
Digitale Präsentation herausgegeben von Reinhard Neebe unter Mitarbeit von Erdmuthe Terno
Einführung
Die virtuelle Präsentation von Dokumenten zur Geschichte des Strafvollzugs in Nordhessen beruht auf einer Ausstellung, die vom 11. Dezember 2002 bis 4. April 2003 im Hessischen Staatsarchiv Marburg besichtigt werden konnte. Ausschlaggebend für die Wahl des Themas war der Abschluss der archivfachlichen Erschließungsarbeiten an den Gefangenenpersonalakten der Zuchthäuser Kassel-Wehlheiden und Ziegenhain bis 1945 wie auch an den Verwaltungsakten aller nordhessischen Justizvollzugsanstalten. Die sozialgeschichtlich bedeutsamen Quellen aus verschiedenen Aktenbeständen vermitteln einen Eindruck von der Vielfalt und Dichte der einschlägigen Überlieferung im Marburger Staatsarchiv. Neben frühneuzeitlichen Drucksachen, Personalakten, Zuchthausplänen, Musterzeichnungen und anderem einschlägigen Schriftgut werden auch einige Leihgaben des Museums der Justizvollzugsanstalt Rockenberg gezeigt. Handfesseln, Ketten und ein Stranguliergerät zeugen vom rauen Alltag hinter Gittern.
Der zeitliche Rahmen der Präsentation erstreckt sich von der Zuchthausordnung, die Landgraf Karl v. Hessen-Kassel (1654-1730) am 1. September 1720 für das in der Residenzstadt neu errichtete Zuchthaus an der Fulda erließ, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. In acht sachthematischen Blöcken werden verschiedene Aspekte des Strafvollzugs epochenübergreifend beleuchtet. Themenschwerpunkte bilden die Einrichtung und Unterhaltung der Zuchthäuser im 18. Jahrhundert, das Anstaltspersonal, die Gebäude, die Haftbedingungen, Kleidung, Verpflegung, Körperpflege und medizinische Betreuung der Straftäter, Fürsorgemaßnahmen, Schulunterricht und Kulturpflege, die in den Strafanstalten eingerichteten Arbeitsbetriebe und – last not least – Gefangenenpersonalakten. Letztere enthalten nicht nur Urteile, Lebensläufe und Charakterbeschreibungen, sondern auch Gesuche und Eingaben sowie persönliche Briefe der Häftlinge und ihrer Angehörigen und vermitteln damit z.T. sehr anrührende und erschütternde Einblicke in persönliche Schicksale.
Schon in grauer Vorzeit gab es Gefängnisse in befestigten Herrschaftssitzen und Stadttürmen, und noch immer zählen Kerker und Folterkammern zu den „Vorzeigestücken“ jeder mittelalterlichen Burganlage. Als zugleich abschreckende und Neugier erregende Instrumente der herrschaftlichen Strafgewalt haben Gefängnisse zu allen Zeiten eine starke Anziehungskraft auf die Zeitgenossen ausgeübt. Zuchthäuser und Strafanstalten, wie wir sie heute kennen, entstanden im Zuge der allmählichen Verdichtung der Staatstätigkeit im Verlauf der frühen Neuzeit. Absolutistisches Wollen und herrschaftlicher Zugriff erreichten im 18. Jahrhundert insofern einen Höhepunkt, als nunmehr in nahezu allen Territorien des Heiligen Römischen Reiches neuartige, verschiedenen Zwecken dienende Verwahranstalten (Strafanstalt, Irrenanstalt, Armen- und Waisenhaus) geschaffen wurden. Nachdem Strafrechtswissenschaft und territoriale Strafgesetzgebung die Haftstrafe in den Kanon der Kriminalsanktionen eingebaut hatten, mussten auch die entsprechenden organisatorischen Voraussetzungen für die Verhängung derartiger Strafen geschaffen werden.
Die weitere Entwicklung ist gekennzeichnet durch den auch in allen anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung zu beobachtenden Trend zur Bürokratisierung und Professionalisierung. In den Zuchthäusern führte dies zu einer zunehmenden Schriftlichkeit der Amtsführung, zur zahlenmäßigen Zunahme, strikten Hierarchisierung und Spezialisierung des Anstaltspersonals. Im Gefängnisbau entschied man sich zunehmend für die kostenintensivere Errichtung neuer, nach modernen Prinzipien gestalteter Zweckbauten, nachdem man zuvor häufig schon vorhandene, zur Disposition stehende Gebäude (Festungen, Schlösser, Klöster etc.) für Zwecke des Strafvollzugs umgewidmet hatte. Der Strafvollzug und die Haftbedingungen sind trotz gelegentlicher Rückschläge wie in der Zeit des Nationalsozialismus insgesamt durch eine zunehmende Humanisierung gekennzeichnet. Die Verpflegung, die ärztliche Versorgung und die hygienischen Verhältnisse verbesserten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts deutlich. Körperliche Züchtigungen und Eisenstrafen wurden als Mittel zur Disziplinierung abgeschafft. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts traten der Fürsorgeaspekt, der Erziehungs- und Besserungsgedanke zunehmend in den Vordergrund. All dies spiegelt sich in den hier wiedergegebenen Dokumenten, die vor allem Schüler und Studenten an das Thema heranführen und zu weiteren Forschungen anregen sollen.
Die Ausstellungsobjekte sind Leihgaben aus dem Museum der Justizvollzugsanstalt Rockenberg (Foto R. Neebe)

Transskription:
Specification derer Züchtlinge, von welchen gegenwärtig die Zuchthausschulden nicht allein gehäuft, sondern auch nebst andern Impedimentis, daß sich das Zuchthaus nicht selbst unterhalten kann im Wege stehen No. 1. Anna Maria Lohmännin ist seither a[nn]o 1722 vom H[errn] Oberschultheißen condemniret, dem Zuchthaus zur schweren Last und Unkosten gesessen und hat die meiste Zeit wenig oder gar nichts verdient. [Bemerkung:] Die kann nicht erlassen werden, indem sie in p[unct]o [unleserlich] fustigiret, in puncto [unleserlich], da ihr die [unleserlich] abgehalden, hiernach wegen vielfaltigen Diebstahls auf Seiner Hochfürstl[ichen] [folgt gestrichen: Regierung] D[urc]hl[auch]t gnädigsten Befehl zum Z[ucht]haus gnedigst condemniret. 2. Wilhelm Nagel ist gleichfalls a[nn]o 1726 ins Zuchthaus ad instantiam Bürgerm[ei]st[e]r und Rath zu Rinteln condemnirt worden, ist ebenfalls die gantze Zeit zur Arbeit untüchtig gewesen, befindet sich de praesenti krumm und lahm. [Bemerkung:] Wann dieser so elend und gebrechl[ich], daß keine Hoffnung für Wiedergenesung zu haben, so konnte man solchen wohl erlassen, doch stelle es in der H[erren] Concommissariorum Belieben. 3. Anna Barbara Buschleppin ist a[nn]o 1726 von d[em] H[errn] Oberschultheißen ins Zuchthaus gesandt und ebenfalls die meiste Zeit zur Arbeit untüchtig gewesen, liegt bis dato schwerlich krank. [Bemerkung:] Sofern das Delictum zu enorm und die Zuchtlingin dem Z[ucht]hause eher schaden als nützlich, so stunde dieselbe, wenn die übrige H[erren] Concommissariis dem consentiren, zu erlassen. 4. Martin Otte ist wegen seines starken Gebrechens am Rücken und Epilepsie die meiste Zeit zur Arbeit incapabel gewesen. [Bemerkung:] Dem fürstl[ich] gnedigsten Reglement nach stehet die Zuchtlingen [unleserlich] eine Epileptica länger im Zuchthause zu erhalten. 5. Adam Henrich Horstmann ist seither a[nn]o 1728 dem Zuchthaus wegen seiner zur Arbeit incapablen Leibsconstitution zur schweren Last gewesen. Von Fürstl[icher] General-Kriegs-Commission wegen eines dem Pfarrer zu Kirchdittmar verübten geringen Gartendiebstahls condemnirt worden, verspricht vor die übrige Zeit 8 R[eichs]th[ale]r ins Zuchthaus zu bezahlen. [Bemerkung:] Dieser Horstmann, so ein Soldat, ist ein famoser Gartendieb; ist durch S[ei]n[e] Durchl[aucht] Prince Wilhelm special gnädigsten Befehl zum Zuchthaus gegeben worden und stehet nicht zu erlassen. [Bemerkung von anderer Hand:] Ich confirmire mich mit d[em] H[errn] Rath Thaurer und muß die [folgt Streichung] Strafe mit Geldt nicht abgekauft werden, sonst konnte ein Dieb allemahl mit Geldt sich loshelfen und hernach desto mehr zu stehlen Anlaß bekommen. 6. Catharina Elisabeth Germerodin ist wegen Hurerey von Fürstl[ichem] Consistorio a[nn]o 1728 condemnirt worden, hat wegen ihrer ins Zuchthaus mitgebrachten Kinder wenig verdienen können; ist gegenwärtig an Beinen dick geschwollen. [Bemerkung:] Diese stehet bis noch nicht zu erlassen. 7. Martha Elisabeth Stoltzebachin ist wegen Hurerey von Fürstl[ichem] Consistorio 1729 condemnirt, ist gantz contract und zur Arbeit incapabel. 8. Margaretha Hochappelin ist a[nn]o 1729 von d[em] H[errn] Oberschultheißen ins Zuchthaus wegen einer gestohlenen Gans gesand, ist aber gantz contract und die geringste Arbeit von ihr nicht zu praetendiren. [Bemerkung:] Diese Weibsperson ist eine Ertzprostibulin, deswegen sie sey zum drittenmahl im Zuchthaus, auch bereits zu Eschwege wegen Diebstahls fustigirt. [Bemerkung von anderer Hand:] Solches attestire ebenfalls, und daß dieselbe nimmermehr das Stehlen lasset und zum offtern im Zuchthause gewesen. [folgt Paraphe] 9. Amarentia Schmittauin ist gleich obiger von d[em] H[errn] Oberschultheißen condemnirt aber eiusdem farinae und dem Zuchthause zum Ruin. 10. George Wengefeld ist a[nn]o 1729 zum Zuchthaus wegen Salpetergraberey condemnirt und zur Arbeit alters und blöden Gesichts wegen incapabel und dem Zuchthaus zum Ruin. Verspricht vor die ubrige Zeit 4 R[eichs]th[a]l[e]r [Bemerkung:] Ist als ein Falsarii, und welcher auf falsche Salpeter Patenta Salpeter graben wollen, und die armen Unterthanen gar sehr betrogen; und selbigen über 40 Gulden Geld abgenommen, und solches noch nicht restituiret, ist ebenfalls auf S[eine]r Durch[laucht] Prince Wilh[elm] gnädigsten Befehl ins Zuchthaus gegeben worden. Stehet also noch nicht zu entlassen. [Bemerkung von anderer Hand:] Weilen dieser Mann den Insultens lange ganz gebusset, so glaubt, daß er gegen Jahrgeldt in 4 Wochen zu erlassen. 11. Anna Maria Landsbachin ist a[nn]o 1729 wegen Verführung einiger Soldaten ins Zuchthaus condemnirt und wegen ihres bey sich habenden kleinen Kindes und stetter Bettlägerigkeit zur Arbeit gantz incapabel und dem Zuchthaus zum größten Ruin. [Bemerkung:] Diese Landsbach, so verschiedene Leuthe zur desertia verleitet und denen [unleserlich] zugeführet, ist ohne special gnädigsten Befehl S[eine]r Duchl[aucht] Prince Wilhelm, als welche das Urthel confisziret, nicht zu erlassen. [Bemerkung von anderer Hand:] Conformiret mich. 12. Johann Jost Hassellach ist a[nn]o 1729 von Fürstl[icher] Regie[rung] in p[unc]to falsi condemniret, offeriret vor die noch zu sitzen habende 2 Monath 4 R[eichs]th[a]l[e]r ans Zuchthaus zu bezahlen. [Bemerkung:] Dieser muß seine gesetzte Zeit, weilen das delictum gegen Seine H[och]f[ürstlichen] D[urc]hl[auch]t hohe Persohn geschehen, ausstehen. 13. Anna Christina Weisbrodtin ist a[nn]o 1729 von d[em] H[errn] Oberschultheiß wegen gekauften Diebstahls ins Zuchthaus condemnirt; ist zur Arbeit untüchtig und offeriret vor die übrige Zeit 8 R[eichs]th[a]l[e]r ans Zuchthaus zu zahlen. [Bemerkung:] Wenn diese sufficiente caution geleistet, nach ihrer reconvalescence sich wieder zu stellen, so stunde dieselbe inzwischen zu erlassen. 14. Elisabeth Schwartzin [Name gestrichen] 15. Elias Bötter 16. Ricus Lohmann 17. Elisabeth Hahnin [Name gestrichen] 18. Martin Jäger Diese 5 sind a[nn]o 1729 von d[em] H[errn] Oberschultheißen übersandt und zur Arbeit theils wegen Epilepsi und andern Gebrechen gäntzlich zur Arbeit incapabel und dem Zuchthaus zur größten Last. [Bemerkung:] Wie lange sie Epileptici seyn und was ein jedweder Gebrechen und wie lange er condemniret, muß zuforderst specifice gesezt werden. Cassel, d[en] 25t[en] Jan[uar] 1730 N[o]t[a]: Die oben sub N[umer]o 1 stehende Lohmännin hat jederzeit im Gewölbe alleine sitzen und neben der ordinairen Züchtlingskost mit appartem Holtz und Licht versehen werden müssen, welches gering angerechnet alle Wochen auf 2/3 R[eichs]th[a]l[e]r sich belauft, hat also diese eintzige Lohmannin in denen 8 Jahren jedes Jahr 34 2/3 R[eichs]th[a]l[e]r zusammen dem Zuchthaus bis dato Schaden gethan. In fidem R.H. Osterwald h[oc] t[itulo] Cassirer Breitenstein |

Transskription:
Instruction für den Stockmeister zu Ziegenhain (1803) Der Stockmeister bekommt unter seine Direction und Aufsicht über die beyden Stockknechte, die Stockhäuser und die zwey Classen der in Eisen sitzenden Delinquenten und hat folgendes zu beobachten: 1.) Daß das Stockhaus überall und in demselben die Behältnisse derer in den Eisen sitzenden Gefangenen reinlich gehalten und so oft es nöthig, von denen Gefangenen im Beysein der Stockknechte gekehrt werde, auch daß die Gefangenen sich selbst reinigen und weder sich noch andere mit dem Ungeziffer überhäufen. Zu dem Ende der Stockmeister jedem Gefangenen wöchentlich ein gewaschenes Hemd darreichen und dahin sehen soll, daß es angezogen werde. 2.) Sollen die in Eisen sitzenden Gefangenen beyder Classen in ihren Behältnissen sich still und ruhig halten und keinen Lärm oder Zänkerey und Schlägerey untereinander anfangen. Würden die Stockknechte, so hierauf acht haben sollen, dergleichen vermerken und sie selbst den Tumult sofort nicht stillen und dämpfen können, so sollen sie es ohnverzüglich ihm, dem Stockmeister, anzeigen, welcher durch die Stockknechte die Urheber und Verbrecher tüchtig peitschen zu lassen, oder, wofern die That von einiger Wichtigkeit ist, solche sonder Zeitverlust gehörigen Orts zu fernerer Verordnung anzuzeigen hat. 3.) Keine fremde Mann- oder Weibsperson, unter was Praetext es auch sey, soll zu denen in den Eisen sitzenden Delinquenten beyder Classen in die Behältnisse gelassen werden, es geschehe dann auf anderweitige Ordre. 4.) Soll dem Stockmeister das Verpflegungsreglement zugestellet werden, nach dessen Inhalt denen Gefangenen das Verordnete gehörig gereicht werden muß, insonderheit hat derselbe dahin zu sehen, daß das Brod jeden Brodtag richtig ausgetheilet und keinem Delinquenten vergönnet werde, von seiner Portion etwas zu verkaufen oder zu veräußern, damit er in der Folge nicht darben müsse und zu der Arbeit untüchtig gemacht werde; desgleichen hat der Stockmeister das Biergeld, so nach dem Reglement statt des bisherigen Getränks gegeben und ihnen zur Distribution wöchentlich eingereichet werden soll, richtig zu vertheilen und dahin zu sehen, daß auch solches die Gefangenen zum Getränke und nicht zu andern liederlichen Händeln gebrauchen, damit sie bey Kräften und zur Arbeit tüchtig bleiben. 5.) Hat der Stockmeister die in Eisen sitzenden Gefangenen anzuhalten, daß sie ihre Kleidung überhaupt und vornehmlich die Schue aus Mangel des Putzens und Schmierens nicht muthwillig verderben und zu Grunde gehen lassen, auch daß die Schue in Zeiten und so bald es nöthig, versohlet und mit Schu-Nägel gehörig beschlagen werden. 6.) Hat der Stockmeister dahin zu sehen, daß die Delinquenten der ersten Classe, wenn sie in ihren Behältnissen an die Arbeit gestellet werden sollen, zu gehöriger Zeit gewecket, an das aufgegebene Tagewerck gestellet werden, zu Mittage hat derselbe nachzusehen, wie weit die Arbeit avancirte und dem Befinden nach die Säumige zu mehrerem Fleiß, auch wenn es nöthig durch die Schärfe anstrengen zu lassen, wofern sich aber ein oder der andere an die Peitsche nicht kehren oder wohl gar an dem Stockmeister oder Stockknechte sich vergreifen sollte, so ist sofort das Verbrechen zu weiterer Verordnung gehörigen Orts anzuzeigen und die in der Nähe befindliche Wacht zur Assistence herbey zu rufen. 7.) Wie viel Stunden des Tages sowohl zu Sommers- als Winterszeiten die Gefangenen zu arbeiten haben, und welche Stunden denenselben zum Essen und zur Ruhe zu lassen, ist zwar in dem Reglement zu ersehen, wird aber zu besserer Nachricht des Stockmeisters hier wiederholt. Als von Ostern bis Michaelitag sollen die Gefangenen beyder Classen früh morgens fünf Uhr an bis abends 6 Uhr, von Michaelitag aber bis wieder zu Ostern von anbrechendem Tage bis zur Dämmerung alltäglich außer Sonn-, Fest- und Bättagen ihre angewiesene Arbeit verrichten und bey Sommerstagen 2 Stunden, des Herbst und Winters aber nur 1 Stunde zum Essen und zur Ruhe denenselben frey gelassen werden, worauf sich der Stockmeister mit der Aus- und Wiedereinführung der Gefangenen zu richten hat. 8.) Wenn die erste oder zweite oder beyde Classen zugleich zur Arbeit ausgeführt werden, so hat der Stockmeister zuvorderst jede Classe a parte vor dem respectiven Behältnisse in Ordnung zu stellen und zu examiniren, ob die Beineisen noch unbeschädigt seyn, und wenn er alles richtig befunden, so hat er jeder Classe einen Stockknecht zu geben und sodann dem Commando von der Garnison zum Begleiten jedoch also zu überliefern, daß die Gefangenen insonderheit der zweiten Classe zu der Stunde auf Arbeit seyn, wann die Wall- und Handwerksmeister, welchen sie zum Handlangen beygegeben werden, auf derselben ordinaire sich einfinden, damit die Arbeit durch die Verzögerung der Gefangenen nicht gehindert werde, wie denn frühmorgens zur rechten Zeit ein Ingenieur, Bauaufsichter oder ein Wallmeister bey der Arbeit sich einfinden und anweisen wird, was ein jeder zu verrichten haben soll, der Stockknecht aber hat dahin zu sehen, daß es gehörig geschehe. 9.) Wann die in Eisen sitzende Gefangenen aus dem Stockhause abgeführet werden, so hat der Stockmeister die Behältnisse zu visitiren, ob in denenselben etwas zum Ausbruch veranstaltet, oder wohl gar verdeckterweise der Anfang dazu gemacht worden; nachdem hat er dem Stockknecht, so in dem Stockhause bleibet, das erforderliche anzubefehlen und sodann sich selbst ohnverzüglich auf die Arbeit zu verfügen, und wenn beyde Classen angestellt seyn, von einer zu der andern zu gehen und wahrzunehmen, ob die Gefangenen der ersten Classe das aufgegebene Tagewerck zu vollbringen sich bemühen, und ob die Gefangenen der zweiten Classe mit gehörigem Fleiß ihre Arbeit verrichten, oder ob die Wall- und Handwercksmeister über ihren Unfleiß oder über den Stockknecht, daß er in Abwesenheit des Stockmeisters die Gefangenen nicht hinlänglich angetrieben, sich zu beschweren haben. Sollte der Stockknecht säumig gewesen seyn, so hat der Stockmeister gehörigen Orts anzuzeigen, damit derselbe davon angesehen werde; die faule und halsstarrige Gefangenen aber sowohl der ersten als zweiten Classe hat derselbe in seiner Gegenwart durch die Stockknechte und deren bey sich habende Carbatsche zu mehrerem Fleiße antreiben zu lassen. Würde aber ein Gefangener hieran sich nicht kehren oder wohl gar gegen ihn, den Stockmeister oder Stockknecht, sich zur Wehr stellen, so soll die Gefangenenwacht hierunter assistiren und das Verbrechen so bald zu weiterer Bestrafung angezeiget werden. Uebrigens hat der Stockmeister und in dessen Abwesenheit der Stockknecht zu sorgen, daß die Wasser-Gefäße, welche er angeschaffet und durch die Gefangenen ledig auf die Arbeit gebracht werden, sollen mit frischem und reinem Wasser zu Löschung des Durstes so oft es nöthig angefüllet werden und hieran kein Mangel erscheine. 10.) Soll weder Stockmeister noch in seiner Abwesenheit die Stockknechte leiden, daß die in Eisen sitzende Gefangene, so wenig der ersten als zweiten Classe weder auf der Straße noch auf der Arbeit die Passanten mit Betteln anfallen; derjenige, so ohngeachtet des Verbots sich dessen unterstehet, soll in Gegenwart des Stockmeisters durch die Charbatsche sogleich auf der Arbeit abgestraft werden. Sollte aber der Stockmeister erfahren, daß in seiner Abwesenheit die Stockknechte denen Gefangenen conniviret und das Betteln verstattet, so soll derselbe es gehörigen Orts anzeigen, damit solche davor abgestraft werden mögen. 11.) Wenn abends die Arbeit geendiget wird, so soll der Stockmeister oder, wann selbiger nicht zugegen, die Stockknechte die Gefangenen vor der Abführung nachzählen, ob sie alle vorhanden, sodann nach dem Stockhause führen, bis dahin sie von dem Commando begleitet werden; bevor aber die Gefangenen in ihre Behältnisse wieder eingelassen werden, so soll der Stockmeister in seiner Gegenwart genau visitiren und nachsehen lassen, ob die Beineisen noch unversehrt, und ob die Gefangenen zum Ausbruch beförderliche Instrumente in der Kleidung versteckt bey sich führen. Würde er bey einem oder dem andern etwas verdächtiges finden, so ist davon zugleich behörige Anzeige zu thun. 12.) Hat der Stockmeister zu sorgen, daß die Gefangenen abends zu gehöriger Zeit, nachdem ihnen das Abendgebät vorgelesen worden, sich schlafen legen und die Stockknechte alsdann die Lichter zu Winterszeit auslöschen und die Behältnisse gehörig beschließen; derjenige Gefangene, so nachher sich nicht ruhig halten und muthwilligen Lerm erheben wird, soll durch die Carbatsche zu mehrerer Ruhe angewiesen oder auf beschehene Anzeige nach Verdienst härter castigiret werden. 13.) Wann ein Gefangener mit Kranckheit überfallen wird, so soll der Stockmeister solches dem Garnisons-Chirurgo ohnverzüglich melden, damit der Kranckheit in Zeiten vorgebeuget, auch der Krancke nach dem Reglement nothdürftig versorget werde. 14.) Er muß die Stockhäuser zuweilen unverhofft visitiren und besonders auch darauf sehen, daß sich in Behältern nichts von Schreibmaterialien vorfinde, denn es sollen dergleichen durchaus nicht geduldet werden, und ihm kommt es zur Last, wenn sich ergeben sollte, daß ein oder der andere heimlich geschrieben haben sollte. 15.) Alle Briefe, welche an die Gefangenen einlaufen, müssen dem Stockmeister zuvor eingehändigt, von dem Plaz-Major oder dem Auditeur zuvor erbrochen und erst dann denen Gefangenen zugestellt werden, damit alle und jede gefährliche oder heimliche Correspondenz vermieden werde. 16.) Ebenso dürfen Gefangene keine Briefe zu machen und abgehen lassen, ohne daß sie zuvor von der Behörde gelesen sind. Wie dann dergleichen Schreibereyen nur in Gegenwart des Stockmeisters oder eines Stockknechts geschehen dürfen. 17.) Kein Gefangener darf ins Posthaus gehen, er habe dann einen Stockknecht zur Aufsicht bey sich. 18.) Kein Gefangener darf ohne Erlaubnis und ohne gehörige Aufsicht in die Bürgerhäuser gehen, und wenn er dieses gewahr wird, soll der Stockmeister ihn deshalb examiniren, wer ihm die Erlaubnis gegeben habe. 19.) Alle Paquette, die denen Gefangenen von ihren Verwandten oder Freunden geschickt oder gebracht werden, sollen dem Stockmeister absolut erst eingehändigt, von diesem genau visitiret und dann erst an die Gefangenen abgegeben werden; auf der Arbeit dürfen dergleichen Paquette gar nicht angenommen werden. 20.) Die Gefangenen dürfen unterweges oder auf der Arbeit so wenig etwas kaufen oder verkaufen, wozu sie nicht zuvor Erlaubnis haben, und dann muß es immer in Gegenwart eines Stockknechts geschehen. 21.) Kein Fremder darf mit denen Gefangenen auf der Arbeit sprechen; es wird überhaupt jedermann bescheiden zurückgewiesen. 22.) Die hiesigen Juden, deren Weiber, Knechte und Kinder dürfen durchaus weder in die Casernen noch in die Stockhäuser unter keinerley Vorwand gelassen werden, sie dürfen auch nichts zum Verkauf hinein bringen. Eben dies gilt auch von jeden andern Leuten. 23.) Er muß jeden Morgen eine Liste an den Platz-Major einhändigen, aus der die Vertheilung der zur Arbeit abgeführten Gefangenen und die Art ihrer Arbeit nebst den Arbeitsplätzen ersichtlich ist. 24.) Die Wachtmäntel und Gewähre von der Gefangenenwacht sind unter seiner speciellen Aufsicht; er liefert sie morgens an die Wacht ab und nimmt sie mittags und abends wieder zur Aufbewahrung in Empfang, wenn er sie zuvor nachgesehen hat, daß daran muthwilligerweise nichts verdorben worden. 25.) S[ei]n[e]r Excellenz d[em] H[errn] Generallieutenant und Gouverneur und dem Plaz-Major muß er täglich rapportiren, ob etwas neues in den Stockhäusern vorgefallen sey oder nicht. 26.) Endlich und leztens, würde der Stockmeister alles dasjenige, was ihm allhier vorgeschrieben worden, mit gehöriger Treue und schuldiger Sorgfalt nicht beobachten oder sonsten Nachlässigkeit oder Unterschleife und Eigennutzens beschuldigt und überführt werden, so soll er hart davor angesehen und dem Befinden nach cassirt werden; dahingegen hat derselbe und dessen Stockknechte alles das zu genießen, was S[ei]ne Kurfürstliche Durchlaucht an Besoldung und Emolumenten, wie solche in den Stockhaus-Rechnungen verrechnet werden, seinen Vorgängern bisher gnädigst verwilligt und bestimmt haben. Ziegenhain, den 16. November 1803 K[ur]f[ürst]l[ich] H[e]ss[isches] Garnisons-Kriegsgericht hierselbst v. Schenck zu Schweinsberg Generallieutenant und Gouverneur [Siegel]
Transskription:
Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse, welche bei dem anzustellenden Individuum vorhanden sein müssen: a) Inspektor Der Inspektor oder der erste Beamte einer Strafanstalt soll ein gebildeter Mann von gesezten Jahren, unbescholtenen Rufs, moralisch sittlichen aber auch ruhigem festen Charakters seyn und die nötige Menschenkenntnis besitzen; er soll im Schreiben und Rechnen erfahren und geübt seyn und wenn ihm die Handhabung der Polizei übertragen wird, Strenge mit Milde zu verbinden wissen und stets mit der größten Unpartheilichkeit handeln, und da ihm in der Regel die Anschaffung aller Bedürfnisse der Anstalt obliegt [gestrichen: welche bei der Anstalt nötig sind], so soll er von den dazu erforderlichen Materialien oder Viktualien Kenntnisse besitzen; [gestrichen: oder sie sich zu erwerben suchen]; auch soll er die Gabe haben, sich das Zutrauen des Sträflings zu erwerben. Verbindet das als Inspektor anzustellende Individuum mit diesen Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnissen Liebe zum Geschäft und ist ihm daran gelegen, daß sich der Sträfling unter seiner Verwaltung bessere, dann wird er allen und jeden Verpflichtungen [gestrichen: können] entsprechen können, [gestrichen: die] welche er übernommen hat; und die mit seiner Stellung verbunden sind. Angabe der Gründe der aufgestellten Erfordernisse: Der Inspektor oder erste Beamte einer Strafanstalt soll darum ein gebildeter Mann von gesezten Jahren, moralisch sittlichen Charakters und unbescholtenen Rufs seyn, damit sein Beyspiel, seine Warnungen und Ermahnungen den Sträfling auf sein bisher geführtes unordentliches Leben aufmerksam machen, ihn lehren und einsehen lernen, daß nur ein moralisch sittlicher arbeitssamer und nüchterner Lebenswandel zum Heile führt, ein mäßiges Einkommen erlangen läßt und zu bescheidenen Glücksumständen führen könne; und er soll oft Gelegenheit nehmen, dem Sträfling zuzurufen: Ehre Vater und Mutter, bete und arbeite, damit es dir wohlgehe auf Erden. Er soll Menschenkenntnis und die Gabe besitzen, sich das Zutrauen des Sträflings zu erwerben, damit er denselben nach seinen Eigenthümlichkeiten, seiner Denkungsart und der Art und Weise seiner Vergehungen zu schätzen, zu belehren und zurecht zu weisen verstehe und dadurch auf die Besserung desselben zu wirken imstande ist. [...] Art und Weise der bisherigen Ermittelung der Requisete: Bei den bei dem hiesigen Zwangsarbeitshause und dem weiblichen Zuchthause angestellten Beamten ist bei ihrer Anstellung ein besonderes Examen nicht vorhergegangen. Die Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse, welche der dermalige Inspektor des Zwangsarbeitshauses Casselmann über Strafanstalten besizt, hat er sich durch einen vierjährigen Aufenthalt in der Preußischen Arbeitsanstalt zu Brauweiler erworben, und sie seit seiner 17jährigen Anstellung bei der hiesigen Zwangsanstalt mehr und mehr zu erweitern gesucht.


Auszug aus dem Protokolle Kurfürstl. Polizei-Direktion der Provinz Fulda Fulda, am 24ten Mai 1836 Bericht der Verwaltung des Straf- und Besserungshauses dahier vom 16. d. M. ordnungswidrige Strafvollziehung des Polizeiraths Bücking an den Sträflingen betr.[effend] Beschluß: In Hinsicht der zu vollziehenden körperlichen Strafen wird andurch festgesetzt: 1. Soll keine körperliche Strafe, ohne daß der Arzt zuvor gehört worden, und dieselbe als vollziehbar erklärt, vollzogen werden. Es versteht sich von selbst, daß dem Arzte die Art der Strafe genau angegeben werden muß und ist, wenn dieses bis itzt nicht geschehen, zu mißbilligen. 2. Der gewöhnliche Willkomm und Abschied wird wie seither auf höchstens 15 Stockschläge festgesetzt, wenn nicht das Urtheil eine andere Bestimmung enthalten sollte, übrigens ist auch bei der gewöhnlichen Strafe der Arzt zu hören. 3. Rücksichtlich der Zeit der Vollziehung ist die Verwaltung jedesmal davon zu benachrichtigen in Beziehung auf die Beschlüsse vom 30. v. M. und 11. d. M., damit dergleichen Beschwerden künftig vermieden werden. 4. Nachricht dem Polizei-Inspektor H[errn] Polizeirath Bücking und der Verwaltung des Straf- und Besserungshauses so wie dem Arzte.
Protokoll betreffend die Entweichung des Eisensträflings Johannes Friedrich aus Metzebach von der öffentlichen Arbeit. Marburg am 4ten Juny 1857 Morgens 9 ½ Uhr Erschien der mit dem Dienste eines Aufsehers beauftragte, ehemalige Hospitalswärter Weber, im Geschäftszimmer der Inspection und zeigte an,, daß der Sträfling Johannes Friedrich aus Metzebach, welchen er neben 3 weiteren Sträflingen zum Ausbaues des Fahrweges nach der Thierwiese beaufsichtigt habe, so aber entsprungen sei und den Weg nach dem Dammelsberg hin, eingeschlagen habe, mit dem Bemerken, daß der Aufseher Peter, welcher mit dem Aufseher Wiegand 12 weitere Sträflinge beim Graben in der Thierwiese beaufsichtige, den g[enannten] Friedrich verfolge. – hierauf wurde zunächst der Bericht sub 1 an Kurfürstliche Unterstaatsprokuratur dahier erlassen resp[ektive] alsbald durch g[enannten] Weber abgeschickt
Bis zum letzten Atemzug geliebtes treues Weib und Kinder- Ich bin Euch in meiner Schande doch nur eine Last; Hoffnung auf Befreiung habe ich nicht! - Mein Körper und Geist siechte so allmälich, trotz allem gegentheiligen Schein, hin und nur einen elenden Kranken hättet Ihr nach Jahren zurückerhalten, wenn nicht ein langsames Sterben mich hingerafft - Ich befreie Euch von dieser Last - wenn Ihr dies erhaltet bin ich nicht mehr - Lebet wohl, - verzeiht mir und betet zu Gott, daß auch er mir verzeihen möge – Sollte mein Leichnam gefunden werden, so thut alles damit ich – beerdigt werde – Flucht mir nicht – Sage auch meinen Eltern dasselbe, ich kann nicht mehr. Lebt wohl verzeiht ! Verzeiht, Ihr werdet ohne mich doch glücklicher sein.
Hochgeehrter Herr Inspektor
Nicht ohne ein Lebewohl an Sie will ich von hier dieser Welt scheiden, Dank Ihnen für alle Humanität, Gott mags Ihnen vergelten, ich kann ich mag nicht mehr leben; Schon lange kämpfe ich mit dem Gedanken, ohne zur Ausführung kommen zu können, Alle Hoffnung auf Rettung schwindet, zur Flucht wenn sie möglich gewesen wäre, fehlten mir die Mittel, Alles ! – Wenn Sie daher diese Zeilen erhalten bin ich vor meinem ewigen Richter – Meinen Leichnam wird man schwerlich finden, sollte es aber sein, dann thun Sie das Ihrige dazu, daß ich, aus Rücksicht für die Meinigen beerdigt werde! – Die Letzte Bitte eines Sterbenden!! Erfüllen Sie dieselbe – Auch (die) meiner armen geliebten Frau lassen Sie gef.[älligst] den beiliegenden Zettel auf schonende Art zustellen. – Dem sämtlichen Dienstpersonal, welche alle es gut und theilnehmend mit mir gemeint sagen Sie meinen herzlichsten Dank für alle Schonung und ein herzliches Lebewohl! Versagen Sie alle meinem traurigen Schicksale eine Thräne des Mitleids nicht. –

Der Maire



J. wurde 1935 als Jüdin zwangsweise in den Ruhestand versetzt, 1942 vom Sondergericht Kassel wegen Rundfunkverbrechens zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt und im Frauenzuchthaus Ziegenhain inhaftiert. Im selben Jahr wurde sie nach Theresienstadt deportiert.