
Eine Ausstellung im Hessischen Staatsarchiv Marburg vom 22. September 2005 bis 28. Februar 2006
Die Ausstellung "Die Gegenwart bezwingen" stellt sieben Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vor, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit Politik und Kultur in Nordhessen und weit darüber hinaus prägten:
- Fritz Hoch als Regierungspräsident, Sozialdemokrat und gefragter Verwaltungsfachmann,
- Cuno Raabe als Oberbürgermeister in Fulda und engagierter Christdemokrat,
- August Martin Euler als Landrat in Bad Hersfeld und liberaldemokratische Führungspersönlichkeit,
- Hermann Bauer als Marburger Lokalpolitiker der "ersten Stunde",
- Friedrich Happich als Präses der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck,
- Hans Carl Müller als Intendant des Kasseler Staatstheaters sowie
- Edward Yarnell Hartshorne als amerikanischer Besatzungsoffizier.

Fritz Hoch wird am 10. Mai 1945 als kommissarischer Oberpräsident der Provinz Kurhessen eingesetzt. Amtssitz ist Kassel, das zu 75% zerbombt wurde und damit zu den am meisten zerstörten Städten in Deutschland zählt. Das Trümmerfeld dehnt sich auf etwa 180 Hektar aus. Da es noch keine Landesregierung gibt, ist Hoch für die Verwaltung aller staatlichen Aufgaben verantwortlich: in seinen Zuständigkeitsbereich fällt es, die Sicherheit und Ordnung nach den Kriegswirren wiederherzustellen, die Menschen zum Wohnen und Arbeiten unterzubringen und die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen.
Da Hessen wie auch die anderen westlichen Besatzungszonen von den Kornkammern des Ostens abgeschnitten ist und die hessische Landwirtschaft den Bedarf der Bevölkerung nicht decken kann, gestaltet sich die Versorgungssituation äusserst kritisch. Die Verwaltung verordnet eine Zwangsbewirtschaftung, deren Koordination das Landesernährungsamt übernimmt: es erfaßt die Mengen der von den Landwirten ablieferten Ernten und organisiert über Lebensmittelmarken ihre Verteilung an die Bevölkerung. Mit mäßigem Erfolg, denn in den Jahren 1946 und 1947 liegen die Tagesrationen bei durchschnittlich 1.300 Kalorien pro Kopf, während der Bedarf normalerweise 2.000 Kalorien betrüge. Die Krise wird erst nach der Währungsreform 1948 überwunden.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Angesichts der Zerstörungen vor allem auch der Verkehrswege und in Anbetracht des Rohstoffmangels ist an Gewerbefreiheit nicht zu denken. Hessischer Wirtschaftsminister und Regierungspräsident genehmigen nur einzeln auf Antrag Industriebetriebe und Unternehmen. Andere Regierungsstellen wie das Landeswirtschaftsamt, die Industrie- und Handelskammer oder die Handwerkskammer sind in die Lizensierungsverfahren eingebunden und beraten mit.
Wie die beiden anderen hessischen Regierungspräsidenten, Ludwig Bergsträsser in Darmstadt und Martin Nischalke in Wiesbaden, ist auch Fritz Hoch Sozialdemokrat. Die SPD kann im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien bei ihrer Reorganisation auf Strukturen und Personal zurückgreifen, die das NS-Regime überlebt haben. Sie bleibt sich programmatisch treu und tritt weiterhin für eine maßvolle Wirtschaftslenkung und Sozialisierung sowie eine ausgeprägte Sozialstaatspolitik ein. Im Oktober 1947 wählt die SPD- Hessen Georg-August Zinn zu ihrem Landesvorsitzenden. Der gebürtige Kasseler ist wie Fritz Hoch und die Kasselerin Elisabeth Selbert 1948/1949 Abgeordneter im Parlamentarischen Rat. Außer den drei Sozialdemokraten kommt aus Nordhessen noch der Hersfelder Max Becker als Vertreter der LDP/FDP nach Bonn, um am Grundgesetz der Bundesrepublik mitzuarbeiten.
Fritz Hoch
Fritz Hoch wird am 21. Oktober 1896 als Sohn des Journalisten und SPD-Reichstagsabgeordneten Gustav Hoch in Zürich geboren, vebringt seine Kindheit und Jugend aber in Hanau. Er studiert in Marburg, Würzburg und Frankfurt Rechstwissenschaften, tritt 1919 in die SPD ein und promoviert 1923. 1926 wird er Regierungsrat im Preußischen Innenministerium, muss aus politischen Gründen aber 1932 nach Kassel wechseln. Er ist dort von 1933-45 erst Dezernent für Kommunales und dann für Sparkassen- und Wasserrechtsangelegenheiten.
Wenige Tage nach Kriegsende beruft ihn die amerikanische Militärregierung zum Oberpräsidenten von Kurhessen, 1948 wird er Regierungspräsident (RP) von Kassel. Dieses Amt versieht er bis zu seiner Pensionierung 1961. Hochs Einfluss auf die Entwicklung Hessens geht weit über seine Tätigkeit als RP Kassel hinaus. Er gehört 1946 der Kommission zur Vorbereitung der Hessischen Verfassung an und wird 1948 Mitglied der hessischen Kabinettskommission zur Vorbereitung der Verwaltungsreform. Als SPD-Abgeordneter für Nordhessen legt Hoch im Parlamentarischen Rat 1948/49 seine Schwerpunkte auf die Themen Völkerrecht, Bundesrecht, Gesetzgebung des Bundes und Berufsbeamtentum.
Ab 1952 ist er Mitglied im Verwaltungsrat des Hessischen Rundfunks und übernimmt nach seiner Pensionierung 1962 dessen Vorsitz. Mit einem ausgeprägten Interesse an Fragen der Bildungspolitik ist Hoch zudem Ehrensenator der Universität Marburg, Vorsitzender des Hessischen Landesverbandes für Erwachsenenbildung und Vorstandsmitglied des Deutschen Volkshochschulverbandes. Für seine Verdienste um den Wiederaufbau und das Wohl seiner Mitbürger wird er mit dem Großen Bundesverdienstkreuz, der Goethe- und der Freiher-vom-Stein-Plakette, der Wilhelm-Leuschner-Medaille und der Ehrenplakette der Stadt Kassel ausgezeichnet. Fritz Hoch stirbt am 19.10.1984 in Kassel.
Kassel gehört zu den am stärksten zerstörten Städten Deutschlands. Um den Wiederaufbau zu beschleunigen, ordnet Oberbürgermeister Seidel den Einsatz nicht nur der Bürger, sondern vorne weg die Beteiligung der städtischen Beamten an der Trümmerbeseitigung an.
Mitglieder des Staatstheaters beteiligen sich im Juni 1946 an der Trümmerbeseitigung am Ständeplatz in Kassel.
Die Versorgung der hessischen Bevölkerung mit Lebensmitteln ist eins der größten Probleme der Nachkriegsjahre - vor allem in den Städten. Aufgrund der schlechten Ernährungslage blüht der Schwarzmarkt in allen Formen. So bringen gewiefte Fälscherbanden nachgedruckte Lebensmittelmarken in den Umlauf. Die "glücklichen" Besitzer falscher Marken können zwar für sich - wenn es dem Lebensmittelhändler nicht gleich auffällt - größere Rationen beziehen. Insgesamt verbraucht sich die Gesamtmenge der verfügbaren Lebensmittel so aber schneller und verschärft die Unterversorgung. Das Landesernährungsamt versucht durch eine strenge Kontrolle der Markenrückführung, die Fälschungen einzudämmen, ist damit aber nur mäßig erfolgreich.
Um die Verteilung der knappen Verbrauchsgüter nach Kriegsende gerechter zu gestalten, bilden sich in manchen hessischen Städten Verbraucherausschüsse. Die Mitglieder sind von den Städteparlamenten gewählt und beraten das jeweilige Wirtschaftsamt der Stadt bei den Entscheidungen, wem welche Anträge zu bewilligen sind und wem nicht. Kriterien sind Bedürftigkeit, aber auch das politische Verhalten der Antragsteller während der NS-Zeit. Das Landeswirtschaftsamt fördert die Einrichtung solcher Ausschüsse und macht sie im November 1947 landesweit obligatorisch.
Die schlechte Ernährungslage in Hessen führt auch zu Kuriositäten. So weist die Fachabteilung Getreide- und Futtermittel der Firma Döppner & Maus in Fulda Bezugsscheine über pflanzliche Futtermittel für Hunde zu, wie das Schreiben vom 14. Juni 1948 zeigt.
Der Wiederaufbau der Wirtschaft in Hessen gestaltet sich schwierig. Der Mangel an verfügbaren Gebäuden, Rohstoffen und die Zerstörung der Verkehrswege erschweren die Ankurbelung der Produktion ebenso wie bürokratische Hürden, die kreative und spontane Entscheidungen nicht selten verhindern.
Elisabeth Selbert
Elisabeth Selbert wird am 22. September 1896 als eine von vier Töchtern eines Justizangestellten in Kassel geboren. Da die höhere Schulbildung im ausgehenden Kaiserreich für Mädchen noch nicht auf der Tagesordnung steht und sich ihre Familie kein Schulgeld leisten kann, verlässt sie ohne Mittlere Reife mit 16 Jahren die Schule und arbeitet als Auslandskorrespondentin und Postgehilfin. Erst in den zwanziger Jahren holt sie über den zweiten Bildungsweg das Abitur nach, studiert als einzige Frau in Marburg, dann als eine von immerhin fünf Frauen Jura in Göttingen und promoviert 1930. Sie arbeitet fortan als Anwältin und widmet sich vor allem dem Familien- und Scheidungsrecht.
Von 1918 an engagiert sie sich in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands für die Emanzipation der Frau. Ihre Kandidatur für den Reichstag 1933 scheitert an der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Nach 1945 gehört Selbert dem Hessischen Landesvorstand der Partei an und konzentriert sich vor allem auf Frauen-, Rechts- und verfassungspolitische Fragen. Als eine von vier Frauen im Parlamentarischen Rat wirkt sie mit an der Erarbeitung des Grundgesetzes und setzt in harten Kämpfen die Aufnahme des Artikel 3, Abs. 2 "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" in das Grundgesetz durch. Von 1946 bis 1958 gehört sie für den Wahlkreis Kassel dem Hessischen Landtag an. Dann zieht sie sich aus der aktiven Politik zurück und betreibt wieder ihre Anwaltspraxis in Kassel. Elisabeth Selbert stirbt am 9. Juni 1986 im Alter von 89 Jahren.
Georg August Zinn
Georg August Zinn ist einer der "Gründerväter" Hessens und der Bundesrepublik Deutschland. Er wird am 27.5.1901 in Frankfurt/Main geboren. Schon früh interessiert er sich für Politik und tritt mit 19 Jahren in die SPD ein. Nach Abschluss der Schule und drei Jahren Verwaltungsdienst studiert er in Göttingen und Berlin Jura und legt 1927 und 1931 beide Staatsexamen ab. Er zieht 1928 nach Kassel, läßt sich dort als Rechtsanwalt nieder und wird 1929 Stadtverordneter. Aufgrund seiner politischen Tätigkeit für die SPD wird Zinn zu Beginn des NS-Regimes inhaftiert. 1941 zieht ihn die Wehrmacht ein, und er gerät 1945 kurzzeitig in Kriegsgefangenschaft.
Nach seiner Heimkehr wird er Landgerichtsdirektor in Kassel, jedoch beruft ihn bereits wenige Tage später die amerikanische Militärregierung im Oktober 1945 zum Justizminister in das Kabinett von Ministerpräsident Karl Geiler - eine Funktion, die er auch nach der ersten Landtagswahl im Kabinett von Ministerpräsident Christian Stock beibehält. Er wirkt 1946 an der Erarbeitung der Hessischen Landesverfassung mit und ist 1948 Mitglied des Parlamentarischen Rates, in dem er u.a. den Vorsitz des einflussreichen Redaktionsausschusses innehat. Ab August 1949 vertritt er als SPD-Abgeordneter den Wahlkreis Kassel im Deutschen Bundestag.
Nach den hessischen Landtagswahlen 1950 wird Zinn Ministerpräsident des Landes und bleibt dies bis zu seinem Zurücktreten aus gesundheitlichen Gründen im Jahr 1969. In der Zeit von 1950 bis 1963 nimmt er als Ministerpräsident in Personalunion auch die Geschäfte des Justizministers wahr. Dem Hessischen Landtag gehört er von 1954 bis 1970 an. Er trägt die Ehrenbürgerwürde der Städte Kassel, Frankfurt am Main und Wiesbaden, das Großkreuz des Bundesverdienstkreuzes und wird mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille ausgezeichnet. Er stirbt am 27. März 1973 im Alter von 71 Jahren.
Max Becker
Max Becker, geboren 25. Mai 1888 in Kassel und Sohn eines Eisenbahnbeamten, studiert in den Jahren 1906 bis 1909 Rechtswissenschaften und Nationalökonomie an den Universitäten Grenoble, Marburg, Halle und Berlin und promovierte 1910 zum Dr. jur. 1913 lässt er sich als Rechtsanwalt in Bad Hersfeld nieder.
Becker entstammt einer Familie mit liberaler Tradition bis in das 19. Jahrhundert hinein. Er gehört 1919 zu den Gündern der nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) in Kassel und betreibt in den kommenden Jahren Kommunalpolitik, 1919-1921 im Kreis Hersfeld, ab 1922 als Mitglied des Kurhessischen Kommunallandtags. Während der Zeit der NS-Herrschaft enthält sich Becker jeden politischen Engagements.
Neben August Martin Euler zählt er zu den Gründern der Liberaldemokratischen Partei (LDP) in Hersfeld und wird erneut in der Kommunalpolitik aktiv. Im Dezember 1946 erfolgt die Wahl in den Hessischen Landtag. Von dort aus wird er 1948 als LDP/FDP-Vertreter in den Parlamentarischen Rat entsandt. Becker wird Vorsitzender des Wahlrechtsausschusses und prägt das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag entscheidend mit.
Es folgt eine langjährige Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag (1949-1960), dem er 1956-1960 als Vizepräsident vorsitzt. Seit 1955 ist Becker zudem Mitglied der Versammlung der Westeuropäischen Union. Er verstirbt am 29. Junli 1960.

August Martin Euler wird am 25. Oktober 1945 von der US-Militärregierung als kommissarischer Landrat des Kreises Hersfeld eingesetzt. Politisch hält die Militärregierung Euler für geeignet, da er sich 1944 geweigert hatte, der NSDAP beizutreten und aus diesem Grund als Jurist bei der IG-Farben entlassen wurde. In der Funktion als Landrat hat Euler mit den typischen Problemen der Region zu kämpfen.
Hersfeld gehört zu den vielen Orten Nordhessens, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre zentrale Lage in Deutschland einbüßen und durch die Entstehung der Besatzungszonen in eine Randlage geraten. Fünf weitere Landkreise des Regierungsbezirks Kassel liegen direkt an der Grenze zur Sowjetischen Besatzungszonengrenze, die für lange Zeit ganz verschlossen sein wird: Eschwege, Fulda, Hünfeld, Rotenburg und Witzenhausen. Die Verkehrs- und Wirtschaftsverbindungen nach Osten reduzieren sich auf ein Minimum - bis sie ganz abbrechen.
Die wirtschaftliche Situation wird zusätzlich durch die hereinströmenden Heimatvertriebenen erschwert. Sie werden vorrangig in ländlichen Gebieten untergebracht, da hier der Zerstörungsgrad niedriger ist als in den zerbombten Städten Hessens. In den Kreis Hersfeld gelangen bis zum 8. Oktober 1946 rund 14.800 Flüchtlinge und 4.000 Evakuierte, die zunächst in den Flüchtlingsauffang- und Flüchtlingsdurchgangslagern Herfa und Nippe eine Unterkunft finden. Die Bevölkerungsdichte steigt im Kreis Hersfeld von rund 98 (Mai 1939) auf rund 137 (Oktober 1946) Einwohner je qkm.
Nach den Kommunalwahlen vom 28. April 1946 wird Euler als Landrat nicht bestätigt und konzentriert sich nun auf die Landes-, dann auch auf die Bundespolitik. Euler, Kasseler Liberal-Demokrat (LDP), gehört zu den Gründungsmitgliedern der LDP auf Landesebene am 29. Dezember 1945. Er wird 1946 zunächst Landesgeschäftsführer, nach dem LDP-Parteitag am 20. und 21. Juni 1947 in Marbach/Kreis Marburg dann Landesvorsitzender. Sein Stellvertreter wird der Marburger Oberbürgermeister Karl-Theodor Bleek. Die LDP benennt sich erst Ende Dezember 1948 in FDP um.
In Hessen fährt die Partei einen Konfrontationskurs gegen die Regierungskoalition aus Sozial- und Christdemokraten. Eulers liberal-konservative Linie wendet sich gegen die Sozialisierung, kritisiert scharf die Entnazifizierung und bietet somit vor allem bürgerlichen Wählern eine Alternative zu CDU und SPD. An den Wahlergebnissen erkennt man den wachsenden Erfolg der Partei: bei der Landtagswahl 1946 erhält sie 15,7%, bei der Kommunalwahl 1948 21,6% und bei der Bundestagswahl 1949 gar 28,1% der Stimmen.
August Martin Euler wird am 9. August 1908 in Kassel geboren. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Marburg, Wien und Göttingen arbeitet er ab 1936 als Jurist. Unter anderem ist er mehrere Jahre bei der IG Farben und beim Generalbevollmächtigten Chemie in Berlin tätig. Von Ende Oktober 1945 bis Juli 1946 amtiert er als kommissarischer Landrat des Kreises Hersfeld.
Euler gehört zu den Gründern der Liberal-Demokratischen Partei, Vorläuferin der FDP in Hessen, deren Landesvorsitzender er im Juni 1947 wird. Unter seiner Führung betreiben die Liberalen eine nationalkonservative Politik und vertreten politisch einen Kurs "rechts" von der CDU.
Euler ist 1946 Mitglied der Verfassungberatenden Landesversammlung in Hessen und 1946/47, 1950/51 sowie noch einmal 1954/55 Mitglied des Hessischen Landtags. Von 1947 bis 1949 ist er Abgeordneter des bizonalen Wirtschaftsrats und von 1949 bis 1958 des Deutschen Bundestags. Hier übernimmt er von 1951 bis 1952 den Fraktionsvorsitz der FDP. Im Februar 1956 verlässt Euler mit 16 anderen Bundestagsabgeordneten die FDP und gründet die Freie Volkspartei (FVP), die sich ein Jahr später mit der Deutschen Partei zusammenschließt. Im September 1958 verabschiedet sich Euler von der politischen Bühne und wechselt als Generaldirektor zur Versorgungsabteilung der EURATOM nach Brüssel, wo er am 4. Februar 1966 stirbt.
Am 20. Januar 1946 finden in Groß-Hessen die ersten Wahlen statt. Da der Aufbau der Verwaltung von unten nach oben voranschreitet, setzt die amerikanische Militärregierung zuerst die Gemeindewahlen an. Die LDP Ortsgruppe Kirchhain lädt hier zu einer öffenlichen Versammlung am 16. Januar 1946 ein und kündigt Schulrat Ludwig Mütze aus Marburg als Redner an. Da ehemalige NSDAP-Mitglieder vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, erwähnt das Flugblatt ausdrücklich, dass die ehemaligen Parteigenossen an der Veranstaltung teilnehmen dürfen.
In der ersten Ausgabe des LDP-Kuriers vom 25. September 1946 kündigt die Partei in ihrem Leitartikel an, dass sie den Verfassungsentwurf der Verfassungberatenden Landesversammlung Hessens ablehnen werde. Der Abschnitt über die sozialen und wirtschaftlichen Rechte und Pflichten, auf den sich CDU und SPD geeinigt hatten, geht den Liberalen zu weit. Konkret handelt es sich um die Artikel über die Sozialisierung und die Mitbestimmungsrechte der Arbeiter.
Für die Kommunalwahlen im April 1948 stellt die LDP in einem Flugblatt kurz ihre politischen Leitsätze vor. Bei den Wahlen können die Liberalen einen enormen Zuwachs verbuchen. Mit 21,9% der Stimmen werden sie nach SPD und CDU die drittgrößte politische Kraft. In einigen nordhessischen Städten wie Hersfeld und Eschwege geht die LDP aus den Wahlen sogar als stärkste Partei hervor.
Aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen in Nordhessen sind alle Parteien darauf bedacht, Flüchtlinge explizit in ihren Wahlprogrammen zu berücksichtigen und als Wähler zu gewinnen. Nicht zuletzt, weil auch die Befürchtung im Raum steht, dass die Flüchtlinge sich radikalisieren und der neuen demokratischen Ordnung den Rücken zuwenden könnten. Eine eigene Flüchtlingspartei gründet sich erst 1950 als Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) .
In den Flüchtlingslagern leben viele Menschen auf engem Raum. Die hygienischen Bedingungen der schnell als Notbehelf errichteten Barracken lassen zu wünschen übrig und führen bald zu Problemen. Landrat Euler versucht der Verbreitung von Krankheiten vorzubeugen, indem er Desinfektionsmittel für die Wohnräume ordert.
Auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 stimmen die Siegermächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich der Ausweisung von Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zu. Hessen soll insgesamt etwa 608.000 Vertriebene aufnehmen. Dem Landkreis Hersfeld werden 10.500 Flüchtlinge zugeteilt, die in den Lagern Herfa und Nippe untergebracht und mit dem Notwendigsten versorgt werden sollen.
Qualitätsmuster der Firma Hassia Wäschefabrik in Niederkaufungen für Strohsäcke, die an nordhessische Flüchtlingslager geliefert werden.
Der Bauunternehmer Heinrich Wiegand aus Philippsthal-Werra muss bei der amerikanischen Militärregierung Interzonenpässe für 35 seiner Mitarbeiter beantragen, die in der russischen Zone leben, aber in der US-Zone arbeiten.
Die am Boden liegende Wirtschaft stellt ein immenses Problem dar. Jeder Kommunal- und Landespolitiker kämpft daher um jeden einzelnen Betrieb. So protestiert Euler beim Ministerpräsidenten Geiler gegen die Schließung der Benno Schilde Maschinenbau AG in Hersfeld. Die Firma steht angeblich auf der Reparationsliste der Militärregierung. Euler warnt vor der Schließung der Schilde AG, die nicht nur die Wirtschaft im Kreis Hersfeld, sondern in ganz Hessen schädigen würde.

Cuno Raabe, ehemaliges Mitglied der katholischen Zentrumspartei, gehört 1945 zum Gründerkreis der Christlich Demokratischen Union in Berlin um Andreas Hermes und Theodor Steltzer. Wie viele politisch engagierte Bürger möchte auch Raabe nach den Erfahrungen in der NS-Diktatur die konfessionellen Schranken zwischen Katholiken und Protestanten überwinden und die CDU als neue, christliche Sammlungspartei aufbauen. Raabe zieht bald in seine Heimatstadt Fulda, um hier in der Politik aktiv zu werden. Die hessische CDU kennzeichnet im Unterschied zu anderen Landesverbänden ein ausgesprochen sozialer Kurs, der einen "Sozialismus aus christlicher Verantwortung" einschließt und betriebliche Mitbestimmungsrechte der Arbeiter auch in wirtschaftlichen Fragen sowie die Sozialisierung von Großbetrieben vorsieht. Diese Programmpunkte erleichtern es den Christdemokraten, Ende 1946 mit der SPD eine große Koalition auf Landesebene einzugehen.
Eine große Herausforderung der Gründungsphase der hessischen CDU ist es, Katholiken und Protestanten unter dem Dach einer christlich orientierten Partei zu vereinen. Während die Partei bei protestantischen Wählern schwächelt, hat sie im katholisch geprägten Fulda guten Zuspruch. Die Stadtverordnetenversammlung wählt Raabe am 15. Juli 1946 einstimmig zum Oberbürgermeister Fuldas.
Eines der brennendsten Probleme ist die Wohnungsnot. Nach dem Krieg müssen Tausende Menschen in Ruinen, Kellern, Baracken oder Massenunterkünften hausen. Wie viele Städte ist auch Fulda durch den Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen. 8000 Wohnungen sind zerstört. Landräte und Gemeinden bilden Kommissionen, die den vorhandenen Wohnraum erfassen und Obdachlose einweisen. Solche Maßnahmen beseitigen natürlich nicht die Ursachen der Wohnungsnot. Fehlende Baustoffe, Probleme mit der Infrastruktur, instabile Währung und Finanznot lassen den dringend erforderlichen Neubau von Wohnungen fast völlig erlahmen. Mitte 1946 verkündet die hessische Regierung ein Wohnungsnotbauprogramm, das Trümmerverwertung und Selbsthilfe anregt und rationelle Wohnhaustypen schafft. Das Land Hessen stellt dabei finanzielle Unterstützung bereit. Trotz aller Anstrengungen bringen erst die nach der Währungsreform aufgelegten Wohnungsbauprogramme der Bundesregierung ab 1950 durchschlagenden Erfolg.
Stellt kurz nach dem Krieg die Unterbringung der ansässigen Bürger schon große Probleme dar, so verschärft sich die Lage zusätzlich durch Flüchtlinge, Evakuierte und Displaced Persons (DPs), die untergebracht werden müssen. Die Nationalsozialisten hatten Millionen Zivilisten während des Krieges verschleppt und als kostenlose Arbeitskräfte ausgebeutet. Nach ihrer Befreiung durch die Alliierten warten diese Ausländer auf die Rückkehr in ihre Heimat. Die DPs werden unter die Aufsicht der Militärregierung gestellt und in Lagern, Kasernen oder anderen Gebäuden untergebracht. In Fulda beträgt die Zahl der DPs insgesamt 12.000. Die meisten von ihnen leben in Kasernen und beschlagnahmten Wohnungen.
Cuno Raabe
Cuno Raabe wird am 5. Mai 1888 als Sohn eines Arztes in Fulda geboren. Er studiert Rechts- und Staatswissenschaften in Freiburg, München und Marburg. Seit 1920 arbeitet der Jurist als Stadtrat für Kultur und Soziales in Königsberg und gehört als Mitglied der Zentrumspartei dem ostpreußischen Kommunallandtag an. Ab 1926 ist Raabe Bürgermeister, ab 1929 Oberbürgermeister von Hagen.
1933 entlässt ihn die NSDAP aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus den Beamtenverhältnis. Ein Jahr später schließt sich Raabe dem Widerstand gegen das NS-Regime um Carl Friedrich Goerdeler an. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wird er verhaftet und vor dem Volksgerichtshof angeklagt. Zu einer Verhandlung kommt es nicht mehr, da Raabe beim Einmarsch der russischen Armee in Berlin befreit wird. Raabe beteiligt sich mit Andreas Hermes an der CDU-Gründung in Berlin. Im September 1945 erhält er von Hermes den Auftrag, in Hessen CDU-Organisationen zu bilden.
Bereits 1946 wird er Vorsitzender der CDU in seiner Geburtsstadt Fulda. Von April bis Juli 1946 ist er hier Vorsitzender der Spruchkammer, und vom 1.August 1946 bis 1956 amtiert er als Oberbürgermeister. Wie andere Politiker dieser Zeit macht sich auch Raabe um den Wiederaufbau verdient, lässt Wohnungen, neue Schulen und Krankenhäuser bauen. Darüber hinaus gelingt es Raabe, Wirtschaft und Kultur wieder zu beleben.
Außerdem ist Raabe 1946 Mitglied der Verfassungberatenden Landesversammlung sowie Abgeordneter und erster Vizepräsident des Hessischen Landtags, dem er bis 1962 angehört. Er wird mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und 1967 mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille ausgezeichnet. Raabe stirbt am 3. Mai 1971 in Gersfeld/ Rhön.
Die Christlich Demokratische Union gründet sich als interkonfessionelle Sammlungspartei und verfolgt in Hessen einen sehr sozialen Kurs. Das erleichtert ihr Ende 1946, mit der SPD eine große Koalition auf Landesebene einzugehen. Die CDU hat allerdings damit zu kämpfen, dass sie bei evangelischen Wählern nicht so viel Anklang findet wie bei katholischen. Bezeichnenderweise hat der katholisch geprägte Kreisverband Fulda die meisten Mitglieder.
Raabe (Mitte) während einer Rede des hessischen Finanzministers und ersten Vorsitzenden der CDU, Werner Hilpert, in Fulda. Links neben ihm sitzt Anton Sabel (CDU), Leiter des Arbeitsamts Fulda.
Für die Arbeit der Spruchkammern steht wenig qualifiziertes Personal zur Verfügung. Als Jurist und Gegner des Nationalsozialismus bringt Cuno Raabe die besten Voraussetzungen mit, um von April bis Juli 1946 Vorsitzender der Spruchkammer Fulda zu sein .
Rund 100 000 Displaced Persons gibt es nach dem Krieg in Hessen. Betreut werden sie erst vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNRRA, ab Mitte 1947 dann durch die Internationale Flüchtlingsorganisation IRO. Bereits 1945 wird damit begonnen, die ehemaligen Zwangsarbeiter in ihre Heimatländer zurückzubringen.

Hermann Bauer ist der erste Herausgeber einer Zeitung in Marburg nach dem Krieg. Um ein demokratisches Pressewesen aufzubauen, berücksichtigt die amerikanische Militärregierung bei der Vergabe von Lizenzen zwei Kriterien: fachliche Eignung und das politische Verhalten während der NS-Zeit. Nur politisch unbelastete Personen kommen für das Pressewesen in Frage. Schon in der ersten Woche nach der Einnahme Marburgs im April 1945 nimmt die Militärregierung mit Hermann Bauer Kontakt auf und befindet ihn für geeignet, eine Zeitung herauszugeben. Angesichts des Papier- und Maschinenmangels keine leichte Aufgabe. Die erste Ausgabe der Marburger Presse erscheint am 15. September 1945. Lizenznehmer sind Hermann Bauer und Karl Bremer. Die Marburger Presse ist damit die dritte zugelassene Zeitung in der amerikanischen Besatzungszone.
In Marburg treffen sich am 20. und 21. Oktober 1945 die Herausgeber und Verleger von mehr als 40 deutschen Zeitungen der amerikanischen Besatzungszone zu einer gemeinsamen Tagung, der sogenannten "Marburger Pressekonferenz". Unter der Regie amerikanischer Presseoffiziere werden Probleme und Aufgaben der lizenzierten Presse sowie die Gründung des Verbandes der Zeitungsverleger und einer Journalistenschule diskutiert. Im Mittelpunkt der Debatten stehen die Pressefreiheit und die Aufgabe der Presse in einem demokratischen Staat.
Hermann Bauer ist auch Mitglied des Staatspolitischen Ausschusses, der sich auf Initiative von Ludwig Mütze im Mai 1945 in Marburg bildet. Ziel des Ausschusses ist es, die Stadt von „Nationalsozialismus, Militarismus und reaktionären Nationalismus“ zu befreien. Die amerikanische Militärregierung billigt das fünfköpfige Gremium, dessen Aufgabe es ist, in Personalentscheidungen beratend mitzuwirken. Der Staatspolitische Ausschuss versucht allerdings, seine Kompetenzen zu erweitern, und beantragt bei Bürgermeister Eugen Siebecke, als provisorischer Stadtrat eingesetzt zu werden. Die daraus resultierenden Spannungen führen dazu, dass die Militärregierung dem Ausschuss im Oktober 1945 befiehlt, sich auf beratende Tätigkeiten zu beschränken. Im Dezember 1945 löst sich der Ausschuss auf.
Hermann Bauer
Hermann Bauer wird am 27. Juni 1897 in Marburg geboren. 1922 legt er die Buchdrucker-Meisterprüfung ab und übernimmt ein Jahr später die Druckerei seines Vaters.
Ab 1925 gibt er das liberale Hessische Tageblatt heraus. Auf Druck der NSDAP muss Bauer im April 1933 seine Zeitung schließen. Er arbeitet daraufhin als Drucker und als Journalist. Kurzzeitig wird er verhaftet, da er die Rede des Vizekanzlers Franz von Papen vor dem Marburger Universitätsbund vom 17. Juni 1934 vervielfältigt hat. Papen hatte in der Rede den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels angegriffen und der NSDAP Terror vorgeworfen.
Die amerikanische Militärregierung gibt Bauer am 4. September 1945 die Lizenz zur Herausgabe der Marburger Presse. Die Zeitung fusioniert 1951 mit der Oberhessischen Zeitung zur Oberhessischen Presse GmbH. Hier arbeitet Bauer bis 1953 als Geschäftsführer. Bauer engagiert sich auch politisch. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gründet er gemeinsam mit anderen Bürgern den Staatspolitischen Ausschuss in Marburg. Einst Mitglied der Demokratischen Partei schließt er sich ab 1946 der LDP an. Für die Liberalen sitzt er auch bis 1948 in der Stadtverordnetenversammlung.
In Marburg ist Bauer besonders durch seine Aktivitäten als Lokalhistoriker und Stadtführer bekannt, weshalb er den Spitznahmen „Marburger Auskunftei“ trägt. Er stirbt am 16. Juli 1986.
Bevor Hermann Bauer seine Zeitungslizenz erhält, überprüft die amerikanische Militärregierung seine politische Vorgeschichte und seine fachliche Eignung.
Direkt nach Kriegsende herrschen Reisebeschränkungen für alle Deutschen. Um Papier für den Druck der geplanten Marburger Presse aus Kassel besorgen zu können, erhält Hermann Bauer eine zweckgebundene und terminlich eingegrenzte Ausnahmegenehmigung.
Die erste „Marburger Pressekonferenz“ findet im Oktober 1945 statt. Amerikanische Presseoffiziere laden Verleger und Redakteure aller in der amerikanischen Zone zugelassenen Zeitungen nach Marburg ein, um über mehrere Tage die Zukunft des deutschen Pressewesens und Probleme beim Wiederaufbau einer demokratischen Presse zu diskutieren.
Der Lagebericht des amerikanischen Besatzungsoffiziers Samuel B. Knoll über die Verwaltungssituation in Marburg zählt die typischen Probleme des Neubeginns im Juni 1945 auf:
Entnazifizierungfragen: wer ist das Personal, mit dem man zusammenarbeiten will? Welche Rolle haben die Leute während der NS-Zeit gespielt? Wessen Urteil kann man bei ihrer Überprüfung trauen?
Fortgesetzter Widerstand gegen die Besatzungsmacht: Wer steckt hinter Sabotageakten und Anschlägen auf amerikanische Hilfslieferungen?
Neue demokratische Strukturen: Die Bildung des Staatspolitischen Ausschuss in Marburg führt zu Spannungen zwischen diesem Ausschuss und Bürgermeister Eugen Siebecke, weil der Staatspolitische Ausschuss sich mehr Einfluss anmaßt, als der Bürgermeister ihm zugestehen möchte. Die amerikanische Militärregierung genehmigt zwar den Ausschuss, stellt sich aber hinter Siebecke.
Bürgermeister und Staatspolitischer Ausschuss in Marburg arbeiten eng zusammen. Ob bei Wohnraumzuweisungen, Lebensmittelzuteilung oder hier bei der Frage, wer am bedürftigsten ist und einer Anstellung in den amerikanischen Militärküchen bedarf: der Staatspolitische Ausschuss gibt stets sein Votum ab.
Nachdem Marburgs Oberbürgermeister sich vom Staatspolitischen Ausschuss zeitweise in seiner Kompetenz angegriffen fühlt, sichert ihm der zuständige Besatzungsoffizier zu, dass die Funktion des Gremiums rein beratend sei.

Friedrich Happich wird im Herbst 1945 auf einer von ihm initiierten Notsynode der evangelischen Kirche in Treysa zum ersten Präses der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck (EKKW) gewählt. Nach ihrer Spaltung in Bekennende Kirche und Deutsche Christen während der NS-Zeit muß sich die evangelische Kirche nach Kriegsende sowohl ihrer unmittelbaren Vergangenheit als auch der Zukunft stellen - organisatorisch und inhaltlich:
Zur organisatorischen Neuordnung findet auf Initiative des Landesbischofs der Württembergischen Kirche, Theophil Wurm, eine dreitägige Konferenz in Treysa statt: Vom 27. bis 31. August 1945 tagen die verschiedenen Gruppen der evangelischen Kirche, der Reichsbruderrat, der Lutherrat und das Kirchliche Einigungswerk und einigen sich auf ihren Zusammenschluß zur "Evangelischen Kirche in Deutschland" (EKD).
Zur Reflexion und Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ruft auf der Treysaer Konferenz Pastor Martin Niemöller auf. Er fordert vor den Vertretern aller Landeskirchen ein Schuldbekenntnis ein, in dem die evangelische Kirche offiziell eingesteht, während der NS-Zeit zu wenig Widerstand gegen das Regime geleistet zu haben. Verkündet wird dieses Schuldbekenntnis vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland am 19. Oktober 1945 in Stuttgart.
Friedrich Happich wird als Sohn eines Superintendenten am 14. August 1883 in Speckswinkel, Kreis Kirchhain, geboren. Er studiert Theologie an den Universitäten in Marburg, Leipzig und Erlangen.
Das Hessische Brüderhaus, Ausbildungsstätte für Diakone, stellt ihn im April 1913 als zweiten Pfarrer der Anstalten Hephata in Treysa ein. Hephata gehört zur Innere Mission der Landeskirche und kümmert sich um Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Zu Happichs Aufgaben gehört die Leitung der Anstalt für geistig Behinderte. 1923 steigt er zum Vorsteher des Hessischen Brüderhauses und Direktor der Anstalten Hephata auf.
1935 lässt er sich zum Vorsitzenden des Landeskirchenausschusses der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck (EKKW), einer Einrichtung der Nationalsozialisten, wählen. Der Ausschuss übt faktisch die Kirchenleitung aus. Happich kann sich mit einigen Aspekten der NS-Ideologie anfreunden. So tritt er für die Sterilisierung geistig Behinderter ein. 1939 unterzeichnet er die Godesberger Erklärung von Reichskirchenminister Hanns Kerrl. Der Minister hat fünf Grundsätze zum Verhältnis zwischen christlichem Glauben und NS-Ideologie entwickelt. Darin wird der „politische Universalismus römischer und weltprotestantischer Prägung“ abgelehnt und der Kampf der nationalsozialistischen Weltanschauung gegen „den politischen und geistigen Einfluss der jüdischen Rasse auf unser völkisches Leben“ betont.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges bleibt Happich Vorsitzender des NS-Landeskirchenausschusses, beteiligt sich dann jedoch tatkräftig an der Neuorganisation der EKKW wie auch der Evangelischen Kirche in Deutschland. Im September 1945 wird er auf einer Notsynode zum Ersten Präses der Landessynode der EKKW gewählt und organisiert maßgeblich die erste Nachkriegskonferenz der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die Ende August 1945 in Treysa stattfindet. Im Mai 1946 ernennt ihn Landesbischof Theophil Wurm zum Kirchenrat. Am 4. April 1951 stirbt Happich in Treysa.
Evangelische Kirche und Nationalsozialismus: Wenige Tage vor der deutschen Kapitulation sieht sich die evangelische Kirche in Marburg in „Gewissensnot“, ob sie dem Regime als Obrigkeit noch zu Gehorsam verpflichtet sei. Superintendent Gottfried Schmidmann, ein Mann der Bekennenden Kirche, die zumindest passiven Widerstand in der Diktatur geleistet hatte, bittet die Theologische Fakultät der Universität Marburg daher um eine Stellungnahme.
Die erste evangelische Kirchenkonferenz nach dem Krieg findet in Treysa vom 27. bis 31. August 1945 in den Anstalten Hephata statt. Hier schließen sich die verschiedenen evangelischen Landeskirchen zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammen. Erster Vorsitzender des 12köpfigen Rats der EKD wird der Württemberger Landesbischof Theophil Wurm.
Die sieben Sprecher des Rats der EKD auf der Treysaer Kirchenkonferenz im August 1945: Martin Niemöller, Wilhelm Niesel, Theophil Wurm, Hans Meiser, Heinrich Held, Hanns Lilje und Otto Dibelius (v.l.n.r.).
In einer Notsynode am 25. September 1945 in den Anstalten Hephata in Treysa beschließt die Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck ihre Neuorganisation. Sie verabschiedet ein neues Leitungsgesetz, das als oberste Instanz der Landeskirche die Landessynode ins Leben ruft. In Treysa wird Adolf Wüstemann zum Bischof gewählt.

Hans Carl Müller wirkt maßgeblich bei Wiederaufbau des Staatstheaters Kassel mit. Trotz des Mangels an allen Ecken und Enden regt sich kurz nach dem Krieg wieder das kulturelle Leben. Eine Kontrolle übt die Militärregierung aus, indem sie an politisch unbelastete Personen Lizenzen für den Betrieb Kultureinrichtungen wie Spielstätten für Theater, Kino usw. vergibt. Darüber hinaus müssen Veranstaltungen und Veröffentlichungen erst von ihr genehmigt werden. Bei der inhaltlichen Gestaltung gesteht die Besatzungsmacht weitgehendst Freiraum zu.
Obwohl ein großer Teil der Theater in den Städten zerstört ist, wird allerorts der Spielbetrieb sofort wieder aufgenommen. Im Staatstheater Kassel, das 1943 durch einen Bombenangriff zur Ruine wurde, sind Bühnenhaus, Maschinerie, Werkstätten, Proberäume und der Fundus vernichtet. Eine weitere Schwierigkeit resultiert daraus, dass die amerikanische Militärregierung alle preußischen Staatseinrichtungen auflöst. Dazu gehört auch das Staatstheater in seiner bisherigen Form. So ist zunächst ungeklärt, wer das Ensemble und die Aufführungen finanziert. Kurzzeitig wird gar ein Spielverbot für alle Künstler verhängt.
In Kassel bilden daher Schauspieler und Mitarbeiter eine Notgemeinschaft, um trotz der fehlenden finanziellen Mittel und der allgemeinen Zerstörungen den Theaterbetrieb wieder aufzunehmen. Hans Carl Müller, seit 1936 Oberspielleiter des Schauspiels, vertritt die Interessen der Notgemeinschaft gegenüber der Militärregierung und der Stadtverwaltung. Als Müller Anfang September 1945 die Lizenz als Intendant erhält, löst sich die Notgemeinschaft auf.
Die Theater haben starken Zustrom, da sie für einen kurzen Moment den tristen Alltag vergessen machen. Eintrittskarten erhalten die Menschen oft im Tausch gegen Lebensmittel oder Heizmaterial.
Auch das Kino ist ein beliebtes Unterhaltungsmedium. Wochenschauen bieten bewegte Nachrichten aus aller Welt, neben deutschen laufen nun auch ausländische Spielfilme in den Kinos. Die Hälfte aller gezeigten Filme sind amerikanische Produktionen.
Hans Carl Müller wird am 5. November 1889 in Göttingen geboren. In München, Berlin und Göttingen studiert er Germanistik und Kunstgeschichte. Müller beginnt seine Karriere als Schauspieler in Berlin, Breslau, Frankfurt, Prag, Wien und München. In den zwanziger Jahren ist er aber nicht nur auf der Theaterbühne, sondern auch auf der Leinwand zu bewundern. So mimt er unter der Regie Fritz Langs den Gernerot in „Die Nibelungen“.
1928 wird Müller Oberspielleiter in Königsberg, 1933 in Mannheim am Nationaltheater, und ab 1936 Oberspielleiter des Schauspiels in Kassel. Nachdem das Staatstheater am Friedrichsplatz bei einem Bombenangriff im Oktober 1943 völlig zerstört wird, teilt sich das Ensemble. Opernstücke sind künftig in der Stadthalle Kassel und das Schauspiel in Hersfeld zu sehen. Nach dem Krieg verhängt die Militärregierung zunächst ein Spielverbot für alle Künstler.
Müller erhält am 4. September 1945 von der Militärregierung die Lizenz, die ihn zur Leitung des Staatstheaters Kassel und zur Aufführung von Opern- und Theaterstücken berechtigt. Er macht sich zwar um den Wiederaufbau des Theaters verdient. Dennoch wächst der Widerstand gegen seine Intendanz im Theater und in der Öffentlichkeit. Ursachen sind sein künstlerischer Kurs, seine Personalpolitik und die schwere Wirtschaftskrise des Hauses.
Da das hessische Kultusministerium Müllers Vertrag nicht verlängern will, lässt sich der Intendant Anfang Januar 1950 vorläufig beurlauben. Als Regisseur geht er zum Theater der Jugend und zum Volkstheater in München. Dort stirbt er am 29. Mai 1960.
Hans Carl Müller bewirbt sich als ehemaliger Oberspielleiter des Kasseler Staatstheaters bereits im Mai 1945 um eine Theaterlizenz. Wie bei allen Bewerbern überprüft die amerikanische Militärregierung seinen Lebenslauf und seine Referenzen. Sie gewährt ihm im September 1945 die Lizenz Nr. 5015, die ihn zur Leitung von Theater- und Opernaufführungen in Kassel und Hersfeld befugt.
Wer bei der amerikanischen Militärregierung eine Berufszulassung beantragt, muss nicht nur den obligatorischen Fragebogen zur Entnazifizierung ausfüllen, sondern stets auch mehrere Personen aus seinem Bekanntenkreis angeben, die die Intelligence Section der Militärregierung dann ebenfalls überprüft und zu dem Antragsteller befragt.
Musizieren kann man immer. Wer Beschwingtes außerhalb des privaten Rahmens zu Gehör bringen will, benötigt nach Kriegsende aber eine Lizenz von der Militärregierung und am besten noch den einen oder anderen Fürsprecher (Dok. 8), der für die Qualität der Darbietung bürgt.

Edward Yarnall Hartshorne kommt im Frühjahr 1945 als amerikanischer Besatzungsoffizier nach Deutschland. Die vier "Ds" Demokratisierung, Demilitarisierung, Denazifizierung und Dezentralisierung, auf die die Alliierten sich im August 1945 in Potsdam einigen, bilden von Anfang an den Leitfaden der Politik, an deren Umsetzung er tatkräftig mitwirken möchte.
Als Presse- und Hochschuloffizier ist Hartshorne in erster Linie mit den Punkten Demokratisierung und Denazifizierung befaßt. Nach der Zulassung der ersten Zeitungen in der amerikanischen Zone organisiert er in Marburg eine Konferenz von Herausgebern und Journalisten, die den theoretischen Rahmen - also die Frage, welche Rolle eine freie Presse in einer Demokratie spielt - ebenso behandelt wie die praktischen Probleme: wie druckt man trotz Papierknappheit Zeitungen, wie gestaltet man ein ansprechendes Layout? Die "Marburger Pressekonferenz" vom Oktober 1945, bei der unter anderen auch Theodor Heuss zugegen ist, ist ein so großer Erfolg, dass sie in den Folgejahren wiederholt wird.Im Hochschulbereich widmet sich Hartshorne intensiv der Entnazifizierung des deutschen Hochschulwesens. Dabei lenkt er sein Augenmerk gleichermaßen auf den Lehrkörper und die Universitätsstrukturen. Er lädt zu den Marburger Hochschulgesprächen ein, bei denen Professoren Themen wie die Bedeutung eines internationalen Austauschs unter Wissenschaftlern diskutieren.
Auch Bildungspolitik im Kleinen liegt im Zuständigkeitsbereich der Kultur- und Bildungsoffiziere. Unzerstörte Schulgebäude sind ebenso knapp wie ideologiefreie Schulbücher, ganz zu schweigen davon, dass nicht einmal eine ausreichende Versorgung der Schüler mit Lebensmitteln sichergestellt ist. Darüberhinaus müssen für diejenigen jungen Menschen, die wegen des Krieges ihre Ausbildung abbrechen mussten, Möglichkeiten eines zweiten Bildungsweges geschaffen werden.
Edward Yarnell Hartshorne wird 1912 in den USA geboren. Mit 17 Jahren nimmt er an der Harvard University in Boston das Studium der Soziologie auf. Im Anschluß promoviert er an der Chicago University in Illinois zum Thema Deutsche Universitäten unter dem Nationationalsozialismus und verbringt dazu 1935/36 einige Zeit in Deutschland. 1937 kehrt er in die USA zurück und arbeitet als Soziologiedozent an der Harvard University. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und dem Kriegsbeitritt der USA meldet sich Hartshorne beim Office of Strategic Services und wechselt kurz darauf zur Psychological Warfare Branch des Office of War Information. Er ist erst in Boston, dann in Tunesien und Italien mit der Befragung deutscher Emigranten beziehungsweise dann Kriegsgefangener befasst und ein guter Kenner der politischen Lage in Deutschland.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kommt Hartshorne als Besatzungsoffizier der amerikanischen Armee nach Deutschland und arbeitet erst als Presseoffizier, widmet sich dann aber der Frage der Wiedereröffnung der deutschen Universitäten in der amerikanischen Besatzungszone. In Marburg, wo er auch stationiert ist, organisiert er die „Marburger Hochschulgespräche“ über die Rolle und Aufgaben der Universitäten in einer demokratischen Gesellschaft. Als er im Sommer 1946 nach München abbestellt wird, um dort Problemen bei der Entnazifizierung der bayerischen Universitäten nachzugehen, wird er unter bis heute nicht geklärten Umständen während einer Autofahrt hinterrücks erschossen.
Die Vorhut der 3. Panzerdivision der US-Armee rollt im März 1945 in Warzenbach bei Wetter ein. Zu Kampfhandlungen kommt es nicht.
Kriegsgefangene eines Internierungslagers in Ziegenhain freuen sich im Frühjahr 1945 über ihre Befreiung und die Verteilung von Lebensmitteln und Zigaretten durch einen Offizier der Dritten U.S.-Armee.
Das Staatsarchiv Marburg dient vom 4. Juni 1945 bis zum 19. August 1946 als Art Collecting Point. Die Militärregierung sammelt hier von Deutschen geraubte Kunstgegenstände, um sie an ihre Besitzer im In- und Ausland zurückzugeben. In mehreren Ausstellungen werden die Kunstwerke verschiedener Epochen der Öffentlichkeit gezeigt.
Die 1938 errichtete Tannenberg Kaserne im Süden Marburgs beherbergt ab dem Herbst 1945 das 3. Replacement Depot der U.S. Army. Sie ist für jeweils 2.500 amerikanische Soldaten eine einwöchige Durchgangs- und Sammelstation, bevor es weitergeht - nach Hause oder an andere Standorte in Deutschland.
In der Hindenburgkaserne in Eschwege richtet die amerikanische Militärregierung im Dezember 1946 das Ordnance Technical Training Center ein, um ihre Soldaten umzuschulen oder eigenes Personal aus- und fortzubilden. Später wird die Schule umbenannt in EUCOM Ordnance School, bis sie 1953 ins bayerische Füssen umsiedelt.
Die Entnazifizierung soll Verwaltung und Wirtschaft vom Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten befreien. Jeder Stellenanwärter muss einen Fragebogen ausfüllen, in dem er seinen Lebenslauf und seine Mitgliedschaft in NS-Organisationen anzugeben hat.
Im "Fall Marburg" sorgt Ministerpräsident Christian Stock Mitte Februar 1947 für Wirbel. Er beklagt die mangelnde Entnazifizierung des Lehrkörpers der Marburger Universität und droht Entlassungen von Professoren an. Im März wird über den Fall sogar zweimal im Landtag debattiert.
Von links nach rechts: Prof. Dr. Julius Ebbinghaus, Rektor der Universität Marburg, Prof. Dr. Heinrich Frick, Prof. Dr. Richard Hamann, Prof. Dr. Kurt Reidemeister und Prof. Dr. Rudolf Bultmann, alle Lehrkräfte an der Universität Marburg. Von der Universität Heidelberg nehmen teil: Prof. Dr. Alfred Weber und Dr. Alexander Mitscherlich, außerdem Prof. Dr. Heinz Sauermann, Universität Frankfurt, Prof. Dr. Olof Gigon, Universität Fribourg, Prof. Dr. Erich Reuleaux, Technische Hochschule Darmstadt, und Prof. Dr. Bruno Snell, Universität Hamburg.
Volkshochschulen mit ihren Schul- und Weiterbildungsangeboten erfüllen nach den Kriegsjahren eine wichtige Bildungsfunktion. Unzählige junge Menschen haben ihre Ausbildung oder Schule wegen des Einzugs zum Reichsarbeitsdienst, zur Wehrmacht oder aufgrund des Krieges nicht abschließen können und nutzen nach Kriegsende deshalb den zweiten Bildungsweg. Die Marburger Volkshochschule wird bereits am 2. Mai 1946 wieder eröffnet.
Unzerstörte Gebäude sind nach Kriegsende Mangelware. Bei der Vergabe von Räumen haben die Unterbringung der amerikanischen Besatzungstruppen und der Militärregierung sowie die Bereitstellung von genügend Raum für Krankenhäuser Priorität. Unter den dafür besetzten oder beschlagnahmten Gebäuden finden sich auch viele ehemalige Schulen, die erst allmählich wieder für ihren ursprünglichen Zweck freigegeben werden.
Noch 1947 ist die Ernährungslage in Hessen so schlecht, dass eine in der Schule ausgegebene warme Mahlzeit für viele Kinder die einzige Möglichkeit ist, überhaupt eine warmes Essen am Tag zu bekommen. Die Kriegsfolgen wirken aber selbst in den Schulen noch so sehr nach, dass wie hier in Neustadt nicht einmal ein Kessel vorhanden ist, um eine Schulspeisung überhaupt durchführen zu können.