"...ihr Gewissen war ihr Antrieb". Der 20. Juli 1944 und Hessen
"...ihr Gewissen war ihr Antrieb". Der 20. Juli 1944 und Hessen

Das Attentat auf Adolf Hitler und der sich daran anschließende Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 waren der Kulminationspunkt des Widerstands gegen das verbrecherische NS-Regime. In einer fast ausweglosen Situation wagten die Verschwörer des 20. Juli 1944 den – wie es Henning von Tresckow, einer der führenden Köpfe des militärischen Widerstands, ausdrückte – „entscheidenden Wurf“. Für die meisten der beteiligten Widerstandskämpfer und auch ihre Angehörigen endete dieser letzte große Akt des Aufbegehrens in einer Katastrophe. Die am 20. Juli 1944 Beteiligten entschlossen sich aus politisch-moralischer Verantwortung heraus zum aktiven Handeln und opferten damit selbstlos ihr Leben für das Ziel eines umfassenden Neubeginns. Anlässlich des 60. Jahrestages des 20. Juli 1944 stehen daher die Vorgeschichte, das Ereignisse dieses Tages und ihres Folgen im Zentrum dieser Ausstellung.

Dennoch beschränkt sich diese Ausstellung nicht auf den 20. Juli 1944. An diesem Tag fand kein Militärputsch statt, sondern ein Umsturzversuch, in den auch zivile Gruppierungen des Widerstands eingebunden waren. Nach einem erfolgreichen Umsturz hätte die Macht an eine zivile Regierung übergeben werden sollen, die vor allem die „Majestät des Rechts“ wiederherstellen wollte. Aufgrund dieser engen, wechselseitigen Verknüpfung von militärischem und zivilem Widerstand ist der 20. Juli 1944 konzeptionell gleichsam „eingebettet“ worden in den zivilen Widerstand. Der vielgestaltige zivile Widerstand, vor allem der aus der Arbeiterbewegung, aber auch aus dem Bürgertum und den Kirchen, schritt voran und wird auch daher zunächst an prägnanten Beispielen dargestellt. Erst im Zuge der verbrecherischen Dynamik des NS-Herrschaftssystems folgte dann seit dem Ende der 1930er Jahre der militärische Widerstand nach.

Der Widerstand erreichte sein Ziel, die NS-Diktatur zu stürzen, nicht. Gleichwohl ist das Denken und Handeln des Widerstands insgesamt nicht allein ein bis heute gültiges Vorbild und Beispiel politischer Moral, sondern die Erfahrungen dieser Zeit prägten auch die politische Kultur der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit maßgeblich mit. Nach der Zerrissenheit der Weimarer Republik schlug der gemeinsame Kampf gegen den Nationalsozialismus Brücken zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern, die einen erfolgreichen demokratischen Neubeginn in den drei westlichen Besatzungszonen erst ermöglichten. Durch ihre oft leidvolle Zusammenarbeit im Widerstand kamen Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen, kulturellen und konfessionellen Milieus zusammen und bewahrten die Bereitschaft zum politischen Kompromiss über die Zeit nach 1945 hinaus. Daher beleuchtet diese Ausstellung in ihrem letzten Abschnitt auch beispielhaft den Beitrag von Widerstandskämpfern an der demokratischen Neuordnung.

Pädagogisch ist mit dieser Ausstellung des Hessischen Hauptstaatsarchivs der Anspruch verbunden, jungen Menschen in unserem Bundesland herausragende Persönlichkeiten des Widerstands nahe zu bringen, die aus Hessen stammen oder in Hessen gegen das NS-Regime gekämpft haben. Daher sind die einzelnen thematischen Tafeln inhaltlich zweigeteilt, was durch die graphische Gestaltung noch unterstrichen wird. Der erste Teil beschreibt übergreifend Widerstandsgruppen mit ihren jeweiligen politischen Horizonten. Was schließlich Menschen aus diesen Gruppierungen individuell dazu bewogen hat, sich der Diktatur entgegenzustellen und in vielen Fällen auch ihr Leben zu opfern, beschreiben die einzelnen Lebensbilder im zweiten Abschnitt der Tafeln. Dieser individuelle Aspekt wird noch einmal verstärkt durch Tafeln zu bestimmten Personen, die ihr Leben für ihre politischen Ziele geopfert haben. Hier wird noch einmal deutlich, dass der Widerstand gegen die Barbarei zuvorderst auf einer persönlichen Gewissensentscheidung beruhte. Daher auch der Titel der Ausstellung in Anlehnung an einen Ausspruch des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: „...ihr Gewissen war ihr Antrieb“. 
 

Der zivile Widerstand: Die Sozialdemokratie
Der zivile Widerstand: Die Sozialdemokratie
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, vor allem aber seit den Reichstagswahlen und der Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“ vom März 1933 wurde die SPD ebenso rücksichtslos verfolgt wie die KPD. Viele Sozialdemokraten hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt an einer Legalitätsstrategie orientiert und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit für unumstößlich gehalten. Nun wurden sie mit brutalen Willkürmaßnahmen der Polizei sowie der SA und SS konfrontiert. Mit Repräsentanten der verhassten Republik von Weimar wurde „abgerechnet“. Am 22. Juni 1933 wurde die SPD schließlich offiziell verboten.

Eine allmähliche Reorganisation in der Illegalität gelang der zum Widerstand bereiten Parteibasis in Hessen, nachdem sich im Mai 1933 in Prag der Emigrationsvorstand der SPD gebildet hatte. Im Frankfurter Raum bildete sich ein illegaler SPD-Bezirk Hessen-Süd unter der Führung des früheren Gau-Geschäftsführers des Reichsbanners für Hessen-Nassau, Paul Apel. Apel und seine Mitstreiter umgingen das Verbot der SPD-Parteipresse durch die illegale Verteilung der Zeitung „Sozialistische Aktion“. Wie andere sozialistische Widerstandsgruppen in Hessen 1934/1935 spürte die Gestapo Paul Apel und seine Genossen auf; der Volksgerichtshof verurteilte sie wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu mehrjährigen Haftstrafen. Apel verbüßte seine achtjährige Strafe in zahlreichen Haftanstalten, ehe er Ende 1943 in das KZ Dachau überführt und dann im Mai 1945 durch die Amerikaner befreit wurde.


Carlo Mierendorff

Carlo Mierendorff war eine charismatische Persönlichkeit, die aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten und Begeisterungsfähigkeit als Politiker hohes Ansehen genoss. Daher galt er im deutschen Widerstand über die weltanschaulichen Grenzen hinweg als vorzüglich geeigneter Kandidat für das Amt eines Minister oder Staatssekretärs für Presse und Volkserziehung in einem demokratischen Deutschland nach der NS-Diktatur.

Carlo Mierendorff wurde am 24. März 1897 im sächsischen Großenhain geboren. Seine Familie siedelte 1907 ins großherzoglich-hessische Darmstadt über. Unmittelbar nach dem Abitur zog Mierendorff 1914 wie viele seiner Altersgenossen in den Ersten Weltkrieg. Unter dem Eindruck der traumatischen Kriegserlebnisse begrüßte Mierendorff den Zusammenbruch der alten Ordnung im Zuge der Revolution. Voller Euphorie und Enthusiasmus setzte er sich zukünftig für den Aufbau und Erhalt der sozialen Demokratie von Weimar ein.

Mierendorff wandte sich mit dem ihm eigenen Tatendrang der Politik zu. Obgleich aus bürgerlichem Hause, entwickelte er sich seit Beginn der Republik zu einem militanten Sozialdemokraten. 22-jährig trat er 1920 in die SPD ein, wo er rasch Karriere machte. 1928 folgte Mierendorff dem Ruf des hessischen Innenministers Wilhelm Leuschner nach Darmstadt. Sowohl als dessen Pressesprecher als auch ab 1930 als Mitglied des Reichstags bekämpfte er den Nationalsozialismus leidenschaftlich. Früher als viele seiner Zeitgenossen erkannte er die Gefahr, die von dieser rechtsradikalen und antisemitischen Partei ausging.

Nach dem 30. Januar 1933 nahmen die Nationalsozialisten Rache an einem ihrer erbittertsten Gegner. Die neuen Machthaber bereiteten dem „Schutzhäftling“ Mierendorff in verschiedenen KZ’s ein 5-jähriges Martyrium. Im Anschluss an seine Haftentlassung stieß er zu dem oppositionellen Zirkel des Kreisauer Kreises, wo er die Rolle eines Bindeglieds zwischen dem sozialdemokratischen Widerstand um Wilhelm Leuschner und Julius Leber einerseits und der bürgerlich-zivilen sowie militärischen Opposition andererseits einnahm. Die Entstehung eines neuen demokratischen Deutschlands erlebte Mierendorff nicht mehr; am 4. Dezember 1943 kam er bei einem Luftangriff auf Leipzig zu Tode.
Sozialistische Aktion. Die illegale Parteizeitung der SPD wurde auch in Hessen verteilt
Sozialistische Aktion. Die illegale Parteizeitung der SPD wurde auch in Hessen verteilt
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Auszug aus dem Urteil des Volksgerichtshofes gegen Paul Apel, Paul Kirchhof, Paul Schmidt und Heinrich Diegel „wegen Vorbereitung zum Hochverrat“
Auszug aus dem Urteil des Volksgerichtshofes gegen Paul Apel, Paul Kirchhof, Paul Schmidt und Heinrich Diegel „wegen Vorbereitung zum Hochverrat“
Auszug aus dem Urteil des Volksgerichtshofes gegen Paul Apel, Paul Kirchhof, Paul Schmidt und Heinrich Diegel „wegen Vorbereitung zum Hochverrat“
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Amtliche Bestätigung über den KZ-Aufenthalt von Paul Apel aus dem Jahre 1946
Amtliche Bestätigung über den KZ-Aufenthalt von Paul Apel aus dem Jahre 1946
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Carlo Mierendorff, in der Mitte, mit Schulkameraden im Darmstädter Woog Ende August 1912
Carlo Mierendorff, in der Mitte, mit Schulkameraden im Darmstädter Woog Ende August 1912
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Carlo Mierendorff (in heller Jacke mit dunklem Hut) als Teilnehmer bei einem Aufmarsch des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold
Carlo Mierendorff (in heller Jacke mit dunklem Hut) als Teilnehmer bei einem Aufmarsch des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold
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Carlo Mierendorff, um 1940
Carlo Mierendorff, um 1940
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Bronzebüste zum Gedenken an Carlo Mierendorff von Knud Knudsen, 1960er Jahre
Bronzebüste zum Gedenken an Carlo Mierendorff von Knud Knudsen, 1960er Jahre
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Der zivile Widerstand: Die KPD
Der zivile Widerstand: Die KPD
Die unversöhnliche Spaltung der Arbeiterbewegung in einen kommunistischen und einen sozialistischen Flügel verhinderte im Frühjahr 1933 ein geeintes Vorgehen gegen das NS-Regime. Dieses richtete vom ersten Tag seiner Herrschaft an seinen Verfolgungsterror auf die straff organisierte und zentralisierte KPD sowie deren Nebenorganisationen. Die neuen Machthaber ordneten sogleich umfassende Verbots- und Überwachungsmaßnahmen durch die Polizeibehörden an. Parallel zu dieser staatlichen Repres-sion gingen die „Hilfspolizisten“ von SA und SS nun noch rabiater und rücksichtsloser gegen ihre politischen Erzfeinde vor. Bereits in den ersten Wochen nach der Machtergreifung wurden tausende kommunistische Funk-tionäre und Parlamentarier, aber auch einfache Parteimitglieder verhaftet, ermordet oder in die Emigration getrieben.

Nachdem der NS-Terror ihre Partei im Februar und März 1933 mit ebenso unerwarteter wie auch beispielloser Härte zerschlagen hatte, traten zahlreiche Kommunisten den Weg an die Illegalität an. Mit einem enormen persönlichen Einsatz und Opferwillen leisteten sie Widerstand gegen das Unrechtsregime. Unterstützt durch die in Paris etablierte Auslandsleitung bauten die Aktivisten noch 1933 eine illegale Organisationsstruktur auf. Die KPD führte ihren Kampf gegen den NS-Staat vorrangig mit propagandistischen Mitteln. Aus dem Ausland schmuggelte die KPD Propagandamaterial ein oder stellte es illegal her. Mit Flugblättern oder der Parteizeitung „Die Rote Fahne“ prangerte die KPD die Diktatur an und versuchte die Unzufriedenheit in ihrer Arbeiterklientel zu nähren.

Für diesen offenen, aktiven Widerstand, der die NS-Ideologie von der harmonischen Volksgemeinschaft Lügen strafen wollte, zahlten die kommunistischen Untergrundkämpfer einen hohen Preis. Zumeist gelang es der Gestapo, die Widerstandsgruppen bin-nen kurzer Zeit zu zerschlagen. Aufgrund dieser schweren Verluste war 1935/36 das kommunistische Widerstandspotential weit-gehend erschöpft. Auch die Einsicht, dass aller antinationalsozialistischen Propaganda zum Trotz das NS-Regime sich innerhalb der Arbeiterschaft gefestigt hatte, ließ viele Kommunisten am Sinn ihres „heroischen“ Widerstands zweifeln. Um nicht der Verfolgung durch die Gestapo zum Opfer zu fallen, schlossen sich fortan viele Kommunisten zu selbständig agierenden, konspirativen Gesinnungsgemeinschaften zusammen.


Lebensbild Maria Deeg

Die KPD war vor 1933 eine „junge“ Partei mit einem für damalige Verhältnisse hohen Anteil von rund 15 Prozent weiblichen Mitgliedern. Für diese Parteistruktur kann die am 2. Oktober 1907 geborene Maria Deeg, geb. Baitz, symbolisch stehen. Maria Deeg entstammte dem Gießener Arbeitermilieu und erlernte im Anschluss an die Volksschule den Beruf der Kontoristin. Politisch interessiert, schloss sie sich 1925 zunächst der SPD an. Doch wie vielen ihrer jüngeren Zeitgenossen war ihr die Politik der staatstragenden SPD zu „lasch“. 1932 trat sie daher der KPD bei, wo sie „Leben und Aktivität“ fand.

Wie viele andere Kommunisten auch stellte Maria Deeg nach der NS-Machtergreifung die eigene Sicherheit hintan und engagierte sich mit Leidenschaft im offenen Widerstand gegen das Unrechtsregime. Sie verteilte Flugblätter und Zeitungen, sammelte Geld für die „Rote Hilfe“ und Lebensmittel zur Unterstützung von Familien verhafteter Genossen. Nach der eigenen Verhaftung im November 1934 durch die Gestapo büßte sie für ihr selbstloses Engagement mit einer 38-monatigen Freiheitsstrafe.

1940 heiratete sie den 1937 wegen „Hochverrats“ zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe verurteilten kommunistischen Widerstandskämpfer Walter Deeg. Obgleich unter ständiger Beobachtung der Gestapo stehend und mit drei Kindern auf sich allein gestellt, schloss sich Maria Deeg während des Krieges dem konspirativen, „verschwiegenen“ Widerstand an.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zu ihrem Tod im Jahre 2000 blieb Maria Deeg ihrer kommunistischen Grundüberzeu-gung treu. Sie diente der stalinistischen KPD bis zu deren Parteiverbot im August 1956 im Gießener Kreisvorstand und als Mitglied des Landesvorstands. Bis ins hohe Alter hinein war sie in ihrer Heimatstadt Gießen in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und der 1968 gegründeten Deutschen Kommunistischen Partei tätig.
Am 13. März 1933 wurden rund 40 Gießener und Wiesecker Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter und Juden von SA und SS verhaftet und durch die Innenstadt getrieben. Ähnliche Szenen spielten sich im Frühjahr 1933 in vielen anderen hessischen Städten
Am 13. März 1933 wurden rund 40 Gießener und Wiesecker Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter und Juden von SA und SS verhaftet und durch die Innenstadt getrieben. Ähnliche Szenen spielten sich im Frühjahr 1933 in vielen anderen hessischen Städten
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Abführung der Kommunisten aus Worms in das Konzentrationslager Osthofen, März 1933. Das KZ Osthofen war während der Phase der NS-Machtergreifung und Herrschaftkonsolidierung 1933/34 das südhessische Pendant zum KZ Breitenau bei Kassel
Abführung der Kommunisten aus Worms in das Konzentrationslager Osthofen, März 1933. Das KZ Osthofen war während der Phase der NS-Machtergreifung und Herrschaftkonsolidierung 1933/34 das südhessische Pendant zum KZ Breitenau bei Kassel
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Flugblatt der KPD aus der Zeit der NS-Machtergreifung
Flugblatt der KPD aus der Zeit der NS-Machtergreifung
Flugblatt der KPD aus der Zeit der NS-Machtergreifung
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Die kommunistische Widerstandskämpferin Maria Deeg, um 1943.
Die kommunistische Widerstandskämpferin Maria Deeg, um 1943.
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Anklageschrift gegen Maria Deeg, geb. Baitz, 1934.
Anklageschrift gegen Maria Deeg, geb. Baitz, 1934.
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Maria Deeg mit ihrem Sohn Werner, 1943
Maria Deeg mit ihrem Sohn Werner, 1943
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Maria und Walter Deeg bei einer Rast während des Ostermarsches 1960 in Wieseck
Maria und Walter Deeg bei einer Rast während des Ostermarsches 1960 in Wieseck
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Der zivile Widerstand: Die Bekennende Kirche
Der zivile Widerstand: Die Bekennende Kirche
Die evangelische Kirche stand der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus anfangs durchaus mit Wohlwollen gegenüber. Auf der evangelischen Seite überwog eine bürgerlich-konservative Grundhaltung, die distanziert zur pluralistischen, parlamentarischen Demokratie von Weimar stand. Mit dem 30. Januar 1933 schien eine „nationale Erhebung“ eingesetzt zu haben. Von ihr erhoffte man sich in protestantischen Kreisen eine Wiederkehr des christlich-autoritären Staates der Wilhelminischen Ära in der Verbindung von Thron und Altar, wenngleich im neuen Gewand einer unter Hitler geführten Regierung.

Erste Risse in dieser geschichtlich verklärten Fassade waren alsbald unübersehbar. Der totalitäre Anspruch des NS-Regimes, das gesamte öffentliche und private Leben mit seiner Ideologie zu durchdringen, bezog die Religionen mit ein. Auch gegenüber der evangelischen Kirche sollte dieser Totalitätsanspruch durchgesetzt werden. Hierbei bediente sich der Staat nicht nur der eigenen gesetzlichen und ausführenden Machtinstrumente. Die Aufgabe der Gleichschaltung erfüllte hier die am Nationalsozialismus ausgerichtete „Glaubensbewegung Deutsche Christen“. Diese Vereinigung evangelischer Nationalsozialisten unter der Führung des im September 1933 zum Reichsbischof ernannten Ludwig Müller (1883-1945) strebte eine geeinte, überkonfessionelle deutsche Nationalkirche an.

Unter dem Druck der politischen Verhältnisse wurde auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen die bis 1933 bestehende Kirchenverfassung mit den evangelischen Kirchenterritorien Hessen-Darmstadt, Frankfurt am Main, Nassau, Hessen-Kassel und Waldeck-Pyrmont grundlegend geändert. Die Landeskirchentage in Wiesbaden, Frankfurt und Darmstadt beschlossen auf turbulenten Sitzungen am 12. September 1933 ihren Zusammenschluss. An die Spitze der neuen Landeskirche Nassau-Hessen berief Reichsbischof Ludwig Müller den Pfarrer der Wiesbadener Marktkirche, Dr. Ernst Ludwig Dietrich, der ebenfalls den völkisch-religiösen Deutschen Christen zugehörig war. Im Sommer 1934 vereinigten sich dann die Kirchen in Hessen-Kassel und Waldeck-Pyrmont zur evangelischen Landeskirche Kurhessen-Waldeck.

An der Anwendung des „Arierparagraphen“ bei der Besetzung von Kirchenämtern entzündete sich im September 1933 der evangelische Widerstand gegen das NS-Regime sowie der Konflikt innerhalb der evangelischen Kirche, der „Kirchenkampf“. Eine Gruppe von Berliner Pfarrern um Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer verurteilte die von den Deutschen Christen propagierte „völkische“ Religion als Verstoß gegen das christliche Bekenntnis und gründete als Gegenmaßnahme den „Pfarrernotbund“. Aus dieser Vereinigung, die sich rasch in den einzelnen Landeskirchen ausbreitete, entwickelten sich dann reichsweit Bekenntnisgemeinschaften, die sich im Anschluss an die Barmer Bekenntnissynode vom 29. bis 31. Mai 1934 zur Bekennenden Kirche zusammenschlossen. So entstand innerhalb der evangelischen Kirche eine Gruppierung, die sich der staatlichen Gleichschaltungspolitik mit Nachdruck widersetzte.

Die Zielsetzung dieser kirchlichen Opposition lag nicht im politischen Widerstand. Ohne die Loyalität zum Staat grundsätzlich infrage zu stellen, verteidigte die Bekennende Kirche die eigenen Freiheiten und Institutionen. Maßgeblich für die Ausübung der Religion sollte allein die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments sein. Doch je nachhaltiger der Nationalsozialismus auf die Durchsetzung seiner Ideologie von einer völkischen Staatskirche drängte, desto mehr geriet die Bekennende Kirche ungewollt in die Rolle einer staatsfeindlichen Organisation. Offener und interner Protest oder auch die Verweigerung obrigkeitlicher Anordnungen reizten die neuen Machthaber empfindlich. Die Behörden reagierten ihrerseits mit Verwarnungen von Pfarrern, Erteilung von Redeverboten bis hin zur Einweisung von bekennenden Geistlichen in Konzentrationslager.


Lebensbild Hans von Soden

Der Marburger Universitätsprofessor Hans von Soden war gemeinsam mit seinem Kollegen Rudolf Bultmann einer der maßgeblichen Personen der Bekennenden Kirche in Hessen.

Am 4. November 1881 in Striesen bei Dresden geboren, schlug von Soden im Anschluss an sein Theologiestudium die Hochschullaufbahn ein. 1924 folgte er dem Ruf an die Philipps-Universität Marburg, wo er bis zu seinem Tod am 2. Oktober 1945 evangelische Theologie lehrte.

Weit über die Grenzen der akademischen Welt hinaus bekannt wurde Hans von Soden als federführender Mitverfasser des Marburger Gutachtens zur Anwendung des „Arierparagraphen“ im kirchlichen Geltungsbereich. Die von ihm als Dekan geleitete Marburger Theologische Fakultät rückte in die Rolle eines theologischen Zentrums der evangelischen Opposition in Hessen. Es entsprach von Sodens politischem Selbstverständnis, sich dem Pfarrernotbund sowie der Bekennenden Kirche in zentralen Funktionen anzuschließen.

Als gläubiger Christ und Theologe wehrte sich von Soden sowohl innerkirchlich als auch öffentlich gegen die Ideologisierung und Politisierung der evangelischen Kirche. In Zeiten der totalitären Anmaßung betrachtete von Soden seine Professur als Wächter-amt in der Kirche. Die von ihm praktizierte Opposition war bezeichnend für den kirchlichen Widerstand insgesamt. Er widersprach auf seinem religiös-theologischen Feld den Ansprüchen des totalitären Staates mit Nachdruck und wurde dafür auch zwischenzeitlich mit der Entbindung von seiner Lehrtätigkeit bestraft. Allerdings überschritt er nicht die eng gezogene Grenze zur Illegalität, indem er etwa die Verbrechen des NS-Staates anprangerte oder den Kampf gegen den Unrechtsstaat im politischen Widerstand aufnahm.
Dietrich Bonhoeffer war nicht nur einer der Hauptinitiatoren der Bekennenden Kirche, sondern wagte auch den „Griff in die Speichen“ des NS-Systems, indem er sich dem politischen Widerstand anschloss. Er wurde am 9. April 1945 von der SS im KZ Flossenbürg
Dietrich Bonhoeffer war nicht nur einer der Hauptinitiatoren der Bekennenden Kirche, sondern wagte auch den „Griff in die Speichen“ des NS-Systems, indem er sich dem politischen Widerstand anschloss. Er wurde am 9. April 1945 von der SS im KZ Flossenbürg
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Landesbischof Lic. D. Dietrich, Reichbischof Ludwig Müller und Propst Alfred Trommershausen waren die maßgeblichen Vertreter der gleichgeschalteten Deutschen Evangelischen Kirche in Nassau-Hessen, im Deutschen Reich und Frankfurt am Main
Landesbischof Lic. D. Dietrich, Reichbischof Ludwig Müller und Propst Alfred Trommershausen waren die maßgeblichen Vertreter der gleichgeschalteten Deutschen Evangelischen Kirche in Nassau-Hessen, im Deutschen Reich und Frankfurt am Main
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Kanzelabkündigung der Bekennenden Kirche gegen ein von den Deutschen Christen propagiertes „positives“ Christentum, Frühjahr 1935
Kanzelabkündigung der Bekennenden Kirche gegen ein von den Deutschen Christen propagiertes „positives“ Christentum, Frühjahr 1935
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Flugblatt der Deutschen Christen gegen die Bekennende Kirche
Flugblatt der Deutschen Christen gegen die Bekennende Kirche
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Bericht des Pfarrers Robert Lutze aus Hanau über seine Verhaftung und Inhaftierung durch die Gestapo
Bericht des Pfarrers Robert Lutze aus Hanau über seine Verhaftung und Inhaftierung durch die Gestapo
Bericht des Pfarrers Robert Lutze aus Hanau über seine Verhaftung und Inhaftierung durch die Gestapo
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Mitgliedskarte der Bekennenden Kirche (Rückseite)
Mitgliedskarte der Bekennenden Kirche (Rückseite)
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Hans von Soden, um 1940
Hans von Soden, um 1940
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Fakultätsgutachten zur Anwendung des „Arierparagraphen“ in der evangelischen Kirche, September 1933 (Auszug)
Fakultätsgutachten zur Anwendung des „Arierparagraphen“ in der evangelischen Kirche, September 1933 (Auszug)
Fakultätsgutachten zur Anwendung des „Arierparagraphen“ in der evangelischen Kirche, September 1933 (Auszug)
Fakultätsgutachten zur Anwendung des „Arierparagraphen“ in der evangelischen Kirche, September 1933 (Auszug)
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Der zivile Widerstand: Die katholische Kirche
Der zivile Widerstand: Die katholische Kirche
In der katholischen Kirche entwickelte sich unter dem Gleichschaltungsdruck des NS-Regimes zwischen 1933 und 1935 keine der Bekennenden Kirche vergleichbare Oppositionsbewegung. Zwar waren bereits vor dem 30. Januar 1933 gewichtige Stimmen laut geworden, die auf die Unvereinbarkeit von katholischer Lehre und nationalsozialistischem Rassenwahn hinwiesen. Auch das „positive“, auf Überwindung der konfessionellen Grenzen abzielende Christentum, wie es im Parteiprogramm der NSDAP postuliert worden war, stieß im katholischen Lager auf Ablehnung.

Doch trotz der unverkennbaren weltanschaulichen Skepsis zeigten sich die deutschen Bischöfe im Frühjahr 1933 loyal gegenüber der neuen Obrigkeit. Deren Auftreten als entschiedener Gegner des Bolschewismus und für ein Wiedererstarken der Nation überwand zunächst die Vorbehalte gegenüber der Reichsregierung unter Adolf Hitler. Die Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse erleichterte auch das am 20. Juli 1933 in Rom unterzeichnete Reichskonkordat. Dieses Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan sicherte der katholischen Kirche in Deutschland formell die innere Autonomie sowie die ungehinderte Verbreitung ihrer Schriften zu. Dieser staatlichen Garantie der Bekenntnisfreiheit und ?ausübung stand allerdings die freiwillige Entpolitisierung des Katholizismus gegenüber. Parteipolitische Betätigung war den Geistlichen und Ordensleuten fortan untersagt; kirchliche Organisationen hatten sich allein auf religiöse, karitative und kulturelle Aufgaben zu beschränken.

Diese Rechnung der politisch defensiven Kirchenleitung, durch die politische Selbstpreisgabe die katholische Kirche in ihrem Bestand zu sichern, ging nicht auf. Bereits im Herbst 1933 machte die totalitäre Diktatur deutlich, dass sie nicht gewillt war, auf die Gleichschaltung der katholischen Organisationen und Bekenntnisschulen zu verzichten. Das NS-Regime bediente sich bei seinem Kampf gegen die katholische Kirche seiner üblichen Mittel der Einschüchterung, des wirtschaftlichen Drucks sowie des Terrors. Als sich die anfänglich systematische Verletzung des Konkordats schon längst zur Verfolgung von oppositionellen Geistlichen gesteigert hatte, brandmarkte Papst Pius XI. diese glaubensfeindliche Politik mit seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom März 1937. Mit derlei Mahnungen ließ sich der Nationalsozialismus allerdings nicht mehr zähmen.

Einzelne Bischöfe wagten offen gegen das Regime zu opponieren, so z.B. mit einigem Erfolg gegen die nationalsozialistischen Euthanasiemorde in Hadamar. Dennoch mangelte es insgesamt an einer einheitlichen Strategie gegen den Nationalsozialismus. Meist waren es die Geistlichen vor Ort oder ihre Gemeindemitglieder, die sich ohne einen festen organisatorischen Zusammenschluss und aus ihrer individuellen Glaubensüberzeugung heraus gegen die Übergriffe des Staates zur Wehr setzten. Wie bei den Protestanten auch, reichte hier das Spektrum von der Nonkonformität über die Verweigerung, z. B. des Kriegsdienstes oder des Eides auf Adolf Hitler, bis hin zum offenen Protest.


Lebensbild Alfred Delp

Alfred Delp zählte zu jenen katholischen Geistlichen, die vom religiös motivierten, standhaften Widerstehen aus den Schritt in den politischen Widerstand gingen. Die immer brutaleren Verbrechen des NS-Systems z. B. bei der Verfolgung der Juden ließen ihn zu der Überzeugung gelangen, dass es nicht mehr allein um den Schutz der Kirche vor dem Nationalsozialismus gehen müsse, sondern um dessen schnellstmögliche Beseitigung.

Als Sohn einer interkonfessionellen Kaufmannsfamilie am 15. September 1907 in Mannheim geboren und seit 1914 im südhessischen Lampertheim aufgewachsen, erhielt Alfred Delp prägende Eindrücke aus der katholischen Jugendbewegung. Obgleich er 1921 konfirmiert wurde, konvertierte Delp noch im selben Jahr zum katholischen Glauben. Früh fasste er den Entschluss, Priester zu werden. Unmittelbar nach dem Abitur trat Delp in den Jesuitenorden ein, wo er 1937 zum Priester geweiht wurde.

Als Angehöriger des Jesuitenordens bekam Alfred Delp den fanatischen Kirchenhass der Nationalsozialisten unmittelbar zu spüren. Die Ordenszeitung „Stimmen der Zeit“, bei der Delp seit 1937 mitarbeitete, wurde 1941 von der Gestapo verboten. Von dem sogenannten Klostersturm, der Beschlagnahmung von Klöstern und Ordensniederlassungen durch den NS-Staat, war auch Delp unmittelbar betroffen. Notgedrungen übernahm er 1941 die Stelle des Kirchenrektors an der Pfarrkirche in München-Bogenhausen.

Seit 1942 engagierte sich Delp in der Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises. Dort brachte er die Soziallehre der katholischen Kirche zur Geltung. Die von ihm geforderte „Wiederverchristlichung der Arbeiterschaft“ sollte einhergehen mit deren dauerhafter Eigentumsbildung – ein sozialpolitischer Gedanke, der in der späteren Bundesregierung unter Konrad Adenauer eine gewichtige Rolle spielen sollte.

Obgleich Alfred Delp in die Attentatspläne Stauffenbergs nicht eingeweiht war und ihm daher auch keine Mittäterschaft nachgewiesen werden konnte, verhaftete ihn die Gestapo am 28. Juli 1944. Weil er wegen seiner Zugehörigkeit zum Jesuitenorden als Feind und Widersacher des Regimes galt, verurteilte ihn der Volksgerichtshof nach schweren Folterungen am 11. Januar 1945 zum Tode. Am 2. Februar 1945 wurde das Urteil in Berlin-Plötzensee vollstreckt.
Kirchenfeindliche Schmierereien an der Mauer der Katholischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1934
Kirchenfeindliche Schmierereien an der Mauer der Katholischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1934
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Feier anlässlich des 700-jährigen Domjubiläums in Limburg im September 1935. Das Domjubiläum nutzen rund 10.000 Gläubige zu einer machtvollen Demonstration kirchlichen Selbstbehauptungswillens
Feier anlässlich des 700-jährigen Domjubiläums in Limburg im September 1935. Das Domjubiläum nutzen rund 10.000 Gläubige zu einer machtvollen Demonstration kirchlichen Selbstbehauptungswillens
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Enzyklika „Mit brennender Sorge“, März 1937. Mit seinem öffentlichen Rundschreiben protestierte Papst Pius XI. gegen die kirchenfeindlichen Übergriffe des NS-Staates
Enzyklika „Mit brennender Sorge“, März 1937. Mit seinem öffentlichen Rundschreiben protestierte Papst Pius XI. gegen die kirchenfeindlichen Übergriffe des NS-Staates
Enzyklika „Mit brennender Sorge“, März 1937. Mit seinem öffentlichen Rundschreiben protestierte Papst Pius XI. gegen die kirchenfeindlichen Übergriffe des NS-Staates
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Protestschreiben des Limburger Bischofs Antonius Hilfrich an den Reichsjustizminister wegen der Euthanasiemorde in Hadamar, 13. August 1941
Protestschreiben des Limburger Bischofs Antonius Hilfrich an den Reichsjustizminister wegen der Euthanasiemorde in Hadamar, 13. August 1941
Protestschreiben des Limburger Bischofs Antonius Hilfrich an den Reichsjustizminister wegen der Euthanasiemorde in Hadamar, 13. August 1941
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Alfred Delp als Diakon im Dom zu Frankfurt am Main, Frühjahr 1937
Alfred Delp als Diakon im Dom zu Frankfurt am Main, Frühjahr 1937
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Alfred Delp vor der Priesterweihe am 24. Juni 1937
Alfred Delp vor der Priesterweihe am 24. Juni 1937
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Alfred Delp am Primiztag mit seinen Eltern in Lampertheim, 4. Juli 1937
Alfred Delp am Primiztag mit seinen Eltern in Lampertheim, 4. Juli 1937
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Alfred Delp beim Segeln auf dem Simssee, 1943
Alfred Delp beim Segeln auf dem Simssee, 1943
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Der zivile Widerstand: Das Bürgertum
Der zivile Widerstand: Das Bürgertum
In seiner Mehrheit sah sich das Bürgertum – als die durch ein gehobenes Maß an Besitz, Bildung und Einfluss geprägte Gesellschaftsschicht – durchaus mit den Zielen und der Politik des Nationalsozialismus in Übereinstimmung. Viele Bürgerliche ließen sich in der Hoffnung auf eine „nationale Erneuerung“ nur allzu gerne täuschen von der inszenierten Symbolik des „Tages von Potsdam“ vom 21. März 1933, der die Identität des nationalsozialistischen Deutschlands mit der preußisch-deutschen Tradition dokumentieren sollte. Die Augen vielfach vor den offenkundigen Verbrechen an politischen Gegnern und ausgegrenzten Minderheiten verschließend, sah insbesondere das konservativ gesinnte Bürgertum binnen der ersten fünf Jahre NS-Herrschaft verwirklicht, woran zuvor die Weimarer Republik zerbrochen war: Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit, Ankurbelung der Wirtschaft und Herbeiführung politischer Stabilität im Innern durch die Errichtung eines autoritären Staates; Befreiung vom „Versailler Schanddiktat“ und Schaffung eines „Großdeutschlands“ nach außen.

Eine kleine bürgerliche Minderheit vor allem aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum trat dem „plebejischen“, „despotischen“ Nationalsozialismus von Beginn an mit Skepsis oder gar mit Abneigung gegenüber. Diese zumeist liberal, aber auch konservativ denkenden Bürger gingen in die „innere Emigration“ oder verweigerten sich bestenfalls dem NS-Regime. Erst durch die eindeutig auf Krieg ausgelegte expansionistische Außenpolitik Hitlers und die Innenpolitik, die sich vor allem gegenüber den Juden zusehends radikalisierte, wuchs um 1938 im Bürgertum die Unzufriedenheit mit dem NS-Regime. Dessen Gegner formierten sich in Organisationsformen, die in bürgerlicher Tradition standen: Vereine, Zirkel oder Kreise. Dort wurden konspirativ im intellektuellen Diskurs Pläne für einen Staatsstreich und für die Zeit nach Hitler geschmiedet – in Zeiten der Diktatur ein Kapitalverbrechen, das mit der Todesstrafe geahndet wurde.

Der bekannteste und auch historisch nachhaltigste dieser bürgerlichen Diskussionszirkel war der Kreisauer Kreis. Auf dem niederschlesischen Gut Kreisau von Helmuth James Graf von Moltke, aber auch in Berlin und München, fanden ab 1940 Treffen einer bürgerlichen Widerstandsgruppe statt. Zum Kreisauer Kreis zählten rund 20 aktive Mitarbeiter und etwa die gleiche Anzahl an Sympathisanten; sie kamen auch aus der Sozialdemokratie – Carlo Mierendorff und Julius Leber – und aus den beiden christlichen Konfessionen – Alfred Delp und der spätere CDU-Politiker und Präsident des Deutschen Bundestages, Eugen Gerstenmaier. In diesem Kreis sammelte sich eine junge, überwiegend nach 1900 geborene und akademisch gebildete Elite, vielfach geprägt durch die Jugendbewegung und mit einem durch Auslandserfahrungen erweiterten Horizont. Bis zum Sommer 1943 entstand ein Grundsatzprogramm über die staatliche, wirtschaftliche und soziale Gestaltung Deutschlands nach der NS-Diktatur. Man sah im „Christentum die Grundlage für die sittliche und religiöse Erneuerung“ des deutschen Volkes und strebte einen sozialen Ausgleich zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen an. Mit der Verhaftung von Moltkes im Januar 1944 kam die Arbeit des Kreisauer Kreises praktisch zum Erliegen; einige seiner Mitstreiter schlossen sich noch der militärischen Widerstandsgruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg an.


Lebensbild Adam von Trott zu Solz

Adam von Trott zu Solz war eine der tragenden Pfeiler des Kreisauer Kreises. Er wurde am 9. August 1909 als Sohn des preußischen Kultusministers August von Trott zu Solz in Potsdam geboren und verbrachte ab 1917 seine Kindheit im nordhessischen Imshausen. Im Anschluss an sein Jura-Studium und die Promotion absolvierte von Trott ab 1931 als Rhodes-Stipendiat ein Studium an der Universität Oxford. Auch nach seiner Rückkehr in die Heimat, wo er seine juristische Ausbildung fortsetzte, unternahm von Trott weitere Auslandsreisen – u.a. nach China und Ostasien –, die ihn nicht nur persönlich, sondern auch in seiner Wahrnehmung des Nationalsozialismus nachhaltig prägten.

In der Machtübernahme des Nationalsozialismus sah der weltoffene von Trott ein „schreckliches Unglück“ für Deutschland. Hatte er bereits bei seinen zahlreichen Auslandsaufenthalten Kontakte zu Regimegegnern geknüpft, u.a. zu den späteren Initiatoren des Kreisauer Kreises Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, so bahnte sich auch innerhalb Deutschlands von Trotts Weg in den Widerstand an. Da ihm ein berufliches Fortkommen ohne Parteieintritt verwehrt blieb, überwand von Trott sich schließlich 1940 zum NSDAP-Beitritt. Die erst mit der Parteimitgliedschaft mögliche Stelle in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes diente von Trott gleichermaßen als Tarnung und als idealer Ausgangspunkt für die Intensivierung seiner Kontakte in aus- und inländischen Widerstandskreisen.

Seit 1941 engagierte sich von Trott im Kreisauer Kreis. Als dessen außenpolitischer Beauftragter bemühte sich von Trott bei zahlreichen dienstlichen Reisen in das besetzte und neutrale Ausland um Kontaktaufnahme mit den Alliierten, die er allerdings nicht zur Anerkennung des deutschen Widerstands bewegen konnte. Der außenpolitischen Programmatik des Kreisauer Kreises drückte von Trott seinen Stempel auf, indem er für die Einbindung Deutschlands in einen europäischen Bundesstaat plädierte.

Von Trott befürwortete das von der Stauffenberg-Gruppe geplante Attentat auf Hitler und beteiligte sich an dessen Vorbereitung. Nachdem seine Beteiligung an der Konspiration aufgedeckt wurde, erfolgte fünf Tage nach dem gescheiterten Umsturzversuch von Trotts Verhaftung. Am 15. August verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tod; am 26. August 1944 wurde von Trott in Berlin-Plötzensee erhängt.
Helmuth James Graf von Moltke (11. März 1907 - 23. Januar 1945) mit seinem Sohn Caspar. Von Moltke war nicht nur Mitinitiator, sondern auch Triebfeder des Kreisauer Kreises und nahm an allen Sitzungen teil. Vom Volksgerichtshof wurde er für seine Beteilig
Helmuth James Graf von Moltke (11. März 1907 - 23. Januar 1945) mit seinem Sohn Caspar. Von Moltke war nicht nur Mitinitiator, sondern auch Triebfeder des Kreisauer Kreises und nahm an allen Sitzungen teil. Vom Volksgerichtshof wurde er für seine Beteilig
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Peter Graf Yorck von Wartenburg (13. November 1904 - 8. September 1944) um 1939. Neben von Moltke war Yorck von Wartenburg einer der führenden Köpfe des Kreisauer Kreises. Auch er wurde für seine Beteiligung am gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 vom
Peter Graf Yorck von Wartenburg (13. November 1904 - 8. September 1944) um 1939. Neben von Moltke war Yorck von Wartenburg einer der führenden Köpfe des Kreisauer Kreises. Auch er wurde für seine Beteiligung am gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 vom
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Das Berghaus in Kreisau diente der Widerstandsgruppe als Begegnungsstätte
Das Berghaus in Kreisau diente der Widerstandsgruppe als Begegnungsstätte
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Beschlußpapier der zweiten Kreisauer  Tagung vom  18. Oktober 1942 (Auszug)
Beschlußpapier der zweiten Kreisauer Tagung vom 18. Oktober 1942 (Auszug)
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Julius Leber (16. November 1891 - 5. Januar 1945). Leber gehörte bis 1933 zur SPD-Reichstagsfraktion, wurde nach der Machtergreifung verhaftet und musste einen vierjährigen KZ-Aufenthalt erleiden. Gemeinsam mit Carlo Mierendorff stellte Leber im Kreisauer
Julius Leber (16. November 1891 - 5. Januar 1945). Leber gehörte bis 1933 zur SPD-Reichstagsfraktion, wurde nach der Machtergreifung verhaftet und musste einen vierjährigen KZ-Aufenthalt erleiden. Gemeinsam mit Carlo Mierendorff stellte Leber im Kreisauer
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Adam von Trott zu Solz mit seiner Ehefrau Clarita, geb. Tiefenbacher. Das Paar heiratete 1940 in Hamburg und bekam 1942 und 1943 zwei Töchter. Das Foto ist das letzte gemeinsame Bild des Ehepaares Trott zu Solz im Mai 1944
Adam von Trott zu Solz mit seiner Ehefrau Clarita, geb. Tiefenbacher. Das Paar heiratete 1940 in Hamburg und bekam 1942 und 1943 zwei Töchter. Das Foto ist das letzte gemeinsame Bild des Ehepaares Trott zu Solz im Mai 1944
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Adam von Trott zu Solz mit David Astor in Cliveden, England im Juni 1939. Mit Astor, dem späteren Verleger der Zeitung „The Observer“, verband von Trott seit Beginn der 1930er Jahre eine enge Freundschaft
Adam von Trott zu Solz mit David Astor in Cliveden, England im Juni 1939. Mit Astor, dem späteren Verleger der Zeitung „The Observer“, verband von Trott seit Beginn der 1930er Jahre eine enge Freundschaft
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Das Todesurteil gegen Adam von Trott zu Solz und andere Mitglieder des Widerstands, verkündet am 15. August 1944
Das Todesurteil gegen Adam von Trott zu Solz und andere Mitglieder des Widerstands, verkündet am 15. August 1944
Das Todesurteil gegen Adam von Trott zu Solz und andere Mitglieder des Widerstands, verkündet am 15. August 1944
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Der zivile Widerstand: Die Jugend
Der zivile Widerstand: Die Jugend
Vor 1933 existierte in Deutschland ein vielgestaltiges Spektrum an Jugendverbänden. Seit der nationalsozialistischen Machtergreifung strebte der NS-Staat konsequent eine ausschließliche Zusammenfassung aller Jugendlichen unter dem Dach der Hitlerjugend (HJ) an.

Die Jugendverbände aus der Arbeiterbewegung wurden bereits unmittelbar nach der Machtergreifung verboten. Mitglieder der politischen Jugendgruppen beteiligten sich in den ersten Jahren des NS-Regimes am aktiven Widerstand. Sozialistische Jugendliche verteilten z.B. in Frankfurt antinazistische Zeitungen. Doch gelang es der Gestapo in aller Regel, diese Widerstandszirkel binnen kurzer Zeit aufzudecken, was den verhafteten Jugendlichen drakonische Strafen einbrachte.

Weitgehend widerstandslos gleichschalten ließ sich die evangelische Jugend. Der Zusammenschluss der protestantischen Jugendverbände, das Evangelische Jugendwerk, wurde bereits im Dezember 1933 mit Unterstützung des deutsch-christlichen Reichsbischofs Müller in die HJ überführt.

Die organisierte katholische Jugend leistete weniger aktiven, politisch motivierten Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Hier handelte es sich eher um eine Opposition, die auf die Bewahrung des eigenen kirchlichen Aktionsraums abzielte. Die katholischen Jugendgruppen konnten in den ersten Jahren der Diktatur noch ein Eigenleben bewahren. Erst ab 1937 wagte es der NS-Staat, auch diese Bastion einer christlichen Jugendarbeit zu schleifen.

Unter massivem Druck der HJ und des NS-Staates mussten auch die freien bündischen Jugendgruppen bereits kurze Zeit nach der Machtergreifung ihre Jugendverbandsstrukturen aufgeben. Im Verborgenen bewahrten zahlreiche dieser Jugendlichen aus dem Nerother Wandervogel, der Deutschen Freischar oder anderen Pfadfinderbünden ihre nun verpönte bündische Identität. Ihr jugendlich-idealistischer Freiheitsdrang war unvereinbar mit der Enge der von Erwachsenen verordneten Zwangsorganisation HJ.

Mit dem Gesetz über Hitler-Jugend endete am 1. Dezember 1936 der Prozess der Unterwerfung und Gleichschaltung der letzten nicht nationalsozialistischen Jugendverbände. Nun fasste die HJ formell die gesamte deutsche Jugend zusammen. Als dritte Säule der Erziehung stand die HJ nun nicht allein neben, sondern auch in Abgrenzung zu Elternhaus und Schule.

Dennoch ließen sich nicht alle Jugendlichen bereitwillig vereinnahmen. Der gesetzliche Zwang zum Beitritt in die HJ reichte nicht aus, um pubertierende Jugendliche für den dort herrschenden paramilitärischen Drill sowie die strikte Rassen- und Geschlechtertrennung zu begeistern. Insbesondere in den städtischen Ballungszentren wie Frankfurt schlossen sich daher Jugendliche zu „wilden“ Gruppen zusammen, um einen zwangloseren Lebensstil zu praktizieren, weniger um aktiven politischen Widerstand zu leisten.


Lebensbild Franz Kremer

Die Geschichte von Franz Kremer, geboren 1925 in Frankfurt und noch heute dort lebend, ist beispielhaft für die Entstehung dieser neuen Jugendsubkultur im Dritten Reich.

Gemeinsam mit seinem drei Jahre älteren Bruder schloss sich Kremer der „Swing-Jugend“ an. Das bei der HJ übliche „Brüllen, Marschieren, Gleichschritt“ stieß Kremer ab. Leidenschaftlich hörte er mit seinen Freunden vom Frankfurter „Harlem-Club“, der eher ein lockerer Freundeskreis als ein fester Club war, den amerikanischen Swing. Bei ihren heimlichen Treffen bot der Swing im Gegensatz zur „kalten Marschmusik“ die Möglichkeit, sich mit einer individuellen Note frei zu bewegen. Unangepasst war auch der am Vorbild des englischen Gentleman oder der vornehmen Dame ausgerichtete Kleidungsstil.

Für diese nonkonforme Verweigerungshaltung gegenüber der HJ zahlten Kremer und seine Freunde einen hohen Preis. Kremer wurde Anfang 1941 von der Gestapo verhaftet und monatelang in der Frankfurter Gestapozentrale in der Lindenstraße verhört und gefoltert. Mit 19 Jahren zur Wehrmacht eingezogen, zog sich Franz Kremer bei seinem Kriegseinsatz eine schwere Verwundung zu. Die angefangene Metzgerlehre konnte Kremer nicht mehr beenden. Neuen Sinn bekam sein Leben durch die Musik, als er nach dem Krieg sein gesangliches Talent bei der Frankfurter Oper entfalten konnte.
Adolf Hitler als Mittelpunkt der NS-Erziehung
Adolf Hitler als Mittelpunkt der NS-Erziehung
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Gruppenaufnahme von Hitlerjungen vor „Zelt 18“, Sommer 1936
Gruppenaufnahme von Hitlerjungen vor „Zelt 18“, Sommer 1936
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Fahnenweihe des Bundes Deutscher Mädel, Juli 1933
Fahnenweihe des Bundes Deutscher Mädel, Juli 1933
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Katholische Sturmschar in Frankfurt am Main am 1. Mai 1934
Katholische Sturmschar in Frankfurt am Main am 1. Mai 1934
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Bericht der Oberstaatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt an den Generalstaatsanwalt über die Frankfurter Swingjugend vom Juli 1940
Bericht der Oberstaatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt an den Generalstaatsanwalt über die Frankfurter Swingjugend vom Juli 1940
Bericht der Oberstaatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt an den Generalstaatsanwalt über die Frankfurter Swingjugend vom Juli 1940
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Franz Kremer bei einer Klettertour am Feldberg bei Oberreifenberg, wo sich der Harlem-Club an Wochenenden zusammenfand, um 1940
Franz Kremer bei einer Klettertour am Feldberg bei Oberreifenberg, wo sich der Harlem-Club an Wochenenden zusammenfand, um 1940
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Franz Kremer nach seiner Einziehung zum Militärdienst, 1944
Franz Kremer nach seiner Einziehung zum Militärdienst, 1944
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Franz Kremer, um 1946
Franz Kremer, um 1946
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Franz Kremer im April 2004
Franz Kremer im April 2004
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Das Attentat und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944: Der militärische Widerstand
Das Attentat und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944: Der militärische Widerstand
Nach der Ausschaltung der Arbeiterbewegung im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung hätte allein das Militär über die Machtmittel verfügt, das Unrechtsregime zu stürzen. Dass sich dereinst aus den Streitkräften heraus eine starke Widerstandsbewegung mit dem Ziel bilden würde, an Adolf Hitler den „Tyrannenmord“ zu vollziehen, war aus der Perspektive der ersten Jahre der NS-Herrschaft jedoch kaum denkbar. Der von Hitler angekündigte Kampf gegen Pazifismus und Marxismus deckte sich mit der nationalkonservativen Grundüberzeugung der militärischen Elite, die überwiegend durch das Kaiserreich geprägt worden war. Die Bereitschaft der Reichswehr, mit den neuen Machthabern zu kooperieren, hat auch die zügige militär- und außenpolitische Revision des Versailler Vertrages befördert. Die massive Wiederaufrüstung bot zum einen den einzelnen Offizieren bis in die unteren Ränge hinein ungeahnte Beförderungschancen und eine soziale Aufwertung durch die Militarisierung der Gesellschaft. Zum anderen stand die militärische Aufrüstung in einer untrennbaren Verbindung zu einem neuen „Großdeutschland“, das Hitler verhieß.

In dem Glauben, mit der Regierung Hitler sei die Wiedergeburt der Nation zu vergangener Größe eingeläutet worden, ließ sich die Reichswehr unter ihrem neuen Minister Generaloberst Werner von Blomberg gleichschalten. Bereitwillig beteiligte sie sich an der als „Röhmputsch“ bezeichneten Mordaktion vom 30. Juni 1934, bei der mit der SA-Spitze die Konkurrenz der NS-Parteiarmee ausgeschaltet wurde. Die Vereidigung der Soldaten auf den „Führer“ Adolf Hitler statt wie zuvor auf „Volk und Vaterland“ band den Einzelnen in fataler Weise an das verbrecherische System. Die faktische Übernahme des Oberbefehls über die 1935 in „Wehrmacht“ umbenannten Streitkräfte durch Hitler sowie die Einsetzung ergebener, regimetreuer Offiziere schlossen im Frühjahr 1938 die militärische Gleichschaltung ab.

Die Loyalität innerhalb der Armeeführung begann zu bröckeln, als sich 1937/38 mit der aggressiven Außenpolitik des Regimes ein kriegerischer Konflikt mit den Westmächten England und Frankreich anbahnte. Die militärische Opposition gegen die Kriegspolitik, in der man eine existentielle Gefährdung der deutschen Nation sah, steigerte sich bereits während der „Sudetenkrise“ vom Sommer 1938 zu konkreten Staatsstreichplänen. Dass Hitler mit dem Münchener Abkommen vom 29. September 1938 die Angliederung des Sudetenlandes auf diplomatischem Wege gelang und damit die Kriegsgefahr vorerst gebannt war, machte diese Planungen für einen Sturz des Diktators zunichte. Hitlers außenpolitischer Erfolg war eine Niederlage für den militärischen Widerstand, der zusehends in eine resignative Passivität verfiel.

Den nächsten Anlauf, von dem als verhängnisvoll erachteten Weg in den Weltkrieg abzukommen, unternahmen die oppositionell eingestellten Befehlshaber nach dem deutschen Überfall auf Polen im Herbst 1939. Doch auch dieser militärische Sieg, vielmehr noch dann im darauffolgenden Jahr der Triumph über Frankreich, entzogen vorerst allen Staatsstreichplanungen den Boden. Hitler stand auf dem Zenit seiner Macht und hatte seine Stellung als Oberbefehlshaber der Wehrmacht gefestigt.

Als sich das militärische Blatt nach dem Angriff auf die Sowjetunion zu wenden begann, bekam die Opposition neuen Auftrieb. Noch mehr als während des Polenfeldzuges wurde nun deutlich, dass es sich hier um einen rassenideologischen Vernichtungskrieg handelte, der alle bis dato auch im Krieg geltenden Regeln und Konventionen missachtete. Der mit erbarmungsloser Brutalität geführte „Weltanschauungskrieg“, in den auch die Wehrmacht selbst verstrickt war, verstieß gegen Rechtsempfinden, Moral und christliche Verantwortung einer zunehmend wachsenden Anzahl von Offizieren. Innerhalb der einzelnen Gruppen der Militäropposition, die sich seit 1941 neu formierte, bestand nun Einigkeit darüber, dass Hitler getötet werden müsse, um die tragende Stütze des Regimes einzureißen und die Soldaten von ihrem „Treueid“ zu entbinden. Doch alle Pläne, den Tyrannen durch ein Attentat aus dem Weg zu räumen, scheiterten bis zum Stauffenberg-Attentat bereits im Ansatz.


Lebensbild Ludwig Beck

Von Herkunft und Entwicklung her war Ludwig Beck ein typischer Vertreter der nationalkonservativen Opposition gegen die NS-Diktatur. Ludwig Beck wurde am 29. Juni 1880 in Biebrich, heute ein Stadtteil von Wiesbaden, als Sohn des gleichnamigen Eisenhüttendirektors geboren. Der Eintritt in die preußische Offizierslaufbahn im Anschluss an das Abitur 1898 lag nahe, besaß doch der Soldatenberuf Tradition in der Familie Beck. Becks intellektuelle Fähigkeiten förderten seine Karriere, die ihn noch vor dem Ersten Weltkrieg in den Großen Generalstab führte. Nach dem Krieg übernahm ihn die Reichswehr und er stieg weiter auf bis zum Generalleutnant.

Als Angehöriger einer konservativen Elite im Staatsdienst begrüßte Beck den Beginn der nationalsozialistischen Ära; Hitlers Militär- und Gesellschaftspolitik fand durchaus seine Billigung. Doch wandelte sich anfängliche Sympathie in grundsätzliche Abneigung, als Hitler sich nicht mehr allein mit der Revision des Versailler Vertrages begnügen wollte. Der weitsichtige Stratege Beck erkannte früh, dass die rassenideologisch motivierte „Lebensraumpolitik“ des Nationalsozialismus das Deutsche Reich in existentielle Gefahr brachte. Mit seinen Denkschriften warnte der mittlerweile zum Chef des Generalstabes des Heeres aufgestiegene Beck vor der Expansionspolitik. Da Hitler sich gegenüber militärischem Sachverstand unempfänglich zeigte, drängte Beck die Generalität zu einer kollektiven Gehorsamsverweigerung – ein vergebliches Unterfangen, was Beck dazu veranlasste, am 18. August 1939 von seinem Führungsamt zurückzutreten.

Aufgrund des breiten Ansehens, das er genoss, rückte Beck nach seiner Demission rasch in den Mittelpunkt sowohl des militärischen wie auch des bürgerlichen Widerstands. Da auch er mittlerweile im „Tyrannenmord“ die einzige Chance sah, das Regime zu stürzen und einen politischen Neuanfang zu machen, beteiligte sich Beck am Umsturzversuch des 20. Juli 1944. Wie die anderen Verschwörer im Berliner Bendlerblock auch, bezahlte Beck seinen mutigen Einsatz am Abend dieses Tages mit dem Leben.
Werner von Blomberg, ab 1933 Reichswehrminister, von 1935 bis 1938 Reichskriegsminister, forcierte die Gleichschaltung der Streitkräfte. Hier beim Abschreiten einer Ehrenkompanie anlässlich seines 40-jährigen Dienstjubiläums in Berlin
Werner von Blomberg, ab 1933 Reichswehrminister, von 1935 bis 1938 Reichskriegsminister, forcierte die Gleichschaltung der Streitkräfte. Hier beim Abschreiten einer Ehrenkompanie anlässlich seines 40-jährigen Dienstjubiläums in Berlin
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Gesetz über die Vereidigung der Beamten und Soldaten der Wehrmacht, 20. August 1934
Gesetz über die Vereidigung der Beamten und Soldaten der Wehrmacht, 20. August 1934
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Franz Halder übernahm im September 1938 nach dem Rücktritt von Ludwig Beck dessen Posten als Generalstabschef des Heeres. Er stand anfangs der militärischen Opposition nahe, schwenkte dann aber nach dem Münchener Abkommen zunehmend auf die Seite Hitlers u
Franz Halder übernahm im September 1938 nach dem Rücktritt von Ludwig Beck dessen Posten als Generalstabschef des Heeres. Er stand anfangs der militärischen Opposition nahe, schwenkte dann aber nach dem Münchener Abkommen zunehmend auf die Seite Hitlers u
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Triumphale Rückkehr der siegreichen Truppen aus Frankreich, Wilhelmstraße in Wiesbaden am 3. Oktober 1940
Triumphale Rückkehr der siegreichen Truppen aus Frankreich, Wilhelmstraße in Wiesbaden am 3. Oktober 1940
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Ludwig Beck in Uniform mit seinen beiden Brüdern Karl und Wilhelm anlässlich der Silberhochzeit ihrer Eltern, April 1900
Ludwig Beck in Uniform mit seinen beiden Brüdern Karl und Wilhelm anlässlich der Silberhochzeit ihrer Eltern, April 1900
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Ludwig Beck als General der Artillerie und Chef des Generalstabs des Heeres, um 1938
Ludwig Beck als General der Artillerie und Chef des Generalstabs des Heeres, um 1938
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Ludwig Beck mit Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch (links), Oberbefehlshaber des Heeres, 1937 im Manöver. Im Februar 1938 wurde Fritsch im Zuge der sog. Blomberg-Fritsch-Krise als einer der letzten Kritiker Hitlers in einer militärischen Spitzenpos
Ludwig Beck mit Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch (links), Oberbefehlshaber des Heeres, 1937 im Manöver. Im Februar 1938 wurde Fritsch im Zuge der sog. Blomberg-Fritsch-Krise als einer der letzten Kritiker Hitlers in einer militärischen Spitzenpos
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Vortragsnotiz Becks über die Gefahren eines Krieges mit der Tschechoslowakei, 16. Juli 1938
Vortragsnotiz Becks über die Gefahren eines Krieges mit der Tschechoslowakei, 16. Juli 1938
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Das Attentat und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944: Das Attentat
Das Attentat und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944: Das Attentat
Der gescheiterte Vormarsch der deutschen Truppen auf Moskau im Dezember 1941, vor allem aber die Niederlage von Stalingrad Ende 1942/Anfang 1943 hatten den Nimbus Hitlers als Feldherr schwer erschüttert; der Krieg galt als verloren. Je deutlicher sich nun die militärische Niederlage Deutschlands abzeichnete, desto günstiger wurden die Voraussetzungen für einen Umsturz.

Seit 1941 schlossen sich vornehmlich jüngere Offiziere dem militärischen Widerstand an. Diese „Jungen“ zeigten die für einen Umsturz notwendige Entschlossenheit, die die eher zögerlichen „Alten“ um Ludwig Beck Ende der 1930er Jahre noch vermissen ließen. Die treibende Kraft war zunächst der Generalstabsoffizier Henning von Tresckow. Mit anderen oppositionellen Offizieren seines Stabes bei der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront versuchte Tresckow seit Mitte 1942 wiederholt, Attentate auf Hitler zu organisieren, die allerdings immer wieder fehlschlugen. Da ihm im November 1943 ein Regimentskommando an der Ostfront übertragen wurde, musste Tresckow aus dem Zentrum der Verschwörung heraustreten.

An dessen zentrale Stelle in der militärischen Konspiration rückte Claus Graf Schenk von Stauffenberg; er wurde nun zum Motor des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944. Wie Tresckow und andere führende Köpfe des militärischen Widerstands, wollte Stauffenberg mit dem Staatsstreich zuvorderst die vernichtende militärische Niederlage abwenden und die Wehrmacht erhalten. Auch er empörte sich über den Vernichtungs- und Ausrottungskrieg gegen die russische Bevölkerung nicht allein aus moralischen, sondern auch aus politischen Erwägungen. Abgesehen von den negativen Auswirkungen der Gräueltaten auf die Moral der Truppe, war sich Stauffenberg aus einer für den militärischen Widerstand durchaus typischen antibolschewistischen Grundhaltung heraus bewusst, dass der Kampf gegen den Bolschewismus nur gemeinsam mit dem russischen Volk gewonnen werden könne. Der hinter den Fronten geführte Rassenvernichtungskrieg war daher nach Stauffenbergs Auffassung ein wesentlicher Faktor für den militärischen Niedergang an der Ostfront.

Noch gemeinsam mit Tresckow entwickelte Stauffenberg in Berlin im Herbst 1943 Planungen für einen Staatsstreich. Der Umsturz sollte mit einem tödlichen Attentat auf Hitler eingeleitet werden, die Durchführung erwies sich jedoch als schwierig. Auswärtige Termine Hitlers wurden aus Sicherheitsgründen häufig kurzfristig verschoben oder abgesagt. In seinen Hauptquartieren war der Diktator zwar gut abgeschirmt, doch schien die tägliche Lagebesprechung mit Hitler noch eine der besten Gelegenheiten für dessen Liquidierung zu sein. Allerdings hatte zunächst niemand aus der kleinen konspirativen Verschwörergruppe unmittelbaren Zugang zum „Führer“.

Im Sommer 1944 hatte Stauffenberg in seiner Dienststellung als Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres gelegentlich vor Hitler zu referieren. Nun bot sich endlich die ersehnte Gelegenheit zum Attentat. Die militärische Lage war mittlerweile verzweifelt und die Alliierten beharrten auch im Fall eines Umsturzes des NS-Regimes auf der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. Angesichts dieser Situation erachtete Stauffenberg den praktischen politischen Nutzen eines Staatsstreichs zwar als gering, entschloss sich aber dennoch, das Attentat nun selbst durchzuführen.

Gemeinsam mit seinem Adjutanten Werner von Haeften nutzte Stauffenberg am 20. Juli 1944 die Lagebesprechung im Hauptquartier Hitlers, der „Wolfschanze“ in Ostpreußen, für ein Sprengstoffattentat. Doch da nur die Hälfte der vorgesehenen Sprengstoffmenge zur Zündung kam und die Wucht der Explosion durch einen direkt vor Hitler stehenden massiven Tischsockel abgebremst wurde, überlebte der Diktator leicht verletzt. Die entscheidende Voraussetzung für ein Gelingen des Staatsstreichs war damit unerfüllt geblieben.


Lebensbild Claus Graf Schenk von Stauffenberg

Der Weg von Claus Graf Schenk von Stauffenberg in den militärischen Widerstand war keineswegs vorgezeichnet. Stauffenberg wurde als dritter Sohn einer schwäbischen Adelsfamilie am 15. November 1907 in dem zwischen Ulm und Augsburg liegenden Ort Jettingen geboren. Nach dem Abitur 1926 entschied sich Stauffenberg, die Offizierslaufbahn bei der Reichswehr einzuschlagen. Bereits zu Beginn seiner militärischen Laufbahn attestierte sein Kompaniechef ihm „unabhängige Willens- und Urteilsbildung, ausgezeichnete geistige Anlagen, überdurchschnittliches taktisches und geistiges Können“; in späteren Jahren galt Stauffenberg als einer der begabtesten Offiziere der Wehrmacht.

Der Weimarer Republik diente Stauffenberg zwar loyal, doch stand er der parlamentarischen Demokratie mit ihrem „Parteiengezänk“ eher reserviert gegenüber. Stauffenberg begrüßte die Machtergreifung Hitlers aus der Hoffnung heraus, dass die unter der autoritären Führung geeinte Nation wieder zu alter Größe erstarken würde, ließ sich jedoch von der „vulgären“ NS-Ideologie nicht vereinnahmen. Am Zweiten Weltkrieg nahm der überzeugte Soldat Stauffenberg von Beginn an teil. Die Niederwerfung Polens, vor allem aber des „Erbfeindes“ Frankreich, erfüllten Stauffenberg mit Siegeszuversicht für den Krieg gegen die „bolschewistische“ Sowjetunion.

Unter dem Eindruck der verbrecherischen NS-Besatzungspolitik in Polen, seit 1941 dann in Russland, wandelte sich der gläubige Katholik Stauffenberg zu einem vehementen Regimegegner. Stauffenberg war seit 1942 fest entschlossen, den von ihm als „Schmutzfink“ bezeichneten Hitler zu töten. Auch die schweren Kriegsverletzungen, die Stauffenberg sich im April 1943 bei den Kämpfen in Nordafrika zuzog, brachten ihn nicht von seinem Weg ab. Das Ziel vor Augen, mit einem Staatsstreich zu retten, was noch zu retten war, wurde Stauffenberg binnen weniger Monate wieder dienst- und einsatzfähig. Er ergriff die Chance zur eigenhändigen Durchführung des Attentats, wohl wissend, dass ein Scheitern wahrscheinlicher war als der ersehnte Erfolg. Als Stauffenberg dann in der Nacht des 20. Juli 1944 vor dem Erschießungskommando stand, schrie der Patriot mit seinen letzten Worten heraus, wofür er sich geopfert hatte: „Es lebe das heilige Deutschland!“
Lagebesprechung beim Stab der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront, einem der Zentren des militärischen Widerstands, 1943. Oberst i.G. Henning von Tresckow 4. von rechts
Lagebesprechung beim Stab der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront, einem der Zentren des militärischen Widerstands, 1943. Oberst i.G. Henning von Tresckow 4. von rechts
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Die militärische Lage am 20. Juli 1944. Aus: Aufstand des Gewissens. Der militärische Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945. Hrsg. vom Militärischen Forschungsamt, Herford und Bonn, 2. Auflage, 1985
Die militärische Lage am 20. Juli 1944. Aus: Aufstand des Gewissens. Der militärische Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945. Hrsg. vom Militärischen Forschungsamt, Herford und Bonn, 2. Auflage, 1985
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Führerhauptquartier „Wolfschanze“ bei Rastenburg in Ostpreußen am 20. Juli 1944. Aus: Aufstand des Gewissens. Der militärische Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945. Hrsg. vom Militärischen Forschungsamt, Herford und Bonn, 2. Auflage, 1985
Führerhauptquartier „Wolfschanze“ bei Rastenburg in Ostpreußen am 20. Juli 1944. Aus: Aufstand des Gewissens. Der militärische Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945. Hrsg. vom Militärischen Forschungsamt, Herford und Bonn, 2. Auflage, 1985
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Rekonstruktion des Aufenthaltes der Teilnehmer an der Lagebesprechung in der Lagebaracke im Führerhauptquartier „Wolfschanze“ am 20. Juli 1944 unmittelbar vor der Detonation der Sprengladung. Aus: Aufstand des Gewissens. Der militärische Widerstand gegen
Rekonstruktion des Aufenthaltes der Teilnehmer an der Lagebesprechung in der Lagebaracke im Führerhauptquartier „Wolfschanze“ am 20. Juli 1944 unmittelbar vor der Detonation der Sprengladung. Aus: Aufstand des Gewissens. Der militärische Widerstand gegen
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Claus Schenk Graf von Stauffenberg (links) mit seinen Eltern Alfred Schenk Graf von Stauffenberg und Caroline, geb. Gräfin von Uxkull-Gyllenband, und seinen beiden Brüdern Alexander und Berthold, Lautlingen um 1923
Claus Schenk Graf von Stauffenberg (links) mit seinen Eltern Alfred Schenk Graf von Stauffenberg und Caroline, geb. Gräfin von Uxkull-Gyllenband, und seinen beiden Brüdern Alexander und Berthold, Lautlingen um 1923
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Schloss Lautlingen, der Familiensitz der von Stauffenberg’s
Schloss Lautlingen, der Familiensitz der von Stauffenberg’s
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Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim. Metz von Quirnheim, ein enger Freund von Stauffenbergs, war an der Vorbereitung und Durchführung des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 beteiligt, Winniza/Ukraine um 1942
Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim. Metz von Quirnheim, ein enger Freund von Stauffenbergs, war an der Vorbereitung und Durchführung des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 beteiligt, Winniza/Ukraine um 1942
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Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit seinen Kindern während seines Genesungsurlaubs, Sommer 1943
Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit seinen Kindern während seines Genesungsurlaubs, Sommer 1943
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Das Attentat und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944: Der Umsturzversuch
Das Attentat und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944: Der Umsturzversuch
Beim Verlassen des „Führerhauptquartiers“ Wolfschanze beobachtete Stauffenberg die Detonation der von ihm gezündeten Sprengladung. In der Überzeugung, Hitler habe den Anschlag nicht überlebt, trat Stauffenberg gemeinsam mit seinem Adjutanten Werner von Haeften den Rückflug nach Berlin an, um von dort aus den Umsturz voranzutreiben.

Die Planungen für den Umsturz basierten auf der „Operation Walküre“. Diese Pläne regelten den Einsatz von Ausbildungs- und Ergänzungstruppenteilen zur Küstensicherung, gegen die Landung feindlicher Fallschirmjägertruppen oder auch zur Bekämpfung von Unruhen innerhalb Deutschlands. Bei Auslösung der „Walküre“-Alarmbefehle sollten Wehrmachtsverbände in Gang gesetzt werden, um – gewissermaßen als Schwert des Staatsstreichs – das NS-Regime zu stürzen. Mit der militärischen Befehlsgewalt wollten die Verschwörer die Regierungsverantwortung im Reich übernehmen. Hatten der Militäropposition der Jahre 1938/39 geeignete Truppenverbände für einen Putsch noch gefehlt, so änderte sich diese Situation mit der Ernennung von General Friedrich Olbricht zum Chef des allgemeinen Heeresamtes unter dem Befehlshaber des Ersatzheeres, General Fromm. Olbricht, ein früher und entschiedener Gegner des Nationalsozialismus, besaß als Vertreter Fromms Zugriff auf das Ersatzheer, in dem reichsweit Truppen für den späteren Fronteinsatz ausgebildet und neu aufgestellt wurden. Unter Olbricht wurden die „Walküre“-Pläne dann insgeheim abgewandelt, um das Ersatzheer für den geplanten Staatsstreich zu instrumentalisieren, ohne dass dieser konspirative Zweck nach außen offen zutage trat. Nach Auslösung des „Walküre“-Befehls sollten überall im Deutschen Reich gleichzeitig Ersatztruppen nicht mehr allein strategisch wichtige Objekte wie beispielsweise Brücken oder Kommunikationseinrichtungen sichern, sondern auch SS-Verbände oder andere Parteigänger Hitlers neutralisieren und den Ausbruch eines Bürgerkrieges verhindern.

Der Erfolg der Operation „Walküre“ war untrennbar verbunden mit einem Gelingen des Attentats auf Hitler, wodurch die Soldaten vom Eid auf den Diktator befreit worden wären. Doch bereits kurze Zeit nach dem Attentat war auch zum Berliner Bendlerblock, wo der Chef des Ersatzheeres mit seinem Stab residierte, erstmals Nachricht vom Überleben des Diktators gedrungen. Die Verschwörergruppe um Olbricht zögerte daher vor der umfassenden Auslösung der „Walküre“-Alarmbefehle zunächst zurück und wartete die Ankunft Stauffenbergs in Berlin ab. Wertvolle Zeit war verstrichen, als dieser dann im Bendlerblock erschien und seinen Mitstreitern eindringlich versicherte, Hitler könne die Detonation nicht überlebt haben. Nun erst, mit rund vierstündiger Verzögerung, wurden unter der Regie von Stauffenberg die „Walküre“-Alarmierungsbefehle herausgegeben.

Da es aber den Verschwörern weder gelang, das „Führerhauptquartier“ Wolfschanze nachrichtentechnisch von der Außenwelt abzuschneiden noch der Berliner Rundfunkanlagen habhaft zu werden, standen alsbald die offiziellen Meldungen, Hitler habe ein Attentat überlebt, im Widerspruch an den „Walküre“-Befehlen, die den Tod des Diktators proklamierten. Lediglich in Wien, Prag und Paris hatte der Umsturz mit der Verhaftung lokaler SS-Führer konkrete Formen angenommen. Im Kasseler Wehrkreis IX, der große Teile des heutigen Hessen und Thüringen einschloss, wurden durch den eingeweihten Oberst Claus-Henning von Plate bereits die Verhaftungen der NS-Gauleiter, Parteifunktionäre und des Höheren SS- und Polizeiführers in die Wege geleitet. Doch in den meisten anderen Wehrkreisen des Reiches warteten die Kommandeure des Ersatzheeres, allen telefonischen Überzeugungsversuchen Stauffenbergs zum Trotz, die weitere Entwicklung zunächst erst einmal ab. Auch in Berlin selbst geriet der Staatsstreich zusehends ins Stocken und brach schließlich zusammen. Die Ankündigung einer Rundfunkansprache Hitlers am Abend des 20. Juli 1944, die den letzten öffentlichen Beweis für sein Überleben lieferte, bedeutete das endgültige Scheitern des Umsturzversuches. Noch in derselben Nacht wurden Stauffenberg und seine Mitverschwörer Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften im Innenhof des Bendlerblocks standrechtlich erschossen. Ludwig Beck, die Integrationsfigur des deutschen Widerstands, hatte zuvor die Gelegenheit zum Freitod ergriffen.


Lebensbild Friedrich Olbricht

Die dritte maßgebliche Persönlichkeit des militärischen Widerstands während des Zweiten Weltkriegs neben Tresckow und Stauffenberg war Friedrich Olbricht.

Friedrich Olbricht wurde am 4. Oktober 1888 als Sohn des Mathematikprofessors und Realschul-Oberlehrers Richard Olbricht in Leisnig/Sachsen geboren. Nach dem Abitur 1907 entschloss sich Olbricht, die militärische Laufbahn einzuschlagen. Im Ersten Weltkrieg bewährte sich der junge Soldat und erhielt mehrfach Auszeichnungen für seine Tapferkeit. 1919 zählte Olbricht zu jenen Angehörigen des kaiserlichen Offizierskorps, die in die Reichswehr übernommen wurden.

Der feinsinnige, humanistisch erzogene Olbricht stand bereits während der Weimarer Zeit der nationalsozialistischen Bewegung distanziert gegenüber. Obgleich auch er konservativ-national gesonnen war und auf eine „Wiedergenesung“ der Nation hoffte, lehnte er doch die irrationale Weltanschauung des Nationalsozialismus ab. Auch die „unseriöse Persönlichkeit“ eines Adolf Hitler im Amt des Reichskanzlers missbilligte er. Aus dieser latenten Oppositionshaltung trat Olbricht erstmals während der Röhm-Krise 1934 heraus, als er nicht nur gegen die Mordaktion protestierte, sondern auch couragiert einige Männer vor dem Zugriff der SS bewahrte.

Da er in Hitler einen Verbrecher sah, der mit seiner skrupellosen Politik Volk und Vaterland in den Abgrund trieb, nutzte Olbricht seinen beruflichen Aufstieg zur Ausweitung seines Widerstands gegen das NS-Regime. In enger Abstimmung mit zivilen Widerstandskreisen um Ludwig Beck und Carl-Friedrich Goerdeler ließ der mittlerweile zum General beförderte Olbricht die Planungen für einen Umsturz auf der Grundlage der „Walküre“-Befehle vorantreiben. Bereits am 15. Juli 1944 warf Olbricht in Erwartung eines Anschlags auf Hitler sein Leben in die Waagschale, als er erstmals den „Walküre“-Alarm auslöste, die Operation aber dann noch als Übungsalarm darzustellen vermochte. Fünf Tage später sah er dann für sich kein Zurück mehr.
Fernschreiben Auslösung der „Walküre“-Befehle, 2. Stufe, 20. Juli 1944
Fernschreiben Auslösung der „Walküre“-Befehle, 2. Stufe, 20. Juli 1944
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Fernschreiben der Verschwörer „Der Führer ist tot“, unterzeichnet von Witzleben, 20. Juli 1944
Fernschreiben der Verschwörer „Der Führer ist tot“, unterzeichnet von Witzleben, 20. Juli 1944
Fernschreiben der Verschwörer „Der Führer ist tot“, unterzeichnet von Witzleben, 20. Juli 1944
Fernschreiben der Verschwörer „Der Führer ist tot“, unterzeichnet von Witzleben, 20. Juli 1944
Fernschreiben der Verschwörer „Der Führer ist tot“, unterzeichnet von Witzleben, 20. Juli 1944
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Friedrich Fromm, Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres. Fromm war in die Verschwörung eingeweiht und wurde zum Mitmachen aufgefordert, verweigerte sich aber, da Hitler das Attentat überlebt hatte. Er ließ die Verschwörer erschießen, fan
Friedrich Fromm, Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres. Fromm war in die Verschwörung eingeweiht und wurde zum Mitmachen aufgefordert, verweigerte sich aber, da Hitler das Attentat überlebt hatte. Er ließ die Verschwörer erschießen, fan
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Friedrich Olbricht, um 1940
Friedrich Olbricht, um 1940
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Kurt von Schleicher wurde im Zuge der Röhm-Krise am 30. Juni 1934 von Gestapo-Beamten ermordet. Die Mordtat an dem ehemaligen, noch immer hochangesehenen Berufsoffizier beeinflusste viele Militärangehörige bei ihrer allmählichen Ablehnung des NS-Regimes
Kurt von Schleicher wurde im Zuge der Röhm-Krise am 30. Juni 1934 von Gestapo-Beamten ermordet. Die Mordtat an dem ehemaligen, noch immer hochangesehenen Berufsoffizier beeinflusste viele Militärangehörige bei ihrer allmählichen Ablehnung des NS-Regimes
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Friedrich Olbricht mit seiner Familie, Frühjahr 1944
Friedrich Olbricht mit seiner Familie, Frühjahr 1944
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Das Attentat und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944: Die Verbindung zu zivilen Gruppierungen des Widerstands
Das Attentat und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944: Die Verbindung zu zivilen Gruppierungen des Widerstands
In seiner Rundfunkansprache unmittelbar nach der Niederschlagung des Umsturzversuches in der Nacht zum 21. Juli 1944 bezeichnete Hitler den Widerstand gegen sein Regime als ein „Komplott“ einer „ganz kleinen Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer Offiziere“. Dieses Zerrbild des 20. Juli 1944 dominierte noch bis in die 1950er Jahre hinein in der Bundesrepublik Deutschland die öffentliche Meinung. Über das Ende Hitlers und den Zusammenbruch des NS-Regimes hinaus galten Stauffenberg und seine Mitstreiter als Hoch- und Landesverräter.

Doch alsbald wurde deutlich, dass die Offiziersgruppe um Stauffenberg nur die „Spitze des Eisbergs“ bildete. Der militärische Widerstand des 20. Juli 1944 stand in enger Verbindung mit zivilen Widerstandsgruppen, die wiederum mehr oder minder eng miteinander vernetzt waren. Konzentrischen Kreisen vergleichbar, waren in den konkreten Attentatsplan unmittelbar nur sehr wenige Personen eingeweiht; aber eine größere Gruppe war darüber unterrichtet, dass ein Umsturzversuch bevorstand. Zu diesem „konspirativen System der Geheimhaltung und des aufgeteilten Vertrauens“, wie die NS-Ermittler aufdeckten, gehörte sodann ein dritter, weiterer Kreis von Personen, die ohne exakte Detailkenntnisse für den Fall eines Umsturzes reichsweit in den einzelnen Wehrkreisen die regionalen und lokalen Widerstandskräfte mobilisieren sollten.

Die unübersehbaren Verbrechen des Regimes und die katastrophalen Folgen des Weltkriegs für Deutschland stellten über die gesamte politische, weltanschauliche und soziale Bandbreite des Widerstands hinweg einen Minimalkonsens her: Hitler und das NS-System müssen beseitigt werden, um zu einem politischen und moralischen Neubeginn zu gelangen. Vermittelt durch Generaloberst a. D. Ludwig Beck, hatte Stauffenberg selbst lange vor dem Hitler-Attentat Verbindungen zum Widerstandskreis um den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler aufgenommen. Auch zum Kreisauer Kreis bestand enger Kontakt, nicht zuletzt über den Vetter Stauffenbergs, Graf Yorck von Wartenburg. Es gelang schließlich, die Aktionsbasis für eine spätere Regierungsbildung zu verbreitern, indem man auch führende Persönlichkeiten des sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Widerstands wie Julius Leber und Wilhelm Leuschner einweihte.

Nach einem erfolgreichen Staatsstreich, den 1944 allein die Wehrmacht durchzuführen imstande gewesen wäre, planten Stauffenberg und seine Mitverschwörer nicht die Errichtung einer Militärdiktatur. Zwischen militärischen und zivilen Gegnern Hitlers bestand Einigkeit darüber, dass das Attentat und der Staatsstreich Aufgabe des Militärs war. Daran anschließend sollte – gewissermaßen arbeitsteilig – der politische Neubeginn maßgeblich von Angehörigen des zivilen Widerstands getragen werden: Vorrang besaß die Politik. Es war beabsichtigt, die Regierungsgeschäfte sobald wie möglich einer neuen Reichsregierung zu übertragen. Ludwig Beck, der Mittelsmann zwischen militärischem und zivilem Widerstand, fand als designiertes Staatsoberhaupt allgemeine Zustimmung. Auf einer möglichst breiten politischen, gewerkschaftlichen und weltanschaulich-konfessionellen Grundlage sollten die Minister- und Staatssekretärsämter im „neuen“ Deutschland besetzt werden.

Über die zukünftige innen- und außenpolitische Gestaltung Deutschlands hatten sich die unterschiedlichen Widerstandskreise bis zum 20. Juli 1944 in Grundzügen angenähert. Die von den Verschwörern zum Umsturzversuch vorbereiteten Verlautbarungen spiegeln diese Übereinkunft wider. Mit der Beseitigung der NS-Willkürherrschaft sollte die „Majestät des Rechts“ wiederhergestellt werden. Die Regierung sollte „einer geordneten Kontrolle durch das Volk unterstehen“. Nach der Beseitigung Hitlers hoffte man auf die „Sicherung eines gerechten Friedens, der dem deutschen Volk ein Leben in Freiheit und Ehre, den Völkern freiwillige und fruchtbare Zusammenarbeit ermöglicht“.


Lebensbild Carl Friedrich Goerdeler

Die Haltung Carl Friedrich Goerdelers zum Nationalsozialismus wandelte sich von uneingeschränkter Zusammenarbeit hin zur Teilnahme an der Verschwörung des 20. Juli 1944.

Carl Friedrich Goerdeler, geboren am 31. Juli 1884 in Schneidemühl (Provinz Posen), entstammte einer angesehenen preußischen Beamten- und Juristenfamilie. So absolvierte auch Carl Friedrich Goerdeler ein rechtswissenschaftliches Studium. Noch vor dem Ersten Weltkrieg begann er seine Karriere im Kommunaldienst, die ihn bis 1930 in das Amt des Oberbürgermeisters von Leipzig führte.

Wie viele andere Persönlichkeiten der traditionellen, nationalkonservativen Elite auch, begrüßte Goerdeler anfangs den nationalsozialistischen Staat. Obgleich er kein NSDAP-Mitglied war, beließen die Nationalsozialisten den loyalen Verwaltungsfachmann Goerdeler in seinem Amt als Oberbürgermeister von Leipzig und beriefen ihn 1934 zum Reichspreiskommissar.

Goerdelers Weg in den Widerstand begann mit seiner Kritik an der unseriösen Finanzpolitik des NS-Regimes und steigerte sich dann zum offenen Protest gegen die Entfernung des Denkmals für den Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy durch örtliche Parteiführer, was ihn im April 1937 zum Rücktritt von seinem OB-Amt veranlasste. Sein „aufrechter Gang“ brachte Goerdeler für die Zukunft auf Seiten der Opposition große Sympathien und Vertrauen ein. Fortan sammelte sich um Goerdeler ein Kreis oppositioneller nationalkonservativer Persönlichkeiten der älteren Generation, deren politischer Orientierungsrahmen das unter Bismarck entstandene Kaiserreich war. Goerdeler und seine Mitstreiter wollten zwar die außenpolitischen Beschränkungen des Versailler Vertrages überwinden, nahmen aber Anstoß an der für Deutschland verhängnisvollen Kriegspolitik Hitlers. In enger Zusammenarbeit vor allem mit Ludwig Beck, dem früheren Botschafter Ulrich von Hassell und dem ehemaligen preußischen Finanzminister Johannes Popitz entwickelte der Goerdeler-Kreis für die Zeit nach dem Nationalsozialismus Neuordnungspläne, die weniger demokratische als autoritäre Züge trugen und daher auch von Vertretern des Kreisauer Kreises als „reaktionär“ abgelehnt wurden.

Goerdeler, der nach einem gelungenen Staatsstreich aufgrund seiner fachlichen Qualifikation und seiner Reputation als Reichskanzler vorgesehen war, wurde nach seiner Verhaftung vom Volksgerichtshof am 8. September 1944 zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Der Wiesbadener Heinrich Roos sammelte einen vorwiegend bürgerlich-liberalen Widerstandskreis um sich, der über Kontakte zum Verschwörerkreis des 20. Juli verfügte und die demokratische Neuordnung in Wiesbaden hätte unterstützen sollen
Der Wiesbadener Heinrich Roos sammelte einen vorwiegend bürgerlich-liberalen Widerstandskreis um sich, der über Kontakte zum Verschwörerkreis des 20. Juli verfügte und die demokratische Neuordnung in Wiesbaden hätte unterstützen sollen
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Der ehemalige Polizeidirektor Heinrich Maschmeyer, der gute Kontakte zu Sozialdemokraten und Gewerkschaftern besaß, zählte zu jenen Personen, die nach einem gelungenen Staatsstreich für die Übernahme von Führungspositionen beim demokratischen Wiederaufbau
Der ehemalige Polizeidirektor Heinrich Maschmeyer, der gute Kontakte zu Sozialdemokraten und Gewerkschaftern besaß, zählte zu jenen Personen, die nach einem gelungenen Staatsstreich für die Übernahme von Führungspositionen beim demokratischen Wiederaufbau
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Der preußische Finanzminister Johannes Popitz, ein rechtsorientierter Konservativer und Monarchist, zählte zum Goerdeler-Kreis. Popitz wurde aufgrund seiner Verwicklung in den Umsturzversuch im Oktober 1944 zum Tod verurteilt und im Februar 1945 erhängt
Der preußische Finanzminister Johannes Popitz, ein rechtsorientierter Konservativer und Monarchist, zählte zum Goerdeler-Kreis. Popitz wurde aufgrund seiner Verwicklung in den Umsturzversuch im Oktober 1944 zum Tod verurteilt und im Februar 1945 erhängt
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Der ehemalige Karrierediplomat Ulrich von Hassel setzte sich im Goerdeler-Kreis im Falle eines Staatsstreiches für die Wiederherstellung der Monarchie ein sowie für ein gemeinsames Vorgehen mit den Westalliierten gegen den Bolschewismus. Auch von Hassel w
Der ehemalige Karrierediplomat Ulrich von Hassel setzte sich im Goerdeler-Kreis im Falle eines Staatsstreiches für die Wiederherstellung der Monarchie ein sowie für ein gemeinsames Vorgehen mit den Westalliierten gegen den Bolschewismus. Auch von Hassel w
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Carl Friedrich Goerdeler als junger Mann
Carl Friedrich Goerdeler als junger Mann
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Carl Friedrich Goerdeler als Oberbürgermeister an seinem Schreibtisch im Neuen Rathaus in Leipzig, um 1933
Carl Friedrich Goerdeler als Oberbürgermeister an seinem Schreibtisch im Neuen Rathaus in Leipzig, um 1933
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Carl Friedrich Goerdeler vor dem Volksgerichtshof
Carl Friedrich Goerdeler vor dem Volksgerichtshof
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Die Verfolgung des Widerstands: Die Vergeltung des NS-Regimes
Die Verfolgung des Widerstands: Die Vergeltung des NS-Regimes
Die Verschwörer des 20. Juli hatten ihrer Aktion von Beginn an keine großen Chancen eingeräumt und ein Misslingen mit all seinen Folgen für die eigene Existenz in Kauf genommen. Dass sie wohl in diesem Fall als „Verräter in die deutsche Geschichte eingehen würden“, erkannte der weitsichtige Stauffenberg zu Recht. Auch Henning von Tresckow, neben Stauffenberg eine der maßgeblichen Persönlichkeiten des militärischen Widerstands, teilte diese Einschätzung: „Jetzt wird die ganze Welt über uns herfallen und uns beschimpfen.“ Andere hochrangige Offiziere, die in die Verschwörung eingeweiht gewesen waren, taten es Tresckow gleich und begingen Selbstmord.

Zeitgleich setzte nach dem Umsturzversuch die nationalsozialistische Propaganda- und Verfolgungsmaschinerie ein. Die NS-Presse dankte der „Vorsehung“, die Adolf Hitler vor dem Tod bewahrt habe. Auf reichsweit inszenierten „Treuekundgebungen“, an denen wie in Wiesbaden am Tag nach dem Attentat viele tausend Menschen teilnahmen, wurde den Regimegegnern der Kampf angesagt. Die öffentliche Ankündigung Hitlers unmittelbar nach Niederschlagung des Umsturzversuches: „Diesmal wird nun so abgerechnet, wie wir es als Nationalsozialisten gewöhnt sind“, ließ die bevorstehende brutale Vergeltung des Regimes erahnen.

Im gesamten Reich rollte noch in derselben Nacht die Verhaftungswelle an. Im Reichssicherheitshauptamt wurde am 21. Juli 1944 eine „Sonderkommission 20. Juli“ gebildet, der fast 500 Kriminalbeamte angehörten. 600-800 Personen, denen man die Teilnahme oder Mitwisserschaft am Umsturzversuch nachzuweisen glaubte, wurden verhaftet und vielfach einem Verhör unter „verschärften Bedingungen“ – die verschleiernde Umschreibung für eine grausame Folter – unterzogen. Die auf diese Weise erpressten Geständnisse brachten die Ermittlungen jedoch vielfach nur in geringem Maße voran, da die Folteropfer zumeist sich selbst oder solche Personen belasteten, die bereits in die Fänge der Staatsgewalt geraten waren.

Für die im Zusammenhang mit dem 20. Juli verhafteten Soldaten wäre eigentlich ein Militärgericht zuständig gewesen. Doch sollten seine Gegner nach dem Willen Hitlers vor ein ziviles, regimetreues Gericht gestellt werden. Der Diktator misstraute der Armee und auch ihrer Gerichtsbarkeit um so mehr, je deutlicher sich bereits nach kurzer Zeit abzeichnete, dass die Militäropposition im Gegensatz zur Parole von der „ganz kleinen Clique“ breite Kreise gezogen hatte. Auf Geheiß Hitlers wurde daher am 2. August 1944 ein „Ehrenhof“ eingerichtet. Die Aufgabe dieses besonderen militärischen Gremiums bestand binnen der folgenden sechs Wochen darin, die angeklagten Offiziere aus der Wehrmacht auszustoßen und sie dem „Volksgerichtshof“ (VGH) zu überstellen.

Der für Hoch- und Landesverrat zuständige VGH in Berlin übernahm in mehr als 50 Prozessen die Aburteilung der Regimegegner. Hitler hatte „kurzen Prozeß (...) ohne jedes Erbarmen“ gefordert, und sein fanatischer Blutrichter Roland Freisler, seit 1925 NSDAP-Mitglied und seit 1942 Vorsitzender dieses politischen Gerichts, setzte diese Direktive gnadenlos um. In der Person Freislers verbarg sich unter dem Richtertalar ein Sadist, der bis zu seinem Tod am 3. Februar 1945 in den Schauprozessen seine Opfer erbarmungslos quälte. Die Schmähungen und Demütigungen, mit denen er die Angeklagten während der Verhandlung überzog, wurden zu Propagandazwecken noch im Tonfilm festgehalten. Das bereits vor Prozeßbeginn feststehende Urteil lautete in über 110 Fällen auf Tod durch den Strang, so wie es Hitler gefordert hatte. Bis auf wenige Ausnahmen erfolgte die Vollstreckung kurze Zeit nach der Urteilsverkündung in der Haftanstalt Berlin-Plötzensee. Um sie ihrer letzten Würde zu berauben, hängte man die Widerstandskämpfer an Fleischerhaken auf „wie Schlachtvieh“. Den Todeskampf der Opfer ließ Hitler filmen, um sich später an diesen Aufnahmen zu ergötzen.

Das NS-Regime beschränkte sich nicht allein auf die Bestrafung der am 20. Juli beteiligten Personen, sondern dehnte die Verfolgung auf deren Familienangehörige aus. Anfang August 1944 verkündete Reichsführer-SS Heinrich Himmler das Ziel, die gesamte Familie Stauffenberg auszulöschen „bis ins letzte Glied“. Auf den Kreis der Mitverschwörer Stauffenbergs wendeten die Nationalsozialisten willkürlich die aus der germanischen Mythologie abgeleitete Sippenhaft an. Die Erwachsenen mussten vielfach bis Kriegsende eine Odyssee durch Gefängnisse und Konzentrationslager erleiden. Kinder unter 16 Jahren aus den „Verräterfamilien“ kamen in Heime der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. Ohne jede Kontaktmöglichkeit zu ihren Verwandten erhielten sie dort neue Namen, um sie ihrer Identität zu berauben.

Zu den Vergeltungsmaßnahmen des NS-Regimes nach dem 20. Juli 1944 zählte die Aktion „Gewitter“ bzw. „Gitter“, die auch rund 250 namentlich bekannte Personen aus dem heutigen Bundesland Hessen in Mitleidenschaft zog. Am 22. und 23. August 1944 verhaftete die Gestapo auf Befehl von Heinrich Himmler „alle früheren Reichs- und Landtagsabgeordneten sowie Stadtverordneten der KPD und SPD und sämtliche ehemaligen Partei- und Gewerkschaftssekretäre der SPD im Reich“. Insgesamt handelte es sich um 5.000 bis 6.000 „Schutzhäftlinge“. Auf der Grundlage längst vorliegender Namenslisten und um potentielle Regimegegner bereits im Vorfeld auszuschalten, wurden diese zumeist älteren und kranken Personen festgesetzt, ohne dass sie in unmittelbarer Beziehung zum 20. Juli standen. Nachdem sie vielfach bereits zu Beginn der NS-Herrschaft Opfer von Verfolgungsmaßnahmen gewesen waren, wurden viele der nun Inhaftierten abermals in ein Konzentrationslager eingeliefert, das manche nicht mehr lebend verließen.
Bericht der Wiesbadener Zeitung  vom 22./23 Juli 1944 über die „Treuekundgebung“ für Adolf Hitler in Wiesbaden am 21. Juli 1944
Bericht der Wiesbadener Zeitung vom 22./23 Juli 1944 über die „Treuekundgebung“ für Adolf Hitler in Wiesbaden am 21. Juli 1944
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Im Berliner Kammergericht in der Elßholzstraße tagte der Volksgerichtshof
Im Berliner Kammergericht in der Elßholzstraße tagte der Volksgerichtshof
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Das Strafgefängnis Plötzensee in Berlin, links der „Hinrichtungsschuppen“
Das Strafgefängnis Plötzensee in Berlin, links der „Hinrichtungsschuppen“
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Häuser des NSV-Kindererholungsheimes in Bad Sachsa, wo die Kinder der Verschwörer vom 20. Juli 1944 in „Sippenhaft“ genommen wurden
Häuser des NSV-Kindererholungsheimes in Bad Sachsa, wo die Kinder der Verschwörer vom 20. Juli 1944 in „Sippenhaft“ genommen wurden
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Der ehemalige Zentrumsabgeordnete Dr. Friedrich August Bockius, geb. 11. Mai 1882, wurde anlässlich der Aktion „Gewitter“ festgenommen und verstarb am 5. März 1945 im KZ Mauthausen/Österreich
Der ehemalige Zentrumsabgeordnete Dr. Friedrich August Bockius, geb. 11. Mai 1882, wurde anlässlich der Aktion „Gewitter“ festgenommen und verstarb am 5. März 1945 im KZ Mauthausen/Österreich
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Bericht der Tochter von Dr. Bockius über die Verfolgung durch das NS-Regime
Bericht der Tochter von Dr. Bockius über die Verfolgung durch das NS-Regime
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Die Verfolgung des Widerstands: Hermann Kaiser
Die Verfolgung des Widerstands: Hermann Kaiser
Hermann Kaiser wurde am 31. Mai 1885 als Sohn des Pädagogen Dr. Ludwig Kaiser und seiner Frau Alma in Remscheid geboren. Bereits ein Jahr nach seiner Geburt zog die Familie nach Wiesbaden, wo der Vater die Stelle des Direktors an der Oranienschule übernahm. Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern und vier Schwestern wuchs Hermann Kaiser in Wiesbaden auf. In dem bildungsbürgerlichen Elternhaus – der Vater war Gymnasiallehrer, die Mutter war musisch gebildet – kamen die Kinder mit Wissenschaft und Kunst in Berührung. Politisch herrschte eine nationalliberale Gesinnung, die auch Hermann Kaiser prägte: Bismarck, der mit „Blut und Eisen“ das deutsche Kaiserreich begründet, dann aber den innenpolitisch autoritären und außenpolitisch „saturierten“ Nationalstaat als zuverlässiges Mitglied in die Völkergemeinschaft eingebunden hatte, wurde als Nationalheld verehrt.

Auch beruflich folgte Hermann Kaiser seinem Vater nach, als er 1912 im Anschluss an das Studium der Mathematik, Physik, Geschichte und Kunstgeschichte den Beruf des Lehrers an der Wiesbadener Oranienschule ergriff. Der allgemeinen Kriegsbegeisterung folgend, meldete sich Hermann Kaiser nach zwei Jahren im Schuldienst im August 1914 freiwillig zum Militärdienst. Er wurde zum Oberleutnant befördert und erhielt das Eiserne Kreuz 1. Klasse.

Das Ende des geliebten Kaiserreiches erlebte der begeisterte Pädagoge als ein Trauma. In den neuen politischen Verhältnissen, wie sie durch die Weimarer Republik und den Frieden von Versailles begründet worden waren, sah Kaiser eine „Misshandlung Deutschlands“; er verabscheute den „Parteienhader“ und den „Klassenhaß“ der parlamentarischen Demokratie. So nimmt es nicht wunder, dass Hermann Kaiser den Nationalsozialismus in seinen Anfängen freudig begrüßte und in die NSDAP eintrat. Wie viele andere Angehörige der bildungsbürgerlichen Mittelschicht sah Kaiser nun die Chance zum „nationalen Wiederaufstieg“. Sowohl die Aufrüstung als auch die gesellschaftliche Aufwertung des Militärischen insgesamt fanden die volle Billigung des von der preußisch-deutschen Militärgeschichte faszinierten Kaiser. Die Verfolgung der politischen Linken begrüßte er noch als Abrechnung mit den „Novemberverbrechern“ und den „Bolschewisten“.

Doch schon bald nach der Machtergreifung setzte bei Kaiser jener für das nationalkonservative Spektrum typische Lernprozess ein, der ihn von einem Befürworter des Nationalsozialismus zu einem vehementen Gegner Hitlers werden ließ. Kaisers politische Grundüberzeugungen erwiesen sich schon sehr bald als unvereinbar mit dem totalitären System. So schrieb Kaiser 1941: „Als Fundamente jeder Regierung bezeichnete ich: Geistesfreiheit und Gerechtigkeit“. Dem konservativen Patrioten war deutlich geworden, dass der Nationalsozialismus die preußisch-deutsche Tradition nicht bewahren wollte, sondern sich ihrer nur als Instrument für eine unberechenbare, verbrecherische Politik bediente. Anstoß nahm der gläubige Christ auch an der antikirchlichen, religiöse Werte und Normen verletzenden Politik des Nationalsozialismus, den er zunehmend als „Sünde wider Gott“ empfand.

Erste unheilvolle Vorahnungen nahmen während des sogenannten „Röhm-Putsches“ Gestalt an. Denn diese Mordaktion vom 30. Juni und 1. Juli 1934 richtete sich nicht nur gegen die Widersacher Hitlers aus der eigenen Partei, sondern erstmalig auch gegen politisch missliebige Persönlichkeiten aus Bürgertum und Adel, die bislang mit den neuen Machthabern kooperiert hatten. Kaiser scheute nicht davor zurück, seinem Missmut auch öffentlich Ausdruck zu verleihen. So verweigerte er geflissentlich den „deutschen“ Gruß. Bei seiner Ansprache anlässlich der Einweihung eines Denkmals für die Gefallenen des Feldartillerie-Regiments Nr. 27 Oranien – Kaisers Einheit im Ersten Weltkrieg – vermied er im Oktober 1934 die namentliche Erwähnung Hitlers, was ihm erhebliche Anfeindungen seitens der Partei einbrachte. In seiner Empörung über die Verbrechen gegenüber den Juden sprach Kaiser der NS-Führung jegliche Moralität ab. Seit Kriegsbeginn hoffte er auf einen Staatsstreich, der die „unreinen Elemente“ aus Staat und Gesellschaft wieder beseitigen sollte.

1939 wurde Kaiser als Hauptmann der Reserve zur Wehrmacht eingezogen. Im Jahr darauf berief der Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Friedrich Fromm, Kaiser in seinen Stab in das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) nach Berlin. Zu dieser Zeit entwickelte sich das OKW zu einem der Zentren der militärischen Widerstandsbewegung. Auf dem vergleichsweise unbedeutenden Posten eines Kriegstagebuchführers kam Kaiser nun in engen Kontakt zu deren Führungsriege. In Hitlergegnern wie Olbricht oder später dann Stauffenberg, gleichfalls tief im christlichen Glauben verankert und humanistisch gebildet, fand Kaiser rasch eine geistige Verwandtschaft und persönliche Beziehung.

Kaisers Bedeutung für den 20. Juli 1944 beruhte auf seiner Mittlerfunktion zwischen militärischem und zivilem Widerstand. Im Januar 1941 suchte Kaiser den früheren Generaloberst Ludwig Beck auf. Noch im selben Jahr brachte Beck den neuen Weggefährten mit Carl Friedrich Goerdeler zusammen. Nun nicht mehr allein Mitwisser, sondern bereits aktives Mitglied der Verschwörung, nutzte Kaiser seine Vertrauensposition beim militärischen und beim zivilen Widerstand, um beide Seiten zusammenzuführen und aufeinander abzustimmen. Er stellte die Verbindung zwischen Stauffenberg und Goerdeler her; dieser sah Kaiser als zukünftigen Staatssekretär im Kultusministerium einer Regierung nach Hitler vor.

Nach dem Scheitern des Umsturzversuches vom 20. Juli wurden die NS-Ermittler der besonderen Bedeutung Kaisers sehr bald gewahr, zumal die Walküre-Pläne ihn als Verbindungsoffizier im Wehrkreis XII (Wiesbaden) auswiesen. Die Gestapo erkannte in Kaiser nach dessen Verhaftung am 21. Juli 1944 einen „der wesentlichen geistigen Hintermänner“ des Staatsstreichs; die Begründung zu seinem Todesurteil vom 18. Januar 1945 verhöhnte ihn als „dienstfertigen Lakai zwischen Stauffenberg und Goerdeler“. Fünf Tage später wurde Hermann Kaiser gemeinsam mit Helmuth James von Moltke, Theodor Haubach, Ludwig Schwamb und anderen Widerstandskämpfern hingerichtet.
Hermann Kaiser während des Ersten Weltkriegs
Hermann Kaiser während des Ersten Weltkriegs
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Hermann Kaiser, um 1934
Hermann Kaiser, um 1934
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Herbert von Bose, Mitarbeiter des Vizekanzlers von Papen und der konservativen Opposition gegen Hitler zugehörig, gehörte zum Bekanntenkreis von Hermann Kaiser. Als von Bose während der Röhm-Krise umgebracht wurde, sorgte dies bei Kaiser für erhebliche Ve
Herbert von Bose, Mitarbeiter des Vizekanzlers von Papen und der konservativen Opposition gegen Hitler zugehörig, gehörte zum Bekanntenkreis von Hermann Kaiser. Als von Bose während der Röhm-Krise umgebracht wurde, sorgte dies bei Kaiser für erhebliche Ve
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Hermann Kaiser an der Spitze des Umzuges anlässlich der Einweihung des Gefallenendenkmals vor dem Kurhaus in Wiesbaden, 21. Oktober 1934
Hermann Kaiser an der Spitze des Umzuges anlässlich der Einweihung des Gefallenendenkmals vor dem Kurhaus in Wiesbaden, 21. Oktober 1934
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Hermann Kaiser vor dem Volksgerichtshof, 17. Januar 1945
Hermann Kaiser vor dem Volksgerichtshof, 17. Januar 1945
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Die Verfolgung des Widerstands: Wilhelm Leuschner
Die Verfolgung des Widerstands: Wilhelm Leuschner
Wilhelm Leuschner wurde 1890 als Sohn eines Ofensetzers in Bayreuth geboren. Da er nach der Volksschule nur kurze Zeit eine Fortbildungsschule besuchen konnte, eignete er sich vieles, wie Fremdsprachen und Mathematik, durch Selbststudium an. Nach einer Ausbildung zum Holzbildhauer, zu der er sich auf Grund seines künstlerischen Talents entschloss, fand er 1908 eine Anstellung als Möbelschreiner in Darmstadt. Zwischenzeitlich studierte Leuschner ein Semester an der Akademie für Bildende Künste in Nürnberg. Trotz der Gesamtnote 1 in allen Fächern trat der junge Mann 1910 erneut eine Stellung in Darmstadt an. Dort engagierte er sich als Bezirksleiter des Zentralvereins der Bildhauer Deutschlands und wurde Mitglied der SPD.

Mit der Arbeit in Gewerkschaft und Partei machte sich Leuschner für die Rechte und die Bildung der Arbeiter stark. 1916-1918 kämpfte der nunmehr zweifache Familienvater an der Ost- und Westfront. Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges betätigte er sich vermehrt in der Gewerkschaftsarbeit, u. a. im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund, sowie in der Kommunalpolitik. So war er von 1919-1928 Stadtverordneter in Darmstadt und Mitglied des Provinziallandtages Starkenburg. Von 1922-1925 hatte er den Vorsitz der SPD in Darmstadt inne. Seit 1924 Mitglied des hessischen Landtags, stieg Leuschner 1928 zum hessischen Innenminister im Kabinett Adelung auf. Nach Amtsantritt sammelte er gleichgesinnte Mitarbeiter wie Carlo Mierendorff, Ludwig Schwamb und Hermann Maas um sich, die ihm später in den Widerstand folgten.

Leuschner, der das verbrecherische, destruktive Potenzial der Nationalsozialisten früh durchschaute, bekämpfte diese schon vor 1933. Er förderte die „Eiserne Front“, und mit der Aufdeckung der Boxheimer Dokumente versuchte er Hitler entgegenzuwirken. In diesen Papieren, die ihm 1931 zugespielt wurden, traten die wahren Absichten zu Tage, die die Nationalsozialisten nach einem Regierungsumsturz planten. Ein von Leuschner initiiertes Verfahren wegen Hochverrats scheiterte jedoch am zuständigen Oberreichsanwalt. 1932, noch während seiner Tätigkeit als Innenminister, wurde er in den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes in Genf berufen. Er widmete sich nun auch der zersplitterten deutschen Gewerkschaftsbewegung. Die Einheitsgewerkschaft war sein politisches Ziel.

Am 2. Mai 1933 mit der Zerschlagung der Gewerkschaften geriet Leuschner in Haft. Von SA-Gruppen wurden er und der gesamte Bundesvorstand des ADGB drei Tage lang schwer misshandelt. Wieder auf freien Fuß gesetzt, nahm er auf Druck des Führers der Deutschen Arbeitsfront (DAF), Robert Ley, an der Internationalen Arbeiterkonferenz in Genf teil. Ley erhoffte sich durch Leuschners Fürsprache internationale Anerkennung der DAF als Nachfolgeorganisation der deutschen Gewerkschaften. Leuschner verweigerte sich dem Ansinnen durch beharrliches Schweigen. Dafür erwartete ihn in Deutschland eine einjährige Haft in den Gefängnissen und Konzentrationslagern Rockenberg, Börgermoor und Lichtenburg. Nach seiner Freilassung 1934 beteiligte Leuschner sich an einer Firma zur Herstellung von Bierzapfhähnen und Armaturen, die von Parteigenossen und Gewerkschaftskollegen geführt wurde. Diese Firma wurde von den Nationalsozialisten als kriegswichtig erklärt, da sie im Besitz von Patenten zur Aluminiumhärtung war.

Wilhelm Leuschner sah sich dadurch in der Lage, unbehelligt durch Deutschland zu reisen, um ein Netzwerk zwischen den illegalen Gewerkschaftsorganisationen sowie eine reichsweite Organisationsleitung aufzubauen. Weil viele Gaststätten von ehemaligen Gewerkschaftern oder Parteimitgliedern geführt wurden, konnte Leuschner seine Arbeit als Vertreter für Bierdruckarmaturen sehr gut mit seiner konspirativen Tätigkeit verbinden. Schwerpunktthema innerhalb des Netzwerkes war vor allem der Wiederaufbau der Gewerkschaften nach Ende des Dritten Reichs. Nur Leuschner hatte genaue Kenntnis über den Umfang der geheimen Organisation; um seine Mitstreiter nicht zu gefährden, wurden Treffen nur in Kleingruppen abgehalten und Niederschriften über die Zusammentreffen verboten.

Leuschner besaß auch Kontakte zu Vertretern des bürgerlichen und militärischen Widerstands. Der ehemalige Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, versicherte sich durch Leuschner über den Rückhalt in der Bevölkerung für einen geplanten Umsturz. Zuweilen distanzierte er sich aber gegenüber den Offizieren, die gegen das NS-Regime agierten. So lehnte er es ab, die Absetzung Hitlers durch einen Generalstreik der Arbeiter zu veranlassen. Carl Friedrich Goerdeler hatte den ehemaligen hessischen Innenminister als Vizekanzler in einer Regierung nach dem Sturz Hitlers vorgesehen. Dem geduldigen und ausdauernden Mann kam zudem eine vermittelnde Rolle zwischen dem konservativen Goerdeler-Kreis und den fortschrittlichen Kreisauern zu. Beide Widerstands-Gruppierungen waren sich einig, dass ein Neuaufbau der Gesellschaft nur unter Beteiligung der Arbeiterschaft gelänge.

Nach dem 20. Juli 1944, mit dem missglückten Attentat auf Hitler, rückte auch Leuschner in das Blickfeld der Ermittler. Eine Nachbarin seiner Haushälterin denunzierte ihn bei der Gestapo. Zuvor war er steckbrieflich gesucht worden. Nun begannen qualvolle Folterungen durch die SS. Ein Mitgefangener berichtete: „Nie verließ ihn seine würdige und feste Haltung, auch dann nicht, wenn die wüsten Misshandlungen unserer Folterknechte ein Geständnis aus ihm herauszupressen versuchten.“ Am 8. September 1944 verurteilte der Präsident des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, Wilhelm Leuschner und die mit ihm angeklagten Carl Friedrich Goerdeler, Ulrich von Hassell, Josef Wirmer und Dr. Paul Lejeune-Jung zum Tode. 20 Tage später, nach weiterer leidvoller Folter, wurde Leuschner hingerichtet. Am Abend vorher hatte er alten Freunden aus der Gewerkschaftsbewegung sein politisches Vermächtnis hinterlassen: „Morgen werde ich gehängt, schafft die Einheit!“.
Wilhelm Leuschner als Konfirmand, 1903
Wilhelm Leuschner als Konfirmand, 1903
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Wilhelm Leuschner (1.v.r.) mit seinen Darmstädter Bildhauerkollegen, um 1908
Wilhelm Leuschner (1.v.r.) mit seinen Darmstädter Bildhauerkollegen, um 1908
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Wilhelm Leuschner als Soldat vor Verdun, September 1917
Wilhelm Leuschner als Soldat vor Verdun, September 1917
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Wilhelm Leuschner am Rednerpult auf einer Wahlveranstaltung mit dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, 1929
Wilhelm Leuschner am Rednerpult auf einer Wahlveranstaltung mit dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, 1929
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Wilhelm Leuschner um 1935
Wilhelm Leuschner um 1935
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Ludwig Schwamb wurde bereits 1928 in das hessische Innenministerium unter Leuschner berufen. Nach 1933 schloss er sich dem Widerstand an. Beim Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 war er als politischer Beauftragter für den Wehrkreis XII (Wiesbaden) vorgesehe
Ludwig Schwamb wurde bereits 1928 in das hessische Innenministerium unter Leuschner berufen. Nach 1933 schloss er sich dem Widerstand an. Beim Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 war er als politischer Beauftragter für den Wehrkreis XII (Wiesbaden) vorgesehe
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Hermann Maass war während des Dritten Reiches nicht nur Geschäftspartner von Wilhelm Leuschner, sondern auch einer seiner engsten Mitarbeiter im Kampf gegen die Diktatur. Am 20. Oktober 1944 wurde Maass in Berlin-Plötzensee hingerichtet
Hermann Maass war während des Dritten Reiches nicht nur Geschäftspartner von Wilhelm Leuschner, sondern auch einer seiner engsten Mitarbeiter im Kampf gegen die Diktatur. Am 20. Oktober 1944 wurde Maass in Berlin-Plötzensee hingerichtet
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Die Verfolgung des Widerstands: Adolf Reichwein
Die Verfolgung des Widerstands: Adolf Reichwein
Geboren 1898 als Sohn des Volksschullehrers Karl Gottfried Reichwein, verbrachte Adolf Reichwein seine ersten Lebensjahre in Bad Ems, bis seine Familie 1904 nach Ober-Rosbach in der Wetterau verzog. Frühzeitig kam der junge Reichwein mit der Wandervogelbewegung in Kontakt. Diese von Schülern und Studenten begründete Protestbewegung richtete sich vor allem gegen die starren Konventionen der damaligen Zeit. Man wollte zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit des Individuums finden. In kleinen Gruppen erwanderte man sich die Freiheit vom Etablierten, von der Bevormundung durch Erwachsene. Wie viele Wandervögel vor ihm, zog Reichwein 1916 enthusiastisch in den Ersten Weltkrieg. Doch schon bald lernte er die Grausamkeiten des Stellungskrieges an der Westfront kennen. Nach schwerer Verletzung begann er noch 1918 ein Studium der Deutschen Geschichte, Sprache und Kunst sowie der Volkswirtschaft und Soziologie zunächst in Frankfurt a. M., später in Marburg. An der Front hatte sich in dem jungen Mann der Wunsch herauskristallisiert, in der Erwachsenenbildung tätig zu werden. Ihm war bewusst geworden, wie wenig zugänglich Bildung für die breite Masse war.

Nach Beendigung seines Studiums 1921 wurde Reichwein als Geschäftsführer des Ausschusses der deutschen Volksbildungsvereinigungen nach Berlin berufen. Von 1923 bis 1929 oblag ihm die Leitung der Volkshochschule Thüringen. Ab 1925 war er zudem für die Volkshochschule Jena verantwortlich, die er alsbald in ein Zentrum der Arbeiterbildung umwandelte. Dabei widmete er sich verstärkt der jungen Arbeiterschaft. In den Jahren 1926/27 unternahm Reichwein mit finanzieller Unterstützung der Notgemeinschaft der Deutschen Wirtschaft eine ausgedehnte Forschungsreise nach Nord- und Mittelamerika sowie nach Asien, um die dortige Rohstoffwirtschaft zu erkunden. 1929 folgte er dem Ruf des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker nach Berlin, um die Stelle des persönlichen Referenten und des Leiters der Pressestelle anzunehmen. Im April 1930 erhielt Reichwein die Professur für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der neugegründeten Pädagogischen Akademie in Halle/Saale.
Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen gegen Ende der Weimarer Republik veranlassten ihn, sich der Politik zuzuwenden. So trat er im Herbst 1930, in der Zeit, in der die NSDAP ihren ersten großen Wahlerfolg erzielte, der SPD bei. Früh erkannte er die Gefährlichkeit des Demagogen Hitler und wollte diesem öffentlich entgegenwirken.

Als Sozialdemokrat wurde Reichwein im April 1933 aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ seines Amtes enthoben. Er lehnte eine sichere Auslandsprofessur aus privaten und politischen Gründen ab. Trotz der restriktiven Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen ihn blieb er in Deutschland, um schließlich zum 1. Oktober 1933 eine Stellung als Volksschullehrer in dem Dorf Tiefensee, nahe Berlin, anzunehmen. In den sechs Jahren, in denen Reichwein in der einklassigen Dorfschule unterrichtete, bemühte er sich, die Kinder mit damals ungewöhnlichen Methoden zu Selbstbestimmung und sozialem Verantwortungsbewusstsein zu erziehen. 1937 und 1938 verfasste er zudem seine beiden Hauptwerke „Schaffendes Schulvolk“ und „Film in der Landschule“, die ganz in der Tradition der Weimarer Reformpädagogik standen.

Er zeichnete sich in dieser Zeit nicht nur durch sein verdeckt oppositionelles Lehrverhalten, sondern auch durch Kontaktpflege mit die NS-Diktatur ablehnenden Freunden und Bekannten aus.
Im Frühjahr 1939 erhielt Adolf Reichwein die Leitung der Schulabteilung des Berliner Museums für Deutsche Volkskunde. In der Hauptstadt fand er Anschluss an den Freundeskreis um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg, den Kreisauer Kreis. Durch seine vielen Dienstreisen, sowohl im Inland als auch im Ausland, stellte er Verbindungen zu diversen Widerstandsorganisationen her. Auf seine Vermittlung stießen außerdem Vertreter der Arbeiterbewegung wie Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner und Julius Leber zu dem Zirkel, der die mögliche Gestaltung des Staatsaufbaus und der Wirtschaft nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges diskutierte.

Als Fachmann für den Sektor Bildung und Erziehung war Reichwein innerhalb des Kreises mit der Ausarbeitung einer Schulreform beauftragt. Für die Zeit nach dem Sturz des NS-Regimes galt er als möglicher Kandidat für den Posten des Kultusministers. Leber und Reichwein organisierten ein Treffen mit führenden Vertretern des Zentralkomitees der illegalen KPD in Deutschland, um Kontakte zum Kommunistischen Widerstand zu knüpfen. Unter den Kommunistischen Widerstandskämpfern befand sich allerdings ein Gestapo-Spitzel, so dass der vierfache Familienvater bei einem zweiten Treffen am 4. Juli 1944 verhaftet wurde. Die folgenden dreieinhalb Monate bis zum Beginn des Prozesses vor dem Volksgerichtshof litt er unter schwerer Folter. Seiner Frau wurde von einem Mithäftling berichtet, dass er bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und anschließend mit kaltem Wasser wiederbelebt wurde. Dabei erlitt er eine Verletzung der Stimmbänder, die ihm nur noch sehr leises Sprechen gestattete. Nachts fesselten ihn die NS-Schergen mit einer Eisenkette an Armen und Beinen. Schnell konnten die Ermittler einen Zusammenhang zwischen Reichwein und dem Kreisauer Kreis und dessen Verwicklung in das Attentat vom 20. Juli 1944 feststellen. Wegen „Landesverrats“ verurteilte der Volksgerichtshof Reichwein zusammen mit Julius Leber und Hermann Maass zum Tod durch den Strang. Noch am Tag des Prozesses, am 20. Oktober 1944, wurde das Urteil vollstreckt. Ein ordentliches Begräbnis gestatteten die Behörden nicht; angeblich soll die Asche des Ermordeten auf Berliner Rieselfelder verstreut worden sein.
Adolf Reichwein als Soldat an der Westfront, 1917
Adolf Reichwein als Soldat an der Westfront, 1917
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Adolf Reichwein (Mitte) bei seiner Geburtstagsfeier am 3. Oktober 1927 im Volkshochschulheim am Beuthenberg in Jena
Adolf Reichwein (Mitte) bei seiner Geburtstagsfeier am 3. Oktober 1927 im Volkshochschulheim am Beuthenberg in Jena
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Adolf Reichweins Schulbericht „Schaffendes Schulvolk“ von 1937 reflektierte seine Tätigkeit als Landschullehrer und war an der Reformpädagogik ausgerichtet
Adolf Reichweins Schulbericht „Schaffendes Schulvolk“ von 1937 reflektierte seine Tätigkeit als Landschullehrer und war an der Reformpädagogik ausgerichtet
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Inspektionsbericht des Kreisschulrates Georg Wolff über die von Reichwein geführte Volksschule Tiefensee, 18. Dezember 1937
Inspektionsbericht des Kreisschulrates Georg Wolff über die von Reichwein geführte Volksschule Tiefensee, 18. Dezember 1937
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Adolf Reichwein, um 1940
Adolf Reichwein, um 1940
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Adolf Reichwein mit seinen Kindern Renate, Kathrin und Roland, um 1942
Adolf Reichwein mit seinen Kindern Renate, Kathrin und Roland, um 1942
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Adolf Reichwein vor dem Volksgerichtshof, 20. Oktober 1944
Adolf Reichwein vor dem Volksgerichtshof, 20. Oktober 1944
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Adolf Reichweins Abschiedsbrief an seinen Vater, 20. Oktober 1944
Adolf Reichweins Abschiedsbrief an seinen Vater, 20. Oktober 1944
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Die Verfolgung des Widerstands: Carl-Heinrich von Stülpnagel
Die Verfolgung des Widerstands: Carl-Heinrich von Stülpnagel
Die wohl schillerndste Figur im militärischen Widerstand war Carl Heinrich von Stülpnagel. Er entstammte altem preußischen Offiziersadel. Bis in das späte Mittelalter lassen sich Vorfahren Stülpnagels nachweisen, die für ihren Lehnsherrn in den Krieg gezogen sind. Auch sein Vater war Soldat in preußischen Diensten. Geboren wurde Carl Heinrich von Stülpnagel als zweiter Sohn der Familie am 2. Januar 1886 in Berlin. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in der vormaligen Reichsstadt Frankfurt, die 1867 an Preußen gefallen war, und wo sein Vater Carl Friedrich Hermann Stülpnagel seit 1889 die herausgehobene Stellung des Stadtkommandanten innehatte. Die ungewöhnlich großen intellektuell-geistigen Fähigkeiten, die Stülpnagel oftmals bescheinigt wurden, offenbarten sich bereits am Frankfurter Lessing-Gymnasium, das er 1904 als Klassenprimus verließ. Wohl auch aus familiärem Traditionsbewusstsein heraus schlug Stülpnagel nicht die naturwissenschaftliche Laufbahn ein, sondern entschied sich, Offizier zu werden. Tapferkeit und Intellekt gleichermaßen waren im Ersten Weltkrieg ausschlaggebend für Stülpnagels Aufstieg zum Hauptmann.

Seine Teilnahme am Kapp-Putsch 1920 deutet auf die Ablehnung der innenpolitisch zerrissenen und außenpolitisch „schwachen“ Weimarer Republik hin, stand aber seiner Übernahme in die Reichswehr im selben Jahr nicht im Wege. Noch 1930 zum Oberstleutnant befördert, begrüßte Stülpnagel wie das Gros der Reichswehroffiziere den Untergang der parlamentarischen Demokratie und die Errichtung der NS-Diktatur. Ohne sich selbst nachhaltig für die NS-Ideologie begeistern zu können – sie war dem philosophisch wie auch naturwissenschaftlich hochgebildeten Stülpnagel zu vulgär und vereinfachend –, begrüßte er doch zunächst Hitlers Außenpolitik, die auf die Überwindung des Versailler Vertrages ausgerichtet war.

Doch eben aufgrund dieser Außenpolitik setzte bei Stülpnagel die Entfremdung zum NS-Regime ein. Er begrüßte prinzipiell die Stärkung des Militärs und profitierte selbst davon mit seinem zügigen Aufstieg zum Generalmajor 1935 und schließlich bis in die Spitze des Generalstabs mit seiner Ernennung zum Oberquartiermeister 1938. Missbehagen bereitete ihm die Geschwindigkeit, gar Hektik, mit der die neue Regierung bei der Aufrüstung ans Werk ging. Die Teilidentität der politischen Ziele, die das Bündnis zwischen Militär und Nationalsozialismus die ersten Jahre über erfolgreich getragen hatte, begann auf dem Sektor der Außenpolitik zu zerbrechen.

Spätestens während der „Sudetenkrise“ 1938 gelangte Stülpnagel zu der Ansicht, dass die Wehrmacht nun das gefährliche Werkzeug in der Hand eines unberechenbaren „Verrückten“ war. So zählte Stülpnagel bereits vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zum inneren Kreis der militärischen Opposition. Vor allem mit jenen älteren Offizieren wie Beck und Olbricht, die ihre militärische Karriere bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnen hatten und einen ähnlich weiten Bildungshorizont besaßen wie er, stand Stülpnagel bereits seit den frühen dreißiger Jahren in enger Verbindung.

Diese latente, innere Oppositionshaltung hinderte Stülpnagel allerdings nicht daran, seine Dienstpflichten als preußischer Offizier auch in Zeiten des nationalsozialistischen „Rassenvernichtungskrieges“ getreu zu erfüllen. Stülpnagel war wie kaum ein anderer Widerstandskämpfer aus den Reihen der Wehrmacht in den Judenmord an bzw. hinter der Ostfront verwickelt. Der nicht allein bei der Militäropposition, sondern bei der Oberschicht insgesamt anzutreffende konservative Antisemitismus der Kaiserzeit, von dem auch ein Goerdeler nicht frei war, verband sich bei Stülpnagel mit dem zeittypischen Antibolschewismus und der fatalen Gleichsetzung von Judentum und Bolschewismus.

Aus dieser Geisteshaltung heraus unterstützte Stülpnagel als Oberbefehlshaber der 17. Armee im Bereich der Heeresgruppe Süd an der Ostfront während des Sommers 1941 die SS-Einsatzgruppen bei der systematischen Judenvernichtung als folgenschwerer Einstieg in den Genozid an den Juden. Unter dem Deckmantel der „Partisanenbekämpfung“ ließ Stülpnagel mit Vorliebe „jüdische Komsomolzen“ exekutieren. In den von seiner Armee besetzten Gebieten forderte er eine „nachdrückliche Aufklärung über das Judentum unter der [nicht jüdischen] Bevölkerung“. Wenn die Einheimischen daraufhin ihrem blinden, antisemitischen Hass durch Pogrome gegen die jüdische Minderheit Luft machten, schaute die Armeeführung unter Stülpnagel bewusst über diese Verbrechen hinweg. In Einklang mit der NS-Ideologie und deren Auffassung vom „jüdischen Bolschewismus“ standen auch Befehle, die Stülpnagel in seiner neuen Stellung als Militärbefehlshaber im besetzten Frankreich 1942 erließ. So sollten als Vergeltung für Anschläge der Résistance pauschal eine größere Anzahl von „Juden und Kommunisten“ erschossen bzw. „in den Osten“ deportiert werden – was einem Todesurteil gleichkam.

Dieser ideologischen Nähe Stülpnagels zum Nationalsozialismus stand eine wachsende Gegnerschaft zum Regime gegenüber. Um die Person des Militärbefehlshabers im besetzten Frankreich als Zentrum entwickelte sich seit 1942 eine „Widerstandsbewegung West“, die außenpolitisch und militärisch begründet war und auf einen Separatfrieden mit den westlichen Alliierten hoffte. Wichtige Kontakte zur militärischen Opposition in Berlin stellte Cäsar von Hofacker her, seit Herbst 1943 Mitarbeiter in Stülpnagels Pariser Stab und verwandtschaftlich verbunden mit Stauffenberg. In die Pläne der Verschwörergruppe um Beck, Olbricht und Stauffenberg war Stülpnagel frühzeitig eingeweiht.

Als dann am 20. Juli 1944 aus Berlin das Signal für den Staatsstreich kam, hatten Stülpnagel und Hofacker ihre Vorbereitungen zur Durchführung der „Walküre“-Pläne längst abgeschlossen. An keinem anderen Ort verlief die Operation so erfolgreich wie unter der Regie von Stülpnagel in Paris, wo mit einem gezielten, massiven Schlag der Wehrmacht SS, SD und Gestapo ausgeschaltet wurden. Doch als der Oberbefehlshaber für die Westfront, Generalfeldmarschall Günther von Kluge, sich der Verschwörung verweigerte, nachdem Hitlers Überleben öffentlich geworden war, brach auch in Frankreich der Umsturzversuch in sich zusammen.

Stülpnagel hatte alles riskiert und alles verloren. Sein Schicksal vorausahnend, versuchte er sich am Tag nach dem Attentat in der Nähe von Verdun das Leben zu nehmen. Stülpnagel überlebte und wurde, schwer verletzt und erblindet, von der Gestapo verhaftet. Der Volksgerichtshof verurteilte ihn am 30. August 1944 zum Tode; die Hinrichtung erfolgte noch am selben Tag.
Carl Heinrich von Stülpnagel als junger Offiziersanwärter, um 1906
Carl Heinrich von Stülpnagel als junger Offiziersanwärter, um 1906
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Das letzte Familienfoto Weihnachten 1942 in Potsdam
Das letzte Familienfoto Weihnachten 1942 in Potsdam
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Erwin Rommel sympathisierte mit den Verschwörern, beteiligte sich jedoch selbst nicht an dem Umsturzversuch. Aufgrund seiner Popularität war er als neuer Oberbefehlshaber des Heeres im Gespräch, wurde aber drei Tage vor dem 20. Juli 1944 schwer verwundet.
Erwin Rommel sympathisierte mit den Verschwörern, beteiligte sich jedoch selbst nicht an dem Umsturzversuch. Aufgrund seiner Popularität war er als neuer Oberbefehlshaber des Heeres im Gespräch, wurde aber drei Tage vor dem 20. Juli 1944 schwer verwundet.
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Carl-Heinrich von Stülpnagel im Gespräch mit Generalfeldmarschall Erwin Rommel, den Stülpnagel auf die Seite des Widerstands zu ziehen versuchte
Carl-Heinrich von Stülpnagel im Gespräch mit Generalfeldmarschall Erwin Rommel, den Stülpnagel auf die Seite des Widerstands zu ziehen versuchte
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Cäsar von Hofacker trieb mit Stülpnagel am 20. Juli 1944 den Umsturzversuch in Paris voran. Am 30. August 1944 zum Tode verurteilt, wurde er am 20. Dezember 1944 hingerichtet
Cäsar von Hofacker trieb mit Stülpnagel am 20. Juli 1944 den Umsturzversuch in Paris voran. Am 30. August 1944 zum Tode verurteilt, wurde er am 20. Dezember 1944 hingerichtet
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Die demokratische Neuordnung: Die Befreiung vom Nationalsozialismus und die Entstehung des Landes Hessen
Die demokratische Neuordnung: Die Befreiung vom Nationalsozialismus und die Entstehung des Landes Hessen
Bereits die Verschwörer selbst hatten vor dem 20. Juli 1944 Sinn und Nutzen eines Umsturzversuches ebenso kritisch wie auch zweifelnd hinterfragt. Nach der erfolgreichen Landung der Westalliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 und dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront war der militärische und politische Untergang Deutschlands unausweichlich geworden. Die seit der Konferenz von Casablanca im Januar 1943 von den Kriegsgegnern geforderte bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches war nicht mehr abzuwenden.

Dennoch war der Umsturzversuch des 20. Juli 1944 mehr als ein moralisches Zeichen des verzweifelten Kampfes gegen die verbrecherische Diktatur in einer ausweglosen Situation. Schon allein die Chance für eine Übergangsregierung Beck/Goerdeler, den längst verlorenen Krieg bereits im Sommer 1944 vorzeitig zu beenden, rechtfertigte das Vorgehen der Verschwörer. Ein rascher Waffenstillstand hätte viele Soldaten vor dem Tod bewahrt, denn allein bei der Wehrmacht waren die Verluste in den Monaten vom August 1944 bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945 höher als in den vorigen Kriegsjahren zusammen. Der nationalsozialistische Völkermord, dem bis zum Ende des Krieges rund 6 Millionen Juden und mehr als 250.000 Sinti und Roma zum Opfer fielen, hätte endlich gestoppt werden können. Auch wäre an der deutschen „Heimatfront“ zahlreichen Städten das Schicksal der Zerstörung im Zuge des Bombenkrieges erspart geblieben.

Nach dem 20. Juli 1944 ging der „totale“ Krieg, wie ihn Reichspropagandaminister Joseph Goebbels bei seiner berühmt-berüchtigten Rede im Berliner Sportpalast vom 18. Februar 1943 proklamiert hatte, mit unverminderter Härte weiter. Das Scheitern des Umsturzversuches und die Reaktionen des NS-Regimes führten sogar noch zu einer vorübergehenden Stabilisierung des Systems. Dem Widerstand fehlte die breite Massenbasis. Insgesamt umfassten alle Widerstandsgruppen wohl nicht mehr als 1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Obgleich das NS-Regime Deutschland in eine beispiellose politische und moralische Katastrophe geführt hatte, lehnten noch bis weit in die Nachkriegszeit hinein die meisten Deutschen den „Aufstand des Gewissens“ vom 20. Juli 1944 als „Verrat“ ab.

Erst die Eroberung Deutschlands durch die alliierten Streitkräfte bereitete nicht nur dem NS-Regime ein Ende, sondern schuf auch die Voraussetzung für einen demokratischen Neubeginn. Nach dem Zusammenbruch des NS-Staates, den die meisten Deutschen weniger als Befreiung denn als Niederlage empfanden, übernahmen die Siegermächte die oberste Staatsgewalt und teilten das Land in vier Besatzungszonen ein. Innerhalb ihrer Zonen bildeten die Besatzungsmächte noch 1945 Länder, zum Teil unter Beibehaltung der historischen Ländergrenzen, und begannen allmählich mit der Demokratisierung des politischen Lebens.

Auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen endete der Zweite Weltkrieg Ende März/Anfang April 1945. Am 23. März überschritten amerikanische Militärverbände den Rhein bei Oppenheim; am 4. April hatten sie Kassel erreicht. Die Amerikaner, die als Sitz für die Militärverwaltung ihrer Zone das Frankfurter IG-Farben-Hochhaus wählten, befreiten die Opfer der NS-Diktatur aus Zuchthäusern und Konzentrationslagern sowie aus der Zwangsarbeit. Zugleich begann die Besatzungsmacht mit der Entnazifizierung. In ihrem Selbstverständnis kamen die Amerikaner nicht als Befreier vom Joch des Nationalsozialismus. Sie sahen in den Deutschen jenes Volk, das den Zweiten Weltkrieg ausgelöst und den Völkermord zu verantworten sowie einem verbrecherischen Regime bis zum Ende die Treue gehalten hatte. Alle NS-Organisationen, bislang das Korsett der totalitären Gesellschaft, wurden verboten. Im Zuge einer ersten politischen Säuberungswelle wurden NS-Funktionäre und andere Stützen der Diktatur in Gefängnissen oder Internierungslagern inhaftiert, 100.000 Personen bis Ende 1945 in der gesamten US-Zone.

Um die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung in dem zerstörten Land zu gewährleisten – die hessischen Großstädte glichen einer Trümmerlandschaft; die Infrastruktur war vielerorts zusammengebrochen –, begannen die örtlichen Militärverwaltungseinheiten noch in der „Stunde Null“ damit, die deutsche Verwaltung wieder zu reaktivieren. Zu Bürgermeistern, Landräten, Regierungspräsidenten und leitenden Verwaltungsbeamten wurden nun tunlichst Personen ernannt, die in Opposition zum NS-Regime standen oder gar dem Widerstand angehört hatten. Jedoch konnte allein mit diesem von der NS-Vergangenheit unbelasteten Personenkreis die Lücke nicht aufgefüllt werden, die bei der Entnazifizierung mit der Entlassung von 57 Prozent der Beamten aus dem öffentlichen Dienst entstanden war. Aufgrund der personellen Engpässe konnten die ersten Amtsgerichte erst im Sommer 1945, die Schulen im Herbst desselben Jahres wieder eröffnet werden. Unterstützt wurde die öffentliche Verwaltung in den größeren Städten wie Frankfurt während dieser Umbruchsphase unmittelbar nach der militärischen Besetzung durch Antifaschistische Ausschüsse. Sie setzten sich zumeist aus Gegnern des NS-Regimes zusammen und übernahmen nach dessen Zusammenbruch unmittelbar vor Ort Selbstverwaltungsfunktionen.

Im Sommer 1945 schritten die Amerikaner allmählich zur Bildung von Ländern, nicht nur um die Effektivität der Verwaltung zu erhöhen, sondern auch um die Demokratisierung in ihrer Zone voranzubringen. Gemeinsam mit Bayern und Württemberg-Baden wurde am 19. September 1945 das Land „Groß-Hessen“ proklamiert. Groß-Hessen umfasste im wesentlichen die Verwaltungsgebiete des Volksstaates Hessen(-Darmstadt) und der preußischen Provinz Hessen-Nassau mit ihren Regierungsbezirken Kassel und Wiesbaden. Zur Hauptstadt des neuen Landes erklärte die Militärregierung am 12. Oktober 1945 Wiesbaden, die mit 33 Prozent am wenigsten zerstörte Großstadt Hessens. Solange ein demokratisch legitimiertes Parlament noch fehlte, übertrug die Besatzungsmacht der von einem Ministerpräsidenten geführten Regierung die gesetzgebende, richterliche und vollziehende Gewalt. Zum ersten Ministerpräsidenten ernannten die Militärmachthaber den parteilosen Professor Karl Geiler, der gut einen Monat nach der Proklamation Groß-Hessens seine Regierungsarbeit aufnahm.
Die zerstörte Innenstadt Frankfurts bei Kriegsende
Die zerstörte Innenstadt Frankfurts bei Kriegsende
Die zerstörte Innenstadt Frankfurts bei Kriegsende
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Einmarsch der amerikanischen Streitkräfte in Kassel
Einmarsch der amerikanischen Streitkräfte in Kassel
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Internierungslager Darmstadt, 1945
Internierungslager Darmstadt, 1945
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Meldebogen des und Spruchkammerurteil über den berüchtigten Gestapobeamten Ernst Richardt, 1948
Meldebogen des und Spruchkammerurteil über den berüchtigten Gestapobeamten Ernst Richardt, 1948
Meldebogen des und Spruchkammerurteil über den berüchtigten Gestapobeamten Ernst Richardt, 1948
Meldebogen des und Spruchkammerurteil über den berüchtigten Gestapobeamten Ernst Richardt, 1948
Meldebogen des und Spruchkammerurteil über den berüchtigten Gestapobeamten Ernst Richardt, 1948
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Der bekannte SPD-Politiker Prof. Dr. Ludwig Bergsträsser stand während der NS-Zeit in Verbindung zu Wilhelm Leuschner. Er wurde bereits im April 1945 von der Militärregierung als Präsident der Provinz Starkenburg eingesetzt, im Juni für Oberhessen und dan
Der bekannte SPD-Politiker Prof. Dr. Ludwig Bergsträsser stand während der NS-Zeit in Verbindung zu Wilhelm Leuschner. Er wurde bereits im April 1945 von der Militärregierung als Präsident der Provinz Starkenburg eingesetzt, im Juni für Oberhessen und dan
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Gründung des Landes Groß-Hessen
Gründung des Landes Groß-Hessen
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Hessen und seine Vorgängerterritorien
Hessen und seine Vorgängerterritorien
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Der parteilose Prof. Dr. Karl Geiler wurde am 15. Oktober 1945 durch die Militärregierung zum hessischen Ministerpräsidenten berufen
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Die demokratische Neuordnung: Auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie
Die demokratische Neuordnung: Auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie
Innerhalb des Widerstands gegen die NS-Diktatur existierte kein umfassender, einheitlicher verfassungs- und innenpolitischer Neuordnungsplan. Zu unterschiedlich waren Herkunft und politische Grundüberzeugungen der einzelnen Widerstandsgruppierungen und ihrer Mitglieder. Doch bestand im wesentlichen Einigkeit über die Beseitigung Hitlers und des NS-Regimes hinaus in der Auffassung, dass es bei dem politischen Neuanfang keine Wiederherstellung der Weimarer Republik geben dürfe. Bei den Nationalkonservativen um Goerdeler und beim Militär, aber auch auf der politischen Gegenseite, bei den Kommunisten, hatte es lange vor 1933 starke Vorbehalte und Abwehrreaktionen gegenüber der parlamentarischen Demokratie gegeben. Auch bei den staatstragenden Kräften der Weimarer Republik – SPD, liberales Bürgertum und Zentrum – war eine parlamentarisch-demokratische Regierungsform wie die der Weimarer Republik diskreditiert. In unterschiedlichen Schattierungen entstand in Widerstandskreisen die Vorstellung von einem spezifisch „deutschen Weg“ zwischen Kapitalismus, Massendemokratie und Individualismus westlicher Prägung einerseits und dem Kommunismus und Kollektivismus östlicher Herkunft andererseits.

Die Rückkehr zu Demokratie und Parlamentarismus in der heute noch existenten Form ist daher ein Ergebnis der totalen deutschen Niederlage. Die bedingungslose Kapitulation beseitigte den politischen Handlungs- und Gestaltungsspielraum auf deutscher Seite. Alle bis dahin angestellten Überlegungen zu einem „deutschen Weg“ waren damit hinfällig geworden. Nun bestimmten die Alliierten in ihren Besatzungszonen über die weiteren politischen Geschicke Deutschlands.

Für Hessen markierte die offizielle Zulassung von Parteien durch die Besatzungsmacht im September 1945 den ersten Schritt hin zu einer parlamentarischen Demokratie westlichen Zuschnitts. Häufig unter maßgeblicher Beteiligung von ehemaligen Widerstandskämpfern hatte bereits in den Monaten zuvor der Prozess der Neugründung politischer Parteien illegal, doch mit stillschweigender Billigung der Besatzungsmacht begonnen. Das Scheitern der Weimarer Republik und die Zeit der Diktatur, die für viele der hessischen Nachkriegspolitiker mit Gefängnis- und KZ-Aufenthalten oder der Emigration verbunden gewesen war, schufen ein Bewusstsein der Solidarität und der Kompromissbereitschaft über die Parteigrenzen und unterschiedlichen Weltanschauungen hinweg. Eine weitere Lehre aus dem politischen Untergang der Weimarer Republik war, dass nun jene Parteienzersplitterung vermieden werden sollte, die mit zu einer erneuten Lähmung des politischen Systems beitragen könnte.

Mitbedingt durch die Lizenzierungspraxis der Militärregierung bildete sich in Hessen ein modernes Vier-Parteien-System heraus. Die traditionellen Linksparteien KPD und SPD konnten an ihre früheren Parteiorganisationen wieder anknüpfen. Im bürgerlichen Lager kam es mit der interkonfessionellen CDU als Nachfolgepartei des Zentrums und der nationalkonservativen, nicht konfessionellen LDP, Vorgängerpartei der FDP, zu Parteineugründungen. Im Verlaufe des Jahres 1946 erarbeiteten diese vier Parteien eine Verfassung, die in der liberalen Verfassungstradition stand und bei der Volksabstimmung vom 1. Dezember 1946 mit überwältigender Mehrheit von der hessischen Bevölkerung angenommen wurde.


Lebensbild Werner Hilpert

Der Christdemokrat Werner Hilpert zählte zu den Gründervätern Hessens und der Bundesrepublik. Er verkörperte jenen Politikertypus der Nachkriegszeit, der vom NS-Regime verfolgt worden war und unter dem Eindruck der „deutschen Katastrophe“ gemeinsam mit den anderen Parteien einen demokratischen Neubeginn gestalten wollte.

Werner Hilpert wurde am 17. Januar 1897 in Leipzig-Neustadt geboren. Nach seinem Abitur begann er 1916 in Leipzig mit dem Studium der Nationalökonomie und Philosophie, das er nach einer zweijährigen Unterbrechung wegen seines Kriegsdienstes 1920 mit der Promotion abschloss. Während der Weimarer Zeit war Hilpert beruflich als Syndikus von Wirtschaftsunternehmen tätig. Politisch engagierte er sich für die katholische Zentrumspartei, deren sächsischer Landesvorsitzender er 1932 wurde. Die Selbstauflösung des Zentrums im Zuge der politischen Gleichschaltung hinderte Hilpert allen Gefahren zum Trotz nicht daran, nun für die Katholische Aktion einzutreten, bis diese 1937 verboten wurde. Inzwischen galt Hilpert den Nationalsozialisten als politischer Gegner. Mit seiner willkürlichen Verhaftung bei Kriegsbeginn im September 1939 begann für Hilpert eine qualvolle 5½-jährige Haft im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar.

Nach der Befreiung Buchenwalds verließ Hilpert mit seiner Familie auf Anraten der Amerikaner den sowjetischen Einflussbereich und ging nach Hessen. Es spricht für seine persönliche Integrität und seine politischen Fähigkeiten, dass er in seiner neuen Heimat rasch zum führenden Politiker der neugegründeten CDU aufstieg. Unter dem Vorsatz, eine „echte Volkspartei“ zu gründen, „die alle Schichten unseres Volkes umfaßt“, lenkte er die linksorientierte hessische CDU als deren Landesvorsitzender in Richtung einer Politik der sozialen Verantwortung und des sozialen Ausgleichs. Als Mann des Ausgleichs zwischen den politischen Lagern trat er nach den ersten Landtagswahlen mit Erfolg für die Errichtung der Großen Koalition in Hessen ein, deren Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident er wurde.

Hilpert setzte sich auch für eine Große Koalition auf Bundesebene ein, unterlag allerdings parteiintern seinem Gegenspieler Konrad Adenauer. Als Hilpert 1949 auch mit seinem Kampf für Frankfurt als Bundeshauptstadt scheiterte und im Jahr darauf noch die Große Koalition in Hessen zerbrach, zog er sich allmählich aus der Politik zurück. Hilpert wechselte 1952 in die Spitze der Deutschen Bundesbahn, ehe er 1957 unerwartet einem Herzinfarkt erlag.
Zulassung politischer Parteien in der amerikanischen Besatzungszone am 1. September 1945
Zulassung politischer Parteien in der amerikanischen Besatzungszone am 1. September 1945
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Leopold Bauer, zunächst SPD-, seit 1932 KPD-Mitglied, emigrierte nach seiner Verhaftung 1933 nach Frankreich, 1940 dann in die Schweiz, wo er als Kommunist längere Zeit inhaftiert wurde. 1946 war er Mitglied des Beratenden Landesausschusses, bis 1949 Vors
Leopold Bauer, zunächst SPD-, seit 1932 KPD-Mitglied, emigrierte nach seiner Verhaftung 1933 nach Frankreich, 1940 dann in die Schweiz, wo er als Kommunist längere Zeit inhaftiert wurde. 1946 war er Mitglied des Beratenden Landesausschusses, bis 1949 Vors
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Wilhelm Knothe aus Kassel hatte bereits während der Weimarer Zeit für die SPD wichtige Funktionen inne. Seit 1933 war er im Widerstand tätig und verbüßte mehrjährige Zuchthausstrafen. Er war unmittelbar nach der Befreiung im Frankfurter Stadt- und Bürgerr
Wilhelm Knothe aus Kassel hatte bereits während der Weimarer Zeit für die SPD wichtige Funktionen inne. Seit 1933 war er im Widerstand tätig und verbüßte mehrjährige Zuchthausstrafen. Er war unmittelbar nach der Befreiung im Frankfurter Stadt- und Bürgerr
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Maria Sevenich begann ihre politische Laufbahn als Kommunistin. Als solche leistete sie Widerstand gegen das NS-Regime und musste Zuchthaus, Gestapo-Haft und KZ erleiden. Nach ihrer Hinwendung zum Katholizismus begründete sie 1945 die CDU in Hessen maßgeb
Maria Sevenich begann ihre politische Laufbahn als Kommunistin. Als solche leistete sie Widerstand gegen das NS-Regime und musste Zuchthaus, Gestapo-Haft und KZ erleiden. Nach ihrer Hinwendung zum Katholizismus begründete sie 1945 die CDU in Hessen maßgeb
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Werner Hilpert um 1947
Werner Hilpert um 1947
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Werner Hilpert im Gespräch mit Hermann Brill (SPD), Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei, um 1948. Beide Politiker verband die gemeinsame Zeit im KZ Buchenwald bis 1945, wo sie einem Volksfrontkomitee angehörten, das Pläne für eine demokratische Neuo
Werner Hilpert im Gespräch mit Hermann Brill (SPD), Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei, um 1948. Beide Politiker verband die gemeinsame Zeit im KZ Buchenwald bis 1945, wo sie einem Volksfrontkomitee angehörten, das Pläne für eine demokratische Neuo
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Auf Einladung der Militärregierung unternahm Werner Hilpert (links) eine Studienreise in die USA zur Beobachtung des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes, Oktober 1948
Auf Einladung der Militärregierung unternahm Werner Hilpert (links) eine Studienreise in die USA zur Beobachtung des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes, Oktober 1948
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Für seine Verdienste bei der politischen Neuordnung überreichte Ministerpräsident G.A. Zinn dem einstigen Weggefährten und Staatsminister a.D. Werner Hilpert 1956 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
Für seine Verdienste bei der politischen Neuordnung überreichte Ministerpräsident G.A. Zinn dem einstigen Weggefährten und Staatsminister a.D. Werner Hilpert 1956 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
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Die demokratische Neuordnung: Der Neuaufbau der kommunalen Selbstverwaltung
Die demokratische Neuordnung: Der Neuaufbau der kommunalen Selbstverwaltung
Als die Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 nach der Macht in Staat und Gesellschaft griffen, machten sie auch vor der kommunalen Selbstverwaltung nicht Halt. Mit einer Doppelstrategie, die sich einerseits des gelenkten Terrors der SA und anderer lokaler NS-Organisationen „von unten“, andererseits einer staatlichen scheinlegalen Lenkung „von oben“ bediente, riss das NS-Regime die Macht auch in den Städten der preußischen Provinzen Kurhessen und Nassau sowie im Volksstaat Hessen an sich. Bereits im Februar 1933 waren zahlreiche Bürgermeister und Landräte entlassen worden, die meisten Stadträte wurden beurlaubt oder – vor allem die aus der Arbeiterbewegung – in „Schutzhaft“ genommen. Im März 1933 wehte dann die Hakenkreuzfahne über den hessischen Rathäusern. Abgeschlossen wurde die Gleichschaltung auf kommunaler Ebene durch die Deutsche Gemeindeordnung von 1935. Die strikt nach dem „Führerprinzip“ regierten Gemeinden wurden damit formell in den zentralistischen Einheitsstaat eingegliedert.

Nach der Befreiung von der NS-Diktatur wurde an die über 120-jährige, aus dem Ideengut des Freiherrn vom Stein hervorgegangene Tradition der kommunalen Selbstverwaltung wieder angeknüpft. In der Not der Nachkriegszeit stieß der Ausspruch des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss von 1949: „Gemeinden sind wichtiger als Länder“, auf ungeteilte Zustimmung. Im Mai 1945 war der deutsche Staat in einer Katastrophe zusammengebrochen. Vor allem die von der Besatzungsmacht neuberufenen Bürgermeister und Landräte sowie 1933 aus ihren Ämtern vertriebene Gemeinderäte sorgten noch vor der Proklamation des Landes Groß-Hessen vor Ort für die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen. Jene, die sich jetzt wieder auch auf ausdrücklichen Wunsch der Militärregierung für das Gemeinwohl engagierten, waren häufig Frauen und Männer, die während der NS-Zeit der Verfolgung ausgesetzt waren oder im Widerstand Leib und Leben riskiert hatten.

Die Militärregierung sah in dem lokalen politischen Engagement der Bürger eine „Schule der Demokratie“ und förderte die kommunale Selbstverwaltung mit der Abhaltung der ersten Gemeindewahlen bereits im Januar 1946. Die hohe Wahlbeteiligung von fast 85 Prozent gab der Strategie recht, den politischen Aufbau von „unten nach oben“ zu vollziehen. Bereits im Vorgriff auf die Gemeindewahlen war die Deutsche Gemeindeordnung vom 21. Dezember 1945 erlassen worden. Sie sicherte den Gemeinden eine Selbstverwaltung „unter eigener Verantwortung“ zu. Den Willen der Bürgerschaft sollte die nach dem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht zu wählende Gemeindevertretung zum Ausdruck bringen, die wiederum den Bürgermeister wählte. Noch 1946 bestimmte dann Artikel 137 der Hessischen Verfassung die demokratisch konstituierten Kommunen zu ausschließlichen Trägern der gesamten öffentlichen Verwaltung und beschränkte die Staatsaufsicht auf die reine Gesetzmäßigkeitskontrolle.

Ausdruck der Rückkehr zur Demokratie auf gemeindlicher Ebene war auch die Neugründung der kommunalen Spitzenverbände nach 1945. Vor 1933 existierten historisch bedingt drei Städtetage für Kurhessen, Nassau und den Volksstaat Hessen. Nach der Machtergreifung hatte das NS-Regime die Bündelung und Vertretung kommunaler Interessen gegenüber dem Staat ausgeschaltet. Unter maßgeblicher Beteiligung der größten hessischen Stadt, Frankfurt am Main, entstand bald nach der Landesgründung der „Großhessische Städtebund“, einer der Vorläufer des heutigen Hessischen Städtetages. Analog zum Städtebund schlossen sich dann die Gemeinden zum „Gemeindebund“ und die Landkreise zum „Landkreistag“ zusammen, um ihre Interessen im Machtgefüge zwischen Kommunen und Staat besser zur Geltung bringen zu können.


Lebensbild Willi Goethe

Der langjährige Kasseler Stadtverordnete Willi Goethe steht beispielhaft für jene überzeugten Kommunalpolitiker, die sich vor 1933 in Belangen ihrer Gemeinde engagierten, dann als verfemte Demokraten die NS-Diktatur durchlitten und nach deren Zusammenbruch mit ungebrochenem Elan die öffentliche Tätigkeit für das Gemeinwohl wieder aufnahmen.

Willi Goethe, geboren am 12. Februar 1895 in der nördlich von Kassel gelegenen Kleinstadt Hannoversch Münden, erlernte im Anschluss an die Volksschule den Beruf des Schlossers. Bereits im zweiten Lehrjahr schloss er sich dem Deutschen Metallarbeiterverband an, wo er in späteren Jahren die Funktion des Vertrauensmanns übernahm. 1919 trat Goethe der SPD bei, für die er sich in die Stadtverordnetenversammlung in Kassel wählen ließ. Sein kämpferischer Einsatz für die von links und rechts bedrohte Republik von Weimar unterstreicht Goethes Mitgliedschaft im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold.

Deutlich machte sich seit 1932/33 der grundlegende Wandel der politischen Verhältnisse für Willi Goethe bemerkbar. Da er aufgrund seiner Tätigkeit als Betriebsfunktionär als „politisch unzuverlässig“ galt, verlor Goethe seine Anstellung bei der Firma Henschel & Sohn. Wie viele andere Gewerkschafter und SPD-Genossen auch, musste Willi Goethe nach der Machtergreifung Misshandlungen durch die SS erdulden. Nach seiner Freilassung stand er zwar weiterhin unter der Beobachtung der Gestapo, dennoch pflegte er den organisatorischen Zusammenhalt mit anderen Genossen in informellen Solidargemeinschaften. Im NS-Staat galt Goethe daher als „unverbesserlicher Marxist“; unmittelbar nach Kriegsbeginn wie auch nach dem 20. Juli 1944 verschleppte man ihn daher in das Konzentrationslager Sachsenhausen.

Willi Goethe überlebte die Tyrannei. Unmittelbar nach der Befreiung begann er am „Neuaufbau einer demokratischen, sozialistischen Partei in einem demokratischen Staat mitzuarbeiten“. Als Kasseler Stadtverordneter im neugewählten Kommunalparlament nahm Willi Goethe 1946 die Verantwortung an, die auf ihm als überzeugtem und auch populären Demokraten lag. Bis kurz vor seinem Tod 1969 diente Willi Goethe dem Gemeinwohl in Kassel in vielen Funktionen. Die Stadt dankte dies dem Kommunalpolitiker mit zahlreichen Ehrungen, u.a. 1965 mit der nach dem Begründer der kommunalen Selbstverwaltung benannten Freiherr-vom-Stein-Plakette.
Das "Blaue Haus" am Butzbacher Marktplatz mit Hitler-Bild und Hakenkreuzfahnen während der sog. "Braunen Messe. Deutsche Ständewoche" in Butzbach vom 3.-15. Juli 1934
Das "Blaue Haus" am Butzbacher Marktplatz mit Hitler-Bild und Hakenkreuzfahnen während der sog. "Braunen Messe. Deutsche Ständewoche" in Butzbach vom 3.-15. Juli 1934

Bildbeschreibung und Datierung auf Hinweis von Herrn Dr. Dieter Wolf, Leiter des Stadtarchivs und Museums der Statdt Butzbach (Sept. 2007).

DigAM dankt Herrn Dr. Wolf für die Information.

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Einsetzung des Landrats von Alsfeld durch die Militärregierung
Einsetzung des Landrats von Alsfeld durch die Militärregierung
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Bevor Georg Krücke 1945 zum Oberbürgermeister der Stadt Wiesbaden ernannt wurde, hatte er dieses Amt bereits schon einmal zwischen 1928 und 1933 bekleidet. Die Nationalsozialisten hatten ihn abgesetzt. Während des Krieges war er zeitweise Repressalien des
Bevor Georg Krücke 1945 zum Oberbürgermeister der Stadt Wiesbaden ernannt wurde, hatte er dieses Amt bereits schon einmal zwischen 1928 und 1933 bekleidet. Die Nationalsozialisten hatten ihn abgesetzt. Während des Krieges war er zeitweise Repressalien des
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Entschließung des neugegründeten Hessischen Städtetages zur kommunalen Selbstverwaltung in Hessen, 25. Mai 1950
Entschließung des neugegründeten Hessischen Städtetages zur kommunalen Selbstverwaltung in Hessen, 25. Mai 1950
Entschließung des neugegründeten Hessischen Städtetages zur kommunalen Selbstverwaltung in Hessen, 25. Mai 1950
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Erste Verbandsversammlung des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) im September 1953 in Fulda. Mit der Errichtung des LWV 1953 kehrte die kommunale Selbstverwaltung auch in die überörtliche Mittelstufe der Verwaltung zurück
Erste Verbandsversammlung des Landeswohlfahrtsverbandes (LWV) im September 1953 in Fulda. Mit der Errichtung des LWV 1953 kehrte die kommunale Selbstverwaltung auch in die überörtliche Mittelstufe der Verwaltung zurück
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Willi Goethe (2.v.l.) mit seinen Schlosserkollegen in der Maschinenfabrik Henschel & Sohn, um 1913
Willi Goethe (2.v.l.) mit seinen Schlosserkollegen in der Maschinenfabrik Henschel & Sohn, um 1913
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Willi Goethe (links) mit Kamerad im Deckungsgraben während des Ersten Weltkriegs, 1918
Willi Goethe (links) mit Kamerad im Deckungsgraben während des Ersten Weltkriegs, 1918
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Willi Goethe im Krankenhaus aufgrund von Stichverletzungen, die ihm SA-Leute zugefügt hatten, 1932
Willi Goethe im Krankenhaus aufgrund von Stichverletzungen, die ihm SA-Leute zugefügt hatten, 1932
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Willi Goethe mit seiner Ehefrau Mimi und seinem Sohn Alfred, der im Krieg zu Tode kam, um 1937
Willi Goethe mit seiner Ehefrau Mimi und seinem Sohn Alfred, der im Krieg zu Tode kam, um 1937
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Willi Goethe nach der Befreiung vom Nationalsozialismus
Willi Goethe nach der Befreiung vom Nationalsozialismus
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Ehrenamtlicher Stadtrat Willi Goethe (3.v.l.) im Gespräch mit Bundespräsident Heinrich Lübke und dem Kasseler Oberbürgermeister Karl Branner (mit Kette). Dahinter der spätere Ministerpräsident Holger Börner
Ehrenamtlicher Stadtrat Willi Goethe (3.v.l.) im Gespräch mit Bundespräsident Heinrich Lübke und dem Kasseler Oberbürgermeister Karl Branner (mit Kette). Dahinter der spätere Ministerpräsident Holger Börner
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Die demokratische Neuordnung: Die gesellschaftliche Demokratisierung
Die demokratische Neuordnung: Die gesellschaftliche Demokratisierung
Das Ziel der amerikanischen Besatzungspolitik war es nicht allein, Nationalsozialismus und Militarismus auf personeller und institutioneller Ebene ausmerzen. Für die Alliierten insgesamt, insbesondere aber für die Amerikaner mit ihrem demokratischen Sendungsbewusstsein, stand außer Frage, dass über die Entnazifizierung hinaus – als deren positiv akzentuiertes Gegenstück – eine breite Umerziehung des deutschen Volkes stattfinden müsse. Mit der Politik der „Reeducation“ sollte der historisch gewachsene, autoritär verformte „Volkscharakter“ der Deutschen langfristig auf eine neue, demokratische Basis gestellt werden.

Die Reeducation- bzw. Demokratisierungspolitik der unmittelbaren Nachkriegszeit erstreckte sich auf den gesamten kulturellen Bereich. Ob bei den bildenden und darstellenden Künsten, bei den Medien mit Presse und Rundfunk oder auf dem Bildungs- und Erziehungssektor: weniger direktiv steuernd als vielmehr beratend und fördernd gaben die Amerikaner dem kulturellen Leben in Hessen wichtige Impulse bei der demokratischen Neuausrichtung. Diese kulturpolitischen Initiativen fielen auf deutscher Seite vor allem bei jenen Personen auf fruchtbaren Boden, die während der NS-Diktatur aus politischen oder rassischen Gründen vorfolgt worden waren. Vor allem Politiker aus der SPD und KPD, aber auch solche der neugegründeten CDU wollten es angesichts des Scheiterns der Weimarer Republik nicht mit einer formalen Demokratisierung Deutschlands bewenden lassen, sondern traten für eine soziale Verankerung der Demokratie ein.

Zentrale Bedeutung erlangte die Demokratisierung des Bildungswesens. Nicht erst im Erziehungswesen des Nationalsozialismus, sondern bereits in der preußisch-deutschen Bildungstradition seit dem 19. Jahrhundert sah man die Ursache für den „autoritären Charakter“ der Deutschen und den Aufstieg des Nationalsozialismus. Um bereits den Kindern und Jugendlichen die Demokratie als „Lebensform“ einzupflanzen und damit deren dauerhaften Bestand zu gewährleisten, sollte über die Entnazifizierung der Lehrerschaft und die Beseitigung von Schulbüchern aus der NS-Zeit hinaus eine grundlegende Schulreform stattfinden.

Die Amerikaner konkretisierten ihre anfangs vagen Vorstellungen von einem Neuaufbau des Bildungswesens im Sommer 1946. Ermuntert durch die pädagogischen Vorschläge der Militärregierung, entwickelten die hessischen Politiker bei der Verfassungsgebung 1946 ein modernes, demokratisches Bildungskonzept. Ziel der Erziehung ist bis zum heutigen Tage der „mündige Mensch“, die „sozialgerichtete Persönlichkeit“. Die schulpolitischen Bestimmungen der Landesverfassung sind durchzogen vom Grundsatz der sozialen Chancengleichheit.

Erste wichtige Schritte zur Umsetzung dieser Verfassungsbestimmungen erfolgten dann seit Beginn 1947 unter Kultusminister Erwin Stein (CDU). Mit seinem Namen verbindet sich der Einzug der politischen Bildung in die Schule, ein bis zu diesem Zeitpunkt einzigartiger Vorgang in der deutschen Schulgeschichte. Allerdings scheiterte während seiner Amtszeit bis 1951 die Strukturreform des hessischen Schulwesens. Das Konzept einer demokratischen, sozial durchlässigen Einheitsschule fand innerhalb der Bevölkerung, deren gewählte Vertreter bei der Schulgesetzgebung darüber abzustimmen hatten, wenig Anklang. Angesichts der Not der Zeit sah man vielerorts mit der Abschaffung des traditionellen dreigliedrigen Schulsystems den Bildungsstandard insgesamt gefährdet.


Lebensbild Wolfgang Abendroth

Das in Hessen seit 1945 verfolgte Ziel der Bildungspolitik, die Demokratie sozial in der Bevölkerung zu verankern, ist untrennbar mit der Person Wolfgang Abendroths verbunden. Im November 1950 ernannte die hessische Landesregierung Abendroth zum Professor für wissenschaftliche Politik. Dieses neuartige Fach „Politische Wissenschaften“, für das auch in Darmstadt und Frankfurt Lehrstühle eingerichtet wurden, sollte insbesondere für den Lehrernachwuchs politische Bildung auf akademischem Niveau garantieren.

Als Wolfgang Abendroth sich im Alter von 44 Jahren dieser wichtigen Aufgabe anzunehmen begann, konnte er bereits auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Seine frühe politische Prägung erhielt der am 2. Mai 1906 in Elberfeld/Wuppertal geborene Wolfgang Abendroth durch seine Eltern, die beide überzeugte Sozialdemokraten waren. Schon als Jugendlicher zeigte Abendroth jene moralische Integrität und charakterlich-politische Unbeugsamkeit, die ihn bis zu seinem Tod 1985 auszeichnete. Er schloss sich der proletarischen Jugendbewegung an und wurde zu Beginn der 1920er Jahre Mitglied der KPD. Da er den stalinistischen Kurs der KPD ablehnte, schloss diese ihn aus der Partei aus. Seit 1928 kämpfte der junge Jurist dann in der KP-Opposition für sein politisches Lebensziel: die Einheit der Arbeiterbewegung und die Realisierung einer sozialistischen, freiheitlichen Gesellschaft. Mit großer Energie verfolgte Abendroth diese Absicht nicht allein in der politischen Praxis, sondern schon seit 1926 auch in der politischen Theorie, zu der er bis zu seinem Lebensende über 1000 Schriften beisteuerte.

Gegen den Nationalsozialismus leistete Abendroth seit 1933 in verschiedenen Untergrundorganisationen der Arbeiterbewegung Widerstand, wofür er ab 1937 vier Jahre Zuchthaus verbüßen musste. 1943 wurde Abendroth zur Strafbatallion 999 eingezogen, desertierte in Griechenland und schloss sich dort dem Widerstand der griechischen Partisanen gegen die deutschen Besatzer an.

Bereits während seiner britischen Kriegsgefangenschaft zwischen 1944 und 1946 hatte sich Abendroth der antifaschistischen, demokratischen Umerziehung von Mitgefangenen gewidmet. Diese Lehrtätigkeit setzte er als Staatsrechter in der sowjetischen Besatzungszone fort. 1948 musste Abendroth mit seiner Frau und Tochter in den Westen fliehen. Zunächst übernahm er in Wilhelmshaven eine Professur, ehe er nach Marburg wechselte. Noch über seine Emeritierung 1972 hinaus war er dort das „Haupt“ der legendären „Marburger Schule“ der Politikwissenschaften.

Auch in der praktischen Politik blieb Abendroth nach dem Ende der NS-Diktatur ein streitbarer Geist. Abendroth trat 1946 der SPD bei, kritisierte dann aber mit Vehemenz deren Entwicklung hin zu einer „entideologisierten Volkspartei“ durch das Godesberger Programm. Nach seinem Parteiausschluss 1961 begründete der bekennende Marxist Wolfgang Abendroth den Sozialistischen Bund und wurde zur Symbolfigur der Studentenbewegung. Schon seit den 1950er Jahren war Abendroth einer der wichtigsten Kritiker der Wiederaufrüstung. Später engagierte er sich in der Ostermarsch-, Antinotstands- und Antivietnambewegung.
Von der Militärregierung lizenzierte hessische Zeitungen im Sommer 1946. Die Medienpolitik war ein wichtiger Aspekt der von der Besatzungsmacht betriebenen demokratischen Neuorientierung Deutschlands
Von der Militärregierung lizenzierte hessische Zeitungen im Sommer 1946. Die Medienpolitik war ein wichtiger Aspekt der von der Besatzungsmacht betriebenen demokratischen Neuorientierung Deutschlands
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Der Publizist und Politologe Eugen Kogon war als bekennender Gegner des NS-Regimes nach seiner Verhaftung 1936/37 zwischen 1939 und 1945 im KZ Buchenwald inhaftiert. Er übte mit den von ihm 1946 gegründeten links-katholischen „Frankfurter Heften“ großen E
Der Publizist und Politologe Eugen Kogon war als bekennender Gegner des NS-Regimes nach seiner Verhaftung 1936/37 zwischen 1939 und 1945 im KZ Buchenwald inhaftiert. Er übte mit den von ihm 1946 gegründeten links-katholischen „Frankfurter Heften“ großen E
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Kennzeichnend für die Not der Nachkriegszeit waren neben fehlenden Lehrkräften und Lehrmitteln auch unbeheizte Klassenräume in der strengen Winterkälte
Kennzeichnend für die Not der Nachkriegszeit waren neben fehlenden Lehrkräften und Lehrmitteln auch unbeheizte Klassenräume in der strengen Winterkälte
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Erwin Stein (CDU), dessen Ehefrau zu den jüdischen Opfern des NS-Regimes zählte, brachte als Hessischer Kultusminister zwischen 1947 und 1951 wichtige Schulreformen auf den Weg
Erwin Stein (CDU), dessen Ehefrau zu den jüdischen Opfern des NS-Regimes zählte, brachte als Hessischer Kultusminister zwischen 1947 und 1951 wichtige Schulreformen auf den Weg
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Wolfgang Abendroth mit seinen Eltern Ida und Alfred sowie seiner Schwester Ilse, um 1912
Wolfgang Abendroth mit seinen Eltern Ida und Alfred sowie seiner Schwester Ilse, um 1912
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Wolfgang Abendroth als „Bewährungssoldat“ im Strafbataillon 999
Wolfgang Abendroth als „Bewährungssoldat“ im Strafbataillon 999
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Wolfgang Abendroth als Redner bei einer Kampagne gegen die Wiederbewaffnung, um 1955
Wolfgang Abendroth als Redner bei einer Kampagne gegen die Wiederbewaffnung, um 1955
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Wolfgang Abendroth mit seiner Frau Lisa, 1985
Wolfgang Abendroth mit seiner Frau Lisa, 1985
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Die demokratische Neuordnung: Der kirchliche Neuanfang
Die demokratische Neuordnung: Der kirchliche Neuanfang
Für die Kirchen und Christen in Deutschland brachte der Zusammenbruch des NS-Regimes die Befreiung von der totalitären Bedrohung. Zwar flaute der Konflikt zwischen Nationalsozialismus auf der einen Seite und den beiden Großkirchen sowie ihren Gläubigen auf der anderen mit Kriegsbeginn ab. Auf Wunsch Hitlers sollte aus außenpolitischen Gründen die Bevölkerung nicht durch Angriffe auf die Kirchen zusätzlich beunruhigt werden. Gleichwohl machten weitere kirchenfeindliche Übergriffe des Regimes auch nach 1939 unmissverständlich deutlich, dass der NS-Staat die existenzielle Auseinandersetzung mit den Kirchen nur bis zur Nachkriegszeit zurückgestellt hatte.

In der Situation des völligen Zusammenbruchs schlug dann nach dem 8. Mai 1945 die Stunde der Kirchen. Insbesondere die westlichen Alliierten brachten den Kirchen aufgrund ihrer Opposition gegen die Gleichschaltung durch den Nationalsozialismus großen Respekt entgegen und akzeptierten kirchliche Vertreter als Gesprächspartner beim Neuaufbau von Staat und Gesellschaft. Auch in der amerikanischen Besatzungszone galt seit 1945 der Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie der Nichteinmischung in religiöse und kirchliche Angelegenheiten der Besiegten, was den Kirchen nach den Jahren der Unterdrückung lang ersehnte Freiheiten brachte. Tatsächlich übernahmen sowohl die evangelische wie auch die katholische Kirche Verwaltungsaufgaben und halfen, die materielle Not zu lindern.

Hieraus resultierte in der deutschen Öffentlichkeit ein enormes Ansehen, galten doch die Kirchen im allgemeinen Chaos als einer der letzten Garanten für Kontinuität und Ordnung. Zugleich bot die kirchliche Verkündigung der weltanschaulich desillusionierten Bevölkerung eine glaubwürdige Sinndeutung der eigenen Existenz und ein allgemein anerkanntes, aus der „abendländischen Tradition“ überliefertes System von Werten und Normen. Kirchliche Repräsentanten propagierten ihrerseits das Programm der „Rechristianisierung“. Gerade weil sie im Dritten Reich der Diktatur aufgrund ihres „Wächteramts“ widerstanden hatten, verfolgten die Kirchen in der Nachkriegszeit das Ziel einer christlichen Gesellschaftsordnung auch in kritischer Distanz zum demokratischen Staat. So schaltete sich in Hessen die katholische Kirche mit Nachdruck in die politische Debatte um die Verfassungsgebung ein, indem sie u.a. die christliche Bekenntnisschule forderte.

Die öffentliche Bedeutung der beiden Großkirchen befreite diese nicht von dem Zwang der „Selbstreinigung“. Diese beschränkte sich nicht allein auf die allgemein obligatorische Entnazifierung und der Entfernung führender Deutscher Christen aus ihren kirchlichen Leitungsämtern auf evangelischer Seite, sondern drehte sich im Kern um die „Schuldfrage“. Während der NS-Zeit hatten sich kirchliche Opposition und Protest primär gegen Übergriffe des Staates in die tradierten Rechte und Freiräume der Institution Kirche gerichtet. Gegen das Unrechtsregime hatten die Kirchen nicht laut genug das Wort erhoben; vor allem gegen die Verbrechen des Nationalsozialismus an rassischen und politischen Minderheiten war nur verhaltene Kritik erfolgt. Ohne die ermordeten Juden ausdrücklich zu erwähnen, rangen sich die Kirchen in einem Akt beispielloser Selbstkritik „Schulderklärungen“ ab. Mit ihrem Hirtenbrief zu den schmerzhaften Ereignissen im Dritten Reich schritt das deutsche Episkopat am 23. August 1945 voran. Im Oktober 1945 folgte dann die evangelische Kirche mit der in ihren eigenen Reihen umstrittenen „Stuttgarter Schulderklärung“ nach.

Während die katholische Kirche in Deutschland ihre traditionelle Kirchenverfassung über die „Stunde Null“ hinweg bewahren konnte, musste sich die evangelische Kirche organisatorisch neu ordnen. Ihre schon vor 1933 geforderte Zentralisierung war ein Resultat der NS-Gleichschaltung gewesen und wurde daher zunächst rückgängig gemacht. Die Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck blieb zwar über diese Umbruchszeit hinweg bestehen, doch die 1933 entstandene Evangelische Landeskirche Nassau-Hessen zerfiel wieder in ihre Bestandteile. Als deren Rechtsnachfolgerin bildete sich nun unter maßgeblichem Einfluss von Mitgliedern der Bekennenden Kirche die bis heute bestehende Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) mit Sitz in Darmstadt.


Lebensbild Martin Niemöller

Die kirchliche Neuordnung in Hessen war nicht allein sein Werk, doch knüpft sich die frühe Geschichte der EKHN untrennbar an die Person Martin Niemöllers.

Bis zum Ende der NS-Gewaltherrschaft stand Niemöllers Lebensweg in keiner engeren Beziehung zu Hessen. Martin Niemöller wurde am 14. Januar 1892 im westfälischen Lippstadt als Sohn des Pfarrers Heinrich Niemöller geboren. Der tiefe protestantische Glaube und die unerschütterliche deutsch-nationale Gesinnung des Elternhauses prägten auch Martin Niemöller. Unmittelbar nach seinem Abitur 1910 trat Niemöller in die kaiserliche Marine ein und stieg er im Ersten Weltkrieg zum U-Boot-Kommandanten auf. Aus Ablehnung gegenüber der neuen demokratischen Regierung von Weimar verließ er 1919 die Marine. Wohl weniger aus innerer Berufung, sondern eher aus einem Mangel an Alternativen nahm Niemöller daraufhin das Studium der Theologie in Münster auf und trat schließlich 1931 eine Stelle als Pfarrer in Berlin-Dahlem an.

Aus Glaubensüberzeugung ging der politisch eigentlich rechts stehende Niemöller seit 1933 in Opposition zum NS-Regime. Niemöller war einer der Mitbegründer und eines der aktivsten Mitglieder der Bekennenden Kirche, weshalb er seit 1937 bis Kriegsende als persönlicher Gefangener Hitlers in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Dachau verschleppt wurde.

Nach seiner Befreiung 1945 engagierte sich Niemöller wieder kirchenpolitisch. Noch im selben Jahr wurde er Mitglied des Rates der „Evangelischen Kirchen in Deutschland“ und zum Präsidenten des Kirchlichen Außenamtes gewählt, wodurch er schließlich an dessen Sitz nach Frankfurt kam. Niemöller schloss sich alsbald der nassau-hessischen Bekennenden Kirche an. Obgleich Niemöller erst zwei Jahre in Hessen ansässig war, wurde der weit über Deutschland hinaus bekannte und respektierte Geistliche bereits 1947 zum ersten Kirchenpräsidenten der EKHN gewählt und drei Jahre später in diesem hochrangigen Amt bestätigt.

Aus der Erfahrung des Dritten Reiches heraus wandelte sich Niemöller zu einem kompromisslosen Pazifisten. Wiederum aus seiner unerschütterlichen Glaubensüberzeugung setzte er sich in den 1950er Jahren gegen die Wiederbewaffnung zur Wehr. Noch bis kurz vor seinem Tod 1984 stritt Niemöller für Frieden und Abrüstung auf der Welt und war daher eine der weltweit geachteten Symbolfiguren der Friedensbewegung.
Die durch den Bombenangriff vom 23. Oktober 1943 zerstörte Brüderkirche in Kassel. Dieses Schicksal ereilte auch in Hessen zahllose Kirchen und kirchliche Amtsgebäude
Die durch den Bombenangriff vom 23. Oktober 1943 zerstörte Brüderkirche in Kassel. Dieses Schicksal ereilte auch in Hessen zahllose Kirchen und kirchliche Amtsgebäude
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Der Limburger Bischof Ferdinand Dirichs beim Pfingstritt 1948. Dirichs war seit Beginn der NS-Herrschaft ein entschiedener Gegner des Regimes. Nach seiner Ernennung zum Bischof 1947 war ihm nur eine kurze Amtszeit vergönnt, da er 1948 bei einem Autounfall
Der Limburger Bischof Ferdinand Dirichs beim Pfingstritt 1948. Dirichs war seit Beginn der NS-Herrschaft ein entschiedener Gegner des Regimes. Nach seiner Ernennung zum Bischof 1947 war ihm nur eine kurze Amtszeit vergönnt, da er 1948 bei einem Autounfall
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Der SPD-Politiker Ludwig Metzger setzte sich bereits vor 1933 für eine Annäherung von Sozialismus und Christentum ein. Während der NS-Zeit war Metzger Mitglied der Bekennenden Kirche. Nach 1945 war er eine der Gründerfiguren der EKHN; aufgrund seiner Init
Der SPD-Politiker Ludwig Metzger setzte sich bereits vor 1933 für eine Annäherung von Sozialismus und Christentum ein. Während der NS-Zeit war Metzger Mitglied der Bekennenden Kirche. Nach 1945 war er eine der Gründerfiguren der EKHN; aufgrund seiner Init
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Jugendbildnis von Martin Niemöller, um 1912
Jugendbildnis von Martin Niemöller, um 1912
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Martin Niemöller als Seeoffizier mit seiner Frau Else, 1918
Martin Niemöller als Seeoffizier mit seiner Frau Else, 1918
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Martin Niemöller als Mitglied der Bekennenden Kirche
Martin Niemöller als Mitglied der Bekennenden Kirche
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Martin Niemöller vor offener Kirchentür, 1962
Martin Niemöller vor offener Kirchentür, 1962
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Martin Niemöller als Redner auf einer Veranstaltung zur Abrüstung, 1976
Martin Niemöller als Redner auf einer Veranstaltung zur Abrüstung, 1976
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