt der Jugend. Sie war lernfähig, ihr sollten die Ziele der Demokratie und des internationalen Friedens vermittelt werden. Bereits im Januar 1946 gab es in allen 4l hessischen Kreisen sogenannte „Jugend-Komitees" der Militärverwaltungen. Als ein erster Höhepunkt wurde im Mai 1946 in Frankfurt der „Tag der jungen Generation" begangen, der einen demokratischen Entwurf für die Zukunft Deutschlands hervorbringen sollte. Deutsche Jugendgruppen und -verbände schlössen sich den Aktivitäten an. In allen größeren Militärstandorten der amerikanischen Streitkräfte wurden bald German Youth Activities (GYA) Offices eingerichtet, die Sport, kulturelle und Bildungsaktivitäten anboten, später auch Workshops aller Art, Bibliotheken, Dikussions-Clubs und Sommer-Camps.
Für den Bereich der Universitäten, die ihren Betrieb 1946 überwiegend in Provisorien wieder aufgenommen hatten, schien die Ausweitung der internationalen Beziehungen das geeignete Mittel, die NS-Erbschaft der geistigen Isolation endgültig zu überwinden. Höhepunkte waren die internationale Sommerschule im September 1946 in Marburg mit Vorlesungen und Gesprächsrunden sowie die gleichzeitigen international besetzten Diskussionsveranstaltungen in Frankfurt. Mit Unterstützung der Militärregierung wurden die ersten Institute für Amerikakunde an den Universitäten Marburg und Frankfurt eingerichtet.
In der Erwachsenenbildung gab es seit 1946 ein reichhaltiges Angebot an Abendkursen, Diskussionsrunden und Vorträgen. Deutsch-amerikanische Frauenklubs wurden organisiert, ebenso Jugendparlamente und Bürgerforen. Deutsch-amerikanische Austauschprogramme richteten sich in erster Linie an Funktionsträger aus allen politischkulturell relevanten Bereichen.
Erste amerikanische Bibliotheken entstanden zunächst versuchsweise als einfache Leseräume im Juli 1945 in Bad Homburg und dann im November 1945 in Frankfurt. Die Frankfurter „Amerika-Bücherei" wurde im März 1946 als deutsch-amerikanische Begegnungsstätte, als erstes sogenanntes „Amerikahaus" ausgebaut. Weitere Amerikahäuser folgten 1946 in Darmstadt, Kassel und Marburg, 1947 in Wiesbaden und 1948 in Fulda und Gießen. Die Amerikahäuser öffneten nicht nur mit ihren Büchereien, sondern auch mit Filmvorführungen vor allem der Jugend eine Welt, die ihnen während der NS-Diktatur vorenthalten worden war.
Die entscheidende Rolle in dem amerikanischen Konzept für die Erziehung der Deutschen zur Demokratie spielten allerdings Presse und Rundfunk. Auch wenn die Nachrichtenkontrolle keineswegs zu den wichtigsten Aufgaben der amerikanischen Besatzungspolitik gehörte, so zeigen dennoch die hier schon früh vorgenommenen Weichenstellungen, welch hohen Rang sie dem Medienbereich zumaß. Gerade die Medien hatten vor 1945 fast total im Dienst der NS-Propaganda gestanden. Die amerikanische Militärregierung verbot daher als erstes das Erscheinen aller deutschen Zeitungen. Die Lücke, die durch diesen „black-out" entstand, füllten zunächst amerikanische Heeresgruppenzeitungen, wie z. B. die „Frankfurter Presse" und die „Hessische Post" in Kassel, die neben politischen Nachrichten vor allem die Anweisungen der Militärregierung der deutschen Bevölkerung zur Kenntnis brachten.
Aber schon im Sommer 1945 begann die amerikanische Militärregierung mit dem Aufbau einer völlig neuen deutschen Presse. Herausgeber und Chefredakteure wurden sorgfältig ausgewählt; Lizenzen erhielten nur Persönlichkeiten, deren demokratische Gesinnung über jeden Zweifel erhaben war. Ziel der Amerikaner war es, eine Presse mit überparteilichem Charakter zu schaffen. Daher berief die Militärregierung stets mehrere Herausgeber, die verschiedenen Parteien angehörten oder nahestanden. Parteizeitun-een wurden dagegen nicht gestattet. Infolgedessen war es auch den Arbeiterparteien nicht möglich, eine eigene Parteipresse aufzubauen, wie sie vor 1933 bestanden hatte.
Als erste deutsche Zeitung erschien am 1. August 1945 die „Frankfurter Rundschau". Die Herausgeber Arno Rudert, Emil Carlebach (beide Kommunisten), Otto Großmann (den Kommunisten nahestehend), Paul Rodemann, Wilhelm Knothe, Hans Etzkorn (alle SPD) und Wilhelm Gerst (ehemals Zentrum) waren von der Militärregierung teils nach politischer Unbedenklichkeit, teils nach journalistischer Erfahrung ausgewählt worden. Die Amerikaner machten die strikte Trennung von objektivem Bericht und subjektivem Kommentar zur Bedingung; allerdings durfte keine Besatzungsmacht, auch nicht die russische, kritisiert werden. Die Frankfurter Rundschau erschien in 415000 Exemplaren in Frankfurt und Umgebung, berechnet waren je ein Exemplar für fünf Leser in einem festen Verteilungsgebiet. Der Papiermangel erlaubte zunächst lediglich zwei Ausgaben wöchentlich. Weitere Lizenzierungen folgten bald: Mitte 1946 gab es insgesamt 10 hessische Zeitungen in Kassel, Fulda, Marburg, Darmstadt, Gießen, Wetzlar, Wiesbaden und Frankfurt.
Der Rundfunk blieb länger in der Hand der Amerikaner. Sie richteten im Juni 1945 eine erste Sendeanlage in Bad Nauheim ein. Bis zu diesem Zeitpunkt sendeten lediglich BBC und ABSIE (American Broadcasting System in Europe) sowie Radio Luxemburg. „Radio Frankfurt", wie der Bad Nauheimer Sender genannt wurde, brachte neben Musik Regionalnachrichten, Sendungen für Ausländer und zu festgelegten Zeiten Ankündigungen der Militärregierung. Schon nach wenigen Wochen wurde das Angebot an Unterhaltungs- und Bildungssendungen erweitert. Aber erst die verstärkte Beteiligung von deutschen Sprechern und das Angebot meinungsbildender Sendungen, wie die Kommentarserie „Eigenheiten der Demokratie" mit Dolf Sternberger, verbesserten die Attraktivität des Radios als Informationsmedium für die deutschen Hörer. Starkes Interesse fanden beispielsweise auch die Berichte über die Nürnberger Prozesse.
Nachdem der Vorläufer des heutigen Hessischen Rundfunks im Februar 1946 von Bad Nauheim nach Frankfurt übergesiedelt war, wurde am 1. Juni Eberhard Beckmann von der amerikanischen Militärregierung offiziell zum Intendanten ernannt. Gleichzeitig drängten die Amerikaner auf eine künftige Selbstverwaltung des „Hessischen Rundfunks"; die Epoche des Staatsrundfunks aus der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus ging zu Ende.
Die Amerikaner zogen sich nun immer mehr aus den Kontrollfunktionen zurück, verzichteten aber nicht auf Nutzung in ihrem Sinne. Sendungen wie „Die Stimme Amerikas" blieben noch lange vom Geist und den Zielen der demokratischen Umerziehung geprägt.
Der Einfluß der amerikanischen Umerziehungsbemühungen auf das politische und kulturelle Leben in Deutschland läßt sich zwar nicht in Zahlen messen, sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Sicher ist, daß das Reeducationprogramm die Wiederbegegnung mit der westlichen Kultur gefördert hat, und zweifellos trugen die amerikanischen Aktivitäten auch zu einem unverkrampften Umgang zwischen amerikanischen Besatzern und deutscher Bevölkerung bei.
Wegen der Zerstörung der Theatergebäude sorgte 1945 die Kasseler "Notgemeinschaft des Theaters" in Eigeninitiative für provisorische Spielstätten. Zunächst wurden vor allem Bunte Abende, Gesangs- oder konzertante Veranstaltungen geboten. Karten waren oft nur gegen Sachleistungen wie Briketts und Brennholz zum Beheizen der Behelfsunterkünfte zu bekommen.
Anfangs wurden auch drastische Mittel zur demokratischen Umerziehung eingesetzt. Die Vorführung des Films "Die Todesmühlen" über die Konzentrationslager sollte ehemaligen Nationalsozialisten vor Augen führen, welche unmenschlichen Verbrechen die Deutschen begangen hatten.
Nach der Vergabe der ersten Lizenzen an die Münchner Süddeutsche Zeitung sowie die Frankfurter Rundschau stellten die Amerikaner eine weitreichende Lockerung ihrer Medienpolitik in Aussicht.

Schon in den ersten Wochen nach der Besetzung waren frühere Gewerkschafter aktiv geworden. In Frankfurt stellte ein spontan gebildeter „Gründungsausschuß" unter Führung des späteren DGV-Vorsitzenden Willi Richter schon am 12. April 1945 bei der Militärregierung den Antrag, „die Vorbereitungen zum Neuaufbau der Gewerkschaften zu gestatten". Gleich nach ihrer offiziellen Zulassung durch die Militärregierung konnte daher ab August 1945 der Aufbau von Gewerkschaften zügig beginnen. In Kassel erhielt die „Einheitsgewerkschaft" die Lizenz bereits am 8. August, in Hanau am 1. September 1945.
Hatten in der Weimarer Republik christliche, sozialdemokratische und kommunistische Gewerkschaften das Bild bestimmt, so geschah jetzt der Neuaufbau im Zeichen der Bildung von Einheitsgewerkschaften, die keine weltanschaulichen oder konfessionellen Schranken kannten und nur nach Wirtschaftsbranchen und Industriezweigen getrennt waren. Die verschiedenen Industriegewerkschaften strebten jedoch von Anfang an auch nach einer gemeinsamen Dachorganisation, dem späteren „Deutschen Gewerkschaftsbund". So genehmigte die Militärregierung in Frankfurt am 15. November 1945 die Gründung von vierzehn Industriegewerkschaften und einem örtlichen „Gewerkschaftsbund" .
Angesichts der allgemeinen Not der Bevölkerung forderten die Gewerkschaften nachdrücklich die Verbesserung der unmittelbaren Lebensverhältnisse. Doch nutzten sie auch die historische Chance, sich in die hessische Verfassungsdiskussion einzuschalten und im Sinne einer Wirtschaftsdemokratie auf die Gestaltung der Wirtschaftspolitik sowie auf die Durchsetzung der Sozialisierung von Grundstoffindustrien und auf Fragen der Mitbestimmung Einfluß zu nehmen. Dazu bedurfte es aber einer — von den Amerikanern nicht vorgesehenen — zentralen Landesorganisation. Entgegen der erklärten Politik der Militärregierung befürwortete in Hessen eine große Mehrheit der Gewerkschafter von Anfang an den Gedanken eines politisch einflußreichen zentralen Gewerkschaftsbundes. Auf seinem 1. „Bundestag" am 24. und 25. August 1946 konstituierte sich der Freie Gewerkschaftsbund Hessen (FGB) als Dachorganisation selbständiger Industriegewerkschaften. Erster Vorsitzender wurde Willi Richter, der maßgeblich den Aufbau des mitgliederstärksten hessischen Gewerkschaftsbundes, des FDGB Frankfurt, mitgestaltet hatte. Die amerikanische Militärregierung genehmigte diese Gründung freilich vorerst nicht, weil sie die Zeit für eine Gewerkschaftsorganisation in größerem Rahmen noch nicht für gekommen hielt. Nach amerikanischen Angaben hatten die hessischen Gewerkschaften Anfang 1947 über 300000 Mitglieder; der Organisationsgrad lag bei 33% aller abhängig Beschäftigten (außer häuslichen Berufen und Landwirtschaft) und war damit höher als in den Ländern Bayern und Württemberg-Baden.

Am 2. September 1945 endlich ließen die Amerikaner die Bildung von politischen Parteien offiziell zu. Bei der Militärregierung durften nun Lizenzen beantragt und nach deren Erteilung reguläre Organisationen aufgebaut werden - vorerst aber nur auf Orts- und Kreisebene. Wie bei den Gewerkschaften galt auch hier das amerikanische Prinzip für den Aufbau der Demokratie: „Von unten nach oben". Zunächst sollten sich die Parteien auf lokaler Ebene bewähren, bevor die Militärregierung landesweite Parteiorganisationen zuließ.
Bereits nach kurzer Zeit bildete sich, von wenigen lokalen Varianten abgesehen, das überall in der Nachkriegszeit charakteristische Vierparteiensystem heraus. Neben den Arbeiterparteien SPD und KPD entstanden als neue bürgerliche Parteien CDU und LDP.
Die SPD konnte sich von Anfang an auf zahlreiche Funktionäre und Mitglieder aus der Weimarer Zeit stützen, die teilweise auch während der NS-Diktatur Kontakte untereinander aufrechterhalten hatten, was den organisatorischen Wiederaufbau erheblich erleichterte. Da viele Sozialdemokraten Gegner und Opfer des NS-Regimes waren, genossen sie von Anfang an das besondere Vertrauen der Amerikaner und wurden häufig in leitende Verwaltungspositionen eingesetzt. Programmatisch knüpfte die SPD an ihre frühere Tradition an: Die politischen Ziele hießen Demokratie und Rechtsstaat, wobei das Bekenntnis zum Sozialismus unterstrichen wurde. Zielgruppe war aber nicht nur die Arbeiterschaft, sondern auch das liberale Bürgertum.
Die KPD konnte ebenfalls auf ihre antifaschistische Vergangenheit und ihre Widerstandstätigkeit während der NS-Zeit verweisen. Auch die amerikanische Militärregierung behandelte die KPD als gleichberechtigten Partner in der demokratischen Parteienlandschaft und trat für ihre Beteiligung an der Regierung Geiler und in Kommunalverwaltungen ein. Bei den Wahlen im Jahr 1946 konnte die hessische KPD unter der Führung von KZ-Häftlingen und Westemigranten wie Leo Bauer zunehmende Erfolge erzielen, zumal sie die Rolle einer demokratisch-parlamentarischen Partei einnahm.
Zu wirklichen Neugründungen kam es hingegen im bürgerlichen Lager. Der Wiederaufbau des Zentrums als konfessionell gebundener Partei erschien selbst katholischen Kreisen nicht mehr zeitgemäß. So entstand die CDU als christliche Sammlungspartei beider Konfessionen. Ganz unterschiedliche Interessengruppen fanden hier ihre politische Heimat: Neben Vertretern wirtschaftsliberaler Ziele gehörten ihr Anhänger ausgesprochen sozialer oder gar sozialistischer Vorstellungen an. In den ersten Nachkriegsjahren übte der „Frankfurter Kreis", dem neben katholischen Gewerkschaftern Intellektuelle wie Eugen Kogon und Walter Dirks angehörten, programmatisch großen Einfluß auf die Partei in Hessen aus: Die „Frankfurter Leitsätze" der CDU formulierten das Konzept eines „Sozialismus aus christlicher Verantwortung", das Nachdruck auf soziale Fragen legte und unter anderem für eine Mitverantwortung der Arbeitnehmer und die Sozialisierung von Grundstoffindustrien eintrat. Eine - verglichen mit anderen CDU-Landesverbänden - „linke" Haltung war in der Nachkriegszeit charakteristisch für die von Werner Hilpert geführte hessische CDU: Sie wollte den Abbau der Konfrontation zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft und suchte die konstruktive Zusammenarbeit mit der SPD statt ideologischer Grabenkämpfe.
Politisch „rechts" von der CDU etablierte sich eine Sammlungsbewegung ganz anderen Typs: die Liberalde-mokratische Partei, Vorläuferin der späteren FDP. Zwar fanden sich in der LDP auch Vertreter linksliberaler Vorstellungen, besonders im Frankfurter Raum, aber nach der Wahl des Hersfelders Martin Euler zum Vorsitzenden setzten sich im Laufe des Jahres 1946 nationalkonservative Strömungen durch, welche vor allem in den nordhessischen Gruppierungen stark vertreten waren. Die LDP kritisierte scharf die rigorose Entnazifizierung, was ihr Sympathien bei den Betroffenen einbrachte. Darüber hinaus erteilte sie jeder Form von Planwirtschaft und Sozialisierung eine scharfe Absage. Mit ihrem Programm erreichte sie besonders das konservative Bürgertum, was ihr in den Nachkriegsjahren erhebliche Wahlerfolge bescherte.
Damit entwickelte sich in Hessen eine Parteienlandschaft, die sich von der Bayerns und Württemberg-Badens deutlich unterschied: Von Beginn an war die SPD hinsichtlich ihrer Mitgliederzahlen und ihrer Wahlergebnisse 1946 die stärkste politische Kraft. Die verhältnismäßig „linke" hessische CDU kooperierte mit den Sozialdemokraten, während die LDP wirtschaftsliberale Standpunkte betonte und die Rolle eines Auffangbeckens für konservative Wähler einnahm.
Vom 2. September 1945 an konnten Anträge auf die Genehmigung von demokratischen Parteien gestellt werden.

Doch die Amerikaner hielten an ihrem Zeitplan fest: Die ersten freien Wahlen nach 12 Jahren NS-Diktatur fanden in der gesamten US-Zone am 20. und 27. Januar 1946 in den Gemeinden mit weniger als 20000 Einwohnern statt. Ehemalige NS-Aktivisten und NSDAP-Mitglieder, die vor dem 1. Mai 1937 der Partei beigetreten waren, wurden von der Wahl ausgeschlossen.
Der Wahlkampf gestaltete sich mühsam. Der Papiermangel erlaubte nur einen begrenzten Druck von Flugblättern und Plakaten; Benzinmangel und beschränkter Eisenbahnverkehr verhinderten größere Wahlkampfreisen.
Um so erfreulicher erschien die hohe Wahlbeteiligung von 84,4%. Aber auch mit dem Ergebnis konnte die amerikanische Militärregierung zufrieden sein. Gewinner waren die Parteien der Mitte: Die SPD hatte 44,5%, die CDU 31% der Stimmen erhalten, während die KPD auf 5,7% und die LDP nur auf 2,7% kamen. Die amerikanische Militärregierung sah jetzt ihre Absicht bestätigt, möglichst bald weitere Wahlen abzuhalten und den Deutschen schrittweise mehr Verantwortung zu übertragen. Nun konnte sie wie geplant die Bevölkerung am 28. April 1946 zu den Kreistags- und am 26. Mai zu den Stadtverordnetenwahlen in Städten mit mehr als 20 000 Einwohnern aufrufen. Noch wichtiger war, daß die amerikanische Militärregierung Anfang Februar auch die Wahlen zu der Verfassungberatenden Landesversammlung für den 30. Juni ansetzte. Damit kam der Zeitpunkt näher, zu dem gewählte Politiker die Regierung des Landes Hessen übernehmen würden.
Bereits einen Monat nach der Bildung der Regierung Geiler hatte die Militärregierung den anfangs nur auf örtlicher Ebene zugelassenen Parteien am 23. November 1945 erlaubt, sich auch auf Landesebene zusammenzuschließen. Den dadurch neugewonnenen landespolitischen Spielraum versuchte die SPD nach den für sie erfolgreichen Gemeindewahlen vom 20. und 27. Januar 1946, aus denen sie als Sieger hervorgegangen war, zu nutzen. Gestützt auf das Wahlergebnis verlangte der sozialdemokratische Landesverband am 10. Februar von der amerikanischen Militärregierung die Ablösung von Ministerpräsident Geiler. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, zog die SPD ihre Minister aus dem Kabinett Geiler zurück. Zugleich erklärte sie sich zu Verhandlungen über eine Neubildung der Landesregierung bereit.
Der Chef der hessischen Militärregierung, Newman, stellte sich aber hinter Geiler und forderte die SPD auf, die „gesunde Zusammenarbeit" zwischen den Parteien fortzuführen. Erst nach der Wahl eines Landtags könne den Parteien größerer Einfluß auf die Regierungsbildung eingeräumt werden. Daraufhin beließ die SPD ihre Minister im Kabinett. Gleichzeitig machten die Amerikaner dem Ministerpräsidenten aber deutlich, daß er die Wünsche der Parteien stärker berücksichtigen sollte.
Diese drängten auch ihrerseits weiter auf eine wirksamere Beteiligung an der Regierungsarbeit und forderten, endlich den „Beratenden Landesausschuß" einzusetzen, den bereits das Staatsgrundgesetz vom 22. November 1945 „als Vorläuferin einer künftigen Volksvertretung" vorgesehen hatte. Die Militärregierung verstand die Bildung von Beratenden Ausschüssen als Etappe auf dem Weg zur Demokratie. In ganz ähnlicher Weise hatten sich die Bürgerräte bewährt, die in einer Reihe von Städten die Politik mitbestimmten.
Die Berufung des Beratenden Landesausschusses hatte sich verzögert, weil es zwischen Ministerpräsident Geiler und den Parteien Meinungsverschiedenheiten über seine Zusammensetzung gab. Während Geiler für eine Art „Ständeversammlung" eintrat, die vorwiegend aus Fachleuten und Repräsentanten von Berufsgruppen bestehen sollte, setzten sich die politischen Parteien mit ihrer Forderung durch, den Ausschuß ausschließlich mit je 12 Vertretern der vier Parteien zu besetzen.
Der Landesausschuß entwickelte sich nach seiner Eröffnung am 26. Februar 1946 zu einem echten Vorparlament. Es wurden parlamentarische Regeln erarbeitet und eine Geschäftsordnung in Kraft gesetzt. In Plenar- und Ausschußsitzungen beriet er Stellungnahmen zu Gesetzen und Verordnungen der Landesregierung, der Militärregierung und des Kontrollrats sowie eigene Vorstellungen zur Lösung der zahlreichen Probleme, die es zu bewältigen galt.
Der sachliche Stil der Debatten und der Respekt, der dem politisch Andersdenkenden entgegengebracht wurde, erklärt sich nicht zuletzt aus den Biographien der Abgeordneten: Der Landesausschuß bestand zu zwei Dritteln aus ehemaligen aktiven Widerstandskämpfern und Verfolgten des NS-Regimes, die meisten Abgeordneten waren schon in der Weimarer Republik politisch tätig gewesen. Im Juni 1946 endete die Tätigkeit des Beratenden Landesausschusses. Durch Gesetz wurden seine Aufgaben auf die Verfassungberatende Landesversammlung übertragen.
Kritiker in den amerikanischen wie in den deutschen Reihen hielten Wahlen schon im Januar 1946 für verfrüht. Einerseits schien die drammatische wirtschaftliche Situation und die katastrophale Versorgungslage für demokratische Wahlen ungeeignet. Andererseits befanden sich die Parteien teilweise noch mitten in der Aufbauphase.
Die durch diesen Brief ausgelöste Kabinettskrise konnte wenige Tage später beigelegt werden. Der Chef der amerikanischen Militärregierung Newman forderte die Sozialdemokraten auf, die bisherige "gesunde Zusammenarbeit" fortzuführen. Ministerpräsident Geiler sollte allerdings verstärkt auf die Wünsche der Parteien eingehen.

Aus den Wahlen zur Verfassungberatenden Landesversammlung ging die SPD - wie schon bei den Kommunalwahlen - als stärkste Partei hervor. Sie erhielt 44,3% der Stimmen und 42 Mandate; zweitstärkste Partei wurde die CDU mit 37,3% der Stimmen und 35 Mandaten. Es folgten die KPD mit 9,7% der Stimmen und 7 Mandaten und die Liberaldemokratische Partei (LDP) mit 8,1% der Stimmen und 6 Mandaten. Damit verfügte die SPD, die schon im März eine eigene Verfassungskommission — unter anderem mit Professor Ludwig Bergsträsser, Georg August Zinn, Friedrich Caspary, Fritz Hoch, Elisabeth Seibert und Adolf Arndt - gebildet und eigene Entwürfe vorbereitet hatte, über eine günstige Ausgangsposition: Sie konnte bei den Verfassungsberatungen sowohl mit der CDU als auch mit der KPD eine Mehrheit bilden.
Am 15. Juli 1946 trat die Verfassungberatende Versammlung zum ersten Mal in Wiesbaden zusammen. Von Anfang an standen die Beratungen unter einem starken Zeitdruck, hatte doch die Militärregierung bereits den 30. September als Abschlußtermin festgesetzt. Hinzu kamen wenig erfreuliche äußere Bedingungen: Das Plenum mußte zunächst nacheinander in verschiedenen Schulen tagen und konnte erst gegen Ende der Beratungen in das Wiesbadener Stadtschloß - den heutigen Sitz des Landtages - einziehen. Fraktionssitzungen fanden in dem im Krieg beschädigten Taunushotel in der Rheinstraße statt, wo die auswärtigen Abgeordneten auf Feldbetten und in drangvoller Enge auch übernachten mußten. Ein ausreichender und eingespielter Hilfsapparat, wie ihn ein Parlament benötigt, konnte erst allmählich notdürftig aufgebaut werden. Neben ständigem Papiermangel ist dies der Grund, daß Protokolle über die Beratungen nur unvollständig und ungenau überliefert sind.
Die Verhandlungen zeichneten sich vor allem durch ihren sachlichen und fairen Stil aus. Hier zeigte sich das für jene Zeit charakteristische Solidaritätsgefühl, das Abgeordnete auch verschiedener Fraktionen verband. Einige kannten sich noch aus Konzentrationslagern, alle aber waren unter dem Eindruck der gerade überwundenen NS-Diktatur in besonderem Maße zur Zusammenarbeit bereit.
Bei ihren Beratungen konnte sich die Versammlung auf einen vorläufigen Entwurf des „Vorbereitenden Verfassungsausschusses" stützen, den Ministerpräsident Professor Geiler im Februar berufen hatte. Unter Federführung des bekannten Staatsrechtlers Professor Jellinek hatte dieser einen Verfassungsentwurf vorwiegend bürgerlich-liberaler Prägung erarbeitet. Es bleibt das Verdienst der Verfassungberatenden Versammlung, diesen Entwurf wesentlich verändert und in entscheidenden Punkten neu gestaltet zu haben. Das Ergebnis war bemerkenswert: Die Hessische Verfassung ging namentlich im sozialpolitischen Bereich weit über die bisherige liberale Verfassungstradition in Deutschland hinaus und legte damit den Grundstein zu der sozialstaatlichen Tradition der Bundesrepublik.
Im Mittelpunkt der Verfassungsberatungen standen zunächst die Grundrechte, die die Abgeordneten bewußt als gedanklichen Gegenpol zum Nationalsozialismus begriffen. Besonderen Wert legten sie darauf, daß die Grundrechte im Gegensatz zur Weimarer Verfassung weitgehend als unabänderlich bezeichnet und dadurch spätere Einschränkungen durch den Gesetzgeber ausgeschlossen wurden.
Die Abgeordneten, die noch das Scheitern der Weimarer Republik gegenüber Nationalsozialismus und Weltwirtschaftskrise vor Augen hatten, trafen auch weitere Vorkehrungen, um die künftige Demokratie weniger anfällig gegen politische und ökonomische Krisen zu machen. Diesem Ziel diente unter anderem das faktische Verbot eines Ermächtigungsgesetzes (Art. 118 HV), wie es Hitler im März 1933 den Weg zur Diktatur geebnet hatte. Besondere Bedeutung erlangte in der folgenden Zeit auch die Einsetzung eines Staatsgerichtshofes, der über Grundrechtsverletzungen und die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entscheiden hatte (Art. 130 ff. HV).
Während in diesen Fragen weitgehende Einmütigkeit bestand, brachen in der folgenden Zeit grundsätzliche Konflikte zwischen den Arbeiterparteien und den bürgerlichen Parteien auf. Um die Demokratie widerstandsfähiger
gegen politische und wirtschaftliche Krisen zu machen, wollten CDU und EDP durch eine berufsständische Zweite Kammer ein, wie sie hofften, stabiles Gegengewicht zu dem gewählten Parlament schaffen; damit sollte gegebenenfalls das Abgleiten einer Mehrheitspartei „in den Machtrausch" (Abg. Euler, EDP) verhindert werden. Die SPD lehnte diesen Vorschlag ab. Sie wollte der Gefahr wirtschaftlicher und politischer Krisen durch die Konzeption der Wirtschaftsdemokratie begegnen, die vor allem die Möglichkeit staatlicher Wirtschaftslenkung, die Sozialisierung von Schlüsselindustrien und die Mitbestimmung von Betriebsräten vorsah.
Die Auseinandersetzungen zwischen bürgerlichen und Arbeiterparteien über diese unterschiedlichen Konzeptionen führten dazu, daß zunächst die SPD gemeinsam mit der KPD in Kampfabstimmungen einen Verfassungsentwurf durchsetzte, der unter anderem konkrete sozialpolitische und auch manche sozialistischen Elemente enthielt.
So betonte der Abschnitt über „Soziale und wirtschaftliehe Rechte und Pflichten", daß „die Sozial- und Wirtschaftsordnung auf der Anerkennung der Würde und der Persönlichkeit des Menschen beruht" — im Gegensatz zur Ausbeutung der Arbeit unter dem NS-Regime durch Verbot von freien Gewerkschaften, Dienstverpflichtungen und Zwangsarbeit. Es folgten konkrete Bestimmungen zur Regelung des Arbeits- und Wirtschaftslebens, von denen hier die wichtigsten erwähnt seien:
- der Achtstundentag wird wieder eingeführt, der während der Novemberrevolution 1918 zwischen Unternehmern und Gewerkschaften vereinbart, später aber wieder abgeschafft worden war,
- Arbeitnehmern soll ein bezahlter Urlaub von mindestens zwölf Arbeitstagen gewährt werden; in der Weimarer Republik hatten Arbeitnehmer meist einen weit geringeren Urlaubsanspruch gehabt,
- Frauen und Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleichen Lohn,
- den Betriebsvertretungen wird die gleichberechtigte Mitbestimmung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen des Betriebes zuerkannt,
- das Streikrecht wird anerkannt, die Aussperrung dagegen für rechtswidrig erklärt,
- der Mißbrauch wirtschaftlicher Freiheit zu monopolistischer Machtzusammenballung und politischer Macht wird verboten,
- die Bergwerke, die eisen- und stahlerzeugenden Betriebe, die Energiewirtschaft und bestimmte Verkehrsbetriebe sollen sozialisiert werden.
Auch wichtige Fragen des Schulwesens und des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, die zwischen den Arbeiterparteien und den bürgerlichen Parteien strittig waren, wurden von der linken Mehrheit in Kampfabstimmungen durchgesetzt, z.B. die Gemeinschaftsschule statt der Konfessionsschule sowie die Schulgeldfreiheit für alle Schüler und Studenten.
Am 15. Juli 1946 trat die Verfassungsberatene Landesversammlung erstmals in Wiesbaden zusammen. Die Amerikaner drängten auf rasche Ergebnisse: Am 30. September sollten die Verhandlungen beendet sein. Die Beratungen gingen von dem Entwurf des "Vorbereitenden Verfassungsausschusses" aus, den der Ministerpräsident bereits im Februar eingesetzt hatte. Der schließlich von der Landesversammlung verabschiedete Text wich bemerkenswert hiervon ab. So wurden die Grundrechte - im Gegensatz zur Weimarer Verfassung - ausdrücklich als "unabänderlich" bezeichnet. Besonders weit ging die Hessische Verfassung im sozialpolitischen Bereich und legte damit den Grundstein für die sozialstaatliche Tradition der Bundesrepublik.
In Hochwaldhausen (Vogelsberg) berieten führende SPD-Politiker eigene Verfassungsentwürfe. Auf dem Foto zu erkennen (v.l.): Prof.L.Bergsträsser, G.A.Zinn, E.Selbert (beide von hinten), A.Arndt, G.Noske, W.Wittrock.

Nachdem die CDU zunächst einen eigenen Entwurf vorgelegt hatte, der ein bloßes Organisationsstatut darstellte und alle strittigen Fragen zur wirtschaftlichen und sozialen Neuordnung, zur Reform des Schulwesens sowie zum Verhältnis Staat und Kirche ausklammerte, kam es unter großem Zeitdruck doch zu einer überraschend schnellen Einigung zwischen SPD und CDU, die den Verfassungsentwurf nur in wenigen wesentlichen Punkten veränderte.
So wurde auf Forderung der CDU die in Hessen bedeutende chemische Industrie nicht in den Katalog der zu sozialisierenden Betriebe aufgenommen. Bei dem Schulwesen stimmte die CDU der Gemeinschaftsschule als Regelschule zu, die SPD erklärte sich dagegen mit privaten (d. h. auch konfessionellen) weiterführenden Schulen einverstanden. Eine Aufwertung erfuhr die Stellung der Kirchen in ihrem Verhältnis zum Staat.
Mit dem Verfassungskompromiß war die vertrauliche Vereinbarung verbunden, nach den kommenden Landtagswahlen gemeinsam eine Regierung zu bilden.
In einer ausfürlichen Broschüre versuchte die CDU, ihre Wähler über den Verfassungsentwurf zu unterrichten.

Grundsätzliche Opposition gegen das Verfassungswerk übte dagegen die Liberaldemokratische Partei (LDP). Da die Partei zentralistisch, nicht föderalistisch eingestellt war, bestritt sie der Verfassungberatenden Versammlung in wichtigen Punkten das Recht, so weitreichende Bestimmungen auf Länderebene zu treffen; dies müsse einem künftigen zentralen Parlament vorbehalten bleiben. Das Argument der LDP, eine Vielzahl unterschiedlicher Länderregelungen könne die Entwicklung zur deutschen Einheit hemmen, fand in breiten Kreisen der Bevölkerung ebenso Anklang wie der Hinweis, Länderregierungen und -parlamente seien eine ebenso unnötige wie kostspielige Angelegenheit. Im Gegensatz auch zu der damaligen Haltung der hessischen CDU profilierte sich die LDP als eine streng marktwirtschaftliche Partei, wenn sie die Bestimmungen der Hessischen Verfassung über Wirtschaftslenkung, Sozialisierung und Mitbestimmung der Betriebsräte auch in personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten kritisierte. Etwas überraschend aber versuchte die liberale Partei sogar, sich gegenüber der CDU als christliche Partei zu profilieren, indem sie sich zur „christlichen Gemeinschaftsschule" bekannte, bei der auch in den „deutschen Fächern" der „geistig-sittliche Gehalt des Christentums betont" würde, während die CDU mit ihrem „Ja" zur Hessischen Verfassung eine bloße „Gemeinschaftsschule" als Regelschule mittrage, in der zwar von Staats wegen Religionsunterricht erteilt wurde, bei der aber eine christliche Prägung des übrigen Unterrichts nicht gegeben sei. Diese Argumente der LDP verfehlten ihre Wirkung insbesondere bei dem protestantischen Bürgertum nicht. So mußte sich die CDU im Wahlkampf gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, eine „rote Verfassung" mitzutragen.
Der amerikanischen Militärregierung, der die Verfassung zur Genehmigung vorgelegt werden mußte, mißfiel neben einigen weniger wichtigen Artikeln vor allem der Artikel 4l, der sofort mit Inkrafttreten der Verfassung die Sozialisierung bestimmter Unternehmen vorsah. Vertreter der amerikanischen Militärregierung - offenbar deutschen Sozialisierungsbestrebungen abhold - bedrängten die Sprecher von SPD und CDU, diesen Artikel nur als Kann-Bestimmung zu formulieren. Doch Sozialdemokraten und Christdemokraten blieben unnachgiebig. In dieser Situation mochte die Militärregierung nicht gegen ihre eigenen demokratischen Prinzipien verstoßen, indem sie Art. 41 HV einfach verbot. Sie fand den salomonischen Ausweg, über Art. 41 HV eine gesonderte Volksabstimmung anzuordnen, die gleichzeitig mit der Volksabstimmung über die Verfassung stattfinden sollte.
Nach einem lebhaften „Wahlkampf" fanden am l. Dezember 1946 beide Volksentscheide statt. Dabei wurde die Hessische Verfassung mit 76,8%, der Artikel 4l mit 72% der gültigen Stimmen angenommen. Hessen hatte seine „rote" Verfassung erhalten.
Durch den Verfassungskompromiss zwischen SPD und CDU sowie auf Grund der Zustimmung der KPD war eine breite Mehrheit für die Hessische Verfassung beim Volksentscheid zu erwarten.

Wie im Rahmen des Verfassungskompromisses vertraulich vereinbart, bildeten SPD und CDU gemeinsam die Regierung. Ministerpräsident wurde Christian Stock (SPD). Der frühere Gewerkschaftssekretär war nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahr 1933 als Direktor der AOK Frankfurt entlassen und zeitweise in ein KZ verbracht worden. Stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister wurde der hessische CDU-Vorsitzende Dr. Werner Hilpert, der als früherer Zentrumspolitiker mehrere Jahre im KZ Buchenwald inhaftiert war. Weitere Mitglieder der Regierung waren: Justizminister Georg August Zinn (SPD), Heinrich Zinnkann (SPD) als Minister für Inneres und Wiederaufbau, Dr. Erwin Stein (CDU) als Minister für Kultus und Unterricht, Dr. Harald Koch (SPD) als Minister für Arbeit und Wohlfahrt, Karl Lorberg (CDU) als Minister für Ernährung und Landwirtschaft und Gottlob Binder (SPD) als Minister für politische Befreiung.
Obwohl die Bewältigung von Hunger und Not damals zwangsläufig im Vordergrund der Regierungstätigkeit stand und ein ständiges Krisenmanagement erforderte, war das Kabinett Stock bestrebt, grundlegende Reformen durchzuführen. Die Regierung schuf das erste deutsche Betriebsverfassungsgesetz, das die gleichberechtigte Mitbestimmung von Arbeitnehmern in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten vorsah. Bemerkenswert war auch, in welchem Umfang sowohl SPD als auch CDU die Entnazifizierung mittrugen und bestrebt waren, eine demokratische Verwaltung aufzubauen. Kultusminister Stein verwirklichte nicht nur die Schulgeld- und Lernmittelfreiheit an hessischen Schulen, sondern sorgte durch ein Bündel von Maßnahmen auch für die demokratische Erziehung an hessischen Schulen. Zur Verabschiedung des von Kultusminister Stein im Jahr 1950 vorgelegten Schulaufbaugesetzes, das die sechsjährige statt der bisherigen vierjährigen Grundschule vorsah, kam es jedoch nicht. Zu den Mißerfolgen der Regierung gehörte auch, daß die besondere Unternehmensform, die Wirtschaftsminister Harald Koch für die nach Art. 4l sozialisierten Betriebe entwickelte, im Landtag scheiterte.
Wenn die trotz mancher Konflikte im Grunde harmonische Zusammenarbeit von SPD und CDU im Jahr 1950 endete, so lag dies an der deutlichen Wahlniederlage, die die CDU bei den Landtagswahlen vom November 1950 hinnehmen mußte. Der Stimmenanteil der CDU ging von 31% auf 19%, die Zahl ihrer Mandate von 28 auf 12 zurück. Stärkste bürgerliche Partei wurden jetzt die Liberaldemokraten, die - auch dank eines Wahlbündnisses mit der Flüchtlingspartei BHE — 32% der Stimmen und 21 (früher 14) Mandate auf sich vereinigen konnten. Die LDP errang damals ihren größten Wahlerfolg; sie profitierte davon, daß große Teile des protestantischen Bürgertums die CDU noch nicht als überkonfessionelle Partei akzeptierten und auch ihr Regierungsbündnis mit der SPD mißbilligten. Wahlsieger wurde die SPD, die mit 47 Mandaten die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag errang und Georg August Zinn zum neuen Ministerpräsidenten wählte.
Zeitungsmeldung der Frankfurter Rundschau über den Ausgang der Wahlen vom 3. 12. 1949

Ausgelöst wurde diese Diskussion durch die Erinnerung an das demokratiefeindliche Verhalten von Konzernherren der Ruhrindustrie während der Weimarer Republik sowie durch die Rolle der Rüstungsindustrie unter dem NS-Regime; namhafte Wirtschaftsführer waren aus diesem Grund vor dem Alliierten Militärtribunal in Nürnberg angeklagt und verurteilt worden. Angesichts der Demontage deutscher Fabriken und der alliierten Pläne zu einer empfindlichen Einschränkung der deutschen Industrieproduktion erschien die Sozialisierung von Schlüsselindustrien damals auch ein geeigneter Beitrag zu sein, um den Friedenswillen der deutschen Bevölkerung zu demonstrieren. Daher enthielten die meisten Verfassungen der westdeutschen Länder in der Nachkriegszeit mehr oder weniger präzise Ermächtigungsklauseln, die die Sozialisierung von Großunternehmen ermöglichten. Die Hessische Verfassung ging indessen darüber hinaus, indem sie in Art. 4l bestimmte, daß Bergwerke sowie Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, der Energiewirtschaft und des an Schienen oder Oberleitungen gebundenen Verkehrswesens sofort mit Inkrafttreten der Verfassung in Gemeineigentum zu überführen seien.
Gleich nach der Volksabstimmung über die Hessische Verfassung wurden daher für die betroffenen Betriebe zunächst staatliche Treuhänder bestellt. Wirtschaftsminister Harald Koch plante für diese Betriebe eine neue Unternehmensform. Sie sollten nicht einfach verstaatlicht, sondern in einer besonderen Rechtsform als „Sozialgemeinschaften" geführt werden, um durch „rationelle Gestaltung des Wirtschaftsprozesses die bestmögliche Deckung des allgemeinen Bedarfs zu sozial gerechten Preisen" zu erreichen sowie durch besondere soziale Einrichtungen und die Fürsorge für ihre Belegschaftsmitglieder ein Modell für die übrige Wirtschaft darzustellen. In ihrem Verwaltungsrat sollten vor allem Vertreter der Industrie- und Handelskammern, der zuständigen Gewerkschaft sowie des Betriebes selbst sitzen.
Doch die Verwirklichung der Pläne Kochs stieß von Anfang an auf große Widerstände. Größere hessische Betriebe gehörten meist Konzernen, die außerhalb Hessens ihren Sitz hatten, oder - wie die hessischen Kalibergwerke - rasch ihre Verwaltung nach Niedersachsen verlegten. Daher blieb neben kleineren und größeren Braunkohlebergwerken und Lokalbahnen als einziger größerer Betrieb im wesentlichen nur Buderus in Wetzlar übrig. Nachdem die amerikanische Militärregierung im Jahr 1948 ihr Veto gegen die Sozialisierung des Ruhrbergbaus eingelegt hatte, stand Hessen mit seinen Bestrebungen allein.
Die CDU, die 1946 mit der SPD für die Sofortsozialisierung nach Art. 4l gestimmt hatte, versagte vier Jahre später dem Gesetzentwurf über die „Sozialgemeinschaften" ihre Zustimmung. Dazu trugen sicherlich auch Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der sozialisierten Betriebe bei. Diese wurden in den folgenden Jahren teils als Landes- oder Kommunalbetriebe weitergeführt, teils - wie Buderus -später wieder privatisiert.
Der Artikel 41 gehört zu den umstrittensten Kapiteln der hessischen Nachkriegsgeschichte. Die Diskussion wurde ausgelöst durch die Erfahrungen mit den demokratie-feindlichen Konzernherren der Ruhrindustrie in der Weimarer Zeit sowei mit der Rüstungsindustrie in der NS-Zeit. Die Sozialisierung von Schlüsselindustrien erschien nicht nur den Arbeiterparteien, sondern auch katholischen Intellektuellen und Gewerkschaftlern in der CDU ein geeigneter Beitrag, um den Friedenswillen der Deutschen zu demonstrieren. So enthielten die meisten westdeutschen Länderverfassungen Bestimmungen, welche die Sozialisierung von Großunternehmen ermöglichten. Die hessische Verfassung ging aber weiter und bestimmte die sofortige Sozialisierung.
In den Kompromissverhandlungen mit der SPD hatte die CDU erreicht, dass die chemische Industrie nicht sozialisiert werden sollte. Daraufhin gingen viele Protestschreiben von Betreibsvertretungen bei der Verfassungsberatenden Landesversammlung ein.
Artikel 41: "Mit Inkrafttreten dieser Verfassung werden 1. in Gemeineigentum überführt: der Bergbau (Kohlen, Kail, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energierwirtschaft und das an Schienen und Oberleitungen gebundene Verkehrswesen, 2. vom Staate beaufsichtigt oder verwaltet: die Großbanken und Versicherungsunternehmen und diejenigen in Ziffer 1 genannten Betriebe, deren Sitz nicht in Hessen liegt. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Wer Eigentümer eines danach in Gemeineigentum zu überführenden Betriebes oder mit seiner Leitung betraut ist, hat ihn als Treuhänder des Landes bis zum Erlaß von Ausführungsgesetzen weiterzuführen."

Auf deutscher Seite forderten nicht nur die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften im Rahmen ihrer wirtschaftsdemokratischen Konzeption eine weitgehende Mitbestimmung von Arbeitnehmern im Betrieb. Auch die „Frankfurter Leitsätze" der hessischen CDU vom September 1945 bezeichneten das Recht auf Mitbestimmung in den Betrieben als „selbstverständlichen Bestandteil einer modernen Wirtschaftsdemokratie". Ein Gedankenaustausch zwischen führenden katholischen Geistlichen und Unternehmern im Juni 1946 in Limburg kam ebenfalls zu dem Ergebnis, „daß der Arbeiterschaft Rechte gegenüber dem Betrieb einzuräumen seien, in denen ihre Funktion als
mittragender Faktor des Betriebes zum Ausdruck" käme; gedacht war hier konkret an Gewinnbeteiligung und Mitgliedschaft im Aufsichtsrat. Weitergehende Forderungen erhoben neben den Betriebsräten hessischer Fabriken vor allem SPD und Gewerkschaften. Ihr Engagement führte zu dem Artikel 37 Abs. 2 der Hessischen Verfassung: „Die Betriebsvertretungen sind dazu berufen, im Benehmen mit den Gewerkschaften gleichberechtigt mit den Unternehmern in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen des Betriebes mitzubestimmen".
In diesem Sinne verabschiedete der Hessische Landtag im Jahr 1948 das erste Betriebsverfassungsgesetz in Deutschland, das weitgehend Vorbild für die spätere bundesrepublikanische Gesetzgebung wurde. Allerdings mißfiel der amerikanischen Militärregierung, daß die Betriebsräte auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens mitbestimmen sollten; sie sah darin eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Freiheit des Unternehmers. Daher suspendierte die Militärregierung die entsprechenden Bestimmungen des Gesetzes. Zwar wurden die von den Amerikanern verfügten Einschränkungen mit der Wiedererlangung der deutschen Souveränität durch das Besatzungsstatut im Herbst 1949 gegenstandslos, doch auch die späteren Betriebsverfassungsgesetze der Bundesrepublik blieben hinsichtlich der gleichberechtigten Mitbestimmung der Betriebsräte in wirtschaftlichen Angelegenheiten hinter dem hessischen Betriebsverfassungsgesetz von 1948 zurück.
Die amerikanische Militärregierung hatte bereits im August 1945 Arbeitnehmervertretungen zugelassen, um auch die Belegschaften in den Demokratisierungsprozess einzubeziehen. Auf deutscher Seite forderten nicht nur die Arbeiterparteien und Gewerkschaften weitgehende Mitbestimmungsrechte für die Arbeitnehmer. Auch die "Frankfurter Leitsätze" der CDU vom September 1945 bezeichneten das Mitbestimmungsrecht in den Betrieben als "selbstverständlichen Bestandteil einer modernen Wirtschaftsdemokratie". Im Sinne des Artikels 37 der Hessischen Verfassung verabschiedete der Landtag 1948 das erste deutsche Betriebsverfassungsgesetz, das als Vorbild für die spätere Gesetzgebung in der Bundesrepublik galt.
Die Zulassung von betrieblichen Arbeitnehmervertretungen sollte der Durchsetzung der Demokratie dienen. Die Amerikaner erhofften sich vor allem Unterstützung bei der Entlassung von Nationalsozialisten und der Wiedereinstellung von Verfolgten des NS-Regimes.

Auch an politischen und sozialen Aktivitäten ließen sie es nicht fehlen. Zwar traten sie politischen Parteien nur zögernd bei; selbst in der SPD betrug der Anteil weiblicher Mitglieder im Jahr 1946 nur 7 %. Aber in fast allen großen Städten entstanden im Jahr 1945 spontan überparteiliche Frauenausschüsse. In ihnen organisierten sich Frauen, die aus der früheren Frauenbewegung vor 1933 kamen oder angesichts der herrschenden Not soziale Initiativen ergreifen wollten. Sie bekannten sich zu einer Politik des Friedens und setzten sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Eine hervorragende Rolle spielte der Frankfurter Frauenausschuß, der im Januar 1946 Frauen im ganzen Land aufforderte, es ihm nachzutun und Frauenausschüsse zu gründen. In acht Programmpunkten wurden die Ziele der Frauenbewegung zusammengefaßt: Mehr Frauen an führenden Stellen im Erziehungswesen wurden unter anderem gefordert und eine höhere Wertschätzung der Frauenarbeit, vor allem aber die „Gleichberechtigung der Frau", insbesondere das „gleiche Recht auf Arbeit und gleichen Lohn".
Die Gleichberechtigung der Frau in allen Lebensbereichen gehörte auch zu den besonderen Anliegen der Hessischen Verfassung. Die Kasseler Landtagsabgeordnete Elisabeth Seibert trat zunächst erfolgreich dafür ein, daß in die Verfassung die Bestimmung aufgenommen wurde: „Die Frau und der Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleichen Lohn" (Art. 33). Aber auch männliche Abgeordnete setzten sich darüber hinaus für die Gleichberechtigung der Frau auf allen Gebieten des Lebens ein. Daher wurde die im Entwurf des Vorbereitenden Verfassungsausschusses vorgesehene Formulierung: „Im öffentlichen Leben steht die Frau dem Manne gleich", abgelehnt. Dieser Satz erinnerte noch an die Weimarer Verfassung, die den Frauen die Gleichberechtigung nur als Staatsbürgerinnen zuerkannt hatte. Dies war zwar damals ein Fortschritt gewesen, weil Frauen damit das Wahlrecht erhielten, das ihnen vor 1918 im Kaiserreich versagt worden war, doch jetzt genügte dies den Abgeordneten nicht mehr. So hieß es nun in Artikel 1: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und der politischen Überzeugung". Damit war die Hessische Verfassung Vorläufer jener folgenreichen Bestimmung des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt", womit endgültig der beschwerliche Weg weiblicher Emanzipation in der Bundesrepublik beginnen konnte.
"Die Frau und der Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleichen Lohn." (Art. 33 Hessische Verfassung)
Die Gleichberechtigung der Frau gehörte zu den besonderen Anliegen der hessischen Verfassungsgeber. Die Kasseler Abgeordnete Dr. Elisabeth Selbert trat zunächst erfolgreich in der Verfassungsberatenden Landesversammlung dafür ein, dass Artikel 33 - gleicher Lohn für gleiche Tätigkeit und Leistung - in die Verfassung aufgenommen wurde. Auf breiter Basis setzten sich die Abgeordneten darüber hinaus für die Gleichberechtigung der Frau auf allen Gebieten des Lebens ein. Artikel 1 verankerte die Gleichheit von Mann und Frau "vor dem Gesetz". Damit war die Hessische Verfassung Vorläuferin jener folgenreichen Bestimmungen in Artikel 3 des Grundgesetzes: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."
Ohne die "Trümmerfrauen" wäre der Wiederaufbau undenkbar gewesen. Doch die Frauen haben nicht nur Steine "geklopft", oft genug haben sie das Unternehmen, das Geschäft oder den Bauernhof selbstständig weitergeführt, weil der Ehemann im Krieg gefallen oder vermisst war.

Auch Kultusminister Erwin Stein (1947-1950) war bemüht, das autoritäre Klima an den deutschen Schulen aufzulockern. In diesem Sinne forderte er im September 1948 neue Formen des Schullebens: Dieses sollte „dem natürlichen Arbeits- und Familienleben angepaßt werden und in nichts mehr dem Drill einer Kadettenanstalt" gleichen. In dem Bestreben, den Abiturienten nicht als weltfremden Gebildeten, sondern als aktiven und kenntnisreichen Staatsbürger aus der Schule zu entlassen, erließ Stein 1948 neue Lehrpläne für das Fach „Politischer Unterricht". Um dafür geeignete Lehrkräfte ausbilden zu können, schuf wenig später Hessen als erstes Bundesland Lehrstühle für „Politische Wissenschaften" an den Universitäten. Sie wurden mit herausragenden Persönlichkeiten wie Eugen Ko-gon (TH Darmstadt) und Walter Abendroth (Universität Marburg) besetzt.
Wichtige Neuerungen hatte auch die Hessische Verfassung gebracht. An allen staatlichen Schulen und Hochschulen herrschte nach Art. 59 künftig Schulgeldfreiheit; kein begabtes Kind sollte weiterführende Schulen und Universitäten nur deshalb nicht besuchen können, weil die Eltern das Schulgeld nicht aufbringen konnten. Um begabten Kindern aus finanziell schwächergestellten Familien gleiche Bildungschancen zu geben, sollten Erziehungsbeihilfen gezahlt werden. Auch Lernmittel wie z. B. Schulbücher waren den Schülern unentgeltlich zur Verfügung zu stellen (Art. 59 HV).
Ferner bestimmte die Hessische Verfassung in Artikel 56: „An allen hessischen Schulen werden die Kinder aller religiösen Bekenntnisse und Weltanschauungen in der Regel gemeinsam erzogen werden." Daß damit die Gemeinschaftsschule und nicht die Konfessionsschule zur Regelschule erklärt wurde, entsprach eigentlich einer alten hessischen Tradition. Bereits seit 1817 gingen die Kinder aller Konfessionen im Herzogtum Nassau gemeinsam zur Schule, seit 1874 auch im Großherzogtum Hessen(-Darmstadt). Nur in Kurhessen war noch — wie in Preußen üblich — bis 1933 die Konfessionsschule die Regel; anschließend waren auch hier die meisten Konfessionsschulen durch Gemeinschaftsschulen ersetzt worden.
Leicht war der CDU der Verzicht auf Konfessionsschu-
len nicht gefallen. Sie hatte sich in der Verfassungberatenden Versammlung zunächst dafür eingesetzt, daß es dem Votum der Eltern überlassen bleiben sollte, ob am jeweiligen Ort eine Konfessionsschule, eine weltliche oder eine christliche Gemeinschaftsschule (bei der der Unterricht auch über den Religionsunterricht hinaus vom christlichen Gedankengut geprägt werden sollte) errichtet sein sollte.
Im Verfassungskompromiß stimmte schließlich die CDU der Gemeinschaftsschule als Regelschule zu, die SPD gab dagegen dem Wunsch der CDU nach Zulassung von privaten (d.h. auch konfessionellen) weiterführenden Schulen nach. Daß in Hessen das staatliche Schulwesen nun aus Gemeinschaftsschulen bestand, erleichterte auf dem Lande auch die Integration der Flüchtlingskinder, die oft einer anderen Konfession als die einheimische Bevölkerung angehörten. Während in benachbarten Ländern wie Rheinland-Pfalz die Konfessionsschulen (unter ihnen viele Zwergschulen auf dem Lande) erst später mühsam abgeschafft wurden, hatte Hessen mit der Entscheidung für die Gemeinschaftsschule als Regelschule die Grundlage für ein modernes Schulwesen gelegt, auf dem spätere Schulreformen aufbauen konnten.
Doch standen im Jahr 1947 noch weitere Schulreformen zur Debatte. Im Juni verabschiedete der Alliierte Kontrollrat in Berlin eine Direktive, die eine grundlegende Reform des deutschen Bildungswesens verlangte. Zwar war die Forderung nach Schulgeld- und Lernmittelfreiheit durch die hessische Verfassung schon erfüllt. Doch andere Wünsche der Alliierten nahmen die bildungspolitische Diskussion späterer Jahrzehnte in der Bundesrepublik vorweg. Dazu gehörte neben der Forderung nach Hochschulausbildung für alle Lehrer auch die Einführung der Einheitsschule (Gesamtschule).
Anlaß für diese Forderung der amerikanischen Militärregierung war eine grundlegende Kritik am traditionellen deutschen Schulsystem:
Die Dreigliederung des Schulsystems in Volks-, mittlere und höhere Schulen nach dem 4. Schuljahr entspreche nicht dem Charakter einer „offenen" demokratischen Gesellschaft. Da es ab dem 5. Schuljahr kaum Möglichkeiten gebe, den Schultyp zu wechseln, gerieten die Schüler sozusagen in Sackgassen: Mit der Schulwahl im Alter von 10 Jahren entscheide sich bereits, ob ein Kind später Beamter im höheren oder im mittleren Dienst werde, je nachdem, ob es aufs Gymnasium wechsele oder auf der Grundschule bliebe.
Im Jahr 1948 kam es daraufhin zu dem berühmt gewordenen hessischen Schulkonflikt, als die amerikanische Militärregierung Kultusminister Stein ultimativ aufforderte, innerhalb weniger Wochen als ersten Schritt zur „Einheitsschule" die sechsjährige - statt der vierjährigen -Grundschule einzuführen. Dieses Verlangen führte zu einer leidenschaftlichen öffentlichen Diskussion. Nicht nur die katholische und die evangelische Kirche, sondern auch die Universitäten und selbstverständlich die Gymnasiallehrer protestierten auf das energischste. Der Landesverband Hessen für Höhere Schulen erklärte, die bisherige Dreiteilung des Schulwesens sei „biologisch begründet" und daher nicht reformierbar.
Auch Kultusminister Stein konnte und wollte dem plötzlichen amerikanischen Ultimatum nicht nachkommen, schließlich wäre es Sache des gewählten Landtages gewesen, ein entsprechendes Schulgesetz zu beschließen. Um Zeit zu gewinnen, verschob Stein den Schuljahresbeginn um sechs Monate auf Anfang 1949. Die amerikanische Militärregierung wiederum scheute letztlich vor einer Anordnung kraft Besatzungshoheit zurück und bestand nicht länger auf einer Reform, von der große Teile des deutschen Bürgertums fürchteten, nun würde auch noch das — wie man glaubte - bestens bewährte deutsche Schulsystem in den Strudel des Zusammenbruchs gezogen.
Das Scheitern dieses Reformversuchs bestätigte auch amerikanische Kritiker, die schon frühzeitig vor der Utopie gewarnt hatten, daß man ein Bildungssystem exportieren könne. Denn es zeigte sich, daß die amerikanischen Erziehungsoffiziere am erfolgreichsten waren, wenn sie pragmatisch vorgingen und ihre Anregungen von deutschen Kultusbehörden und Schulreformern aufgegriffen werden konnten, weil sie auch im Trend deutscher Reformvorstellungen lagen. Dies war in bemerkenswerter Weise bei der Neugestaltung des Schullebens zum Beispiel durch Einführung des Politischen Unterrichts und der Schülermitverwaltung der Fall; hier begegneten sich deutsche und amerikanische Bildungspolitiker in dem gemeinsamen Ziel, deutsche Schüler künftig nicht nur zu Bildungsbürgern, sondern auch zu Staatsbürgern zu erziehen.
"In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich. Unentgeltlich sind auch die Lernmittel...Das Gesetz muss vorsehen, dass für begabte Kinder sozial Schwächergestellter Erziehungsbeihilfen zu leisten sind." (Art. 59 Hessische Verfassung)
Die Wiedereröffnung der Schulen im Herbst 1945 war nicht einfach: Nach Zerstörungen und Beschlagnahmungen vieler Schulgebäude herrschten enorme Raumprobleme; viele Lehrer waren aufgrund der radikalen Entnazifizierung entlassen worden, während die Schülerzahlen - nicht zuletzt wegen des Flüchtlingszustromes - stark anstiegen. 65-85 Schüler in einer Klasse waren keine Seltenheit. Trotz der widrigen Umstände bemühten sich Schulreformer, das Schulleben grundlegend neu zu gestalten. Wichtige Vorraussetzungen schuf die Hessische Verfassung. Sie legte die konfessionelle Gemeinschaftsschule fest (Art. 56). Diese war bereits seit 1817 in Nassau und seit 1874 in Hessen-Darmstadt die Regel gewesen. In Kurhessen gab es hingegen bis 1933 die Konfessionsschule. Artikel 1959 bestimmte, dass an allen staatlichen Schulen und Hochschulen Schulgeld- und Lernmittelfreiheit gelten sollten und dass für begabte Kinder aus schwächergestellten Familien Erziehungsbeihilfen zu gewähren seien.
Nach dem Einmarsch hatten die Amerikaner die Schulen zunächst geschlossen. Erst nach der Entlassung aller nationalsozialistischen Lehrer wurden sie wieder eröffnet.

LITERATURAUSWAHL UND WEITERFUEHRENDE LINKS
Eine ausführlichere Bibliographie zum Thema bietet die Hessische Landesbibliothek Wiesbaden unter dem Titel an: Demokratischer Neuanfang in Hessen. Eine Auswahlbibliographie zur Entwicklung von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft in der Nachkriegszeit (1945-1955), bearb. v. Wolfgang Podehl, Wiesbaden 1996.
Eine aktuelle Literaturauswahl zur Hessischen Landesgeschichte u.a. bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden unter
http://www.hlz.hessen.de/index.php?id=publikationen
Literaturliste zur Ausstellung
Baiser, Frolinde: Aus Trümmern zu einem europäischen Zentrum. Geschichte der Stadt Frankfurt am Main 1945-1989, Sigmaringen 1995 (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission 20)
Beier, Gerhard: Arbeiterbewegung in Hessen, Zur Geschichte der hessischen Arbeiterbewegung durch einhundertfünfzig Jahre (1834-1994), Franfurta.M. 1984
Berding, Helmut: Die Entstehung der Hessischen Verfassung. Eine Dokumentation, Wiesbaden 1996 (Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen 10 = Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 58)
Bergsträsser, Ludwig: Befreiung, Besatzung, Neubeginn. Tagebuch des Darmstädter Regierungspräsidenten 1945—1948, hg. von Walter Mühlhausen, München 1987
Böhme, Klaus und Mühlhausen, Walter (Hg.): Hessische Streiflichter. Beiträge zum 50. Jahrestag des Landes Hessen, Frankfurt a.M. 1995
Bungenstab, Karl-Ernst: Umerziehung zur Demokratie? Re-educati-on-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945—1949, Düsseldorf 1970
Fedler, Patricia: Anfänge der staatlichen Kulturpolitik in Hessen nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1955), Wiesbaden 1993 (Beiträge zur Geschichte Nassaus und des Landes Hessen 1) Gimbel, John: Eine deutsche Stadt unter amerikanischer Besatzung.
Marburg 1945-1952, Köln/Berlin 1964 Glaser, Heike: Demokratischer Neubeginn in Wiesbaden, Wiesbaden
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Greven, Michael Th./Schumann, Hans-Gerd (Hg.): 40 Jahre Hessische Verfassung — 40 Jahre Politik in Hessen, Opladen 1989 Härtel, Lia: Der Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebiets,
Stuttgart/Köln 1951 Heidenreich, Bernd/Schacht, Konrad (Hg.), Hessen - Eine politische
Landeskunde, Stuttgart/Berlin/Köln 1993
Henke, Klaus-Dietmar: Die amerikanische Besatzung Deutschlands, München 1995 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, hg. v. Institut für Zeitgeschichte 27)
Königseder, Angelika/Wetzel, Juliane: Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DPs im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt a.M. 1994
Kropat, Wolf-Arno: Hessen in der Stunde Null 1945/1947. Politik, Wirtschaft und Bildungswesen in Dokumenten, Wiesbaden 1979 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 26)
ders.: Jüdische Gemeinden, Wiedergutmachung, Rechtsradikalismus und Antisemitismus nach 1945, in: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben, Wiesbaden 1983, S. 447-508 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen 6)
Langer, Ingrid (Hg.)/Ley, Ulrike/Sander, Susanne: Alibi-Frauen? Hessische Politikerinnen, Bd. I: In den Vorparlamenten 1946-1950; Band II: Im 1. und 2. Hessischen Landtag 1946-1952, Frankfurt a.M. 1994/95
dies.: Frauenpolitik in Hessen nach 1945, in: Hessen. Gesellschaft und Politik, hg. v. Bernd Heidenreich und Konrad Schacht, Wiesbaden 1995, S. 194ff.
Lengemann, Jochen: Das Hessen-Parlament 1946—1986, Frankfurt a.M. 1986
Messerschmidt, Rolf: Aufnahme und Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in Hessen 1945—1950. Zur Geschichte der hessischen Flüchtlingsverwaltung, Wiesbaden 1994 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 55)
Moritz, Klaus/Noam, Ernst: NS-Verbrechen vor Gericht. Dokumente aus hessischen Justizakten, Wiesbaden 1978 (Justiz und Verfolgung 2, Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen II)
Mühlhausen, Walter: Hessen 1945-1950. Zur politischen Geschichte eines Landes in der Besatzungszeit, Frankfurt a.M. 1985
ders.: Die Entscheidung der amerikanischen Besatzungsmacht zur Gründung des Landes Hessen 1945, in: Nassauische Annalen 1985, S. 197-232
OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949, hg. v. Christoph Weisz, München 1994 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, hg. v. Institut für Zeitgeschichte 35)
Stein, Erwin (Hg.): 30 Jahre Hessische Verfassung, Wiesbaden 1976
Weiß-Hartmann, Anne: Der Freie Gewerkschaftsbund Hessen 1945-1949, Marburg 1977 (Schriftenreihe für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung 2)
Wiedemann, Andreas: Zwischen Kriegsende und Währungsreform. Politik und Alltag in den Landkreisen Friedberg und Büdingen 1945-1949 (Wetterauer Geschichtsblätter 43, Teil 2: Studien und Erinnerungen zur Geschichte der Wetterau zwischen Machtergreifung und Wiederaufbau, hg. v. Michael Keller)
Zimmer, Erhard: Die Geschichte des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1976 (Studien zur Frankfurter Geschichte 12)
Abkürzungsverzeichnis
BE Bensheim, Stadtarchiv
BEKD Berlin, Archiv des Diakonischen Werkes der
Evangelischen Kirche Deutschlands
BUB Berlin, Ullstein Bilderdienst
BOSD Bonn, Archiv der Sozialen Demokratie
BOBT Bonn, Archiv des Deutschen
Bundestages
BH Bad Homburg, Stadtarchiv
BU Butzbach, Stadtarchiv
D Darmstadt, Hessisches Staatsarchiv
DSA Darmstadt, Stadtarchiv
F Frankfurt, Institut für Stadtgeschichte
FAP Frankfurt, Associated Press
FDPA Frankfurt, Deutsche Presse Agentur
FNP Frankfurter Neue Presse, Archiv
FHR Frankfurt, Archiv des Hessischen Rundfunks
FHM Frankfurt, Historisches Museum
FFB Frankfurt, Fritz Bauer Institut
FLB Frankfurt, Landesbildstelle
FU Fulda, Stadtarchiv
G Gießen, Stadtarchiv
H Hanau, Stadtarchiv
HB Hanau, Bildstelle
K Kassel, Stadtarchiv
KM Kassel, Stadtmuseum
M Mainz, Stadtachiv
OU Oberursel, Stadtarchiv
R Rüsselsheim, Stadtarchiv
W Wiesbaden, Hauptstaatsarchiv
WSA Wiesbaden, Stadtarchiv
WHL Wiesbaden, Archiv des Hessischen Landtags
WZ Wetzlar, Stadtarchiv