„Da der Bau für das historische Stadtbild Marburgs von großer Bedeutung sein musste, wurden diese Planungsarbeiten besonders sorgfältig betrieben... Ein Bau dieser Größe sollte und musste sich auch dem kulturellen Aufbau des Dritten Reichs würdig einfügen...“ hieß es nach der Fertigstellung des Neubaus des Staatsarchivs Marburg rückblickend in der Kurhessischen Landeszeitung.Seit seiner Gründung 1870 hatte sich das Staatsarchiv im Landgrafenschloss befunden; doch der Raum für Arbeitsplätze und Magazine war schon rasch sehr beengt. Bereits 1915 äußerte der damalige Archivdirektor Friedrich Küch den Wunsch nach einer Erweiterung der Räumlichkeiten. Doch erst ab 1934 waren die finanziellen Rahmenbedingungen derart beschaffen, dass ernsthaft mit den Planungen begonnen werden konnte.
Als Bauherr fungierte der preußische Staat. Die für die architektonische Gestaltung verantwortlichen Architekten waren Alfred Henrich, Baurat am Marburger Staatshochbauamt 1, sowie Konrad Nonn aus der Hochbauabteilung des preußischen Finanzministeriums. Nonn stand für eine Gruppe völkisch orientierter Architekten, die sich gegen modernere Strömungen wie das Bauhaus sperrten. So entstand ein Archivzweckbau, der stark den nationalsozialistischen Architekturgeschmack widerspiegelt. Der Grundcharakter ist klassizistisch, mit der Verwendung antikisierender Formen insbesondere im Foyer. Dazu beherrschten etliche nationalsozialistische Symbole, vor allem Hakenkreuze, gerade den öffentlich begehbaren Trakt des Gebäudes. Da das Staatsarchiv trotz mehrerer Bombentreffer bei einem Luftangriff im Februar 1945 kaum zerstört wurde und auch später wenige bauliche Veränderung erfuhr, steht es als authentisches Beispiel für nationalsozialistische Architektur in Oberhessen. Lediglich die Herrschaftssymbole des Dritten Reiches sind nach dem Krieg weitgehend entfernt worden – die folgenden Bilder dokumentieren den Urzustand 1938.
Quellen und weiterführende Literatur:
Leiskau, Katja: Der Neubau des Staatsarchivs in Marburg 1935-1938, Marburg 1999.
HSTAM Slg 7d, Nr. f1, f15: Neubau des Staatsarchivs (Fotoalben).
HSTAM Best. 156e, Nr. 1534: Luftangriff auf das Staatsarchiv am 12.03.1945 sowie Maßnahmen nach der Besetzung des Gebäudes durch die Amerikaner
HSTAM Best. 156e, Nr. 1596-1602: Neubau des Staatsarchivs
HSTAM Best. 190a, Nr. 116: Veröffentlichungen über den Neubau des Staatsarchivs
Unter starker Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wurde am 22. Oktober 1938 der Neubau des Staatsarchivs am damaligen Adolf-Hitler-Platz (heute Friedrichsplatz) eingeweiht. Auf der Gästeliste standen unter anderem die am Projekt beteiligten Künstler, Vertreter der Handwerksunternehmen und Mitglieder der Bauverwaltung.
Die namhaftesten Gäste waren aber (siehe Bild von links nach rechts): Oberpräsident Prinz Philipp von Hessen, Finanzminister Dr. Johannes Popitz, Gauleiter Karl Weinrich und Regierungspräsident Mombart. Baurat Schwedes, örtlicher Leiter der Hochbauverwaltung, übergab Finanzminister Popitz symbolisch die Schlüsselgewalt. Dieser überreichte den Schlüssel wiederum an den Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, Ernst Zipfel.
"In Marburg ist ein Neubau entstanden, der ein glänzendes Beispiel ist für den Baustil des Dritten Reiches," hieß es in den Kasseler Neuen Nachrichten vom nächsten Tag.
Architektonische Elemente mit nationalsozialistischen Symbolen konzentrierten sich in der Treppenhalle. Zentraler Blickpunkt war die Tür zum Ausstellungssaal (heutiger Landgrafensaal) mit einer Hitler-Büste (linkes Bild). Oberpräsident Prinz Philipp von Hessen missfiel jedoch der Entwurf des Bildhauers Heinrich Jobst ästhetisch. Deshalb wurde die Büste (rechtes Bild) schon früh aus der Nische über der Tür entfernt. Bis Kriegsende kam kein weiterer Entwurf mehr zustande. Der Verbleib der ursprünglichen Bronzebüste nach 1945 ist unbekannt.
Letzter heute noch sichtbarer Überrest der nationalsozialistischen Herrschaftssymbole im Foyer ist das Goldmosaik aus mäandrierenden Hakenkreuzen. Die Arbeit der Berliner Firma Wagner ist typisch für die Ornamentik der Zeit. Ähnliche Mosaiken fanden sich in der Empfangshalle der Alten Reichskanzlei in Berlin, am Ehrentempel am Münchener Königsplatz und zwischen den Pilastern des Turmpylons bei der Pariser Weltausstellung.
Am engsten verbinden sich landesgeschichtliche und nationalsozialistische Motive am Figurenbrunnen im Innenhof. Er zählte zu drei Kunstwerken aus Sandstein, die der Bildhauer Gustav Scheinpflug für das Staatsarchiv schuf. Die zentrale Säule wird durch den hessischen Löwen mit Wappenschild bekrönt. Die Figurenpaare stehen für faschistische Gesellschaftsideale. Zu sehen sind:
- ein Soldat und ein Bauer, die für den "Nähr- und Wehrstand" stehen sollen
- Handwerker und Architekt stehen als Bildpaar für die Gleichwertigkeit, körperlicher und geistiger Arbeit ("Arbeiter der Stirn und der Faust")
- eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn und ein Mädchen. Die Mutter badet ihr Kind in einer Schale, während das Mädchen ein Krug mit Wasser bringt. Der Wirkungskreis der Frau lag im Nationalsozialismus im familiären und häuslichen Bereich ("Hüterinnen der Art").
- eine Siegesgöttin überreicht einem Diskuswerfer einen Lorbeerzweig. Dieses Relief steht für das hohe Ideal sportlicher Leistungen in der faschistischen Ideologie. Tugenden wie Disziplin, Kraft und Ausdauer stehen dabei eng in Zusammenhang mit militärischen Mustervorstellungen.
Auf den Flächen zwischen den Figurenpaaren befanden sich mit Eichenlaub umkränzte Hakenkreuze. Diese Kreuze wurden nach dem Krieg ausgemeißelt.
Zu den Kunstwerken, die der Bildhauer Scheinpflug gestaltete, zählte auch der Reichsadler über der Hofausfahrt. Auch er thronte über einem Hakenkreuz, dass nach dem Krieg ausgemeißelt wurde. Sein Gegenstück auf der Hofeinfahrt ist die Skulptur des "Bücherwurms" vom gleichen Künstler.