
LUTHER und EUROPA. Wege der Reformation und der fürstliche Reformator Philipp von Hessen
Tafelausstellung des Hessischen Staatsarchivs Marburg, kuratiert von Justa Carrasco und Reinhard Neebe
Thematische Einführung in die Ausstellung
Die Reformation ist ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung - und was von ihr ausging ein Ereignis nicht nur von nationaler, sondern von europäischer, ja weltweiter Relevanz. So heißt es einleitend in den "Perspektiven für das Reformationsjubiläum 2017" des Wissenschaftlichen Beirats der EKD. In bemerkenswerten Kontrast dazu steht, dass der Fokus der Luther-Dekade bislang vor allem auf Wittenberg und den engeren Lebens- und Erfahrungshorizont des Reformators gerichtet wurde, während die vielgestaltige reformatorische Bewegung in ganz Europa noch kaum in den Blick genommen worden ist.
Die vorliegende Ausstellung Luther und Europa versucht, die Perspektive zu erweitern und nach den europäischen Dimensionen der Reformation und ihrer Hauptakteure zu fragen. Es geht ihr zunächst um den historischen Ausgangspunkt der Reformation, ihre Auswirkungen auf die Menschen und ihren Glauben, die reformatorischen Bekenntnisse und ihre weitere Entwicklung im politisch-historischen Rahmen. Mit Blick auf die "Anderen" wird die Frage gestellt, inwieweit die von Luther postulierte Freiheit eines Christenmenschen mit dem, was wir heute unter Glaubens- und Gewissensfreiheit verstehen, in Zusammenhang zu bringen ist.
Aus europäischer Sicht zeigt sich, dass neben Wittenberg auch andere Reformationszentren von Bedeutung sind, ohne die die Ausbreitung des neuen Glaubens in Europa und darüber hinaus nicht denkbar gewesen wäre: Diese Zentren sind insbesondere Zürich und Genf mit den Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin.
Vor dem Hintergrund der in unterschiedliche Glaubensrichtungen "gespaltenen Reformation" rückt zugleich als weiteres Kernland der Reformation die Landgrafschaft Hessen in den Fokus: Der fürstliche Reformator Landgraf Philipp von Hessen führt nicht nur als einer der ersten den neuen evangelischen Glauben in seinem Lande ein, sondern agiert - weit über das Marburger Religionsgespräch von 1529 hinaus - als europäischer Mittler und zentraler "European Player" im Reformationszeitalter. Außenpolitisch handelt der hessische Landgraf im Netzwerk seiner Korrespondenzen und Begegnungen mit den wichtigsten europäischen Herrschern und den führenden Reformatoren seiner Zeit. Wie kein anderer versucht Philipp von Hessen, die Spaltung der europäischen Reformationsbewegung zu überwinden und ihre Verbreitung in ganz Europa zu unterstützen. Manche seiner europäischen Visionen bleiben freilich Utopie.
In einem weiteren zentralen Ausstellungsteil wird danach gefragt, wie und unter welchen Bedingungen sich Reformation in den verschiedenen Regionen Europas ausgebreitet hat - wo sie Erfolg hatte oder auch letztlich gescheitert ist. Einzelne Thementafeln zu den unterschiedlichen Entwicklungen in Nordost- und Südosteuropa, England, Schottland und Skandinavien, Frankreich, Spanien und den Niederlanden sollen zu einem Vergleich und der Frage nach den jeweiligen Ursachen anregen.
Am Schluss der Ausstellung steht ein Ausblick auf den Augsburger Religionsfrieden und das Konfessionelle Zeitalter: Mit Augsburg 1555 endet das Reformationszeitalter in Deutschland. Die Koexistenz von zwei Konfessionen ist damit anerkannt, aber das Ziel der konfessionellen Toleranz noch nicht erreicht.
Didaktisches Konzept der erweiterten Online-Version bei DigAM
Die vorliegende Online-Version der Ausstellung "Luther und Europa" präsentiert die Kerninhalte der Tafeln sowie weiterführende Texte und Materialien des Begleitbuches (s.u.) - stellt darüber hinaus aber umfängliche vertiefende Quellen und Dokumente bereit: Was auf den Tafeln und auch im Ausstellungskatalog nur kurz angerissen werden kann, wird in der Internetfassung bei DigAM ausführlich dokumentiert: Zahlreiche Schlüsseldokumente der Darstellung/Präsentation werden vollständig wiedergegeben - und wo möglich, sowohl als Originaldigitalisat als auch in transkribierter Form.
Dazu gehören z.B. die vollständige Abbildung des Protokolls des Marburger Religionsgesprächs 1529, die ungekürzte Wiedergabe der Juden- und Türkenschriften Martin Luthers oder auch seiner reformatorischen Hauptschriften. Dem thematischen Fokus der Ausstellung folgend, werden ferner wichtige Materialien zum Wirken des fürstlichen Reformators Landgraf Philipp von Hessen online präsentiert - und zugleich der gesamteuropäische Kontext der Reformationsgeschichte in zentralen, gleichwohl oft nach wie vor abgelegenen Quellen ausgeleuchtet.
Zahlreiche dieser Materialien, die in unmittelbarem Kontext mit den im Katalog oder auf den Tafeln angesprochenen Ereignissen stehen, werden in der vorliegenden DigAM-Ausstellung erstmals online zugänglich gemacht. Mit diesem Angebot eröffnet sich die Möglichkeit zur vertiefenden Erschließung der verschiedenen Themenkomplexe des Reformationsgeschehens - nicht zuletzt als Grundlage eigenständiger Urteilsbildung und Bewertung.
Für Schule und Unterricht bietet sich eine arbeitsteiligen Vorgehensweise sowohl in Einzel- als auch Gruppenarbeit an, die dem DigAM zugrunde liegenden wissenschaftspropädeutischen Ansatz folgt. Unterrichtsbegleitendes Material als vierte Säule - neben der Tafelausstellung, dem gedruckten Ausstellungskatalog sowie der vorliegenden Internetpräsentration bei DigAM - erschließt einen weiteren, explizit auf Schülerinnen und Schüler ausgerichteten didaktischen Zugang: Die Arbeitsblätter für Schule und Unterricht (s.u.) liegen als spezifisches Lernangebot für den Schulunterricht seit 2016/17 vor.
Begleitbuch zur Ausstellung
Justa Carrasco und Reinhard Neebe, Luther und Europa. Wege der Reformation und der fürstliche Reformator Philipp von Hessen. Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg Bd. 30, Marburg 2015 (Nachdruck 2016)
Arbeitsblätter
Justa Carrasco und Reinhard Neebe, Luther und Europa. Arbeitsblätter für Schule und Unterricht. Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg Bd. 33, Marburg 2016
Beide Publikationen sind über das Hessische Staatsarchiv Marburg oder auch im Buchhandel erhältlich


Tafel 1: Europa im 15. Jahrhundert
Das 15. Jahrhundert ist eine Zeit der existentiellen Verunsicherung im weltlichen wie auch religiösen Lebensgefühl. Die überkommene Ordnung der Welt scheint in Auflösung, Umbrüche und Katastrophenerfahrungen bestimmen das Bewusstsein der Menschen. Während die Osmanen mit der Eroberung von Konstantinopel (1453) das Ende des byzantinischen Christentums besiegeln und scheinbar unaufhaltsam nach Mitteleuropa vordringen, droht das christliche Europa in andauernden Kriegen und im Kampf der führenden Mächte um die Vorherrschaft zu zerfallen. Verheerende Pestepidemien und Hungernöte ängstigen die Bevölkerung - sie werden als verdiente Strafe Gottes interpretiert.
Missstände in der römischen Kirche und Machtkämpfe des Papsttums, die in eine Spaltung mit drei Päpsten münden und die als abendländisches Schisma (1378-1417) bekannt wird, rufen in ganz Europa Kritik hervor. Die Forderungen nach Reformen werden immer lauter. Manche Prediger nutzen die Stimmung, um das Ende der Welt zu prophezeien, das Jüngste Gericht wird zum Thema literarischer wie künstlerischer Werke. Die in der Offenbarung des Johannes geschilderten apokalyptischen Visionen des Weltuntergangs erfüllen viele Menschen mit tiefer Angst, da sie davon überzeugt sind, dass das Gericht Gottes unmittelbar bevorstünde. Der Tod wird zu einem wiederkehrenden Motiv – das sich durch das 14. und 15. Jahrhundert hindurch zieht. Der Tod wird häufig als einer der vier apokalyptischen Reiter, die Sense schwingend und Seuchen aussäend, dargestellt. So wird er auch zur Allegorie der Gleichheit, einerseits derjenigen der Menschen untereinander, und zwar unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem Stand, wie auch andrerseits derjenigen von Lebenden und Toten, wie es in den Darstellungen der “Totentänze” zu sehen ist.
Mit der Angst vor dem Jüngsten Gericht wächst die Bedeutung der Sünde und des Fegefeuers, das seit seiner Erfindung in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts als dritter Ort, als läuternde, jedoch zeitlich unbestimmte Vorstufe für das Himmelreich, mehr und mehr Gewicht bekommt. Die daraus entstehende Verängstigung und die Sehnsucht nach jenseitiger Sicherheit führen dazu, dass man sich wünscht, die Zeit im Fegefeuer verkürzen zu können. Es entsteht die Idee des diesseitigen Ablasses: Durch den Kauf von sog. Ablassbriefen wird ein kürzerer Aufenthalt im Fegefeuer versprochen. Der Handel mit der jenseitigen Erleichterung nimmt exzessive Formen an: Vor allem der Vatikan braucht Geld für die Prachtentfaltung eines verweltlichten Papsttums. Das geschäftliche Agieren der Amtskirche wird sowohl von Teilen des Klerus als auch von weltlicher Seite heftig kritisiert, denn es wird als Abweichung von der Lehre Jesu gesehen.
Der Lübecker Totentanz von Bernt Notke, 1463 (Talliner Kopiefragment)
Das Jüngste Gericht. Gemälde von Hans Memling, 1466-1473
Die Apokalyptischen Reiter, Holzschnitt von Albrecht Dürer, 1498
Luther als Endzeitprophet. Bewertung des Kirchenhistorikers Heiko A. Oberman, 2003
"Luther lebte nicht - wie Erasmus und Calvin - auf der Schwelle zur Moderne, sondern in der Endzeit (finis mundi): Er durchlebte die letzte Phase der Geschichte dieser Welt. Da ein scharfes Bewusstsein für die tickende Uhr heute nur noch in Randgruppen zu finden ist und mit den Argumenten historischer Gelehrsamkeit als jüdische Apokalyptik abgelehnt wird, haben Lutherforscher, um die Bedeutung ihres Helden zu sichern, diesen zentralen Brennpunkt seines Denkens und Handelns beiseite gedrängt. Da ihnen damit ein bedeutendes Element seiner authentischen Botschaft entging, ist es ihnen nicht gelungen, das Geheimnis der Wirkung Luthers zu lösen.
Das moderne Christentum, das mit großem Eifer die Ökumene verbreiten will, hat Himmel und Hölle dekonstruiert und sich damit noch weiter von Luther entfernt - von einem Menschen, der zwischen einem realen Gott und einem realen Teufel lebte. Jene, die Luthers Botschaft als Lektion für die Gegenwart verstehen, müssen einen gewaltigen Schritt zurück in die Vergangenheit machen, um seine wachsende Überzeugung, dass das Ende der Geschichte mit großer Schnelligkeit nahte, zu entdecken und in sich aufzunehmen. Empfinden die Gelehrten die Vorstellung des realen Teufels als Peinlichkeit, so begegnen sie Luthers Glauben, dass die Welt sich in ihrer Endphase befand (eine Überzeugung, die Luther mit Amos, Sacharja, Jesus, Petrus, Paulus und all jenen teilte, die die Zukunft eher in Monaten denn in Jahrhunderten maßen), mit vollkommenem Schweigen. In bester Absicht und zweifellos unbewusst haben selbst die hervorragendsten Lutherforscher seine apokaqlyptische Stimme zum Schweigen gebracht."
Heiko A. Oberman, Zwei Reformationen. Luther und Calvin - Alte und Neue Welt, Berlin 2003, S. 115-16

Tafel 2: Renaissance und Humanismus
Parallel zu den Entwicklungen beginnt Mitte des 14. Jahrhunderts in Italien eine intellektuell-kulturelle Bewegung, die unter dem Namen Renaissance – Wiedergeburt der Antike – bekannt geworden ist und die sich im 15. Jahrhundert in ganz Europa ausbreitet. Die Renaissance geht von einem neuen Menschenbild aus, in dem der tätige Mensch im Zentrum der Schöpfung steht. Daraus leitet sich ein neuer Begriff ab: der des Humanismus. Die Humanisten sprechen der Philologie und der Philosophie eine zentrale Rolle zu und versuchen, ihre neuen Konzepte mit den Lehren und Traditionen der Auslegung der Heiligen Schrift zu verbinden.
Mit dieser christlich geprägten Wiederbelebung der Antike gelingt die Durchsetzung eines positiven, offeneren Menschenbildes wie auch einer toleranteren Auffassung anderen Religionen gegenüber. Dies zeigt z.B. die Schrift De Pace Fidei von Nikolaus von Kues, in der jeder menschlichen Seele, egal welcher Religion sie angehöre, Anteil am göttlichen Sein zuerkannt wird. Auch Renaissancekünstler wie Raffael, Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer, Michelangelo u.a. setzen sich mit den Kunstwerken der Antike auseinander und rücken Mensch und Natur in den Mittelpunkt ihres Schaffens.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts kommt es in ganz Europa zu Reformtendenzen in der christlichen Welt. Die neuen Denkansätze orientieren sich am Humanismus, sprechen sich für eine Rückkehr zum Urtext der Bibel und für individuelle Spiritualität aus und werten so kirchliche Hierarchien, Heiligen- und Reliquienverehrung und bloße Ritualerfüllung ab.
Der bedeutendste Humanist ist Erasmus von Rotterdam (1466/69-1536). Als im Griechischen und Hebräischen bestens ausgebildeter Philologe legt er 1516 eine kritische Edition des Neuen Testaments vor und revidiert so die bis dahin gebräuchliche lateinische Fassung, die sog. Vulgata. Ebenso veröffentlicht er Werke verschiedener antiker Schriftsteller im Urtext. In Deutschland besitzt – ähnlich wie Erasmus – der Humanist und Hebräist Johannes Reuchlin (1455-1522) großen Einfluss.
Ein enger Freund von Erasmus ist der Engländer Thomas Morus (1478-1536), der 1516 sein Buch Utopia veröffentlicht. Die Utopia ist der humanistische Entwurf einer idealen Gesellschaft, die auf den Grundsätzen der Gleichheit und der religiösen Toleranz beruht.
Zwei Ereignisse prägen die Renaissance in entscheidender Weise: Die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (ab 1450) revolutioniert die herkömmlichen Methoden der Buchproduktion und löst eine Medienrevolution aus. So können die Erkenntnisse des Humanismus schnelle Verbreitung finden; die heftig geführten Auseinandersetzungen der Reformationszeit sind ohne die gedruckten Kampfschriften und Flugblätter nicht zu denken. Zum anderen verändert die Entdeckung Amerikas (1492) und die Bestätigung der Kugelform der Erde die Vorstellung von der Welt.
Nicolaus Cusanus (Nikolaus von Kues), 1401-1464
Erasmus von Rotterdam (1466/69-1536) Abbildung nach Nicolaus Reusner, 1590
Luther-Bibel von 1534 und ältere gedruckte Bibelübersetzungen
Thomas Morus, Utopia, 1516
Nikolaus Kopernikus, »De revolutionibus orbium coelestium«. Widmung an Papst Paul III. (1543)
Nikolaus Kopernikus (Copernicus, eigentlich Kopernigk, 1473 -1543) hatte sich neben humanistischen Studien in den verschiedensten Richtungen ausgebildet: Mathematik und Astronomie in Krakau (1491—1495), Bologna und Rom (1496—1500), Medizin und Jura in Padua sowie Ferrara (ab 1501); 1506 wurde er Leibarzt und Privatsekretär seines Onkels Lukas Watzenrode, des Bischofs von Ermland (1489-1512). Seine (private) Hauptbeschäftigung war die Astronomie, in der er auch seine entscheidende wissenschaftliche Leistung erbrachte. Kopernikus bahnte den Weg zur Begründung des heliozentrischen Weltsystems.
Vollständig bewußt bin ich mir, Heiligster Vater, es werden gewisse Leute, sobald sie vernehmen, daß ich in meinem Werk über den Lauf der Himmelskörper der Erdkugel gewisse Bewegungen zuschreibe, sofort ausrufen, eine solche Lehre sei durchaus verwerflich. Nun bin ich keineswegs so sehr von meinen Ansichten eingenommen, daß ich nicht Wert darauf legen sollte, was andere darüber urteilen, und obschon ich weiß, daß die Gedanken eines Philosophen weitab liegen von dem Urteil der Menge, da es seine Aufgabe ist, in allen Dingen die Wahrheit zu erforschen, soweit dies von Gott der menschlichen Vernunft gestattet ist, so glaube ich dennoch, man müsse von dem Wahren und Richtigen völlig abweichende Ansichten vermeiden. Als ich daher bei mir erwog, wie jene Männer, welche durch die Übereinstimmung vieler Jahrhunderte die Ansicht für festbegründet erachten, daß die Erde unbeweglich in der Mitte des Himmels gleichsam als das Zentrum desselben gesetzt sei — wie jene Männer meine Theorie als widersinnig bezeichnen werden, wenn ich im Gegenteil behaupte, daß die Erde sich bewegt: so habe ich lange mit mir gekämpft, ob ich meine Erläuterungen und Beweise für diese Bewegung [der Erde] dem Drucke übergeben sollte1 [...]
Allein vielleicht wird Deine Heiligkeit sich gar nicht so sehr darüber wundern, daß ich es gewagt habe, meine Arbeiten dem Drucke zu übergeben, da ich ja bei ihnen keine Mühe gescheut und meine Gedanken über die Bewegung der Erde eingehend niedergeschrieben habe. Wohl aber wird Deine Heiligkeit von mir zu hören erwarten, wie ich auf den kühnen Gedanken gekommen bin, gegen die allgemeine Ansieht der Mathematiker und vielleicht gar gegen den gesunden Menschenverstand [contra communem sensum], eine Bewegung der Erde anzunehmen. Gern wünsche ich daher, Deiner Heiligkeit nicht zu verhehlen, daß nichts anderes mich veranlaßt hat, für die Bewegung der Himmelskörper eine neue Theorie zu suchen als die Erwägung, daß die Mathematiker bei ihren Untersuchungen hier-über keineswegs untereinander übereinstimmen. Denn zunächst sind sie in betreff der Bewegung der Sonne und des Mondes so unsicher, daß sie nicht einmal die stetige Größe der Jahresperiode durch Beobachtung feststellen können.
Sodann bringen sie in betreff der Bewegung der Sonne und des Mondes, wie der fünf andern Planeten, weder dieselben Grundsätze und Voraussetzungen noch dieselben Beweise für die erscheinenden Umdrehungen und Bewegungen in Anwendung .. . Auch haben sie die Hauptsache, die Gestalt des Weltalls und eine bestimmte Symmetrie seiner Teile, nicht zu finden oder aus jenen Kreisen herzuleiten vermocht .. .
Es muß also im Verlauf ihrer sogenannten methodischen Beweisführung etwas Wesentliches übergangen sein oder etwas Fremdartiges, nicht zur Sache Gehöriges sich eingeschlichen haben. Dies würde ihnen auf keinen Fall begegnet sein, wenn sie festen Grundsätzen gefolgt wären. Denn wenn sie nicht von trügerischen Hypothesen ausgegangen wären, so würde sich alles, was aus ihnen hergeleitet wird, zweifelsohne als richtig bewähren.[...]
Nachdem ich nun die Bewegungen angenommen, die ich der Erde in nachstehen-dem Werke zuerteile, fand ich endlich nach langjähriger und sorgfältiger Untersuchung, daß, wenn die Bewegungen der übrigen Planeten auf die Umkreisung der Erde bezogen und nach der Umwälzung eines jeden Gestirnes berechnet werden, nicht bloß die an ihnen beobachteten Erscheinungen daraus folgerichtig sich erklären lassen, sondern auch die Reihenfolge und Größe der Gestirne und alle ihre Bahnen und der Himmel selbst eine solche harmonische Ordnung darbieten wer-den, daß in keinem Teil ohne Verwirrung der übrigen Teile und des ganzen Universums irgend etwas umgestellt werden könne .. .
Ich zweifle nicht daran, daß Mathematiker von Geist und Gelehrsamkeit mir bei-stimmen werden, wenn sie — da die Philosophie dies vor allem fordert — nicht oberflächlich, sondern gründlich die Beweise, die ich für meine Ansicht in diesem Werke beibringe, durchgehen und bei sich überdenken wollen.
Damit aber Gelehrte und Ungelehrte gleichmäßig sehen, daß ich durchaus niemandes Urteil scheue, so habe ich Deiner Heiligkeit lieber als irgendeinem andern diese meine Untersuchungen widmen mögen; und zwar deshalb, weil Du auch in diesem so entlegenen Winkel der Erde, in dem ich lebe, durch die Würde Deines Amtes wie durch die Liebe zu allen Wissenschaften und auch zur Mathematik hochgefeiert bist, so daß Du durch Dein Ansehen und Urteil mich vor dem Biß der Verleumder schützen kannst, wiewohl das Sprichwort sagt, daß es kein Mittel gebe gegen den Biß der Sykophanten .. .[...]
1. Die Drucklegung des Werkes wurde 1543 von Kopernikus' Schüler, dem Wittenberger Professor J. Rheticus besorgt, der auch in eigenen Schriften um die Verbreitung der kopernikanischen Gedanken bemüht war.
Quelle: Nikolaus Kopernikus, Gesamtausgabe, hg. von der Kopernikus-Kommission, 2, 1949, S. 3—7; übers. nach: H. Kesten, Copernicus und seine Welt. Biographie, 1973, S. 35—40. —
Textauszüge zitiert nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 200-204
Andreas Osiander: Vorrede zu Nikolaus Kopernikus »De revolutionibus orbium coelestium« (1543)
Nikolaus Kopernikus hatte sein Hauptwerk z.T. bereits 1514 als Manuskript vorliegen; publiziert wurde es aber erst 1543 (s. Nr. 97, bes. Anm. 3). Andreas Osiander (vgl. Nr. 79) wollte durch sein Vorwort dem neuen Weltsystem in der Bildungsschicht Zugang verschaffen; er charakterisierte es dazu als astronomisches Denkmodell, das im Gegensatz zu einer Tatsachenbeschreibung von >Hypothesen' ausgeht.
An den Leser über die Hypothesen dieses Werks.
Sicherlich werden manche Gelehrte bei dem bereits weit verbreiteten Ruf dieser neuen Hypothesen großen Anstoß an den Lehren dieses Buches genommen haben, daß nämlich die Erde sich bewege, die Sonne dagegen unbeweglich in der Mitte des Weltalls ruhe; man urteilt wohl allgemein, man dürfe die Wissenschaft, deren Fundamente schon im Altertum richtig begründet wurden, nicht in Verwirrung bringen.
Allein bei reiferer Überlegung wird man finden, daß der Autor dieses Werks nichts Tadelnswürdiges unternommen habe. Denn es ist die eigentliche Aufgabe des Astronomen, die Geschichte der Bewegungen am Himmel, nach sorgfältigen und genauen Beobachtungen, festzustellen. Sodann muß er die Ursachen dieser Bewegungen ermitteln, oder wenn er schlechterdings die wahren Ursachen nicht auszufinden vermag, beliebige Hypothesen ausdenken und zusammenstellen, vermittels deren man jene Bewegungen nach geometrischen Sätzen, sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit, richtig zu berechnen vermag. Beide Forderungen hat der Meister in exzellenter Weise erfüllt.
Allerdings ist es nicht erforderlich, daß seine Hypothesen wahr sind; sie brauchen nicht einmal wahrscheinlich zu sein. Es reicht schon vollkommen aus, wenn sie zu einer Berechnung führen, die den Himmelsbeobachtungen gemäß ist .. . Genugsam bekannt ist ja, daß die Astronomie die Ursachen der anscheinend ungleichmäßigen Bewegungen schlechterdings nicht kennt. Wenn die Wissenschaft aber dergleichen hypothetisch ersinnt — und sie hat solche Hypothesen wirklich in großer Zahl ersonnen — so ersinnt sie dieselben keineswegs mit dem Anspruche, irgendjemanden zu überreden, daß die Sache sich wirklich so verhalte; es soll eben nur eine richtige Grundlage für die Berechnung aufgestellt werden. Da ferner eine und dieselbe Bewegung zuweilen durch verschiedene Hypothesen zu erklären ist (wie z.B. die Bewegung der Sonne durch die Annahme der Exzentrizität oder des Epizykels), so wird der Astronom am liebsten derjenigen folgen, welche die leichtest verständliche ist. Der Philosoph [= Physiker] wird vielleicht eine größere Wahrscheinlichkeit verlangen. Keiner von beiden wird jedoch etwas Gewisses zu ermitteln oder zu lehren imstande sein, wenn es ihm nicht durch göttliche Offenbarungen enthüllt worden ist.
Gestatten wir demnach, daß auch die nachfolgenden neuen Hypothesen den alten angereiht werden, welche um nichts wahrscheinlicher sind. Sie sind überdies wirklich bewundernswert und leicht faßlich; außerdem finden wir hier einen großen Schatz der gelehrtesten Beobachtungen.
Übrigens möge niemand in Betreff der Hypothesen Gewißheit von der Astronomie erwarten. Sie vermag diese nicht zu geben.
Quelle: Nikolaus Kopernikus, Gesamtausgabe, hg. von der Kopernikus-Kommission, 2, 1949, S. 403–404; übers. nach: H. Kesten, Copernicus und seine Welt. Biographie, 1973, S. 301–302.
Textauszüge zitiert nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 204-205
Nicolaus Copernikus, De revolutionibus orbium coelestium, 1543
Heliozentrisches Weltbild
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Kurz vor Kopernikus’ Tod im Jahre 1543 erfolgte dann bei Johannes Petreius in Nürnberg die Veröffentlichung des Papst Paul III. gewidmeten Hauptwerkes De Revolutionibus Orbium Coelestium (Über die Umschwünge der himmlischen Kreise). In dessen bekanntestem Absatz heißt es:
„Die erste und oberste von allen Sphären ist die der Fixsterne, die sich selbst und alles andere enthält […]. Es folgt als erster Planet Saturn, der in dreißig Jahren seinen Umlauf vollendet. Hierauf Jupiter mit seinem zwölfjährigen Umlauf. Dann Mars, der in zwei Jahren seine Bahn durchläuft. Den vierten Platz in der Reihe nimmt der jährliche Kreislauf ein, in dem, wie wir gesagt haben, die Erde mit der Mondbahn als Enzykel enthalten ist. An fünfter Stelle kreist Venus in neun Monaten. Die sechste Stelle schließlich nimmt Merkur ein, der in einem Zeitraum von achtzig Tagen seinen Umlauf vollendet. In der Mitte von allen aber hat die Sonne ihren Sitz.“
– Band I, Kapitel X
„Denn wer möchte sie in diesem herrlichen Tempel als Leuchte an einen anderen oder gar besseren Ort stellen als dorthin, von wo aus sie das Ganze zugleich beleuchten kann? Nennen doch einige sie ganz passend die Leuchte der Welt, andere den Weltengeist, wieder andere ihren Lenker, Trismegistos nennt sie den sichtbaren Gott, die Elektra des Sophokles den Allessehenden.“
„So lenkt die Sonne, gleichsam auf königlichem Thron sitzend, in der Tat die sie umkreisende Familie der Gestirne. Auch wird die Erde keineswegs der Dienste des Mondes beraubt, sondern der Mond hat […] mit der Erde die nächste Verwandtschaft. Indessen empfängt die Erde von der Sonne und wird mit jährlicher Frucht gesegnet.“
Martin Luther äußerte seine Meinung über Kopernikus nach der Aufzeichnung von Studenten angeblich sinngemäß wie folgt: „Der Narr will mir die ganze Kunst Astronomia umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht die Erde!“ (M. Luther). Wobei er sich auf Jos 10,12-13 LUT beruft, wo Gott die Sonne für einen Tag stillstehen lässt, sodass sie normalerweise in Bewegung sein müsse, wie Luther aus der Bibelstelle folgert, was aus heutiger Sicht eine Eisegese darstellt.

Tafel 3: Luther und seine Vorläufer
In der beginnenden Neuzeit sind die Missstände in der Kirche vielfach. Päpste, die wie weltliche Fürsten auftreten und handeln, kirchliche Würdenträger und Bischöfe, die Reichtümer und Ämter anhäufen, dazu die ungenügende Ausbildung des niederen Klerus. Angesichts der allgemeinen Endzeitstimmung um 1500 trägt all dies nachhaltig zur Diskreditierung der päpstlichen Autorität wie des priesterlichen Amtes bei.
Die Kritiker dieser Zeit haben jedoch eine Vielzahl an Vorläufern. Zuletzt hat Girolamo Savoranola (1452-1498) als wortmächtiger Bußprediger in Italien den ausschweifenden Lebensstil der herrschenden Schichten, aber vor allem denjenigen der Päpste und kirchlichen Würdenträger scharf kritisiert und damit soziale Unruhen bewirkt. 1498 wird er hingerichtet.
Schon im 14. Jahrhundert hat der schottische Theologe John Wyclif (1330-1384) als einzige religiöse Autorität die Bibel und nicht das Papsttum anerkannt. Als Konsequenz lehnt er die Sakramente und die kirchliche Hierarchie ab. Wenig später predigt Jan Hus (1369-1415), dass Priester, die sich im Zustand der Todsünde befinden, ohne moralische Autorität sind; dieser Vorwurf zielt durchaus auf den hohen und höheren Klerus. Hus hebt Jesus Christus, nicht den Papst, als Haupt der Kirche hervor und fordert für die Gläubigen die Kommunion in beiderlei Gestalt ein (Brot und Wein), die bisher dem Klerus vorbehalten war. In diesem Zusammenhang entwickelt sich der Gedanke, dass Laien oft besser als Geistliche seien. Wilhelm von Occam (1280/28-1349) hat bereits ein Jahrhundert vorher eine ähnliche Ansicht vertreten, indem er geistliche Rechte für Laien einfordert.
Martin Luther reiht sich in diese Tradition ein, als er beim Leipziger Disput im Juni 1519 die Hinrichtung von Jan Hus, der auf dem Konstanzer Konzil verurteilt worden war, für unrechtmäßig erklärt und bekräftigt: Ein einzelner Christ, sei er Priester oder nicht, könne gegen ein Konzil Recht behalten, wenn er von Gott erleuchtet sei. Im Anschluss an den Leipziger Disput und die dortige Verteidigung von Hus – als dessen auserwählten Nachfolger er sich später sieht - findet Luther im 1. Petrus-Brief eine Rechtfertigung seiner Denkweise: das Priestertum aller Getauften.
Martin Luther nimmt verschiedene Reform-Ideen auf, vereint spätmittelalterliche Vorstellungen mit humanistischen. Er teilt die mittelalterliche Endzeiterwartung und versucht in seiner Schrift Supputatio annorum mundi (Berechnung der Weltzeit, 1541), den Heilsplan Gottes noch ganz in der Tradition der mittelalterlichen christlichen Universalgeschichte zu entschlüsseln. Andererseits folgt er dem humanistischen Beispiel von Erasmus und Reuchlin und sieht die Notwendigkeit, die Urtexte für eine Bibelübersetzung ins Deutsche heranzuziehen.
siehe hierzu jetzt auch:
Eine verblüffende Entdeckung: Reformatoren vor Luther: John Wyclif, Petrus Valdes, Jan Hus
Luther und seine Vorläufer
[Textauszug Katalog S. 20-21/22]
Aus den Dialogen des Wilhelm von Occam, um 1340
Wilhelm von Occam, Dialogus V, cap. 11
Einige sagen ohne nähere Unterscheidung, weder die römische Kirche noch der römische Stuhl könnten im Glauben irren. Diese verstehen unter der römischen Kirche und dem apostolischen Stuhl nur den Papst oder bloß das Kardinalskollegium oder den Papst gemeinsam mit den Kardinälen. Andere behaupten, die römische Kirche könne im Glauben nicht irren, und verstehen unter ihr den römischen Klerus, der den Papst, die Kardinäle und die übrigen römischen Kleriker in sich begreift. Andere meinen, die römische Kirche, die alle Kleriker in allen Teilen der Welt in sich schließt, könne nicht irren. Einige von diesen nehmen an, daß wohl einzelne Kleriker irren können, daß aber deren Mehrzahl niemals irren wird. Andere wieder sagen, daß wohl die Mehrzahl der Kleriker irren kann, daß aber immer ein Teil davon den Glauben bewahren wird. Andere machen eine nähere Unterscheidung der römischen Kirche und sagen, bald sei darunter der Papst allein, dann die Kardinäle allein, dann beide zusammen, dann wieder der ganze römische Klerus, dann die ganze römische Diözese, zuweilen die ganze Gemeinschaft der Gläubigen zu verstehen. Von der römischen Kirche in diesem letzten Sinne genommen, meinen diese, daß sie nicht irren könne, wohl aber alle übrigen genannten einzelnen Teile. Es ist auch weder nach der Lehre der Schrift noch nach der Lehre der ganzen Kirche sicher, daß die Stadt Rom mit ihrer ganzen Umgebung, zu der das römische Bistum gehört, dem Antichrist bei seiner Ankunft nicht anhängen wird oder auch vor den Zeiten des Antichrist nicht von dem katholischen Glauben abfallen wird. [J. Bühler]
Geschichte in Quellen, Bd. 2, Mittelalter, hg. von Wolfgang Lautemann und Manfred Schlenke, München 1975, S. 799-800.
John Wyclif
"Hätte die hartnäckige Widerspänstigkeit unserer Prälaten nicht dem göttlichen und wundervollen Geiste Wyclif's im Wege gestanden, so wären vielleicht weder die Böhmen Huss und Hieronymus, noch selbst die Namen Luther's und Calvin's je bekannt geworden, und der Ruhm, alle unsere Nachbarn reformirt zu haben, wäre völlig unsere gewesen!" - John Milton1
„Jedwede Person, ob Individuum oder Gruppe, die erkennbar gegen Christus im Sinne der Bibel ist, ist der Antichrist.“2 – John Wyclif
Leben:
John Wyclif (1328 - 1384) war ein englischer Reformator und säkularer Theologe. Er wurde vermutlich in Wycliff-on-Tees2 geboren, als jüngerer Sohn einer Familie des niederen Adels, die in einem Lehensverhältnis zum Duke of Lancaster, John of Gaunt, standen3. John Wyclif studierte in den 1340er Jahren an der Artistenfakultät am Queen’s College in Oxford, mit Abschluss des Baccalaureus 1356 und Magister 1360 am Balliol College. Es folgte der Baccalaureus der Theologie 1369 und Promotion 13724. Im selben Jahr trat Wyclif in den Dienst des John of Gaunt und nahm 1374 in Brügge als königlicher Gesandter an Verhandlungen mit der römischen Kurie teil, die sich allesamt um die Geldflüsse zwischen Staat und Kirche in England drehten5. Als Folge diverser Schriften, insbesondere De Civili Dominio, welches die komplette Enteignung der Kirchenbesitztümer forderte, geriet John Wyclif zunehmend in Konflikt mit der Kirche5. Auf fünf päpstliche, gegen Wyclif gerichteten, Bullen im Jahre 1377, folgte 1378 der Ketzerprozess6, der allerdings durch adlige Sympathisanten Wyclifs, die aus seinen Lehren wiederum ihre eigenen, politischen Nutzen zu schlagen hofften, frühzeitig abgebrochen wurde7. 1381 verließ er schließlich Oxford und begann mit seiner Bibelübersetzung ins Englische8. Obwohl Wyclif nicht direkt mit den Volksaufständen von 1381 verwickelt war, wurde im seitens des Klerus zur Last gelegt, dass er mit seinen Thesen zur Anheizung der Atmosphäre beigetragen hatte9. Die verbleibenden Jahre seines Lebens verbrachte Wyclif als Pfarrer in Lutterworth und schrieb dort eine Vielzahl von Traktaten10.
Lehren:
Wyclif predigte eine Rückkehr zur Bibel, die die Wahrheit enthalte, jedoch unterstützte er nicht die Idee der sola scriptura, da er überzeugt war, dass der Glaube allein nicht ausreiche, um die Bibel zu verstehen11. Eine Übersetzung der Bibel sei unbedingt notwendig, um sie dem Volk näher zu bringen. Die Kirchengüter sollten gänzlich enteignet werden, da die Kirche keinen weltlichen Besitz haben sollte12, und die Geistlichen waren den den weltlichen Gesetzen zu unterwerfen12. Sündige Geistliche seien nicht imstande, ihrer Ämter zu walten, und daher zu ersetzen.12 Anfänglich war Wyclif ein Anhänger der Transsubstantiationslehre, entwickelte sich jedoch später zu einem ihrer entschiedensten Gegner, da er sie für unmöglich hielt8. Die Heiligen-, Reliquien und Bilderkulte15 waren zu beendigen und die Mönchsorden aufzulösen15. Wyclifs Einstellung zum Papst radikalisierte sich zunehmend im Laufe seines Lebens und bezeichnete ihn letztendlich als den Antichrist, wobei Wyclifs Auffassung des Antichrists nicht chiliastisch war2. Er beteuerte, dass „[n]ur Christus, nicht der Papst ist das Haupt der Kirche“17 und zweifelte an der Ohrenbeichte und der Zölibatspflicht17. Außerdem forderte Wyclif die sofortige Einstellung des Ablasshandels17. Seine Weltvorstellung war deterministisch, in der Gott von allem wisse, doch er schloss den menschlichen freien Willen nicht aus14. Wyclifs Vorstellung erwies sich dadurch als Scharnier zwischen dem „fatalistischen Determinismus“ von Thomas Bradwardine und den „semi-pelagianischen Position der ‚moderni’ “14. Er forderte ein „Ende des Staatskirchentums“18 und eine Säkularisierung der Regierungsämter. Sein Gesamtwerk durchzieht ein tiefer Pazifismus18
Einfluss:
Wyclif wird oftmals als „Morgenstern der Reformation“15 bezeichnet. Seine Lehren verbreiteten sich rasant sowohl auf den Britisches Inseln als auch auf dem Kontinent aus und inspirierte zu einem gewichtigen Teil die Reformation im 16. Jh. Die Lollarden in England führten sein Erbe noch bis in 16. Jh. fort und die wyclifitische Bibel erfuhr eine derart starke Verbreitung, sodass sie bis heute das meisterhaltenste, englische mittelalterliche Dokument darstellt, weit vor dem zweitplatzierten Canterbury Tales von Chaucer8. In Europa wurden seine Ideen besonders durch Erasmus von Rotterdam, über John Colet, und Jan Hus in Böhmen aufgenommen und verbreitet13. Die Werke von Hus sind sogar „großenteils wörtlich aus denen Wyclifs abgeschrieben“16.
Autor: Alexander Debney
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1 Buddensieg, Rudolf. Johann Wyclif's De Christo et suo adversario Antichristo. Gotha, 1880, S. 9
2 Laley, Stephen E. „John Wyclif“. Oxford, 2009, S. 28.
3 Vgl. S. 3ff.
4 Vgl. S.5f.
5 Vgl. S.15f.
6 Vgl. S. 18f.
7 Vgl. S. 19f.
8 Vgl. S. 23f.
9 Vgl. S. 25
10 Vgl. S. 27
11 Vgl. S. 25
12 Vgl. S. 16f.
13 Vgl. S. 30
14 Vgl. S. 170f.
15 Vgl. Jones, R. Tudur. „The Great Reformation“. Leicester, 1985, S. 17f.
16 Borinski, Ludwig. “Wyclif, Erasmus und Luther”. 1988. In: “Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius – Gesellschaft der Wissenschaften e.V., Hamburg“. Heft 2. Göttingen, 1990. S. 6
17 Vgl. S.7
18 Vgl. S. 10
19 Vgl. S. 20
Bildquelle: http://us.123rf.com/400wm/400/400/candyman/candyman1001/candyman100100048/6222029-john-wiclif-on-engraving-from-the-1850s-english-theologian-lay-preacher-translator-reformist-and-uni.jpg
Auch wenn es in vorherigen Jahrhunderten schon Bibelübersetzungen in England gegeben hatte, war die wyclifitische Bibel aus den 1380er und 90er Jahren die erste vollständige Übersetzung aus der Lateinischen Vulgata ins Mittelenglische1. Zwei unterschiedliche Versionen existieren, die vermutlich beide durch Wyclif inspiriert und auch von ihm betreut wurden, jedoch nicht direkt von ihm stammen, sondern von seinen Jüngern Nicholas Hereford und John Purvey.1 Zunächst wurde die wyclifitische Bibel per Hand kopiert, bevor die Buchdruckrevolution im späten 15 Jh. maschinelle Kopien erlaubte. Bis heute existieren rund 250 Manuskripte, 21 davon vollständig, und stellt bei weitem „die größte Anzahl Kopien eines mittelalterlichen Englischen Textes“1 dar, welches Rückschlüsse auf die massive Popularität zulässt.
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1 Laley, Stephen E. „John Wyclif“. Oxford, 2009, S. 24.
Dokumentenquelle: http://www.meetup.com/meetup-group-ckLmxVvv/files/
De Christo et suo adversario Antichristo
Zusammfassung des Inhalts
"Der Papst steht vielmehr im schlagendsten Gegensatz zu Christo. Nun wird der Satz erwiesen an 12 Fällen:
1. Christus die Wahrheit - der Papst das Princip der Falschheit und Lüge (in Worten, Schriften, Werken).
2. Christi Armuth - des Papstes weltliche Herrlichkeit.
3. Christi Sanftmuth und Demuth - des Papstes Stolz und Grausamkeit (Kreuzzug).
4. Christi Gesetz vollkommen und ausreichend - des Papstes neue grausame Gesetze und Erpressungen von den Gläubigen.
5. Christi Missionseifer und Missionsmahnung - der Papst und die Seinen entweder in den herrlichsten Palästen thronend oder abgeschlossen in Klöstern
6. Christi Verachtung der weltlichen Herrschaft - des Papstes Anspruch auf das Regiment über alle weltliche Reiche.
7. Christi Gehorsam gegen den Kaiser - der Papst schwächt die weltliche Gewalt.
8. Christus und seine 12 einfachen Jünger - der Papst und seine 12 schlauen weltlichen Cardinäle.
9. Christus litt für die Seinen - der Papst ruft zu Kriegen auf.
10. Christus beschränkt seine Mission auf Judäa - der Papst missioniert in allen Landen, aber aus Hersch- und Gewinnsucht.
11. Christus prunklos und dienstbereit - des Papstes prächtiger Hofstaat und Forderung kaiserlicher Knechtsdienste.
12. Christus verachtet Weltruhm und Geldgewinn - vom Papste ist alles käuflich.
So liegen thatsächlich die Dinge. Schluss: Kann der Gläubige, der Christi Jünger sein will, den Papst sich als Vorbild nehmen? Nimmermehr; denn dann wäre eine rechte Nachfolge Christi unmöglich."
aus: Buddensieg, Rudolf. Johann Wyclif's De Christo et suo adversario Antichristo. Friedrich Andreas Perthes: Gotha, 1880, S. 17-18. aus:
http://lollardsociety.org/pdfs/Wyclif_Christo_Adversario_Antichristo.pdf
De Christo et suo adversario Antichristo inspirierte die Texte zu den Bebilderungen in Cranach's Passional Christi & Antichristi.
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Dokumentenquelle: http://iccu01e.caspur.it/ms/internetCulturale.php?id=oai%3Ateca.bmlonline.it%3A21%3AXXXX%3APlutei%3AIT%253AFI0100_Plutei_19.33_0002&teca=Laurenziana+-+FI S.44-51
Transkription des Lat.: Buddensieg, Rudolf. Johann Wyclif's De Christo et suo adversario Antichristo. Gotha, 1880, S. 32-58
Angriffe auf den Papst: John Wiclif, um 1380
John Wiclif, De Christo et suo adversario Antichristo, ed. R. Buddensieg 1883
Das Papsttum. Wenn der Papst in Lehre und Leben Christo entgegen ist, so ist er der vornehmste Feind Christi ... und der hauptsächlichste Antichrist ... In Worten ist er dies, weil er Lügen ausstreut.
Wenn wir hinsehen auf die Schriften der Apostel, die geschrieben sind aus dem Glauben an den Herrn Jesum Christum, und auf die päpstlichen Schriftstücke, die Bullen und die Dekretalbriefe ... dann können wir ersehen, wie wenig sie in ihrem Inhalt überein-stimmen; denn die päpstlichen Schriften sprechen von der Macht in der Welt, die evangelischen Schriften aber von demütiger Flucht aus der Welt.
Christus war sehr milde und sanftmütig, wie es bei Matthäus 11, 20 heißt. Der Papst aber ist, wie man sagt, ein hochmütiger Mensch und ein grausamer Rächer. Denn wenn ihm die Macht des weltlichen Arms fehlt, so wendet er die Strafe der Exkommunikation an und verleiht angeblich Ablässe allen denen, die ihn an seinen Feinden rächen wollen.. .
Als Christus durch Samarien zog und den Seinigen Speise und Herberge verweigert wurde, da wollte er nicht, daß die Leute darum gekreuzigt würden, wie es aus Lukas 9, 56 hervorgeht: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.” Der Papst aber verdirbt, wie man sagt, viele Seelen; müssen wir ihn darum nicht für den Antichrist halten?
Wenn es hundert Päpste gäbe und alle Bettelmönche Kardinäle würden, man dürfte ihnen in Glaubenssachen doch nur insoweit beipflichten, als sie mit der Heiligen Schrift übereinstimmen. [R. Buddensieg und G. Lechler]
Geschichte in Quellen, Bd. 2, Mittelalter, hg. von Wolfgang Lautemann und Manfred Schlenke, München 1975, S. 799
Aus der Concordantia Catholica des Nikolaus von Kues, um 1450
Nicolai de Cusa opera, Basileae o. J. De concordantia Catholica, Buch II, cap. 17
Ob das allgemeine Konzil, das die ganze Kirche repräsentiert, über den Patriarchen und dem römischen Bischof steht, kann meines Erachtens nicht zweifelhaft sein. Wenn man auch verschiedenen Ortes liest, die Gewalt des römischen Bischofes stamme von Christus, so zeigt doch die Mehrzahl der Belegstellen, daß der Vorrang der römischen über alle anderen Kirchen auf die Bestimmungen der Apostel und deren Nachfolger zurück-zuführen ist ... Und findet man in den Schriften, der Papst sei der Statthalter Christi, so doch auch, ihm komme Petri Stellvertretung und Sendung zu. Manches ließe sich über dergleichen Verschiedenheiten sagen: so nannten die einen Bischöfe wie Optatus den Papst einen Kollegen, andere, wie im Konzil zu Ephesus, Vater, andere Bruder, Bischof, Erzbischof, Patriarch. Für uns genügt die Feststellung, daß der römische Bischof als Nachfolger Petri von Christus große Privilegien und von seinem Amtssitz her große Gewalt hat – diese Privilegien sind mit dem Amtssitz fest verknüpft –, daß aber jener Vorrang, wodurch der römische Bischof Primas aller Kirchen ist, teilweise auch durch die Menschen und Kirchengesetze begründet wurde .. .
Welcher Mensch mit gesunden Sinnen könnte daran zweifeln, daß es dem allgemeinen Konzil zusteht, für seine Selbsterhaltung und ein heilsames Kirchenregiment gegen einen Mißbrauch und den, der ihn verschuldet, vorzugehen? Ich sage das, ohne die wahre Gewalt und das Privilegium des römischen Stuhles herabsetzen zu wollen. Die Behauptung, das allgemeine Konzil könne über die Vorrechte der römischen Kirche nicht erkennen, ist meines Erachtens falsch, da man doch in den Akten des Konzils von Chalcedon liest, daß es diesen Gegenstand behandelt und darüber geurteilt hat. Deshalb läßt sich ganz allgemein sagen, das allgemeine Konzil habe als Stellvertreter der katholischen Kirche seine Gewalt unmittelbar von Christus und steht in jeder Beziehung sowohl über dem Papst wie über dem apostolischen Stuhl. Diese Thesen beweisen zahlreiche Vorkommnisse, kirchliche Gesetze und Vernunftgründe. [J.. Bühler]
Geschichte in Quellen, Bd. 2, Mittelalter, hg. von Wolfgang Lautemann und Manfred Schlenke, München 1975, 802-03.
Das Konzil zu Konstanz 1414—1418
Autorentext von Wolfgang Lautemann
Der Zustand der Kirche infolge des Schismas rief überall in Europa solche Beschwerden über die Kirche hervor, dass auch die Leiter der Kirche ihnen gegenüber nicht taub bleiben kanten. Aus den Einwänden, die seit Marsilius, Occam und Wiclif theoretisch begründet werden und die alleinige Entscheidungsgewalt des Papstes bestritten, wurden vor allem in Frankreich theologisch und juristisch wohldurchdachte Lehren. Allerdings war die Ursache für den hoffnungslosen Zustand der Kirche, das Schisma, zugleich mit die Ursache dafür, dass sich das Papsttum nicht mehr in der Lage sah, aus eigene Kraft etwas gegen aas Verderben zu tun. So drang die konziliare Idee, die Vorstellung, dass einer allgemeinen Versammlung der Christenheit, worunter nun auch die christlichen Fürsten mitverstanden wurden und auch die Gelehrten der Universitäten, das Recht und die Pflicht zukomme, zu einer „Reformation an Haupt und Gliedern” zu schreiten, allmählich durch. Diesem Streben verdankt das erste der Reformkonzilien, das zu Pisa 1409, sein Zustandekommen.
Es gelang in Pisa nicht, etwas Entscheidendes zu erreichen. Zwar wählte man nach der Absetzung der beiden Päpste Gregor XII. und Benedikt XIII. Alexander V. zum obersten Hirten, doch da die beiden für abgesetzt erklärten Päpste nicht zurücktraten und sich auch zu behaupten vermochten, war das einzige Ergebnis, dass es nun drei Päpste gab. Da jeder Papst die Anhänger seiner Gegenpäpste in den Bann tat, waren gewissermaßen alle Christen doppelt im Bann.
Es waren schließlich die weltlichen Mächte, die in dem ständigen Abfließen beträchtlicher Summen Geldes nach Rom ihre eigenen Interessen geschädigt sahen, die ein neues, aus der ganzen Christenheit beschicktes Konzil veranlassten, das unter dem Vorsitz der Kaisers in Konstanz tagen sollte. Ihm waren drei große Aufgaben gestellt:
1. Die causa uniatis
2. Die casa reformationis
3. Die causa fidei
Viele tausende von Geistlichen aller Art, weltliche Herren mit ihrem Gefolge, Gelehrte der Universitäten und dazu ein unübersehbarer Schwarm bunten Volkes drängten sich in Konstanz zusammen, das für einige Jahre in den Mittelpunkt der Welt trat. Gelöst wurde auch hier nur die erste Frage, indem es gelang, alle drei Päpste abzusetzen und in Martin V. einen nunmehr als einzigen Papst anerkannten höchsten Priester zu wählen. Die Lösung der Glaubensfrage führte infolge der Verbrennung von Hus zu dem Aufstand, der als Hussitenkrieg Europa jahrzehntelang beunruhigt hat, und die Frage der Reform kam zu wenig durchschlagenden Lösungen, einmal weil die hier auftretenden „Nationen” ihre eigenen Ziele verfochten und es daher nur zu einzelnen Konkordaten zwischen der Kirche und den größeren Staaten kam, dann aber auch, weil der neue Papst sehr bald sich gegen die konziliare Lehre, auf der das ganze Konzil ruhte, zu wenden begann. Die Vertagung auf später, auf das Konzil zu Basel 1431-1449, war kein Ersatz für die gescheiterte Lösung an Ort und Stelle.
Geschichte in Quellen, Bd. 2, Mittelalter, hg. von Wolfgang Lautemann und Manfred Schlenke, München 1975, S. 803.
Johannes Hus, 1415
Siegmund Meisterlins Chronik der Stadt Nürnberg, 1488
Als König Wenzeslaus fünfzig Jahre alt war, fing Hus seine Ketzerei an ... Wenzeslaus war in der Hussitensache verwirrt und bekümmert und starb an Apoplexie.
Nun wir aber zu der Hussitensache gekommen sind, und es gar wenige gibt, die den rechten Ursprung davon wissen, wollen wir ein wenig davon sagen.
Es hatte Kaiser Carolus, der vierte dieses Namens, ein Erzbistum zu Prag errichtet und dabei eine Hohe Schul, die universale studium in allen Künsten genannt wird. Diese Schule ward durch die Deutschen, deren gar viele da waren, regiert. Das duldeten die Böhmen gar ungern und murrten. Nun war einer unter den Böhmen edel und reich, der hatte in England studiert in der Stadt Oxford, und daselbst war er über etliche Bücher kommen, die der Ketzer Wiclef gemacht hat, sie werden de universalibus et realibus genannt. Die schrieb er ab und brachte sie mit sich nach Prag als besonderen Schatz; darin waren etliche Artikel wider die Priester, auch wider den Stand der Christenheit, auch wider die Obrigkeit geistlicher und weltlicher Prälaten. Dieser Meister, der es also brachte, hieß Putripiscis, das ist Faulfisch. Diese Materie teilte er denen mit, die den Deutschen feind waren; unter denen war einer genannt Meister Harms, geboren aus dem Dorf Hus, (nun ist Hus soviel als eine Gans) und war von armen Leuten. Man hielt ihn auf der Schule für einen listigen und geschwätzigen Laien. Als ihm die Bücher Wiclefs bekannt wurden, nahm er sie gierig auf, machte sich an den trunkenen Wenzeslaus und erreichte, daß die Deutschen unterdrückt und geschmäht wurden. Die schworen zusammen, und an einem Tage gingen aus Prag zweitausend Meister und Schüler oder Studenten, nach etlichen Tagen aber dreitausend, die zogen gen Leipzig und richteten dort eine Hohe Schul auf.
Als nun Johannes Hus sie vertrieben hatte und ohne jeden Widerspruch die Schul allein regierte, da hielten ihn die Böhmen für einen gar gelehrten Laien und, da er den Schein eines ehrbaren Lebens führte, für einen heiligen Mann. Da ließ er aus seinem Munde fallen das Gift falscher Lehre, die er lange im Herzen getragen und ausgebreitet hatte; er erhielt auch ein treffliches Predigtamt in der Kirche zu Prag, die man Bethlehem nennt; da fing er an zu sagen von dem Wiclef, wie er so trefflich und wohl geschrieben habe. Dem hingen bald etliche Pfaffen an und lobten ihn dem Volk gegenüber, besonders die, die eine große Schuld begangen oder die solches begangen, daß sie sich nicht trauten, vor ihrem Bischof zu bestehen. Die hatten eine Hoffnung : nehme diese Lehre über-hand, so wollten sie sich wohl behaupten. Zu denen gesellten sich etliche, die gar wohl gelehrt waren und doch keine Gottesgabe oder Pfründe hatten, die beneideten die, die große Pfründen hatten, hofften, ihre Sach würde besser, den Mächtigen eine Gegenpartei zuzurichten. Es schreiben auch etliche, daß es die Königin mit ihnen gehalten habe, die hoch über ihrem Mann stand, der allein zu Hause auf dem Lotterbett schnaufet und manchmal in den Keller und in die Küchen spazieret. Es verblendete auch viele Geistliche der Neid und viele Weltliche die Habgier, daß sie mit sehenden Augen nicht sahen und daß sie wohl verstanden und wollten nicht verstehen und verfielen in Worte, mit denen sie Gott schändeten. Und wiewohl sie vielleicht wider etliche Ungelehrte und die ein schändliches Leben führten, Ursach zu böser Nachrede hatten, so wickelten sich doch darein auch die Gelehrten und Frommen und bellten wie die Hund wider alle Priesterschaft, und beschlossen, sie wollten Waldenser Sekte und Ordnung halten, lehren und predigen, die die folgenden Artikel hielten.
Die Artikel, die da predigen und halten die Hussiten wider die heilige Christenheit:
1. Der Papst ist ein Bischof wie ein anderer Bischof über sein Bistum und nit weiter.
2. Ein Priester ist in aller Gewalt wie der andere und ist unter ihnen kein Unterschied. Welcher Priester besser ist als der andere, das liegt nit an der Prälatur, sondern an der Heiligkeit des Lebens.
3. Wenn eine Seele scheidet von dieser Welt, so hat sie allein zwei Wege, sie fährt sofort gen Himmel oder schnell zur Hölle, was man aber sagt von dem Fegfeuer (nach katholischer Lehre), so erklären die Hussiten, es sei kein Fegfeuer, sondern die Habgier der Pfaffen hab es erdacht, und es sei verloren Ding, daß man für die Toten bitte.
4. Man soll abtun alle Bildnisse, es sei zu Gottes Ehre oder der reinen Jungfrauen Marien oder der Heiligen und so weiter.
5. Daß man Kerzen, Asche, Palmen, Weihwasser und auch die Taufe und ander Ding segne, sei ein lächerlicher Spott.
6. Die Bettelorden und Mönche habe der Teufel erdacht und gefunden.
7. Es sollen alle Priester arm sein und nichts haben denn das Almosen.
8. Wer predigen will, dem sei es erlaubt, er sei Laie oder Priester.
9. Man soll keine Sach leiden in der Christenheit, es seien Frauenhäuser, es sei Spiel, es sei Wucher oder was es sei, darum daß größeres Übel vermieden bleibe.
10. Wer in Todsünden ist, mag weder geistlicher noch weltlicher Richter sein und aller Freiheit beraubt, und niemand soll ihm gehorsam sein.
11. Firmung und letzte Tauf oder Ölung seien nit zu zählen unter die Sakrament.
12. Es sei eine Ursache zum Lügen, daß die Menschen dem Priester ins Ohr beichten.
13. Es sei genug, daß ein jeglicher Mensch in seinem Herzen Gott bekenne.
14. Man soll zur Taufe allein lauteres Wasser nehmen ohne Chrisam oder heiliges Öl.
15. Daß man die Leute in Kirchhöfen begrabe, sei nichts nutz, die Pfaffen haben es erdacht von Gewinnes wegen.
16. Es gelte gleich, wo die Körper zugedeckt werden.
17. Das geziemendste und größte Stift und Gotteshaus, darin Gott soll angebetet werden und die Toten begraben, sei die Welt; die aber Kirchen bauen und Klöster und Kapellen und Bethäuser, die wollen die göttliche Majestät in einen Winkel zwingen, als ob sie nit an allen Stätten könnt gleich gnädig sein.
18. Die zierlichen Gewänder, Meßgewänder, Altartücher, Kappen, Teppiche, Korporale, Kelch, Patenen, Rauchfaß seien unnütze und verlorene Kosten.
19. Ein Priester mag zu jeder Stunde und an allen Stätten das heilige und würdige Sakrament konsekrieren und sogleich denen geben, die es begehren.
20. Es braucht auch der Priester nicht mehr sprechen denn die Worte, darin die Kraft des Sakramentes liegt.
21. Es soll niemand weder die Jungfrau Maria, noch Engel, noch irgendwelche Heiligen anrufen, denn sie können niemand helfen.
22. Es sei eine verlorene Zeit, daß man die sieben Tagzeiten (das Chorgebet) singe oder spreche.
23. Man soll keinen Tag ohne Arbeit sein außer allein am Sonntag, und alle Tage, die den Heiligen zugesprochen sind, aufgeben.
24. Wer an den Tagen faste, die die Kirche angesetzt hat, der erwerbe keine Verdienste.
Zu dem allerletzten, als diese Artikel nun eingewurzelt hatten, da ward erst eingelegt der Artikel, daß man das hochwürdige Sakrament sollt geben den Laien unter beiderlei Gestalt: Brot und Wein; sie predigen, das hätte seinen Grund im heiligen Evangelium, und sprachen, die römische Kirche und die ganze Christenheit wäre unwissend und ungelehrt, weil sie es nit tät, oder aber so neidisch, daß sie es nit tun wollt.
Fragst du, ob auch die vernünftigen Prälaten, geistliche und auch die hochweisen strengen und ehrbaren Ritter, Knechte und Ratgeber, da anhangen solcher finnigen Lehre, wisse die Antwort also: dulcis est panis Christi et prebet delicias regibus; mit Gott isset man gerne, und sein Brot ist süß, und die Fürsten haben ihre Lust daran. Denn die Großmächtigkeit der Priesterschaft und die große Menge der Klöster, die Carolus und Johannes sein Vater hatten in dem Reich Böhmen gestiftet, war denen ein Dom im Auge, die da Hoffnung hatten, wenn Hus seine Sache vollbringe, so wollten sie das alles besitzen. Das Gold aber und das Silber, das in den Kirchen war und in der Priester Gewalt, an den Heiligtümern und Kelchen und so weiter, machet dem Volk von Gomorrha ein Verlangen, darüber Sackmann zu machen und so weiter. Ein Rat zu Prag und die Metzger und etliche fromme Bürger wollten die strafen, die die Ursache des Auflaufs und des Raubes gewesen waren, da fielen sie gar genau alle in den Tod.
Unter diesem Tumult hatte Kaiser Sigismund, der nach dem Wenzeslaus erwählt worden war, das Konzil zu Konstanz versammelt. Dorthin ward Harms Hus gefordert, dort überwunden, und da er verstockt war, wurde er verbrannt, desgleichen darnach sein Ketzermeister Hieronymus.
Und also wurden große, mächtige Klöster und Stifter und hochwürdige Kirchen zerbrochen, und was denen gehört hatte, wurde allen denen erlaubt, die es zu behaupten vermochten, alle geistliche Ordnung ward abgetan, und ward das Land zu Böhmen begabt mit mehr Martern denn je ein Land, so viele wurden ermordet um christlichen Glauben. Also, großen frechen Mutwillen trieben die verlorenen Kinder des Teufels. Denn ehe dies geschah, hatte das Böhmerland Kirchen und Gotteshäuser, die gen Himmel aufragten, mit weiten, langen und breiten Gewölben, wunderbar anzusehen, und unglaublich hochgesetzte Altäre, besetzt mit Heiligtümern, die mit Gold und Silber schwer geziert waren, priesterlich Ornament mit Edelgestein und Perlen durchsetzt, alle Zier der Tempel köstlich, die Fenster hoch und licht mit gar köstlichem Glaswerk, mit kluger Meisterschaft gemacht. [J. Bühler]
Geschichte in Quellen, Bd. 2, Mittelalter, hg. von Wolfgang Lautemann und Manfred Schlenke, München 1975, S 800-802.
Jan Hus auf dem Scheiterhaufen in Konstanz, 1415
Martin Luther an Spalatin, "wir alle sind unbewußt Hussiten", Mitte Februar 1520
Ich habe bisher unbewußt den ganzen Johann Hus gelehrt und gehalten.[1] Auch Johann Staupitz hat in derselben Unwissenheit gelehrt.[2] Kurz, wir alle sind unbewußt Hussiten. Ja, Paulus und Augustin sind aufs Wort Hussiten. Siehe, ich bitte Dich, in was für Ungeheuerlichkeiten sind wir ohne den böhmischen Führer und Lehrer geraten: Ich weiß vor Staunen nicht, was ich denken soll, da ich so schreckliche Gerichte Gottes an den Menschen sehe. Die ganz offenbare evangelische Wahrheit, nun schon vor mehr als hundert Jahren öffentlich verbrannt, wird für verdammt gehalten, und man darf dies nicht bekennen. Wehe dem Erdreich!
Gehab Dich wohl.
WA Br. 2 42f. Zit. nach: Luther deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hg. von Kurt Aland, Bd. 10, Göttingen 1983, S. 73
1 Luther hatte anscheinend jetzt erst die ihm im Juli 1519 zugesandte Schrift Hussens gelesen, vgl. Brief an Staupitz vom 3. Oktober 1519. Daß Luther sich im Irrtum befindet und Hus mehr evangelisches Verständnis zuschreibt, als bei ihm zu finden ist, ist eine andere Sache und wiederholt sich bei anderen Gelegenheiten (z.B. bei der Mystik). [Kommentar Aland]
2 vgl. Luther an Staupitz, 3. Oktober 1519
[...] Ich habe zur Stunde aus Prag in Böhmen Briefe [beide vom 17. Juli 1519, in WA Br 1, 416 ff. als Nr. 185 und 186] von zwei Priestern der utraquistischen Partei, die in der heiligen Schrift sehr gelehrt sind, zusammen mit einem Büchlein des Johann Hus erhalten, welches ich noch nicht gelesen habe. Sie ermahnen mich aber zur Beständigkeit und Geduld; es sei das die reine Theologie, welche ich lehre. Sie folgen ganz erstaunlich der Methode des Erasmus, sowohl in der Denk- wie auch in der Schreibweise. Die Briefe kamen über den Hof unseres Fürsten an mich – Spalatin stellte sie mir zu – und dort ist die Tatsache nicht mehr verborgen. [...]
WA Br. 1 513f. Zit. nach: Luther deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hg. von Kurt Aland, Bd. 10, Göttingen 1983, S. 67
Martin Luther als der von dem böhmischen Reformator Johannes Hus geweissagte und von Gott berufene Erneuerer der Kirche. Replik auf den Augsburger Reichstagsabschied, 1531
Martin Luther, Glosa auf das vermeint Keiserlich Edict Ausgangen Anno M.D.XXXI. nach dem Reichstage des M.D.XXX. jars. [Auszüge]
Luther als der Vollender des böhmischen Reformators Johannes Huss, der 1415 auf dem Konzil zu Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Die Gegenschrift Luthers zum Augsburger Reichstagsabschied 1530 ist wohl im März/April 1531 verfasst, bald nachdem der offizielle Druck der Artikel des Reichstagsabschieds nach Wittenberg gelangt ist. Luther nimmt den "frommen" Kaiser Karl V. nachdrücklich in Schutz und verweist statt dessen auf die Verantwortlichkeit anderer am Hofe sowie namentlich Papst Clemens, die im vermeintlich Kaiserlichen Edikt unter Kaiserlichem Namen "ihre Lügen" verbreiteten.
Er selbst, Dr. Martin Luther, sei von Gott dazu berufen, dem seit nun mehr als 600 Jahren währenden lästerlichen Wesen des Papstums ein Ende zu bereiten und Löwen und Drachen mit Füßen zu treten. Bereits der böhmische Reformator Johannes Huss Hus bedeutet auf Tschechisch = Gans habe das Auftreten Luthers prophezeit, indem er 1415 vor seiner Verbrennung auf dem Scheiterhaufen geweissagt hatte: "Heute braten sie eine Gans. Aber über hundert Jahre werden sie einen Schwan singen hören, den sollen sie leiden."
Ich Martinus Luther, der heiligen Schrifft Doctor und Prediger der Christen zu Wittenberg, Bedinge hie mit dieser öffentlicher Schrifft ,das, alles was ich wider dis vermeint Keiserlich Edict oder Gebot in diesem Büchlin schreibe, nicht wil geredt noch verstanden haben als wider Kei[serlich] Maie[stet] oder einige Oberkeit, geistliches oder weltliches Standes geschrieben. Sondern weil der weise könig Salomon sagt, das ein einiger Bösewicht zu Hofe gros Unglück kan schaffen, und widerumb ein einiger frumer Naaman zu Hofe viel Guts schaffen kan, So wil ich hie mit nicht den frumen Keiser noch die frumen Herrn, Sondern die Verrheter und Bösewichter sie seien Fürsten oder Bischoue gemeinet haben, so unter Keiserlichem namen oder wie Salomon sagt zu Hofe iren verzweiuelten boshafftigen mutwillen fürnemen zu volbriongen, Und sonderlich den Gesellen, welchen S. Paulus nennet Gottes widerwetigen, ich solt sagen Gottes stathalter, denHeuptschalck Bapst Clemen und seinen diener Campegium und der gleichen. Das ist meine Meinung, Gotte gebe glück und gnade dazu, Amen. [...]
Ich aber Doctor Martinus bin dazu beruffen und gezwungen, das ich muste Doctor werden on meinen danck aus lauter gehorsam. Da hab ich das Doctorampt müssen annemen und meiner allerliebsten heiligen Schrifft schweren und geloben, sie trewlich und lauter zu predigen und leren. Über solchem leren ist mir das Bapstumb in weg gefallen und hat mir wollen wehren. Daruber ists im auch gangen wie fur augen und sol im noch erger gehen und sollen sich meiner nicht erwehren. Ich will in Gottes namen und Beruff auff dem Lewen und Ottern gehen, und den jungen Lewen und Drachen mit füssen tretten. Und das sol bey meinem Leben angefangen und nach meinem Tod ausgericht sein. S. Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem Gefengnis in Behemerland schrieb: Sie werden jtzt eine Gans braten denn Hus heisset eine gans Aber über hundert jar werden sie einen Schwanen singen hören, den sollen sie leiden. Da sols auch bey bleiben ob Gott wil.
Das wil ich auff dis Edict dis mal zur Glosen gesagt haben. Lebe ich und krawet mich jemand, So kan ich es noch wol bas jucken und kützeln. In des las im nur niemand grawen fur diesem Edict, das sie unter des fromen Keisers namen so schendlich erliegen und auslassen. Solten sie nicht unter eines fromen Keisers namen ihre lügen auslassen. So sie ir gantzes lesterlichs schendlichs Wesen, stand, lere, leben und was sie sind und thun, alles unter dem namen Gottes und der heiligen Kirchen, angefangen und erhalten haben, nu bis über sechs hundert jar her. Aber der selbige unser lieber Gott wolte solcher lesterunge ein mal ein ende machen, und seinen Namen wider heiliegen, das sein -Reich auch ein mal kome und sein Wille geschehe, Amen, Amen. Und falle das lesterliche Bapsttumb und was dran henget in abgrund der Hellen, wie Johannes verkündigt in Apocalypsi, Amen. Sage wer ein Christ sein wil, Amen
In seine Replik auf den Augsburger Reichstagsabschied 1530 wehrt sich Luther gegen den Vorwurf altgläubiger Bischöfe und Kardinäle, dass es nur ihnen, aber nicht Luther zustehe, anerkannte Irrtümer der Papstkirche zu ändern und zu reformieren. Zu dem großen Werk der Reformation, so Luther in seiner Entgegnung, bedarf es der Berufung durch Gott, und nicht wie bei den Papisten der Suche nach eitler Ehre und Ruhm.
Ich aber, Doktor Martin Luther, bin dazu berufen und gezwungen, dass ich Doktor werden musste ohne mein Verdienst aus reinem Gehorsam. Da habe ich das Doktoramt annehmen und meiner allerliebsten Heiligen Schrift schwören und geloben müssen, sie treulich und lauter zu predigen und zu lehren. Aufgrund solcher Lehren ist mir das Papsttum in den Weg gefallen und wollte mich behindern. Darüber ist es ihm [dem Papsttum]auch ergangen wie augenscheinlich und soll es ihm noch ärger ergehen und soll sich meiner nicht erwehren. Ich will in Gottes Namen und mit seiner Berufung auf den Löwen und Ottern gehen, und den jungen Löwen und Drachen mit Füßen treten. Und das soll bei meinem Leben angefangen und nach meinem Tode ausgerichtet sein. Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem Gefängnis in Böhmen schrieb: Sie werden jetzt eine Gans braten, denn Hus heißt [in Tschechisch] Gans. Aber über hundert Jahre werden sie einen Schwan singen hören, den sollen sie leiden. Da solls auch bei bleiben so Gott will.
Martin Luther, Replik auf den Augsburger Reichstagsabschied 1531, WA 30 III, S. 321-388 [Auszüge]. Übertragung in Neuhochdeutsche von Reinhard Neebe. Online-Digitalisat siehe https://reformation.slub-dresden.de/autograph/martin-luthers-glosse-auf-das-vermeintliche-kaiserliche-edikt-1531/
Luther und der Schwan in der Hauptkirche St. Petri in Hamburg, 1603
Hauptkirche St. Petri vom Turm der St. Nikolaikirche aus gesehen. Foto: J. A. Steiger
In der Hauptkirche St. Petri hängt ein Ölgemälde, das im Jahre 1603 von Jacob Jacobs gest. 1618 geschaffen wurde. Das Bild zeigt Martin Luther mit einem Schwan. Der Reformator hält eine aufgeschlagene Bibel in der linken Hand und weist den Betrachter mit der rechten auf die Kernstelle Johannes 3,16: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." Das Gemälde steht in einer Bildtradition, die vor allem im norddeutschen Raum weite Verbreitung fand &ndash bis hin zu Schwänen als Wetterfahnen auf Kirchturmspitzen. Unter den überlieferten Luther-Schwan-Ölgemälden gilt das Hamburger Exemplar als das älteste. Das Bildmotiv führt den Betrachter zurück in die Reformationszeit und darüber hinaus in das Zeitalter der spätmittelalterlichen Kirchenreform.
Der Reformator selbst hatte die Anregung dazu gegeben, ihn im Medium Bild mit einem Schwan darzustellen. Denn Luther bezeichnete sich als Schwan, indem er Bezug nahm auf eine Prophezeiung, die der böhmische Reformator Jan Hus ca. 1370 - 1415 zu Beginn seiner Gefangenschaft in Konstanz Ende 1414 getätigt haben soll. 1531 schrieb Luther: "Sankt Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem Gefängnis in Böhmerland schrieb: "Sie werden jetzt eine Gans braten denn Hus heißt eine Gans. Aber über [= nach] hundert Jahren werden sie einen Schwan singen hören. Den sollen sie leiden. Da solls auch bei bleiben, ob Gott will."
Luther mit Schwan, Ölgemälde von Jacob Jacobs 1603. Foto: J. A. Steiger
Wichtige Impulse für die Begründung und die Verbreitung der Luther-Schwan-Bildtradition hat gewiss das Luther-Gedenken gegeben, das sich rasch nach des Reformators Tod entwickelte. Der Hamburger Reformator Johannes Bugenhagen griff in der Predigt, die er in Wittenberg zum Begräbnis Luthers hielt, eben dieses Motiv auf. Bugenhagens Christliche Predigt über der Leiche und Begräbnis des ehrwürdigen Doktors Martin Luther wurde 1546 erstmals gedruckt und fand durch eine wahre Flut von Neuauflagen äußerst weite Verbreitung. Bugenhagens Leichenpredigt dürfte so entscheidend zur Entwicklung des Luther-Schwan-Bildtypus beigetragen haben.
Bugenhagen stellt Luther in eine Traditionslinie mit Johann Hus, indem er sagt: "Aber ach, wie laufe ich so weit mit meiner Rede in diesem unserem Weinen und Betrübnis. Dies sei genug von unserem billigen [= rechtmäßigen] Trauern geredet. Denn wir trauern je billig, dass ein solcher teurer Mann, rechter Bischof und Seelenhirte von uns geschieden. Aber in diesem Betrübnis sollen wir auch billig erkennen Gottes Güte und Barmherzigkeit gegen uns und Gott danken, dass er hundert Jahre nach dem Tod des heiligen Johannes Hus welcher um der Wahrheit willen getötet worden ist im Jahre 1415 bald uns erweckt hat durch seinen Geist diesen teuren Doktor Martin Luther [...], wie denn Johannes Huss von einem künftigen Schwan selbst prophezeit hat vor seinem Tod. Denn Hus heißt auf Böhmisch eine Gans. Ihr bratet sagte Hus jetzt eine Gans. Gott wird aber einen Schwan erwecken, den werdet ihr nicht verbrennen noch braten. Und da sie gegen ihn viel schrien [...], soll er gesagt haben: Nach hundert Jahren will ich euch antworten. Das hat er redlich getan durch unseren lieben Vater Doktor Luther [...]."
Text: Johann Anselm Steiger
Luther mit Schwan, Gemälde von Jacob Jacobs, 1603
Luther mit Gans, Martinskirche in Lohra um 1700
Martin Luther, Supputatio annorum Mundi, 1541
In seiner "Supputatio annorum mundi" unternimmt Luther den Versuch, den Heilsplan Gottes noch ganz in der Tradition der mittelalterlichen christlichen Universalgeschichte zu entschlüsseln. Luthers weltgeschichtliche Chronologie geht von einer 6000jährigen Gesamtdauer der Welt aus (nach Psalm 90,4 und II Petr. 3,8). Je zweitausend Jahre vor dem Gesetz Mose (Millenarius Primus und Secundus), zweitausend Jahre unter dem Gesetz (Millenarius Tertius und Quartus), sowie zweitausend Jahre nach dem Erscheinen des Messias (Millenarius Quintus und Sextus). Für das Jahr 1540, den Zeitpunkt der Abfassung seiner Weltchronologie, hat Luther exakt das Jahr 5500 seit Beginn der Welt berechnet - danach dauere es noch 500 Jahre bis zum Ende der Welt im Jahre 2040. Jedoch werde das Millenarius Sextus nicht vollendet werden: Vielmehr sei das Ende der Welt bald zu erwarten (sperandus finis mundi, nam sextus Millenarius non est complebitur), genauso wie Chrístus nicht drei vollendete Tage tot war.
Vgl. Georg Selcorv, Luthers supputatio annorum mundi, in: Martin Wallraff (Hg.), Welt-Zeit. Christliche Weltchronik aus zwei Jahrtausenden, Berlin 2005, S. 126-129
Martin Luther, Supputatio annorum mundi, 1541 (Druck WA 53)
In seiner "Supputatio annorum mundi" unternimmt Luther den Versuch, den Heilsplan Gottes noch ganz in der Tradition der mittelalterlichen christlichen Universalgeschichte zu entschlüsseln. Luthers weltgeschichtliche Chronologie geht von einer 6000jährigen Gesamtdauer der Welt aus (nach Psalm 90,4 und II Petr. 3,8). Je zweitausend Jahre vor dem Gesetz Mose (Millenarius Primus und Secundus), zweitausend Jahre unter dem Gesetz (Millenarius Tertius und Quartus), sowie zweitausend Jahre nach dem Erscheinen des Messias (Millenarius Quintus und Sextus). Für das Jahr 1540, den Zeitpunkt der Abfassung seiner Weltchronologie, hat Luther exakt das Jahr 5500 seit Beginn der Welt berechnet - danach dauere es noch 500 Jahre bis zum Ende der Welt im Jahre 2040. Jedoch werde das Millenarius Sextus nicht vollendet werden: Vielmehr sei das Ende der Welt bald zu erwarten (sperandus finis mundi, nam sextus Millenarius non est complebitur), genauso wie Chrístus nicht drei vollendete Tage tot war.
Vgl. Georg Selcorv, Luthers supputatio annorum mundi, in: Martin Wallraff (Hg.), Welt-Zeit. Christliche Weltchronik aus zwei Jahrtausenden, Berlin 2005, S. 126-129
Handschrift der "Supputatio annorum mundi" von Martin Luther, 1541
Martin Luther hat diese "Annahme über die Zeitalter der Welt" eigenhändig verfasst, vermutlich zunächst zum privaten Gebrauch. Seine Supputatio wurde allerdings schon bald ebenfalls abgedruckt, s. den zugehörigen Ausstellungsraum .
Quelle: Luther, Martin, Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Bd. 53). Weimar 1920, S. 1ff.
Martin Luther, Chronica (Supputatio deutsch), gedruckt bei Hans Lufft, Wittenberg 1550
Luther als Endzeitprophet. Bewertung des Kirchenhistorikers Heiko A. Oberman, 2003
"Luther lebte nicht - wie Erasmus und Calvin - auf der Schwelle zur Moderne, sondern in der Endzeit (finis mundi): Er durchlebte die letzte Phase der Geschichte dieser Welt. Da ein scharfes Bewusstsein für die tickende Uhr heute nur noch in Randgruppen zu finden ist und mit den Argumenten historischer Gelehrsamkeit als jüdische Apokalyptik abgelehnt wird, haben Lutherforscher, um die Bedeutung ihres Helden zu sichern, diesen zentralen Brennpunkt seines Denkens und Handelns beiseite gedrängt. Da ihnen damit ein bedeutendes Element seiner authentischen Botschaft entging, ist es ihnen nicht gelungen, das Geheimnis der Wirkung Luthers zu lösen.
Das moderne Christentum, das mit großem Eifer die Ökumene verbreiten will, hat Himmel und Hölle dekonstruiert und sich damit noch weiter von Luther entfernt - von einem Menschen, der zwischen einem realen Gott und einem realen Teufel lebte. Jene, die Luthers Botschaft als Lektion für die Gegenwart verstehen, müssen einen gewaltigen Schritt zurück in die Vergangenheit machen, um seine wachsende Überzeugung, dass das Ende der Geschichte mit großer Schnelligkeit nahte, zu entdecken und in sich aufzunehmen. Empfinden die Gelehrten die Vorstellung des realen Teufels als Peinlichkeit, so begegnen sie Luthers Glauben, dass die Welt sich in ihrer Endphase befand (eine Überzeugung, die Luther mit Amos, Sacharja, Jesus, Petrus, Paulus und all jenen teilte, die die Zukunft eher in Monaten denn in Jahrhunderten maßen), mit vollkommenem Schweigen. In bester Absicht und zweifellos unbewusst haben selbst die hervorragendsten Lutherforscher seine apokaqlyptische Stimme zum Schweigen gebracht."
Heiko A. Oberman, Zwei Reformationen. Luther und Calvin - Alte und Neue Welt, Berlin 2003, S. 115-16


Tafel 4: Martin Luthers "Thesenanschlag" 1517
Am 31. Oktober 1517 wendet sich der Augustinermönch Martin Luther, ein bis dahin weithin unbekannter Doktor der Theologie zu Wittenberg, in einem Sendbrief an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg. Darin beklagt Luther die falschen Verheißungen der Ablassprediger und bittet um Abhilfe dieses Übels: So glaube das arme, einfältige Volk, dass die Seele ohne Verzug aus dem Fegefeuer fahre, wenn es nur Ablassbriefe löse und das Geld dafür in den Kasten lege. Auch Reue und Buße hätten die nicht nötig, die den Ablass erwürben. Dem respektvollen Brief an den Erzbischof beigefügt sind jene weltberühmt gewordenen Sprüche vom Ablass, die 95 Thesen. Dass Luther selbst die Thesen mit Hammerschlägen an die Wittenberger Schlosskirche geschlagen habe, ist eher spätere Legende als historische Realität. Zutreffend ist allerdings, dass mit den 95 Thesen der lutherische Aufruhr in Deutschland beginnt, der die Reformation einleitet und schließlich in eine Loslösung der Protestanten von der römisch-katholischen Kirche mündet.
Die Herausbildung der neuen evangelischen Lehre ist kein einmaliger "theologischer Durchbruch", sondern vollzieht sich in einem allmählichen Prozess zunächst noch innerhalb der Kirche: Kernpunkt der reformatorischen Theologie ist für Luther die Rechtfertigungslehre, wonach der bußfertige Mensch allein durch die Gnade Gottes (sola gratia) und allein durch den Glauben (sola fide) Vergebung der Sünden erlangen und der ewigen Verdammnis entgehen kann. In seinen reformatorischen Hauptschriften von 1520 (An den christlichen Adel deutscher Nation u.a.) postuliert Luther schließlich das "Priestertum aller Getauften", eine wahrhaft revolutionäre Wendung: Nicht mehr der geistliche Stand, die Kleriker und die römische Amtskirche sind die sakramentalen Mittler zwischen Mensch und Gott, sondern der einzelne Gläubige selbst kann seinen Weg unmittelbar zu Gott finden. Den richtigen Zugang eröffnet allein das in der Heiligen Schrift offenbarte Evangelium (sola scriptura), und nicht etwa Lehrsätze der Päpste oder Beschlüsse der Konzilien. Im Papst selbst erkennt Luther schließlich den "Antichristen", den apokalyptischen Gegenspieler vor der Wiederkunft Christi. Damit ist bereits 1519/20 der Bruch mit Rom und der Autorität des Papsttums vollzogen.
Erzbischof Albrecht von Mainz gibt Anweisungen für den Ablaß, ca. 1517
Albrecht von Brandenburg, Erzbischof und Mainz, weist in diesem Schreiben seine Untergebenen an, wie der Vertreib des Jubelablasses zum Zwecke der Finanzierung des Neubaus der Peterskirche in Rom zu gestalten sei. Allerdings nutzte Bischof Albert einen bedeutenden Teil der Ablaßeinnahmen, um Schulden bezahlen zu können. Das Schreiben an die Ablaßprediger, die »Instructio Summaria«, las später auch Luther, der daraufhin in einem Brief vom 31. Oktober 1517, dem er seine 95 Thesen anhängte, Bischof Albrecht bat, seine im folgenden Schreiben gegebenen Anweisungen an die Ablaßpredigen zurückzuziehen.
Die erste Gnade ist die vollkommene Vergebung [plenaria remissio] aller Sünden; und es kann gewiß nichts größer genannt werden als diese Gnade, weil der Mensch, der in Sünden lebt und der göttlichen Gnade beraubt ist, durch sie vollkommene Vergebung und Gottes Gnade von neuem erlangt. Durch diese Vergebung der Sünden werden ihm auch die Strafen, die er wegen Beleidigung der göttlichen Majestät im Fegefeuer büßen müßte, vollkommen erlassen, und die Strafen des genannten Fegefeuers gänzlich getilgt. Und obwohl nichts dafür gegeben werden könnte, was würdig genug wäre, eine solche Gnade zu verdienen [ad tantam gratiam promerendam], da Gottes Gabe und Gnade jede Berechnung übersteigt, setzen wir doch folgenderweise die Ordnung fest, damit die christgläubigen um so leichter zu ihrer Erwerbung eingeladen werden:
Erstens: Ein jeder, der im Herzen zerknirscht ist und mit dem Munde gebeichtet hat [contritus atque confessus], oder die aufrichtige Intention hat, zu gehöriger Zeit zu beichten, soll wenigstens sieben Kirchen besuchen, die hierfür bestimmt sind, nämlich in denen die Wappen des Papstes aufgehängt sind; und in jeder Kirche soll er andächtig fünfmal das Vaterunser und fünfmal das Ave Maria beten zu Ehren der fünf Wunden unseres Herrn Jesus Christus, durch den unsere Erlösung geschehen ist, oder einmal das Miserere [Ps 51] —, dieser Psalm paßt [nämlich] sehr gut, Vergebung der Sünden zu erlangen...
Vor allem müssen die Ablaßverkäufer [poenitentiarii] und Beichtväter [confessores], nachdem sie den Beichtenden die Größe dieser vollkommenen Nachlassung und ihrer Wirkungen erklärt haben, sie fragen, für wieviel Beitrag, Geld oder andere zeitliche Güter sie nach ihrem Gewissen die genannte vollkommene Nachlassung mit ihren Wirkungen nötig zu haben meinen - dies darum, damit sie darauf die Leute um so leichter zum Zahlen bewegen können. Und da die Zustände der Menschen allzu mannigfaltig und verschieden sind, daß wir sie nicht erwägen und so bestimmte Taxen auferlegen können, so schien uns, daß solche Taxen im allgemeinen [communi cursu] folgenderweise unterschieden werden können:
Die Könige und Königinnen sowie ihre Kinder, die Erzbischöfe und Bischöfe sowie andere große Fürsten, die sich in die Orte begeben, in denen das Kreuz aufgestellt ist, oder sonst dort befinden, sollen mindestens 25 rheinische Goldgulden bezahlen. Die Äbte und großen Prälaten der Kathedralkirchen, Grafen, Barone und andere mächtige Edelleute und ihre Frauen sollen jeweils 10 dergleichen Goldgulden zahlen. Andere Prälaten und kleinere Edelleute, wie auch die Rektoren berühmter Orte, und alle anderen, die, sei es von beständigen Einkünften, sei es von Kaufhandel, durchschnittlich im Jahr 500 dergleichen Goldgulden Einkommen haben, sollen 6 rhein. Goldgulden zahlen. Andere Bürger und Kaufleute, die durchschnittlich 200 Goldgulden einnehmen, sollen 3 rhein. Goldgulden zahlen. Andere Bürger, Kauf- und Handwerksleute, die eigene Einkünfte und Familie haben, sollen einen solchen Gulden zahlen. Andere kleinere Leute einen halben solchen Gulden... Und diejenigen, die kein Vermögen haben, sollen mit Gebet und Fasten ihren Beitrag ergänzen; denn das Himmelreich darf den Reichen nicht mehr als den Armen offenstehen...
Die zweite besondere Gnade ist der Beichtbrief [confessionale], voll von überaus großen und tröstlichen und bisher ungekannten Wirkungen, der, auch nachdem die acht Jahre unserer Bulle zu Ende gegangen sind, allezeit seine Kraft und Geltung behalten wird... Seinen Inhalt sollen die Prediger und Beichtväter mit allen Kräften erläutern und preisen. Es wird im Beichtbrief denen, die ihn kaufen gewährt:
Die Berechtigung, einen geeigneten Beichtvater zu wählen, auch aus den Bettelorden, der 1. sie vor allen Dingen von allen Kirchenstrafen, auch von den von Menschen auferlegten, mit dem Konsensus der Parteien absolvieren soll; 2. von allen schwersten Verbrechen, auch von denen, deren Lossprechung dem Apostolischen Stuhl vorbehalten sind, einmal im Leben und in der Todesstunde; 3. in den Fällen, die dem Apostolischen Stuhl nicht vorbehalten sind, so oft man ein Verbrechen begangen hat [totiens quotiens]; der 4. einmal im Leben und in der Todesstunde, so oft sie zu nahen droht, auch wenn der Tod dann nicht eintritt, den vollkommenen Ablaß aller Sünden geben kann; der 5. jegliche Gelübde (nur die Gelübde ausgenommen, mit denen einer feierlich gelobt hat, ins Heilige Land zu reisen, die Apostel in Rom zu besuchen oder zum heiligen Jakob nach Compostella zu wallen oder ein Mönch zu werden und in Keuschheit zu leben) in andere Werke der Frömmigkeit umwandelt; der ihnen 6. das Sakrament des Altars außer am Ostertag und in der Todesstunde zu jeder Jahreszeit spenden kann.
Die dritte besondere Gnade ist die Teilhabe [participatio] an allen Gütern der ganzen Kirche, welche darin besteht, daß die Ablaßkäufer für den genannten Bau und ihre verstorbenen Eltern, welche in Liebe [= im Stand der Gnade] gestorben sind, von nun an und in Ewigkeit teilhaben werden an allen Bitten, Fürbitten, Almosen, Fasten, Gebeten, an allen und jeden Wallfahrten, auch an denen in das Heilige Land, an den Stationen in Rom, an den Messen, Stundengebeten, Bußübungen und allen übrigen geistlichen Gütern, welche in der allgemeinen, allerheiligsten, kämpfenden Kirche und von allen ihren Gliedern geschehen und geschehen können. Dieser Dinge werden die Gläubigen dann teilhaftig, wenn sie Beichtbriefe kaufen. Über diese Wirkung müssen die Prediger und Beichtväter mit größtem Fleiß ausführlich reden und den Gläubigen Zureden, daß sie diese [Teilhabe] mit dem Beichtbrief zu kaufen nicht unterlassen mögen.
Wir erklären auch, daß zur Erlangung dieser letzten zwei vornehmlichen Gnaden nicht nötig sei zu beichten oder die Kirchen und Altäre zu besuchen, sondern nur den Beichtbrief zu kaufen...
Die vierte vornehmliche Gnade ist eine vollkommene Vergebung aller Sünden für die Seelen, die im Fegefeuer sind. Diese Vergebung schenkt und gewährt der Papst den Seelen, die sich im Fegefeuer befinden, fürbittweise [per modum suffragii], nämlich auf diese Art: daß für sie eine Einlage in den Kasten durch lebende Personen geschehe, die sie für sich zu geben oder aufzubringen hätten. Jedoch ist es unser Wille, daß bei einer solchen Einlage für Tote die Leitung durch unsere Subkommissare und durch diejenigen, die sie mit der Leitung besonders beauftragen/ geschehe. Auch ist nicht nötig, daß die Personen, die für die Seelen in den Kasten legen, im Herzen zerknirscht sind und mit dem Munde gebeichtet haben, da diese Gnade sich nur auf die Liebe, worin der Verstorbene abgeschieden ist, und auf die Einlegung des Lebenden gründet, wie aus dem Text der Bulle deutlich. Auch sollen sich die Prediger aufs fleißigste bemühen, diese Gnade kräftig zu verkündigen, weil durch sie den abgeschiedenen Seelen ganz gewiß zu Hilfe gekommen und dem Werk des Kirchenbaues des heiligen Petrus sehr ergiebig und überreichlich geholfen wird.
Quelle: Oberman, Heiko A., Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Neukirchen 1981, 12-15.
Gedrucktes Formular auf Pergament mit handschriftlichen Eintragungen.
Der unmittelbare Anlas für Luthers 95 Thesen und damit das auslösende Ereignis für die Reformation war der Ablasshandel des Erzbischofs Albrecht von Mainz. Ablass ist ursprünglich die Minderung oder der Erlass öffentlicher, zeitlich befristeter Kirchenstrafen, bei denen eine Bußleistung gefordert war. Seit dem Spätmittelalter war es möglich, die Bußleistung durch eine Geldzahlung für fromme Zwecke abzulösen. Damit wurde der Ablass zu einem Instrument der päpstlichen Finanzpolitik. Als solches wurde er im Zusammenspiel zwischen der Kurie und Erzbischof Albrecht eingesetzt. Albrecht ließ in seinen Erzdiözesen Mainz und Magdeburg den päpstlichen St. Peters-Ablass verkünden; von den Erlösen durfte er die Hälfte zur Tilgung der Kredite, die er zur Erlangung seiner geistlichen Würden bei den Fugger in Augsburg aufgenommen hatte, behalten, die andere Hälfte ging nach Rom, um dort den Bau der Peterskirche zu finanzieren.
Bei der Vermarktung des Ablasses, von der in der Tat gesprochen werden kann, wurde eine Absatzstrategie entwickelt, die sich auch des modernen Mediums des Druckes bediente. Der Beicht- oder Ablassbrief war nicht mehr eine individuell angefertigte und ausgestellt Urkunde wie z. B. die für das Kloster Ahnaberg 1336 (Nr. 17 in Vitrine 4), sondern ein schmuckloser Massenartikel, ein Kleindruck auf schlechtem Pergament mit einheitlichem Formular, in das nur noch der Name des Erwerbers eingetragen werden musste.
Von den Ablasszetteln des St. Peters-Ablasses sind nur wenige erhalten, obgleich sie in unglaublicher Menge verkauft wurden. Die Auflagenhöhe für Mainz ist nicht bekannt, aber für die viel kleinere Diözese Utrecht wird sie mit ca. 20.000 angenommen. Da fast alle Exemplare in private Hand gelangten und vor allem in den bald danach reformierten Gebieten nicht als Aufbewahrungswürdig galten, sind nur ganz wenige davon erhalten, meist nur als Fragment, das für Bucheinbände verwendet worden war. Vollständig erhaltene wie das hier gezeigte sind sehr selten. Es stimmt im Formular, aber nicht im Druckort mit zwei anderen bekannten Exemplaren (in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und im Stadtarchiv Mühlhausen) überein. (Fritz Wolff)
Literatur:
Fritz Wolff, Luther in Marburg [Katalog zur Austellung des Hess. Staatsarchivs Marburg anläßlich des 500. Geburtstages von Martin Luther, 21. 10. - 1. 12. 1983 / Marburger Reihe 19, 1983], S. 9.
H. Schneider, Die Ablaßkampagne Albrechts von Mainz [...], in: Hessen und Thüringen. Von den Anfängen bis zur Reformation. Eine Ausstellung des Landes Hessen. Katalog Marburg und Wiesbaden 1992, S. 267 f.
Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490-1545), Porträt von Lucas Cranach d.Ä., o.J.
Luther schlägt die Thesen an. Gemälde von Ferdinand Pauwels, 1871
Luther an Spalatin, Kritik an Erasmus, 19. Oktober 1516
Was mir an Erasmus, dem hochgelehrten Manne, nicht gefällt, ist dies, lieber Spalatin, dass er bei Erklärung des Apostels (Paulus) unter Gerechtigkeit der Werke, bzw. des Gesetzes, bzw. der eigenen Gerechtigkeit (so nennt sie nämlich der Apostel) die Beobachtung der Zeremonial- und formalen Gesetze versteht. Ferner behauptet er auch, der Apostel wolle von der Erbsünde (die er allerdings zugibt) Römer 5 nicht deutlich reden. Wenn er die Werke Augustins lesen würde, die er gegen die Pelagianer geschrieben hat [...] und sehen würde, dass dieser nichts aus eigener Weisheit, sondern aus der der hervorragendsten Väter schöpft [...], so würde er vielleicht nicht nur den Apostel richtig verstehen, sondern auch einsehen, dass Augustin einer höheren Wertschätzung würdig sei, als er bisher geglaubt hat.
Ich trage keine Bedenken, von Erasmus darin abzuweichen, dass ich Hieronymus dem Augustin, was die Auslegung der Schrift angeht, so weit hintanstelle, wie er den Augustin überall dem Hieronymus hintanstellt. Nicht dass ich aus Eifer für meinen Orden Augustin zu loben veranlasst wäre, welcher, ehe ich über seine Werke geriet, nicht das geringste Ansehen bei mir hatte; sondern weil ich sehe, dass Hieronymus auf ein historisches Verständnis hinauswill, und, worüber man sich noch mehr wundern muss, die Schrift zutreffender erklärt, wenn er kurz darüber hingeht, wie zum Beispiel in Briefen, als wenn er sie eindringlich behandelt, wie in seinen Werken.
Auf keine Weise besteht demnach die Gerechtigkeit des Gesetzes oder der Werke bloß in Zeremonien, sondern vielmehr richtiger in den Werken der ganzen Zehn Gebote. Wenn diese ohne den Glauben an Christus vollbracht werden, so schmecken sie, wenn sie gleich [...] überaus rechtschaffene Leute vor den Menschen machen, dennoch nicht mehr nach der Gerechtigkeit, als die Vogelbeeren nach Feigen. Denn nicht, wie Aristoteles meint, werden wir dadurch gerecht, dass wir gerecht handeln, auch nicht durch Heuchelei, sondern (um es so zu sagen) durch Gerechtwerden und -sein tun wir gerechte Werke. Erst muss man sich selbst ändern, danach (folgen) die Werke. Zuerst ist Abel vor Gott angenehm, danach sein Opfer. Aber darüber ein ander Mal.
[*] Bitte, erweise mir als Freund und Christ den Gefallen und benachrichtige den Erasmus davon, von dessen Ansehen ich hoffe und wünsche, dass es recht allgemein werden möge. Aber ich fürchte, dass viele ihn zum Patron einer blos buchstäblichen, innerlich toten Auffassung der Schriftworte machen. Denn du könntest mich dreist nennen, weil ich an so grossen Männern Kritik übe, wenn du nicht wüsstest, dass es mir um die Theologie und das Heil der Brüder zu tun ist. [...]
Spalatin richtete am 11. Dezember 1516 einen entsprechenden Brief an Erasmus, in dem er die Wünsche und Bedenken Luthers fast wörtlich mitteilte. Eine Antwort des Erasmus ist nicht erhalten. Der direkten Schriftwechsel mit Erasmus eröffnete Luther erst mit seinem Brief vom 28. März 1519.
Zusammengestellt nach Kurt Aland (Hg.), Luther Deutsch, Bd. 10, S. 17-18 [WA Briefe 1, 70. Nr. 27. Lateinisch] sowie Max Richter, Desiderius Erasmus und seine Stellung zu Luther, Leipzig 1907, S. 6, ab [*]
QUAESTIO DE VIRIBUS ET VOLUNTATE HOMINIS SINE GRATIA DISPUTATA 1516
DISPUTATIONSFRAGE ÜBER DIE KRÄFTE UND DEN WILLEN DES MENSCHEN OHNE GNADE 1516
Disputationen: Unter dem Vorsitz des hervorragenden Mannes Martin Luther, Augustiner, Magister der Freien Künste und der Theologie, wird am nächsten Freitag um 7 Uhr [25.09.1516] über nachstehende Frage disputiert werden: „Ob der Mensch, zum Bilde Gottes erschaffen, aus seinen natürlichen Kräften die Gebote Gottes des Schöpfers halten oder irgendetwas Gutes tun oder denken und sich mit Hilfe der Gnade verdient machen und die Verdienste erkennen kann?”
[…]
ZWEITE THESE
DER MENSCH, AUSGESCHLOSSEN AUS DER GNADE GOTTES, KANN SEINE [GOTTES] VORSCHRIFTEN IN KEINER WEISE HALTEN UND SICH NICHT, SEI ES IM UNEIGENTLICHEN SINN, SEI ES IM EIGENTLICHEN SINN, FÜR DIE GNADE VORBEREITEN, SONDERN BLEIBT NOTWENDIGERWEISE UNTER DER SÜNDE.
Der erste Teil der These ergibt sich aus jenem [Wort] des Apostels [Paulus] Röm 8 [richtig: Röm 13]: „Die Erfüllung des Gesetzes ist die Liebe”, „das Wissen bläht auf, die Liebe aber baut auf'. Ebenso: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.” Wo St. Augustinus diese Worte behandelt, sagt er: „Die Schrift des Gesetzes [richtig: Das Wissen vom Gesetz] ohne Liebe bläht auf, baut nicht auf.” Und wenig später: „Die Erkenntnis des Gesetzes macht deshalb einen hochmütigen Pflichtverletzer, durch die Gabe der Liebe aber findet er Gefallen daran, ein Täter des Gesetzes zu sein.” Und an vielen Stellen sagt er: „Das Gesetz ist gegeben, damit die Gnade gesucht werde, die Gnade ist gegeben, damit das Gesetz erfüllt werde.”
Den anderen Teil zeigt St. Augustinus an vielen Stellen auf. Es wird genug sein, nur einige anzuführen. Joh 15: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.” Desgleichen: „Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht von meinem Vater gegeben wird.” Der Apostel [Paulus sagt] 1Kor 4: „Was hast du denn, das du nicht empfangen hast?” Und durch viele andere [Stellen] des Neuen und Alten Testaments wird schlüssig so gelehrt, am meisten durch den Propheten Hesekiel, wo Gott geradezu sagt, er lasse sich durch keine guten Verdienste der Menschen veranlassen, sie gut zu machen, als gehorchten sie seinen Geboten; sondern vielmehr vergelte er ihnen Gutes für Böses und tue dies um seiner selbst willen, nicht um ihretwillen. Er sagt nämlich: „Das sagt der Herr dein Gott: ,Das werde ich dem Haus Israel um meines heiligen Namens willen tun, den ihr entheiligt habt unter den Heiden'.” Und nach vielen Worten des Propheten folgt: „Nicht euretwegen tue ich das, spricht Gott der Herr, damit ihr es nur wisst.” Aus diesen [Aussagen] allen [folgert] St. Augustinus, der Verteidiger der Gnade, zusammen mit dem heiligsten Apostel, dem Prediger der Gnade, dass es nicht an des Menschen Wollen und Laufen liege, sondern am Erbarmen GOTTES, der Strafe nur auferlegt, wenn sie verdient ist, Erbarmen hingegen nur, wenn es unverdient ist. Folglich werden Verdienste, die der Gnade vorangehen, hinfällig und nichts sein. Notwendigerweise bleibt also der Mensch ohne Gnade ein Sohn des Zornes, weil es allein die Söhne GOTTES sind, die vom Geist GOTTES getrieben werden.
ERSTER ZUSATZ
DER WILLE DES MENSCHEN, OHNE DIE GNADE, IST NICHT FREI, SONDERN DIENT ALS KNECHT, FREILICH NICHT WIDER WILLEN.
Das ergibt sich aus jenem [Wort] Röm 7 [richtig: Joh 8]: „Jeder, der Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde.” Der Wille ohne Gnade sündigt, ist also nicht frei. Das ergibt sich auch aus dem Wort des Heiligen Evangelisten, wo Christus sagt: „Wenn euch der Sohn frei macht, werdet ihr wirklich frei sein.” Daher sagt Augustinus: „Was gibst du ein freies Willensvermögen vor, das zum Tun der Gerechtigkeit nicht frei sein wird, wenn du nicht ein ,Schaf` geworden bist? Wer also die Menschen zu ,Schafen` macht, der befreit auch die menschlichen Willen zum Gehorsam der Gottesfurcht.” Dennoch dient er nicht wider Willen, sondern willentlich als Knecht. Das ergibt sich auch durch Augustinus' Buch 1 gegen die Pelagianer, wo er sagt: „Er wird nicht frei zum Guten sein, weil die Befreiung [ihn] nicht befreit hat, sondern zum Bösen hat er ein freies Willensvermögen, zur Freude an der Schlechtigkeit, wenn er, sei es heimlich, sei es öffentlich, durch Verführung dienstbar wird oder wenn er sich selbst dazu überredet hat.” Im 2. Buch gegen Julianus [sagt] Augustinus: „Ihr wollt, dass der Mensch vollkommen werde - ach, dass [ihr es wolltet] durch die Gabe Gottes und nicht durch das freie - richtiger: geknechtete - Entscheidungsvermögen des Willens!”
ZWEITER ZUSATZ
WENN DER MENSCH TUT,.WOZU ER IN DER LAGE IST, SÜNDIGT ER, DA ER AUS SICH SELBST [GUTES] WEDER WOLLEN NOCH DENKEN KANN.
Der Zusatz ergibt sich, „weil ein schlechter Baum nur schlechte Früchte hervorbringen oder machen kann”, Mt 7. Wenn die Gnade ausgeschlossen ist, ist der Mensch aber, wie St. Augustinus an vielen Stellen [sagt], ein schlechter Baum. Folglich, was er auch tut - er gebrauche seine Vernunft auf beliebige Weise, er bringe Handlungen hervor, befehle und tue Handlungen - ohne den Glauben, der durch die Liebe wirkt, sündigt er immer.
[…]
Martin Luther. Lateinisch-deutsche Studienausgabe, Bd. 1, Leipzig 2006, S. 5-11 [WA 1,145/StA 1,1551]
Martin Luther an Johann Lang1, Augustinus versus Aristoteles, 18. Mai 1517
Unter Gottes Beistand machen unsere Theologie und Sankt Augustin gute Fortschritte und herrschen an unserer Universität. Aristoteles steigt nach und nach herab und neigt sich zum nahe gerückten ewigen Untergang. Auf erstaunliche Weise werden die Vorlesungen über die Sentenzen2 verschmäht, so dass niemand auf Hörer hoffen kann, der nicht über diese Theologie, d.h. über die Bibel, über Sankt Augustin oder über einen anderern Lehrer von kirchlicher Autorität lesen will. Gehab dich wohl und bete für mich.
1 Johann Lang (1486/88-1548) Augustinereremit, 1511-1516 Professor in Ethik in Wittenberg, danach in Erfurt
2 Die Sentenzensammlung des Petrus Lombardus (1095-1160) war das Standardlehrbuch der scholastischen Theologie
Zit. nach Volker Leppin, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 32
Luther übersendet dem Mainzer Erzbischof Kardinal Albrecht seine "Streitsätze" mit den 95 Thesen in "treuer Ergebenheit" und begründet seine Kritik am Ablasshandel.
Martin Luther, An den Erzbischof Kardinal Albrecht von Mainz, 31. Oktober 1517
Gottes Gnade und Barmherzigkeit zuvor! Hochwürdigster Vater in Christo, durchlauchtigster Kurfürst! Eure Kurfürstliche Gnaden halten mir gnädiglich zugute, daß ich, der geringste und unwerteste unter allen Menschen, vermessen daran zu denken wage, einen Brief an Ew. Hochwürden zu schreiben. Der Herr Jesus ist mein Zeuge, daß ich, meiner Armseligkeit und Jämmerlichkeit mir wohl bewußt, lange aufgeschoben habe, was ich jetzt mit unverschämter Stirn tue; denn es zwang und verpflichtete mich dazu mit aller Gewalt meine treue Ergebenheit, die ich, hochwürdigster Vater in Christo, Ew. Kurfürstlichen Gnaden zu leisten mich schuldig erkenne. Darum haltet Euch nicht zu gut, ein gnädig Auge auf mich zu haben, der ich Erde und Asche bin, und mein Begehr nach Eurer bischöflichen Gnade zu deuten.
Es wird im Land umhergeführt der päpstliche Ablaß unter Ew. Kurfürstlichen Gnaden Namen zum Bau von Sankt Peter. Ich will dabei gar nicht über der Ablaßprediger großes Geschrei Klage führen, das ich nicht gehört habe. Aber ich beklage die falsche Auffassung, die das arme, einfältige, grobe Volk daraus entnimmt und die jene Prediger allenthalben marktschreierisch rühmen. Denn die unglücklichen Seelen glauben infolgedessen, wenn sie nur Ablaßbriefe lösen, seien sie ihrer Seligkeit sicher; weiter glauben sie, daß die Seelen ohne Verzug aus dem Fegefeuer fahren, sobald man für sie in den Kasten einlege; diese Ablaßgnade sei ferner so kräftig, daß keine Sünde so groß sein könne, daß sie nicht erlassen und vergeben werden könnte, und hätte einer selbst (das sind ihre Worte) die Mutter Gottes geschändet; endlich soll der Mensch durch diesen Ablaß frei und los werden von aller Pein und Schuld.
Ach, lieber Gott, so werden die Eurer Sorge anvertrauten Seelen, teurer Vater, zum Tode unterwiesen, und so wächst immer die schwere Verantwortung, die Ihr über sie alle werdet ablegen müssen. Darum habe ich nicht länger davon schweigen können. Denn der Mensch wird durch keines Bischofs Geschenk seiner Seligkeit gewiß, da er ihrer ja nicht einmal durch das Geschenk der göttlichen Gnade versichert wird; vielmehr befiehlt uns der Apostel, allezeit mit Furcht und Zittern an unserm Heile zu arbeiten, und auch der Gerechte wird kaum gerettet werden. Endlich ist der Weg, der zum Leben führt, so enge und schmal, daß der Herr, durch die Propheten Amos und Zacharias die, so da selig werden, nennt einen Brand, der aus dem Feuer gerissen wird, und daß der Herr überall die Schwierigkeit der Erlösung betont.
Warum machen sie also durch falsche Fabeln und Verheißungen vom Ablaß das Volk sicher und ohne Furcht, wo doch der Ablaß den Seelen nichts nützt zu ihrem Heil oder ihrer Heiligkeit, sondern nur die äußerliche Pein wegnimmt, die ehemals nach den Canones auferlegt zu werden pflegte?
Endlich sind die Werke der Gottseligkeit und Liebe unendlich viel besser denn der Ablaß, und doch predigt man sie weder mit solcher Pracht, noch mit so großem Fleiß, ja der Ablaßpredigt zuliebe wird von ihnen geschwiegen, und doch ist es aller Bischöfe vornehmliches und alleiniges Amt, zu sorgen, daß das Volk das Evangelium und die Liebe Christi lerne. Nirgends hat Christus befohlen, den Ablaß zu predigen; aber das Evangelium zu predigen hat er nachdrücklich befohlen. Welche Schande für einen Bischof, und überdies, wie gefährlich ist es für ihn, wenn er für das Evangelium kein Wort übrig hat und bloß den Ablaßlärm in sein Volk ausgehen läßt und sich darum mehr bekümmert als um das Evangelium! Wird nicht Christus zu ihnen sagen: „Ihr seihet Mücken und verschluckt Kamele“?
Ja noch mehr, hochwürdigster Vater in dem Herrn. In der Instruktion der Kommissare, die unter Eurem Namen ausgegangen ist, heißt es - ohne Zweifel, hochwürdigster Vater, ohne Euer Wissen und Euren Willen - „eine der vornehmsten Gnaden sie dieses unschätzbare Geschenk Gottes, dadurch der Mensch mit Gott versöhnt und alle Strafen des Fegfeuers ausgetilgt werden“; auch Reue hätten die nicht nötig, die Ablaß oder Beichtprivilegien erwürben.
Hochwürdigster Bischof und durchlauchtigster Kurfürst! So bitte ich denn Euer Hochwürden durch den Herrn Jesum Christum, doch die Sache Eurer väterlichen Sorge und Aufmerksamkeit zu würdigen, das genannte Büchlein völlig zu beseitigen und den Ablaßpredigern eine andere Predigtweise zu befehlen. Sonst könnte schließlich jemand aufstehen und etwas veröffentlichen, was jene Leute und jenes Büchlein widerlegte, zur höchsten Schmach Eurer durchlauchtigsten Hoheit. Davor aber bange ich gar sehr, und doch muß ich es besorgen, wo der Sache nicht eilend Rat wird.
Diesen treuen Dienst meiner Armseligkeit wollen Ew. durchlauchtigste Gnaden würdigen, ebenso fürstlich und bischöflich, das heißt huldvoll, anzunehmen, wie ich ihn in Treue und ganzer Ergebenheit gegen Ew. Hochwürden erzeige. Denn auch ich bin ein Schäflein Eurer Herde. Der Herr behüte und bewahre Ew. Hochwürden in Ewigkeit. Amen. Wittenberg am Abend vor Allerheiligen im Jahre 1517.
So es Ew. Hochwürden gefällig ist, könnt ihr meine beiliegenden Streitsätze ansehen und daraus ersehen, wie ungewiß die Auflassung des Ablasses ist, obwohl die Ablaßprediger sich einbilden, sie wäre ganz ausgemacht.
Euer unwürdiger Sohn
Martinus Luther, Augustiner, berufener Doktor
der h. Theologie
Quelle: Alfred Läpple, Kirchengeschichte in Dokumenten, Düsseldorf 1969 (dt. Übersetzung).
Lat. Originaltext in WAB 1, 1930
Die 95 Thesen
Martin Luther: Die 95 Thesen
Aus Liebe zur Wahrheit und in dem Bestreben, diese zu ergründen, soll in Wittenberg unter dem Vorsitz des ehrwürdigen Vaters Martin Luther, Magisters der freien Künste und der heiligen Theologie sowie deren ordentlicher Professor daselbst, über die folgenden Sätze disputiert werden. Deshalb bittet er die, die nicht anwesend sein und mündlich mit uns debattieren können, dieses in Abwesenheit schriftlich zu tun. Im Namen unseres Herrn Jesu Christi, Amen.
- Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: "Tut Buße" usw. (Matth. 4,17), hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.
- Dieses Wort kann nicht von der Buße als Sakrament - d. h. von der Beichte und Genugtuung -, die durch das priesterliche Amt verwaltet wird, verstanden werden.
- Es bezieht sich nicht nur auf eine innere Buße, ja eine solche wäre gar keine, wenn sie nicht nach außen mancherlei Werke zur Abtötung des Fleisches bewirkte.
- Daher bleibt die Strafe, solange der Haß gegen sich selbst - das ist die wahre Herzensbuße - bestehen bleibt, also bis zum Eingang ins Himmelreich.
- Der Papst will und kann keine Strafen erlassen, außer solchen, die er auf Grund seiner eigenen Entscheidung oder der der kirchlichen Satzungen auferlegt hat.
- Der Papst kann eine Schuld nur dadurch erlassen, daß er sie als von Gott erlassen erklärt und bezeugt, natürlich kann er sie in den ihm vorbehaltenen Fällen erlassen; wollte man das geringachten, bliebe die Schuld ganz und gar bestehen.
- Gott erläßt überhaupt keinem die Schuld, ohne ihn zugleich demütig in allem dem Priester, seinem Stellvertreter, zu unterwerfen.
- Die kirchlichen Bestimmungen über die Buße sind nur für die Lebenden verbindlich, den Sterbenden darf demgemäß nichts auferlegt werden.
- Daher handelt der Heilige Geist, der durch den Papst wirkt, uns gegenüber gut, wenn er in seinen Erlassen immer den Fall des Todes und der höchsten Not ausnimmt.
- Unwissend und schlecht handeln diejenigen Priester, die den Sterbenden kirchliche Bußen für das Fegefeuer aufsparen.
- Die Meinung, daß eine kirchliche Bußstrafe in eine Fegefeuerstrafe umgewandelt werden könne, ist ein Unkraut, das offenbar gesät worden ist, während die Bischöfe schliefen.
- Früher wurden die kirchlichen Bußstrafen nicht nach, sondern vor der Absolution auferlegt, gleichsam als Prüfstein für die Aufrichtigkeit der Reue.
- Die Sterbenden werden durch den Tod von allem gelöst, und für die kirchlichen Satzungen sind sie schon tot, weil sie von Rechts wegen davon befreit sind.
- Ist die Haltung eines Sterbenden und die Liebe (Gott gegenüber) unvollkommen, so bringt ihm das notwendig große Furcht, und diese ist um so größer, je geringer jene ist.
- Diese Furcht und dieser Schrecken genügen für sich allein - um von anderem zu schweigen -, die Pein des Fegefeuers auszumachen; denn sie kommen dem Grauen der Verzweiflung ganz nahe.
- Es scheinen sich demnach Hölle, Fegefeuer und Himmel in der gleichen Weise zu unterscheiden wie Verzweiflung, annähernde Verzweiflung und Sicherheit.
- Offenbar haben die Seelen im Fegefeuer die Mehrung der Liebe genauso nötig wie eine Minderung des Grauens.
- Offenbar ist es auch weder durch Vernunft- noch Schriftgründe erwiesen, daß sie sich außerhalb des Zustandes befinden, in dem sie Verdienste erwerben können oder in dem die Liebe zunehmen kann.
- Offenbar ist auch dieses nicht erwiesen, daß sie - wenigstens nicht alle - ihrer Seligkeit sicher und gewiß sind, wenngleich wir ihrer völlig sicher sind.
- Daher meint der Papst mit dem vollkommenen Erlaß aller Strafen nicht einfach den Erlaß sämtlicher Strafen, sondern nur derjenigen, die er selbst auferlegt hat.
- Deshalb irren jene Ablaßprediger, die sagen, daß durch die Ablässe des Papstes der Mensch von jeder Strafe frei und los werde.
- Vielmehr erläßt er den Seelen im Fegefeuer keine einzige Strafe, die sie nach den kirchlichen Satzungen in diesem Leben hätten abbüßen müssen.
- Wenn überhaupt irgendwem irgendein Erlaß aller Strafen gewährt werden kann, dann gewiß allein den Vollkommensten, das heißt aber, ganz wenigen.
- Deswegen wird zwangsläufig ein Großteil des Volkes durch jenes in Bausch und Bogen und großsprecherisch gegebene Versprechen des Straferlasses getäuscht.
- Die gleiche Macht, die der Papst bezüglich des Fegefeuers im allgemeinen hat, besitzt jeder Bischof und jeder Seelsorger in seinem Bistum bzw. seinem Pfarrbezirk im besonderen.
- Der Papst handelt sehr richtig, den Seelen (im Fegefeuer) die Vergebung nicht auf Grund seiner - ihm dafür nicht zur Verfügung stehenden - Schlüsselgewalt, sondern auf dem Wege der Fürbitte zuzuwenden.
- Menschenlehre verkündigen die, die sagen, daß die Seele (aus dem Fegefeuer) emporfliege, sobald das Geld im Kasten klingt.
- Gewiß, sobald das Geld im Kasten klingt, können Gewinn und Habgier wachsen, aber die Fürbitte der Kirche steht allein auf dem Willen Gottes.
- Wer weiß denn, ob alle Seelen im Fegefeuer losgekauft werden wollen, wie es beispielsweise beim heiligen Severin und Paschalis nicht der Fall gewesen sein soll.
- Keiner ist der Echtheit seiner Reue gewiß, viel weniger, ob er völligen Erlaß (der Sündenstrafe) erlangt hat.
- So selten einer in rechter Weise Buße tut, so selten kauft einer in der rechten Weise Ablaß, nämlich außerordentlich selten.
- Wer glaubt, durch einen Ablaßbrief seines Heils gewiß sein zu können, wird auf ewig mit seinen Lehrmeistern verdammt werden.
- Nicht genug kann man sich vor denen hüten, die den Ablaß des Papstes jene unschätzbare Gabe Gottes nennen, durch die der Mensch mit Gott versöhnt werde.
- Jene Ablaßgnaden beziehen sich nämlich nur auf die von Menschen festgesetzten Strafen der sakramentalen Genugtuung.
- Nicht christlich predigen die, die lehren, daß für die, die Seelen (aus dem Fegefeuer) loskaufen oder Beichtbriefe erwerben, Reue nicht nötig sei.
- Jeder Christ, der wirklich bereut, hat Anspruch auf völligen Erlaß von Strafe und Schuld, auch ohne Ablaßbrief.
- Jeder wahre Christ, sei er lebendig oder tot, hat Anteil an allen Gütern Christi und der Kirche, von Gott ihm auch ohne Ablaßbrief gegeben.
- Doch dürfen der Erlaß und der Anteil (an den genannten Gütern), die der Papst vermittelt, keineswegs geringgeachtet werden, weil sie - wie ich schon sagte - die Erklärung der göttlichen Vergebung darstellen.
- Auch den gelehrtesten Theologen dürfte es sehr schwerfallen, vor dem Volk zugleich die Fülle der Ablässe und die Aufrichtigkeit der Reue zu rühmen.
- Aufrichtige Reue begehrt und liebt die Strafe. Die Fülle der Ablässe aber macht gleichgültig und lehrt sie hassen, wenigstens legt sie das nahe.
- Nur mit Vorsicht darf der apostolische Ablaß gepredigt werden, damit das Volk nicht fälschlicherweise meint, er sei anderen guten Werken der Liebe vorzuziehen.
- Man soll die Christen lehren: Die Meinung des Papstes ist es nicht, daß der Erwerb von Ablaß in irgendeiner Weise mit Werken der Barmherzigkeit zu vergleichen sei.
- Man soll den Christen lehren: Dem Armen zu geben oder dem Bedürftigen zu leihen ist besser, als Ablaß zu kaufen.
- Denn durch ein Werk der Liebe wächst die Liebe und wird der Mensch besser, aber durch Ablaß wird er nicht besser, sondern nur teilweise von der Strafe befreit.
- Man soll die Christen lehren: Wer einen Bedürftigen sieht, ihn übergeht und statt dessen für den Ablaß gibt, kauft nicht den Ablaß des Papstes, sondern handelt sich den Zorn Gottes ein.
- Man soll die Christen lehren: Die, die nicht im Überfluß leben, sollen das Lebensnotwendige für ihr Hauswesen behalten und keinesfalls für den Ablaß verschwenden.
- Man soll die Christen lehren: Der Kauf von Ablaß ist eine freiwillige Angelegenheit, nicht geboten.
- Man soll die Christen lehren: Der Papst hat bei der Erteilung von Ablaß ein für ihn dargebrachtes Gebet nötiger und wünscht es deshalb auch mehr als zur Verfügung gestelltes Geld.
- Man soll die Christen lehren: Der Ablaß des Papstes ist nützlich, wenn man nicht sein Vertrauen darauf setzt, aber sehr schädlich, falls man darüber die Furcht Gottes fahrenläßt.
- Man soll die Christen lehren: Wenn der Papst die Erpressungsmethoden der Ablaßprediger wüßte, sähe er lieber die Peterskirche in Asche sinken, als daß sie mit Haut, Fleisch und Knochen seiner Schafe erbaut würde.
- Man soll die Christen lehren: Der Papst wäre, wie es seine Pflicht ist, bereit - wenn nötig -, die Peterskirche zu verkaufen, um von seinem Gelde einem großen Teil jener zu geben, denen gewisse Ablaßprediger das Geld aus der Tasche holen.
- Auf Grund eines Ablaßbriefes das Heil zu erwarten ist eitel, auch wenn der (Ablaß-)Kommissar, ja der Papst selbst ihre Seelen dafür verpfändeten.
- Die anordnen, daß um der Ablaßpredigt willen das Wort Gottes in den umliegenden Kirchen völlig zum Schweigen komme, sind Feinde Christi und des Papstes.
- Dem Wort Gottes geschieht Unrecht, wenn in ein und derselben Predigt auf den Ablaß die gleiche oder längere Zeit verwendet wird als für jenes.
- Die Meinung des Papstes ist unbedingt die: Wenn der Ablaß - als das Geringste - mit einer Glocke, einer Prozession und einem Gottesdienst gefeiert wird, sollte das Evangelium - als das Höchste - mit hundert Glocken, hundert Prozessionen und hundert Gottesdiensten gepredigt werden.
- Der Schatz der Kirche, aus dem der Papst den Ablaß austeilt, ist bei dem Volke Christi weder genügend genannt noch bekannt.
- Offenbar besteht er nicht in zeitlichen Gütern, denn die würden viele von den Predigern nicht so leicht mit vollen Händen austeilen, sondern bloß sammeln.
- Er besteht aber auch nicht aus den Verdiensten Christi und der Heiligen, weil diese dauernd ohne den Papst Gnade für den inwendigen Menschen sowie Kreuz, Tod und Hölle für den äußeren bewirken.
- Der heilige Laurentius hat gesagt, daß der Schatz der Kirche ihre Armen seien, aber die Verwendung dieses Begriffes entsprach der Auffassung seiner Zeit.
- Wohlbegründet sagen wir, daß die Schlüssel der Kirche - die ihr durch das Verdienst Christi geschenkt sind - jenen Schatz darstellen.
- Selbstverständlich genügt die Gewalt des Papstes allein zum Erlaß von Strafen und zur Vergebung in besondern, ihm vorbehaltenen Fällen.
- Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes.
- Dieser ist zu Recht allgemein verhaßt, weil er aus Ersten Letzte macht.
- Der Schatz des Ablasses jedoch ist zu Recht außerordentlich beliebt, weil er aus Letzten Erste macht.
- Also ist der Schatz des Evangeliums das Netz, mit dem man einst die Besitzer von Reichtum fing.
- Der Schatz des Ablasses ist das Netz, mit dem man jetzt den Reichtum von Besitzenden fängt.
- Der Ablaß, den die Ablaßprediger lautstark als außerordentliche Gnaden anpreisen, kann tatsächlich dafür gelten, was das gute Geschäft anbelangt.
- Doch sind sie, verglichen mit der Gnade Gottes und der Verehrung des Kreuzes, in der Tat ganz geringfügig.
- Die Bischöfe und Pfarrer sind gehalten, die Kommissare des apostolischen Ablasses mit aller Ehrerbietung zuzulassen.
- Aber noch mehr sind sie gehalten, Augen und Ohren anzustrengen, daß jene nicht anstelle des päpstlichen Auftrags ihre eigenen Phantastereien predigen.
- Wer gegen die Wahrheit des apostolischen Ablasses spricht, der sei verworfen und verflucht.
- Aber wer gegen die Zügellosigkeit und Frechheit der Worte der Ablaßprediger auftritt, der sei gesegnet.
- Wie der Papst zu Recht seinen Bannstrahl gegen diejenigen schleudert, die hinsichtlich des Ablaßgeschäftes auf mannigfache Weise Betrug ersinnen,
- So will er viel mehr den Bannstrahl gegen diejenigen schleudern, die unter dem Vorwand des Ablasses auf Betrug hinsichtlich der heiligen Liebe und Wahrheit sinnen.
- Es ist irrsinnig zu meinen, daß der päpstliche Ablaß mächtig genug sei, einen Menschen loszusprechen, auch wenn er - was ja unmöglich ist - der Gottesgebärerin Gewalt angetan hätte.
- Wir behaupten dagegen, daß der päpstliche Ablaß auch nicht die geringste läßliche Sünde wegnehmen kann, was deren Schuld betrifft.
- Wenn es heißt, auch der heilige Petrus könnte, wenn er jetzt Papst wäre, keine größeren Gnaden austeilen, so ist das eine Lästerung des heiligen Petrus und des Papstes.
- Wir behaupten dagegen, daß dieser wie jeder beliebige Papst größere hat, nämlich das Evangelium, "Geisteskräfte und Gaben, gesund zu machen" usw., wie es 1. Kor. 12 heißt.
- Es ist Gotteslästerung zu sagen, daß das (in den Kirchen) an hervorragender Stelle errichtete (Ablaß-) Kreuz, das mit dem päpstlichen Wappen versehen ist, dem Kreuz Christi gleichkäme.
- Bischöfe, Pfarrer und Theologen, die dulden, daß man dem Volk solche Predigt bietet, werden dafür Rechenschaft ablegen müssen.
- Diese freche Ablaßpredigt macht es auch gelehrten Männern nicht leicht, das Ansehen des Papstes vor böswilliger Kritik oder sogar vor spitzfindigen Fragen der Laien zu schützen.
- Zum Beispiel: Warum räumt der Papst nicht das Fegefeuer aus um der heiligsten Liebe und höchsten Not der Seelen willen - als aus einem wirklich triftigen Grund -, da er doch unzählige Seelen loskauft um des unheilvollen Geldes zum Bau einer Kirche willen - als aus einem sehr fadenscheinigen Grund -?
- Oder: Warum bleiben die Totenmessen sowie Jahrfeiern für die Verstorbenen bestehen, und warum gibt er (der Papst) nicht die Stiftungen, die dafür gemacht worden sind, zurück oder gestattet ihre Rückgabe,wenn es schon ein Unrecht ist, für die Losgekauften zu beten?
- Oder: Was ist das für eine neue Frömmigkeit vor Gott und dem Papst, daß sie einem Gottlosen und Feinde erlauben, für sein Geld eine fromme und von Gott geliebte Seele loszukaufen; doch um der eigenen Not dieser frommen und geliebten Seele willen erlösen sie diese nicht aus freigeschenkter Liebe?
- Oder: Warum werden die kirchlichen Bußsatzungen, die "tatsächlich und durch Nichtgebrauch" an sich längst abgeschafft und tot sind, doch noch immer durch die Gewährung von Ablaß mit Geld abgelöst, als wären sie höchst lebendig?
- Oder: Warum baut der Papst, der heute reicher ist als der reichste Crassus, nicht wenigstens die eine Kirche St. Peter lieber von seinem eigenen Geld als dem der armen Gläubigen?
- Oder: Was erläßt der Papst oder woran gibt er denen Anteil, die durch vollkommene Reue ein Anrecht haben auf völligen Erlaß und völlige Teilhabe?
- Oder: Was könnte der Kirche Besseres geschehen, als wenn der Papst, wie er es (jetzt) einmal tut, hundertmal am Tage jedem Gläubigen diesen Erlaß und diese Teilhabe zukommen ließe?
- Wieso sucht der Papst durch den Ablaß das Heil der Seelen mehr als das Geld; warum hebt er früher gewährte Briefe und Ablässe jetzt auf, die doch ebenso wirksam sind?
- Diese äußerst peinlichen Einwände der Laien nur mit Gewalt zu unterdrücken und nicht durch vernünftige Gegenargumente zu beseitigen heißt, die Kirche und den Papst dem Gelächter der Feinde auszusetzen und die Christenheit unglücklich zu machen.
- Wenn daher der Ablaß dem Geiste und der Auffassung des Papstes gemäß gepredigt würde, lösten sich diese (Einwände) alle ohne weiteres auf, ja es gäbe sie überhaupt nicht.
- Darum weg mit allen jenen Propheten, die den Christen predigen: "Friede, Friede", und ist doch kein Friede.
- Wohl möge es gehen allen den Propheten, die den Christen predigen: "Kreuz, Kreuz", und ist doch kein Kreuz.
- Man soll die Christen ermutigen, daß sie ihrem Haupt Christus durch Strafen, Tod und Hölle nachzufolgen trachten
- und daß die lieber darauf trauen, durch viele Trübsale ins Himmelreich einzugehen, als sich in falscher geistlicher Sicherheit zu beruhigen.
Quellennachweis: http://www.ekd.de/glauben/95_thesen.html
Der Papst als Antichrist bei der Ausfertigung von Ablassbriefen. Holzschnitt von Lucas Cranach d.Ä., 1521
Die Heidelberger Disputation: Luthers neue Kreuzestheologie, 26. April 1518
Die Heidelberger Disputation
Bruder Martin Luther, Magister der heiligen Theologie, wird den Vorsitz führen,
Bruder Leonhard Beyer, Magister der schönen Künste und der Philosophie,
wird antworten vor den Augustinern der weitberühmten Stadt Heidelberg
am gewohnten Ort, am 26. April 1518.
THESEN AUS DER THEOLOGIE
Aufs höchste misstrauisch gegen uns selbst nach des Heiligen Geistes Rat: »Verlass dich nicht auf deinen Verstand« (Spr 3,5), legen wir dem Urteil aller, die dabei sein wollen, in Demut diese theologischen Paradoxa vor, damit offenbar werden möchte, ob sie zu Recht oder zu Unrecht dem göttlichen Paulus, dem erwählten Gefäß und Werkzeug Christi und weiterhin St. Augustinus, seinem treuesten Ausleger, entnommen sind.
BEWEISFÜHRUNG DER THESEN
die im Heidelberger Ordenskapitel im Jahre unseres Heils 1518 disputiert worden sind
- Das Gesetz Gottes, die heilsamste Lehre des Lebens, kann den Menschen nicht zur Gerechtigkeit bringen; es ist ihm vielmehr ein Hindernis auf dem Wege dazu.
Aus den Worten des Apostels, Röm 3,21: »Ohne das Gesetz ist die Gerechtigkeit Gottes offenbart«, geht das klar hervor. Das legt St. Augustinus in seiner Schrift vom Geist und Buchstaben so dar: »Ohne das Gesetz, d.h. ohne sein Zutun!« Und Röm 5,20 heißt es: »Das Gesetz aber ist neben eingekommen, damit die Sünde mächtiger würde«, und Röm 7,9: »Da aber das Gesetz kam, ward die Sünde wieder lebendig.« Deshalb nennt Paulus Kap 8,2 das Gesetz »ein Gesetz des Todes« und »ein Gesetz der Sünde«, ja 2.Kor 3,6 sagt er: »Der Buchstabe tötet«, was St. Augustinus in seinem Buch ›Vom Geist und Buchstaben‹ durchweg von jedem Gesetz versteht, auch vom Gesetz Gottes, das doch das heiligste ist.
- Noch viel weniger bringen Menschenwerke das fertig, und würden sie gleich mit Hilfe der natürlichen Eingebung - wie man sagt - immer von neuem wiederholt.
Da schon das heilige und unbefleckte Gesetz Gottes, das wahre und gerechte, das dem Menschen zur Hilfe von Gott gegeben ist, um ihn über seine natürlichen Kräfte hinaus zu erleuchten und zum Guten zu bewegen, dennoch das Gegenteil erreicht, so dass er viel schlechter wird, wie kann er dann, seinen eigenen Kräften überlassen, ohne solche Hilfe zum Guten gebracht werden? Wenn er mit fremder Hilfe nicht das Gute tut, tut er es noch weniger aus eigener Kraft. Daher sagt der Apostel Röm 3,10ff, die Menschen seien verderbt und unnütz, weder erkennen sie Gott, noch suchen sie ihn, sondern wenden sich von ihm ab.
- Die Werke der Menschen, wenn sie auch noch so sehr in die Augen fallen und gut zu sein scheinen, müssen doch als Todsünden gelten.
Die Werke der Menschen glänzen nach außen, aber innen sind sie verdorben, wie Christus Mt 23,27 von den Pharisäern sagt. Ihnen und anderen erscheinen sie gut und schön, aber Gott richtet nicht nach dem Schein, sondern »prüft Nieren und Herz« (Ps 7,10), da es doch ohne Gnade und Glauben unmöglich ist, ein reines Herz zu haben; Apg 15,9: »Er reinigte ihre Herzen durch den Glauben.«
Daher gilt also: Wenn die Werke der gerechten Menschen Sünde sind, wie These 7 sagt, wieviel mehr sind es die Werke der noch nicht gerechten. Die Gerechten aber sagen (Ps 143,2) von ihren eigenen Werken: »Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, Herr, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.« Ebenso sagt der Apostel Gal 3,10: »Die mit des Gesetzes Werken umgehen, sind unter dem Fluch.« Die Werke der Menschen sind aber Werke des Gesetzes und der Fluch wird nicht auf lässliche Sünden gelegt; also sind sie Todsünden. Und drittens in Röm 2,21: »Du lehrst, man solle nicht stehlen und stiehlst«, was St. Augustinus so auslegt: Freilich sind sie nach ihrem schuldhaften Wollen selbst Diebe, wenngleich sie nach außen urteilen und lehren, andere seien Diebe.
- Die Werke Gottes, wenn sie gleich nicht in die Augen fallen und schlecht zu sein scheinen, sind in Wahrheit doch unsterbliche Verdienste.
Dass die Werke Gottes unansehnlich sind, offenbart Jes 53,2: »Er hat keine Gestalt noch Schöne« und 1.Sam 2,6: »Der Herr tötet und macht lebendig, führt in die Hölle und wieder heraus.« Das wird so verstanden: Der Herr demütigt und erschreckt uns durch das Gesetz und den Anblick unserer Sünde, dass wir uns vor den Menschen und vor uns selbst wie nichts, wie ganz ohne Ansehen vorkommen, ja es wirklich sind. Wenn wir das erkennen und uns dazu bekennen, so haben wir »keine Gestalt noch Schöne«, leben aber in der Verborgenheit Gottes, d.h. in bloßem Vertrauen auf seine Barmherzigkeit und können uns in uns selbst auf nichts berufen als auf Sünde, Torheit, Tod und Hölle, wie der Apostel 2.Kor 6,9f sagt: »Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Sterbenden, und siehe, wir leben« (vgl. Kol 3,3). Das ist es, was Jes 28,21 Gottes »fremdes Werk« nennt: »damit sein Werk an uns geschehe«; d.h. er demütigt uns in uns selbst und lässt uns verzweifeln, um uns in seiner Barmherzigkeit zu erheben und uns zu Hoffenden zu machen, wie es Hab 3,2 heißt: »Wenn du zürnen wirst, wirst du deiner Barmherzigkeit gedenken.« Ein solcher Mensch missfällt sich also in allen seinen Werken, sieht an sich keine Schönheit, sondern nur seine Unansehnlichkeit. Ja, er tut auch, von außen gesehen, was anderen unverständig und ungeschickt erscheint.
Solche Unansehnlichkeit entsteht aber in uns, wenn Gott uns züchtigt oder vielmehr wenn wir uns selbst anklagen, wie 1. Kor 11,31 sagt: »Wenn wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet vom Herrn.« Das ist es, was 5.Mose 32,36 meint: »Der Herr wird sein Volk richten, und über seine Knechte wird er sich erbarmen.« So sind also die Werke ohne jedes Ansehen, die Gott in uns wirkt, d.h. die in Demut und Furcht vollbrachten, wahrhaft unsterblich; denn Demut und Gottesfurcht sind unser ganzes Verdienst.
- Nicht in dem Sinne sind die Werke der Menschen Todsünden - wir reden von denen, die als gute erscheinen -, dass sie Verbrechen wären.
Verbrechen nämlich sind Taten, die man auch vor Menschen verklagen kann, wie Ehebruch, Diebstahl, Totschlag, üble Nachrede usw. Aber Todsünden sind Verbrechen, die als gut erscheinen und dennoch inwendig aus einer schlechten Wurzel kommen und Früchte eines schlechten Baumes sind, wie Augustinus in seinem 4. Buch gegen Julianus schreibt.
- Nicht in dem Sinne sind die Werke Gottes Verdienste - wir reden von denen, die durch einen Menschen getan werden -, dass sie nicht immer zugleich auch Sünde wären.
Der Prediger Salomon (7,20) sagt: »Es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, dass er Gutes tut und nicht sündigt.« Hier aber sagen andere: Ein Gerechter sündigt zwar, aber nicht, wenn er Gutes tut. Denen ist zu antworten: Wenn der Prediger dieses sagen wollte, warum verschwendet er seine Worte? Oder hat der Heilige Geist Freude am Wortschwall, am Geschwätz? Denn eine solche Ansicht wäre übergenug ausgedrückt mit den Worten: »Es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, dass er nicht sündigt«; wozu fügt er nun »dass er Gutes tut« bei? Als ob ein anderer gerecht wäre, der Schlechtes tut, denn nur ein Gerechter handelt gut. Wo er aber von der Sünde außer den guten Werken spricht, sagt er so: »Siebenmal täglich fällt der Gerechte« (Spr 24,16). Hier sagt er nicht: Siebenmal täglich fällt der Gerechte, wenn er Gutes tut. Dazu ein Gleichnis: Wenn einer mit einem rostigen und schartigen Beil zuschlägt, so macht sein Beil, mag er selbst als Handwerker noch so geschickt sein, doch schlechte, holprige und rauhe Schnitte. So auch Gott, der durch uns wirkt.
- Die Werke der Gerechten wären Todsünden, würden sie nicht in frommer Gottesfurcht von den Gerechten als Todsünden gefürchtet.
Das geht erstens klar aus der 4. These hervor. Denn sein Vertrauen auf ein Werk setzen, bei dem man sich eigentlich fürchten müsste, heißt sich selber die Ehre geben und sie Gott nehmen, den man bei jedem Werk fürchten muss. Das aber ist eine völlige Verkehrtheit, wenn man sich selbst gefällt, sich selbst in seinen Werken genießt und sich wie einen Götzen anbetet. So macht es jeder, der selbstsicher und ohne Gottesfurcht ist. Wenn er sich nämlich fürchtete, wäre er nicht selbstsicher und hätte kein Gefallen an sich, sondern gefiele sich nur in Gott.
Zweitens wird es klar aus Ps 143,2: »Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht« und Ps 32,5: »Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen.« Dass dies aber nicht lässliche Sünden sind, deckt deren Argument auf: Für lässliche Sünden braucht man keine Buße noch Beichte. Wenn es also Todsünden sind und »alle Heiligen dafür beten«, wie es hier (Ps 32,6) heißt, dann sind also die Werke der Heiligen Todsünden. Die Werke der Heiligen aber sind gute Werke; also sind sie für sie nur verdienstlich durch ihr demütiges und gottesfürchtiges Bekenntnis.
Drittens aus dem Gebet des Herrn: »Vergib uns unsere Schuld« (Mt 6,12). Das ist ein Gebet der Heiligen; also sind die Schulden, für die sie beten, ihre guten Werke. Dass diese aber Todsünden sind, geht aus dem folgenden hervor: »Wo ihr den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, da wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben« (Mt 6,15). Siehe, solche Sünden sind es also, die sie ohne Vergebung in Verdammnis brächten, wenn sie nicht aufrichtig dieses Gebet beteten und anderen vergeben würden.
Viertens nach Offb 21,27: »Nichts Unreines wird ins Himmelreich eingehen«. Daher ist alles, was den Eingang ins Himmelreich hindert, Todsünde - oder man müsste den Begriff »Todsünde« anders bestimmen. Auch die lässliche Sünde hindert dies, denn sie befleckt die Seele, und kann im Himmelreich nicht bestehen, also ... (ist sie ebenfalls Todsünde).
- Noch viel mehr sind die Werke der Menschen Todsünden, wenn sie ohne Furcht in unverfälschter und böser Selbstsicherheit getan werden.
Das ergibt sich mit Notwendigkeit aus dem Vorangehenden. Denn wo keine Furcht ist, da ist keine Demut; wo keine Demut ist, da ist Hochmut und da sind Zorn und Gericht Gottes. »Gott nämlich widerstehet den Hochmütigen« (1. Petr 5,5). Ja, wiche nur der Hochmut! Nirgends würde noch Sünde sein!
- Zu erklären, dass die Werke ohne Christus zwar tot seien, aber keine Todsünden, scheint mir eine gefährliche Preisgabe der Gottesfurcht.
Denn damit werden die Menschen selbstsicher und dadurch hochmütig, was gefährlich ist. So nimmt man nämlich Gott dauernd die ihm schuldige Ehre und gibt sie sich selbst, obgleich man doch mit ganzem Eifer sich beeilen müsste, ihm je schneller, desto besser seine Ehre zu geben. So rät auch die Heilige Schrift: »Darum zögere nicht, dich zum Herrn zu bekehren« (Sir 5,8). Wenn ihn schon der beleidigt, der ihm die Ehre entzieht, um wieviel mehr der, der dies fortwährend in (völliger) Selbstsicherheit tut. Aber wer nicht in Christus ist oder von ihm weicht, entzieht ihm die Ehre, wie da geschrieben steht.
- Es ist wahrlich schwer zu verstehen, wie denn solch ein Werk tot sein soll und dennoch keine schädliche Todsünde.
Zum Beweis: Die Schrift spricht nicht so vom Tod, dass etwas, was doch tot ist, nicht tödlich sei; ja auch die Grammatik nicht, die »tot« als Steigerung zu »tödlich« bezeichnet. Ein tödliches Werk nennt man ein Werk, das tötet. »Tot« aber ist nicht ein Werk, das abgestorben ist, sondern eines, das von vornherein nicht lebendig war. Aber ein solches nicht lebendiges Werk missfällt Gott, wie es in den Sprüchen Salomonis 15,8 heißt: »Der Gottlosen Opfer ist dem Herrn ein Greuel.«
Zweitens: Überhaupt wirkt der Wille auf jedes solche tote Werk irgendwie ein, sei es in Liebe oder in Hass; hassen kann er es nicht, weil er böse ist. Also liebt er, als liebte er das Tote. Und er bringt in sich eine böse Willenshandlung gegen Gott hervor, den er in ihr wie in allem Tun lieben und ehren müsste.
- Der Vermessenheit kann man nur da entgehen und wahre Hoffnung kann allein da sein, wo man bei einem jeglichen Werk Furcht hat vor dem Gericht der Verdammnis.
Das geht aus der 4. These hervor. Es ist unmöglich, auf Gott zu hoffen, ohne an allem Geschaffenen zu verzweifeln und zu wissen, dass einem nichts nützen kann außer Gott. Da es aber niemanden gibt, der, wie wir oben sagten, eine solche reine Hoffnung hat, und wir uns doch etwas auf das Geschaffene verlassen (vgl. Röm 1,25), so ist es klar, dass wegen solcher Unreinheit in allen Dingen Gottes Gericht zu fürchten ist. Und so soll Vermessenheit nicht nur beim Tun, sondern auch schon beim Verlangen vermieden werden, d.h., es muss uns missfallen, fernerhin im Vertrauen auf das Geschaffene zu bleiben.
- Dann sind die Sünden vor Gott wirklich lässliche Sünden, wenn sie von den Menschen als Todsünden gefürchtet werden.
Das geht genugsam aus dem Gesagten hervor. Soweit wir uns anklagen, soweit entschuldigt uns Gott. Nach dem Worte: »Bekenne deine Missetat, damit du gerechtfertigt wirst« (vgl. Jes 43,26) und jenem, wo es heißt: »Dass doch mein Herz sich nicht den Worten des Bösen neige, um Entschuldigungen zu finden für die Sünden« (Ps 141,4).
- Der freie Wille nach dem Sündenfall ist nur noch eine Bezeichnung, und wenn er tut, soviel ihm möglich ist, tut er Todsünde.
Das erste ist klar: der Wille ist ein Gefangener und ein Sklave der Sünde. Nicht, dass er nichts ist, sondern dass er nur frei ist zum Bösen! Joh 8,34 und 36: »Wer Sünde tut, ist der Sünde Knecht«, »Wenn euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.« Darum sagt auch St. Augustinus in seinem Buch ›Vom Geist und Buchstaben‹: »Der freie Wille ohne die Gnade hat nur Macht zum Sündigen« und im 2. Buch gegen Julianus: »Frei nennt ihr ihn, aber ein Geknechteter ist er.« Und so noch an unzähligen anderen Stellen.
Das zweite geht aus dem oben Gesagten hervor und aus Hos 13,9: »Israel, du bringst dich in Unglück; denn dein Heil steht allein bei mir.«
- Der freie Wille nach dem Sündenfall hat Macht zum Guten nur nach seiner ursprünglichen Bestimmung, zum Bösen aber jederzeit eine tatsächliche.
Dazu ein Gleichnis: Im Tod hat ein Mensch zum Leben nur seiner ursprünglichen Bestimmung (in vitam solum subiective) nach ein Verhältnis, während er lebt, aber zum Tod ein tatsächliches. Der freie Wille (zum Guten) dagegen ist tot; dafür sind die Toten ein Gleichnis, die der Herr erweckte, wie schon die heiligen Kirchenlehrer sagen. St. Augustinus beweist diese These an mehreren Stellen in seinen Schriften gegen die Pelagianer.
- Aber auch im Stand der Unschuld kann er nicht tatsächlich, sondern nur seiner ursprünglichen Bestimmung (subiectiva potentia) nach bestehen, geschweige denn, dass er im Guten Fortschritte machen kann.
Der Meister der Sentenzen (Petrus Lombardus) sagt im 2. Buch, Abschnitt 24, Kap. 1 unter Berufung auf St. Augustinus am Schluss folgendes: »Durch diese Zeugnisse ist zwingend erwiesen, dass der Mensch ein rechtes Wesen und einen guten Willen bei der Schöpfung empfing und eine Hilfe erfuhr, durch die er hätte bestehen können. Sonst könnte es scheinen, dass er nicht durch seine eigene Schuld gefallen sei.« Er spricht hier von dem tatsächlichen Vermögen (potentia activa), was offenkundig gegen die Anschauung von Augustinus ist, der in seiner Schrift ›Von der Zurechtweisung und der Gnade‹ folgendes sagt: »Er hatte das Können empfangen, sofern er wollte, aber er hat das Wollen nicht gehabt, wodurch er konnte«, wobei er unter dem »Können« eine ursprüngliche Bestimmung (potentia subiectiva), unter dem »Wollen, durch das er konnte«, aber eine tatsächliche wirksame Kraft (potentia activa) versteht.
Der zweite Teil (der These) aber ist vom Meister hinlänglich erklärt in der gleichen Gegenüberstellung.
- Der Mensch, der da meint, er wolle dadurch zur Gnade gelangen, dass er tut, soviel ihm möglich ist, häuft Sünde auf Sünde, so dass er doppelt schuldig wird.
Aus dem Gesagten ist klar: Wenn er tut, soviel ihm möglich ist, sündigt er und sucht allenthalben das Seine. Aber wenn er meint, dass er durch die Sünde der Gnade würdig oder für sie geeignet werde, fügt er schon hochmütige Vermessenheit hinzu und hält die Sünde nicht für Sünde, das Böse nicht für Böses, was eine ganz große Sünde ist. So heißt es Jer 2,13: »Eine zweifache Sünde tut mein Volk: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und graben sich löcherige Brunnen, die doch kein Wasser halten.« Das heißt, durch die Sünde sind sie ganz weit weg von mir und maßen sich dennoch an, aus sich heraus Gutes tun zu können.
Du sprichst nun: Was sollen wir denn tun? Sollen wir müßiggehen, weil wir nichts als Sünde tun können? Ich antworte: Nein, sondern höre auf diese Worte und dann falle nieder und bitte um Gnade und setze deine ganze Hoffnung auf Christus; in ihm ist unser Heil und Leben und unsere Auferstehung. Denn darum werden wir so belehrt, darum macht uns das Gesetz mit der Sünde bekannt, damit wir unsere Sünde erkennen und dann Gnade erbitten und erlangen. So, ja so »gibt er dem Demütigen Gnade« (1. Petr 5,5) und »wer sich erniedrigt, der wird erhöht werden« (Mt 23,12). Das Gesetz erniedrigt, die Gnade erhöht. Das Gesetz schafft Furcht und Zorn, die Gnade Hoffnung und Erbarmen. Durch das Gesetz nämlich erhält man Sündenerkenntnis, durch Erkenntnis der Sünde aber erlangt man Demut, und durch die Demut Gnade. So führt Gottes fremdes Werk (opus alienum dei) schließlich sein eigentliches Werk (opus proprium) herbei, indem er den Menschen zum Sünder macht, um ihn gerecht zu machen.
- So reden, das heißt nicht, dem Menschen Anlaß zur Verzweiflung geben, sondern ihn zur Demut rufen, damit er die Gnade Christi suche.
Das ist aus dem Gesagten klar. Denn nach dem Evangelium ist das Himmelreich den Kindern und den Demütigen gegeben, und sie liebt Christus (vgl. Mk 10,14). Demütig können aber nicht die sein, die nicht einsehen, dass sie verdammungswürdige Sünder sind mit Sünden, die zum Himmel schreien. Sünde aber wird nicht erkannt außer durch das Gesetz. Klar ist, dass nicht die Verzweiflung, sondern vielmehr die Hoffnung gepredigt wird, wo gepredigt wird, dass wir Sünder sind. Solche Predigt der Sünde oder vielmehr die Erkenntnis der Sünde und der Glaube an solche Predigt ist Bereitung zur Gnade. Dann nämlich beginnt das Verlangen nach Gnade, wenn die Sündenerkenntnis da ist. Dann erst, wenn er das Übel seiner Krankheit begreift, verlangt der Kranke nach Medikamenten. Wie es daher nicht eine Ursache zur Verzweiflung oder zum Tode mit sich bringt, wenn dem Kranken die Gefahr gesagt wird, die seine Krankheit birgt, sondern er vielmehr ermutigt wird, die Medikamente zu verlangen, so ist das Bekennen, dass wir nichts sind und immer sündigen, wenn wir tun, was uns möglich ist, nicht ein Verzweifeltmachen - wir müssten denn ohne Verstand sein! -, sondern bedeutet, uns zum Verlangen nach der Gnade unseres Herrn Jesu Christi in Bewegung zu bringen.
- Ganz gewiss Muss ein Mensch an sich selbst verzweifeln, um für den Empfang der Gnade Christi bereitet zu werden.
Das will nämlich das Gesetz, dass ein Mensch an sich selbst verzweifle, darum »führt es ihn in die Hölle« (1.Sam 2,6) und »macht ihn arm« (1 Sam 2,7) und erweist ihn in allen seinen Werken als Sünder, wie der Apostel in Röm 2 und 3,9 tut, indem er spricht: »Wir sind überführt, dass wir alle unter der Sünde sind.« Wer aber tut, was möglich ist, und glaubt, dass er damit etwas Gutes schafft, der kommt sich durchaus nicht als ein Nichts vor und verzweifelt nicht an seinen Kräften. Vielmehr ist er darin noch anmaßend, dass er sich für die Erlangung der Gnade auf seine Fähigkeiten verlässt.
- Der ist es nicht wert, ein Theologe genannt zu werden, der Gottes »unsichtbares« Wesen »durch seine Werke erkennt und versteht« (Röm 1,20).
Das wird an denen klar, die solche »Theologen« waren und doch vom Apostel Röm 1,22 »unverständig« genannt werden. Das unsichtbare Wesen Gottes ist seine Kraft, seine Gottheit, seine Weisheit, Gerechtigkeit, Güte u.ä. Die Erkenntnis alles dessen macht nicht würdig und weise.
- Aber der (verdient ein rechter Theologe genannt zu werden), der das, was von Gottes Wesen sichtbar und der Welt zugewandt ist, als in Leiden und Kreuz sichtbar gemacht begreift.
Das uns zugewandte, sichtbare Wesen Gottes - d.h. seine Menschlichkeit, Schwachheit, Torheit - ist dem unsichtbaren entgegengesetzt, wie 1.Kor 1,25 von der göttlichen Schwachheit und Torheit sagt. Weil die Menschen nämlich die Erkenntnis Gottes aufgrund seiner Werke missbrauchten, wollte nun Gott aus dem Leiden erkannt werden. Er wollte solche »Weisheit des Unsichtbaren« durch eine »Weisheit des Sichtbaren« verwerfen, damit die, die Gott nicht verehrten, wie er in seinen Werken offenbar wird, ihn verehren als den, der in den Leiden verborgen ist (absconditum in passionibus), wie es 1.Kor 1,21 heißt: »Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, die daran glauben.« So reicht es für niemand aus, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht in der Niedrigkeit und Schmach seines Kreuzes erkennt. So »macht er die Weisheit der Weisen zuschanden« (1.Kor 1,19), wie Jesaja weiter sagt: »Fürwahr, du bist ein verborgener Gott« (Jes 45,15).
So auch Joh 14,8: Als Philippus in der Art der Theologie der Herrlichkeit sprach »Zeige mir den Vater«, holte Christus ihn gleich zurück und konzentrierte seine Gedanken, die abschweiften, anderswo Gott zu suchen, auf sich zurück und sprach: »Philippus, wer mich sieht, sieht auch meinen Vater« (Joh 14,9). In Christus dem Gekreuzigten also ist die wahre Theologie und Gotteserkenntnis, wie es auch Joh 14,6 und 10,9 bestätigen: »Niemand kommt zum Vater denn durch mich«; »Ich bin die Tür« usw.
- Der Theologe der Herrlichkeit nennt das Schlechte gut und das Gute schlecht. Der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge, wie sie wirklich sind.
Das ist klar. Weil er doch Christus nicht kennt, kennt er auch nicht den im Leiden verborgenen Gott. Daher zieht er die Werke dem Leiden, die Herrlichkeit dem Kreuze, die Kraft der Schwachheit, die Weisheit der Torheit und überhaupt das Gute dem Schlechten vor. Das sind die, die der Apostel »Feinde des Kreuzes Christi« (Phil 3,18) nennt. Jedenfalls hassen sie das Kreuz und die Leiden. Sie lieben aber die Werke und ihren Ruhm, und so nennen sie das Gute des Kreuzes schlecht und das Schädliche des Werkes gut. Gott kann aber nur in Kreuz und Leiden gefunden werden, wie schon gesagt. Darum nennen die Freunde des Kreuzes das Kreuz gut und die Werke schlecht, weil durch das Kreuz die Werke niedergerissen werden und der lieber durch die Werke aufgerichtete »alte Adam« gekreuzigt wird. Es ist nämlich dem unmöglich, auf Grund seiner »guten Werke« nicht aufgeblasen zu werden, der vorher nicht durch Leiden und Schaden ganz leer und niedrig geworden ist, bis zu der Erkenntnis, dass man selbst nichts ist und die Werke nicht uns sondern Gott gehören.
- Jene Weisheit, die Gottes unsichtbares Wesen in den Werken erkennt und schaut, bläht auf, macht blind und verstockt.
Das ist schon gesagt. Denn weil sie das Kreuz nicht kennen und es hassen, müssen sie notwendig das Gegenteil lieben, d.h. Weisheit, Ruhm, Macht u.ä. So werden sie durch solche Liebe noch mehr verblendet und verstockt. Unmöglich ist es nämlich, dass ihre Gier durch Erfüllung der Wünsche gestillt wird; denn wie die Liebe zum Geld im gleichen Maße wie das Geld selbst wächst, so ist es auch mit der Sucht des Menschen nach Wasser. Je mehr er trinkt, um so mehr dürstet ihn, wie der Dichter sagt: »Je mehr sie getränkt werden, um so mehr dürsten sie nach Wasser«, und der Prediger (Pred 1,8): »Das Auge sieht sich nimmer satt, und das Ohr hört sich nimmer satt.« So ist es aber bei allen Begierden.
Daher wird auch die Wissbegierde durch die Weisheit, die man erlangt, nicht befriedigt, sondern noch mehr entzündet. So wird die Ehrsucht nicht durch Erlangen der Ehre, die Herrschsucht nicht durch Macht und Herrschaft, die Ruhmsucht nicht durch erlangten Ruhm gestillt usw., wie Christus Joh 4,13 bezeichnenderweise sagt: »Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten.«
Es bleibt also nur ein Heilmittel: heil werden nicht durch Stillen der Begierde, sondern durch Auslöschen. Das heißt, wenn jemand weise werden will, so soll er nicht im Vorgriff, sondern im Rückgriff nach Weisheit trachten und im Verlangen nach »Torheit« einfältig werden. Ebenso soll, wer reich an Macht und Ruhm und an Lust und an allen Dingen satt werden will, Macht, Ruhm, Lust und Befriedigung in allen Dingen eher fliehen als suchen. Das ist die Weisheit, die der Welt eine Torheit ist.
- Und »das Gesetz wirkt den Zorn« Gottes (Röm 4,15), es tötet, verflucht, klagt an, richtet und verdammt alles, was nicht in Christus ist.
So an die Galater (Gal 3,13): »Christus hat uns erlöst von dem Fluche des Gesetzes«, und ebendort: »Die mit des Gesetzes Werken umgehen, sind unter dem Fluch« (Gal 3,10), und Röm 4,15: »Das Gesetz richtet Zorn an«, und Röm 7,10: »Es fand sich, dass das Gebot mir zum Tode gereichte«, und Röm 2,12: »Die unter dem Gesetz gesündigt haben, die werden durch das Gesetz verurteilt werden.« Wer sich also als ein Weiser und Gelehrter im Gesetz rühmt, der rühmt sich seiner Schande, seines Fluches, des Zornes Gottes, des Todes, wie es Röm 2,23 heißt: »Was rühmst du dich des Gesetzes?«
- Nun ist wohl jene Weisheit nicht an sich schlecht, und das Gesetz ist nicht zu fliehen; aber der Mensch missbraucht ohne die Theologie des Kreuzes das Beste zum Schlimmsten.
Denn »das Gesetz ist heilig« (Röm 7,12), und »alle Gabe Gottes ist gut« (1.Tim 4,4; Jak 1,17), »alles Geschaffene ist sehr gut« (1.Mose 1,31). Aber wie schon oben gesagt, wer noch nicht erniedrigt und durch Kreuz und Leiden zu einem Nichts gemacht ist, der schreibt Werke und Weisheit sich zu, nicht aber Gott und missbraucht so die Gaben Gottes und besudelt sie.
Wer aber durch Leiden von seinem ichsüchtigen Selbst befreit wurde, der schafft nicht mehr selber, sondern weiß, dass Gott in ihm alles wirkt und schafft. Ob er nun wirkt oder nicht, ist für ihn dasselbe: er rühmt sich nicht, wenn Gott in ihm wirkt, er schämt sich nicht, wenn er es nicht tut; er weiß, es ist ihm genug, wenn er durch das Kreuz leidet und vernichtet wird, damit er um so mehr zum Nichts werde. Das ist, was Christus in Joh 3,7 sagt: »Ihr müsst von neuem geboren werden.« Um wiedergeboren zu werden, Muss man vorher sterben und mit dem Menschensohn erhöht werden: ich sage sterben, d.h. den Tod als gegenwärtig empfinden.
- Nicht der ist gerecht, der viel Werke tut, sondern wer ohne Werke viel an Christus glaubt.
Denn die Gerechtigkeit Gottes wird nicht aufgrund aneinandergereihter Handlungen erworben, wie Aristoteles lehrt, sondern durch den Glauben geschenkt. »Der Gerechte lebt aus seinem Glauben«, Röm 1,17 und Röm 10,10: »Wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.« Daher will ich das »ohne Werke« so verstanden wissen: Nicht dass der Gerechte nichts wirke, sondern dass seine Werke ihm keine Gerechtigkeit verschaffen. Vielmehr schafft seine Gerechtigkeit Werke. Ohne unser Zutun nämlich werden Gnade und Glaube eingegossen, und alsbald folgen dann die Werke. So heißt es Röm 3,20: »Kein Fleisch vermag durch des Gesetzes Werke, vor Gott gerecht zu sein«, und Röm 3,28: »So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben«, d.h. zur Gerechtigkeit machen die Werke nichts.
Von jetzt an weiß, wer aus solchem Glauben handelt, dass solche Werke nicht ihm, sondern Gott gehören. Deswegen sucht er durch sie nicht gerechtfertigt oder verherrlicht zu werden, vielmehr sucht er Gott selbst. Seine Gerechtigkeit im Glauben an Christus genügt ihm, d.h. Christus ist seine Weisheit, Gerechtigkeit usw., wie es 1.Kor 1,30 heißt. Er selbst aber ist Christi Wirken oder Werkzeug (operatio seu instrumentum).
- Das Gesetz sagt: »Tue das!«, und es geschieht niemals. Die Gnade spricht: »An den sollst du glauben!«, und alles ist schon getan.
Der erste Satz ist durch den Apostel und seinen Ausleger Augustinus an vielen Orten klar erwiesen, und es ist oben genugsam dargelegt, dass das »Gesetz« viel eher »Zorn bewirkt« und alle unter dem Fluch hält. Auf gleiche Weise ist der zweite Satz klar, dass nämlich der Glaube rechtfertigt. Das Gesetz befiehlt, wie Augustinus sagt, was der Glaube erwirbt. So ist jedenfalls Christus durch den Glauben in uns, ja mit uns eins. Christus aber ist der, der gerecht ist und alle Gebote Gottes erfüllt. Darum erfüllen auch wir durch ihn alles, wenn er durch den Glauben unser geworden ist.
- Mit Recht könnte man Christi Werk wirkend (operans) nennen und das unsere gewirkt (operatum) und somit sagen, dass dank des wirkenden Werkes das gewirkte Werk Gott gefällt.
Sobald Christus durch den Glauben in uns wohnt, bewegt er uns zu Werken durch jenen lebendigen Glauben an seine Werke. Die Werke nämlich, die er selbst tut, sind die Erfüllung von Gottes Geboten und werden uns durch den Glauben geschenkt. Schauen wir sie an, so werden wir zur Nachfolge bewegt. Deswegen sagt der Apostel: »So seid nun Gottes Nachfolger als seine lieben Kinder« (Eph 5,1). Daher entzünden sich Werke der Barmherzigkeit an seinen Werken, durch die er uns erlöste, wie St. Gregor sagt: »Jede Tat Christi ist uns eine Lehre, nein, ein Antrieb.« Wenn sie in uns wirksam ist, so ist sie in uns durch den Glauben lebendig, gewaltig nämlich lockt sie uns. Auch im Hohen Lied heißt es: »Ziehe mich dir nach! Wir laufen dem Geruch deiner Salben nach«, d.h. deiner Werke (vgl. Hld 1,3f).
- Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt. Die Liebe des Menschen entsteht nur an dem, was sie liebenswert findet.
Das zweite ist klar und Gemeingut aller Theologen und Philosophen. Das Gegenüber (objectum) ist der Grund der Liebe, indem man nach Aristoteles alles Vermögen der Seele als passiv annimmt, als Stoff, als nur im Aufnehmen tätig, wodurch er selbst bezeugt, dass seine Philosophie gegen die Theologie ist, weil sie in allem das Ihre sucht und mehr das Gute nimmt als gibt. Das erste ist klar, weil die Liebe Gottes - sofern im Menschen lebendig - liebt, was sündig, schlecht, töricht und schwach ist, um es gerecht, gut, weise und stark zu machen, und so viel mehr sich verströmt und Gutes schafft. Darum nämlich, weil sie geliebt werden, sind die Sünder »schön«, nicht aber werden sie geliebt, weil sie »schön« sind. Menschliche Liebe flieht daher die Sünder und Bösen, Christus jedoch sagt: »Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder« (Mt 9,13). Solcher Art ist die Liebe des Kreuzes, geboren aus dem Kreuz, dass sie sich nicht dorthin wendet, wo sie das Gute findet, um es zu genießen, sondern dorthin, wo sie das Gute den Armen und Bedürftigen austeilen kann. »Geben ist seliger als nehmen«, sagt der Aposte1 (Apg 20,35). Daher heißt es Ps 41,2: »Wohl dem, der sich des Bedürftigen annimmt!« Der Verstand freilich kann sich natürlicherweise nicht mit dem befassen, was nichts ist, das heißt mit dem Armen und Bedürftigen, sondern nur mit dem, was etwas ist, mit dem Wahren und Guten. Daher urteilt er nach dem Schein und nimmt das Ansehen des Menschen wichtig und urteilt nach dem, was augenscheinlich vorliegt.
Zusammengestellt nach: www.theology.de/downloads/heidelberger.doc
Martin Luther: Autobiographisches zu den 95 Thesen und dem Beginn des lutherischen "Aufruhrs" 1517, 1541
Wider Hans Worst, 1541 (WA 51, S. 538ff.), in: Kurt Aland, Luther Deutsch, Bd. 2, Göttingen 1981, S. 22ff. Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 1091ff.
Diese Schrift gehört in den umfangreichen, langwierigen und sehr heftigen Streit zwischen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, Landgraf Philipp von Hessen und Kurfürst Johann Friedrich hinein. Luther wurde in ihn durch einen literarischen Angriff Heinrichs auf seinen Kurfürsten, der auch ihn selbst nicht verschonte, hineingezogen. Hier wird der autobiographische Abschnitt wiedergegeben, den Luther der Schrift einfügt und dem große Bedeutung für die Anfänge der Reformation zukommt.
Weil er1 aber nicht wissen will, wer diesen lutherischen »Aufruhr«2 (wie ers nennet) angerichtet hat, will ichs hiermit öffentlich sagen, nicht seinem Heinz,3 noch ihm selbst, denn er weiß es viel besser als ich selbst. Es geschah im Jahre, da man 1517 schrieb, daß ein Predigermönch, mit Namen Johannes Tetzel, ein großer Schreier,4 welchen Herzog Friedrich früher zu Innsbruck vom Sack erlöst hatte (denn Maximilian hatte ihn in der Inn zu ersäufen verurteilt, Du kannst Dir wohl denken, um seiner großen Tugend willen, und als Herzog Friedrich ihn daran erinnern ließ, als er uns Wittenberger so zu lästern anfing, da gab er es auch offen zu): derselbe Tetzel führte nun den Ablaß umher und verkaufte Gnade ums Geld, so teuer oder wohlfeil ers mit aller Kraft vermochte. Zu der Zeit war ich Prediger allhier im Kloster und ein junger Doktor,5 neu aus der Esse gekommen, hitzig und begeistert in der heiligen Schrift. Als nun viel Volk von Wittenberg dem Ablaß gen Jüterbog und Zerbst usw. nachlief, und ich (so wahr mich mein Herr Christus erlöst hat) nicht wußte, was der Ablaß wäre – wie es denn kein Mensch wußte –, fing ich vorsichtig zu predigen an,6 man könnte wohl Besseres tun, das zuverlässiger wäre als Ablaß lösen. Solch eine Predigt hatte ich auch zuvor hier auf dem Schlosse wider den Ablaß gehalten und bei Herzog Friedrich damit schlechte Gnade verdient, denn er hatte sein Stift auch sehr lieb.
Nun – damit ich zur rechten Ursache des lutherischen »Aufruhrs« komme – ließ ich alles so gehen, wie es ging. Indessen kommt es vor mich, wie der Tetzel greulich schreckliche Artikel gepredigt hätte, derer ich diesmal etliche nennen will, nämlich: Er hätte solch eine Gnade und Gewalt vom Papst: wenn einer gleich die heilige Jungfrau Maria, Gottes Mutter, geschwächt oder geschwängert hätte, so könnte ers vergeben, wenn derselbe in den Kasten lege, was sich gebühre.
Weiter: das rote Ablaßkreuz mit des Papstes Wappen, in den Kirchen aufgerichtet, wäre ebenso kräftig wie das Kreuz Christi.
Weiter: wenn Petrus jetzt hier wäre, hätte er nicht größere Gnade noch Gewalt als er (Tetzel) besäße.
Weiter: er wollte nicht mit Petrus im Himmel tauschen, denn er hätte mit Ablaß mehr Seelen erlöst als Petrus mit seinem Predigen.
Weiter: wenn einer für eine Seele im Fegefeuer Geld in den Kasten lege, sobald der Pfennig auf den Boden fiele und klänge, so führe die Seele heraus gen Himmel.
Weiter: die Ablaßgnade wäre eben die Gnade, durch die der Mensch mit Gott versöhnt wird.
Weiter: es wäre nicht notwendig, Reue oder Leid oder Buße für die Sünde zu haben, wenn einer den Ablaß oder die Ablaßbriefe kaufe (ich wollte sagen, löse). Er verkaufe auch Ablaß für künftige Sünde. Und dieser Dinge trieb er greulich viel, und war ihm alles ums Geld zu tun.
Ich wußte aber zu jener Zeit nicht, für wen dieses Geld bestimmt war. Da ging ein Büchlein7 aus, gar herrlich unter des Bischofs zu Magdeburg Wappen, darin solcher Artikel etliche den Quästoren zu predigen geboten wurden. Da kams heraus, daß Bischof Albrecht (von Mainz) diesen Tetzel gedingt hatte, weil er ein großer Schreier war. Denn er war zu Mainz unter der Bedingung als Bischof gewählt worden, daß er zu Rom das Pallium selbst kaufen (lösen sage ich) sollte. Es waren zu Mainz vor kurzem drei Bischöfe: Berthold, Jacobus und Uriel,8 kurz nacheinander gestorben, so daß es dem Bistum vielleicht schwer war, so oft und kurz nacheinander das Pallium zu kaufen, welches, wie man sagt, 26000 – etliche sagen 30000 – Gulden kostet, denn so teuer kann der allerheiligste Vater zu Rom Flachsfaden (der sonst kaum sechs Pfennige wert ist) verkaufen. Da erfand nun der Bischof dies Fündlein und gedachte, den Fuggern (denn die hatten das Geld vorgestreckt) das Pallium mit des gemeinen Mannes Beutel zu bezahlen, und schickte diesen großen Beuteldrescher in die Länder. Der drosch auch weidlich drauf, daß es haufenweise in die Kassen zu fallen, zu springen, zu klingen begann. Er vergaß aber seiner selbst nicht daneben. Außerdem hatte auch der Papst dennoch die Hand mit in der Suppe behalten, daß die Hälfte zu dem Bau der Peterskirche zu Rom fallen sollte. So gingen die Gesellen mit Freuden und großer Hoffnung daran, unter die Beutel zu schlagen und zu dreschen. Solches, sage ich, wußte ich dazumal nicht.
Da schrieb ich einen Brief9 mit den Thesen an den Bischof zu Magdeburg, vermahnte und bat, er wolle dem Tetzel Einhalt tun und solch ungehörige Sache zu predigen verbieten, es möchte Unheil daraus entstehen. Solches gebühre ihm als einem Erzbischof. Diesen Brief kann ich noch heute vorlegen.10 Aber mir ward keine Antwort. Desgleichen schrieb ich auch dem Bischof zu Brandenburg11 als dem Ordinarius, an dem ich einen sehr gnädigen Bischof hatte. Darauf antwortete er mir, ich griffe der Kirche Gewalt an und würde mir selbst Kummer machen; er riete mir, ich ließe davon. Ich kann wohl denken, daß sie alle beide gedacht haben, der Papst würde mir, solchem elenden Bettler, viel zu mächtig sein. So gingen meine Thesen wider des Tetzels Artikel hinaus,12 wie man im Gedruckten wohl sehen mag. Dieselben liefen schier in vierzehn Tagen durch ganz Deutschland, denn alle Welt klagte über den Ablaß, besonders über Tetzels Artikel. Und weil alle Bischöfe und Doktoren stillschwiegen und niemand der Katze die Schelle anbinden wollte (denn die Ketzermeister vom Predigerorden hatten alle Welt mit dem Feuer in die Furcht gejagt, und Tetzel selbst hatte auch etliche Priester, die wider seine freche Predigt gemuckt hatten, in die Enge getrieben), da ward der Luther ein Doktor gerühmt, daß doch einmal einer gekommen wäre, der dareingriffe. Der Ruhm war mir nicht lieb, denn, wie gesagt, ich wußte selbst nicht, was der Ablaß wäre, und das Lied wollte meiner Stimme zu hoch werden.13
Dies ist der erste, rechte, gründliche Anfang des lutherischen »Aufruhrs«. Der andere Anfang dieses »Aufruhrs« ist der heiligste Vater Papst Leo mit seinem unzeitigen Bann. Dazu halfen Doktor Sau14 und alle Papisten, auch etliche grobe Esel, da jedermann zum Ritter an mir werden wollte, schrieb und schrie wider mich, was nur eine Feder regen konnte. Ich aber hoffte, der Papst sollte mich schützen, denn ich hatte meine Disputation so verwahrt und gewappnet mit Schrift und päpstlichen Drecketen,15 daß ich sicher war, der Papst würde den Tetzel verdammen und mich segnen. Ich widmete ihm die Resolutionen auch mit einer demütigen Schrift,16 und solch mein Buch gefiel auch vielen Kardinälen und Bischöfen17 sehr wohl. Denn ich war dazumal besser päpstlich gesinnt, als Mainz und Heinz selbst je gewesen sind noch werden mögen. Und die päpstlichen Dreckete standen klar da, daß die Quästoren die Seelen nicht mit Ablaß aus dem Fegefeuer lösen könnten. Aber da ich des Segens aus Rom wartete, da kamen Blitz und Donner über mich. Ich mußte das Schaf sein, das dem Wolf das Wasser getrübt hatte; Tetzel ging frei aus, ich mußte mich fressen lassen.
Dazu gingen sie mit mir Armen so fein päpstlich um, daß ich zu Rom wohl sechzehn Tage früher verdammt war, ehe mir die Zitation zukam. Aber da der Kardinal Cajetan auf dem Reichstag zu Augsburg angekommen war, erlangte Doktor Staupitz, daß der gute Fürst, Herzog Friedrich, selbst zum Kardinal ging und erreichte, daß der Kardinal mich hören wollte. So kam ich nach Augsburg zum Kardinal. Derselbe stellte sich freundlich. Nach vielem Verhandeln erbot ich mich, hinfort zu schweigen, sofern meine Gegenpartei auch schweigen müßte. Da ich das nicht erlangen konnte, appellierte ich vom Papst an das Konzil und zog davon. So ist die Sache von da ab auch auf die Reichstage gekommen und oft darüber verhandelt worden, davon jetzt nicht zu schreiben ist, denn die Historie ist zu lang. Indessen gings mit Schreiben widereinander aufs heftigste, bis es nun dahin gekommen ist, daß sie unverschämt das Licht scheuen, ja viele Dinge jetzt selbst lehren, die sie zuvor verdammt haben, ja die sie nicht lehren könnten, wenn unsere Bücher nicht da wären.
Ist nun ein Aufruhr daraus geworden, der ihnen weh tut, dafür müssen sie sich bei sich selbst bedanken. Warum haben sie die Sache so unvernünftig und ungeschickt betrieben wider alle Rechte, Wahrheit, Schrift und ihre eigenen Dreckete? Sie dürfen keinem andern schuld geben als sich selbst. Wir wollen uns über ihr Klagen in die Faust lachen und ihrer zum Schaden spotten und uns trösten, daß ihr Stündlein gekommen sei. Denn sie hören auch heutigen Tages nicht auf, die Sache wie die verblendeten, verstockten, unsinnigen Narren so zu behandeln, als wollten sie mutwillig zugrunde gehen. Gottes Zorn ist über sie gekommen, wie sie verdient haben.
Obwohl es nun, gottlob!, an den Tag gekommen ist, wie der Ablaß eine Teufelslüge ist, tun sie doch keine Buße, gedenken sich auch nicht zu bessern noch zu reformieren, sondern wollen mit dem blinden, bloßen Wort »Kirche« alle ihre Greuel verteidigen. Und wenn sie sonst nichts Böses getan hätten, so wäre der Ablaß allein genug dafür, daß Gott sie ins höllische Feuer verdammt und alle Menschen sie zur Welt hinausjagten. Bedenke doch, lieber Christ, erstens, wie der Papst, Kardinäle, Bischöfe und alle Geistlichen die Welt mit dem verlogenen Ablaß erfüllt und betrogen haben. Zum zweiten, daß sie es lästerlich die »Gnade Gottes« genannt haben, obwohl es doch nichts ist noch sein kann als remissio satisfactionis,18 das heißt nichts. Denn man weiß jetzt, daß diese satisfactio nichts ist. Zum dritten, daß sie es als eine Gnade Gottes mit greulicher Simonie und Schariotherei19 um Geld verkauft haben, obwohl Gottes Gnade umsonst gegeben werden muß. Zum vierten, daß sie dadurch der ganzen Welt Geld und Gut schändlich gestohlen und genommen haben, und das alles unter Gottes Namen. Zum fünften, welches das Allerärgste ist, daß sie diese lästerlichen Lügen zur schrecklichen Abgötterei gebraucht haben. Denn viele tausend Seelen, die sich darauf verlassen haben, als wäre es Gottes Gnade, und darauf gestorben sind, sind durch solche Seelenmörder verloren.
Denn wer auf Lügen traut und baut, ist des Teufels Diener. Solche Seelen schreien ewiglich Zeter über das Papsttum, die sie schuldig sind Gott zurückzubringen. Ebenso sind sie auch schuldig, all das Geld und Gut, das sie damit gestohlen haben, zurückzugeben, vor allem auch Gott seine Ehre wiederzuerstatten, die sie ihm durch den Ablaß schändlich geraubt haben. Wann wollen sie das tun? Ja, wann bekümmern sie sich darum? Aber wo sie es nicht tun werden, mit was für einem Schein des Rechts wollen sie eine christliche Kirche heißen und die Kirchengüter besitzen oder fordern? Soll das eine Kirche heißen, die voller Ablaß, das ist voller Teufelslügen, Abgötterei, Simonie, Ischariotherei, Dieberei, Seelenmörderei ist, wie jetzt gesagt ist? Wohlan, wollen sie nicht, so müssen sie. Er ist stark genug, ders ihnen abverlangen wird, zum wenigsten mit dem ewigen höllischen Feuer. Bis dahin sollen sie keine Kirche, sondern des Teufels Schule sein und heißen, und wenn gleich alle Heinzen und Mainzen toll und töricht darüber würden.
Anmerkungen
1 Albrecht von Mainz, den Luther in dieser Schrift ebenfalls attackiert
2 U.ö. eig.: »Lermen«.
3 Heinrich von Braunschweig.
4 Eig.: »Clamant«, zur Sache vgl. Nik. Paulus, Joh. Tetzel, 62 ff.
5 Luthers Doktorpromotion hatte am 18./19. Oktober 1512 stattgefunden.
6 Luther hatte am 27. Juli 1516, am 31. Oktober 1516 und am 24. Februar 1517 gegen den Ablaß gepredigt.
7 Die Instructio summaria pro subcommissariis.
8 Berthold Graf von Henneberg 1484-1504, Jakob von Liebenstein 1504-1508, Uriel von Gemmingen 1508-1514.
9 Am 31. Oktober 1517, in Bd. 10, 27-29 abgedruckt. Zum Folgenden vgl. Luthers Darstellung S. 12ff. und 88ff.
10 Das ist eine absolute Ausnahme, Luther bewahrte die an ihn gerichteten Briefe meist nicht auf.
11 Nicht erhalten.
12 Vgl. S. 32ff.
13 D.h. die Sache wollte mir über den Kopf wachsen.
14 Eck.
15 U.ö. diese Verzerrung von »Dekret« wird von Luther oft gebraucht.
16 S. 88 ff. abgedruckt.
17 Kardinal Albrecht von Mainz und Herzog Heinz von Braunschweig.
18 Erlaß der Kirchenstrafen.
19 Wie Judas Ischarioth.
Martin Luther: Wider Hans Worst (1541). Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 1103 (vgl. Luther-W Bd. 2, S. 372-373) (c) Vandenhoeck und Ruprecht
siehe auch: Vorrede zu Band I der lateinischen Schriften der Wittenberger Luther-Ausgabe 1545 (WA 54, S. 180-81), in: Kurt Aland, Luther Deutsch, Bd. 2, Göttingen 1981, S. 12-13
Auszug aus einer Übersetzung des ursprünglich auf Latein verfassten Briefes, veröffentlicht in: Luther, Martin, 1483-1546. Dr. Martin Luthers sämmtliche Schriften. Neue rev. Stereotypausg., 1880-1910 St. Louis (Digitalisierte Version).
"Des Joh. Frobenius, Buchbruders zu Basel, Brief an Luther, in welchem er ihm den starken Abgang seiner Schriften nach Frankreich, Spanien, Italien, Brabant und England kundthut, und zugleich das günstige Urtheil des Cardinals von Sitten im walliser Lande über ihn und die damals noch zukünftige Leipziger Disputation mit Eck beifügt. Den 14. Febr. 1519.
[...]
Johann Frobenius wünscht Martin Luther Heil!
1. Mich hat Blasius Salmonius, ein Buchhändler zu Leipzig, auf der letzten Messe zu Frankfurt mit einigen von euch verfertigten Büchlein beschenkt, welche ich, weil sie durch das Urtheil aller Gelehrten gutgeheißen werden, alsbald nachgedruckt habe. Sechshundert Exemplare haben wir nach Frankreich und Spanien gesendet. Und nun werden sie zu Paris verkauft, auch von den Theologen der Sorbonne gelesen und gebilligt, wie unsere Freunde uns versichert haben. Es haben auch daselbst einige Gelehrte gesagt, sie hätten schon lange gewünscht, daß die, welche die heilige Schrift behandeln, sich solcher Freiheit bedienen möchten.
2. Auch hat der Buchhändler zu Pavia, Calvus, ein sehr gelehrter und wissenschaftlichter Mann, ein gut Theil solcher Büchlein nach Italien bringen lassen, und will sie in allen Städten ausstreuen. Denn er sucht nicht sowohl Gewinn davon, als vielmehr der wieder aufkommenden Gottseligkeit aufzuhelfen, und sie, so viel möglich, zu befördern. Er hat versprochen, von allen gelehrten Männern in Italien kurze Lobsprüche, die sie euch zu Ehren gemacht haben, herauszuschicken; so sehr ist er euch und der Sache Christi, der ihr euch mit so großer Standhaftigkeit, so männlich und redlich annehmt, gewogen.
3. Ihr wundert euch vielleicht über unsere Ausgabe eurer (Augsburgischen) Handlungen, weil nämlich dieselbe theils mit der Wittenbergischen übereinkommt, theils aber davon abgeht. Aber vernehmet, was die Ursache davon sei. Es hat mir einer meiner guten Freunde eure dem Cardinal (Cajetan) gegebene Antwort von Augsburg zugeschickt. Diese mußte gedruckt werden, weil Calcus, als er von Nürnberg zurückkam, nur einen einzelnen Bogen von der Wittenbergischen Edition mitgebracht hatte, und zwar den ersten, den ich denn sogleich, wie er war, abgedruckt habe, und das Uebrige, das mir von Augsburg zugeschickt worden war, angehängt. Nun ich aber durch den Blasius ein Exemplar der Wittenbergischen Ausgabe bekommen habe, will ich, sobald es möglich ist, das, was in der meinigen fehlt, dazuthun. Denn, wie ich vernehme, si hat es den Gelehrten wohlgefallen, was ihr zum Schluß von dem Zwang der Decrete angehängt habt.
4. Außerdem habe ich auch eure Bücher nach Brabant und England gesandt. Von der Replik des Silvester habe ich nur dreihundert Exemplare gedruckt. Die Gelehrten halten dafür, die thäte euch keinen Schaden. Hier hält jedermann, je nachdem er gut ist, auch auf euch große Stücke. Sonderlich ist euch unser Bischof sehr gewogen, wie auch sein Weihbischof, der Bischof von Tripoli. Da ich dem Cardinal zu Sitten eure Arbeiten angeboten hatte es er sogleich gesagt: Luther, du bist in der That luther [lauter]. Neulich hat ihm jemand Ecks Sätze zugeschickt, und hinzugefügt, er wolle bald Nachricht von dem Sieg mitbringen, welchen Eck zu Leipzig über die neuen Lehren davontragen würde. Darauf hat der Cardinal geantwortet: Eck mag disputieren, so viel er will, Luther schreibt die Wahrheit.
5. Meine Exemplare sind bis auf zehn alle verkauft, und ich habe noch niemand bei irgend einem Buche glücklicheren Verkauf erfahren, Das Neue Testament, welches Erasmus sehr sorgfältig übersehen hat und mit starken Zusätzen vermehrt, gediente ich mit der Hülfe Gottes binnen zehn Tagen zu vollenden. Gehabt euch wohl, ehrwürdiger Vater. Basel, den 14. Febr. 1519."
Holbein, Das Alte und das Neue Testament, um 1535
Holbein stellt das Glaubensverständnis im Alten und Neuen Testament als zutiefst gegensätzlich dar: Gesetz und Gnade stehen sich gegenüber, Sündenfall und Tod auf der einen - Erlösung und Wiederauferstehung auf der anderen Seite. Von den Reformatoren um Martin Luther und Melanchton wird dieses dichotomische Bild übertragen auf den Gegensatz zwischen den überkommenen Lehren der römisch-katholischen Kirche und der neuen protestantischen Glaubensrichtung.
Berichte Luthers und Ecks über die Leipziger Disputation, 20. und 24. Juli 1519
1. Bericht Luthers von der Leipziger Disputation an Spalatin, 20. Juli 1519
... Zuerst wurde mit Karlstadt eine Woche lang über den freien Willen disputiert [27. Juni – 3. Juli]. Karlstadt nahm die Bücher mit und legte die eigenen Beweis-gründe und Lösungen (mit Gottes Hilfe) trefflich und sehr ausführlich dar. Als ihm danach auch Gelegenheit gegeben wurde [gegen Ecks Thesen] zu opponieren, erhob Eck Einspruch, er wolle nicht weiter diskutieren, wenn die Bücher nicht da-heimgelassen würden; wo Andreas [Karlstadt] es doch deshalb getan hatte, um ihm ins Gesicht zu zeigen, dass er [Karlstadt] die Stellen aus der Bibel und den Vätern richtig zitierte und nicht gewaltsam behandelte, wie Eck dessen überführt worden war. Hier entstand ein neuer Tumult. Schließlich wurde zugunsten Ecks beschlossen, die Bücher daheimzulassen . . . […]
In der nächsten Woche [4.—8. Juli] stritt er mit mir zuerst überaus heftig über den Primat des römischen Papstes. Seine Stärke bestand in den Worten: »Du bist Petrus« [Mt 16,18], »Weide meine Schafe« [Joh 21,17] und »Stärke deine Brüder« [Lk 22,32], denen er viele Väteraussagen hinzufügte. Was ich geantwortet habe, wirst Du [Spalatin] demnächst sehen. – Dann trieb er's aufs äußerste und stützte sich mit seinem ganzen Schwergewicht auf das Konzil zu Konstanz, das ja den Artikel von Huss verdammt hat, der sagte, das Papsttum stamme vom Kaiser – als ob es [kraft dieser Verdammung] göttlichen Rechts wäre! Da, gleichsam auf seinem eigenen Schlachtfeld, drang er tapfer vor, indem er mir die Böhmen vorhielt und mich offen als Häretiker und Beschützer der böhmischen Ketzer beschuldigte. Ist er doch ein ebenso unverschämter wie verwegener Sophist. Merkwürdigerweise haben diese Anschuldigungen die Leipziger mehr gekitzelt als die Disputation selbst. Ich hielt umgekehrt die Griechen in den letzten tausend Jahren und die alten Väter entgegen, die nicht unter der Gewalt des Papstes gewesen sind, obwohl ich ihm den Ehrenprimat nicht absprechen möchte. Und schließlich wurde auch über die Autorität des Konzils disputiert. Ich habe offen bekannt, es seien etliche Artikel gottloserweise verdammt worden, weil sie ja auf offenen und klaren Worten des Paulus, des Augustin [vgl. Bd. I Nr. 91], schließlich Christi selbst gebaut seien. Hier aber blähte sich die Viper auf und übertrieb mein Verbrechen und kam fast außer sich vor Schmeicheleien für die Leipziger. Schließlich bewies ich aus den eigenen Worten des Konzils, dass nicht alle dort versammelten Artikel häretisch und irrig sind', dass er deshalb mit seinen Beweisen nichts ausgerichtet habe. Und so hängt diese Sache noch in der Schwebe.
In der dritten Woche [8.–14. Juli] disputierten wir über die Buße, das Fegefeuer, den Ablass und die Gewalt eines jeden Priesters, die Absolution zu erteilen (mit Karlstadt disputierte er nämlich ungern, sondern auf mich allein ist er losgestürzt). Der Ablass kam allerdings ganz und gar zu Fall, und er stimmte mit mir fast in allem überein; die Verteidigung des Ablasses ging in Gelächter und Gespött unter, während ich darin zuvor den Hauptpunkt der Disputation erwartet hatte ... Er soll sogar zugegeben haben, er wäre gern bereit gewesen, mit mir in allem übereinzustimmen, wenn ich nicht die Gewalt des Papstes in Frage gestellt hätte
Als so meine Disputation abgeschlossen war, disputierte er an den letzten drei Tagen [14.–16. (?) Juli] nochmals mit Karlstadt, wobei er wiederum alles zugab und sein Einverständnis erklärte: dass das »Tun, was an einem ist«2, Sünde sei; dass der freie Wille ohne die Gnade nichts als sündigen könne; dass in jedem guten Werk Sünde sei; dass das »Tun, was an einem ist« bei dem sich auf die Gnade bereitenden Menschen die Gnade selbst sei. Dies alles verneinen die Scholastiker. So ist bei dieser Disputation nahezu nichts behandelt worden, jedenfalls nicht in würdiger Weise, außer meiner 13. These. Vorläufig findet Eck Beifall, er triumphiert und spielt den Meister, aber nur solange, bis wir das Unsere veröffentlicht haben werden. Weil die These nur dürftig disputiert worden ist, will ich die Resolutionen von neuem herausgeben.
Die Leipziger haben uns freilich weder begrüßt noch besucht und uns wie Tod-feinde behandelt. Ihn begleiteten sie, liefen ihm nach, schmausten mit ihm zusammen, luden ihn ein, schließlich schenkten sie ihm ein Gewand und feinen Wollstoff dazu, mit ihm ritten sie auch spazieren. Kurz: was sie nur ausdenken konnten, haben sie zu unserer Kränkung versucht .. .
2. Bericht Ecks über die Leipziger Disputation an Jakob Hochstraten, 24. Juli 1519
Nach der Disputation schrieb Eck am 24. Juli 1519 an den Kölner Theologen und Inquisitor Jakob Hochstraten (Hoogstraeten, ca. 1460–1527), bekannt vor allem durch den Reuchlin-Streit um ihn zur Einflussnahme auf die Pariser Universität zu bewegen, die neben Erfurt mit der Begutachtung der Disputation betraut war. Darin berichtet er von den Vorgängen bei der Disputation.
Kürzlich haben wir in Leipzig disputiert, in einem voll besetzten Hörsaal, in dem sich von überall her die gelehrtesten Männer versammelt hatten. Dort ist (Gott sei Lob, Ehre und Herrlichkeit) ihr [= der Wittenberger] Ruf sehr heruntergekommen, auch beim Volk; bei den Gelehrten ist er größtenteils ganz durchgefallen. Ihr hättet die Verwegenheit der Leute hören müssen, wie blind sie sind und zu Bosheiten unerschrocken.
Luther leugnet, dass Petrus der Oberste der Apostel gewesen ist; leugnet, dass der kirchliche Gehorsam durch göttliches Recht legitimiert ist, sondern behauptet, er sei durch menschliche oder kaiserliche Einwilligung eingeführt. Er leugnet, dass die Kirche auf Petrus gebaut ist: »Auf diesen Fels« usw. [Mt 16,18]. Und als ich diese Aussagen von Augustin [vgl. Bd. I Nr. 91], Hieronymus [vgl. Bd. I Nr. 82], Ambrosius [vgl. Bd. I Nr. 85], Gregor, Cyprian [vgl. Bd. I Nr. 37], Chrysostomus, Leo und Bernhard [vgl. Bd II Nr. 30–31] zusammen mit Theophilus über diese Stelle anführte, verwarf er sie alle ohne Scham und sagte, er als einziger wolle tausend widerstehen – nur darauf gestützt, dass Christus der Grund der Kirche sei und niemand einen anderen Grund legen kann. Das widerlegte ich, indem ich noch jene Stelle aus der Offenbarung Kap. 21[,14] über die zwölf Grundsteine heranzog; zur Verteidigung machte er geltend, dass die Griechen, also gar die Schismatiker, doch gerettet würden, wenn sie auch nicht unter der Obödienz des Papstes stehen. – Über die Artikel der Böhmen sagte er, unter den vom Konzil zu Konstanz verdammten Artikel seien einige sehr christlich und evangelisch. Durch diesen verwegenen Irrtum hat er viele erschreckt und von sich abwendig gemacht, die ihm zuvor wohlgesonnen waren .. .
Aber in manchen Dingen haben sie mir ein Bein zu stellen versucht [obruerunt]; erstens, weil sie Bücher mit sich brachten, in denen sie sich auskannten, und sie brachten sie mit in die Disputation, und nahmen sofort zu ihnen Zuflucht; ja, sie haben vielmehr dauernd aus den Büchern vorgelesen, zu ihrer großen Verspottung. Zweitens, weil sie die Disputation immer aufgeschrieben und nachher zu Hause besprochen haben; ich meinerseits habe niemals nur ein Wort gesehen, bis die Disputation zu Ende war. Drittens waren sie viele, die beiden Doktoren selbst, Herr Lang, Augustinervikar, zwei Lizentiaten der Theologie, einer davon ein Neffe Reuchlins [Melanchthon], sehr arrogant, drei juristische Doktoren, viele Magister, und sie halfen zu Hause und öffentlich, sogar in der Disputation selbst mit. Ich dagegen stand allein, nur von der Gerechtigkeit [aequitas] begleitet .. . Luther hat am Tag St. Petri [29. Juni] in Abwesenheit des Fürsten im Disputationssaal eine hussitische, deutlich irrige, Predigt gehalten. Ich habe sogleich am Tag der Heimsuchung der Jungfrau Maria [2. Juli] und am folgenden Tag in einem überfüllten Saal, wie ich ihn noch nie vor mir gehabt habe, gegen seine Irrtümer gepredigt und das Volk richtig aufgebracht, so dass es gegen die lutherischen Irrtümer Widerwillen bekam. Morgen werde ich es gleicherweise tun und so mich von Leipzig verabschieden.
Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Bd. III. Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 3. verb. Aufl. 1988, Neukirchen -Vluyn 1988, S. 43-45
Luthers, Ecks und Karlstadts Thesen zur Leipziger Disputation im Juni/Juli 1519
Die Leipziger Disputation sollte somit ursprünglich zwischen Johannes Eck (1486-1583 Prof. der Theologie in Ingolstadt) und Andreas Karlstadt stattfinden; da jedoch Eck in Luther den eigentlichen Gegner sah, gestaltete sie sich zu einer Disputation zwischen Eck und den beiden Wittenbergern.
1. Luthers Thesen zur Leipziger Disputation (Juni/Juli 1519)
Wider neue und alte Irrtümer wird Martinus Luther die folgenden Thesen auf der Hohen Schule zu Leipzig verteidigen:
- Täglich sündigt ein jeder Mensch, aber auch täglich tut er Buße wie Christus lehrt: »Tut Buße!«, außer einem vermeintlichen neuen Gerechten, der der Buße nicht bedarf, obwohl doch der himmlische Weingärtner auch die fruchtbringenden Reben täglich reinigt.
- Dass der Mensch auch im Guten sündige und dass die lässliche Sünde nicht an sich selbst, sondern allein durch Gottes Barmherzigkeit eine solche sei oder dass die Sünde auch nach der Taufe noch im Kinde bleibe, das zu leugnen heißt Paulus und Christus zugleich mit Füßen treten.
- Wer da behauptet, dass das gute Werk oder die Buße beim Abscheuvor den Sünden noch vor der Liebe zur Gerechtigkeit anhebe und dass man darin nicht mehr sündig sei, den rechnen wir zu den pelagianischen Ketzern, tun aber auch dar, dass der zugleich gegen seinen heiligen Aristoteles verstößt.
- Gott verwandelt die ewigen Strafen in zeitliche, nämlich das Kreuz zu tragen. Dies aufzuerlegen oder wegzunehmen aber haben Kirchensatzungen oder Priester keine Macht, ob sie gleich, durch schädliche Heuchler verführt, sich dieselbe an-maßen mögen.
- Ein jeglicher Priester muss den Bußfertigen von Strafe und Schuld [a poena et culpa] lossprechen; wenn nicht, sündigt er. Ebenfalls sündigt auch ein höherer Prälat, wenn er heimliche Dinge ohne höchst wichtige Ursache zurückhält, mag auch der Brauch der Kirche, d.h. der Heuchler, dawider sein.
- Vielleicht leisten die Seelen im Fegefeuer Genugtuung; dass aber Gott von einem Sterbenden mehr als die Willigkeit zum Sterben verlange, ist eine gänzlich unbegründete und verwegene Behauptung, da das auf keine Weise bewiesen wer-den kann.
- Völlige Unkenntnis des Glaubens, der Reue wie des freien Willens verrät der, der schwätzt, der freie Wille sei Herr über die Taten, seien es die guten oder die bösen, oder der da träumt, dass einer nicht allein durch den Glauben ans Wort gerechtfertigt werde öder dass der Glaube nicht durch jedes Verbrechen aufgehoben wird.
- Es soll zwar wider Wahrheit und Vernunft [veritas et ratio] sein, dass die, die ungern sterben, Mangel an Liebe besitzen und deswegen die Ängste des Fegefeuers zu erleiden haben, jedoch nur dann, wenn Wahrheit und Vernunft dasselbe bedeuten wie die Anschauungen der Theologisten.
- Wir wissen wohl, dass von den Theologisten behauptet wird, >die Seelen im Fegefeuer seien ihres Heiles gewiss< und >die Gnade werde in ihnen nicht mehr gemehrt<, doch verwundern wir uns dieser hochgelehrten Männer, dass sie für diesen ihren Glauben keinerlei glaubhafte Begründung auch nur im Geringsten vorbringen können.
- Dass das Verdienst Christi der Schatz der Kirche sei und der durch die Verdienste der Heiligen noch bereichert wird, das ist gewiss. Dass das aber ein Schatz des Ablasses sei, das erdichtet nur ein schändlicher Speichellecker, oder die von der Wahrheit abirren und gewisse falsche Übungen und Bräuche der Kirche.
- Zu sagen, der Ablass sei für die Christen etwas Gutes, heißt verrückt sein; in Wahrheit ist er nämlich gerade die Verhinderung einer guten Tat. Darum muß ein Christ den Ablass verwerfen wegen des Missbrauches, weil der Herr sagt: »Ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen« [Jes 43,25], nicht: um des Geldes willen.
- Dass der Papst jede Strafe erlassen könne, die man für seine Sünden schuldig ist, sowohl für dies wie für das zukünftige Leben, und dass der Ablass auch denen zugute komme, die nichts Böses getan haben, das träumen nur die gänzlich ungelehrten Sophisten und die verderblichen Speichellecker, können es aber mit keinem Buchstaben beweisen.
- Dass die römische Kirche über allen anderen sei, wird wohl aus den kahlen Dekreten der römischen Päpste begründet, die seit 400 Jahren aufgekommen sind; dawider aber stehen die beglaubigten Historien von 1100 Jahren, ebenso der Wort-laut der Heiligen Schrift und der Beschluss des Konzils von Nizaea [vgl. Bd. I Nr. 56], des heiligsten von allen.
2. Ecks Hauptthesen
7. Derjenige irrt, der da leugnet, dass der freie Wille des Menschen der Herr der Handlungen des Menschen sei, als ob der Wille sich in bezug auf das Böse aktiv verhalte, in bezug auf das Gute aber nur passiv .. .
13. Dass die römische Kirche vor den Zeiten des Silvester [Papst Silvester I, 314-335] nicht über den anderen gestanden habe, das leugnen wir. Im Gegenteil, den, der den Stuhl und den Glauben des heiligen Petrus gehabt hat, den haben wir immer als den Nachfolger Petri und den Statthalter Christi anerkannt.
3. Karlstadts Hauptthesen
11. Der freie Wille taugt – vor der Gnade, die durch den Heiligen Geist eingegossen wird – nur zum Sündigen .. .
12. Vielmehr: Unser Wille, der nicht vom göttlichen Willen regiert wird, nähert sich um so schneller der Gottlosigkeit, je eifriger er aufs Handeln bedacht ist.
Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Bd. III. Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 3. verb. Aufl. 1988, Neukirchen -Vluyn 1988, S. 41-43
An den christlichen Adel deutscher Nation
Von des christlichen Standes Besserung
Der allerdurchlauchtigsten, großmächtigsten Kaiserlichen Majestät und dem christlichen Adel deutscher Nation
D. Martinus Luther.
Gnade und Stärke von Gott zuvor! Allerdurchlauchtigster! Gnädigste, liebe Herren!
[...] Die Romanisten haben mit großer Behendigkeit drei Mauern um sich gezogen, womit sie sich bisher beschützt haben, so daß niemand sie hat reformieren können, wodurch die ganze Christenheit greulich gefallen ist.
Zum ersten: wenn man mit weltlicher Gewalt auf sie (ein)gedrungen ist, haben sie festgesetzt und gesagt, weltliche Gewalt habe kein Recht über sie, sondern umgekehrt: die geistliche sei über die weltliche. Zum zweiten: hat man sie mit der heiligen Schrift tadeln wollen, setzen sie dagegen, es gebühre niemand die Schrift auszulegen als dem Papst. Zum dritten: drohet man ihnen mit einem Konzil, so erdichten sie, es könne niemand ein Konzil berufen als der Papst. [...]
Nun helfe uns Gott und gebe uns der Posaunen eine, womit die Mauern Jerichos umgeworfen wurden, daß wir diese strohenen und papiernen Mauern auch umblasen und die christlichen Ruten, Sünden zu strafen, losmachen, des Teufels List und Trug an den Tag zu bringen, auf daß wir durch Strafe uns bessern und seine Huld wiedererlangen.
Wollen die erste Mauer zuerst angreifenl
Man hats erfunden, daß Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk der geistliche Stand genannt wird, Fürsten, Herrn, Handwerks- und Ackerleute der weltliche Stand. Das ist eine sehr feine Erdichtung und Trug. Doch soll niemand deswegen schüchtern werden, und das aus dem Grund: alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied außer allein des Amts halber, wie Paulus I. Kor. 12, 12 ff. sagt, daß wir allesamt ein Leib sind, (obwohl) doch ein jegliches Glied sein eigenes Werk hat, womit es den andern dienet. Das alles macht, daß wir eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben haben und (auf) gleiche (Weise) Christen sind, denn die Taufe, Evangelium und Glauben, die machen allein geistlich und Christenvolk. Daß aber der Papst oder Bischof salbet, Platten macht, ordiniert, weihet, sich anders als Laien kleidet, kann einen Gleißner und Ölgötzen machen, macht aber nimmermehr einen Christen oder geistlichen Menschen. Demnach werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht, wie Petrus (I. Petr. 2) Sagt: »Ihr seid ein königliches Priestertum und ein priesterliches Königreich«, und Offenbarung 5, 10: »Du hast uns durch dein Blut zu Priestern und Königen gemacht.« Denn wo nicht eine höhere Weihe in uns wäre, als der Papst oder Bischof gibt, so würde durch des Papstes und Bischofs Weihen nimmermehr ein Priester gemacht, er könnte auch weder Messe halten, noch predigen, noch absolvieren.
Drum ist des Bischofs Weihe nichts anderes, als wenn er an Stelle und Person der ganzen Versammlung einen aus der Menge nähme - die alle gleiche Gewalt haben - und ihm beföhle, diese Gewalt für die andern auszurichten. (Das ist) gleich als wenn zehn Brüder, (eines) Königs Kin-der und gleiche Erben, einen erwählten, das Erbe für sie zu regieren; sie wären ja alle Könige und von gleicher Gewalt, und doch wird einem zu regieren befohlen. Und damit ichs noch klarer sage: wenn ein Häuflein frommer Christenlaien gefangen und in eine Wüstenei gesetzt würden, die nicht einen von einem Bischof geweihten Priester bei sich hätten, und würden allda der Sache eins, erwählten einen unter sich, er wäre verheiratet oder nicht, und beföhlen ihm das Amt: zu taufen, Messe zu halten, zu absolvieren und zu predigen, der wäre wahrhaftig ein Priester, als ob ihn alle Bischöfe und Päpste geweiht hätten. Daher kommts, daß in der Not ein jeglicher taufen und absolvieren kann, was nicht möglich wäre, wenn wir nicht alle Priester wären.
Solch große Gnade und Gewalt der Taufe und des christlichen Standes haben sie uns durchs geistliche Recht ganz zerstört und unbekannt gemacht. Auf diese Weise erwählten die Christen vor Zeiten ihre Bischöfe und Priester aus der Menge, die danach von andern Bischöfen ohne alles Prangen, das jetzt regiert, bestätigt wurden. So wurden Augustin, Ambrosius, Cyprian Bischof.
Dieweil denn die weltliche Gewalt nun gleich mit uns getauft ist, denselben Glauben und Evangelium hat, so müssen wir sie Priester und Bischöfe sein lassen und ihr Amt als ein Amt rechnen, das da der christlichen Gemeinde gehöre und nützlich sei. Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, daß es schon zum Priester, Bischof und Papst geweihet sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben. Denn weil wir alle gleich(mäßig) Priester sind, darf sich niemand selbst hervortun und sich unterwinden, ohne unser Bewilligen und Erwählen das zu tun, wozu wir alle gleiche Gewalt haben. Denn was allgemein ist, kann niemand ohne der Gemeinde Willen und Befehl an sich nehmen. Und wo es geschähe, daß jemand zu solchem Amt erwählet und (danach) um seines Mißbrauchs willen abgesetzt würde, so wäre er gleich wie vorher. Drum sollte ein Priesterstand in der Christenheit nicht anders sein als ein Amtmann: dieweil er im Amt ist, geht er vor; wo er abgesetzt ist, ist er ein Bauer oder Bürger wie die andern. Ebenso wahrhaftig ist ein Priester nicht mehr Priester, wenn er abgesetzt wird. Aber nun haben sie charaeteres indelebiles erdichtet und schwätzen, daß ein abgesetzter Priester dennoch etwas anderes sei als ein schlichter Laie. ja, ihnen träumet, es könne ein Priester nimmermehr anderes als ein Priester, oder ein Laie werden; das sind alles von Menschen erdichtete Reden und Gesetze.
In Auszügen zitiert nach: Projekt Gutenberg.de http://gutenberg.spiegel.de/buch/270/1
Martin Luther, VON DER FREIHEIT EINES CHRISTENMENSCHEN, 1520
Jesus. Zum ersten: Damit wir gründlich erkennen können, was ein Christenmensch sei und wie es um die Freiheit beschaffen sei, die ihm Christus erworben und gegeben hat, davon Paulus viel schreibt, will ich diese zwei Leitsätze aufstellen:
- Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.
- Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
Diese zwei Leitsätze sind klar: Paulus, 1. Kor. 9, 19: »Ich bin frei von jedermann und habe mich eines jedermanns Knecht gemacht«, ebenso Röm. 13, 8: »Seid niemand etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebet.« Liebe aber, die ist dienstbar und untertan dem, was sie lieb hat. So (heißt es) auch von Christus, Gal. 4, 4: »Gott hat seinen Sohn gesandt, von einem Weibe geboren, und dem Gesetz untertan gemacht. «
Zum zweiten: Um diese zwei sich widersprechenden Reden von der Freiheit und von der Dienstbarkeit zu verstehen, sollen wir daran denken, dass ein jeglicher Christenmensch von zweierlei Natur ist: geistlicher und leiblicher. Nach der Seele wird er ein geistlicher, neuer, innerlicher Mensch genannt, nach dem Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerlicher Mensch genannt. Und um dieses Unterschiedes willen werden von ihm in der Schrift Dinge ausgesagt, die da stracks widereinander sind, wie ich jetzt von der Freiheit und der Dienstbarkeit geredet habe.
Zum dritten: So wir uns den inwendigen, geistlichen Menschen vornehmen, um zu sehen, was dazu gehöre, dass er ein frommer, freier Christenmensch sei und heiße, so ists offenbar, dass ihn kein äußerliches Ding frei noch fromm machen kann, wie es auch immer genannt werden mag. Denn seine Frömmigkeit und Freiheit und umgekehrt seine Bosheit und Gefängnis sind nicht leiblich noch äußerlich. Was hilfts der Seele, dass der Leib ungefangen, frisch und gesund ist, isset, trinkt; lebt wie er will? Umgekehrt: was schadet das der Seele, dass der Leib gefangen, krank und matt ist, hungert, dürstet und leidet, wie er nicht gern wollte? Dieser Dinge reichet keines bis an die Seele, sie zu befreien oder zu fangen, fromm oder böse zu machen. […]
Zum achten: Wie geht es aber zu, dass der Glaube allein fromm machen und ohne alle Werke so überschwenglichen Reichtum geben kann, obwohl uns doch in der Schrift so viele Gesetze, Gebote, Werke, Stände und Weisen vor-geschrieben sind? Hier ist fleißig zu merken und ja mit Ernst zu behalten, dass allein der Glaube ohne alle Werke fromm, frei und selig machet, wie wir hernach mehr hören werden, und ist zu wissen, dass die ganze heilige Schrift in zweierlei Wort geteilt wird, welche sind: Gebote oder Gesetze Gottes und Verheißungen oder Zusagen. Die Gebote lehren und schreiben uns mancherlei gute Werke vor, aber damit sind sie noch nicht geschehen. Sie weisen wohl, sie helfen aber nicht, lehren, was man tun soll, geben aber keine Stärke dazu. Darum sind sie nur dazu geordnet, dass der Mensch darinnen sein Unvermögen zu dem Guten sehe und an sich selbst verzweifeln lerne. Und darum heißen sie auch das alte Testament und gehören alle ins Alte Testament. Wie das Gebot: »Du sollst nicht böse Begierde haben« beweist, dass wir allesamt Sünder sind und kein Mensch ohne böse Begierde zu sein vermag, er tue, was er will. Daraus lernet er an sich selbst verzagen und anders-wo Hilfe zu suchen, dass er ohne böse Begierde sei und so das Gebot durch einen andern erfülle, was er aus sich selbst nicht vermag. Ebenso sind auch alle andern Gebote uns (zu erfüllen) unmöglich.
Zum neunten: Wenn nun der Mensch aus den Geboten sein Unvermögen gelernt und empfunden hat, dass ihm nun angst wird, wie er dem Gebot Genüge tue (sintemal das Gebot erfüllet werden muss oder er muss verdammt sein), so ist er recht gedemütigt und in seinen Augen zunichte geworden, findet nichts in sich, damit er könne fromm werden. Dann kommt das andere Wort, die göttliche Verheißung und Zusagung, und spricht: Willst du alle Gebote erfüllen, deine böse Begierde und Sünde los werden, wie die Gebote erzwingen und fordern, siehe da, glaube an Christus, in welchem ich dir alle Gnade, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit zusage. Glaubst du, so hast du, glaubst du nicht, so hast du nicht. Denn was dir mit allen Werken der Gebote unmöglich ist, deren viele sind und von denen doch keines nütze sein kann, das wird dir durch den Glauben leicht und kurz. Denn ich habe in Kürze alle Dinge in den Glauben gestellt, dass, wer ihn hat, soll alle Dinge haben und selig sein; wer ihn nicht hat, soll nichts haben. So geben die Zusagungen Gottes, was die Gebote fordern, und vollbringen, was die Gebote befehlen, auf dass es alles Gottes eigen sei: Gebot und Erfüllung. Er befiehlt allein, er erfüllet auch allein. Darum sind die Zusagungen Gottes Wort des neuen Testaments und gehören auch ins Neue Testament.
Zum zehnten: Nun sind diese und alle Gottesworte heilig, wahrhaftig, gerecht, friedsam, frei und aller Güte voll. Darum: wer ihnen mit einem rechten Glauben an-hängt, des Seele wird mit ihm so ganz und gar vereinigt, dass alle Tugenden des Wortes auch der Seele eigen wer-den und durch den Glauben die Seele so durch das Gotteswort heilig, gerecht, wahrhaftig, friedsam, frei und aller Güte voll, ein wahrhaftiges Kind Gottes wird, wie Joh. 1, 12 sagt: »Er hat ihnen Macht gegeben, Gottes Kinder zu werden, die an seinem Namen glauben.«
Hieraus ist leicht zu verstehen, warum der Glaube so viel vermag und dass keine guten Werke ihm gleich sein können. Denn kein gutes Werk hänget (so) an dem göttlichen Wort wie der Glaube, kann auch nicht in der Seele sein; sondern allein das Wort und der Glaube regieren in der Seele. Wie das Wort ist, so wird auch die Seele von ihm, gleichwie das Eisen aus der Vereinigung mit dem Feuer glutrot wie das Feuer wird. So sehen wir, dass ein Christenmensch an dem Glauben genug hat; er bedarf keines Werkes, dass er fromm sei. Bedarf er denn keines Werkes mehr, so ist er gewisslich von allen Geboten und Gesetzen entbunden; ist er entbunden, so ist er gewisslich frei. Das ist die christliche Freiheit, der einzige Glaube, der da macht, nicht dass wir müßig gehn oder übel tun können, sondern dass wir keines Werkes bedürfen, zur Frömmigkeit und Seligkeit zu gelangen, wovon wir her-nach mehr sagen wollen. […]
Zum neunzehnten: Das sei nun genug gesagt von dem innerlichen Menschen, von seiner Freiheit und der Hauptgerechtigkeit, welche keines Gesetzes noch guten Werkes bedarf; ja, ihr ist es schädlich, so jemand dadurch wollte gerechtfertigt zu werden sich vermessen. Nun kommen wir aufs andere Teil, auf den äußerlichen Menschen. Hier wollen wir allen denen antworten, die sich an den vorigen Reden ärgern und zu sprechen pflegen: Ei, so denn der Glaube alle Dinge ist und allein genug gilt, um fromm zu machen, warum sind denn die guten Werke geboten? So wollen wir guter Dinge sein und nichts tun! Nein, lieber Mensch, nicht so! Es wäre wohl so, wenn du allein ein innerlicher Mensch wärest und ganz geistlich und innerlich geworden, welches bis am Jüngsten Tag nicht geschieht. Es ist und bleibt auf Erden nur ein Anheben und Zunehmen, welches in jener Welt zu Ende gebracht wird. Daher nennts der Apostel (Röm. 8, 23) primitias spiritus, d. h. die ersten Früchte des Geistes; darum gehört hierher, was droben gesagt ist: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan, d. h. sofern er frei ist, braucht er nichts zu tun; sofern er Knecht ist, muss er allerlei tun. Wie das zugehe, wollen wir sehen.
Zum zwanzigsten: Obwohl der Mensch inwendig nach der Seele durch den Glauben genügend gerechtfertigt ist und alles hat, was er haben soll, außer dass dieser Glaube und dieses Genügen immer zunehmen muss bis in jenes Leben, so bleibt er doch noch in diesem leiblichen Leben auf Erden und muss seinen eigenen Leib regieren und mit Menschen umgehen. Da heben sich nun die Werke an. Hier darf er nicht müßig gehen, da muss fürwahr der Leib mit Fasten, Wachen, Arbeiten und mit aller mäßigen Zucht getrieben und geübt sein, dass er dem innerlichen Menschen und dem Glauben gehorsam und gleichförmig werde, ihn nicht hindere noch ihm widerstrebe, wie seine Art ist, wo er nicht gezwungen wird. […]
Zum dreiundzwanzigsten: Drum sind die zwei Sprüche wahr: Gute, fromme Werke machen nimmermehr einen guten, frommen Mann, sondern ein guter, frommer Mann macht gute, fromme Werke und: Böse Werke machen nimmermehr einen bösen Mann, sondern ein böser Mann macht böse Werke. Es ist so, dass stets die Person zuvor, vor allen guten Werken gut und fromm sein muss und die guten Werke von der frommen, guten Person folgen und aus-gehen, gleichwie Christus (Matth. 7, 18) sagt: »Ein böser Baum trägt keine gute Frucht, ein guter Baum trägt keine böse Frucht.« Nun ists offenbar, dass die Früchte nicht den Baum tragen, ebenso wachsen auch die Bäume nicht auf den Früchten, sondern umgekehrt: die Bäume tragen die Früchte, und die Früchte wachsen auf den Bäumen. Wie nun die Bäume früher sein müssen als die Früchte und die Früchte die Bäume weder gut noch böse machen, sondern die Bäume machen die Früchte: so muss der Mensch selbst zuvor fromm oder böse sein, ehe er gute oder böse Werke tut. Und seine Werke machen ihn nicht gut oder böse, sondern er macht gute oder böse Werke. Das gleiche sehen wir in allen Handwerken. Ein gutes oder schlechtes Haus macht keinen guten oder schlechten Zimmermann, sondern ein guter oder schlechter Zimmermann macht ein schlechtes oder gutes Haus. Kein Werk macht einen Meister danach wie das Werk ist, sondern wie der Meister ist, danach ist auch sein Werk. So sind die Werke des Menschen auch: wie es mit ihm im Glauben oder Unglauben steht, da-nach sind seine Werke gut oder böse, und nicht umgekehrt: wie seine Werke stehen, danach sei er fromm oder gläubig. Die Werke, wie sie nicht gläubig machen, so machen sie auch nicht fromm. Aber wie der Glaube fromm macht, macht er auch gute Werke. So denn die Werke niemand fromm machen und der Mensch zuvor fromm sein muss, ehe er wirkt, so ist offenbar, dass allein der Glaube aus lauterer Gnade, durch Christus und sein Wort, die Person genugsam fromm und selig macht und dass kein Werk, kein Gebot einem Christen zur Seligkeit not sei. Sondern er ist frei von allen Geboten und tut alles aus lauterer Freiheit umsonst, was er tut. Er sucht in nichts damit seinen Nutzen oder Seligkeit, denn er ist durch seinen Glauben und Gottes Gnade schon satt und selig, sondern nur, Gott darin zu gefallen. […]
Zum dreißigsten: Aus dem allen folgt der Beschluss: ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christus und seinem Nächsten, in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fähret er über sich in Gott, aus Gott fähret er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe, gleich wie Christus Joh. 1, 51 sagt: »Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf und herab fahren auf des Menschen Sohn.«
Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, welche alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde. Gott gebe uns, das recht zu verstehen und zu behalten! Amen.
Textzusammenstellung von Reinhard Neebe. In Auszügen - mit Anpassung der Rechtschreibung- zitiert nach Kurt Aland, Luther Deutsch, Bd. 2, Göttingen 1981, S. 251-274
Spottbild von Luthers Widersachern Dr. Eck usw. 1519 - 1520
Martin Luther an Johann Lang zum Papsttum als wahrem und leibhaftigen Antichrist,18. August 1520
Wir sind hier überzeugt, daß das Papsttum der Stuhl des wahren und leibhaftigen Antichrist sei, gegen dessen Lug und Trug und Bosheit zum Heil der Seelen uns – wie wir meinen – alles erlaubt sei. Ich bekenne für meine Person, daß ich dem Papst keinen anderen Gehorsam schuldig bin als den, welchen ich dem rechten Antichrist schuldig bin. Das Übrige bedenke Du und urteile nicht voreilig über uns. Wir haben guten Grund, bei dieser Meinung endgültig zu verharren.
Philipp heiratet Katharina Krappe, und man schreit, daß dies auf meine Veranlassung geschehe. Ich tue diesem Manne alles mögliche Gute und kümmere mich nicht um das allgemeine Geschwätz. Gott möge es zum besten wenden.
WA Br 2, 167. Nr. 327. Lateinisch, in deutscher Übersetzung zit. nach Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 79
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Lucas Cranach d. Ä., Passional Christi und Antichristi, 1521
Zwölfte Antithese
23. Holzschnitt: Christus jagt mit Geißelhieben die schachernden Händler aus dem Tempel, im Hintergrund rechts diskutieren seine Jünger.
[Passional Christi]
Er hat fanden im Tempel Verkäufer, Schafe, Ochsen und Tauben und Wechsler sitzen und hat gleich eine Geißel gemacht von Stricken, alle Schafe, Ochsen, Tauben und Wechsler aus dem Tempel trieben, das Geld verschüttet, die Zahlbrett (Geldtische) umkarrt und zu denen, die Tauben verkauften, gesprochen: ,Hebt euch hin[weg] mit diesen! Aus meines Vaters Haus sollt ihr nicht ein Kaufhaus machen.' Johannes 2,14-16. Ihr habt's umsonst, darum gebt's umsonst. Matthäus 1o,8. Dein Geld sei mit dir in Verdammnis. Apostelgeschichte 8,20.
24. Holzschnitt: Der Papst sitzt auf einem Thron in einer Kirche, zu seiner Linken stehen ein Kardinal und zwei Bischöfe. Mit der rechten Hand unterschreibt er einen neuen Ablassbrief, während gleichzeitig seine linke einen bereits unterzeichneten einem Mönche aushändigt, der seinerseits von einer neben ihm stehenden Frau das Geld dafür kassiert. Vor dem thronenden Papst ein mit einem Stapel weiterer Ablassbriefe und einer Menge Geld bedeckter Tisch, auf den ein Mann, hinter dem sich die Leute drängen, gerade seine Münzen abzählt. Im Vordergrund links ein kleiner Hund.
[und Antichristi]
Hier sitzt der Antichrist im Tempel Gottes und erzeigt sich als Gott, wie Paulus verkündet. 2. Paulusbrief an die Thessalonicher 2,4. Verändert alle göttliche Ordnung, wie Daniel 11,36 ff. sagt, und unterdrückt die Heilige Schrift, verkauft Dispensation, Ablass, Pallia, Bistümer, Lehen, erhebt (fordert ein) die Schätze der Erde. Löst auf die Ehe, beschwert die Gewissen mit seinen Gesetzen, macht Recht, und um Geld zerreißt er das. Erhebt Heilige, benedeiet und [ver] maledeiet [bis] ins vierte Geschlecht und gebietet seine Stimme zu hören gleich wie Gottes Stimme. cap 2 distinctio 19 (Friedb.I 60). Und niemand soll ihm [dr]einreden. cap. 30 causa 17 questio 4 (Friedb. I 823).
Quellennachweis: Bilderbeschreibung und Untertexte nach: Lucas Cranach d.Ä. Passional Christi und Antichristi. Mit einem Nachwort herausgegeben von Hildegard Schnabel, Union Verlag, Berlin 1972, S. 38-39
Martin Luthers Selbstzeugnis über seine Entwicklung zum Reformator und seine Entdeckung der "Gerechtigkeit Gottes" [1519], 5. März 1545
Martin Luther an den frommen Leser
Inzwischen hatte ich mich in jenem Jahre [1519] schon wieder der Auslegung des Psalters zugewandt, im Vertrauen darauf, daß ich durch die schulmäßige Behandlung der Briefe S. Pauli an die Römer und Galater und des Hebräerbriefs größere Übung erlangt hatte. Ich war von einer unglaublichen Sehnsucht befangen, den Verfasser des Römerbriefs kennenzulernen. Nicht als ob es mir an dem herzhaften Entschluß zu eindringender Forschung gefehlt hätte; ich stutzte einzig vor dem Worte [Röm. 1, 17] von „der Gerechtigkeit Gottes, die im Evangelium offenbart wird”. Denn dieser Begriff der „Gerechtigkeit Gottes” war mir geradezu verhaßt, weil ich gewohnt war, ihn nach dem Vorgange aller Theologen im Sinne der scholastischen Philosophie zu verstehen als die „formale oder aktive” Gerechtigkeit, vermöge deren Gott sich gerecht erweist, indem er die Sünder als die Ungerechten bestraft.
Ich aber fühlte mich, obwohl ich als Mönch ein untadeliges Leben führte, vor Gott als einen von Gewissensqualen verfolgten Sünder, und da ich nicht darauf vertrauen konnte, Gott durch meine Genugtuung versöhnt zu haben, liebte ich nicht, sondern ich haßte förmlich jene gerechte, die Sünder bestrafende Gottheit. Denn ich sagte mir: als ob es nicht genug wäre, daß die elenden Sünder, die schon durch den Fluch der Erbsünde ewiger Verdammnis preisgegeben sind, nach dem Gesetz des Alten Bundes mit allen erdenklichen Strafen heimgesucht werden, wenn nicht Gott durch das neue Evangelium die Qual noch vermehrte, indem er auch durch die Botschaft des Neuen Bundes uns nur seine zürnende und strafende Gerechtigkeit ankündigt. So marterte ich mich in der Strenge und Verworrenheit meines Gewissens; dabei aber brütete ich unablässig über jenem Ausspruch des Apostels, dessen Sinn ich mit glühender Begierde zu enträtseln suchte.
Bis nach tage- und nächtelangem Nachsinnen sich Gott meiner erbarmte, daß ich den inneren Zusammenhang der beiden Stellen wahrnahm: „Die Gerechtigkeit Gottes wird im Evangelium offenbar” und wiederum: „Der Gerechte lebt durch seinen Glauben.” Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes zu begreifen, kraft deren der Gerechte aus Gottes Gnade selig wird, nämlich durch den Glauben: daß die Gerechtigkeit Gottes, die durch das Evangelium offenbart werde, in dem passiven Sinne zu verstehen ist, daß Gott in seiner Barmherzigkeit uns durch den Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: „Der Gerechte lebt aus Glauben.” Nun fühlte ich mich geradezu wie neugeboren und glaubte, durch weit geöffnete Tore in das Paradies eingetreten zu sein. Ich ging dann die Heilige Schrift durch, soweit ich sie im Gedächtnis hatte, und fand in anderen Wendungen den entsprechenden Sinn: so ist das „Werk Gottes” dasjenige, was Gott in uns wirkt, die „Stärke Gottes” das, wodurch er uns stark macht, die „Weisheit Gottes”, durch die er uns weise macht, und so ist auch die „Kraft Gottes”, das „Heil Gottes”, die „Ehre Gottes” aufzufassen.
Je lebhafter ich also bisher das Wort von der „Gerechtigkeit Gottes” gehaßt hatte, um so liebevoller mußte ich nun diese gnadenreiche Vorstellung umfassen, und so hat mir jener Ausspruch des Apostels in der Tat die Pforten des Himmels erschlossen. Nachher las ich Augustins Schrift „über den Geist und den Buchstaben",wo ich wider Erwarten fand, daß auch dieser die Gerechtigkeit Gottes auffaßt als diejenige, die Gott uns beilegt, indem er uns rechtfertigt. Und wiewohl das noch unvollkommen gedacht ist und dieser Vor-gang der Beilegung nicht alles deutlich erklärt, war ich doch zufrieden, daß hier die Gerechtigkeit Gottes dahin erläutert wurde, daß wir durch sie gerecht gesprochen werden.
Durch solche Gedankengänge besser ausgerüstet, begann ich, die Psalmen ein zweites Mal zu erklären, und aus dieser Arbeit wäre ein umfangreicher Kommentar entstanden, wenn ich nicht im folgenden Jahre durch die Berufung vor den durch Kaiser Karl V. in Worms abgehaltenen Reichstag zu neuer Unterbrechung genötigt worden wäre.
Das aber erzähle ich dir, lieber Leser, damit du beim Durchgehen meiner Schriftchen dir vergegenwärtigst, daß ich, wie Augustin von sich selbst sagt, einer von denen gewesen bin, die sich durch Schreiben und Lehren vorwärtszubringen suchten, nicht von denen, die aus nichts mit einem Schlage alles werden, obwohl sie doch nichts gearbeitet, keine Versuchung bestanden, keine Erfahrungen gesammelt, sondern auf den ersten Anlauf sich des gesamten Inhalts der Heiligen Schrift bemächtigt haben.
Bis hierher war in den Jahren 1520 und 1521 der Ablaßstreit gediehen; ihm schlossen sich an der Abendmahlsstreit und die Kämpfe mit den Wiedertäufern .. .
Und nun Gott befohlen, lieber Leser, und bete für das Gedeihen des göttlichen Wortes trotz der Macht und List des Satans, der gerade jetzt sich wütend und grausam gebärdet...
zit. nach: Martin Luther. Eine Auswahl aus seinen Werken und Briefen mit einem Nachwort von Friedrich Seebass, Königstein Ts. 1959, S. 7-11 (Auszug)

Tafel 5: Kaiser und Mönch: Luther und Karl V. in Worms 1521
Im April 1521 muss sich Luther auf dem Reichstag zu Worms vor Kaiser und Reich für seine neuen Lehren verantworten. Hierbei kommt es zu einer historisch denkwürdigen Begegnung mit dem neugewählten Kaiser Karl V. Als weltlicher Arm der Kirche hat der Kaiser den inzwischen von Papst Leo X. ausgesprochenen Kirchenbann gegen Luther zu vollstrecken. Bevor eine Verurteilung und die Reichsacht ausgesprochen werden kann, muss allerdings eine Anhörung vor den Reichsständen erfolgen, wobei Karl V. dem Beschuldigten das freie Geleit auch für die Rückreise zugesichert hat. Luther bekennt sich in einem zweimaligen Verhör nachdrücklich zu seinen Büchern und Schriften und weigert sich standhaft, seine Aussagen zu widerrufen - es sei denn, er könne durch Zeugnisse der Heiligen Schrift widerlegt werden. Daraufhin verhängt der Kaiser im "Wormser Edikt" vom 26. Mai 1521 die Reichsacht über Luther und seine Anhänger. Der Reformator selbst wird für vogelfrei erklärt, Druck und Verbreitung aller seiner Bücher werden untersagt.
Bemerkenswert an dem Wormser Auftritt Luthers ist nicht zuletzt, dass der Kaiser sich zu einer Gegenerklärung herausgefordert sieht, in der er ein persönliches Bekenntnis ablegt und sein religionspolitisches Programm offenbart: Der humanistisch geprägte Monarch, vom Typus eher Künstler oder feinsinniger Gelehrter, versteht sich als Repräsentant eines universalen, christlich begründeten Kaisertums, der die Einheit der ganzen Christenheit zu bewahren und schützen hat. Wie sich während seiner gesamten Regierungszeit bis 1555 zeigt, ist die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit des Abendlandes das Ziel, das Karl V. aus tiefster innerer Überzeugung verfolgt: Die religiöse Spaltung soll dabei nicht einfach nur durch Verdammung und blindwütige Bekämpfung des Protestantismus, sondern unter Einbindung auch der römisch-katholischen und päpstlichen Seite in gemeinschaftlichen Religionsgesprächen und einem großen allgemeinen Konzil dauerhaft überwunden werden.
Nach dem Tode Karls V. im spanischen Yuste hält Philipp Melanchton 1559 in Bologna geradezu eine Eloge auf den Kaiser und seine maßvolle und nach Verständigung suchende Rolle in der Reformation - ja er stellt Karl in seiner historischen Bedeutung sogar auf eine Stufe mit dem römischen Kaiser Augustus (siehe Dok. in Ausstellungsraum 15).
Luther vor Kaiser Karl V. auf dem Reichstag zu Worms 1521.
Eigenhändige Erklärung Kaiser Karls V. gegen Luther auf dem Wormser Reichstag, 19. April 1521
Nachdem Luther sich vor dem Wormser Reichstag am 17. und 18. April 1521 zu seinen Schriften bekannt und jeden Widerruf verweigert hatte, rief Kaiser Karl V. die Kurfürsten und einige Fürsten zu sich und fragte nach ihrer Meinung. Sie erbaten Bedenkzeit, worauf der Kaiser sagte: Gut, ich will euch aber zuerst meine Meinung zu erkennen geben. Darauf ließ er nachstehende Erklärung erst französisch, dann deutsch verlesen:
Ihr wißt, daß ich von den allerchristlichsten Kaisern der edlen deutschen Nation, den katholischen Königen von Spanien, den Erzherzögen von Osterreich und den Herzögen von Burgund abstamme, die alle bis zu ihrem Tode treue Söhne der katholischen Kirche gewesen sind ..., ihren Glauben verteidigend und ausbreitend zur Ehre Gottes, für das Heil ihrer Seelen ... Sie haben die heilige katholische Religion hinterlassen, damit ich in ihr lebe und sterbe ... Deshalb bin ich entschlossen alles zu halten, was meine Vorgänger und ich bis zum gegenwärtigen Augenblick gehalten haben, insbesondere was sie auf dem Konzil zu Konstanz[1] und anderen [Konzilien] angeordnet haben. Denn es ist sicher, daß ein einzelner Bruder in seiner Meinung irrt, wenn diese gegen die der ganzen Christenheit, wie sie seit mehr als tausend Jahren und heute gelehrt wird, steht, denn sonst hätte ja die ganze Christenheit heute und immer geirrt. Deshalb bin ich fest entschlossen, an diese Sache meine Reiche und Herrschaften, meine Freunde, meinen Leib, mein Blut, mein Leben und meine Seele zu setzen. Denn es wäre eine große Schande für mich und für euch, die ihr die edle und berühmte deutsche Nation darstellt, für uns, die wir durch besondere und einzigartige Auszeichnung zu Verteidigern und Schützern des katholischen Glaubens berufen sind, wenn zu unseren Zeiten und durch unsere Pflichtvergessenheit die Häresie, ja auch nur der Verdacht der Häresie oder einer Minderung der christlichen Religion zu unserer und unserer Nachkommen ewiger Unehre zurückbliebe. Nachdem ich die hartnäckige Antwort vernommen habe, die Luther gestern in unser aller Anwesenheit gegeben hat, erkläre ich euch: Es reut mich, daß ich es solange aufgeschoben habe, gegen diesen Luther und seine falsche Lehre vorzugehen. Ich bin entschlossen, ihn nicht weiter anzuhören, sondern ich will, daß er unverzüglich gemäß dem Mandat nach Hause geschickt werde. Das freie Geleit soll ihm, wie zugesagt, gehalten werden, aber er soll nicht predigen noch dem Volk seine böse Lehre vortragen, und jede Unruhe soll vermieden werden. Ich bin, wie schon gesagt, entschlossen, mich gegen ihn wie gegen einen notorischen Häretiker zu verhalten, und ersuche euch, daß ihr euch in dieser Sache so erklärt, wie es guten Christen ziemt und wie es eure Pflicht und euer mir gegebenes Versprechen verlangen.
Reichstagsakten, Bd. 2, S. 594—596
zit. nach: Geschichte in Quellen, Bd. III, München 1966, S. 125-136
Martin Luther an Kaiser Karl V., Friedberg, 28. April 1521 (Auszüge)
Gnade und Friede mit aller Untertänigkeit durch Christus Jesus unsern Herrn. Allerdurchlauchtigster und unüberwindlicher Kaiser, allergnädigster Herr! Nachdem Ew. kaiserliche Majestät mich unter öffentlichem sicheren Geleit nach Worms berufen haben, um meine Ansicht über die kleinen Schriften, die in meinem Namen veröffentlicht sind, zu erkunden, da bin ich in aller Demut vor Ew. kais. Maj. und dem ganzen Reich in allem gehorsam erschienen. Ew. kais. Maj. hat mir vornehmlich die Frage vorlegen lassen, ob ich die genannten Bücher für die meinen anerkenne und ob ich sie widerrufen oder darauf verharren wollte oder nicht? Da ich sie aber für die meinen erkannte (wofern nur von meinen Gegnern oder Klüglingen in ihnen nichts durch List und Tücke verkehrt oder verändert wäre), habe ich in aller Ehrerbietung und Demut erklärt, das wäre meine Meinung: Meine Bücher habe ich auf klare und deutliche Beweise der heiligen Schrift gegründet. Es stände mir nicht frei, noch wäre es billig und recht, noch könnte ich es auf irgendeine Weise fertigbringen, Gottes Wort zu verleugnen und meine Bücher auf diese Weise zu widerrufen. Demütig habe ich gebeten, Ew. kais. Maj. wollten unter keinen Umständen dulden, daß ich zu solchem Widerruf genötigt würde, sondern vielmehr darauf sehen, daß meine Bücher entweder von ihr selbst oder von anderen gleich welchen Stands, und seien es auch die Allergeringsten (wenn die es könnten), durchgesehen und die Irrtümer, welche angeblich darin sein sollen, aus der heiligen Schrift, d.h. den Evangelien und den Propheten, widerlegt würden. Mit christlicher Bereitwilligkeit habe ich mich erboten, wenn ich des Irrtums überführt würde, dann wollte ich alles widerrufen und der Erste sein, der meine Bücher ins Feuer werfen und mit Füßen treten wollte.
Über das alles hinaus ist von mir verlangt und gefordert, ich sollte einfältig und klar antworten, ob ich bereit sei zu widerrufen oder nicht? Darauf habe ich nochmals so demütig wie ich konnte geantwortet: Weil mein Gewissen durch die heilige Schrift, welche ich in meinen Büchern angeführt habe, gebunden sei, so kann ich ohne bessere Belehrung auf keine Weise etwas widerrufen. Darauf verhandelten etliche Kurfürsten, Fürsten und andere Stände des Reichs mit mir, ich solle meine Bücher zur Untersuchung und Beurteilung Ew. kais. Maj. und den Reichsständen übergeben. Darum bemühten sich bei mir der Kanzler zu Baden (Hieronymus Vehus) und Doktor Peutinger. Ich aber erklärte wie zuvor, nur wenn ich aus göttlicher Schrift oder einleuchtender Beweisführung anders belehrt würde (wollte ich gerne weichen). Endlich ist besprochen worden, daß ich einige ausgewählte Artikel dem Urteil eines allgemeinen Konzils überlassen und darauf vertrauen sollte. Aber ich, der ich allezeit und mit allem Eifer demütig bereit gewesen bin, alles zu tun und zu leiden, was mir möglich wäre, habe diese eine (ganz christliche Bitte) nicht durchsetzen können: daß mir Gottes Wort frei und ungebunden bliebe, und daß ich meine Bücher Ew. kais. Maj. und den Reichsständen auf solche Weise übergäbe oder auch der Entscheidung eines Konzils anvertraute, daß nichts gegen das Evangelium Gottes weder von mir zugegeben noch von ihnen festgesetzt würde. Das war der Hauptpunkt der ganzen Auseinandersetzung.
Denn Gott, der unsere Herzen durchforscht, ist mein Zeuge, daß ich ganz willig bin, Ew. kais. Maj. zu Willen zu sein und zu gehorchen, es sei im Leben oder Tod, in Ehre oder Schande, in Gewinn oder Verlust. [...] Aber bei Gottes Wort und den ewigen Gütern duldet Gott nicht, daß man diese einem Menschen unterordnet. Denn er will, daß ihm alle und alles unterworfen sei. Ihm allein gebührt wahrhaftig der Ruhm der Wahrheit, ja er ist die Wahrheit selbst, aber alle Menschen sind Lügner und Prahler, wie Paulus Rom. 3, 4 trefflich sagt. [...] Darum bitte ich aufs allerdemütigste, Ew. kais. Maj. wollen nicht denken, daß diese Entscheidung für das Wort Gottes aus einem bösen Argwohn herkommt, sie auch nicht ungnädig verstehen. Denn sie hat sich aus den vorher zitierten Schriftworten ergeben, welchen alle Kreatur billig weichen soll. Die Gültigkeit der Schrift, sagt Augustin, ist größer, als aller Menschen Verstand fassen kann. Denn meine hohe Meinung und Treue Ew. kais. Maj. gegenüber habe ich aufrichtig bewiesen. Ew. kais. Maj. kann das daraus leicht erkennen, daß ich unter Ew. kais. Maj. Geleit gehorsam erschienen bin und nichts befürchtet habe, obwohl ich wußte, daß meine Bücher von den Widersachern verbrannt sind und mittlerweile ein Mandat gegen mich und meine Bücher unter Ew. kais. Maj. Namen öffentlich und an vielen Orten angeschlagen ist. Das hätte einen armen Mönch wohl mit Recht abschrecken und zurückhalten können, wenn ich mich zu Gott dem Allmächtigen, Ew. kais. Maj. und zu den Reichsständen nicht alles Guten versehen hätte und noch versähe.
Auf keine Weise habe ich nun die Widerlegung meiner Bücher durch die heilige Schrift erreichen können und bin gezwungen gewesen, unwiderlegt davonzuziehen. Der ganze Streit aber (wie gesagt) beruht darauf, daß man die irrigen Artikel, die in meinen Büchern sein sollen, nicht mit der heiligen Schrift beweisen wollte, man machte mir auch keine Hoffnung oder gab mir das Versprechen, meine Büchlein irgendwann künftig nach Gottes Wort zu prüfen und zu erörtern: Trotzdem danke ich Ew. kais. Maj. aufs allerdemütigste, daß mir das öffentliche Geleit zu Worms unverbrüchlich gehalten und weiter zu halten zugesagt wurde, bis ich sicher nach Hause käme. Schließlich bitte ich Ew. kais. Maj. noch einmal um Christi willen aufs alleruntertänigste, nicht zu dulden, daß ich von den Widersachern unterdrückt werde, Gewalt leide und verdammt werde, zumal ich mich nun so oft angeboten habe, wie es sich für einen Christen und gehorsamen Menschen ziemt. Denn ich bin auch jetzt noch ganz bereit, mich unter Ew. kais. Maj. Schutz vor unverdächtigen, gelehrten und freien Richtern, weltlichen oder geistlichen, zu stellen, durch Ew. kais. Maj., durch die Reichsstände, durch Konzile, durch Doktoren oder wer da könne oder wolle, belehren zu lassen und meine Bücher und Lehren allen gerne zu unterwerfen, ihre Prüfung und ihr Urteil zu dulden und anzunehmen ohne jede Ausnahme als allein das offenbare, klare und freie Wort Gottes, welches billig über alles sein und aller Menschen Richter bleiben soll.
Daher bitte ich untertänigst nicht um meinetwillen (der ich es nicht wert bin), sondern im Namen der ganzen Christenheit, was mich auch bewogen hat, diesen Brief sogleich abzusenden. Denn von Herzen gern möchte ich, daß Ew. kais. Maj., dem ganzen Reich und der edlen deutschen Nation aufs allerbeste geraten würde und daß alle in Gottes Gnade glücklich erhalten blieben. Ich habe auch bisher nach nichts anderem gefragt als nach Gottes Ehre und dem Gemeinwohl aller, und auf meinen eigenen Vorteil habe ich auch jetzt noch immer nicht gesehen, mögen mich meine Gegner verdammen oder nicht. Wenn nämlich Christus, mein Herr, für seine Feinde am Kreuz gebeten hat (Luk. 23, 34), wieviel mehr sollte dann ich für Ew. Maj., für das Reich, für meine teuersten Oberherren und das ganze deutsche Vaterland, zu welchen ich mich alles Guten versehe – im Vertrauen auf meine obige Darlegung – mit Freude und Zuversicht in Christus besorgt sein, bitten und flehen.
Hiermit befehle ich mich in Ew. kais. Maj. Schutz und Schirm, die Gott der Herr uns mit Segen und gnädig regiere und erhalte, Amen.
WA Br 2, 307-310. Nr. 401. Lateinisch, in deutscher Übersetzung vollständig wiedergegeben bei Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 85-89
Das Wormser Edikt, 26. Mai 1521
Das Wormser Edikt von 1521 wurde von Karl V. am 30. April 1521 in Auftrag gegeben, um den durch den Papst über Luther verhängten Bann auch innenpolitisch durchzusetzen. Maßgeblich erarbeitet wurde das Dekret durch den päpstlichen Nuntius Aleander, der Kaiser unterzeichnete es zunächst jedoch nicht. Erst wollte er die Reichsfürsten darüber in Kenntnis setzen; am 26. Mai 1526 unterzeichnete er das Wormser Edikt schließlich in Anwesenheit von vier Reichsfürsten. Durch das Dekret wurde über Martin Luther die Reichsacht verhängt: Niemand sollte im Hilfe leisten dürfen, jedermann konnte ihn festsetzen und hatte ihn an den Kaiser bzw. Papst auszuliefern.
Eine an den modernen Sprachgebrauch angeglichene Fassung des Originaltextes steht ebenfalls im DigAM zur Verfügung.
Das Wormser Edikt, 26. Mai 1521
Der päpstliche Nuntius Aleander wurde am 30. April vom Kaiser beauftragt, ein Dekret gegen Luther aufzusetzen. Aleander übergab den Entwarf am 8. Mai dem kaiserlichen Kanzler Gattinara. Der Kaiser verweigerte jedoch am 12. Mai die Unterschrift, da er das Dekret noch den Reichsfürsten vorlegen wollte. Erst nach Abschluß des Reichstages ist das Edikt am 26 Mai in Gegenwart von vier Kurfürsten, nicht aber der Stände insgesamt, vom Kaiser unterschrieben worden.
... Unserem römischen kaiserlichen Amt steht es zu, ... darauf zu sehen, daß im Römischen Reich keine Befleckung durch Ketzerei oder Argwohn unseren heiligen Glauben verunreinige... Wenn wir deshalb einige Ketzereien, die innerhalb von drei Jahren in der deutschen Nation entsprungen sind und früher durch die heiligen Konzilien und päpstlichen Satzungen mit Gutheißung der gesamten Kirche tatsächlich verdammt wurden und nun aufs neue aus der Hölle herauf gezogen sind, tiefer einwurzeln ließen und aus unserem Versäumnis nachsichtig und duldsam wären, würde unser Gewissen merklich beschwert und die Ehre unseres Namens schon am glückseligen Beginn unserer Regierung mit einem dunklen Nebel umfangen.
Es ist unbezweifelt und allen unverborgen, wie weit der Irrtum und die Ketzerei vom christlichen Weg abweichen, die ein gewisser Martin Luther aus dem Augustinerorden in die christliche Religion und Ordnung vor allem in der durchlauchtigsten deutschen Nation, die Unglauben und Ketzerei unaufhörlich zurückweist, einzuführen und zu besudeln sich untersteht, und zwar dergestalt, daß - wenn dem nicht schleunigst begegnet wird - dadurch dieselbe ganze deutsche Nation und schließlich durch solche Entwurzelung alle anderen Nationen in unmenschliche Trennungen und erbärmlichen Abfall von den guten Sitten, vom Frieden und christlichen Glauben kommen werden. Deshalb ist unser Heiliger Vater Papst Leo X.. der heiligen römischen und allgemeinen christlichen Kirche oberster Bischof [1] zurecht ... mit nicht ungebräuchlichen Mitteln und Wegen dagegen vorgegangen ... Und obwohl wir eine solche Ermahnung nach Übergabe der päpstlichen Bulle [2] und zuletzt die Verurteilung Luthers [3] an vielen Orten der deutschen Nation verkündet, auch in unseren niederburgundischen Landen und besonders in Köln, Trier, Mainz und Lüttich zu vollziehen geboten haben, hat sich doch Martin Luther darüber nicht nur nicht besonnen, gebessert, noch seine Irrtümer widerrufen, noch von der päpstlichen Heiligkeit Absolution und in der heiligen christlichen Kirche Gnade erbeten, sondern seines verkehrten Sinnes und Verständnisses überaus böse Frucht und Wirkung - wie ein Wütender in eine offenbare Unterdrückung der heiligen Kirche einfallend - durch viele Bücher, die nicht allein von neuen, sondern von bereits früher durch heilige Konzilien verdammten Ketzereien und Gotteslästereien voll sind, in lateinischer und deutscher Sprache von ihm selbst oder wenigstens unter seinem Namen verfaßt, täglich verbreitet. Darin hat er die von der heiligen Kirche solange festgehaltene Siebenzahl der Sakramente, ihre Ordnung und ihren Gebrauch zerstört, verdreht, verletzet und die ewigen Gesetze der heiligen Ehe in ausgesuchter Weise schändlich befleckt. Er sagt, die heilige Ölung sei ein erdichtetes Ding. Er will Anwendung und Empfang des unaussprechlich heiligen Sakraments in der Gewohnheit und Übung, wie sie bei den verdammten Böhmen [4] üblich ist. Er verdreht von Anfang an die Beichte, die den von Sünden befleckten und beladenen Herzen am allernützlichsten ist, dermaßen, daß daraus keine Grundlage noch Frucht abgeleitet werden kann. Schließlich droht er noch, über die Beichte soviel zu schreiben, daß nicht nur jeder aus diesen seinen verrückten Schriften es wagen wird zu sagen, die Beichte sei fruchtlos, sondern die meisten auch predigen werden, daß man nicht beichten müsse. Er hält von priesterlichem Amt und Weihe am allerwenigsten und wagt es auch, die Laien [die weltlichen laischen personen] zu bewegen, ihre Hände im Blut der Priester zu waschen.
Er schmäht den obersten Priester unseres christlichen Glaubens, den Nachfolger des Heiligen Petrus und Christi wirklichen Stellvertreter auf Erden, mit verleumdnerischen und schändlichen Worten und verfolgt ihn mit mannigfaltigen unerhörten Anfeindungen und Schmähungen. Er schließt aus heidnischen Dichtungen, daß es keinen freien Willen gebe, und zwar in dem Sinne, daß alle Dinge in einer festen Bestimmung stehen. Er schreibt, daß die Meßfeier niemandem zugute komme außer dem, der sie vollbringt. Dazu verkehrt er die Übung des Fastens und Betens, wie sie von der heiligen Kirche festgesetzt und bisher gehalten worden ist. Besonders verachtet er auch die Autorität der heiligen Väter, die von der Kirche als solche erklärt sind. Er setzt sich gänzlich hinweg über Gehorsam und Leitung und schreibt fast gar nichts anderes, als was zu Aufruhr, Spaltung, Krieg, Totschlag, Räuberei, Brandstiftung und völligem Abfall des christlichen Glaubens gereicht und dient. Dann lehrt er auch ein freies, eigenwilliges Leben, das von allem Gesetz ausgeschlossen ist: frei wie das Vieh. Er ist also ein freier, eigenwilliger Mensch, der jedes Gesetz verdammt und unterdrückt, wie er ja dann auch kein Entsetzen und keine Scheu gezeigt hat, die Dekrete und geistlichen Gesetze öffentlich zu verbrennen [5]. Und da er vor dem weltlichen Schwert noch weniger Furcht hat als vor des Papstes Bann und Strafe, hat er auch das weltliche Recht boshaft mißachtet.
Er schämt sich nicht, jetzt öffentlich gegen die heiligen Konzilien zu reden und sie mit Absicht zu schmähen und zu verletzen, unter diesen greift er besonders das Konzil von Konstanz allenthalben mit seinem schmutzigen Mund hart an; er nennt es - zur Schmach und Herabsetzung der gesamten christlichen Kirche und der deutschen Nation - eine Synagoge des Teufels, und jene, die daran teilgenommen und verordnet hatten, daß Johannes Huß wegen seiner ketzerischen Handlung zu verbrennen sei, nämlich unseren Vorgänger Kaiser Sigismund sowie die Fürsten des heiligen Reiches und die allgemeine Versammlung bezeichnet er als Antichristen, Teufelsapostel, Totschläger und Pharisäer und sagt, daß alles das, was in demselben Konzil wegen der Ketzerei des Huß verdammt wurde, christlich und evangelisch sei, und behauptet, er könne es beweisen. Die Artikel, die dasselbe Konzil angenommen und beschlossen hat, will er keineswegs gelten lassen und ist in seinem Verlangen in eine solche Unsinnigkeit verfallen, daß er sich rühmt, wenn der erwähnte Huß einmal ein Ketzer gewesen sei, so sei er zehnmal ein Ketzer. Ohne alle anderen Bosheiten Luthers aufzuzählen, sei kurz gesagt: dieser eine, nicht ein Mensch, sondern der böse Widersacher leibhaftig in Gestalt eines Menschen mit angenommener Mönchskutte, hat die auf das schärfste verdammten Irrlehren aller Ketzer, die lange Zeit verborgen geblieben sind, in eine stinkende Pfütze zusammengesammelt und selber einige neue dazu erdacht unter dem Anschein, er predige den Glauben, den er vielfach mit solch großem Fleiß erfindet, damit er den wahren und rechten Glauben zerstöre und unter Namen und Schein der evangelischen Lehre allen evangelischen Frieden. Liebe, Ordnung aller guten Dinge sowie die anmutige Erscheinung des Christentums [die allerzierlichst christlich gestalt] verkehre und unterdrücke...
Da nun die Sache dermaßen verlaufen ist und Martin Luther also ganz verhärtet und verkehrt in seinen offenkundigen ketzerischen Auffassungen verharrt und deshalb von all denen, die Gottesfurcht und Vernunft [6] haben, für töricht oder vom bösen Geist besessen befunden wurde, ... haben wir zu ewigem Gedächtnis dieser Verhandlung, zur Vollstreckung des Dekrets, des Urteils und der Verdammung entsprechend der Bulle, die unser Heiliger Vater, der Papst, als ordentlicher Richter in diesen Angelegenheiten. verkündet hat, festgesetzt, daß Ihr den erwähnten Martin Luther als ein von Gottes Kirche abgesondertes Glied und einen verstockten Häretiker und offenbaren Ketzer von uns und Euch allen und jedem insbesondere zu achten und zu halten erkennet und erkläret und dasselbe kraft dieses Schreibens bewußt in die Tat umsetzt. Und weiter gebieten wir Euch allen und jedem einzelnen bei seinen Pflichten, womit Ihr uns und dem heiligen Reich untertan seid ... daß Ihr allesamt und jeder einzelne nach Ablauf der oben erwähnten 20 Tage, die am 14. Tag des gegenwärtigen Monats Mai enden, den vorgenannten Martin Luther nicht in Euer Haus aufnehmt, nicht bei Hofe empfangt, ihm weder zu essen noch zu trinken gebt, ihn nicht versteckt, ihm nicht mit Worten oder Werken heimlich noch öffentlich irgendeine Hilfe ... Anhängerschaft, Beistand oder Vorschub erweiset, sondern wo Ihr ihm beikommen, ihn ergreifen und seiner mächtig werden könnt, ihn gefangen nehmt und uns wohlbewahrt zusendet oder das zu tun beauftragt oder uns wenigstens, wenn er Euch in die Hand gebracht wird, unverzüglich verkündet und anzeigt und ihn inzwischen im Gefängnis behaltet, bis Euch von uns Bescheid gegeben wird, was Ihr ferner nach Rechtsordnung gegen ihn unternehmen sollt und Ihr für ein solches heiliges Werk, Eure Mühe und Kosten eine angemessene Entschädigung empfangen werdet. Aber gegen seine Verbündeten, Anhänger, Verberger, Vorschubleister, Gönner und Nachfolger sowie deren bewegliche und unbewegliche Güter sollt Ihr kraft der heiligen Konstitution und unser und des Reiches Acht und Aberacht in dieser Weise handeln: nämlich sie niederwerfen und fangen und ihre Güter in Eure Hände nehmen und sie zu Eurem eigenen Nutzen verwenden und behalten ohne irgendeine Behinderung, es sei denn, daß sie durch glaubwürdiges Gehaben [schein] anzeigen, daß sie diesen unrechten Weg verlassen und die päpstliche Absolution erlangt haben.
Ferner gebieten wir Euch allen und einem jeden von Euch, im besonderen unter den vorgeschriebenen Strafen, daß keiner von Euch die Schriften des obengenannten Martin Luther, die von unserem Heiligen Vater, dem Papst, wie oben steht, verdammt, und alle anderen Schriften, die in Latein und Deutsch oder in anderer Sprache bisher von ihm verfaßt sind oder künftig verfaßt wenden, als Bosheit, argwöhnisch und verdächtig und von einem offenbaren, hartnäckigen Ketzer ausgegangen, kaufe, verkaufe, lese, behalte, abschreibe, drucke oder abschreiben oder drucken lasse, noch sich seiner Meinung anschließe. diese auch nicht festigte, predige oder beschirme noch in einer anderen Weise, wie Menschensinn erdenken kann, es wage, ohne Rücksicht darauf, ob darin etwas Gutes eingeführt werde, um den einfältigen Menschen damit zu betrügen...
[...]
[1] Es folgt im Text die Darstellung des römischen Prozesses und die Bannandrohungsbulle "Exsurge Domine" vom 15.6.1520 [...].
[2] Gemeint ist die Bulle "Exsurge Domine" vom 15.6.1520
[3] Bulle vom 3.1.1521. in der der Bann über Luther ausgesprochen wurde.
[4] Unter den Böhmen (Beheim) sind hier die Vertreter der hussitischen Bewegung (Utraquisten) zu verstehen, die u.a. den Genuß des Abendmahls unter beiderlei Gestalt forderte [...].
[5] Hier wird angespielt auf die Verbrennung von Teilen des kanonischen Rechts und der Bannandrohungsbulle am 10 Dezember 1520 durch Luther.
[6] Vgl. oben Luthers Berufung auf Schrift und Vernunft [...].
Quelle: Oberman, Heiko A., Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Neukirchen 1981, 62-65.
Wormser Edikt Karls V. gegen Luther, 8. Mai/26. Mai 1521 [Auszüge, Kurzfassung]
Unzweifelhaft weichen der Irrtum und die Ketzerei vom christlichen Weg ab, die ein gewisser Martin Luther aus dem Augustinerorden in die christliche Religion einzuführen sich untersteht, und zwar dergestalt, daß - wenn dem nicht schleunigst begegnet wird - [die] ganze deutsche Nation und schließlich alle anderen Nationen in unmenschliche Trennungen und erbärmlichen Abfall von den guten Sitten, vom Frieden und christlichen Glauben kommen werden.
Da nun [...] Martin Luther hartnäckig und verkehrt in seinen offenkundig ketzerischen Auffassungen verharrt und deshalb von all denen, die Gottesfurcht und Vernunft haben, für töricht oder vom bösen Geist besessen befunden wurde, [...] haben wir zu Vollstreckung des Urteils, [...] das unser Heiliger Vater, der Papst, als ordentlicher Richter in diesen Angelegenheiten, verkündet hat[1], festgesetzt, daß Ihr den erwähnten Martin Luther als ein von Gottes Kirche abgesondertes Glied und als einen verstockten Häretiker[2] und offenbaren Ketzer [...] haltet. [...] Und weiter gebieten wir Euch allen und jedem einzelnen bei seinen Pflichten, womit Ihr uns und dem heiligen Reich untertan seid, [...] daß Ihr allesamt und jeder einzelne nach Ablauf der oben erwähnten 20 Tage, die am 14. Tag des gegenwärtigen Monats Mai enden, den vorgenannten Martin Luther nicht in Euer Haus aufnehmt, nicht bei Hofe empfangt, ihm weder zu essen noch zu trinken gebt, ihn nicht versteckt, ihm nicht mit Worten oder Werken heimlich noch öffentlich irgendeine Hilfe, Anhängerschaft, Beistand oder Vorschub erweiset, sondern wo Ihr ihm beikommen, ihn ergreifen und seiner mächtig werden könnt, ihn gefangen nehmt und uns wohlbewahrt zusendet oder das zu tun beauftragt [...].
[...] Aber gegen seine Verbündeten, Anhänger, [...] Gönner und Nachfolger sowie deren bewegliche und unbewegliche Güter sollt Ihr kraft der heiligen Konstitution und unser und des Reiches Acht und Aberacht in dieser Weise handeln: nämlich sie niederwerfen und fangen und ihre Güter in Eure Hände nehmen und sie zu Eurem eigenen Nutzen verwenden und behalten ohne irgendeine Behinderung. [...]
Ferner gebieten wir Euch allen und einem jeden von Euch, im besonderen unter den vorgeschriebenen Strafen, daß keiner von Euch die Schriften des oben-genannten Martin Luther [...] kaufte, verkaufte, lese, behalte, abschreibe, drucke oder abschreiben oder drucken lasse, noch sich seiner Meinung anschließe, diese auch nicht festhalte, predige oder beschirme [...]
Geschichte in Quellen, Bd. 3, München 1966, S. 126ff. [Auszüge]
Der "Papstesel zu Rom". Holzschnitt von Lucas Cranach d.Ä. zu einer antipäpstlichen Flugschrift von Luther und Melanchton, 1523
Geleitbrief des Landgrafen Philipp zu Hessen für Dr. Martin Luther nach dem Wormser Reichstag, 25. April 1521
Geleitsbrieff des Landgraven zu Hessen / für D. Mart. Luth. da er ist vom Reichstag zu Wormbs abgereiset / wider in sein Gewarsam.
Wir Philips von Gottes gnaden / Landgrave zu Hessen / Grave zu Katzenelnbogen / zu Dietz /Ziegenhain und zu Nidda etc. Bekennen und thun kund offenbar mit diesem Brieve gen menniglich / Als D.M.L. von diesem Reichstag und hie aus Wormbs widerumb abgereiset ist / das wir jm / für sich / und alle die jenen / so er bey und mit jm hat / unser frey / starck / sicher und ongefehrlich Geleit / In und durch unsere Fürstenthumb / Grafschaft / Herrschafft und Gebiete / für uns / und alle die Unsern / der wir ongefehrlich mechtig / und die umb unsern willen zuthun und zu lassen verpflicht sind / geben haben / und geben jm das also gegenwertig in und mit krafft dieses Brieffs / allenthalben an Enden und Orten / da wir zu geleiten auch zu gebieten und zu verbieten haben ongefehrt / Und des in Urkund ist dieser Brieff mit unserm wissentlich beigedrucktem Secret Insigel besiegelt.
Geben zu Wormbs / am Freytag nach Jubilate / das ist / am 25. Aprilis / und Christi unseres lieben Herrn Geburt M.D.XXI.
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Martin Luther an Georg Spalatin, Mißachtung der päpstlichen Bulle Leo X.,11. Oktober 1520
Endlich ist die römische Bulle angekommen, die Eck mitgebracht hat, von der die Unseren viel an den Fürsten schreiben. Ich verachte sie und greife sie jetzt als lügenhaft und gottlos und in jeder Hinsicht eckisch an. Du siehst, daß in ihr Christus selbst verdammt wird. Weiter wird keinerlei Grund und Ursache angegeben. Endlich werde ich berufen, nicht um gehört zu werden, sondern um zu widerrufen. So kannst Du erkennen, daß sie voller Wut, Blindheit und Unsinnigkeit sind, die nichts sehen noch bedenken. Doch will ich noch den Namen des Papstes unterdrücken und gegen sie als eine erdichtete und erlogene Bulle vorgehen, obwohl ich fest überzeugt bin, daß sie echt und ihre eigene sei. O daß doch (Kaiser) Karl ein Mann wäre und für Christus diese Teufel angriffe! Ich freilich fürchte nichts für mich, es geschehe Gottes Wille. Auch weiß ich nicht, was der Fürst tun soll, nur scheint es mir hier das Beste zu sein, er stelle sich, als wisse er nichts davon. Denn zu Leipzig und überall ist die Bulle wie auch Eck sehr verachtet. Daher argwöhne ich, die Bulle könnte sich Ansehen erwerben, wenn wir uns zu sehr um sie sorgen, und kümmern, während sie sich selbst überlassen leicht zusammensinken und einschlafen wird. Ich sende Dir ein Exemplar davon, damit Du die römischen Ungeheuerlichkeiten siehst. Wenn sich das durchsetzen sollte, dann ist es um Glauben und Kirche geschehen.
WA Br 2, 195. Nr. 341. Lateinisch. Lateinisch, in deutscher Übersetzung zit. nach Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 79-80
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Martin Luther an Georg Spalatin, Mißachtung der päpstlichen Bulle Leo X.,11. Oktober 1520
Endlich ist die römische Bulle angekommen, die Eck mitgebracht hat, von der die Unseren viel an den Fürsten schreiben. Ich verachte sie und greife sie jetzt als lügenhaft und gottlos und in jeder Hinsicht eckisch an. Du siehst, daß in ihr Christus selbst verdammt wird. Weiter wird keinerlei Grund und Ursache angegeben. Endlich werde ich berufen, nicht um gehört zu werden, sondern um zu widerrufen. So kannst Du erkennen, daß sie voller Wut, Blindheit und Unsinnigkeit sind, die nichts sehen noch bedenken. Doch will ich noch den Namen des Papstes unterdrücken und gegen sie als eine erdichtete und erlogene Bulle vorgehen, obwohl ich fest überzeugt bin, daß sie echt und ihre eigene sei. O daß doch (Kaiser) Karl ein Mann wäre und für Christus diese Teufel angriffe! Ich freilich fürchte nichts für mich, es geschehe Gottes Wille. Auch weiß ich nicht, was der Fürst tun soll, nur scheint es mir hier das Beste zu sein, er stelle sich, als wisse er nichts davon. Denn zu Leipzig und überall ist die Bulle wie auch Eck sehr verachtet. Daher argwöhne ich, die Bulle könnte sich Ansehen erwerben, wenn wir uns zu sehr um sie sorgen, und kümmern, während sie sich selbst überlassen leicht zusammensinken und einschlafen wird. Ich sende Dir ein Exemplar davon, damit Du die römischen Ungeheuerlichkeiten siehst. Wenn sich das durchsetzen sollte, dann ist es um Glauben und Kirche geschehen.
WA Br 2, 195. Nr. 341. Lateinisch. Lateinisch, in deutscher Übersetzung zit. nach Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 79-80
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Luthers Absage an die Mönchsgelübde (November 1521)
Aus Luthers Wartburgzeit (3. Mai 1521-1. März 1522) stammt die Schrift: »De votis monasticis iudicium«, mit der er sein abschließendes Urteil über die Frage des Mönchtums darlegt. Veranlaßt wurde er zu dieser Schrift durch die Wittenberger Diskussionen um Zölibat und Mönchtum, die vor allem im Anschluß an die Heirat des Kemberger Propstes B. Bernhardi entfacht worden waren. Die Stellungnahmen Karlstadts (Super coelibatu, monachatu et viduitate axiomata. Ende Juli) und Melanchthons (Loci communes, vgl. Nr. 36) ließen ihm eine klare Begründung der Argumente gegen das Mönchtum notwendig erscheinen. — Die Vorrede, zugleich Widmungsbrief an seinen Vater, erläutert diese Grundlegung anhand seiner Lebensgeschichte als Mönch.
Daß ich dir, teuerster Vater, dieses Buch widme, ist nicht in der Absicht geschehen, daß ich deinen Namen in die Welt tragen wollte und wir uns rühmen möchten nach dem Fleisch, gegen die Lehre des Paulus [Cal 6,13], sondern daß ich die Gelegenheit ergriffe, die sich zwischen dir und mir recht passend darbot, in einer kurzen Vorrede den frommen Lesern Grund, Inhalt und Beispiel dieses Buchs zu erzählen. [...]
Es ist nun fast das sechzehnte Jahr meines Mönchslebens [seit 1505] verstrichen, das ich gegen deinen Willen und ohne dein Wissen auf mich genommen habe. Du sorgtest dich mit väterlicher Liebe um meine Urteilsunfähigkeit, da ich eben herangewachsen war, ins 22. Lebensjahr eingetreten, d.h. (um ein Wort Augustins1 zu gebrauchen) in der Glut der Jugend stand; denn du hattest an vielen Beispielen gelernt, daß diese Art des Lebens manchen zum Unheil ausgeschlagen war. Du hattest vielmehr vor, mich durch eine ehrenhafte und reiche Ehe zu binden. Aus dieser Befürchtung kam deine Sorge, aber auch dein Unwille über mich, der eine Zeitlang unversöhnlich war; vergeblich suchten Freunde, dich zu überreden, daß du, wenn du Gott etwas opfern wollest, dein Liebstes und Bestes opfern sollest. Indessen ließ der Herr in deine Gedanken jenen Psalmvers hineintönen, aber nur dumpf: »Gott weiß die Gedanken der Menschen, daß sie eitel sind« [Ps94,11].
Endlich gabst du nach und unterwarfest Gott deinen Willen, doch ohne die Sorge um mich aufzugeben. Denn ich erinnere mich nur zu gut daran: als du schon ausgesöhnt mit mir sprachst und ich versicherte, vom Himmel herab durch Schrecknisse berufen worden zu sein, denn ich sei nicht mit Lust und Willen Mönch geworden, noch viel weniger um des Bauchs willen, sondern von Schrecken und Furcht vor plötzlichem Tod umringt, schwor ich ein gezwungenes und notgedrungenes Gelübde –, da sagtest du: »Hoffentlich war es kein Wahn und Blendwerk.« Dieses Wort schlug durch, als wenn Gott es durch deinen Mund habe erschallen lassen, und setzte sich fest in meinem Innersten; ich aber verhärtete mein Herz gegen dich und dein Wort. Und noch ein anders Wort fügtest du hinzu: als ich dir gar in kindlichem Vertrauen deinen Unwillen zum Vorwurf machen wollte, da ließt du mich im Nu abprallen und gabst mir den Stoß so geschickt und treffend zu-rück, daß ich kaum in meinem Leben von einem Menschen ein Wort gehört habe, das in mir stärker geklungen und fester gehaftet hätte; du sagtest nämlich: »Und hast du nicht auch gehört, daß man den Eltern gehorchen soll?« Aber ich in meiner Selbstsicherheit [securus in iustitia mea] hörte dich als einen Menschen und brachte keine Achtung für dein Wort auf ; doch im tiefsten Grunde meines Wesens konnte ich dieses Wort nicht verachten.
Hier sieh nun zu, ob nicht auch dir unbekannt war, daß man Gottes Gebote über alles stellen muß. Wenn du gewußt hättest, daß ich noch in deiner Gewalt war, hättest du mich nicht durch die väterliche Autorität aus der Kapuze gerissen? Aber auch ich hätte, wenn ich es gewußt hätte, das ohne dein Wissen und gegen deinen Willen nicht versucht, auch wenn ich mehrmals zugrundegehen sollte. Denn mein Gelübde, durch das ich mich der väterlichen Autorität und dem göttlich befohlenen Willen entzog, war keinen Dreck wert, ja gottlos; und daß es nicht aus Gott war, bewies nicht nur dies, daß ich gegen deine Autorität sündigte, sondern auch, daß es nicht spontan und willig geschah. Dazu war es auf Menschenlehren und Aberglauben der Heuchler hin abgelegt, die Gott nicht geboten hat. Doch Gott, dessen Barmherzigkeit keine Grenzen kennt, und dessen Weisheit kein Ende nimmt [Ps 147,5], hat aus allen diesen Irrtümern, siehe!, so viel Gutes gemacht. Möchtest du nun nicht lieber hundert Söhne verloren haben, als dieses Gute nicht gesehen haben? Mir kommt es so vor, als habe Satan bei mir schon von meiner Kindheit an etwas davon vorausgesehen, was er nun leidet; darum hat er mit unglaublichen Künsten gewütet, um mich zu verderben und zu hindern,.so daß ich mich des öfteren gewundert habe, ob ich unter den Sterblichen der Einzige wäre, den er angreift. Aber es war der Wille des Herrn, wie ich es jetzt sehe, daß ich die Weisheiten der Hohen Schulen und die Heiligkeiten der Klöster durch eigene und gewisse Erfahrung [propria et certa experientia], d.h. durch viele Sünden und Gottlosigkeiten kennenlerne, damit die gottlosen Menschen nicht Gelegenheit hätten, ihrem künftigen Gegner triumphierend vorzuhalten, daß ich Dinge verdamme, die ich nicht kannte. Also lebte ich als Mönch, zwar nicht sündlos, aber tadellos [non sine peccato quidem, sed sine crimine2]. Denn Gottlosigkeit und Gotteslästerung wurden im Reich des Papstes für höchste Frömmigkeit gehalten, geschweige denn als Vergehen betrachtet.
Wie denkst du also jetzt? Willst du mich immer noch herausreißen? Denn noch bist du Vater, und ich Sohn, und alle Gelübde sind von gar keiner Bedeutung. Auf deiner Seite steht die göttliche Autorität, auf meiner Seite steht die menschliche Vermessenheit .. .
Doch ich kehre zu dir zurück, lieber Vater, und sage wiederum: Willst du mich noch immer herausreißen? Aber damit du dich nicht rühmst, ist dir Gott zuvorgekommen und er hat mich selbst herausgenommen. Denn was macht es aus, ob ich die Kutte und Tonsur trage oder ablege? Sollen denn Kapuze und Tonsur den Mönch machen? »Alles ist euer«, sagt Paulus, »ihr aber Christi« [1Kor 3,22f.]; und ich sollte der Kapuze gehören und nicht vielmehr die Kapuze mir? Das Gewissen ist befreit worden, und das heißt überreich befreit worden. Also bin ich nun Mönch und nicht Mönch; eine neue Kreatur, nicht des Papstes, sondern Christi. Denn der Papst erschafft auch, aber Puppen und Pappen, d. h. ihm ähnliche Larven und Götzenbilder, deren eines ich auch früher gewesen bin, verführt durch mancherlei landläufiges Gerede, wodurch auch der Weise, wie er bekennt, bis in Todesgefahr geriet und durch Gottes Gnade befreit wurde [Sir 12,13f. Vulg.]. – Aber raube ich dir wiederum dein Recht und deine Autorität? ... Doch hat der, der mich herausgerissen hat, ein größeres Recht über mich, als dein Recht ist; von ihm bin ich, wie du siehst, nicht mehr in jenem erdichteten Gottesdienst der Mönche, sondern in wahren Gottesdienst hineingestellt. Denn wer kann daran zweifeln, daß ich im Dienst des Wortes stehe? Dabei aber handelt es sich deutlich um Dienst [cultus], dem die Autorität der Eltern weichen muß, nach dem Wort Christi: »Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert« [Mt 10,37]. Nicht daß er die Autorität der Eltern durch dieses Wort entleert hätte, denn der Apostel prägt oft genug ein, daß die Kinder den Eltern gehorsam sein sollen; sondern wenn der Eltern und Christi Ruf bzw. Autorität in Konflikt kommen, dann soll die Autorität Christi allein regieren. Darum könnte ich dir bei Gefahr meines Gewissens nie ungehorsam sein (davon bin ich jetzt ganz fest überzeugt), wenn nicht über das Mönchtum hinaus der Dienst am Wort dazugekommen wäre . . . Ich schicke dir also dieses Buch, aus dem du ersehen kannst, durch welche Zeichen und Kräfte Christus mich von dem Mönchsgelübde losgemacht [absolverit] und mir solche Freiheit geschenkt hat, daß, indem er mich zum Knecht aller gemacht hat, ich niemand untertan bin außer Ihm allein. Denn Er ist mein sogenannter unmittelbarer Bischof, Abt, Prior, Herr, Vater und Meister. Einen anderen kenne ich nicht mehr. So hat er dir, wie ich hoffe, einen Sohn geraubt, um anzufangen, durch mich vielen anderen Söhnen zu helfen. Das mußt du nicht nur gern tragen, sondern dich auch darüber sehr freuen ; daß du nichts anderes tun wirst, davon bin ich fest überzeugt .. .
1. »inquieta indutu adolescentia«. Augustin, Confessiones, I1,3 (PL 32, Sp. 677); vgl. Bd. I Nr. 91.
2. Vgl. >irreprehensibilis< in WA 54, S. 185,21: >den äußeren Regeln< bzw. >den Gesetzen gemäß<
Quelle: WA 8, S. 573,6—574,34. S. 575,24—34. S. 575,35—576,6.14—21.
Textauszüge nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 73-76
Aus Luthers Wartburgzeit (3. Mai 1521-1. März 1522) stammt die Schrift: »De votis monasticis iudicium«, mit der er sein abschließendes Urteil über die Frage des Mönchtums darlegt. Veranlaßt wurde er zu dieser Schrift durch die Wittenberger Diskussionen um Zölibat und Mönchtum, die vor allem im Anschluß an die Heirat des Kemberger Propstes B. Bernhardi entfacht worden waren. Die Stellungnahmen Karlstadts (Super coelibatu, monachatu et viduitate axiomata. Ende Juli) und Melanchthons (Loci communes, vgl. Nr. 36) ließen ihm eine klare Begründung der Argumente gegen das Mönchtum notwendig erscheinen. — Die Vorrede, zugleich Widmungsbrief an seinen Vater, erläutert diese Grundlegung anhand seiner Lebensgeschichte als Mönch. (Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 73)
Luthers Absage an das Mönchsgelübde. Brief an seinen Vater Hans Luther, 21. November 1521
Jesus.
Seinem Vater Hans Luther wünscht Martin Luther, sein Sohn, Segen in Christus.
Daß ich Dir, lieber Vater, dieses Buch widme, ist nicht in der Absicht geschehen, Deinen Namen in der Welt hoch zu erheben, auch nicht, um uns, der Lehre des Paulus (Gal. 6, 13) entgegen, zu rühmen. Ich möchte vielmehr diese für Dich und mich günstige Gelegenheit ergreifen, den frommen Lesern in einer kurzen Vorrede Anlaß, Gegenstand und Absicht dieses Buches zu erzählen.
Um damit anzufangen: ich will Dir nicht verbergen, daß Dein Sohn jetzt ganz fest zu der Überzeugung gekommen ist, daß es nichts Heiligeres, Wichtigeres und Gerechteres gibt als Gottes Gebot. O Jammer, wirst Du sagen, hast Du denn jemals daran gezweifelt und erst jetzt gelernt, daß es so ist? Ich dagegen sage: o großes Glück (daß ich es überhaupt gelernt habe)! Ich habe nämlich nicht nur daran gezweifelt, sondern ganz und gar nichts davon gewußt, daß es so ist. Wenn Du erlaubst, will ich sogar zeigen, daß Du offensichtlich mit mir in der gleichen Unwissenheit gewesen bist.
Es sind nun fast sechzehn Jahre her, seit ich gegen Deinen Willen und ohne Dein Wissen Mönch geworden bin. In väterlicher Sorge wegen meiner Anfälligkeit — ich war ein Jüngling von eben zweiundzwanzig Jahren, d. h. um mit Augustin zu sprechen, in glühender Jugendhitze — fürchtetest Du für mich, denn an vielen ähnlichen Beispielen hattest Du erfahren, daß diese Art zu leben manchem zum Unheil gereicht hatte. Deine Absicht war es sogar, mich durch eine ehrenvolle und reiche Heirat zu fesseln.
Diese Sorge um mich beschäftigte Dich. Auch war Dein Unwille gegen mich (nach dem Eintritt ins Kloster) eine Zeitlang nicht zu besänftigen. Vergeblich redeten Dir die Freunde ein: Du solltest doch, wenn Du Gott etwas opfern wolltest, ihm Dein Teuerstes und Bestes darbringen. Inzwischen ließ Gott ein Psalmenwort (Ps. 94, 11) in Deine Gedanken hineinklingen: »Der Herr weiß die Gedanken der Menschen, daß sie eitel sind« — aber er predigte tauben Ohren. Endlich aber gabst Du doch nach und fügtest Dich dem Willen Gottes — aber ohne deswegen die Sorge um mich aufzugeben. Denn ich erinnere mich, als wäre es heute: Du sprachst schon wieder besänftigt mit mir. Da versicherte ich Dir, daß ich vom Himmel durch Schrecken gerufen, nicht etwa freiwillig oder auf eigenen Wunsch Mönch geworden sei. Noch viel weniger wurde ich es um des Bauches willen, sondern von Schrecken und der Furcht vor einem plötzlichen Tode umwallt legte ich ein gezwungenes und erdrungenes Gelübde ab. Da sagtest Du: »Möchte es nur nicht eine Täuschung und ein Blendwerk gewesen sein!« Dieses Wort drang — als wenn Gott durch Deinen Mund gesprochen hätte — in mich ein und setzte sich in meinem Innersten fest. Aber ich verschloß mein Herz, so gut ich konnte, gegen Dich und Dein Wort. Du sagtest auch noch etwas anderes. Als ich Dir in kindlichem Vertrauen Deinen Unwillen zum Vorwurf machte, da wiesest Du mich sofort in meine Schranken und tatest das so im rechten Augenblick und so treffend, daß ich in meinem ganzen Leben kaum von einem Menschen ein Wort gehört habe, das mächtiger auf mich gewirkt und fester in mir gehaftet hätte. Du sagtest nämlich: »Hast Du etwa auch noch nicht gehört, daß man seinen Eltern gehorchen soll?« Da habe ich das — in Selbstgerechtigkeit sicher — als Menschenwort) gehört und kräftig verachtet; denn aus innerer Überzeugung konnte ich dies Wort nicht verachten.
Hier siehe nun, ob nicht auch Du nicht gewußt hast, daß man Gottes Gebote allen anderen Dingen voranstellen muß. Wenn Du gewußt hättest, daß ich damals noch ganz in Deiner Hand war, hättest Du mich nicht kraft Deiner väterlichen Autorität ganz aus der Mönchskutte heraus-gerissen? Ebenso ich: wenn ich das gewußt hätte, hätte ich es ohne Dein Wissen und gegen Deinen Willen nicht versucht, auch wenn ich viele Tode darüber hätte sterben müssen. Denn mein Gelübde war keinen Heller wert, weil ich mich dadurch der väterlichen Gewalt und dem Willen des göttlichen Gebots entzog. Ja, es war sogar gottlos. Daß es nicht aus Gott sein konnte, erwies sich nicht nur daran, daß es gegen Deine Autorität sündigte, sondern auch daran, daß es nicht frei und willig gegeben war. Weiterhin geschah es im Vertrauen auf menschliche Lehren und heuchlerischen Aberglauben, die Gott nicht geboten hat. Aber Gott, dessen Barmherzigkeit unendlich und dessen Weisheit ohne Ende ist — siehe, wieviel Gutes er aus all diesen Irrtümern und Sünden hat erstehen las-sen! Wolltest Du jetzt nicht lieber hundert Söhie verloren, als dieses Gute (Endresultat) nicht gesehen haben? An-scheinend hat der Satan an mir seit meiner Kindheit etwas von dem vorhergesehen, was er jetzt leidet. Deshalb war er mit unglaublichen Mitteln darauf aus, mich umzubringen und mich zu fesseln, so daß ich mich öfters gewundert habe, ob ich es allein unter den Sterblichen sei, auf den er es abgesehen habe. Der Herr aber hat (das sehe ich jetzt) gewollt, daß ich die »Weisheit« der hohen Schulen und die »Heiligkeit« der Klöster aus eigener, sicherer Erfahrung, d. h. an vielen Sünden und Gottlosigkeiten kennenlernen sollte. Die gottlosen Menschen sollten keine Gelegenheit erhalten, von mir als ihrem zukünftigen Gegner hochfahrend zu behaupten, ich verdammte Dinge, die ich nicht kennte. Ich habe also als Mönch gelebt, zwar nicht ohne Sünde, aber doch ohne Schuld. Denn Gottlosigkeit und Lästerung werden im Bereich des Papstes als hohe Frömmigkeit angesehen, keinesfalls gelten sie als schuldhafte Vergehen.
Was meinst Du also jetzt? Willst Du mich jetzt noch herausreißen? Noch bist Du Vater, noch bin ich Sohn, und alle Gelübde haben keine Bedeutung. Auf Deiner Seite steht göttliche Autorität, auf meiner Seite steht menschliche Vermessenheit. Denn nicht einmal die Enthaltsamkeit, die sie mit vollem Munde rühmen, gilt etwas ohne den Gehorsam gegen Gottes Gebot. Enthaltsamkeit ist nicht geboten, Gehorsam aber ist geboten. Dennoch wollen die unsinnigen und albernen Papisten nicht dulden, daß dem jungfräulichen Stande und der Enthaltsamkeit etwas gleichgestellt werde. Sie rühmen beides mit wunderlichen Lügen, aber gerade ihr unsinniges Lügen und ihre maßlose Unwissenheit — beides zusammen und jedes für sich — sollten doch das alles verdächtig machen, was sie tun und meinen. Denn was ist das für eine Weisheit, wenn sie das Wort (Jes. Sir. z6, 20 nach der Vulgata): »Nichts kommt einer keuschen Seele gleich« so verdrehen, daß es scheint, als seien der jungfräuliche Stand und die Enthaltsamkeit allem vorzuziehen, und dieser Stand sei unveränderlich und es gäbe keine Befreiung davon? Dabei ist doch dieses Wort von einem Juden zu Juden über eine keusche Ehefrau geschrieben; denn bei den Juden galten Jungfräulichkeit und Enthaltsamkeit als etwas Verdammenswertes. So beziehen sie auch das Wort (Weish. Sal. 3, 13); »Sie ist es, die kein Ehebett in Sünden gekannt hat«, das doch die Keuschheit der Ehefrau rühmen soll, auf Jungfrauen. Kurz, während die Jungfräulichkeit in der heiligen Schrift nicht gepriesen, sondern nur bestätigt wird, wird sie mit dem Glanz der ehelichen Keuschheit wie mit fremden Federn gerade von denen geschmückt, welche bereit sind, die Seelen (zu Dingen) zu entflammen, die Gefahr für ihre Seligkeit bedeuten. Ist es etwa nicht so, daß einer gehorsamen Seele nichts Gleichwertiges an die Seite zu stellen ist?
Gerade deswegen hält nichts den Vergleich mit einer keuschen Seele aus, d. h. mit einer züchtigen Ehefrau. Und das nicht nur deswegen, weil das ein Befehl Gottes ist, sondern weil — wie es in einem bekannten Sprichwort heißt — es für die Menschen nichts Begehrenswerteres gibt als eine züchtige Ehefrau. Aber jene zuverlässigen Schriftausleger beziehen das, was von der befohlenen Enthaltsamkeit gesagt wird, auf die nicht gebotene, und machen aus einer Wertschätzung durch Menschen eine Hochschätzung durch Gott. Deshalb geben sie von allem Dispens — auch von dem Gehorsam gegen Gott. Aber von der Enthaltsamkeit, auch wenn sie verboten ist, wenn sie nämlich gegen die Autorität der Eltern übernommen ist, dispensieren sie nicht. O diese würdigen und wahrhaft papistischen Doktorlein und Magisterlein! Jungfräulichkeit und Keuschheit sind zu preisen, aber doch so, daß durch ihre Größe die Menschen mehr abgeschreckt als angezogen werden. So hat Christus, als seine Jünger die Enthaltsamkeit rühmten und sprachen (Matth. 19, 10): »Steht die Sache eines Mannes mit seinem Weibe also, so ists nicht gut zu heiraten«, sie alsbald zurückgewiesen und gesagt (Matth. 19, 11). »Das Wort faßt nicht jedermann.« Fassen muß man das Wort, er wollte aber, daß es nur von wenigen verstanden würde.
Doch zurück zu Dir, lieber Vater! Ich frage nochmals, willst Du mich noch herausreißen? Aber damit Du Dich nicht rühmst: der Herr ist Dir zuvorgekommen und hat mich selbst herausgerissen! Was ist schon dabei, ob ich Kutte oder Tonsur trage oder nicht? Machen etwa die Kutte und Tonsur einen Mönch? Paulus sagt (1. Kor. 3, 22 f.): »Alles ist euer, ihr aber seid Christi«, und ich sollte der Kutte angehören und nicht vielmehr die Kutte mir? Mein Gewissen ist frei geworden, d. h. aufs gründlichste frei. Daher bin ich zwar ein Mönch und bin es doch auch wieder nicht. Ich bin eine neue Kreatur, nicht des Papstes sondern Christi. Denn auch der Papst erschafft Kreaturen, aber Puppen und Pappen, d. h. ihm ähnliche Larven und Götzenbilder. So etwas bin ich früher auch gewesen, in die Irre geführt durch den mancherlei Gebrauch der Worte, durch den auch der Weise — wie er (Jes. Sir. 34, 12 f.) sagt — in Lebensgefahr geraten ist, aber durch die Gnade Gottes wurde er daraus erlöst. Aber beraube ich Dich etwa wiederum Deines Rechtes und Deiner Gewalt? Fürwahr, Deine Gewalt über mich bleibt hier ganz unangetastet, soweit sie sich auf das Mönchsleben bezieht. Aber dieses bedeutet — wie ich bereits gesagt habe — nichts mehr für mich. Im übrigen hat der, welcher mich herausgezogen hat, ein größeres Recht über mich als Du. Wie Du siehst, hat er mich nicht für den heuchlerischen Mönchsdienst, sondern zum wahren Gottesdienst bestellt. Denn wer könnte wohl daran zweifeln, daß ich im Dienste des Wortes stehe? Und das ist wahrlich ein Dienst, vor dem sich die Autorität der Eltern beugen muß. Christus sagt (Matth. 10, 37): »Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert.« Nicht, daß durch dieses Wort die Autorität der Eltern entleert würde. Der Apostel schärft es doch oft genug ein, daß die Kinder den Eltern gehorchen sollen (Eph. 6, 1; Kol. 3, 20). Aber wenn die Berufung und die Autorität der Eltern und die Christi einander widerstreiten, dann soll allein die Autorität Christi gelten. Daher müßte ich Dir bei Gefahr meines Gewissens gehorchen (davon bin ich ganz fest überzeugt), wenn nicht über den Mönchsdienst hinaus noch der Dienst am Wort hinzugekommen wäre. Darauf wollte ich hinaus, als ich sagte, weder Du noch ich hätten früher gewußt, daß Gottes Gebote allen anderen voranzustellen sind. Aber fast die ganze Welt leidet an dieser Unwissenheit; dieser Irrtum hat sich unter dem Greuel Papsttum breit gemacht. Das hat auch Paulus vorhergesagt (2. Tim. 3, 2): es würde Menschen geben, die den Eltern ungehorsam sind. Das trifft genau auf die Mönche und Priester zu, besonders auf die, welche sich unter dem Schein der Frömmigkeit und der Ergebenheit Gott gegenüber der Autorität der Eltern entziehen — als ob es einen anderen Dienst Gottes geben könnte, als seinen Geboten zu gehorchen, zu denen der Gehorsam gegen die Eltern gehört.
Ich schicke Dir daher dieses Buch, damit Du daraus sehen kannst, durch welche Zeichen und Kräfte Christus mich vom Mönchsgelübde erlöst und mich mit einer so großen Freiheit beschenkt hat, daß ich — obwohl jedermanns Knecht — niemandem untertan bin als ihm allein.
Denn er ist mein unmittelbarer (wie sie es nennen) Bischof, Abt, Prior, Herr, Vater und Lehrer. Einen anderen kenne ich nicht mehr. So hoffe ich: wenn er Dir auch einen Sohn entrissen hat, wird er doch anfangen, vielen anderen mit ihren Söhnen durch mich zu helfen. Das darfst Du nicht nur gerne hinnehmen, sondern Du solltest Dich dessen vielmehr freuen. Und ich bin fest davon überzeugt, daß das bei Dir so ist. Aber was, wenn mich der Papst tötet oder mich in die äußerste Hölle verdammt? Den Getöteten kann er nicht wieder auferwecken, daß er mich zwei-oder mehrmals töte. Hat er mich aber verdammt, so will ich, daß er mich niemals absolviere. Denn ich vertraue darauf, daß jener Tag nahe bevorsteht, an dem dieses Reich des Greuels und Verderbens zerstört wird. O wenn wir doch zuvor wert erachtet würden, von ihm verbrannt und getötet zu werden! Dann würde unser Blut um so mehr danach verlangen und darauf drängen, das Urteil über ihn zu beschleunigen. Wenn wir aber nicht gewürdigt werden, mit unserm Blut Zeugnis abzulegen, so wollen wir wenigstens um die Barmherzigkeit bitten und flehen, mit unserm Leben und unsern Worten zu bezeugen, daß Jesus Christus allein der Herr unser Gott ist, gebenedeit von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.
In ihm lebe wohl, liebster Vater, und grüße meine Mutter, Deine Margaretha, samt der ganzen Verwandtschaft in Christus.
Aus der Einöde, den 21. November 1521.
WA 8, 573ff. Zit. nach: Luther deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hg. von Kurt Aland, Bd. 2, Göttingen 1981, S. 323-329
Das »Schuldbekenntnis« Papst Hadrians VI., 25. November 1522
Am 9. Januar 1522 wurde Adrianus Florensz Boyens zum Papst gewählt. Mit ihm kam, nicht einmal zwei Jahre nach Ausspruch des Banns über Luther, ein humanistisch gesonnener Anhänger der niederländischen Devotio modema auf den Papstthron. Tatsächlich strebte er eine Reform der Kurie und der gesamten Kirche an — was aber, wie das sogenannte »Schuldbekenntnis«, die Instruktion, die er am 25. November 1522 seinem Nuntius auf den Nürnberger Reichstag mitgab und die dort am 3. Januar 1523 verlesen wurde, zeigt, keineswegs zu einer milderen Behandlung Luthers und seiner Anhänger führen sollte. Sein reformorientierter Pontifikat, der nur von einer kleinen Minderheit an der Kurie unterstützt wurde, blieb Intermezzo: Am 14. September 1523 starb der letzte Papst aus seinerzeit deutschen Gebieten vor Benedikt XVI. (seit 2005).
Wenn nun jemand sagt, Luther sei vom Apostolischen Stuhl ohne Anhörung und ohne Verteidigungsmöglichkeit verurteilt worden und deshalb müsse man ihn auf jeden Fall noch hören und dürfe ihn nicht verurteilen, bevor erwiesen sei, dass er im Unrecht sei, so antwortet in folgendem Sinne: Was zum Glauben gehört, ist um der göttlichen Autorität willen eben zu glauben, nicht zu beweisen. Ambrosius sagt: »Wenn es um Glauben geht, so lass Beweise weg; es sind Fischer, denen wir glauben, keine Logiker.«' Selbstverständlich sind auch wir der Ansicht, dass man ihm die Möglichkeit geben muss, sich zu verteidigen, soweit es um Tatsachenbehauptungen geht, d.h. ob er etwas gesagt, gepredigt, geschrieben hat oder nicht. In Fragen des göttlichen Rechts und der Sakramente aber muss man der Autorität der Heiligen und der Kirche folgen. Hinzu kommt, dass fast alle Abweichungen Luthers bereits früher von verschiedenen Konzilien verworfen worden sind.[...]
Da also Luther und seine Anhänger die Konzilien der heiligen Väter verurteilen, das heilige kanonische Recht (sacri canones) verbrennen und alles nach ihrem Gutdünken durcheinander bringen, ja, die ganze Welt in Aufruhr versetzen, kann es keinen Zweifel darüber geben, dass sie als Feinde des öffentlichen Friedens und Aufrührer (perturbatores) von allen, die diesen Frieden lieben, ausgerottet werden müssen.
Daneben sollst Du aber auch sagen, dass wir von ganzem Herzen bekennen, dass der Grund dafür, dass Gott diese Verfolgung seiner Kirche zulässt, in der Sünde der Menschen liegt, besonders der Priester und der Prälaten der Kirche.[...]
Wir wissen, dass es an diesem Heiligen Stuhl schon seit einigen Jahren viele gräuliche Missbräuche in geistlichen Dingen und Vergehen gegen die göttlichen Gebote gegeben hat, ja, dass eigentlich alles pervertiert worden ist. So ist es kein Wunder, wenn sich die Krankheit vom Haupt auf die Glieder, d.h. von den Päpsten auf die unteren Kirchenführer ausgebreitet hat. Wir alle, d.h. wir Prälaten und Kleriker (ecclesiastici), sind abgewichen; ein jeder sah auf seinen Weg (Jes 53,6), und da ist schon lange keiner mehr, der Gutes tut, auch nicht einer (Ps 14,3). Deshalb müssen wir alle Gott die Ehre geben und uns vor ihm demütigen; ein jeder von uns muss erkennen, wo er gefallen ist, und sich selbst richten, bevor er von Gott mit der Rute seines Zorns gerichtet wird (1 Kor 11,31). Soweit wir selbst betroffen sind, darfst Du versprechen, dass wir jede Anstrengung unternehmen werden, dass als erstes diese Kurie, von der wohl das ganze Übel ausgegangen ist, reformiert wird (reformetur), so dass sie in der gleichen Weise, wie sie zum Verderben aller Untergebenen Anlass gegeben hat, nun auch ihre Genesung und Reform in allen Dingen (reformatio omnium) bewirkt. Dazu fühlen wir uns umso mehr verpflichtet, als wir sehen, dass die ganze Welt eine solche Reform sehnlichst begehrt.
Wir haben es Dir wohl schon gesagt, dass wir diesen Pontifikat niemals für uns begehrt haben. Wenn es nach uns gegangen wäre, so hätten wir viel lieber ein Privat-leben geführt und Gott in heiliger Ruhe gedient, ja wir hätten das Amt ausdrücklich abgelehnt, wenn uns nicht die Furcht Gottes und die Aufrichtigkeit unserer Wahl sowie die Furcht vor einem Schisma im Falle unserer Weigerung gezwungen hätten, es anzunehmen. Wir haben also die höchste Würde auf uns genommen, nicht um unserer Herrschsucht zu frönen oder unsere Verwandten reich zu machen, sondern um Gottes willen zu gehorchen, seine entstellte Braut, die allumfassende (deformata eius sponsa ecclesia catholica) Kirche zu reformieren, den Unterdrückten zu Hilfe zu kommen und die Gelehrten und Tugendhaften, die schon lange unbeachtet geblieben sind, aufzurichten und auszuzeichnen — kurz: um alles zu tun, was ein guter Papst und rechtmäßiger Nachfolger des seligen Petrus tun muss. Natürlich darf sich niemand wundern, wenn wir nicht alle Irrtümer und Missbräuche sofort beseitigen können. Die Krankheit hat sich im Laufe der Zeit so tief eingefressen, dass man, um sie zu heilen, nur mit größter Behutsamkeit vorgehen darf und nicht nur ein, sondern viele verschiedene Mittel anwenden muss. Dabei muss man als Erstes den größeren und gefährlicheren Übeln begegnen, damit wir nicht vor lauter Eifer, alles auf einmal zu reformieren, alles erst recht in Unordnung bringen.
Quelle: DRTA.JR 3,396,15-25; 397,1-8.14-398,8.
Textauszüge zitiert nach: Volker Leppin, Kirchen - und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 246-47.
Bannandrohungsbulle "Exsurge Domine" von Papst Leo X. gegen Martin Luther, 15. Juni 1520
[Auszüge]
"Erhebe dich, Herr, und richte deine Sache! Gedenke deiner Schmähungen, die den ganzen Tag von törichten Menschen ausgehen. Neige dein Ohr zu unserer Bitte, denn Füchse haben sich erhoben, die danach trachten, den Weinberg zu vernichten, dessen Kelter du allein getreten hast; und als du zum Vater im Himmel auffahren wolltest, hast du die Sorge, die Leitung und die Verwaltung deines Weinberges dem Petrus gleichsam als Haupt und deinem Stellvertreter und seinen Nachfolgern als triumphierende Kirche anvertraut: Ein Wildschwein trachtet danach, ihn zu zerwühlen, und ein wildes Tier frisst ihn ab.
Erhebe dich, Petrus, wende dich um deiner obenerwähnten Hirtenpflicht willen, die dir von Gott aufgetragen ist, mit Fleiß der Sache der heiligen Römischen Kirche zu. Sie ist doch die Mutter aller Kirchen und die Meisterin des Glaubens. Du hast sie nach Gottes Gebot durch dein Blut geheiligt. Steh auf gegen diejenigen, von denen du selbst gesagt hast, dass lügenhafte Lehrer aufstehen werden, die verderbliche Lehren und eine schnelle Verdammnis über sich bringen werden, deren Zunge ein Feuer ist, ein unruhiges Übel voll tödlichen Gifts. Sie sind es, die einen bitteren und zornigen Willen haben und nur auf Gezänk aus sind und lügenhaft gegen die Wahrheit auftreten, indem sie sich selbst rühmen. [...]
Wir gebieten diesem Martinus von jetzt an, dass er inzwischen von jeder Predigt und dem Predigtamt überhaupt abstehe [...] Wir befehlen streng, dass innerhalb von sechzig Tagen[...], die unmittelbar auf den Anschlag dieser Bulle an den unten genannten Orten folgen, Martinus selbst, seine Verbündeten, Anhänger und die ihn bei sich aufnehmen von den genannten Irrtümern, deren Predigt, Veröffentlichung, Behauptung und auch Verteidigung durch Herausgabe von Büchern oder Schriften über sie oder einen von ihnen ganz abstehen und die Bücher oder Schriften alle oder einzeln, die die genannten Irrtümer oder einen von ihnen auf irgendeine Weise enthalten, verbrennen oder verbrennen lassen; auch dass Martinus selbst diese Irrtümer und Behauptungen ganz widerrufe [...]
gegeben zu Rom bei Sankt Peter, 15. Juni 1520, im achten Jahr unseres Pontifikats.
* * * * *
Nach Bekanntwerden der Bulle wurden in einigen Städten Luthers Schriften auf Scheiterhaufen verbrannt. Am 10. Dezember 1520 reagierte Martin Luther darauf durch die öffentliche Verbrennung der Bannandrohungsbulle, wobei er sagte: "Weil du die Wahrheit Gottes verderbt hast, verderbe dich das ewige Feuer."
mit geringfügigen Veränderungen zit. nach: URL: http://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/exsurge_domine_dt.html
Bannandrohungsbulle "Exsurge Domine" von Papst Leo X. gegen Martin Luther, 15. Juni 1520
[Auszüge]
"Erhebe dich, Herr, und richte deine Sache! Gedenke deiner Schmähungen, die den ganzen Tag von törichten Menschen ausgehen. Neige dein Ohr zu unserer Bitte, denn Füchse haben sich erhoben, die danach trachten, den Weinberg zu vernichten, dessen Kelter du allein getreten hast; und als du zum Vater im Himmel auffahren wolltest, hast du die Sorge, die Leitung und die Verwaltung deines Weinberges dem Petrus gleichsam als Haupt und deinem Stellvertreter und seinen Nachfolgern als triumphierende Kirche anvertraut: Ein Wildschwein trachtet danach, ihn zu zerwühlen, und ein wildes Tier frisst ihn ab.
Erhebe dich, Petrus, wende dich um deiner obenerwähnten Hirtenpflicht willen, die dir von Gott aufgetragen ist, mit Fleiß der Sache der heiligen Römischen Kirche zu. Sie ist doch die Mutter aller Kirchen und die Meisterin des Glaubens. Du hast sie nach Gottes Gebot durch dein Blut geheiligt. Steh auf gegen diejenigen, von denen du selbst gesagt hast, dass lügenhafte Lehrer aufstehen werden, die verderbliche Lehren und eine schnelle Verdammnis über sich bringen werden, deren Zunge ein Feuer ist, ein unruhiges Übel voll tödlichen Gifts. Sie sind es, die einen bitteren und zornigen Willen haben und nur auf Gezänk aus sind und lügenhaft gegen die Wahrheit auftreten, indem sie sich selbst rühmen. [...]
Wir gebieten diesem Martinus von jetzt an, dass er inzwischen von jeder Predigt und dem Predigtamt überhaupt abstehe [...] Wir befehlen streng, dass innerhalb von sechzig Tagen[...], die unmittelbar auf den Anschlag dieser Bulle an den unten genannten Orten folgen, Martinus selbst, seine Verbündeten, Anhänger und die ihn bei sich aufnehmen von den genannten Irrtümern, deren Predigt, Veröffentlichung, Behauptung und auch Verteidigung durch Herausgabe von Büchern oder Schriften über sie oder einen von ihnen ganz abstehen und die Bücher oder Schriften alle oder einzeln, die die genannten Irrtümer oder einen von ihnen auf irgendeine Weise enthalten, verbrennen oder verbrennen lassen; auch dass Martinus selbst diese Irrtümer und Behauptungen ganz widerrufe [...]
gegeben zu Rom bei Sankt Peter, 15. Juni 1520, im achten Jahr unseres Pontifikats.
* * * * *
Nach Bekanntwerden der Bulle wurden in einigen Städten Luthers Schriften auf Scheiterhaufen verbrannt. Am 10. Dezember 1520 reagierte Martin Luther darauf durch die öffentliche Verbrennung der Bannandrohungsbulle, wobei er sagte: "Weil du die Wahrheit Gottes verderbt hast, verderbe dich das ewige Feuer."
mit geringfügigen Veränderungen zit. nach: URL: http://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/exsurge_domine_dt.html

Tafel 6: Die Frauen in der Reformationszeit
Es versteht sich von selbst, dass ein Ereignis wie die Reformation alle Gesellschaftsschichten sowie beide Geschlechter betrifft. Auch wenn Männer die reformatorischen Wortführer darstellen, gibt es eine Reihe von Frauen, welche die reformatorischen Bestrebungen begleitet und mitgeprägt haben. Es sind dies vor allem die Ehefrauen der Reformatoren selbst wie Katharina von Bora, Luthers „Herr Käthe“. Diese geben ihren Ehemännern häuslichen Rückhalt und Sicherheit und repräsentieren das evangelische Bild der Frau als Mutter und Haushaltsvorstand. Das Zölibat als christliches Ideal wird abgelöst von der Ehe als Modell guter Lebensführung, wobei die rechtliche Stellung der Frau sich nicht wesentlich ändert: Die Frau bleibt dem Mann untergeordnet, ist Beistand und der Männer Lust und Freude (Martin Luther). In den Gattinnen der Reformatoren ist die Position der Frau im Pfarrhaus vorgebildet, die das emotionale, intellektuelle wie auch das spirituelle Klima der protestantischen Kultur nachhaltig beeinflussen wird.
In der Reformationszeit gibt es durchaus radikalere Forderungen einer Neupositionierung der Frauen, die über die Rolle als Hausfrau und Mutter hinausgehen. Durch die Übersetzung der Bibel in die Alltagssprache und durch das protestantische Ideal des Priestertums aller Getauften hätte die Rolle der Frau insgesamt neu formuliert werden können. Doch Paulus' Forderung Die Frau aber schweige in der Gemeinde (1 Kor. 14, 34) bleibt vorherrschend vor einer heute als Gleichheit von Frau und Mann verstandenen Aussage, wie sie sich im sog. 2. Schöpfungsbericht des Menschen findet: Als Mann und Frau schuf er sie (Gen. 1, 27). „Aufsässige“ Frauen, die sich in die theologischen Diskussionen einmischen, wie Argula von Grumbach, Luther-Anhängerin in Ingolstadt, oder Elisabeth von Rochlitz, theologisch gut informierte und streitbare Schwester des Landgrafen Philipp von Hessen, haben auch in der protestantischen Geschichtsschreibung wenig Aufmerksamkeit gefunden.
So ist festzuhalten, dass die Reformation die Stellung der Frau in rechtlicher Hinsicht nicht wesentlich verändert hat. Sie ist zwar theologisch Miterbin der Gnade (Martin Luther), aber sozial gesehen verbleibt sie in einer dem Mann klar untergeordneten Position. Zudem wird ihr – durch Abschaffung der Orden - ein Leben in selbstständig organisierter, weiblicher Gemeinschaft unmöglich gemacht. Für alleinstehende protestantische Frauen gibt es im kirchlichen Bereich nach der Auflösung der Klöster (mit Ausnahme von adligen Damenstiften) keine Alternative zu Ehe und Familie, dies ändert sich erst mit der offiziellen Gründung der weiblichen Diakonie im 19. Jahrhundert.
Nichtsdestotrotz profitiert eine relativ kleine Gruppe von Frauen vom Bildungsangebot des Protestantismus. So gibt es neue Handlungsspielräume für manche der zu den herrschenden Dynastien gehörenden Frauen – Teilhabe an Herrschaft wird durch die konfessionelle Bindung auch in kleinen Territorien möglich, wie am Beispiel der Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg zu sehen ist, die einen neuen Typ von Regentin verkörpert. Als erste Frau verfasst sie ein den lutherischen Vorgaben herrschaftlichen Handelns entsprechendes „Regierungshandbuch". Es hat ihr den Beinamen "Mutter der Reformation“ eingetragen.
Sendbrief der Argula von Grumbach an die Universität Ingolstadt, 1523
Johann Eberlin von Günzburg (* um 1470 in Kleinkötz bei Günzburg; † Oktober 1533 in Leutershausen bei Ansbach) war ein reformatorischer deutscher Theologe und sozialer Reformer in Franken.
Wie gar gfarlich sey. So Ain Priester kain Eeweyb hat Wye Unchristlich und schedlich aim gmainen Nutz Die menschen seynd. Welche hindern die Pfaffen Am Eelichen stand
[Augsburg]1522[VD16 E 156]
Das Titelblatt zeigt die Eheschließungen von drei Klerikern:
- Im Vordergrund ist die Hochzeit eines Bischofs mit einer bürgerlichen Frau,
- links hinten eines Mönchs mit einer Nonne und
- rechts hinten eines Mönchs mit einer bürgerlichen Frau dargestellt.
Die vollständige Flugschrift (19 Seiten) digital verfügbar bei der Bayerischen Staatsbibliothek: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0001/bsb00012455/image_1
Katharina von Bora (1499-1552), Porträt von Lucas Cranach d.Ä., 1526
Elisabeth Herzogin von Sachen (zu Rochlitz) (1502-1557)
Elisabeth von Braunschweig Lüneburg (1510-1558)
Martin Luther zu seinen "Weibergeschichten" und seiner Eheschließung mit Katharina von Bora in Briefen an Spalatin, 16. April und 16. Juni 1525
Was Du übrigens über eine Ehe für mich schreibst: ich will nicht, daß Du Dich darüber wunderst, daß ich selbst nicht heirate, der ich ein so berüchtigter Liebhaber bin. Das ist um so verwunderlicher, als ich, der ich so oft über die Ehe schreibe und mich in Weibergeschichten einmische, nicht schon längst ein Weib geworden bin, geschweige denn irgendeine geheiratet habe. Doch wenn Du ein Beispiel haben willst, siehe, da hast Du ein sehr überzeugendes: ich habe nämlich zugleich drei Frauen1 gehabt und habe so stark geliebt, daß ich zwei verloren habe, welche andere Freier nehmen werden. Die Dritte halte ich kaum am linken Arme, auch sie wird mir ebenfalls bald entrissen werden. Aber Du träger Liebhaber wagst es nicht einmal, der Ehemann einer zu werden. Doch siehe zu, daß ich, dessen Sinn der Ehe ganz fern steht, Euch ganz bereitwilligen Freiern nicht einmal zuvorkomme, wie Gott das zu tun pflegt, was man am allerwenigsten erwartet. Dies sage ich, damit ich Dich ohne Scherz zu dem treibe, was Du vorhast. Gehab Dich wohl, lieber Spalatin.
1 Die Namen, auf welche dieser Brief anspielt, sind nicht sicher feststellbar (Ave Alemann und Ave Schönfeld, die dritte = Katharina von Bora?).
Martin Luther an Spalatin, 16. Juni 1525
Ich habe denen das Maul gestopft, die mich mit Katharina von Bora in üblen Ruf bringen, lieber Spalatin. Kommt es dazu, daß ich ein Festmahl mache, meinen Ehestand damit zu bezeugen, dann mußt Du nicht allein dabei sein, sondern auch mithelfen, wenn etwas an Wildpret nötig sein sollte. Indessen wünsche uns Glück und Gottes Segen.
Ich habe mich durch diese Heirat so verächtlich und geringschätzig gemacht, daß ich hoffe, es sollen die Engel lachen und alle Teufel weinen. Die Welt und ihre Weisen verstehen dieses göttliche und heilige Werk nicht, ja sie machen es an meiner Person gottlos und teuflisch. Deshalb habe ich größeren Gefallen daran, daß aller derer Urteil durch meinen Ehestand verurteilt und beleidigt wird, die in der Unkenntnis Gottes zu bleiben fortfahren wollen. Gehab Dich wohl und bete für mich.
WA Br 3, 474 f.;533 Nr. 857 u. 892. Lateinisch, in deutscher Übersetzung vollständig wiedergegeben bei Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 148 u. 158


Tafel 7: Luther und Erasmus von Rotterdam
Luther wendet sich von Anfang an gegen eines der Hauptpostulate des Humanismus: den freien Willen. Schon 1516, also noch vor dem Thesenanschlag, schreibt er über Georg Spalatin, den Hofkaplan und Sekretär des sächsischen Kurfürsten, an Erasmus von Rotterdam, dass dessen Römer-Brief-Auslegung eine Lücke aufweise, es fehle die Erbsünde.
In seiner Schrift gegen den päpstlichen Bann von 1521 baut Luther seine Rechtfertigungslehre, gegründet auf die Gnade Gottes, genauer aus. Erasmus antwortet und setzt in seiner Kritik am lutherischen Denken, niedergeschrieben im Buch De libero arbitrio (1524; deutsch: Vom freien Willen) beim Kernproblem des Verhältnisses von Freiheit und Gnade an. Erasmus verneint dabei keineswegs das Wirken der Gnade, denn ihm gefalle die Meinung derer, die dem freien Willen etwas [nonnihil] zuschreiben, der Gnade aber das meiste [plurimum].
In seiner Erwiderung De servo arbitrio (1525, deutsch: Über den geknechteten Willen) geht Luther zum offenen Angriff auf Erasmus und dessen Eintreten für die Wahlfreiheit über: Der freie Wille, so Luther, könne allein aufgrund der Erbsünde nichts anderes bewirken als sündigen und verdammt werden.
Zwei sich gegenseitig ausschließende Positionen stehen sich damit gegenüber. Verfügt der Mensch über Wahlfreiheit, über einen freien Willen, dann verfügt er über Autonomie und Selbstverantwortlichkeit in seinen Entscheidungen. Unterliegt er aber einer angeborenen, unvermeidbaren Sündhaftigkeit, dann bedarf er des Geschenks der Gnade Gottes, um „richtig“ handeln zu können.
Erasmus betont Freiheit und Wahlmöglichkeit des Menschen: Unter dem freien Willen verstehen wir die Kraft des menschlichen Willens, mit welcher der Mensch sich demjenigen, was zum ewigen Heil führt, zuwenden oder von ihm abwenden kann. (De libero arbitrio). Das lutherische Denken dagegen behauptet eine nicht zu überwindende Abhängigkeit von Gottes Gnade, die Calvin konsequent als Vorherbestimmung, als Prädestination festschreiben wird.
An dieser Streitfrage trennen sich Erasmus und Luther, von da an gehen Humanismus und Protestantismus getrennte Wege. Nichtsdestotrotz wirken erasmitische Ideen in der Reformationsbewegung weiter fort.
Georg Spalatin (1484-1545), Porträt von Lucas Cranach d.Ä., 1509
Erasmus an Luther, Wertung der Reformation Luthers, 30. Mai 1519
Durch Vermittlung des Wolfgang Capito (1478—1541) schrieb Luther seinen ersten Brief an Erasmus, der damals noch in Löwen war (28. März 1519 hier). Luther feierte ihn als »unsere Zierde und Hoffnung«, als den Lehrer aller, die die Wissenschaft lieben, gratulierte ihm, dass auch er Angriffen bestimmter Leute ausgesetzt war, und dankte ihm, dass er seine Ablassthesen nicht nur kenne, sondern auch billige, wie das Vorwort zur Neuausgabe des >Enchiridion< zeige. Erasmus antwortete am 30. Mai diplomatisch und doch vielsagend, durch Ratschläge die Distanz erhellend, welche nunmehr nur zunehmen sollte.
Herzlichen Gruß, in Christus geliebtester Bruder. Dein Brief war mir sehr willkommen, er verriet Schärfe des Geistes und ein christliches Herz. Mit Worten könnte ich nicht sagen, welchen Sturm Deine Bücher hier hervorgerufen haben. Noch immer lässt sich der vollkommen falsche Verdacht nicht ausrotten, dass man meint, Deine Schriften seien mit meiner Hilfe geschrieben, ich sei der Bannerträger dieser Partei, wie sie sagen. Sie glaubten eine Handhabe bekommen zu haben, die guten Wissenschaften [bonae literae] zu unterdrücken, die sie von Grund auf hassen als Verdunkelung der theologischen Majestät, die sie viel höher schätzen als Christus, und zugleich mich zu unterdrücken, dem sie einige Bedeutung für die Belebung der Studien beimessen. Die ganze Sache ging in Schreierei, Unverfrorenheit, Ränken, Eifersüchteleien, Verleumdungen vor sich; hätte ich es nicht selbst gesehen, ja, gefühlt, ich würde nie einem Menschen geglaubt haben, dass die Theologen so den Verstand verloren haben. Man möchte von einer verhängnisvollen Pest sprechen. Und doch hat sich das Gift dieses Übels von den wenigen, bei denen es anfing, auf mehrere heimlich weiter verbreitet, so dass ein großer Teil der hiesigen Universität von der Ansteckung durch diese nicht seltene Krankheit besessen scheint.
Ich habe bezeugt, dass Du mir völlig unbekannt bist, ich Deine Bücher noch nicht gelesen habe; infolgedessen missbillige und billige ich nichts. Nur habe ich gemahnt, man solle nicht, ohne Deine Bücher gelesen zu haben, so gehässig vor dem Volke schreien; das Urteilen über Deine Schriften sei Sache derer, auf deren Urteil man größten Wert legen müsse. Man solle auch erwägen, ob es gut sei, vor dem gewöhnlichen Volke Dinge preiszugeben, die besser in Büchern widerlegt oder zwischen Gebildeten disputiert werden, zumal man einstimmig das Leben des Verfassers rühme. – Nichts habe ich erreicht; bis auf den heutigen Tag sind sie besessen von ihren zweideutigen, ja berüchtigten Disputationen. Wie oft haben wir uns friedlich geeinigt! Wie oft haben jene aus einem unüberlegt aufgegriffenen kleinen Verdacht neue Unruhen erregt! Und das wollen Theologen sein! Die Theologen sind hier bei Hofe verhasst; auch das setzen sie auf mein Konto. Die Bischöfe sind mir sämtlich sehr gewogen. Auf Bücher geben jene nichts, nur von Verleumdungen erhoffen sie Sieg. Die verachte ich, im Vertrauen auf mein gutes Gewissen. Dir gegenüber werden sie etwas milder. Bei mir fürchten sie die Feder, denn sie haben ein schlechtes Gewissen; ich würde sie so darstellen, wie sie es verdienen, wenn nicht Christi Lehre und Beispiel mir anderes geböten. Wilde Tiere werden zahm durch Freundlichkeiten, jene werden durch Wohltaten wild.
In England gibt es einige – und zwar sehr Hochstehende – die von Deinen Schriften die beste Meinung haben. Auch hier hast Du Freunde, darunter den Bischof von Lüttich. Soviel wie möglich halte ich mich neutral, um desto mehr dem Wieder-aufblühen der Wissenschaft [bonis literis reflorescentibus] nützlich zu sein. Meines Erachtens kommt man mit bescheidenem Anstand [modestia] weiter als mit Sturm und Drang. Auf diese Weise hat Christus sich die Welt unterworfen. Auf diese Weise hat Paulus das jüdische Gesetz abgeschafft, indem er alles allegorisch deutete. Es empfiehlt sich mehr, laut gegen die aufzutreten, die die päpstliche Autorität missbrauchen, als gegen die Päpste selbst; ich glaube, so muss man es auch bei den Königen machen. Die Universitäten soll man nicht verwerfen, als vielmehr zu vernünftigeren Studien zurückrufen. Bei Dingen, die so fest eingewurzelt sind, dass man sie nicht plötzlich aus den Herzen reißen kann, muss man lieber mit beständigen und wirksamen Argumenten disputieren, als endgültige Behauptungen aufstellen [asseverandum]. Giftige Streitereien gewisser Leute sollte man mehr verachten als widerlegen. Immer muss man sich davor hüten, anmaßend oder parteiisch zu reden oder zu handeln; so, glaube ich, ist es dem Geiste Christi angenehm. Inzwischen muss man sich ein Herz bewahren, das durch Zorn oder Hass oder Ruhm nicht verdorben werden kann, denn mitten im Streben nach Frömmigkeit drohen Fußangeln.
So mahne ich nicht, dass Du nach meinen Grundsätzen handelst, vielmehr dass Du bei Deinem Handeln beständig bleibst. Ich habe von Deinem Psalmenkommentar etwas gelesen; er gefällt mir sehr und wird hoffentlich großen Nutzen schaffen. Der Prior des Augustinerklosters in Antwerpen, ein Christ ohne Falsch, der Dich ganz besonders liebt, einst Dein Schüler, wie er sagt [Jakob Propst (1486-1562)], predigt fast als einziger von allen Christus, die übrigen predigen nahezu nur Menschenfabeln oder zu eigenem Nutzen. An Melanchthon habe ich geschrieben [22. April]. Der Herr Jesus möge Dir täglich mehr von seinem Geiste mitteilen, zu seiner Ehre und zum allgemeinen Nutzen! Während ich dies schrieb, hatte ich Deinen Brief nicht zur Hand.
Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Bd. III. Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 3. verb. Aufl. 1988, Neukirchen -Vluyn 1988, S. 39-41
Luther an Erasmus von Rotterdam, 28. März 1519
Eröffnung der Korrespondenz zwischen Luther und Erasmus
So oft plaudere ich mit Dir und Du mit mir, lieber Erasmus, unsere Zierde und unsere Hoffnung, und doch kennen wir uns gegenseitig noch nicht; ist dies nicht etwas ganz Seltsames? Doch nein, nicht etwas Seltsames, sondern etwas, was gewiß täglich vorkommt. Denn wen gibt es, dessen Herz Erasmus nicht ganz einnimmt, den Erasmus nicht belehrt, in dem Erasmus nicht herrscht? Ich rede von denen, welche die Wissenschaft recht lieben. Denn ich freue mich sehr, daß unter die übrigen Gaben Christi auch die gerechnet wird, daß Du vielen mißfällst. Durch dieses Kennzeichen pflege ich die Gaben des gnädigen Gottes von denen des zürnenden zu unterscheiden. Deshalb wünsche ich Dir Glück, daß, während Du allen edlen Menschen aufs höchste gefällst, Du denen nicht weniger mißfällst, welche allein von allen die angesehensten sein und aufs höchste gefallen wollen.
Doch ich bin töricht, daß ich Dich, einen so großen Mann, so unvorbereitet, ohne Ehrerbietung und ohne ehrende Einleitung gleichsam als einen ganz vertrauten Freund anspreche, ein Unbekannter den Unbekannten. Aber Du wirst das in Deiner Menschlichkeit entweder meiner Liebe oder meiner Unerfahrenheit zugute halten, der ich zwar mein Leben unter Sophisten zugebracht, aber doch nicht so viel gelernt habe, daß ich einen gelehrten Mann brieflich begrüßen könnte. Sonst würde ich Dich schon mit wer weiß wie vielen Briefen belästigt haben, und ich hätte es nicht ausgehalten, daß Du immer nur in meinem Kämmerlein mit mir redest.
Da ich nun von dem verehrten Fabricius Capito erfahren habe, daß Dir mein Name durch den nichtsnutzigen Ablaßhandel bekannt ist, dann auch aus der Vorrede1 zu Deinem ganz kürzlich erschienenen Enchiridion, daß Du meine belanglosen Äußerungen nicht bloß gesehen, sondern auch gebilligt hast, so fühle ich mich genötigt, in einem, wenn auch ganz ungebildet geschriebenen Briefe, Deinen hervorragenden Geist anzuerkennen, der meinen und den Geist aller bereichert. Ich weiß, du wirst Dir nur sehr wenig daraus machen, daß ich Dir brieflich meine Liebe und meinen Dank ausdrücke. Du bist damit völlig zufrieden, daß Dir das Herz in verborgener Dankbarkeit und Liebe vor Gott zugetan ist. Auch wir haben daran genug, daß wir Deine Liebe und Deinen Dienst in Schriften besitzen, ohne Dich zu kennen, ohne brieflichen Verkehr und persönlichen Umgang mit Dir. Trotzdem duldet es weder der Anstand noch das Gewissen, diese Dankbarkeit nicht auch in Worten auszudrücken, besonders da auch mein Name bekannt zu werden beginnt, damit niemand meine, das Schweigen sei böswillig und sehr häßlicher Natur.
Demnach, mein lieber Erasmus, wenn es Dir so gut dünkt, so erkenne auch diesen geringen Bruder in Christus, der Dir ganz zugetan ist und Dich völlig liebt, der übrigens wegen seiner Unwissenheit nichts anderes verdient hätte, als daß er, im Winkel begraben, aller Welt ganz unbekannt wäre. Das habe ich auch immer mit großem Verlangen gewünscht, da ich mir meines Unvermögens sehr wohl bewußt bin. Und ich weiß nicht, durch welches Geschick gerade das Gegenteil eingetreten ist, so daß ich es zu meiner großen Beschämung dulden muß, daß meine Schande und bedauernswerte Unwissenheit auch vor gelehrte Leute kommt und von ihnen besprochen wird.
Philipp Melanchthon geht es gut, nur können wir alle es kaum verhindern, daß nicht durch sein Übermaß an wissenschaftlichem Eifer auch seine Gesundheit Schaden leide. Denn bei seiner Jugendhitze brennt er vor Verlangen, allen alles zugleich zu werden und zu tun. Du würdest uns einen Dienst leisten, wenn Du diesen Mann brieflich ermahnen wolltest,2 daß er sich uns und der Wissenschaft erhalte. Denn wenn er uns erhalten bleibt, dann weiß ich nicht, was mehr wir uns erhoffen können.
Andreas Karlstadt, der in Dir Christus hoch ehrt, läßt Dich grüßen. Der Herr Jesus selbst erhalte Dich in Ewigkeit, liebster Erasmus. Ich habe viel Worte gemacht, doch bedenke, daß man nicht immer gelehrte Briefe lesen kann; bisweilen mußt Du auch schwach sein mit den Schwachen.
1 Im Herbst 1518 war eine Neuausgabe von Erasmus' Enchiridion militis Christiani erschienen, Luther denkt bei seinen Worten an die Vorrede an den Abt von Hugshofen, Paul Volz, in dieser Ausgabe.
2 Erasmus ist dieser Aufforderung in einem Brief an Melanchthon vom 22. April 1519 nachgekommen.
WA Br 1, 361-363. Nr. 163. Lateinisch, in deutscher Übersetzung vollständig wiedergegeben bei Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 140-143.
Martin Luther an Johann Oekolampad, 20. Juni 1523
Was Erasmus in bezug auf geistliche Dinge meint oder vorgibt, das bezeugen reichlich seine Bücher, sowohl die ersten als auch die letzten. Trotzdem ich seine Stacheln überall spüre, so stelle auch ich mich dennoch, als ob ich seine Listen nicht verstehe, weil er sich so stellt, als ob er öffentlich nicht mein Feind sei, obwohl ich ihn gründlicher verstehe, als er selbst glaubt. Er hat das getan, wozu er verordnet war: er hat die (Kenntnis der) (Ur)sprachen eingeführt und von gotteslästerlichen Studien zurückgerufen. Vielleicht wird er auch mit Mose in den Gefilden Moabs sterben (5. Mose 34, 5), denn zu besseren Studien (was die Gottseligkeit betrifft) gelangt er nicht. Ich möchte außerordentlich gern, daß er davon abließe, die heilige Schrift zu behandeln und von seinen Paraphrasen, weil er diesen Aufgaben nicht gewachsen ist und die Leser vergeblich beschäftigt und sie in der Erlernung der Schrift aufhält. Er hat genug getan, daß er das Übel gezeigt hat: aber das Gute zeigen (wie ich sehe) und in das Land der Verheißung führen, das kann er nicht. Aber was rede ich so viel von Erasmus? Nur daß Du Dich durch seinen Namen und sein Ansehen nicht bewegen läßt und Dich sogar freust, wenn Du merkst, daß ihm in bezug auf die Schrift etwas mißfällt. Denn er kann oder will über sie nicht richtig urteilen, wie fast die ganze Welt über ihn zu urteilen beginnt.
WA Br 3, 96 f. Nr. 626. Lateinisch, vollständig wiedergegeben bei Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 133
Martin Luther an Konrad Pellican zu Basel über die Angriffe von Hutten und Erasmus von Rotterdam auf ihn und seine Anhänger, 1. Oktober 1523
Antwort auf den Versuch Pellicans, zwischen Luther und Erasmus versöhnend einzuwirken. Über den Streit zwischen Hutten und Erasmus. Luther bedauert die Veröffentlichung seines Urtheils über Erasmus, und will sich gegen alle Schriften des Erasmus still verhalten, es sei denn, daß er die Sache angreife.
Martin Luther sendet seinem Freunde P. seinen Gruß.
Gnade und Friede dem Herrn! Bete vielmehr du für mich, liebster P., da dir jetzt mehr Muße geschenkt ist, und du mich an Gottseligkeit übertriffst. Ich wünsche in der That und bitte den Herrn Jesum, daß er dir, wie du begehrst, die Gabe der Sprache mittheilen möge zum Lobe sseiner Gnade.
Übrigens, daß du schreibst, ich solle mich nicht zum Zorne reizen lassen gegen Erasmus, das ist schon eher erlangt, als du darum gebeten hast. Ich wenigstens wollte, daß Hutten seine Beschwerde nicht veröffentlich hätte, viel weniger, daß Erasmus sie ausgewischt hätte. Wenn das heißt: mit dem Schwamme auswischen, ich bitte dich, was ist dann schmähen und lästern? Ganz vergeblich hofft Erasmus, durch seine Redekunst so alle guten Köpfe irre zu leiten, als ob niemand wäre, vielmehr als ob nur wenige wären, welche merkten, womit Erasmus umginge. Wenn Erasmus so für sich schreibt, so ist es wünschenswerther, daß er gegen sich schriebe. Denn er hat sich durch dieses Buch an seinem Namen und seinem Ansehen unglaublichen Schaden gethan, so daß mir der Mensch wirklich leid thut, der nie an die Sache herantritt, und so gegen die Fehle der Freunde schon zum zweiten Male wüthet, während er gegen seinen Feind Lee (Laeum) so gelinde war, und sonst alle davon abmahnt, selbst die Feinde zu schmähen, und dies sehr verabscheut. Ich habe immer erwartet, er würde die Sache handeln. Es ist leicht, gegen das Leben seine Redekunst zu beweisen. Ferner ist auch mein Brief herausgegeben worden, den ich privatim über Erasmus geschrieben habe, sodann auch der andere an Fabricius, was mich sehr übel verdrießt. Wiewohl ich mich seines Wortes schäme, wenn ich es öffentlich vertheidigen müßte, so ist es mir doch ärgerlich, daß durch diese ungestümen Angeber (ich weiß nicht, wen ich nennen soll) das öffentlich gemacht wird, was guten Freunden privatim geschrieben wird. Ferner, wie mir das Geschreibsel des Erasmus nichts schadet, wenn es wider mich ist, so werde ich nicht mehr Zuversicht haben, wenn es für mich ist. Ich habe einen, der die Sache vertheidigen kann, wenn auch die ganze Welt wider mich allein toben sollte; das nennt Erasmus an mir Hartnäckigkeit im Behaupten. Aber da ich sehe, daß der Mensch so fern ist von dem Verständnis christlicher Dinge (was ich bisher nicht gemeint haqtte, wiewohl ich es bisweilen vermuthete), so leide ich gern, daß er mich mit irgendeinem Namen nenne, welchen er will, bis daß er die Sache berührt. Denn ich habe mir vorgenommen, daß ich weder mein Leben noch meine Sitten in Schutz nehmen will, sondern allein die Sache, wie ich bisher gethan habe; es mag, wer da will, mich und meine Sitten heruntermachen. Ja, jenen Leuten verdanke ich klärlich mein Leben selbst in meinem Leide, und einen großen Theil der Freudigkeit meines Geistes, welche mich aufs greulichste schmähen und durchhecheln: So viel fehlt daran, daß ich durch des Erasmus Ruhm oder Namen getragen werden wollte. Ich habe Betrübnis und Furch bei meinem Lobe, aber Freude, wenn ich geschmäht und gelästert werde; wenn dies dem Erasmus wunderlich ist, so wundere ich mich nicht darüber. Er möge Christum lernen und der menschlichen Klugheit den Abschied geben. Der Herr erleuchte ihn und mache einen andern Mann aus Erasmus, und Er möge uns alle zugleich erhalten und mehren; das wünsche ich von Herzen, so viel es mir gegeben wird zu wünschen. Gehab dich wohl, mein P., und grüße den Erasmus, wenn er es leidet, in meinem Namen. Es ist in mir seine Bitterkeit gegen ihn, sondern in Wahrheit Barmherzigkeit; wenn er diese verachtet, und vielleicht mehr das hofft, was er gedenkt, so will ich gern auch diesen Wunsch verloren haben. Wittenberg, den 1. October 1523"1
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1aus: Walch, Georg. Dr Martin Luthers Sämtliche Schriften - Teil 1. Band 21. St. Louis, Mo, 1903.
Lat. Transkription, Quelle: Dr. Martin Luthers Werke - Briefwechsel. 3. Band. Weimar, 1933. Nachdruck 1969.
Luther an Spalatin, Kritik an Erasmus, 19. Oktober 1516
Was mir an Erasmus, dem hochgelehrten Manne, nicht gefällt, ist dies, lieber Spalatin, dass er bei Erklärung des Apostels (Paulus) unter Gerechtigkeit der Werke, bzw. des Gesetzes, bzw. der eigenen Gerechtigkeit (so nennt sie nämlich der Apostel) die Beobachtung der Zeremonial- und formalen Gesetze versteht. Ferner behauptet er auch, der Apostel wolle von der Erbsünde (die er allerdings zugibt) Römer 5 nicht deutlich reden. Wenn er die Werke Augustins lesen würde, die er gegen die Pelagianer geschrieben hat [...] und sehen würde, dass dieser nichts aus eigener Weisheit, sondern aus der der hervorragendsten Väter schöpft [...], so würde er vielleicht nicht nur den Apostel richtig verstehen, sondern auch einsehen, dass Augustin einer höheren Wertschätzung würdig sei, als er bisher geglaubt hat.
Ich trage keine Bedenken, von Erasmus darin abzuweichen, dass ich Hieronymus dem Augustin, was die Auslegung der Schrift angeht, so weit hintanstelle, wie er den Augustin überall dem Hieronymus hintanstellt. Nicht dass ich aus Eifer für meinen Orden Augustin zu loben veranlasst wäre, welcher, ehe ich über seine Werke geriet, nicht das geringste Ansehen bei mir hatte; sondern weil ich sehe, dass Hieronymus auf ein historisches Verständnis hinauswill, und, worüber man sich noch mehr wundern muss, die Schrift zutreffender erklärt, wenn er kurz darüber hingeht, wie zum Beispiel in Briefen, als wenn er sie eindringlich behandelt, wie in seinen Werken.
Auf keine Weise besteht demnach die Gerechtigkeit des Gesetzes oder der Werke bloß in Zeremonien, sondern vielmehr richtiger in den Werken der ganzen Zehn Gebote. Wenn diese ohne den Glauben an Christus vollbracht werden, so schmecken sie, wenn sie gleich [...] überaus rechtschaffene Leute vor den Menschen machen, dennoch nicht mehr nach der Gerechtigkeit, als die Vogelbeeren nach Feigen. Denn nicht, wie Aristoteles meint, werden wir dadurch gerecht, dass wir gerecht handeln, auch nicht durch Heuchelei, sondern (um es so zu sagen) durch Gerechtwerden und -sein tun wir gerechte Werke. Erst muss man sich selbst ändern, danach (folgen) die Werke. Zuerst ist Abel vor Gott angenehm, danach sein Opfer. Aber darüber ein ander Mal.
[*] Bitte, erweise mir als Freund und Christ den Gefallen und benachrichtige den Erasmus davon, von dessen Ansehen ich hoffe und wünsche, dass es recht allgemein werden möge. Aber ich fürchte, dass viele ihn zum Patron einer blos buchstäblichen, innerlich toten Auffassung der Schriftworte machen. Denn du könntest mich dreist nennen, weil ich an so grossen Männern Kritik übe, wenn du nicht wüsstest, dass es mir um die Theologie und das Heil der Brüder zu tun ist. [...]
Spalatin richtete am 11. Dezember 1516 einen entsprechenden Brief an Erasmus, in dem er die Wünsche und Bedenken Luthers fast wörtlich mitteilte. Eine Antwort des Erasmus ist nicht erhalten. Der direkten Schriftwechsel mit Erasmus eröffnete Luther erst mit seinem Brief vom 28. März 1519.
Zusammengestellt nach Kurt Aland (Hg.), Luther Deutsch, Bd. 10, S. 17-18 [WA Briefe 1, 70. Nr. 27. Lateinisch] sowie Max Richter, Desiderius Erasmus und seine Stellung zu Luther, Leipzig 1907, S. 6, ab [*]
Erasmus von Rotterdam, Porträt von Quentin Massys, 1517
Der predigende Luther, Reformationsaltar Wittenberg (Ausschnitt), 1547
Der Bruch mit Erasmus: Luther an Erasmus, [18. April?] 1524
Gnade und Friede von unserm Herrn Jesus Christus! Schon lange genug habe ich geschwiegen, bester Erasmus, und obgleich ich erwartete, daß Du als der Höherstehende und Ältere das Schweigen brechen würdest, so glaube ich doch, weil ich so lange vergebens gewartet habe, daß es die Liebe von mir verlangt, den Anfang zu machen. Zunächst will ich davon nicht reden, daß Du Dich recht befremdlich gegen uns verhalten hast, damit Dein Verhältnis zu den Papisten, meinen Feinden, nicht beeinträchtigt würde und um so besser stünde. Weiter bin ich nicht allzu sehr bekümmert gewesen, daß Du uns an einigen Stellen Deiner Bücher, um ihre Gunst zu erlangen oder ihre Wut zu besänftigen, sehr scharf angegriffen und verspottet hast. Denn da wir sehen, daß Dir vom Herrn noch nicht die Tapferkeit oder vielmehr eine solche Gesinnung gegeben ist, jenen unseren Ungeheuern frei und zuversichtlich mit uns entgegenzutreten, so erdreisten wir uns nicht, das von Dir zu fordern, was Deine Kräfte und Dein Maß übersteigt. Ja, auch Deine Schwachheit und das Maß der Gaben, die Gott Dir gegeben hat, haben wir an Dir ertragen und geehrt. Denn das kann allerdings die ganze Welt nicht leugnen, daß die Wissenschaft blüht und regiert, durch welche man dazu gelangt, die Bibel unverfälscht zu lesen. Das ist auch eine herrliche und vortreffliche Gabe Gottes an Dich, für die man Dank sagen muß. Darum habe ich zwar nie gewünscht, daß Du unter Aufgabe oder Vernachlässigung Deiner Gaben zu unserem Lager übergingest, obwohl Du der Sache durch Deinen scharfen Verstand und Deine Beredsamkeit viel hättest nützen können, so war es doch sicherer, weil Dein Herz nicht dabei ist, mit Deiner Gabe zu dienen. Nur das fürchtete man, daß Du durch die Gegner dazu veranlaßt werden könntest, durch Veröffentlichung von Büchern über unsere Lehren herzufallen, und daß uns dann die Not zwingen würde, Dir ins Angesicht zu widerstehen. Wir haben jedenfalls einige zurückgehalten, welche Dich mit schon vorbereiteten Büchern auf den Kampfplatz ziehen wollten. Und das ist auch der Grund dafür, daß ich gewünscht hätte, auch Huttens »Herausforderung« [1] wäre nicht erschienen, viel weniger aber auch Dein »Schwamm«, in welchem, wenn ich nicht irre, Du selbst schon merkst, wie leicht es ist, über die Bescheidenheit zu schreiben und an Luther die Unbescheidenheit zu tadeln, aber wie überaus schwer, ja unmöglich das auch zu leisten, es sei denn durch besondere Gabe des heiligen Geistes. Du magst es also glauben oder nicht, Christus ist mein Zeuge, daß ich herzlich Mitleid mit Dir habe, daß so vieler und so großer Leute Haß oder vielmehr Eifer gegen Dich aufgebracht ist. Daß Du davon nicht berührt würdest, kann ich nicht glauben (weil Deine menschliche Kraft einer so großen Belastung nicht gewachsen ist). Trotzdem treibt auch jene vielleicht ein gerechter Eifer, und sie meinen, Du hättest sie auf unwürdige Weise herausgefordert. Und (um es frei heraus zu sagen) da es solche Leute sind, die Deine Schärfe und Verstellung (die Du als Klugheit und Bescheidenheit angesehen wissen willst) auch nach ihrer Schwachheit nicht dulden können, so haben sie sicherlich etwas, worüber sie sich mit Recht entrüsten; wenn sie stärker wären an Geist, so würden sie es für nichts halten. Doch obwohl auch ich, der ich reizbar bin, öfters gereizt worden bin, beißender zu schreiben, so habe ich doch dieses nur gegen Hartnäckige und Zügellose getan. Übrigens meine ich, für meine Gutmütigkeit und Sanftmut gegen Sünder und Gottlose, wie wahnsinnig und ungerecht sie auch gewesen sein mögen, ist nicht nur mein eigenes Gewissen Zeuge, sondern sie ist auch durch die Erfahrung vieler hinlänglich bezeugt. So habe ich bisher meine Feder im Zaum gehalten, wenn Du mich auch noch so sehr angestochen hast, und habe sogar in Briefen an Freunde, die Du selbst auch gelesen hast, geschrieben, ich will mich bezähmen, bis Du öffentlich gegen mich aufträtest. Denn obwohl Du es mit uns nicht hältst und die meisten Hauptstücke der Gottseligkeit entweder gottlos oder gleißnerisch verwirfst oder darüber nicht urteilen willst, so kann und will ich Dir doch keine Halsstarrigkeit vorwerfen. Was soll ich aber jetzt tun? Die Sache ist auf beiden Seiten sehr erbittert. Ich wünschte (wenn ich Mittler sein könnte), daß auch jene aufhörten, Dich mit so großer Hitze anzufallen und Dich als einen betagten Mann mit Frieden im Herrn entschlafen ließen. Das würden sie, meiner Meinung nach, gewiß tun, wenn sie auf Deine Schwachheit Rücksicht nähmen und die Wichtigkeit der Sache bedächten, die über Deinen Maßstab schon längst hinausgewachsen ist. Und das besonders, weil es schon so weit gekommen ist, daß für unsere Sache wenig Gefahr zu befürchten ist, wenn Erasmus auch mit allen Kräften gegen uns stritte, geschweige, wenn er nur bisweilen Sticheleien einstreut und die Zähne zeigt. Umgekehrt wenn auch Du, lieber Erasmus, ihrer Schwachheit gedächtest, so würdest Du Dich auch Deiner beißenden und bitteren Redereien enthalten. Wenn Du das Unsere also ganz und gar nicht bekennen kannst noch es wagst, so solltest Du es doch unangetastet lassen und das Deine tun. Denn daß jene Deine Angriffe nur sehr unwillig ertragen, dazu haben sie (auch nach Deinem eigenen Urteil) einige Ursache. Denn die menschliche Schwachheit bedenkt und fürchtet gar übel das Ansehen und den Namen des Erasmus; es ist eine ganz andere Sache, einmal von Erasmus angegriffen zu sein, als von allen Papisten auf einmal angefallen zu werden. Das will ich, hochgeschätzter Erasmus, zum Zeugnis meiner aufrichtigen Gesinnung gegen Dich gesagt haben. Ich wünschte herzlich, daß Dir vom Herrn ein Deines Namens würdiger Geist gegeben werde. Und wenn der Herr es aufschiebt, ihn Dir zu geben, so bitte ich Dich unterdessen (wenn Du nichts anderes tun kannst), nur ein Zuschauer unserer Tragödie zu sein. Nur rede nicht unseren Widersachern nach dem Munde und mache nicht gemeinschaftliche Sache mit ihnen. Vor allen Dingen veröffentliche keine Schriften gegen mich, wie auch ich nichts gegen Dich veröffentlichen will. Von denen aber, die sich bemühen, unter lutherischem Namen gegen Dich loszugehen, sollst Du denken, es sind Menschen wie Du und ich, die man schonen und mit denen man Nachsicht haben muß, und wie Paulus (Gal. 6, 2) sagt »einer trage des anderen Last«. Es ist genug gebissen, wir müssen nun zusehen, daß wir uns nicht untereinander verzehren. Das wäre ein gar zu elendes Schauspiel, da es doch ganz gewiß ist, daß keiner von beiden der Gottseligkeit von Herzen feind ist und ohne Hartnäckigkeit von ihrer Seite jedem gefallen. Halte mir meine kindische Einfalt zugute und gehab Dich wohl in dem Herrn.
1 Leidenschaftliche Schmähschrift Huttens, nachdem Erasmus dem kranken Flüchtling seine Unterstützung verweigert hatte (Expostulatio cum Erasmo), Erasmus versuchte sich mit einer Gegenschrift (Spongia adversus aspergines Hutteni) zu rechtfertigen, aber nur mit sehr teilweisem Erfolg, Zwingli z.B. hat daraufhin mit Erasmus gebrochen.
WA Br 3, 270 f. Nr. 729. Lateinisch, in deutscher Übersetzung zitiert nach Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 140-143
Dokumentenabbildung (zeitgenössische Abschrift) in: HStAM 3.2687
Luther wirft Erasmus vor, mit seinen letzten Schriften den Beifall der Papisten gesucht zu haben (Abschrift), 18. April 1524
Lat. Transkription, Quelle: Dr. Martin Luthers Werke - Briefwechsel. 3. Band. Weimar: Herrmann Böhlaus Nachfolger, 1933. Nachdruck 1969.
Deutsche Übersetzung aus: Luther Deutsch - Die Briefe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983. Link:http://books.google.de/books?id=I-G5siOpQqAC&pg=PA140&lpg=PA140&dq=luther+briefe+18+april+1524&source=bl&ots=VfkeCQlzB3&sig=oXj2EEswLmzC7ku9cUookUmIsCc&hl=de&sa=X&ei=X0NIUe6MIvCN4gT1pIH4CA&ved=0CBwQ6AEwAA#v=onepage&q=luther%20briefe%2018%20april%201524&f=false
Erasmus verteidigt in einem Brief an Luther seine Haltung gegenüber der evangelischen Bewegung (Abschrift), 8. Mai 1524
Erasmus von Rotterdam: „De libero arbitrio“ - Abhandlung über den freien Willen, September 1524
Die zunehmende Verschärfung der theologischen und politischen Lage erlaubte es Erasmus nicht, sich weiterhin aus dem Streit herauszuhalten und über die Kirchenreform in seinem Sinne vermittelnd aufzuklären (vgl. Nr. 21).[...] Sachlich gesehen muß er gegen Luther schreiben, da der reformatorische Antipelagianismus (vgl. auch Bd. 1 Nr. 910-q, 92) auch dem Bildungsideal einer >Besserung durch Belehrung< entgegengetreten war. Als den von Luther anerkannten zentralen Streitpunkt wählt er somit die Frage von Gnade und Willensfreiheit, die Luther im 36. Artikel seiner »Assertio omnium Articulorum« (1521) als Entfaltung der 13. Heidelberger These (Die Heidelberger Disputation: Luthers neue Kreuzestheologie, 26. April 1518, Dok. in Ausstellungsraum 4) im Sinne der Alleinwirksamkeit Gottes zugespitzt hatte (vgl. WA 7, S. 142-149).
a) Die geheimnisvollen Tiefen der Heiligen Schrift
Es gibt nämlich in der Heiligen Schrift gewisse unzugängliche Stellen, in die Gott uns nicht tiefer eindringen lassen wollte; und wenn wir einzudringen versuchen, tappen wir desto mehr in der Finsternis, je tiefer wir eingedrungen sind, damit wir auf diese Weise einerseits die unerforschliche Majestät der göttlichen Weisheit, andererseits die Schwäche des menschlichen Geistes erkennen. Es ist so, wie Pomponius Mela [röm. Geograph (Mitte des 1. Jh.s), De chorogr. I,13,72.] von einer Höhle bei Korykos berichtet, welche zuerst durch eine gewisse angenehme Lieblichkeit anlockt und einlädt, bis diejenigen, die tiefer und tiefer eingedrungen sind, endlich ein gewisser Schrecken und die Majestät der dort wohnenden Gottheit vertreibt. Sobald man daher bis zu diesem Punkt gekommen ist, dürfte es meiner Meinung nach besonnener und frommer sein, mit Paulus auszurufen: »0 Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes, wie unerforschlich sind seine Ratschlüsse, wie unergründlich seine Wege!« [Röm 11,33] und mit Jesaja: »Wer hat den Geist des Herren bestimmt, wer als Berater ihn unterwiesen?« [Jes 40,13], als erklären zu wollen, was das Maß menschlicher Fassungskraft übersteigt. Vieles ist für die Zeit aufbewahrt, wenn wir nicht mehr durch Spiegel und in Rätseln sehen werden, sondern enthüllten Angesichtes die Herrlichkeit des Herrn betrachten werden [l Kor 13,12].
b) Erörterungen über Willensunfreiheit sind nicht notwendig, vielmehr schädlich
Was daher den freien Willen betrifft, haben wir, nach meinem Urteil wenigstens, aus der Heiligen Schrift folgendes gelernt: Wenn wir uns auf dem Weg der Frömmigkeit befinden, sollen wir eifrig nach dem Besseren streben, indem wir vergessen, was hinter uns liegt [Phil 3,13]; wenn wir in Sünden verstrickt sind, sollen wir uns mit allen Kräften herauszuarbeiten suchen, sollen wir das Heilmittel der Buße suchen und die Barmherzigkeit Gottes auf jede Weise zu erlangen trachten, ohne die weder der menschliche Wille noch sein Streben wirksam ist; und wenn etwas Böses da ist, wollen wir es uns anrechnen, wenn aber etwas Gutes, wollen wir es gänzlich der göttlichen Güte zuschreiben, der wir auch selbst dies verdanken, daß wir sind. Im übrigen wollen wir glauben, daß alles, was uns in diesem Leben widerfährt, sei es etwas Erfreuliches, sei es etwas Betrübliches, uns von jenem zu unserem Heil geschickt wird und daß keinem ein Unrecht von Gott geschehen kann, der von Natur aus gerecht ist; auch wenn uns etwas unverdient zuzustoßen scheint, darf doch niemand an der Vergebung von seiten Gottes zweifeln, der von Natur aus überaus gnädig ist: Das festzuhalten, sage ich, wäre meinem Urteil nach zur christlichen Frömmigkeit ausreichend, und man hätte nicht mit unfrommer Neugier [curiositate] in jene abgründigen Bereiche, um nicht zu sagen, überflüssigen Fragen, eindringen dürfen, ob Gott etwas nicht notwendig [contingenter] vorausweiß, ob unser Wille etwas vermag in den Dingen, die sich auf das ewige Heil beziehen, oder ob er nur passiv der wirkenden Gnade gegenübersteht, ob wir, was immer wir Gutes oder Böses tun, aus reiner Notwendigkeit tun oder eher erleiden
Wollen wir nun annehmen, daß in einem gewissen Sinne wahr sei, was Wiclif lehrte und Luther behauptete [vgl. WA 7, S. 146], daß, was immer wir tun, nicht aus freiem Willen, sondern aus reiner Notwendigkeit [mera necessitate] geschehe: was gibt es Unzweckmäßigeres, als dieses Paradox der Welt bekannt zu machen? Wiederum wollen wir einmal annehmen, es sei in einem gewissen Sinne wahr, was Augustinus irgendwo schreibt, daß Gott sowohl das Gute als auch das Böse in uns wirke und seine guten Werke in uns belohnt und seine bösen Werke in uns bestraft würden. Was für ein großes Fenster würde diese Behauptung, wenn man sie im Volke bekanntmachte, unzähligen Sterblichen zur Gottlosigkeit öffnen, besonders bei der großen Trägheit der Sterblichen, bei ihrer Gedankenlosigkeit, Bosheit und unverbesserlichen Geneigtheit zu jeder Art von Frevel? Welcher Schwache wird [dann noch] den ewigen und mühevollen Kampf gegen sein Fleisch aushalten? Welcher Böse wird [noch] danach streben, sein Leben zu bessern? Wer wird sich [noch] dazu aufraffen können, jenen Gott aus ganzem Herzen zu lieben, der die Hölle geschaffen hat, die von ewigen Qualen glüht, um dort seine eigenen Untaten in den Bedauernswerten zu bestrafen, wie wenn er sich an den Qualen der Menschen erfreute? So werden es nämlich die meisten deuten. Es sind nämlich die Herzen der Sterblichen in der Regel ungebildet und fleischlich, geneigt zum Unglauben, geneigt zu Verbrechen, geneigt zur Gotteslästerung, so daß es nicht not-wendig ist, noch Öl ins Feuer zu gießen.[...]
c) Freiheit und Gericht
Wenn ich höre, daß das Verdienst des Menschen so sehr nichtig sei, daß alle Werke auch der Frommen Sünden sind, wenn ich höre, daß unser Wille nicht mehr vermag, als der Ton in der Hand des Töpfers, wenn ich höre, daß alles, was wir tun und wollen, auf absolute Notwendigkeit zurückzuführen ist, wird mein Herz von vielen beängstigenden Überlegungen ergriffen [...] .. .
Warum wird in der Heiligen Schrift so oft das Gericht erwähnt, wenn es überhaupt keine Vergeltung für Verdienst und Schuld gibt? Oder warum werden wir gezwungen, vor den Richterstuhl zu treten, wenn nichts nach unserer Entscheidung, sondern alles aus reiner Notwendigkeit geschieht? Bedrängend ist auch jener Gedanke: wozu so viele Ermahnungen, so viele Gebote, so viele Drohungen, so viele Ermunterungen, so viele Forderungen, wenn wir nichts tun, sondern Gott nach seinem unabänderlichen Willen alles in uns wirkt, sowohl das Wollen als auch das Vollenden [Phil 2,13]! [...].. .
d) Dem freien Willen etwas, der Gnade das meiste
[...] Mir gefällt die Meinung derer, die dem freien Willen etwas [nonnihil] zuschreiben, der Gnade aber das meiste [plurimum] [...].Warum, wirst du fragen, wird dem freien Willen etwas zugestanden? Damit es etwas gibt, was den Gottlosen mit Recht [merito] zugerechnet wird, die sich willentlich der Gnade entzogen haben, damit Gott vom Vorwurf der Grausamkeit und Ungerechtigkeit unbehelligt bliebe, damit die Verzweiflung von uns ferngehalten werde, damit die Sicherheit aus-geschlossen werde, damit wir zum Bemühen angespornt werden. Aus diesen Gründen wird der freie Wille von fast allen behauptet, dieser aber ist ohne die ständige Gnade Gottes unwirksam [inefficax], damit wir uns ja nicht etwas anmaßen. Es könnte jemand sagen: »Wozu der freie Wille, wenn er nichts ausrichtet [efficiat]?« Ich antworte: »Wozu der ganze Mensch, wenn Gott so in ihm wirkt [agit], wie der Töpfer am Ton arbeitet und wie er an einem Stein hätte arbeiten können?«
Quelle: Quelle: Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften 4, hg. von W. Welzig, S. 10ff.
Textauszüge zitiert nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 115-118.
Martin Luther: „De servo arbitrio“ - Vom geknechteten Willen, Dezember 1525
Luthers Antwort auf die Diatribe >De libero arbitrio< des Erasmus sollte das entscheidungsreiche Jahr 1525 um eine weitere Entscheidung bereichern: Luther, der bereits im Oktober 1516 seine theologische Kritik an Erasmus privat geäußert hatte (WABr 1, S. 70), bricht nun in aller Öffentlichkeit und Schärfe mit dem Reformhumanismus erasmischer Prägung. Die vielen Ereignisse und Arbeiten, die Luther in Beschlag nahmen, brachten es allerdings mit sich, daß seine gegen Erasmus gerichtete Schrift »De servo arbitrio« erst Ende Dezember 1525 erscheinen konnte.
a) Die Klarheit der Heiligen Schrift
Gott und die Schrift Gottes sind zwei Dinge, nicht weniger als der Schöpfer und das Geschöpf Gottes zwei Dinge sind. Daß in Gott viel verborgen ist, was wir nicht wissen, daran zweifelt kein Mensch, wie er selbst vom Jüngsten Tag sagt: »Von jenem Tag weiß niemand denn der Vater« [Mk 13,32] . . . Daß aber in der Schrift gewisse unverständliche Dinge seien und nicht alles klar dargelegt sei, das wurde durch die gottlosen Sophisten verbreitet, mit deren Mund auch Du, Erasmus, hier redest. Doch sie haben niemals auch nur einen einzigen Artikel vorgebracht – das können sie auch nicht –, mit dem sie diesen ihren Unsinn beweisen könnten. Durch solche Schreckgespenster hat der Satan vom Lesen der Heiligen Schrift ab-geschreckt und die Heilige Schrift verächtlich gemacht, um seine aus der Philosophie herrührende Pestilenz in der Kirche herrschen zu lassen. Das allerdings gebe ich zu, daß es in der Schrift manche unklare und unverständliche Stellen gibt – nicht aufgrund der Erhabenheit des Behandelten, sondern aufgrund der Unkenntnis der Worte und der Grammatik –, aber das hindert in keiner Weise das Verständnis all dessen, was in der Schrift behandelt wird. Denn was kann in der Schrift noch Erhabeneres verborgen bleiben, nachdem die Siegel gebrochen [Offb 6,1], der Stein von der Grabestür gewälzt [Lk 24,2] und jenes höchste Geheimnis bekannt gemacht worden ist: Christus, der Sohn Gottes, ist Mensch geworden, Gott ist dreieinig, Christus hat für uns gelitten und wird in Ewigkeit herrschen !Ist das nicht auch auf allen Gassen bekannt und gesungen? Nimm Christus aus der Schrift heraus, was wirst Du dann noch in ihr finden [tolle Christum e scripturis, quid amplius in illis invenies]? Die in der Schrift enthaltenen Aussagen [res] sind alle ans Tageslicht gebracht, wenn auch gewisse Stellen wegen unbekannter Worte bislang unverständlich sind. Es ist aber töricht und gottlos, zu wissen, daß die eigentlichen Inhalte der Schrift alle im klarsten Licht dastehen, wegen einiger unverständlicher Worte diese aber als unverständlich zu bezeichnen. Sind an einer Stelle die Worte auch unklar, an einer anderen sind sie doch klar. Eben das, was aufs offenkundigste der ganzen Welt verkündet ist, wird das eine Mal in der Schrift mit klaren Worten gesagt, liegt das andere Mal aber hinter bislang unklaren Worten verborgen. Wenn die Sache sich im Licht befindet, macht es nichts aus, wenn irgendein Zeichen von ihr im Dunkeln liegt, da indessen viele andere Zeichen von ihr im Licht sind .. .
Deshalb ist das ohne Bedeutung, was Du von der koryzischen Höhle anführst. Mit der Sache der Schrift verhält es sich nicht so. Das, was zur erhabensten Hoheit gehört und verborgenstes Geheimnis ist, ist nicht mehr in einem Versteck, sondern ist mitten auf dem Marktplatz und im Freien hingestellt und dargelegt. Denn Christus hat uns den Sinn geöffnet, daß wir die Schrift verstehen [Lk 24,45], und das Evangelium ist aller Kreatur gepredigt [Mk 16,15]; sein Schall ist ausgegangen in alle Lande [Röm 10,18], und alles, was geschrieben ist, ist uns zur Lehre geschrieben [Röm 15,4].
b) Die Notwendigkeit der Predigt von der Alleinwirksamkeit Gottes
Welchen Nutzen oder welche Notwendigkeit hat es also, derartiges1 zu verbreiten, da so viel Übles daraus hervorzugehen scheint? Ich antworte: es müßte gewiß genügen, zu sagen, Gott hat gewollt, daß es verbreitet wird; nach dem Grund des göttlichen Willens aber soll man nicht fragen, sondern ihn schlicht verehren und so Gott die Ehre geben, da er allein gerecht und weise ist und niemandem Unrecht tut und nichts töricht oder unbesonnen tun kann, auch wenn es uns ganz anders erscheinen mag. Mit dieser Antwort sind die Gottesfürchtigen [pii] zufrieden. Doch um noch ein übriges zu tun: Zwei Dinge erfordern, dies zu predigen: Das eine ist die Demütigung unseres Hochmuts und die Erkenntnis der Gnade Gottes; das andere der christliche Glaube selbst.
Erstens: Gott hat den Gedemütigten, d.h. den Elenden und Verzweifelten, seine Gnade gewiß zugesagt. Völlig gedemütigt werden kann der Mensch aber erst dann, wenn er weiß, daß sein Heil ganz und gar außerhalb seiner Kräfte, Absichten, Bemühungen, seines Willens und seiner Werke gänzlich von dem Ermessen [arbitrio], Plan, Willen und Werk eines anderen, nämlich Gottes allein, abhängt. Denn solange ein Mensch der Ansicht ist, er könne für sein Heil auch nur das Geringste tun, bleibt er im Vertrauen auf sich selbst und verzweifelt nicht ganz an sich; und so wird er vor Gott nicht gedemütigt, sondern maßt sich an oder hofft oder wünscht zumindest, [es gäbe] einen Ort, eine Zeit, irgendein Werk, wodurch er endlich zum Heil gelangen könne. Wer aber keinesfalls daran zweifelt, daß alles am Willen Gottes hängt, der verzweifelt gänzlich an sich selbst, wählt nichts für sich aus und wartet auf den wirkenden Gott; dieser ist der Gnade am nächsten, so daß er gerettet wird. Deshalb wird dies um der Auserwählten willen gepredigt, damit sie so gedemütigt und zunichte gemacht gerettet werden. Die anderen widerstehen dieser Demütigung, ja sie verurteilen die Lehre, daß man an sich selbst verzweifeln soll, und wollen, daß ihnen zumindest ein ganz klein wenig übrig bleibt, das sie tun könnten. Sie bleiben heimlich hochmütig und Gegner der Gnade Gottes. Dies ist also der eine Grund: daß die Gottesfürchtigen die Verheißung der Gnade demütig erkennen, anrufen und annehmen.
Der andere Grund ist, daß der Glaube es mit den unsichtbaren Dingen zu tun hat [Hebr 11,1]. Damit also dem Glauben Raum gegeben wird, ist es notwendig, daß alles, was geglaubt wird, verborgen ist. Es kann aber nicht tiefer verborgen sein, als unter dem Gegensatz zum gegenständlichen Objekt, zur Empfindung und Erfahrung. Wenn Gott lebendig macht, tut er es also, indem er tötet; wenn er recht-fertigt, tut er das, indem er schuldig macht; wenn er in den Himmel führt, tut er es, indem er in die Hölle führt, wie die Schrift sagt: »Der Herr tötet und macht lebendig, führt in die Hölle und wieder heraus«, [1 Sam 2,6]. Davon ausführlicher zu reden ist hier nicht der Platz; wer unsere Schriften gelesen hat, dem ist dies ganz vertraut. So verbirgt Gott seine ewige Güte und Barmherzigkeit unter ewigem Zorn, die Gerechtigkeit unter Ungerechtigkeit. Das ist der höchste Grad des Glaubens, zu glauben, jener [Gott] sei gütig, der so wenige rettet und so viele verdammt; zu glauben, daß er gerecht ist, der uns durch seinen Willen unabänderlicherweise verdammenswert macht, so daß er, Erasmus zufolge, an den Qualen der Unglücklichen Gefallen zu haben und eher hassens- als liebenswert zu sein scheint. Wenn ich also auf irgendeine Weise [ulla ratione] begreifen könnte, wie denn dieser Gott barmherzig und gerecht ist, der solchen Zorn und solche Ungerechtigkeit zeigt, wäre der Glaube nicht nötig. Da es nun nicht begriffen werden kann, wird Raum gegeben zur Einübung des Glaubens, indem derartiges gepredigt und öffentlich verbreitet wird; und zwar nur so, daß, indem Gott tötet, der Glaube an das Leben [fides vitae] im Tod eingeübt wird. Davon sei nun in der Vorrede genug geredet.
c) Der menschliche Wille zwischen Gott und Teufel
Das andere Paradoxon, daß nämlich alles, was wir tun, nicht aus freiem Willen, sondern aus reiner Notwendigkeit geschieht, wollen wir kurz betrachten, um es nicht hinzunehmen, daß es als höchst schädlich bezeichnet wird. Ich sage hier folgendes: Wenn bewiesen sein wird, daß unser Heil außerhalb unserer Kräfte und Absichten steht und vom Wirken Gottes abhängt, was ich unten im Hauptteil der Abhandlung unumstößlich nachzuweisen hoffe, folgt dann nicht klar, daß – so-lange Gott mit seinem Werk in uns nicht zugegen ist – all unser Tun böse ist und wir notwendig Dinge tun, die zum Heil nichts nützen? Denn wenn nicht wir, sondern allein Gott das Heil in uns wirkt, tun wir, ob wir wollen oder nicht, vor seinem Wirken nichts Heilsames.
»Notwendig« [necessario] sage ich, nicht »gezwungen« [coacte], gemäß der sogenannten Notwendigkeit der Unveränderlichkeit, nicht des Zwanges [necessitate immutabilitatis, non coactionis]. D.h. wenn der Mensch den Geist Gottes nicht hat, tut er nicht etwa durch Gewalt gezwungen, gleichsam am Kragen herbeigeschleppt, gegen seinen Willen das Böse, so wie ein Dieb oder Räuber sich widerwillig zur Bestrafung führen läßt, sondern er tut es freiwillig und gern. Aber diese Willigkeit oder diesen Willen zum [bösen] Tun kann er aus eigenen Kräften nicht aufgeben, zügeln oder ändern, sondern er läßt vom Wollen und Willigsein nicht ab, auch wenn er nach außen hin mit Gewalt gezwungen wird, etwas anderes zu tun ; im Inneren bleibt der Wille davon doch abgekehrt und ist zornig dem, der ihn so zwingt oder sich ihm entgegenstellt .. .
Umgekehrt: Wenn Gott in uns wirkt, will und handelt der durch den Geist Gottes verwandelte und zärtlich angefachte Wille wiederum aus reiner Lust, Neigung und Freiwilligkeit, nicht gezwungen, so daß er durch kein Hindernis umgewandelt werden, ja nicht einmal durch die Pforten der Hölle überwunden oder gezwungen werden könnte; er bleibt genauso dabei, das Gute zu wollen, dazu willig zu sein und es zu lieben, wie er vorher das Böse gewollt, dazu Lust gehabt und es geliebt hat. Kurzum: Wenn wir unter dem Gott dieser Welt sind, ohne das Werk und den Geist des wahren Gottes, werden wir gefangen gehalten, seinen [des Gottes dieser Welt] Willen zu tun, wie Paulus in seinem Brief an Timotheus sagt [2Tim 2,26], daß wir nur das wollen können, was er will. Denn er ist jener starke bewaffnete Mann, der sein Haus so bewacht, daß alle darin in Ruhe bleiben [Lk 11,21], damit sie nicht irgendeine Regung oder Empfindung gegen ihn hervorrufen; sonst würde das Reich des Satans, in sich gespalten, nicht bestehen, dessen Bestehen Christus doch bestätigt [Lk 11,18]. Und das tun wir willentlich und willig, entsprechend der Natur des Willens, der kein Wille wäre, wenn er gezwungen würde. Denn Zwang ist vielmehr (sozusagen) Nichtwille [noluntas]. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt, ihn überwindet und uns als seine Beute nimmt, sind wir dagegen durch dessen Geist Knechte und Gefangene (was jedoch königliche Freiheit ist), so daß wir das willig wollen und tun, was er will. Auf diese Weise ist der menschliche Wille mitten zwischen beide [in medio] gestellt, ganz wie ein Reittier, wenn Gott darauf sitzt, will er und geht, wohin Gott will, wie der Psalm sagt: »Ich bin wie ein Zugtier geworden und ich bin immer mit dir« [Ps 73,22f.]. Wenn der Satan darauf sitzt, will er und geht, wohin der Satan will. Und er hat nicht die Entscheidungsfreiheit [in eius arbitrio], zu einem der Reiter zu laufen oder ihn zu suchen, sondern die Reiter selbst streiten darum, ihn festzuhalten und zu besitzen.
d. Unterscheidung von offenbarem und verborgenem Gott
Anders muß man über Gott oder Gottes Willen disputieren, der uns gepredigt, offenbart, angeboten und verehrt wird, und anders über Gott, der nicht gepredigt, nicht offenbart, nicht angeboten [oblato] und nicht verehrt wird. Sofern also Gott sich verbirgt und von uns nicht erkannt sein will, geht er uns nichts an. Denn hier gilt in der Tat jenes Wort: »Was über uns ist, geht uns nichts an.«2 Und damit niemand meine, diese Unterscheidung stamme von mir: ich folge Paulus, der an die Thessalonicher über den Antichrist schreibt, daß er sich über jeden erheben würde, der als Gott gepredigt und verehrt wird [2Thess 2,4] ; damit gibt er deutlich zu erkennen, daß sich jemand über Gott erheben kann, soweit er gepredigt und verehrt wird, d.h. über das Wort und die Verehrung [cultus], wodurch Gott uns bekannt ist und mit uns Gemeinschaft hat [nobiscum habet commercium]; aber über den nicht verehrten und nicht gepredigten Gott, wie er in seinem Wesen und seiner Majestät ist, kann sich nichts erheben, sondern alles ist unter seiner mächtigen Hand.
Man muß also Gott in seiner Majestät und Natur lassen, denn so haben wir nichts mit ihm zu tun, und er hat es auch nicht gewollt, daß wir so mit ihm zu tun haben. Sondern sofern er sich durch sein Wort, durch das er sich uns dargeboten hat, um-kleidet und bekannt gemacht hat, haben wir mit ihm zu tun3 ; das ist sein Schmuck und sein Ruhm, wie ihn, wenn er damit bekleidet ist, der Psalmist besingt [Ps 21,6]. So sagen wir: der gerechte Gott [Deus pius] beklagt nicht den Tod des Volkes, den er in ihm wirkt, sondern er beklagt den Tod, den er im Volk vorfindet und den er zu beseitigen sich bemüht. Denn so handelt der gepredigte Gott, daß Sünde und Tod beseitigt und wir gerettet werden. Denn »er sandte sein Wort und machte sie [sein Volk] gesund« [Ps 107,20]. Im übrigen beklagt der in seiner Majestät verborgene Gott [Deus absconditus in maiestate] weder den Tod, noch nimmt er ihn weg, sondern er wirkt Leben, Tod und alles in allem. Denn da [in der Verborgenheit seiner Majestät] hat er sich nicht durch sein Wort festgelegt, sondern hat seine Freiheit über alles beibehalten [Neque enim tum verbo suo definivit sese, sed liberum sese reservavit super omnia].
Die Diatribe aber täuscht sich in ihrer Unwissenheit, indem sie gar nicht unter-scheidet zwischen gepredigtem und verborgenem Gott, d.h. zwischen dem Wort Gottes und Gott selbst. Vieles tut Gott, was er uns durch sein Wort nicht zeigt. Vieles auch will er, von dem er durch sein Wort nicht zeigt, daß er es will. So will er nicht den Tod des Sünders, nämlich nach dem Wort [1Tim 2,4]; er will ihn aber nach jenem unausforschlichen Willen. Wir sollen aber auf das Wort schauen und jenen unausforschlichen Willen stehen lassen. Nach dem Wort nämlich sollen wir uns ausrichten [verbo enim nos dirigi oportet], nicht nach jenem unausforschlichen Willen. Wer könnte sich überhaupt nach einem völlig unausforschlichen und unerkennbaren Willen richten? Es genügt, zu wissen, daß in Gott ein unausforschlicher Wille da ist. Was aber dieser Wille und warum und inwiefern er es will, das darf man schlechterdings nicht fragen, zu erkunden wünschen, sich darum kümmern oder berühren, sondern nur fürchten und anbeten. Also ist es richtig zu sagen: »Wenn Gott den Tod nicht will, ist es unserem Willen zuzuschreiben, wenn wir zugrundegehen« 4 ! Richtig, sage ich, wenn Du es vom gepredigten Gott gesagt hast. Denn er will, daß alle Menschen gerettet werden [1Tim 2,4], indem er mit dem Wort des Heils zu allen gekommen ist; und es ist die Schuld des Willens [vitium voluntatis], der ihn nicht annimmt, wie er Mt 23[,37] sagt: »Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, und du hast es nicht gewollt!« Warum aber jene Majestät diese Schuld unseres Willens nicht wegnimmt oder ihn bei allen verwandelt, da es doch nicht in der Macht des Menschen liegt, oder warum er ihm das zurechnet, obwohl der Mensch davon nicht frei sein kann, das darf man nicht fragen, und wenn du auch viel fragst, du wirst es niemals erfahren, wie Paulus Röm 11 [vielmehr 9,20] sagt: »Wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst?«
1. Gemeint ist das »Paradoxon« : >Was auch immer von uns getan wird, wird nicht aus freiem Willen, sondern aus reiner Notwendigkeit getan< und (nach Augustin)'Gott wirkt das Gute und das Schlechte in uns, belohnt seine guten Werke in uns und bestraft seine schlechten Werke in uns<; vgl. WA 18, S. 630,20—24.
2. Quae supra nos nihil ad nos3. Vgl. WA 4, S. 65,1—12.30f. (Ps 91); WA 43, S. 72,31—73,9.
4. So Erasmus in der >Diatribe<, Ausgewählte Schriften 4, 1969, S. 64,18—20.
Quelle: Quelle: WA 18, S. 606ff.
Textauszüge zitiert nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 118-122.
Max Richter, Desiderius Erasmus und seine Stellung zu Luther auf Grund ihrer Schriften, Leipzig 1907
Zum Streit zwischen Luther und Erasmus über den "freien Willen": Kommentierung des evangelischen Theologen Wilfried Härle, 2009
Während Erasmus - ebenso wie Augustinus und Thomas von Aquin - dem freien Willen "einiges" zuschreibt, das "meiste aber der Gnade", billigt Luther dem freien Willen "gar nichts" und der Gnade "alles" zu.
[...]
Der Streit geht nicht darum, ob das menschliche Willensvermögen im Bereich des alltäglichen Lebens und der bürgerlichen Gerechtigkeit etwas auszurichten vermag oder ob es sich dem Bösen aus eigener Kraft zuwenden kann - das alles bestreitet Luther nicht, sondern vertritt es selbst ausdrücklich -, die Streitfrage lautet vielmehr, ob der Mensch die Fähigkeit hat, sich dem zuzuwenden, was zum ewigen Heil führt. Und dabei ist die entscheidende Frage, ob der Mensch die Entscheidung für das, was zum ewigen Heil führt, aus der Kraft seines natürlichen Willensvermögens, d. h. aus sich selbst, treffen kann, oder ob dies nur auf Grund bzw. mit Hilfe der Gnade Gottes möglich ist.
Im Blick auf die Beantwortung dieser Frage entwickelt Erasmus zunächst eine Typologie von fünf in der Theologie vertretenen Positionen. Diese fünf Positionen ergeben sich aus den Aussagen der ,Diatribe' (ErAS 4,56-59 und 188 f.). Erasmus hat sie dann in seiner Antwort an Luther von 1526 unter dem Titel: ,Hyperaspistes' (in: ErAS 4,197-675) auf S. 642 f. noch einmal zusammengefasst. Danach vertritt Pelagius die Auffassung, die dem freien Willen am meisten zuweist, Duns Scotus die Position, die dem freien Willen ,reichlich viel' (,affatim', 188 f.) zubilligt, Augustinus und Thomas vertreten die dritte, mittlere Position, Karlstadt vertritt eine vierte, ,härtere' (,durior', 56 f.642 f.), der zufolge der freie Wille zu nichts fähig ist außer zum Sündigen. Die fünfte und ,härteste' (,durissima', 58 f. 642 f.) vertreten der Einschätzung des Erasmus zufolge Wyclif und Luther, die dem freien Willen gar nichts zubilligen.
Er selbst macht sich die mittlere Position zu Eigen, die er als die von Augustinus und Thomas von Aquin identifiziert. Von ihnen sagt er, sie seien diejenigen, die „das meiste auf die Gnade zurück[führen], auf den freien Willen beinahe nichts, ohne ihn völlig zu beseitigen: Sie leugnen, daß der Mensch etwas Gutes wollen könne ohne ,besondere' Gnade, sie leugnen, daß er beginnen könne, sie leugnen, daß er Fortschritte machen könne, sie leugnen, daß er vollenden könne ohne eine grundlegende und dauernde Hilfe der göttlichen Gnade."44
Am Ende der ,Diatribe' fasst Erasmus dann noch einmal die Hauptpunkte seiner Auffassung knapp zusammen [...]:
1. Dem freien Willen ist einiges zuzuschreiben, das meiste aber der Gnade.
2. Es gibt gute Werke, aber der Mensch darf sich darauf nichts einbilden.
3. Es gibt ein Verdienst, aber man verdankt es Gott.
4. Gott muss vom Vorwurf der Grausamkeit und Ungerechtigkeit frei bleiben. Vom Menschen muss die Verzweiflung genommen werden, damit er zum sittlichen Streben angespornt werde.
Dieser zuletzt genannte Punkt ist für Erasmus von größter Bedeutung, er benennt - so kann man wohl sagen - sein theologisches Hauptanliegen. […]
Während Melanchthon nach der Lektüre der ,Diatribe' sich Erasmus gegenüber erleichtert über den maßvollen Ton seiner Schrift äußerte, wurde Luther durch die Lektüre dieses Buches von einem tiefen Widerwillen erfasst. Das mag - mit - erklären, warum Luther die Antwort an Erasmus über ein Jahr hinauszögerte und erst Ende 1525 seine Schrift ,De servo arbitrio' veröffentlichte, die in ihrem Aufbau dem Gedankengang der ,Diatribe' folgt, dabei aber gnadenlos und mit beißender Schärfe und Ironie alle theologischen Schwachstellen bei Erasmus aufdeckt.
[…] Dass Erasmus […] durchgängig die These vertritt, dem freien Willensvermögen des Menschen sei einiges zuzuschreiben, kann Luther nur als einen gravierenden inneren Widerspruch beurteilen. Würde Erasmus die Augustin'sche Position wirklich ernst nehmen, zu der er sich verbal bekennt, so gäbe es in dieser Frage gar keine sachliche Differenz zwischen Erasmus und Luther. Erasmus müsste dann aber all seine Angriffe gegen Luther einstellen und ihm zustimmen.
Luthers Fazit lautet: „der Wille kann sich nicht ändern und anderswohin wenden". Und das ist für ihn ein Beweis dafür, dass der Mensch kein freies Willensvermögen hat, mit dessen Hilfe er sich Gott in Vertrauen und Liebe zuwenden könnte. […]
Dass der Mensch an der Konstitution seiner Affekte, die sein ganzes Dasein bestimmen, nur passiv beteiligt ist, nämlich auf Grund dessen, was ihm widerfährt, hat Luther in ,De servo arbitrio' zum Ausdruck gebracht in dem drastischen Bild vom Menschen als Zugtier oder Reittier, das von Gott oder vom Teufel besessen und geritten wird, wohin diese wollen. Dabei bestreitet Luther ausdrücklich, dass es am Willensvermögen des Menschen liege, „zu einem von beiden Reitern zu laufen oder ihn zu suchen. Vielmehr streiten die Reiter selbst darum, es in Besitz zu nehmen und in Besitz zu behalten". Das ist deswegen so, weil das Wählen des Reittiers bereits voraussetzen würde, dass es durch einen der Reiter angezogen bzw. affiziert ist. Dieses Affiziertwerden geht aber nicht vom Reittier, sondern von den Reitern aus. Deswegen ist die Entscheidung zwischen Gut und Böse ein Machtkampf, der um den Menschen geführt wird. Das von Luther verwendete Bild enthält freilich auch einen dualistischen und deterministischen Zug, durch den nicht mehr hinreichend klar zum Ausdruck kommt, dass das menschliche Willensvermögen an der Entscheidung für das Böse - nicht für das Gute! - ursächlich beteiligt ist. Insofern wird man dieses Bild nicht überstrapazieren dürfen, wenn die Kohärenz der Einsichten Luthers nicht verloren gehen soll.
M A R T I N L U T H E R. LATEINISCH-DEUTSCHE STUDIENAUSGABE. BAND 1 DER MENSCH VOR GOTT Unter Mitarbeit von Michael Beyer, herausgegeben und eingeleitet von Wilfried Härle, Leipzig 2009. Einleitung S. XXIV bis XXXIV [Auszüge, zusammengestellt von Reinhard Neebe]
Augustinus zur Schwierigkeit der Frage nach dem Zusammenwirken von Freiheit und Gnade
"Indes ist die Frage, in der die Freiheit des Willens und die Gnade Gottes erörtert wird, so schwierig zu entscheiden, dass dann, wenn der freie Wille verteidigt wird, die Gnade Gottes geleugnet zu werden scheint, wenn aber die Gnade Gottes behauptet wird, man glauben kann, der freie Wille sei aufgehoben."
Augustinus, Die Gnade Christi und die Erbsünde, in: Augustinus, Schriften gegen die Pelagianer, Bd. II, Würzburg 1964, S. 387
Augustinus, De gratia et libero arbitrio. Gnade und freier Wille, 426/27
Anlass und Gegenstand dieses Buches
1, 1. Vieles haben wir schon, soweit es uns der Herr in seiner Herablassung verliehen hat, erörtert und schriftlich niedergelegt mit Rücksicht auf jene, die den freien Willen des Menschen so preisen und verteidigen, daß sie die Gnade Gottes zu leugnen wagen und zu beseitigen versuchen, durch die wir zu ihm berufen, sowie von unseren Sünden erlöst werden und auf Grund deren wir die guten Werke bereiten, durch die wir zum ewigen Leben gelangen. Aber da es nun einmal manche Leute gibt, welche die Gnade Gottes in der Weise verteidigen, daß sie den freien Willen des Menschen ablehnen, oder, wenn man die Gnade verteidigt, glauben, der freie Wille werde geleugnet, deshalb ließ ich es mir angelegen sein, an Eure Liebe, Bruder Valentinus, und du übrige Gott dienende Gemeinschaft, um unserer gegenseitigen Liebe willen, die mich antrieb, etwas zu schreiben. Denn von einigen Mitgliedern eurer Genossenschaft, die von dort zu uns gekommen sind und durch deren Vermittlung wir auch die vorliegende Schrift euch zuschicken, wurde mir über euch, Brüder, gemeldet, in dieser Angelegenheit herrschten Streitigkeiten unter euch. Damit euch, Geliebteste, die Dunkelheit dieser Frage nicht verwirre, ermahne ich euch daher zuerst, Gott Dank zu sagen für das, was ihr begreift; was immer aber es sei, wohin ihr bei angestrengtem Nachdenken nicht vordringen könnt, bewahrt dabei Frieden und Liebe untereinander und bittet den Herrn um Einsicht. Und bis er euch selbst zur Erkenntnis dessen führt, was ihr bis jetzt noch nicht begreift, wandelt dort, wohin ihr gelangen konntet. Dazu ermahnt der Apostel Paulus, der kurz nach den Worten, er sei noch nicht vollkommen, sagte: „Wer nun zu den Vollkommenen gehört, der soll so denken” (Phil 3,15), d. h. wir seien in dem Sinn vollkommen, daß wir noch nicht zu der uns genügenden Vollkommenheit gekommen seien, und unverzüglich hinzufügte: „Und wenn ihr noch in einer Sache anders denkt, so wird Gott euch auch das offenbaren. Gleichwohl lasst uns in dem wandeln, was wir erreicht haben” (Phil 3, 16); denn durch den Wandel in dem, was wir erreicht haben, werden wir auch an das noch nicht erreichte Ziel gelangen können, da Gott uns, wenn wir über etwas anders denken, dies offenbart, wenn wir nur seine schon geoffenbarten Wahrheiten nicht verlassen.
Die Heilige Schrift bezeugt klar: Der Mensch hat einen freien Willen
II, 2. Durch seine heiligen Schriften aber hat er uns geoffenbart, daß der Mensch einen freien Willen besitze. Wie er seine Offenbarungen gab, daran erinnere ich euch nicht mit Menschen-, sondern mit Gotteswort. In erster Linie, weil die göttlichen Gebote an sich dem Menschen nichts nützten, wenn er keine freie Willensentscheidung hätte, um dadurch die Vorschriften zu erfüllen und so zu den verheißenen Belohnungen zu gelangen. Sie sind ja deshalb gegeben worden, daß der Mensch keine Entschuldigung für seine Unwissenheit habe, wie es der Herr von den Juden im Evangelium sagt: „Wäre ich nicht gekommen und hätte zu ihnen gesprochen, so hätten sie keine Sünde. Jetzt aber haben sie keine Ausrede für ihre Sünde” (Joh 15, 22). Von welcher Sünde spricht er da sonst, als von jener großen, die sie, wie er bei diesen seinen Worten voraus wusste, sich zuschulden kommen lassen würden, d.h. durch die sie ihn zu töten beschlossen hatten? Es war nämlich nicht so, daß sie keine Sünde gehabt hätten, ehe Christus im Fleische zu ihnen gekommen war. Ebenso sagt der Apostel: „Vom Himmel her wird Gottes Zorn offenbar über jede Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit von Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit niederhalten. Denn was man von Gott erkennen kann, das ist unter ihnen bekannt; hat es doch Gott ihnen bekannt gemacht. Denn was unsichtbar an ihm ist, seine ewige Macht und Göttlichkeit, wird seit Schöpfung der Welt an seinen Werken deutlich erschaut, so daß sie unentschuldbar sind« (Röm z, 18-2o). Wieso nennt er sie unentschuldbar, wenn nicht in betreff jener Ausrede, die den menschlichen Hochmut gewöhnlich sagen lässt: „Wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich es getan; deshalb habe ich es nicht getan, weil ich es nicht wusste” ? Oder: „Wenn ich es wüsste, täte ich es, deshalb tue ich es nicht, weil ich es nicht weiß.” Diese Entschuldigung wird ihnen jedoch genommen in dem Augenblick, wo ein Gebot erlassen, bzw. das Wissen, daß man nicht sündigen darf, geoffenbart wird.
Niemand kann Gott Schuld an seiner Sünde geben
3. Aber es gibt Leute, die sich sogar mit Gott zu entschuldigen versuchen. Diesen sagt jedoch der Apostel Jakobus: „Niemand, der versucht wird, sage, ich werde von Gott versucht, denn Gott kann vom Bösen nicht versucht werden, und er selbst versucht niemanden. Jeder, der versucht wird, wird von seiner Begierde angezogen und geködert. Wenn dann die Begierde empfangen hat, gebiert sie Sünde, die vollbrachte Sünde aber gebiert Tod” (Jak i, 13-15). Auf gleiche Weise antwortet jenen, die sich auf Gott selbst hinausreden wollen, das Buch der Sprüche Salomons : „Die eigene Torheit zerstört des Menschen Ziele und doch grollt sein Herz wider den Herrn” (19, 3). Und das Buch Ekklesiastikus spricht: „Sage nicht: ich bin durch Gott zum Abfall gekommen; denn was er hasst, sollst du nicht tun. Sage nicht: Er hat mich zu Fall gebracht; denn er hat den Sünder nicht vonnöten. Der Herr hasst jede Greueltat, und die ihn fürchten, lieben sie auch nicht. Er schuf im Anfang den Menschen und überließ ihn der eigenen Entscheidung. Wenn du willst, kannst du die Gebote halten; und Treue üben, hängt von deinem Wohlgefallen ab. Er hat dir vorgelegt Feuer und Wasser. Streck deine Hand aus, wonach du willst. Vor dem Menschen liegen Leben und Tod. Was er will, wird ihm gegeben” (15, 11-18). Seht, da finden wir die freie Entscheidung des menschlichen Willens sonnenklar ausgedrückt.
4. Wie verhält es sich mit jener Tatsache, daß Gott an so vielen Stellen befiehlt, alle seine Gebote zu halten und auszuführen; wie kann er Befehle geben, wenn es keinen freien Willen gibt? Ferner frage ich, zeigt jener Glückselige, von dem der Psalm sagt, er habe am Gesetz des Herrn seine Lust (Ps 1, 2), nicht hinreichend, daß der Mensch aus eigener freier Entschließung im Gesetz Gottes verharrt? Dann die so zahlreichen Gebote, die gewissermaßen den Willen namentlich ansprechen, wie z. B.: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen” (Röm 12, 21), und anderes derart, wie: „Sei doch nicht wie ein Ross, wie ein Maultier ohne Verstand” (Ps 31, 9), „Achte nicht gering deiner Mutter Weisung” (Spr 1, 8), „Halte dich nicht selber für weise” (Spr 3, 7), „Verlaß nicht die Zucht des Herrn” (Spr 3,11), "Vernachlässige nicht das Gesetz" (Spr 3,21), „Dem Dürftigen weigere keine Wohltat” (Spr 3, 27 nach der Sept.), „Ersinne nichts Böses wider deinen Nächsten” (Spr 3, 29), „Merke nicht auf die Arglist des Weibes” (Spr 5, 2), „Er will nicht weise werden, um gut zu handeln” (Ps 35, 4), „Nach der Zucht des Herrn haben sie nichts gefragt” (Spr 1, 29), und unzählige solcher Äußerungen in den alten Büchern des Gotteswortes, was sind sie anderes, als ein Beweis für die freie Willensentscheidung des Menschen? Tritt denn ferner in den neuen Evangelien und Apostelschriften etwas anderes zutage, wo es heißt: „Häuft euch keine Schätze an auf Erden” (Mt 6, 19), „Ihr sollt auch vor denen keine Furcht haben, die nur den Leib töten” (Mt to, 28), „Wenn einer mir nachfolgen will, so verleugne er sich selbst” (Mt 16, 24), „Auf Erden Friede den Menschen guten Willens” (Luk 2, 14) und was Paulus sagt: „Dann soll er tun, was er will. Er sündigt nicht; sie soll heiraten. Wer aber in seinem Herz fest dasteht, keine Not leidet, vielmehr die Herrschaft über seinen Willen besitzt und das in seinem Herzen beschlossen hat, seine Jungfrau zu bewahren, der handelt gut” (1 Kor 7, 36 f). Desgleichen:
„Denn wenn ich das freiwillig tue, dann habe ich Lohn” (1 Kor 9, 17). Und an anderer Stelle: „Werdet in rechter Weise nüchtern und sündigt nicht” (i Kor 15, 34). Und wiederum: „Damit der Bereitwilligkeit des Willens nun auch die Vollendung entspreche” (2 Kor 8, II). Und zu Timotheus sagt er: „Denn wenn sie Christus zuwider üppig werden, wollen sie heiraten” (i Tim 5, II) und andernorts: „Und alle, die fromm in Christus Jesus leben wollen, werden Verfolgung erdulden” (2 Tim 3, 12) und an ihn selbst: „Vernachlässige deine Gnadengaben nicht” (z Tim 4, 14); an Philemon: „Damit das Gute, das du tust, nicht gezwungen, sondern freiwillig geschehe” (Phile 14). Sogar die Sklaven selbst mahnt er, ihren Herren „zu dienen von Herzen mit gutem Willen” (vgl. Eph 6, 6 f). Ebenso Jakobus: „Irrt euch nicht, meine Brüder, und habt euren Glauben an unseren Herrn Jesus Christus nicht in Parteilichkeit” (2, 1) und: „Verlästert einander nicht” (4, II). Desgleichen Johannes in seinem Briefe: „Liebt nicht die Welt” (1 Joh 2, 15) und derartiges mehr. Ich sollte doch meinen, wo man sagt: „Wolle das oder jenes nicht” und wo in den göttlichen Geboten ein Tun oder Lassen als Leistung des Willens gefordert wird, da wird zur Genüge der freie Wille bewiesen. Niemand soll also Gott in seinem Herzen vorschützen, ein jeder lege es vielmehr sich selber zur Last, wenn er eine Sünde begeht. Andererseits soll er, wenn er ein Werk mit Gott verrichtet, dies nicht trennen vom eigenen Willen. Tut er es nämlich mit freiem Willen, so muss man es ein gutes Werk nennen, alsdann ist ein Lohn für das gute Werk zu erhoffen von jenem, der, wie es heißt, „einem jeden vergilt nach seinen Werken” (Mt 16, 27).
Unwissenheit von Gesetz und Gebot schützen nicht vor Strafe
III, 5. Jenen, die also die göttlichen Gebote kennen, wird die Ausrede genommen, welche die Menschen gewöhnlich von der Unwissenheit her haben. Aber auch die, welche Gottes Gebot nicht kennen, bleiben ihrerseits nicht ohne Strafe. „Wer immer ohne Gesetz sündigt, geht auch ohne Gesetz zugrunde, und wer im Besitze des Gesetzes sündigt, wird auch durch das Gesetz verurteilt werden” (Röm 2, 12). Dies hat aber der Apostel, wie mir dünkt, nicht so gemeint, als hätte er damit zu erkennen gegeben, jene die in ihren Sünden das Gesetz nicht kennen, würden etwas Schlimmeres erleiden, als jene die das Gesetz kennen. Dem Anschein nach ist nämlich das Zugrundegehen schlimmer als das Verurteilt werden. Aber während er dies von den Heiden und Juden sagte, weil jene ohne Gesetz leben, diese es aber empfangen haben, wer wollte da den Mut auf-bringen zu behaupten, die Juden, die trotz des Gesetzes sündigen, würden nicht zugrunde gehen, trotzdem sie nicht an Christus glaubten, da es nun einmal von ihnen heißt: „Sie werden durch das Gesetz verurteilt werden”? Ohne den Glauben an Christus kann nämlich niemand erlöst werden. Und demzufolge werden sie zum Verderben verurteilt werden. Denn wenn die Lage der Unwissenden schlechter ist als die jener, die das Gesetz Gottes kennen, wie kann dann das Wort des Herrn im Evangelium wahr sein: „Der Knecht, der den Willen seines Herrn nicht kennt und strafwürdig handelt, wird wenige Schläge erhalten, jener aber, der den Willen seines Herrn kennt und strafwürdig handelt, wird viele Schläge erhalten” (Luk 12, 48 und 47) ? Siehe das ist die Stelle, wo er zeigt, daß der Wissende schwerer sündigt als der Unwissende. Dennoch darf man seine Zuflucht nicht deshalb zur Nacht der Unwissenheit nehmen, daß jeder darin eine Entschuldigung suche. Unwissenheit und gewollte Unkenntnis ist nämlich zweierlei. Denn der Wille wird bei dem angeklagt, von dem es heißt: „Er wollte keine Einsicht zu gutem Wandel” (Ps 35, 4). Aber auch die Unwissenheit, die nicht jene besitzen, die nicht wissen wollen, sondern jene, die gleichsam einfach nicht wissen, entschuldigt niemanden in dem Maße, daß er nicht im ewigen Feuer brennen braucht, wenn er deswegen nicht geglaubt hat, weil er überhaupt nicht gehört hat, was er glauben sollte. Aber vielleicht [entschuldigt sie] so, daß ihn ein milderes Feuer verzehrt. Denn nicht ohne Grund ist gesagt: „Gieße deinen Zorn über die Heiden aus, die dich nicht kennen” (Ps 78, 6); und jenes Apostelwort: „Wenn er kommt in Feuerflammen, denen Strafe zu geben, die Gott nicht kennen” (2 Ths r, 8). Sondern damit wir auch das Wissen selbst haben, auf daß keiner sage: „Ich habe nicht gewußt, nicht gehört, nicht verstanden”, wird der menschliche Wille angesprochen mit den Worten: „Seid nicht wie Esel und Maultiere, die keine Vernunft haben” (Ps 31, 9), wenn auch der schlechter erscheint, von dem es heißt: „Mit Worten allein läßt sich ein Knecht nicht erziehen; denn versteht er sie auch, so folgt er doch nicht” (Spr 29, 19). Wenn aber der Mensch sagt: „Ich kann das Gebot nicht ausführen, da meine Leidenschaft mich übermannt”, kann er sich nunmehr nicht weiter auf seine Unwissenheit hinausreden und in seinem Herzen auch nicht Gott als Grund angeben, sondern er nimmt seinen Fehler an sich wahr und bedauert ihn. Trotzdem hält ihm der Apostel entgegen: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege durch das Gute das Böse” (Röm 12, 21). Und sagt man einem: „Lass dich nicht besiegen”, so spricht man ohne Zweifel unter allen Umständen seinen freien Willen an. Wollen und Nichtwollen setzt ja einen eigenen freien Willen voraus.
Die Zeugnisse der Schrift für die Willensfreiheit darf man nicht als Ablehnung der Gnadenhilfe Gottes auffassen
IV, 6. Man muss jedoch befürchten, es möchten alle vorliegenden göttlichen Zeugnisse und alle sonst noch vorhandenen, deren Zahl zweifellos übergroß ist, bei der Verteidigung des freien Willens so aufgefasst werden, daß kein Platz mehr übrig bleibt für die göttliche Gnadenhilfe zu einem frommen Leben und guten Wandel, dem ein ewiger Lohn gebührt. Und weiter, daß der elende Mensch wagt, wenn er gut lebt und gut handelt oder vielmehr sich einbildet, gut zu leben und zu wirken, sich in sich selbst und nicht im Herrn zu rühmen und die Hoffnung, recht zu leben, auf sich selbst zu setzen, so daß ihm der Fluch des Propheten Jeremias folgt: „Verflucht der Mann, der auf Menschen vertraut, das Fleisch seines Armes stärkt, dessen Herz sich abkehrt von Gott” (17, 5). Begreift, Brüder, dieses prophetische Zeugnis recht. Denn weil der Prophet nicht sagte: „Verflucht der Mann, der auf sich selbst vertraut”, könnte es einem vorkommen, es sei deswegen gesagt worden: „Verflucht der Mann, der auf einen Menschen vertraut”, daß niemand seine Hoffnung auf einen anderen Menschen, sondern auf sich setze. Um zu zeigen, er habe den Menschen so ermahnt, daß er auch nicht auf seine eigene Person baue, deshalb hat er nach den Worten: „Verflucht der Mann, der auf Menschen vertraut” gleich hinzugefügt: „Und stärkt das Fleisch seines Armes”. Arm setzte er für die Fähigkeit zum Wirken. Unter dem Wort „Fleisch” ist aber die menschliche Gebrechlichkeit zu fassen. Und demzufolge stärkt das Fleisch seines Armes, wer glaubt, sein gebrechliches und ohnmächtiges, d. h. menschliches Vermögen genüge ihm zum guten Handeln, und nicht auf die Gnadenhilfe vom Herrn hofft; deshalb fügte er bei: „dessen Herz sich ab-kehrt von Gott”. So geartet ist die Irrlehre der Pelagianer, die nicht alt, sondern erst vor kurzem aufgetaucht ist. Obgleich man gegen diese Häresie ziemlich lange disputiert hatte, ist es notgedrungen sogar zu den jüngsten Bischofskonzilien gekommen. Daher habe ich euch zwar nicht alles, aber doch einiges zum Lesen geschickt. Wir wollen also die Hoffnung auf ein gutes Wirken nicht auf Menschen setzen, indem wir das Fleisch unseres Armes stärken. Und unser Herz kehre sich nicht ab vom Herrn, sondern sage zu ihm: „Du bist ja mein Helfer: verstoße mich nicht und verachte mich nicht, mein hilfreicher Gott!” (Ps 26, 9).
Mt 19, 11 als göttliches Zeugnis für die Gnade
7. Wir haben demnach, meine Lieben, durch die obigen Zeugnisse der Hl. Schrift bewiesen, daß der Mensch freien Willen zu einem guten Leben und zum rechten Handeln besitzt. Ebenso wollen wir nun auch betreffs der Gnade, ohne die wir nichts Gutes tun können, sehen, welches die göttlichen Zeugnisse sind. Und in erster Linie will ich gerade über euren Stand etwas anführen. Denn diese Gesellschaft, in der ihr enthaltsam lebt, würde euch nicht vereinigen, wenn ihr nicht die Freude der Ehe verachtetet. Als der Herr von diesem Gedanken ausgehend sprach und seine Jünger zu ihm gesagt hatten: „Wenn es so um das Verhältnis von Mann und Weib bestellt ist, dann ist es nicht zuträglich, zu heiraten” (Mt 19, 10), antwortete er ihnen: „Nicht alle fassen dieses Wort, sondern nur die, denen es gegeben wurde” (19, II). Hat nicht der Apostel den freien Willen des Timotheus angefeuert mit den Worten: „Bewahre dich selbst lauter!” (i Tim 5, 22). Und in diesem Punkt zeigt er die Macht des Willens auf, wo er sagt: „Wer aber keine Not leidet, vielmehr die Herrschaft über seinen Willen besitzt (und das in seinem Herzen beschlossen hat), seine Jungfrau zu bewahren” (i Kor 7, 37). Und trotzdem fassen nicht alle dieses Wort, sondern nur jene, denen es gegeben ist. Denn jene, denen es nicht gegeben ist, die wollen entweder nicht, oder sie erfüllen nicht, was sie wollen; denen es aber gegeben ist, die wollen so, daß sie auch erfüllen, was sie wollen. Deshalb ist es einerseits Gnade Gottes, andererseits freier Wille, daß dieses nicht von allen gefasste Wort doch von einigen erfasst wird.
Augustinus, De gratia et libero arbitrio, in: Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, Würzburg 1954, S. 76ff. [Auszüge, zusammengestellt von Reinhard Neebe]

Tafel 8: Luther und Thomas Müntzer
Zu Beginn der Reformation treffen verschiedene Stimmungslagen zusammen: Die apokalyptische Erwartung, die die Zeit um 1500 geprägt hat, weicht einer allgemeinen Sehnsucht nach Reform sowohl der kirchlichen wie der weltlichen Obrigkeit. Die Verbreitung der Heiligen Schrift in deutscher Sprache ermöglicht weiten Teilen der Bevölkerung, deren Aussagen kennenzulernen und diese für die Durchsetzung ihrer Interessen nutzbar zu machen. Die Erkenntnis der Kluft zwischen biblischer Aussage und Lebenswirklichkeit führt zu tiefgreifender sozialer Unruhe. Schon früh fragmentiert sich der engere Kreis um Luther, aus verschiedenen Richtungen wird seine Rechtfertigungslehre in Frage gestellt. Andreas Karlstadt und Kaspar Schwenkfeld vertreten spiritualistische Tendenzen, die Idee der Spättaufe greift um sich, Thomas Müntzer belebt hussitische Gedanken der Gleichheit aller Gläubigen ohne Obrigkeit.
Höhepunkt dieser Spannungen ist 1525 der allgemeine Aufruhr gegen die Obrigkeit, der sogenannte Bauernkrieg. Die Forderungen bzw. Beschwerden der Bauern sind in „12 Artikeln“ der Bauern festgehalten (Abschaffung der Leibeigenschaft und der adeligen Privilegien , allgemeines Jagdrecht, gerechter Zehnt, freie Wahl des Pfarrers). Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann? lautet eines der bekanntesten Lieder. Die sozialen Forderungen der Bauern werden für die Reformatoren zur Trennlinie hinsichtlich obrigkeitlicher Loyalität.
Luther, um die Erfolge „seiner“ Reformation fürchtend, behauptet die Obrigkeit sei gottgewollt, weil von Gott eingesetzt. Thomas Müntzer wird zu Luthers entschiedenstem Gegenspieler, indem er der weltlichen Obrigkeit jegliche Legitimation aus der Bibel abspricht und konsequent die Führerschaft des Bauernheers übernimmt. Führer des überkonfessionellen Adelsheeres ist Georg Truchseß von Waldburg, auch Landgraf Philipp schickt Truppen. Die von der Reformation ausgelöste politisch-soziale Massenbewegung wird mit unerhörter Grausamkeit am 15. Mai bei Frankenhausen niedergeschlagen, Müntzer gevierteilt. Dieses Wüten der Sieger ist von Luther legitimiert: denn er hat mit seiner Schrift Wider die räuberischen Rotten der Bauern (1525) zum allgemeinen Mord und Totschlag gegen die gottlosen Aufrührer aufgerufen: Man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss
Die Abweichler aus dem Wittenberger Kreis um Luther, aber auch Tendenzen innerhalb der oberdeutschen Reformation befördern di frühe „Sekten“-Bildung im Protestantismus, seien es die verschiedenen Gruppen der Wiedertäufer, 1534/35 wird Beispielweise in Münster das Reich Zion errichtet, seien es die spiritualistischen-millenaristischen Bewegungen, die letztendlich den Grundstock der evangelikalen Kirchen bilden.
Thomas Müntzer (um 1489-1525). Kupferstich von Christoph von Sichem, 17. Jh.
Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt (ca. 1482-1541), 16. Jh.
Thomas Müntzer
In ähnlicher Weise wie Andreas Karlstadt hatte auch Thomas Müntzer (1468/70-1525) das mystische Erbe des späten Mittelalters bewahrt, dieses aber um Elemente eines Chiliasmus angereichert, der ihn seine Zeit als letzte Zeit vor dem Beginn einer Herrschaft Christi auf Erden sehen ließ. Die so gefärbte Predigt brachte ihn schon, als er ab Mai 1520 die Predigerstelle an der Marienkirche in Zwickau versah und wohl auch Kontakt mit den »Zwickauer Propheten« hatte, in Konflikt mit Altgläubigen, aber auch mit den Anhängern Luthers. Nach seiner Entlassung durch den Rat im April 1524 ging er nach Prag, wo er als Brief an die Böhmen und die gesamte Christenheit an Allerheiligen 1521 sein so genanntes Prager Manifest formulierte (Text a). Der hierin schon präsente Gedanke, dass Gott sich zur Durchsetzung seines Reiches der Auserwählten bediene, führte Müntzer, der ab April 1523 das Pfarramt in der kleinen sächsischen Exklave Allstedt versah, zur Suche nach sozial identifizierbaren Gruppen, die diesen Kampf führen konnten: Am 13. Juli 1524 versuchte er Herzog Johann und Kurprinz Johann Friedrich, als sie auf dem Schloss Allstedt weilten, in einer Predigt als Vorkämpfer für das Reich Christi zu gewinnen (Text b). So dürften es keine spezifischen sozialrevolutionären Vorstellungen gewesen sein, die ihn dazu führten, die 1524 beginnenden Bauemunruhen als Anzeichen der großen Geschichtswende zu sehen und entsprechend nun auf die Bekämpfer der Obrigkeit zu setzen (Text c). Nachdem ihn seine eigene Beteiligung an der Schlacht von Frankenhausen in Gefangenschaft gebracht hatte, wurde er am 27. Mai hingerichtet. Die Niederlage der Bauern begründete er damit, dass sie ihren eigenen Nutzen statt Gottes Ehre gesucht hätten.
Thomas Müntzer, Das Prager Manifest , 1. November 1521
Den unerträglichen und schlimmen Schaden der Christenheit habe ich mir tief betroffen zu Herzen genommen, nachdem ich mit ganzem Fleiß die Geschichte der alten Väter gelesen habe. Ich stelle fest, dass nach dem Tode der Apostelschüler die unbefleckte, jungfräuliche Kirche durch den geistlichen Ehebruch zur Hure geworden ist, und zwar wegen der Gelehrten, die immer oben sitzen wollen; das beschreibt Hegesipp1 und nach ihm Euseb2 im 22. Kapitel des 4. Buches3. Auch finde ich in keinem Konzil das wahrhaftige Zeugnis nach der lebendigen Ordnung des untrüglichen Gotteswortes. Es sind nichts als kindische Possen gewesen. Das ist alles durch den nachsichtigen Willen Gottes zugelassen worden, damit alles, was der Mensch vermag, hervorkommen konnte.
Es soll aber – Gott sei gepriesen – nicht noch länger so zugehen, dass die Pfaffen und Affen die christliche Kirche sind. Es sollen vielmehr die auserwählten Freunde des Gotteswortes auch prophezeien lernen, wie Paulus lehrt, damit sie wahrhaftig er-fahren, wie freundlich Gott – ach so herzlich gerne – mit all seinen Auserwählten redet.
Um solche Rede öffentlich bekannt zu machen, bin ich bereit, mein Leben um Gottes willen zu opfern. Gott wird wunderliche Dinge mit seinen Auserwählten tun, vor allem in diesem Lande. Denn die neue Kirche wird hier anfangen, und dieses Volk wird der ganzen Welt ein Spiegel [und Beispiel] sein. Darum rufe ich einen jeglichen Menschen auf, dass er dazu helfe, dass Gottes Wort verteidigt werden kann.
1 Hegesipp, antignostischer Schriftsteller, 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts.
2 Euseb von Caesarea (gest. 339).
3 Euseb, Kirchengeschichte IV,22,4 (PG 20,377-384).
Quelle: Thomas Müntzer, Schriften und Briefe, hg. von G. Franz, Gütersloh 1968 (QFRG 33), 493,31-494,20.
Textauszüge zitiert nach: Volker Leppin, Kirchen - und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 107-108
Thomas Müntzer, Die Allstedter »Fürstenpredigt«, Juli 1524
Man sieht jetzt schön, wie sich die Aale und Schlangen auf einem Haufen vermischen. Die Pfaffen und alle bösen Geistlichen sind Schlangen, wie sie Johannes, der Täufer Christi, Mt 3(,7) nennt; und die weltlichen Herren und Regenten sind Aale, wie Lev 11(9-12) (in Gestalt) von Fischen etc. vorgebildet ist. Es haben sich die Reiche des Teufels mit Ton beschmiert.
Ach, liebe Herren, wie schön wird der Herr eine eiserne Stange unter die alten Töpfe schmeißen, Ps 2(,9). Damm ihr allerteuersten, liebsten Regenten, erfahrt eure Erkenntnis auf rechte Weise aus dem Munde Gottes und lasst euch durch eure heuchlerischen Pfaffen nicht verführen und mit Erfindungen von Geduld und Güte auf-halten. Denn der Stein, der ohne Hände vom Berge gerissen wurde, ist groß geworden. Die armen Laien und Bauern sehen ihn viel deutlicher als ihr. Ja, Gott sei gelobt, er ist so groß geworden, dass, wenn euch andere Herren oder Nachbarn um des Evangeliums willen verfolgen wollten, sie von ihrem eigenen Volk vertrieben würden. Das weiß ich allerdings. Ja, der Stein ist groß; die unsinnige (blöde) Welt hat sich lange davor gefürchtet. Er ist auf sie gefallen, als er noch kleiner war.
Was wollen wir denn nun tun, nachdem er groß und mächtig geworden ist? Und nachdem er so mächtig unverzüglich auf die große Säule getroffen hat und sie bis zu den alten Töpfen zerschmettert hat? Darum, ihr teuren Regenten von Sachsen, tretet keck auf den Eckstein, wie der heilige Petrus tat, Mt 16(,18), und sucht die rechte Standhaftigkeit, die der göttliche Wille verleiht! Er wird euch wohl erhalten auf dem Stein, Ps 40(,3). Eure (Wege) werden richtig sein; suchet nur geradewegs Gottes Gerechtigkeit und geht die Sache des Evangeliums tapfer an! Denn Gott steht so nah bei euch, wie ihr's nicht glaubt. Warum wollt ihr euch dann vor dem entsetzen, was Menschen erdacht haben, Ps 118(,6)?
Seht hier den Text genau an. Der König Nebukadnezar wollte die klugen (Zeichendeuter) töten, weil sie ihm den Traum nicht auslegen konnten. Es war ihr verdienter Lohn. Denn sie wollten sein ganzes Reich mit ihrer Klugheit regieren und konnten nicht das, wozu sie eingesetzt waren. So sind auch unsere Geistlichen. Und ich sage euch gewiss, wenn ihr den Schaden der Christenheit so gut erkennen und so recht einsehen würdet, so würdet ihr in einen solchen Eifer geraten wie Jehu, der (israelitische) König, 2Kön 9 und 10, und wie das ganze Buch der Apokalypse anzeigt. Und ich weiß fürwahr, dass ihr euch nur schwer zurückhalten könntet, dem Schwert seine Gewalt vorzuenthalten. Denn der erbarmungswürdige Schaden der heiligen Christenheit ist so groß geworden, dass ihn zu dieser Zeit keine Zunge beschreiben kann. Darum muss ein neuer Daniel aufstehen und euch eure Offenbarung auslegen. Und der muss, wie Mose Dtn 20(1) lehrt, vorne an der Spitze gehen. Er muss den Zorn der Fürsten und des ergrimmten Volkes versöhnen.
Quelle: Thomas Müntzer, Schriften und Briefe, hg. von G. Franz, Gütersloh 1968 (QFRG 33), 256,10-257,21.
Textauszüge zitiert nach: Volker Leppin, Kirchen - und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 108-109
Bericht von Hans Zeiß über Müntzers Predigt in Allstedt, 28. Juli 1524
Hans Zeiß (gest. 1546/7) war von 1513-1525 Schosser (Rentmeister) in Allstedt
Gnädiger Fürst und Herr!
Ich habe neulich, als ich meine Rechnung vorlegte, darum gebeten, dass der Prediger Thomas Müntzer zu Allstedt verhört werde. Denn wenn das nicht geschieht, befürchte ich, das es zu einem Aufruhr und spürbarer Empörung kommen werde. Das haben mein gnädigster Herr, der Kurfürst, freundlich bedacht. Seinerzeit habe ich Magister Spalatin1 in meinen Bescheiden gebeten, dass er sorgfältig dabei bleiben und darum bitten solle, dass es geschehe; das hat er auch zugesagt zu tun. Ich habe das auch anlässlich der letzten Nachricht, die gestern kam, nochmals bei ihm angeregt, aber es verzögert sich, und die Sache reißt kräftig ein. Deshalb spreche ich hier zu Weimar bei Euer fürstlichen Gnaden vor und teile untertänigst mit, dass das fremde Volk, wie vielleicht Eure fürstliche Gnaden selbst kürzlich gehört haben, nach Allstedt läuft, und die umliegenden Nachbarorte verbieten es ihren Untertanen, dorthin zur Predigt zu gehen. Doch das Volk will nicht davon lassen, und sie werden zu Haufen in die Türme und Verließe geworfen, und wer entkommt, eilt dorthin. [...]
All das kommt hierher vor den Prediger. Der ist voller Zorn über solche Herrschaft, predigt und befiehlt unverhohlen, dass sich das Volk zu einem Bündnis zusammen schließen (zusamen verbinten) soll, um sich gegen derartige Gewalt und gegen die, die gegen das Evangelium toben, zu stellen und zu widersetzen. Das hat das Volk begonnen, rottet sich, wie oben berichtet, in Allstedt als Zuflucht zusammen und macht einen Bund mit allen Einwohnern von Allstedt. Er befiehlt auch den Frauen, Jungfrauen und wer auch immer sich wehren kann, sich mit Mistgabeln und der-gleichen der Herrschaft zu widersetzen und sich zu wehren; damit haben etliche tatendurstige Frauen und Jungfrauen zu Allstedt bei dem letzten Angriff, von dem ich Fürstliche Gnaden berichtet habe, bereits, seinerzeit noch ohne seinen Befehl an-gefangen. Und der Prediger hat am letzten Sonntag2 öffentlich ausgerufen und gepredigt, er wolle ein öffentlicher Feind aller Tyrannen sein, die sich dem Evangelium entgegen stellen, und man sehe offenkundig, dass sich etliche Herren dem Evangelium und dem christlichen Glauben entgegen stellten und diesen gerne austilgen wollten. Und er hat das Volk nochmals dringlich ermahnt, ein Bündnis zu bilden und wenn die Herrschaftsgewalt ihr Schwert ziehe, ihr Schwert auch zu bewegen und zu zeigen.[...]
Das einfache Volk (gemein volck) gewinnt aus den Worten des Predigers zutiefst das Vertrauen, dass die Leute in einer kleinen Gruppe, wie sie sagen, furchtlos sind, und sie geben vor, dass sie glauben, ihnen könne nichts widerfahren, sondern einer von ihnen solle zehntausend umbringen (vgl. Dtn 32,30). Auf diesem Fundament leisten sie Widerstand (Darauff trutzen sie). Der Prediger hat sie auch getröstet und am Sonntag öffentlich gesagt, dass ein gottesfürchtiger Mensch neulich in einer Vision (gesicht) gesehen habe, dass die Fürsten, Tyrannen und alle, die sich gegen das Evangelium wenden, ganz feige und voller Schrecken seien, und er hat gesehen, dass ihr Herz schwarz im Leibe sei vor lauter Feigheit. Darum sollen sie getrost sein, denn die Zeit der Veränderung stehe kurz vor der Tür, wovon Ez 34(2-16) und Dan 7(,17-27) die Rede ist. Und er sehe, dass kein Fürst oder Herr mitmache, sondern alle dagegen seien. Nur die beiden Fürsten von Sachsen3 lassen zu, dass man das Evangelium predige, mehr aber wollten sie nicht dazu tun; das finden Eure fürstliche Gnaden auch in Schriften. Darum bitte ich Eure fürstliche Gnaden, dass sie dennoch inniglich auf diese Angelegenheit sehen, ob sie von Gott sei, wie der Prediger auch ohne alle Scheu öffentlich ausruft, dass es Gott so in dieser Zeit bereitet; und der wird sich auch ungeachtet aller Gegenwehr, Vermögen und Hilfe nicht hindern lassen. Wenn dem so wäre, könnte und sollte man nicht gegen Gott streben (vgl. Apg 5,38f.). Wenn aber deutlich wird, dass es nicht Gottes Wille sei, möge Eure fürstliche Gnaden auch soviel dazu tun, wie sich gebührt, dass die Dinge allein nach göttlichem Willen geordnet werden.
1 Georg Spalatin (1484-1545), seit 1509 am Hofe des sächsischen Kurfürsten, ab 1516 in der Kanzlei beschäftigt, eine wichtige Vermittlungsgestalt zwischen Luther und dem Kurfürsten.
2 24. Juli 1524.
7 Kurfürst Friedrich der Weise und Herzog Johann, die sich die Regentschaft teilten und das sächsische Gebiet mutschiert (in Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt) hatten.
Quelle: Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. H. Junghans. Bd. 3: Quellen zu Thomas Müntzer, bearb. v. W. Held u. S. Hoyer, Leipzig 2004, 146,1-147,11; 148,1-15; 149,18-150,9.
Textauszüge zitiert nach: Volker Leppin, Kirchen - und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 109-110
Martin Luther an Bürgermeister, Rat und Gemeinde Mühlhausen, Weimar, 21. August 1524
Ehrsame, weise, liebe Herren! Es haben mich gute Freunde gebeten, nachdem es erschollen ist, wie einer, genannt Magister Thomas Müntzer, sich zu Euch in Eure Stadt zu begeben willens sei, Euch hierin treulich zu raten und zu warnen vor seiner Lehre (die er [als] aus Christi Geist hoch rühmt), Euch zu hüten. Das habe ich denn, wie mich christliche Treue und Pflicht vermahnet, Euch zugut nicht unterlassen wollen. Ich wäre auch gar willig und geneigt gewesen, weil ich hier draußen im Lande bin, Euch selbst persönlich zu ersuchen. Aber meine Beschäftigung mit dem (Bibel)Druck zu Wittenberg1 läßt mir nicht weiter Zeit noch Raum.
Ich bitte deshalb: wollet Euch vor diesem falschen Geist und Propheten, der in Schafskleidern dahergeht und inwendig ein reißender Wolf ist (Matth. 7, 15), gar fleißig vorsehen. Denn er hat nun an vielen Orten, besonders zu Zwickau und jetzt zu Allstädt, wohl bewiesen, was er für ein Baum ist, weil er keine andere Frucht trägt, als Mord und Aufruhr und Blutvergießen anzurichten, was er denn zu Allstädt öffentlich gepredigt, geschrieben und gesungen hat.2 Der heilige Geist treibt nicht viel Rühmens, sondern richtet große Dinge zuvor an, ehe er rühmt. Aber dieser Geist hat sich nun bald drei Jahre trefflich gerühmt und erhoben und hat doch bisher nicht ein Tätlein getan noch irgendeine Frucht bewiesen, außer daß er gerne morden wollte, wie Ihr darüber Zeugenaussagen sowohl von Zwickau wie von Allstädt haben könnt. Auch sendet er nur Landläufer, die Gott nicht gesandt hat (denn sie könnens nicht beweisen), noch die durch Menschen berufen sind, sondern sie kommen von sich selbst und gehen nicht zur Tür hinein; darum tun sie auch, wie Christus von denselben vorher sagt (Joh. 10, 8): »Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Mörder.« Über das hinaus vermag sie niemand (dazu zu bringen), daß sie ans Licht wollten und sich zur Verantwortung bereit fänden, außer bei ihresgleichen. Wer ihnen zuhört und folgt, der heißt der auserwählte Sohn Gottes; wer sie nicht hört, der muß gottlos sein, und sie wollen ihn töten. Ein wie toll Ding aber ihre Lehre ist, darüber wäre viel zu sagen; aber es wird bald an den Tag kommen.
Wollen Euch aber solche meine Reden nicht bewegen, so tut doch so und schiebt die Sache auf, bis Ihr es besser erfahrt, wes Geistes Kinder sie sind. Denn es ist angefangen, es wird nicht lange im Finstern bleiben. Treulich meine ichs mit Euch (das weiß Gott) und wollte Eurer Gefahr und Schaden gerne zuvorkommen, wo es Gott wollte; darüber, hoffe ich, sollt Ihr mir selbst gut Zeugnis geben. Denn ich kann mich ja in Christus rühmen, daß ich mit meiner Lehre und Rat niemand je einen Schaden getan noch gewollt habe, wie dieser Geist es vorhat, sondern ich bin jedermann tröstlich und behilflich gewesen, so daß Ihr diesen meinen Rat zu verachten wirklich billig nicht Ursache habt.
Wo Ihr aber solches verachtet, den Propheten annehmet und Euch Unglück daraus entspringt, bin ich unschuldig an Eurem Schaden, denn ich habe Euch christlich und freundlich gewarnt. Es nehme ihn ein ehrsamer Rat vor sich, auch vor der ganzen Gemeinde (kann es geschehen), und frage ihn, wer ihn hergesandt oder zu predigen gerufen habe? Der ehrsame Rat hat es ja nicht getan. Wenn er dann sagt, Gott und sein Geist habe ihn wie die Apostel gesandt, so laßt ihn das mit Zeichen und Wundern beweisen oder verwehret ihm das Predigen. Denn wo Gott die ordentliche Weise ändern will, so tut er stets Wunderzeichen dabei. Ich habe noch nie gepredigt noch predigen wollen, wo ich nicht durch Menschen gebeten und berufen worden bin. Denn ich kann mich nicht rühmen, daß mich Gott unmittelbar vom Himmel gesandt hat, wie sie tun, und laufen von selbst, obwohl sie doch niemand sendet noch ladet (wie Jer. 23, 21 schreibt); darum richten sie auch nichts Gutes an.
Gott gebe Euch seine Gnade, seinen göttlichen Willen treulich zu erkennen und zu vollbringen, Amen.
1 Wahrscheinlich Fortdruck der Übersetzung des Alten Testaments.
2 Durch Aufnahme bestimmter Sprüche in die Liturgie?
WA Br 3, 328. Nr. 768 = WA 15, 238-240. Deutsch, vollständig wiedergegeben bei Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 10, Stuttgart 1959, S. 144-145
Die zwölf Artikel der Bauern aus dem Jahr 1525 zeigen die Vermischung von religiösen und sozialen Forderungen.
Die zwölf Artikel der Bauern
[Die zwölf Bauernartikel beginnen wie eine Predigt mit dem Gruß: Dem christlichen Leser Frieden und Gnade Gottes durch Christum. Dann wendet sich die Einleitung gegen die Widerchristen und ihre Meinung, daß die Bauern auf Grund des neuen Evangeliums zu Aufruhr und Gewalttaten aufrufen. Die Bauern wollten keinen Aufruhr, sondern nur die Verwirklichung der Lehren des Evangeliums: Liebe / Fride / Geduldt / unnd Ainigkaiten. Wie Gott einst die Kinder Israel aus der Hand Pharaos befreit habe, so werde er auch die Bauern erhören und erretten.]
Die Grundtlichen und rechten haubt Artickell / aller Bawrschafft unnd Hyndersessenn der Geistlichen unnd Weltlichen Oberkeyten / von welchen sie sich beschwert vermeynen.
Artikel 1: | Jede Gemeinde soll das Recht haben, ihren Pfarrer selbst zu wählen und abzusetzen. Die Pfarrer sollen das Evangelium lauter und klar predigen, one allen menschlichen zusatz. |
Artikel 2: | Die Bauern sind bereit, den Kornzehnten weiter zu entrichten; er soll für den Lebensunterhalt des Pfarrers und für die Armen verwandt werden. Der kleine Zehnt soll beseitigt werden. |
Artikel 3: | Die Leibeigenschaft soll aufgehoben werden; die Bauern werden dann gern gegen unser erwelten und gesetzten oberkayt [...] gehorsam sein. |
Artikel 4: | Die Bauern verlangen die Freigabe von Jagd und Fischfang. |
Artikel 5: | Es soll wieder Gemeindewald bestimmt werden, aus dem sie Brenn- und Zimmerholz erhalten. |
Artikel 6: | Die Dienstleistungen sind auf ein erträgliches Maß, wie unser Eltern gedient haben, zurückzuführen. |
Artikel 7: | Zusätzliche Dienste sollen umb eynen zymlichen pfenning bezahlt werden. |
Artikel 8: | Die Entrichtung der Abgaben soll neu geregelt werden. |
Artikel 9: | Bestrafung soll nicht mehr willkürlich, nach gunst, sondern nach dem Gesetz erfolgen. |
Artikel 10: | Gemeindeland, das zu Unrecht in privaten Besitz genommen worden ist, soll zurückgegeben werden. |
Artikel 11: | Bei Todesfällen sollen keine Abgaben mehr bezahlt werden, und es soll nicht gestattet werden, daß man witwen, waisen also schentlich berauben sol. |
Artikel 12: | Die Bauern sind bereit, jeden ihrer Artikel fallen zu lassen, wenn ihnen nachgewiesen werden kann, daß er mit der Heiligen Schrift nicht in Einklang steht. Der frid Christi sey mit unns allen. |
Die gründlichen und rechten Hauptartikel aller Baurnschaft und Hintersassen der geistlichen und weltlichen Oberkeiten, von welchen sie sich beschwert vermeinen, Erfurter Druck 1525
Die "Zwölf Artikel der Bauernschaft" wurden von Sebastian Lotzer und Christoph Schappeler aus Memmingen verfasst und erschienen erstmals im März 1525 in Augsburg im Druck. Die Forderungen und Beschwerden und der Bauern waren mit Bibelstellen begründet und mit Motiven reformatorischer Lehre verknüpft. Die 12 Artikel verbreiteten sich schnell auch in Hessen und Thüringen und wurden zum Manifest der aufständischen Bauern.
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Thomas Müntzer an den Grafen Ernst von Mansfeld, Frankenhausen, 12. Mai 1525 (als offener Brief veröffentlicht)
Die starke Kraft, feste Furcht Gottes und der beständige Grund seines gerechten Willens sei mit dir, Bruder Ernst!
Ich, Thomas Müntzer, einst Pfarrer zu Allstedt, vermahne dich zum überflüssigen Anregen, dass du um des lebendigen Gottes Namen willen deines tyrannischen Wütens wolltest müßig sein und nicht länger den Grimm Gottes über dich erbittern. Du hast die Christen angefangen zu martern; du hast den heiligen Christenglauben eine Büberei gescholten; du hast dich unterstanden, die Christen zu vertilgen.
Sag an, du elender, dürftiger Madensack, wer hat dich zu einem Fürsten des Volks gemacht, welches Gott mit seinem teuren Blut erworben hat? Du mußt und sollst beweisen, ob du ein Christ bist; du sollst und mußt über deinen Glauben Rechenschaft ablegen, wie 1. Petr. 3 befohlen. Du sollst in wahrhaftiger Wahrheit gutes sicheres Geleit haben, deinen Glauben an den Tag zu bringen. Das hat dir eine ganze Gemeinde im Ring zugesagt, und sollst dich auch entschuldigen deiner offenbarlichen Tyrannei [wegen], auch ansagen, wer dich so durstig gemacht hat, dass du unter dem christlichen Namen allein Christen ein solcher heidnischer Bösewicht sein willst. Wirst du ausbleiben und [der] dir auferlegten Sache nicht entledigen, so will ichs ausschreien vor aller Welt, daß alle Brüder ihr Blut getrost wagen sollen wie einst gegen den Türken. Da sollst du verfolgt und ausgerottet werden; denn es wird ein jeder viel emsiger sein, an dir Ablass zu verdienen als vorzeiten der Papist. Wir wissen nichts anders [von] dir zu bekommen. Es will keine Scham in dich, Gott hat dich verstockt wie den König Pharao, auch wie die Könige, welche Gott vertilgen wollte, Jos. 5 und 11. Gott sei es immer geklagt, dass die Welt deine grobe, büffelwütende Tyrannei nicht eher erkannt hat. Wie hast du doch solchen merklichen, unerstattlichen Schaden getan, wie mag sich [jemand] anders denn Gott selber über dich erbarmen? Kurzum, du bist durch Gottes kräftige Gewalt der Verderbung überantwortet. Wirst du dich nicht demütigen vor den Kleinen, so wird dir eine ewige Schande vor der ganzen Christenheit auf den Hals fallen und wirst des Teufels Märtyrer werden.
Dass du auch wissest, dass wir gestrackten Befehl haben, sage ich: Der ewige lebendige Gott hats geheißen, dich von dem Stuhl mit [der] Gewalt, [die] uns gegeben, zu stoßen; denn du bist der Christenheit nicht nütze, du bist ein schädlicher Staubbesen der Freunde Gottes. Gott hat von dir und von deinesgleichen gesagt Hes. am 34. und am 39., Dan.7, Micha 3. Obadia, der Prophet sagt, dein Nest muss zerrissen und zerschmettert werden.
Wir wollen deine Antwort noch heute nacht haben oder dich im Namen Gottes der Scharen heimsuchen; da wisse dich nach zu richten. Wir werden [...] tun, was uns Gott befohlen hat; tu auch dein Bestes. Ich fahr daher.
Gegeben zu Frankenhausen, freitags nach Jubilate im Jahr des Herrn 1525.
Thomas Müntzer mit dem Schwert Gideons.
Thomas Müntzer. Schriften und Briefe, hg. v. G. Wehr, Frankfurt 1973, S. 182
Martin Luther, Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern, 1525
Wider die stürmenden Bauern Martinus Luther.
Im vorhergehenden Büchlein1 wagte ich die Bauern nicht zu verurteilen, weil sie sich zu Recht und besserer Unterrichtung erboten;2 wie denn Christus Matth. 7, 1 gebietet, man solle nicht verurteilen. Aber ehe denn ich mich umsehe, fahren sie (darüber hinaus) fort und greifen mit der Faust drein, unter Vergessen ihres Erbietens, rauben und toben und tun wie die rasenden Hunde. Daran sieht man nun gut, was sie in ihrem falschen Sinn gehabt haben, und daß es lauter erlogen Ding gewesen sei, was sie unter dem Namen des Evangeliums in den zwölf Artikeln vorgewandt haben. Sie treiben kurzum reines Teufelswerk, und insonderheit ists der Erzteufel (Thomas Müntzer), der zu Mühlhausen regiert und nichts als Raub, Mord, Blutvergießen anrichtet, wie denn Christus Joh. 8, 44 von ihm sagt, daß er ein Mörder von Anbeginn sei. Nun sich denn solche Bauern und armen Leute verführen lassen, und anders tun, als sie geredet haben, muß ich auch anders von ihnen schreiben, und ihnen als erstes ihre Sünde vor ihre Augen stellen, wie Gott Jesaja (Jes. 58, 1) und Ezechiel (Hes. 2, 7) befiehlt, ob sich etliche (als schuldig) erkennen wollten, und danach der weltlichen Obrigkeit Gewissen, wie sie sich hierin verhalten sollen, unterrichten.
Dreierlei greuliche Sünden gegen Gott und Menschen laden diese Bauern auf sich, womit sie den Tod an Leib und Seele mannigfaltig verdient haben: Zum ersten, daß sie ihrer Obrigkeit Treue und Gehorsam geschworen haben, ihr untertänig und gehorsam zu sein, wie Gott solches gebietet, da er Luk. 20, 25 sagt: »Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist«, und Röm. 13, 1: »Jedermann sei untertan der Obrigkeit« usw. Weil sie aber diesen Gehorsam mutwillig und frevelhaft brechen und sich dazu gegen ihre Herren empören, haben sie damit Leib und Seele verwirkt, wie die treulosen, meineidigen, lügenhaften, ungehorsamen Buben und Bösewichte zu tun pflegen. Deshalb fällt auch Paulus Röm. 13, 2 ein solches Urteil über sie: Welche der Gewalt widerstreben, die werden ein Urteil über sich empfangen. Dieser Spruch wird auch die Bauern schließlich treffen, es geschehe über kurz oder lang. Denn Gott will Treue und Pflicht gehalten haben.
Zum zweiten, daß sie Aufruhr anrichten, frevelhaft Klöster und Schlösser berauben und plündern, die nicht ihnen gehören, womit sie, wie die öffentlichen Straßenräuber und Mörder, allein wohl zwiefältig des Todes an Leib und Seele schuldig sind. Auch ist ein aufrührerischer Mensch, von dem man das bezeugen kann, schon in Gottes und kaiserlicher Acht, so daß recht und gut tut, wer den am ersten töten kann und mag. Denn über einen öffentlichen Aufrührer ist ein jeglicher Mensch beides, Oberrichter und Scharfrichter, gleich als wenn ein Feuer ausbricht: wer am ersten löschen kann, der ist der Beste. Denn Aufruhr ist nicht ein einfacher Mord; sondern wie ein großes Feuer, das ein Land anzündet und verwüstet, so bringt Aufruhr mit sich ein Land voll Mords, Blutvergießen und macht Witwen und Waisen und zerstört alles, wie das allergrößte Unglück. Drum soll hier erschlagen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann, und daran denken, daß nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflischeres sein kann als ein aufrührerischer Mensch; (es ist mit ihm) so wie man einen tollen Hund totschlagen muß: schlägst du (ihn) nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir.
Zum dritten, daß sie solche schreckliche, greuliche Sünde mit dem Evangelium bemänteln, daß sie sich christliche Brüder nennen, Eid und Huldigung abnehmen und die Menschen zwingen, es bei solchen Greueln mit ihnen zu halten. Damit werden sie die allergrößten Gotteslästerer und Schänder seines heiligen Namens, und ehren und dienen so unter dem Vorgeben des Evangeliums dem Teufel, womit sie wohl zehnmal den Tod an Leib und Seele verdienen, so daß ich von häßlicherer Sünde nie gehört habe und auch meine, daß der Teufel den Jüngsten Tag (nahe) fühle, daß er (sich) solch unerhörte Dinge vornimmt, als wollte er sagen: Es ist das letzte, drum soll es das ärgste sein und will den Bodensatz (der Hölle) aufrühren3 und (dem Faß) den Boden ganz ausstoßen. Gott wolle ihm wehren! Da siehe, welch ein mächtiger Fürst der Teufel ist, wie er die Welt in Händen hat und ineinander mengen kann, der so bald so viele tausend Bauern fangen, verführen, verblenden, verstocken und empören und mit ihnen machen kann, was sein allerwütigster Grimm sich vornimmt.
Es hilft auch den Bauern nicht, daß sie vorgeben, nach 1. Mose Kap. 1 und 2 seien alle Dinge frei und für alle geschaffen, und daß wir alle gleich getauft sind. Denn im Neuen Testament hält und gilt Mose nichts, sondern da steht unser Meister Christus und unterwirft uns mit Leib und Gut dem Kaiser und weltlichem Recht, da er Luk. 20, 25 sagt: »Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist.« Ebenso sagt auch Paulus Röm. 13, 1 zu allen getauften Christen: »Jedermann sei untertan der Obrigkeit« und Petrus 1. Petr. 2, 13: »Seid untertan aller menschlichen Ordnung.« Dieser Lehre Christi nachzuleben sind wir schuldig, wie der Vater vom Himmel gebietet und Matth. 17, 5 sagt: »Dies ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören.« Denn die Taufe macht nicht Leib und Gut frei, sondern die Seelen. Auch macht das Evangelium nicht die Güter allen gemeinsam, mit Ausnahme allein derer, welche solches freiwillig aus sich selbst heraus tun wollen, wie die Apostel und Jünger Apg. 4, 32 ff. taten, welche nicht forderten, daß die ihnen nicht gehörigen Güter des Pilatus und Herodes ihnen allen gemeinsam sein sollten, wie unsre unsinnigen Bauern toben, sondern ihre eignen Güter. Aber unsre Bauern wollen die andren, ihnen nicht gehörenden Güter für alle haben, ihre eigenen jedoch für sich behalten. Das sind mir feine Christen! Ich meine, daß kein Teufel mehr in der Hölle sei, sondern sie sind allzumal in die Bauern gefahren; das Wüten ist übergroß und über alle Maßen.
Weil denn nun die Bauern beide, Gott und Menschen, gegen sich aufbringen und so mannigfaltig schon des Tods an Leib und Seele schuldig sind und sich keinem Schiedsgericht stellen noch es abwarten, sondern immerfort toben, muß ich hier die weltliche Obrigkeit unterrichten, wie sie hierin mit gutem Gewissen verfahren solle. Erstens: der Obrigkeit, welche da, ohne vorhergehendes Erbieten zu Recht und Billigkeit (d.h. zu Vergleichsverhandlungen) solche Bauern schlagen und strafen kann und will, will ich nicht wehren, wenn sie (damit) auch das Evangelium nicht befolgt. Denn sie hat das gute Recht (dazu), sintemal die Bauern nun nicht mehr um das Evangelium fechten, sondern offenbar geworden sind als Treulose, Meineidige, Ungehorsame, Aufrührerische, Mörder, Räuber, Gotteslästerer, welche auch eine heidnische Obrigkeit zu strafen Recht und Macht hat, ja geradezu schuldig ist, solche Buben zu strafen. Denn deshalb trägt sie das Schwert und ist Gottes Dienerin gegenüber denen, die Übles tun, Röm. 13, 4.
Aber die Obrigkeit, welche christlich ist und das Evangelium befolgt, weshalb die Bauern auch keinen Schein (des Rechts) gegen sie haben, soll hier mit Fürchten handeln und zum ersten die Sache Gott anheimstellen und bekennen, daß wir solches gut verdient haben. Darüber hinaus soll sie Sorge tragen, daß Gott vielleicht den Teufel zu einer allgemeinen Strafe für das deutsche Land so errege. Danach soll sie demütig gegen den Teufel um Hilfe bitten. Denn wir fechten hier nicht alleine gegen Blut und Fleisch, sondern gegen die geistlichen Bösewichte in der Luft, welche mit Gebet angegriffen werden müssen (Eph. 6, 12; 2, 2). Wenn nun das Herz so gegen Gott gerichtet ist, daß man seinen göttlichen Willen walten läßt, ob er uns zu Fürsten und Herren haben wolle oder nicht wolle, soll man sich gegen die tollen Bauern zum Überfluß (wenn sie es auch nicht wert sind) zu Verhandlung und Vergleich erbieten. Danach, wo das (alles) nicht helfen will, (soll man) flugs zum Schwert greifen.
Denn ein Fürst und Herr muß hier bedenken, daß er Gottes Amtmann und Diener seines Zorns ist, Röm. 13, 4, dem das Schwert über solche Buben befohlen ist, und (daß er) sich vor Gott ebenso sehr versündigt, wenn er nicht straft und (dem Unrecht) wehrt und sein Amt nicht ausübt, als wenn einer mordet, dem das Schwert nicht befohlen ist. Denn wo er es kann und nicht straft, es sei durch Mord oder Blutvergießen, so ist er an allem Mord und Übel schuldig, das solche Buben begehen, weil er durch Vernachlässigung seines göttlichen Befehls mutwillig solche Buben ihre Bosheit üben läßt, obwohl er dem wehren kann und dessen schuldig ist. Deshalb ist hier nicht zu schlafen. Es gilt hier auch nicht Geduld oder Barmherzigkeit. Es ist hier des Schwerts und Zorns Zeit und nicht der Gnaden Zeit.
So soll nun die Obrigkeit hier getrost fortfahren und mit gutem Gewissen dreinschlagen, solange sie einen Arm4 regen kann. Denn hier ist der Vorteil, daß die Bauern böse Gewissen und unrechte Ursachen haben, und daß der Bauer, welcher darüber erschlagen wird, mit Leib und Seele verloren und ewig des Teufels ist. Aber die Obrigkeit hat ein gutes Gewissen und rechte Ursachen und kann zu Gott mit aller Sicherheit des Herzens so sagen: Siehe, mein Gott, du hast mich zum Fürsten oder Herrn gesetzt, daran ich nicht zweifeln kann, und hast mir das Schwert über die Übeltäter befohlen, Röm. 13, 4. Es ist dein Wort und kann nicht lügen; deshalb muß ich solches Amt bei Verlust deiner Gnade ausrichten. Ebenso ists auch offenbar, daß diese Bauern vor dir und vor der Welt vielfältig den Tod verdienen und daß mir befohlen ist, sie zu strafen. Willst du mich nun durch sie töten lassen und mir die obrigkeitliche Gewalt wieder nehmen und mich untergehen lassen, wohlan, so geschehe dein Wille. Dann sterbe ich doch und gehe in deinem göttlichen Befehl und Wort unter und werde im Gehorsam deines Befehls und meines Amts erfunden. Drum will ich strafen und schlagen, solange ich einen Arm regen kann, du wirsts gut richten und machen.
So kanns denn geschehen, daß, wer auf der Obrigkeit Seite erschlagen wird, ein rechter Märtyrer vor Gott sei, sofern er mit solchem Gewissen streitet, von dem geredet ist (denn er handelt in göttlichem Wort und Gehorsam); umgekehrt, daß ein ewiger Höllenbrand ist, was auf der Bauern Seite umkommt (denn er führt das Schwert gegen Gottes Wort und Gehorsam und ist ein Teufelsglied). Und obs gleich geschähe, daß die Bauern siegten (da Gott vor sei!) – denn Gott sind alle Dinge möglich, und wir wissen nicht, ob er vielleicht als Vorspiel des Jüngsten Tages, welcher nicht ferne sein will, durch den Teufel alle Ordnung und Obrigkeit zerstören und die Welt in einen wüsten Haufen werfen wolle: so sterben doch die in Frieden und gehen mit gutem Gewissen unter, die in ihrem Schwertamt gefunden werden und dem Teufel das weltliche Reich lassen und dafür das ewige Reich nehmen. Solche wunderlichen Zeiten sind jetzt, daß ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen verdienen kann, besser als andere mit Beten.
Am Ende ist noch eine Sache, welche die Obrigkeit billig bewegen soll. Denn die Bauern lassen sich nicht daran genügen, daß sie des Teufels sind, sondern sie zwingen und dringen viel rechtschaffene Menschen, die es ungerne tun, zu ihrem teuflischen Bunde und machen diese so aller ihrer Bosheit und Verdammnis teilhaftig. Denn wer ihnen (ihr Verlangen) bewilligt, der fährt auch mit ihnen zum Teufel und ist aller Übeltat schuldig, die sie begehen. Und (diese Menschen) müssens doch tun, weil sie so schwachen Glaubens sind, daß sie dem (Verlangen der Bauern) nicht widerstehen. Denn hundert Tode sollte ein frommer Christ erleiden, ehe er ein Haarbreit in der Bauern Sache einwilligte. Oh, viel Märtyrer könnten jetzt durch die blutdürstigen Bauern und Mordpropheten werden! Nun, solcher Gefangener unter den Bauern sollte sich die Obrigkeit erbarmen; und wenn sie sonst keine Ursache hätte, das Schwert getrost gegen die Bauern gehen zu lassen und selbst Leib und Gut daranzusetzen, so wäre doch diese übergroß genug, daß man solche Seelen, die durch die Bauern zu solchem teuflischen Bündnis gezwungen und ohne ihren Willen mit ihnen so greulich sündigen und verdammt werden müssen, errettete und ihnen helfe. Denn solche Seelen sind recht im Fegefeuer, ja in der Hölle und des Teufels Banden.
Darum, liebe Herren, erlöset hier, rettet hier, helft hier, erbarmt euch der armen Menschen: steche, schlage, töte hier, wer da kann. Bleibst du drüber tot, wohl dir, seligeren Tod kannst du nimmermehr finden. Denn du stirbst im Gehorsam göttlichen Wortes und Befehls, Röm. 13, 4 ff., und im Dienst der Liebe, deinen Nächsten aus der Hölle und des Teufels Banden zu erretten. So bitte ich nun, fliehe weg von den Bauern, wer da kann, wie vom Teufel selbst. Die aber nicht fliehen, bitte ich, Gott wolle sie erleuchten und bekehren. Welche aber nicht zu bekehren sind, da gebe Gott, daß sie kein Glück noch Gelingen haben können. Hier spreche ein jeglicher frommer Christ: Amen. Denn dies Gebet ist recht und gut und gefällt Gott gut, das weiß ich. Dünkt das jemand zu hart, der bedenke, daß Aufruhr unerträglich ist und alle Stunde der Welt Zerstörung zu erwarten sei.
[WA 18, 357–361] zit. nach Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 7, Stuttgart 1967, S. 191-197.
Anmerkungen
1 Der »Ermahnung«; eig.: »Im vorigen (= vorhergehenden!) buchlin«.
2 Vgl. S. 162, 11 ff.
3 Eig.: »grundsuppe rüren«.
4 U.ö. eig.: »eyne ader« = Muskel, Sehne usw.
Martin Luther, Wider die mordischen vnd Reubischen Rotten der Bawren, Wittenberg 1525
Der Chronist Wigand Lauze schildert in seiner Lebensbeschreibung des Landgrafen Philipp die Schlacht bei Frankenhausen aus dem Jahr 1525.
Die Schlacht fur Franckenhausen, dorinnen uber Funfftausent erleget worden.
Als nun dem Landgrafen zu Hessen von dieser Handlung der Bauern je länger je größer und beschwerlicher Botschaft und Bericht von dem Herzog zu Sachsen und anderen zukam, daß sie auch den Grafen von Schwarzburg ihre Stadt Franckenhausen mit Gewalt eingenommen hätten und da umher großen Mutwillen trieben, bedachte er, daß, wenn die Bauern dermaßen überhand nehmen und obsiegen sollten, ihnen später gar schwerlich Widerstand zu leisten sein würde. Er zog deshalb mit Eile nach dem Land Thüringen und kam also zuerst nach Eisenach, da fand er schon etliche sächsische Räte. [...] Ferner zog er nach Langensalza, das Herzog Georg gehörte, da ließ der Amtmann auch etliche hinrichten. Während solcher Reise stieß Herzog Heinrich von Braunschweig unaufgefordert zum Landgrafen mit 250 Reitern und sechshundert Landsknechten.
Da nun Müntzer der Fürsten Ankunft vernahm, lagerte er sich mit seinem Haufen außerhalb der Stadt Frankenhausen, auf einem Berg nahe bei derselben Stadt gelegen, der Hausberg genannt; sein Haufen war bis zu dreizehntausend Mann stark; sie hatten auch etlich grobe Geschütze bei sich. Als aber der Landgraf ins Feld kam, am Sonntag Cantate, so daß Müntzer und sein Anhang eigentlich seine Kriegsrüstung beschauen konnten, waren etliche, die rieten, man sollte am selben Tag noch die Bauern angreifen. Andere widerrieten und meinten, das Volk wäre von der weiten Reise [...] müde, [...] darumb sollte man sich nicht understehen zu schlagen, das Volk wäre denn zuvor mit Speise und Trank wieder erquickt und gestärkt. Diesen ward gefolgt. [...] Als das Müntzer sah, hielt er's für ein Zeichen von Furcht.[...]
Es schickte auch des Abends noch der Landgraf etliche Gesandte zu den Bauern und ließ ihnen sagen, wenn sie sich auf Gnad und Ungnad ergeben und die Hauptleute ausliefern wollten, wolle er sich für sie bei ihren Oberherren verwenden, daß ihnen Gnade widerfahren solle. [...] Worauf diese Antwort gegeben wurde: [...] Sie würden Jesum Christum als ihren Seligmacher bekennen, wenn die Fürsten und die ihren auch neben ihnen bekennen wollten, so hätten sie es gerne, wollten sie das aber nicht tun, so müßten sie es gewärtig sein, was ihnen darüber beiderseits widerführe. [...]
Auf den Montag nach Cantate brach man auf und zog wieder nach den Bauern. [...] Da ward abermals ein junger Edelmann an die Versammlung der Bauern abgefertigt, sie zu verwarnen, daß sie die Hauptleute übergäben, ihr Leben erretteten, damit nicht soviel Blut vergossen würde. Diesen Edelknaben sollen die Bauern entleibt haben, was den Adel sehr verdroß, so daß darnach bei ihnen kein Gnade mehr zu spüren wae. Als nun der Langraf seine Schlachtordnung zurichten ließ, das Geschütze auffuhr, ist etlichen unter den Bauern das Herz entfallen und haben sich hinten vom Berge, darauf sie lagen, hinweg gemacht; die übrigen, die standen, sind blieben. Darauf hat Müntzer sie getröstet, sie sollten nur ohne Sorge und Furcht sein, alle die Kugeln, so ihre Feinde gegen sie schießen würden, wolle er in einem Ärmel sammeln, in Summa, sie würden ihnen keinen Schaden tun, sondern einer von ihnen würde mit einem Filzhut zehn von ihnen umwerfen. Und weil des Morgens ein Regenbogen erschien und die Sonne mit eitlem Blut aufging, sprach Müntzer, das wären gewisse Gottes Zeichen, daß sie den Sieg behalten sollten, er ermahnte sie deswegen, nur getrost und herzhaft zu sein und sich fröhlich der Gegenwehr zu stellen. [...]
Johannes Cochläus, Antwort auf Luthers Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern”, Juli/August 1525
Johannes Cochläus (1479-1552), katholischer Theologe und erbitterter Gegener Luthers, Berater des päpstlichen Nuntius und auf dem Augsburger Reichstag 1530 an der Ausarbeitung der Confutatio Augustana gegen die Augsburger Konfession beteiligt.
Luther - Ursache allen Aufruhrs
Dass aber der gemeine Mann allenthalben in Oberdeutschland, ausgenommen Bayern und Österreich, also tobt und aufrührerisch ist, das kommt eigentlich aus deinem falschen und aufrührerischen Evangelium, denn ehe du geschrieben hast, sind die Bauern still gehorsam und gottesfürchtig gewesen. Aber deine höchst aufrührerischen Bücher bringen mit Hilfe deiner Gesellen, die in täglichen Predigten gegen Mönche und Pfaffen das gute, einfältige Volk gereizt haben, uns Deutsche in solche Schande, solchen Schaden, Jammer und ewiges Verderben. Ihr habt dem armen Volk so lange und so heftig vorgepredigt und fälschlich von Gottes Wort und christlicher Freiheit vorgeschrieben, bis dass ihr es gar tobend und unsinnig gemacht habt [...]
Falsche Freiheit Luthers
Falscher Sinn ist nicht so viel bei dem schlechten und einfältigen Volk wie bei euch meineidigen Ehemönchen und abtrünningen Pfaffen, so ihr das arme, ungelehrte Volk durch vielen Anschein der Schrift mit listigem und trügerischem Auslegen auf die falsche Freiheit der Taufe so weit gebracht habt, dass es vermeint, so wir alle Brüder in Christo seien durch die Taufe, dass alle Dinge unter uns sollen gleich sein [...]
Wie schädlich Luther ist
Nun hast du gewonnen, hast dem Teufel mehr als 100000 Bauern (o des Jammers und Elends!) mit Leib und Seele übergeben, hast Witwen und Waisen ohne Zahl gemacht, hast das arme Volk zuvor mit vielen unnützen und schädlichen Büchern um mehr Geld gebracht, als es alle Ablasskrämer, wie du sie nennst, in 20 oder 30 Jahren getan haben. Du hast diesen Aufruhr ins Land gebracht, durch den die Fürsten mitsamt ihren Untertanen in unermeßlichen Schaden geführt worden sind [...]
Luther ist viel schädlicher als Müntzer
Du hast tausendmal mehr Schaden und Verführung und Empörung im Volk getan und erregt als der Müntzer. Wieso? Also: Müntzer hat allein in Thüringen rumort, du hast alle Lande deutscher Nation voll Rumors gemacht. Müntzer hat nicht lange einen Namen im Volk gehabt, wie du nun schon länger als 7 Jahre alles Volk zweifelnd und nachdenklich gemacht hast... An Müntzers Schreiben allein hätte sich niemand gekehrt auch in Thüringen, wenn deine Bücher nicht wären vorhergelaufen, denn Müntzer redet und schreibt nicht anders als ein Narr und unsinniger Mensch, der mehr zu belachen als zu beachten gewesen wäre, wenn deine Bücher seinem Vorhaben nicht zuvor den Weg bereitet hätten [...]
Luthers Rat ist blutsüchtig
Dass du aber hier sprichst, man soll dreinschlagen, solange sich eine Ader rege, das hat dir wahrlich nicht Christus oder der Heilige Geist eingegeben, sondern Satan, der alte Mörder. Es sind dir auch gottlob die Fürsten darin nicht gefolgt, sondern haben das arme Volk lieber auf Gnade und Ungnade aufgenommen, sobald es sich ergeben hat, und daraus nur den kleinsten Teil enthaupten lassen. Aber deinem teuflischen Rat nach hätte man alles Volk im Streit ohne Reue und Beichte zum Teufel schicken müssen [...]
Luther sollte als erster des Todes gewesen sein
Es wäre erstlich viel besser, ehrlicher und göttlicher gewesen, man hätte dich, so du aller Haufen und Rotten die erste und größte Ursache bist, nach kaiserlichem Befehl als einen gebannten und verdammten Ketzer wie einen rasenden Hund totgeschlagen [...] Zum anderen, dass man Recht und Billigkeit den armen Leuten nicht abschlüge [...] Zum dritten, dass man unterschieden habe unter den einfältigen und rechtschuldigen Leuten, wie denn die Fürsten treulich getan haben, nicht nach deinem blutsüchtigen Rat, dass sie sollten in die Haufen schlagen, solange sich eine Ader im Leib rege, sondern sobald sich der Haufen ergeben hat, haben sie die Rechtschuldigen zum Schwert verurteilt, die anderen gefangen und gestraft einesteils an ihrem Leib, anderenteils an ihrem Gut. Das ist ehrlicher, leidlicher und göttlicher als der Rat deines Blutbüchleins.
Zitiert nach: Joachim Kettel u. Paul Wietzorek, Der Deutsche Bauernkrieg 1524-1526, Stuttgart 1983, S. 89-92
Albrecht Dürer, Gedächtnissäule für den Bauernkrieg, 1525
Werner Tübke, Bauernkriegspanorama, 1976-1987

Tafel 9: Luther, die Türken und die Juden
Die Befreiung des Evangeliums aus der Tyrannei des teuflischen Gefängnisses des Papsttums ist für Luther Grundlage und Voraussetzung der inneren Freiheit eines Christenmenschen. Die neu errungene protestantische Gewissens- und Glaubensfreiheit hat für den Reformator aber nur wenig mit dem zu tun, was wir heute unter den Begriffen Pluralität oder Toleranz verstehen. Im Gegenteil, mit Blick auf die "Anderen" ist Luther in seiner Glaubensgewissheit zu keinem Dialog bereit. Immer wieder beklagt er heftig, dass sich unter Berufung auf das Evangelium böse Sekten und Ketzereien wie die Anhänger Müntzers, Zwinglianer, Wiedertäufer und viele andere mehr hervorgetan haben, die, solange der Papst noch Gott und Herr war, nicht hätten zischen dürfen.
Luther führt seinen erbarmungslosen Kampf gegen alle vermeintlichen Christusgegner aus der Perspektive des von ihm in Kürze erwarteten Weltenendes: Sich selbst sieht er als letzten Propheten vor dem Jüngsten Gericht, dazu berufen, zur Umkehr und Buße zu mahnen. Wie in der Apokalypse geweissagt, werde die Christenheit vor ihrem Ende von zwei grausamen Tyrannen heimgesucht - für Luther die Reiche des Papstes und der Türken. Der Papst ist ihm der Antichrist schlechthin - und das Papsttum in Rom vom Teufel selbst gestiftet. In den Türken, die nach der Eroberung von Konstantinopel (1453) inzwischen weit nach Mitteleuropa vorgedrungen sind und bereits Wien bedrohen (1529), erkennt der Reformator die weltliche Zuchtrute Gottes, gegen die nur Gebet und Buße hilft. Wenn Kaiser Karl V. als rechtes Oberhaupt des weltlichen Regiments zum militärischen Abwehrkampf gegen die Türken aufruft, so ist ihm von allen Christen Gehorsam zu leisten. Dabei muss sich die Christenheit allerdings dessen gewiss sein, dass sie nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut kämpft, sondern wider ein groß Heer Teufel streitet, denn das Türken Heer ist eigentlich der Teufel Heer. Für die Reformation selbst ist die "Türkengefahr" letztlich vielleicht sogar ein Glücksfall: Der Abwehrkampf gegen die Türken zwingt Kaiser und Reich immer wieder zu Kompromissen mit den Protestanten und macht ihre konsequente Verfolgung unmöglich.
Während Luther in seiner Frühschrift Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei (1523) noch für eine freundliche Behandlung der Juden mit dem Ziel ihrer Bekehrung zum Christusglauben eintritt, sieht er in seinen späteren Schriften in den Juden nur noch ein von Gott verworfenes und verdammtes Volk, das nicht mehr zu bekehren ist und mit aller Schärfe bekämpft werden muss: Die Juden seien junge Teufel, zur Hölle verdammt und rechte Lügner und Bluthunde, vor denen die Christen sich hüten müssten. In seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen (1543) fordert Luther dazu auf, ihre Synagogen und Schulen zu verbrennen, ihre Häuser zu zerstören und ihre religiöse, rechtliche und wirtschaftliche Existenzgrundlage insgesamt zu vernichten. Den Fürsten gibt Luther den dringenden Rat, die Juden nicht mehr in ihrem Lande zu dulden und für immer zu vertreiben. Während der sächsische Kurfürst Johann Friedrich im unmittelbaren Anschluss an Luthers Judenschrift die Vertreibung aller Juden aus Kursachen binnen 14 Tagen verfügt, verfolgen andere protestantische Landesherren wie Philipp von Hessen eine maßvollere Judenpolitik als von Luther eingefordert. Und Kaiser Karl V. selbst erlässt - als Reaktion auf Luther - 1545 in Speyer ein umfassendes Privileg zum Schutz der Juden, das bedeutendste Judenprivileg in der Frühen Neuzeit überhaupt.
Ob Luther ein vormoderner "Antisemit" gewesen ist - oder nur ein vornehmlich religiös bestimmter "Antijudaist", ist bis heute strittig. Jedenfalls werden Luthers Judenschriften im "Dritten Reich" nur zu gerne als Rechtfertigung für die Novemberpogrome 1938 und die Judenverfolgung insgesamt benutzt.
Juden und Christen im theologischen Dialog. Konrad Dinckmut, Seelenwurzgarten, Ulm 1483
Dieser Brief wurde zusammen mit der Übersetzung von Luthers Schrift "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei" [1523] durch Justus Jonas herausgegeben und erschien deswegen zuerst auf Latein. Luther verfasste diesen Brief an Bernhard, "einen bekehrten Juden", damit dieser in seinem Glauben bekräftigt und bestätigt fühlen werde. Bernhard ist wahrscheinlich der 'fromme getaufte Jude', den Luther in seiner Schrift erwähnt. Mit diesem Brief werden einige von Luthers Motiven erkennbar, seine erste "Judenschrift" zu verfassen.
Brief Martin Luthers an Joseph von Rossum, in dem er es ablehnt sich beim Kurfürsten für Joseph und die "Jüdischheit" zu verwenden, Wittenberg, 11. Juni 1537
Dieser Brief Luthers gilt als erster deutlicher Beleg für die grundsätzliche Wendung des Reformators gegen die Judenschaft im Reich und die Aufkündigung jeglicher Koexistenz von Christen und Juden. Der Anlass für dieses Schreiben war das Empfehlungsschreiben Wolfgang Capitos (und Martin Bucers) an Luther. Diese erfüllten Josel von Rosheims Bitte, ihm dabei zu helfen, die Entscheidung des sächsischen Kurfürsten, die Juden des Landes zu verweisen, rückgängig zu machen.
Innsbrucker Judenprivileg Kaiser Karl V. Der Kaiser bestätigt den Juden im Reich auf ihr Bitten ihre Rechte und Privilegien, Innsbruck, 18. Mai 1530
Graf Balthasar von Hanau am 6. August 1530 durch kaiserlichen Boten überbrachter und mit dem Original kollationierter Druck
Nachweis: Uta Löwenstein, Quellen zur Geschichte der Juden im Hessichen Staatsarchiv Marburg 1267-1600, Wiesbaden 1989, S. 261
Transkript:
Wir Karl der Fünnft von gots gnaden Römischer Keyser zu allen zeyten Merer des Reichs / In Germanien / zu Hispanien / beider Sicilien / Jerusalem / Hungarn / Dalmacien / Croacien / u. Künig / Erzherzog zu Osterreich / Herzog zu Burgundi u. Grave zu Habspurg / Flandern / und Tyrol u. Empieten allen und yeglichen Churfürsten / Fürsten / geystlichen und Weltlichen / Prelaten / Graven / Freyen und Herren / Rittern / Knechten / Landtvogten / Hauptleüthen / Bitzthumben / Vögten / Pflegern / Verwesern / Amptleüthen / Schultheyssen / Burgermeystern / Richtern / Rethen / Burgern / und gemeynden / Und sonst allen andern unßern und des Reichs auch unser erblichen Fürstenthumb und Landen underthanen und getrewen / unnd sonderlich unserm gegenwürdigen und einem yeden künfftigen Landtvogt in under Elsaß so mit diesem unserm brieff oder glaublichen abschrifften davon ersucht und ermant werden / unser gnad und alles guts / Hoch und Erwirdigen / Hochgebornen / lieben freünde / Neuen / Ohemen / Churfürsten / Fürsten / Wolgebornen / Ersamen / Edlen / Andechtigen / und lieben getrewen. Unnd haben gemeyn Jüdischeit allenthalben im heiligen Reiche und unsern Erblichen Fürstenthumben und Landen wonhafft und gesessen / undertheniglich zuerkennen geben / wiewol sie vonn unssern vorfarn Römischen Keysern und Künigen / löblicher gedechtnuß mit vil gnaden und previlegien / begabt / gefreyt und fürsehen sey /
So werden sie doch uber und wider solch freyheiten in vil weg beschwert und beleydigt / und dermassen getrungen das denselben freyheiten zu appruch und nachteyl / und ir berurten jüdischeit zu mercklichen schaden gereyhe und reyche /
Und uns darauff demütiglich gebetten / Sie als gekrönter Römischer Keyser / dem sie on mittel underwürffig und zugehörig sein / bey obberurten iren gegeben freyheiten und previlegien zuhandt haben und dawider nit beschweren zulassen /
Dieweyl uns dann gepürt gentzlichen gemeynt ist / die berurt Jüdischeit un sunst eynen jeden bey seinen freyheiten / gnaden und Recht zuhandthaben / zu schützen unnd zu schirmen / haben wir der gemelten jüdischeit all ir freyheiten / gnad / brieff / previlegien und gut gewonheiten / damit sie von weylandt unsern vorfarn am Reich / Römischen Keysern und Künigen / begabt und der in geprauch seind gnediglich Confirmirt und bestet / inhalt diß brieffs darumben autzgangen.
Und gepieten darauff euch allen und yden in sondern / von Römischer Keyserlicher macht / ernstlich und wollen / das ir die gemelten jüdischeit gemeiniglich und sonderlich bey solchen iren freyheiten / gnaden / previlegien / und allen hergeprachten gewonheiten wie obstet / und unser Confirmation auch ordentlichen Rechten umb eins von yeden sprüch und forderung gerüeblich beleyben geprauchen und geniessen lasset / und sie darwider nit dringet / beleydiget noch beschweret / noch des yemants andern zuthun gestattet / sonder dabey von unsern und des heiligen Reichs wegen vestiglich handhabet / schützet und schirmet / damit wir zuhandhabung unser vorfarn freyheiten und unser Confirmation nit geursacht werden / gegen euch mit den penen in denselbenm freyheiten und Confirmation begriffen zu handeln und fürzunemen / Das ist unser ernstlich meynung.
Geben zu Inßbrugk am Achtzehenden tag des Monats Maij.
Nach Christi unsers lieben herren geburt im Fünfftzehenhundert und dreyssigsten / Unsers Keyserthumbs im Zehenden / und unser Reich im Fünfftzehenden Jaren.
CAROLI
Admandatum Cesaree (?)
Catholice Maiestat et (?) propriu
Alexanders Schweiß, subscribsit
Transkribiert von Christian Siekmann
Doctor Martinus Luther zur Judensau an der Wittenberger Pfarrkirche
Wohlan, ich weiß nicht sonderlich, woher sie es haben, aber nahe hinzu will ich wohl raten. Es ist hier zu Wittenberg an unserer Pfarrkirche eine Sau in Stein gehauen, darunter liegen junge Ferkel und Juden, die saugen, hinter der Sau stehet ein Rabbiner, der hebt der Sau das rechte Bein empor, und mit seiner linken Hand zeucht er den Pirtzel über sich, bückt und kuckt mil großem Fleiß der Sau unter dem Pirtzel in den Talmud hinein, als wollt' er etwas Scharfes und Sonderliches lesen und ersehen. Daselbsther haben sie gewißlich ihr Schem Hamphoras. Denn es sind vorzeiten sehr viel Juden in diesen Landen gewesen, das beweisen die Namen der Flecken, Dorfer, auch Bürger und Bauern, die hebraisch sind noch heutiges Tages, daß etwa ein gelehrter ehrlicher Mann solch Bild hat angeben und abreißen lassen, der den unflätigen Lügen der Juden feind gewesen ist. Denn also redet man bei den Deutschen von einem, der große Klugheit ohne Grund vorgibt: Wo hat er's gelesen? Der Sau im (grob heraus) Hintern.
Aus: Martin Luther, Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi, 1543. Transkript nach: Martin Luther, Schriften wider Juden und Türken, München 1936, S. 250
Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi.
Doctor Martinus Luther.
Im nächsten Büchlein hab' ich verheißen, ich wollt' hiernach lassen laufen, was die rasenden, elenden Juden von ihrem Schem Hamphoras lügen und lästern, wie davon schreibt Purchetus in seinem Buch, Victoria genannt. Das will ich hiermit also getan haben, unserm Glauben zu Ehren und den Teufelslügen der Juden zuwider, daß auch die, so Juden werden wollen, sehen können, was sie für schöne Artikel bei den verdammten Juden glauben und halten müssen. Denn wie ich in jenem Büchlein bedingt, ist meine Meinung nicht, wider die Juden zu schreiben, als hoffte ich sie zu bekehren, Hab' darum dasselbe Buch nicht wollen nennen: Wider die Juden, sondern: Von den Juden und ihren Lügen1, daß wir Deutschen auch historienweise wissen könnten, was ein Jude sei, unsere Christen vor ihnen, als vor den Teufeln selbst, zu warnen, unsern Glauben zu stärken und zu ehren, nicht die Juden zu bekehren, welches ebenso möglich ist, wie den Teufel zu bekehren.
Denn gleichwie wir müssen lehren und schreiben vom Teufel, Hölle, Tod und Sünde, was sie sind und tun, nicht, daß wir aus dem Teufel einen Engel, aus der Hölle einen Himmel, aus dem Tod ein Heben, aus der Sünde Heiligkeit wollten machen, welches unmöglich ist, sondern daß wir uns davor hüten, also schreibe ich auch von den Juden. Denn ein Jude oder jüdisch Herz ist so stock-, stein-, eisen-, teufelshart, daß es mit keiner Weise zu bewegen ist. wenn Mose käme mit allen Propheten und täten alle Wunderwerke vor ihren Augen, daß sie sollten ihren harten Sinn lassen, wie Christus und die Apostel vor ihnen getan haben, so wäre es doch umsonst.
Wenn sie auch so greulich gestraft würden, daß die Gassen voll Bluts rönnen, daß man ihre Toten nicht mit hunderttausend, sondern mit zehnhunderttausend rechnen und zählen müßte, wie zu Jerusalem unter Vespasianus und zu Bittor unter Adrianus geschehen ist. Dennoch müssen sie recht haben, wenn sie auch über diese 15 hundert Jahre noch 15 hundert Jahre sollten im Elende sein, dennoch muß Gott ein Lügner, sie aber wahrhaftig sein.
Summa, es sind junge Teufel, zur Hölle verdammt, ist aber noch etwa was Menschliches in ihnen, dem mag solch Schreiben zu nutz und gut kommen; vom ganzen Haufen mag hoffen, wer da will, ich habe da keine Hoffnung, weiß auch davon keine Schrift, können wir doch unsere Christen, den großen Haufen, nicht bekehren, müssen uns am kleinen Häuflein ge-nügen lassen. Wieviel weniger ist's möglich, diese Teufelskinder alle zu bekehren. Denn daß etliche aus der Epistel an die Römer am 11. Kap. [Röm. 11 V. 15] solchen Wahn schöpfen, als sollten alle Juden bekehret werden am Ende der Welt, ist nichts, Sankt Paulus meint gar viel ein anderes.
Transkript nach: Martin Luther, Schriften wider Juden und Türken, München 1936, S. 229-230
1 Martin Luther, Von den Juden und ihren Lügen, 1543, siehe > Dokument
Martin Luther, Von den Juden und ihren Lügen, 1543
Martin Luther, Von den Juden und ihren Lügen, 1543
[Druck: Jenaer Ausgabe, 1562, Bd. VIII, Bl. 49-50, Bl. 92-101. Transkript (Auszüge) nach Martin Luther, Schriften wider Juden und Türken, München 1936, S. 61ff, S. 185ff.]
Vorrede:
Ich hatte mir wohl vorgenommen, nichts mehr, weder von den Juden noch wider die Juden zu schreiben. Aber weil ich erfahren, daß die elenden, heillosen Leute nicht aufhören, auch uns, das ist die Christen, an sich zu locken, hab' ich dies Büchlein lassen ausgehen, damit ich unter denen erfunden werde, die solchem giftigen Vornehmen der Juden Widerstand getan und die Christen gewarnet haben, sich vor den Juden zu hüten. Ich hätte nicht gemeint, daß ein Christ sollte von den Juden sich lassen narren, in ihr Elend und Jammer zu treten. Aber der Teufel ist der Welt Gott, und wo Gottes Wort nicht ist, hat er gut machen, nicht allein bei den Schwachen, sondern auch bei den Starken. Gott helfe uns, Amen.
Gnade und Friede im Herrn. Lieber Herr und guter Freund, ich habe eine Schrift empfangen, darinnen ein Jude mit einem Christen ein Gespräch hat, der sich unterstehet, die Sprüche der Schrift (so wir anführen für unsern Glauben, von unserm Herrn Christo und Maria, seiner Mutter) zu verkehren und weit anders zu deuten, damit er meinet, unsere Glaubens Grund umzustoßen.
Darauf gebe ich euch und ihm diese Antwort. Es ist mein Vorhaben nicht, daß ich wolle mit den Juden zanken oder von ihnen lernen, wie sie die Schrift deuten oder verstehen, ich weiß das alles vorher wohl. Viel weniger gehe ich da mit um, daß ich die Juden bekehren wolle, denn das ist unmöglich. Und die zween trefflichen Männer, Lyra und Burgensis, haben uns vor hundert und vor zweihundert Jahren neben andern mehr der Juden unflätiges Deuten treulich beschrieben und fürwahr stattlich widerlegt. Dennoch hilft's bei den Juden garnichts und sind immer für und für ärger geworden.
Auch weil sie so hart und schlägefaul geworden sind, daß sie nicht witzig werden wollen aus der schrecklichen Plage, daß sie nun über vierzehnhundert Jahre im Elende sind und noch kein Ende oder bestimmte Zeit durch so heftig ewiges Rufen und Schreien zu Gott (wie sie meinen) erlangen können. Helfen (sage ich) die Schläge nicht, so ist gut zu rechnen, daß unser Reden und Deuten viel weniger helfen wird.
Darum sei ein Christ nur zufrieden und zanke mit den Juden nicht, sondern mußt du oder willst du mit ihnen reden, so sprich nicht mehr als also: Hörest du, Jude, weißt du auch, daß Jerusalem und eure Herrschaft samt dem Tempel und Priestertum zerstöret ist, nun über 1460 Jahre? Denn dies Jahr, da wir Christen schreiben von der Geburt Christi 1552, sind's gerade 1468 Jahre und geht also ins 1500. Jahr, daß Vespasianus und Titus Jerusalem zerstöret haben und die Juden draus vertrieben. Mit diesem Nüßlein laß sich die Juden beißen und disputieren, solange sie wollen.
Denn solch grausamer Zorn Gottes zeigt mehr als genug an, daß sie gewißlich müssen irren und unrecht fahren; solches kann ein Rind wohl begreifen. Denn so greulich muß man nicht von Gott halten, daß er sollte sein eigen Volk so lange, so greulich, so unbarmherzig strafen und dazu stillschweigen, weder mit Worten noch Werken trösten, keine Zeit noch Ende bestimmen, wer wollte an solchen Gott glauben, hoffen oder ihn lieben? Darum beweist dies zornig Werk, daß die Juden, gewißlich von Gott verworfen, nicht mehr sein Volk sind, er auch nicht mehr ihr Gott sei. Und es gehet nach dem Spruch Hosea 1 [V. 9] „Lo Ammi. Ihr seid nicht mein Volk, so bin ich nicht euer Gott." Ja es gehet ihnen leider also, und allzu sehr und schrecklich. Sie mögen deuten, wie sie wollen, so sehen wir das Werk vor Augen, das trügt uns nicht.
Und wo ein Funke Vernunft oder Verstandes in ihnen wäre, müßten sie wahrlich bei sich also denken: Ach, HErr Gott, es stehet und gehet nicht recht mit uns, das Elend ist zu groß, zu lange, zu hart, Gott hat unser vergessen usw. Ich bin zwar kein Jude, aber ich denke mit Ernst nicht gern an solchen grausamen Zorn Gottes über dies Volk, denn ich erschrecke davor, daß mir's durch Leib und Leben gehet, was will's werden mit dem ewigen Zorn in der Hölle über falsche Christen und alle Ungläubigen? Wohlan, die Juden mögen unsern HErrn Jesum halten, wofür sie wollen, wir sehen, daß es also gehet, wie er sagt Luk. 21 [V. 20. 22 f.]: „Wenn ihr sehen werdet Jerusalem belagert mit einem Heer, so merket, daß herbeigekommen ist ihre Verwüstung, denn das sind die Tage der Rache. Und wird große Not im Lande sein und Zorn über dies Volk."
Summa, wie gesagt, disputiere nicht viel mit Juden von den Artikeln unsers Glaubens, sie sind von Jugend auf also erzogen mit Gift und Groll wider unsern Herrn, daß da keine Hoffnung ist, bis sie dahin kommen, daß sie durch ihr Elend zuletzt mürb und gezwungen werden zu bekennen, daß der Messias sei gekommen, und sei unser Jesus. Sonst ist's viel zu früh, ja gar umsonst, mit ihnen zu disputieren, wie Gott dreifaltig, Gott Mensch sei, Maria Gottes Mutter sei. Denn solches keine Vernunft noch menschlich Herz zuläßt, wie viel weniger solch ein verbittert, giftig, blind Herz der Juden. Was Gott selbst nicht bessert mit solchen grausamen Schlägen, das werden wir mit Worten und Werken ungebessert lassen (wie gesagt). Moses konnte den Pharao weder mit Plagen, noch mit Wundern, noch mit Bitten, noch mit Dräuen bessern, er mußte ihn lassen ersaufen im Meer.
So wollen wir nun, unsern Glauben zu starkem, der Juden etliche grobe Torheiten in ihrem Glauben und Auslegung der Schrift behandeln, weil sie so giftig unsern Glauben lästern. kommt's irgendeinem Juden zur Besserung, daß er sich schäme, ist's desto besser. Wir reden jetzt nicht mit den Juden, sondern von den Juden und von ihrem Tun, das unsere Deutschen auch wissen mögen. […]
Hauptteil: [Auszüge Bl. 91-102]
[…]
Wiewohl nun solche teuflische Lüge und Lästerung, der Person Christi und seiner lieben Mutter getan, auch unser und aller Christen Person getan ist, denn sie meinen auch unsere Person damit, weil Christus und Maria tot sind, wir Christen aber so gar schändliche Leute sind, daß wir solche schändliche tote Personen ehren, so geben sie uns doch darüber auch unser besonder Teil. Erstlich klagen sie vor Gott über uns, daß wir sie im Elende gefangen halten und bitten heftig, daß Gott wollte sein heiliges Volk und lieben Kinder von unserer Gewalt und Gefangenschaft erlösen, heißen uns Edom und Haman, damit sie uns vor Gott wollen sehr wehe getan haben, welches sie sehr bitter meinen, und hier zu lang zu erzählen, denn sie selbst wohl wissen, daß sie hierin lügen, und ich mich nicht schämen wollte (wenn's wahr sein könnte), Edom zum Großvater zu haben, welcher ist der heiligsten Frau Rebekka natürlicher Sohn und der lieben Sara Enkel gewesen, Abraham sein Großvater, Isaak sein rechter Vater. Und Mose selbst gebeut, Deutero. 23 [5. Mos. 23 V. 8]: „Sie sollen Edom für ihren Bruder halten", ja sie halten Mosen, wie sie Juden sind.
Darnach lehren sie Gott und schreiben ihm vor die Weise, wie er sie solle erlösen, denn er ist bei den Juden, den hochgelehrten Heiligen, ein schlechter Schuster, der nicht mehr als einen linken Leisten hat, Schuh zu machen. Nämlich also: er solle uns Heiden durch ihren Messias alle totschlagen und vertilgen, damit sie aller Welt Hand, Güter und Herrschaft kriegten. Und hier gehen die Wetter über uns mit Fluchen, Lästern, Speien, daß es nicht zu sagen ist, wünschen uns, daß Schwert und Kriege, Angst und alles Unglück über uns verfluchte Gojim komme. Solch Fluchen treiben sie alle Sonnabend öffentlich in ihren Schulen und täglich in ihren Häusern, lehren, treiben und gewöhnen ihre Kinder dazu von Jugend auf, daß sie ja sollen bitter, giftig und böse Feinde der Christen bleiben.
Hieraus siehest du nun wohl, wie sie das fünfte Gebot Gottes verstehen und halten, nämlich, daß sie durstige Bluthunde und Mörder sind der ganzen Christenheit mit vollem willen, nun mehr als 1500 Jahre her, und wären's wohl lieber mit der Tat, wie sie denn oftmals drüber verbrannt sind, daß sie beschuldigt gewesen, als hätten sie Wasser und Brunnen vergiftet, Kinder gestohlen, zerpfriemet und zerhechelt, damit sie an der Christen Blut ihr Mütlein heimlich kühleten. Dennoch will Gott solche ihre heilige Buße, so großer Heiligen und liebsten Kinder, nicht hören, und läßt der ungerechte Gott solche heilige Leute umsonst so herzlich fluchen (ich wollte sagen, beten) wider unsern Messias und alle Christen, will weder sie noch ihr frommes Wesen, das mit des Messias und seiner Christen Blut dick, dick, grob, grob überzogen ist, nicht sehen noch wissen. Denn sie sind viel heiliger als die gefangenen Juden zu Babylon, welche nicht fluchten noch der Kinder Blut heimlich vergossen noch die Wasser vergifteten, sondern, wie sie Jeremia lehret [29 V. 11], mußten sie beten für die Babylonier, bei denen sie gefangen waren. Ursache: daß sie nicht so heilig waren, wie diese Juden sind, hatten auch nicht so kluge Rabbinen, wie diese Juden jetzt haben, denn Jeremia, Daniel, Ezechiel waren große Narren, die solches lehreten, und sollten wohl bei diesen Juden mit Zähnen zerrissen werden.
Nun siehe, welch eine feine, dicke, fette Lüge das ist, da sie klagen, sie seien bei uns gefangen. Es sind über 1400 Jahre, daß Jerusalem zerstöret ist, und wir Christen zu der Zeit schier 300 Jahre lang von den Juden gemartert und verfolget sind in aller Welt (wie droben gesagt), daß wir wohl möchten klagen, sie hätten uns Christen zu der Zeit gefangen und getötet, wie es die helle Wahrheit ist. Dazu wissen wir noch heutigen Tages nicht, welcher Teufel sie her in unser Land gebracht hat; wir haben sie zu Jerusalem nicht geholet.
Zudem hält sie noch jetzt niemand, Land und Straßen stehen ihnen offen, mögen ziehen in ihr Land, wenn sie wollen, wir wollten gern Geschenk dazu geben, daß wir ihrer los wären, denn sie uns eine schwere Hast, wie eine Plage, Pestilenz und eitel Unglück in unserm Hände sind. Zu Wahrzeichen sind sie oft mit Gewalt vertrieben (geschweige, daß wir sie sollten halten), aus Frankreich (das sie Zarpath nennen aus Obadja) als einem feinen sonderlichen Nest sind sie vertrieben. Jetzt neulich sind sie von dem lieben Kaiser Karolo [Kaiser Karl V.] aus Hispanien (welches sie Sepharad auch aus Obadja nennen), dem allerbesten Nest, vertrieben. Und dies Jahr aus der ganzen böhmischen Krone, da sie doch zu Prag auch der besten Nester eines hatten. Item aus Regensburg, Magdeburg und mehr Orten bei meinem Leben vertrieben.
Heißt das gefangen halten, wenn man einen nicht leiden kann im Lande oder Hause? Jawohl, sie halten uns Christen in unserm eigenen Lande gefangen, sie lassen uns arbeiten im Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen sie dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, saufen, leben sanft und wohl von unserm erarbeiteten Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an, daß wir arbeiten und sie faule Junker lassen sein von dem Unsern und in dem Unsern, sind also unsere Herren, wir ihre Knechte mit unserm eigenen Gut, Schweiß und Arbeit, fluchen darnach unserm HErrn und uns zu Hohn und zu Dank. Sollte der Teufel hier nicht lachen und tanzen, wenn er solch sein Paradies bei uns Christen haben kann, daß er durch die Juden, seine Heiligen, das Unsere frisset und uns zu Hohn Maul und Nasen voll tut, spottet und flucht Gott und Menschen dazu.
Sie hätten zu Jerusalem unter David und Salomo nicht solche gute Tage können haben in ihrem eigenen Gut, wie sie jetzt haben in unserm Gut, das sie täglich stehlen und rauben.
Dennoch klagen sie, wir haben sie gefangen. Ja, wir haben und halten sie gefangen, wie ich meinen Calculus, Blutschwären und alle andere Krankheit oder Unglück gefangen habe, deren ich warten muß als ein armer Knecht mit Geld und Gut und allem, was ich habe, wollte wohl, sie waren zu Jerusalem mit den Juden, und wen sie gern mit sich hätten.
Weil nun das gewiß ist, daß wir sie nicht gefangen halten, womit verdienen wir doch bei solchen edlen, großen Heiligen, daß sie uns so feind sind? wir heißen ihre Weiber nicht Huren, wie sie Maria, Jesu Mutter, tun, wir heißen sie nicht Hurenkinder, wie sie unsern Herrn Christum heißen, wir sagen nicht, daß sie zur Zeit der Reinigung, das ist als natürliche Narren geboren sind, wie sie unserm Herrn tun. Wir sagen nicht, daß ihre Weiber Haria sind, wie sie unserer lieben Maria tun. wir fluchen ihnen nicht, sondern wünschen ihnen alles Gute, leiblich und geistlich, herbergen sie bei uns, lassen sie mit uns essen und trinken, wir stehlen und zerpfriemen ihre Kinder nicht, vergiften ihr Wasser nicht, uns dürstet nicht nach ihrem Blut. Womit verdienen wir denn solchen grausamen Zorn, Neid und Haß solcher großen, heiligen Kinder Gottes?
Nicht anders ist's, als wie droben gesagt aus Mose [5. Mose 28 V. 28], daß sie Gott mit Wahnsinn, Blindheit und rasendem Herzen geschlagen hat. So ist's auch unsere Schuld, daß wir das große unschuldige Blut, so sie an unserm Herrn und den Christen bei dreihundert Jahren nach Zerstörung Jerusalems und bis daher, an Kindern vergossen (welches noch aus ihren Augen und Haut scheinet) nicht rächen, sie nicht totschlagen, sondern für alle ihren Mord, Fluchen, Lästern, Lügen, Schänden frei bei uns sitzen lassen, ihre Schule, Häuser, Leib und Gut schützen und schirmen, damit wir sie faul und sicher machen und helfen, daß sie getrost unser Geld und Gut uns aussaugen, dazu unser spotten, uns anspeien, ob sie zuletzt könnten unser mächtig werden, und für solche große Sünde uns alle totschlagen, alles Gut nehmen, wie sie täglich bitten und hoffen. Sage du nun, ob sie nicht große Ursache haben, uns verfluchten Gojim feind zu sein, uns zu fluchen und unser endlich, gründlich, ewig Verderben zu suchen.
Aus diesen, allen sehen wir Christen (denn sie, die Juden, können's nicht sehen), welch ein schrecklicher Zorn Gottes über dies Volk gegangen und ohn' Aufhören gehet, welch ein Feuer und Glut brennet da, und was die gewinnen, so Christo und seinen Christen fluchen oder feind sind. O lieben Christen, laßt uns solch greulich Exempel zu Herzen nehmen, wie S.Paulus Rom. 11 [V. 20] sagt, und Gott fürchten, daß wir nicht auch zuletzt in solchen und noch ärgern Zorn fallen, sondern (wie wir droben auch gesagt) sein göttlich Wort ehren und die Zeit der Gnaden nicht versäumen, wie es bereits der Mahmet und Papst versäumet haben und nicht viel besser als die Juden geworden sind.
Was wollen wir Christen nun tun mit diesem verworfenen, verdammten Volk der Juden? Zu leiden ist's uns nicht, nachdem sie bei uns sind und wir solch Lügen, Lästern und Fluchen von ihnen wissen, damit wir uns nicht teilhaftig machen aller ihrer Lügen, Flüche und Lästerung. So können wir das unlöschliche Feuer göttlichen Zorns (wie die Propheten [Jer. 4 V. 4] sagen) nicht löschen, noch die Juden bekehren. Wir müssen mit Gebet und Gottesfurcht eine scharfe Barmherzigkeit üben, ob wir doch etliche aus der Flamme und Glut erretten könnten. Rächen dürfen wir uns nicht, sie haben die Rache am Halse, tausendmal ärger, als wir ihnen wünschen können. Ich will meinen treuen Rat geben.
Erstlich, daß man ihre Synagoga oder Schule mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, daß kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. Und solches soll man tun, unserm Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, daß wir Christen seien und solch öffentlich Lügen, Fluchen und Lästern seines Sohnes und seiner Christen wissentlich nicht geduldet noch gewilliget haben. Denn was wir bisher aus Unwissenheit geduldet (ich hab's selbst nicht gewußt), wird uns Gott verzeihen. Nun wir's aber wissen, und sollten darüber, frei vor unserer Nase, den Juden ein solch Haus schützen und schirmen, darin sie Christum und uns belügen, lästern, fluchen, anspeien und schänden (wie droben gehöret), das wäre ebenso viel, als täten wir's selbst und viel ärger, wie man wohl weiß.
Moses schreibt Deutero. 13 [5. Mose 13 V. 13ff.], daß, wo eine Stadt Abgötterei triebe, sollte man sie mit Feuer ganz zerstören und nichts davon behalten. Und wenn er jetzt lebete, so würde er der erste sein, der die Judenschulen und Häuser ansteckte. Denn er hat gar hart geboten Deute. 4 und 12 [5. Mose 4 V.2 und 13 V. 1], sie sollen nichts zu- noch abtun von seinem Gesetze. Und Samuel sagt 1.Sam. 15 [V. 23], es sei Abgötterei, Gott nicht gehorchen. Nun ist der Juden Lehre jetzt nichts anders, als eitel Zusätze der Rabbinen und Abgötterei des Ungehorsams, daß Mose ganz unkenntlich bei ihnen geworden ist (wie gesagt), gleichwie bei uns unter dem Papsttum die Biblia unkenntlich geworden ist. Daß also auch Mosi halben ihre Schulen nicht zu leiden sind, den sie ebensowohl schänden als uns, und nicht not ist, daß sie zu solcher Abgötterei eigene, freie Kirchen haben sollten.
Zum andern, daß man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben ebendasselbige drinnen, das sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall tun, wie die Zigeuner, auf daß sie wissen, sie seien nicht Herrn in unserm Hände, wie sie rühmen, sondern im Elend und gefangen, wie sie ohn' Unterlaß vor Gott über uns Zeter schreien und klagen.
Zum dritten, daß man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein und Talmudisten, darin solche Abgötterei, Lügen, Fluch und Lästerung gelehret wird.
Zum vierten, daß man ihren Rabbinen bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren. Denn solch Amt haben sie mit allem Recht verloren, weil sie die armen Juden mit dem Spruch Mosi Deutero. 17 [5. Mose 17 V. 10ff.] gefangen halten, da er gebeut, sie sollen ihren Lehrern gehorchen bei Verlust Leibes und der Seele, so doch Mose klar daselbst beisetzt: „Was sie dich lehren nach dem Gesetz des HERRN." Solches übergehen die Bösewichter und brauchen des armen Volks Gehorsam zu ihrem Mutwillen wider das Gesetz des HERRN, gießen ihnen solch Gift, Fluch und Lästerung ein. Gleichwie uns der Papst mit dem Spruch Matth. 16 [V. 18]: „Du bist Petrus usw." gefangen hielt, daß wir alles mußten glauben, was er uns vorlog und -trog aus seinem Teufelskopf, und nicht nach Gottes Wort uns lehrte, darüber er das Amt zu lehren verloren hat.
Zum fünften, daß man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe. Denn sie haben nichts auf dem Lande zu schaffen, weil sie nicht Herrn noch Amtleute noch Händler, oder desgleichen sind, sie sollen daheim bleiben. Ich lasse mir sagen, es solle ein reicher Jude jetzt auf dem Lande reiten mit zwölf Pferden (der will ein Kochab werden) und wuchert Fürsten, Herrn, Land und Leute aus, daß große Herrn scheel dazu sehen, werdet ihr Fürsten und Herrn solchen Wucherern nicht die Straße legen ordentlicherweise, so könnte sich einmal eine Reiterei sammeln wider sie, weil sie aus diesem Büchlein lernen werden, was die Juden sind, und wie man mit ihnen umgehen und ihr Wesen nicht schützen solle. Denn ihr sollt und könnt sie auch nicht schützen, ihr wollt denn vor Gott alle ihres Greuels teilhaftig sein, was daraus Guts kommen möchte, das wollet wohl bedenken und verhindern.
Zum sechsten, daß man ihnen den Wucher verbiete und nehme ihnen alle Barschaft und KIeinode an Silber und Gold, und lege es beiseit zu verwahren. Und ist dies die Ursache: Alles, was sie haben (wie droben gesagt), haben sie uns gestohlen und geraubt durch ihren Wucher, weil sie sonst keine andere Nahrung haben. Solch Geld sollte man dazu brauchen (und nicht anders), wo ein Jude sich ernstlich bekehret, daß man ihm davon vor die Hand gebe hundert, zwei, drei flo. nach Gelegenheit der Person, damit er eine Nahrung für sein arm Weib und Kindlein anfangen möge, und die Alten oder Gebrechlichen damit unterhalte. Denn solch böse gewonnen Gut verflucht ist, wo man's nicht mit Gottes Segen in guten nötigen Brauch wendet.
Daß sie aber rühmen, Mose hab' ihnen erlaubt oder geboten zu wuchern an den Fremden, Deutero. 23 [5. Mose 23 V. 21] (sonst haben sie auch keinen Buchstaben mehr zum Schein für sich), darauf ist also zu antworten: Es sind zweierlei Juden oder Israel. Die ersten sind, so Mose aus Ägypten ins Hand Kanaan führte, wie ihm Gott befohlen hatte, denselben gab er sein Gesetz, das sie sollten in demselbigen Lande halten, nicht weiter, und das alles, bis daß der Messias käme. Die andern Juden sind des Kaisers Juden, nicht Moses Juden. Die haben angefangen zur Zeit des Pilatus, des Landpflegers im Lande Juda. Denn da er sie fragt vor seinem Richtstuhl [Matth. 27 V. 22; Joh. 19 V. 15]: „Was soll ich machen mit Jesu, den man Messias heißt?", da schrieen sie: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn." Er aber sprach: „Soll ich euern König kreuzigen?" Sie schrieen wiederum: „Wir haben keinen König als den Kaiser." Solch Untergeben dem Kaiser hatte ihnen Gott nicht geboten, taten's von sich selber.
Als nun der Kaiser schuldigen Gehorsam forderte, sträubeten sie sich und setzten sich wider ihn, wollten nun nicht kaiserisch sein. Da kam er und visitierte seine Untertanen und holte sie zu Jerusalem, zerstreute sie durch sein ganzes Reich, daß sie mußten gehorsam sein, von denen sind die jetzigen übrigen Hefen der Juden, von welchen Moses nichts weiß, sie selbst von ihm auch nichts, denn sie kein Passuk oder Vers im Mose halten. Wollen sie nun Moses Gesetz genießen, so müssen sie zuvor wieder ins Land Kanaan kommen und Moses Juden werden, sein Gebot halten. Da mögen sie alsdann wuchern, wieviel es die Fremden von ihnen leiden werden. Weil sie aber haussen und Mose ungehorsam sind in fremden Landen unter dem Kaiser, sollen sie des Kaisers Recht halten und nicht wuchern, bis sie Mose gehorsam werden. Denn Mose Gesetz ist noch nie einen Schritt weit außer dem Lande Kanaan oder aus dem Volk Israel gekommen, denn er nicht zu den Ägyptern, Babyloniern oder irgendeinem andern Volk mit seinem Gesetz gesandt ist, außer allein zu dem Volk, das er aus Ägypten ins Hand Kanaan gebracht, wie er solches im Deutero. [5. Mose 17 V. 16; 26 V. 5] oft selbst anführt; sie sollen solche Gebote halten in dem Lande, das sie über dem Jordan einnehmen würden.
Zudem, weil Priestertum, Gottesdienst, Fürstentum, davon am meisten, ja fast alles Mose gebeut, gefallen ist nun über 1400 Jahre, so ist's gewiß, daß sein Gesetz dazumal ausgewesen, auch gefallen ist und ein Ende genommen hat. Darum soll man diesen kaiserischen Juden Kaisers Recht lassen widerfahren und nicht gestatten, daß sie Mosische Juden sein wollen, von welchen nun über 1400 Jahre keiner mehr gewesen ist.Zum siebenten, daß man den jungen, starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel, und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nasen, wie Adams Kindern aufgelegt ist, Gene. 3 [1. Mose 3, V 19]. Denn es taugt nicht, daß sie uns verfluchte Gojim wollten lassen im Schweiß unsers Angesichts arbeiten, und sie, die heiligen Leute, wollten’s hinter dem Ofen mit faulen Tagen, Feisten und Pompen verzehren, und drauf rühmen lästerlich, daß sie der Christen Herrn wären von unserm Schweiß, sondern man müßte ihnen das faule Schelmenbein aus dem Rücken vertreiben.
Besorgen wir uns aber, daß sie uns möchten an Leib, Weib, Kind, Gesind, Vieh usw. Schaden tun, wenn sie uns dienen oder arbeiten sollten, weil es wohl zu vermuten ist, daß solch edle Herrn der Welt und giftige, bittere Würmer, keiner Arbeit gewohnet, gar ungern sich so hoch demütigen würden unter die verfluchten Gojim, so laßt uns bleiben bei gemeiner Klugheit der andern Nationen, als Frankreich, Hispanien, Böhmen usw. und mit ihnen rechnen, was sie uns abgewuchert, und darnach gütlich geteilet, sie aber für immer zum Lande ausgetrieben. Denn, wie gehört, Gottes Zorn ist groß über sie, daß sie durch sanfte Barmherzigkeit nur ärger und ärger, durch Schärfe aber wenig besser werden. Drum immer weg mit ihnen.
Ich höre sagen, daß die Juden große Summa Geldes geben und damit den Herrschaften nütze sind. Ja, wovon geben sie es? Nicht von dem Ihren, sondern von der Herrschaft und Untertanen Güter, welche sie durch Wucher stehlen und rauben. Und nehmen also die Herrschaften von ihren Untertanen, was die Juden geben, das ist: Die Untertanen müssen Geld zu geben und sich schinden lassen für die Juden, damit sie im Lande bleiben, getrost und frei lügen, lästern, fluchen und stehlen können. Sollten die verzweifelten Juden des nicht in die Faust lachen, daß wir uns so schändlich äffen und narren lassen und unser Geld geben, daß sie im Lande bleiben und alle Bosheit treiben können, überdies noch reich dazu werden von unserm Schweiß und Blut, wir aber arm und von ihnen ausgesogen werden? Wenn das recht ist, daß ein Knecht, ja ein Gast möge seinem Herrn oder Wirt jährlich zehn flo. geben und dafür tausend stehlen, so ist der Knecht und Gast leicht und bald reich, der Herr und Wirt in Kürze ein Bettler geworden.
Und wenngleich die Juden von ihrem Eigen der Herrschaft solche Summa geben könnten, wie's nicht möglich ist, und sie damit uns abkaufen sollten Schutz und Schirm, öffentlich, frei in ihren Schulen unsern Herrn Christum so schändlich zu belügen, zu lästern, verspeien, verfluchen, dazu uns auch alles Unglück, daß wir alle erstochen werden und umkommen, mit unsern Haman, Kaiser, Fürsten, Herrn, Weib und Kindern zu wünschen, das hieße wahrlich Christum, unsern Herrn, die ganze Christenheit samt dem ganzen Kaisertum, uns mit Weib und Kindern schändlich wohlfeil verkauft. Wie gar ein großer Heiliger würde hier der Verräter Judas gegen uns geschätzt werden? Ja, wenn ein jeglicher Jude (so viel ihrer ist) jährlich hunderttausend flo. geben könnte, so sollten wir doch nicht dafür gestatten, daß sie einen einzigen Christen so frei zu lästern, zu fluchen, zu verspeien, auszuwuchern sollten Macht haben, es wäre noch viel zu wohlfeil verkauft, wieviel unerträglicher ist's, daß wir den ganzen Christum, und uns alle, sollten mit unserm eigenen Gelde kaufen lassen, den Juden zu lästern und zu fluchen, und sie zum Lohn dafür noch reich und zu unsern Jungherrn machen, die uns dazu noch verlachten und sich in ihrem Mutwillen kitzelten. Das könnte dem Teufel und seinen Angeln ein recht Freudenspiel sein, des sie durch die Nasen lachen könnten, wie eine Sau ihre Ferkel anlacht, aber vor Gott einen rechten Zorn verdienen.
Summa, lieben Fürsten und Herrn, so Juden unter sich haben, ist euch solcher mein Rat nicht genehm, so trefft einen bessern, daß ihr und wir alle der unleidlichen, teuflischen Last der Juden entladen werden, und nicht vor Gott schuldig und teilhaftig werden alle der Lügen, des Lästerns, Speiens, Fluchens, so die rasenden Juden wider die Person unsers HErrn Jesu Christi, Seiner lieben Mutter, aller Christen, aller Oberkeit und unserer selbst, so frei und mutwillig treiben, keinen Schutz noch Schirm noch Geleit noch Gemeinschaft sie haben lassen, auch nicht euer und eurer Untertanen Geld und Güter, durch den Wucher, ihnen dazu dienen und helfen lassen, wir haben ohnedies eigener Sünde genug auf uns, noch vom Papsttum her, tun täglich viel dazu mit allerlei Undankbarkeit und Verachtung seines Worts und aller seiner Gnaden, daß nicht not ist, auch diese fremden, schändlichen Laster der Juden auf uns zu laden und ihnen dann noch Geld und Gut zu geben. Laßt uns denken, daß wir nun täglich wider den Türken streiten, dazu wir wohl Erleichterung von unserer eigenen Sünde und Besserung unsers Lebens bedürfen. Ich will hiermit mein Gewissen gereinigt und entschuldigt haben, als der ich's treulich hab' angezeigt und gewarnet.
Und euch, meine lieben Herrn und Freunde, so Pfarrherrn und Prediger sind, will ich ganz treulich euers Amts hiermit erinnert haben, daß auch ihr eure Pfarrleute warnet vor ihrem ewigen Schaden, wie ihr wohl zu tun wisset, nämlich, daß sie sich vor den Juden hüten und sie meiden, wo sie können, nicht daß sie ihnen viel fluchen oder persönlich Leid tun sollten. Denn sie haben sich selbst allzu hoch verflucht und beleidigt, wenn sie den Mann Jesum von Nazareth, Marien Sohn, verfluchen, wie sie leider tun nun über 1400 Jahre. Die Oberkeit lasse man hier mit ihnen gebaren, wie ich jetzt gesagt. Es tu aber die Oberkeit dazu oder nicht, daß dennoch ein jeder für sich selbst seines Gewissens wahrnehme und mache ihm eine solche definitio oder prosopopeia eines Juden.
Wenn du siehest oder denkest an einen Juden, so sprich bei dir selbst also: Siehe, das Maul, das ich da sehe, hat alle Sonnabend meinen lieben HErrn Jesum Christ, der mich mit seinem teuren Blut erlöset hat, verflucht und vermaledeiet und verspeiet, dazu gebetet und geflucht vor Gott, daß ich, mein Weib und Kind und alle Christen erstochen und aufs jämmerlichste untergegangen waren, wollt's selber gern tun, wo er könnte, daß er unsere Güter besitzen möchte, hat auch vielleicht heute dieses Tages vielmal auf die Erde gespeiet über dem Namen Jesu (wie sie pflegen), daß ihm der Speichel noch im Maul und Bart hänget, wo er Raum hätte zu speien. Und ich sollte mit solchem verteufelten Maul essen, trinken oder reden, so möcht' ich aus der Schüssel oder Kanne mich voller Teufel fressen und saufen, als der ich mich gewiß damit teilhaftig machte aller Teufel, so in den Juden wohnen und das teure Blut Christi verspeien. Davor behüt' mich Gott.
Denn ob sie nicht glauben wie wir, dafür können wir nicht, und niemand zum Glauben zu zwingen (was unmöglich) ist, so ist doch das zu meiden, daß wir sie nicht stärken in ihrem mutwilligen Lügen, Lästern, Fluchen und Schänden, auch mit Schutz, Schirm, Essen, Trinken, Herbergen und anderer nachbarlicher Wohltat uns nicht teilhaftig machen ihres teuflischen Wütens und Tobens, zuvoraus, weil sie sich stolz und schmählich rühmen, wo wir ihnen freundlich oder dienstlich sind, daß sie Gott zu Herrn und uns zu ihren Knechten gemacht habe, als, wo ein Christ am Sabbat ihr Feuer machet, in der Herberge ihnen kochet, was sie wollen, dafür sie uns fluchen, verspeien und lästern, als täten sie wohl dran, und zehren doch von unserm Gut, das sie uns gestohlen haben. Ein solch verzweifelt, durchböset, durchgiftet, durchteufelt Ding ist's um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen und noch sind.
Insonderheit, wo ihr Prediger seid, da Juden sind, da haltet an mit Fleiß bei euren Herrn und Regenten, daß sie ihr Amt bedenken, wie sie Gott schuldig sind, und die Juden zur Arbeit zwingen, den Wucher verbieten und steuern ihrem Lästern und Fluchen. Denn so sie unter uns Christen die Diebe, Räuber, Mörder, Lästerer und andere Laster strafen, warum sollen die Teufelsjuden frei sein, solches bei und wider uns zu üben? Leiden wir doch mehr von ihnen, als die Walen von den Spaniolen. Dieselbigen nehmen dem Hauswirt Küchen, Keller, Kasten, Beutel ein, fluchen ihnen dazu und dräuen ihnen den Tod. Also tun uns die Juden, unsere Gäste, auch, wir sind ihre Hauswirte. So rauben sie und saugen uns aus, liegen uns auf dem Halse, die faulen Schelmen und müßigen Wänste, saufen, fressen, haben gute Tage in unserm Hause, fluchen zu Lohn unserm HErrn Christo, Kirchen, Fürsten und uns allen, dräuen und wünschen uns ohn' Unterlaß den Tod und alles Unglück. Denke doch, wo kommen wir armen Christen dazu, daß wir solch faul, müßig Volk, solch unnütz, böse, schädlich Volk, solche lästerliche Feinde Gottes umsonst sollen nähren und reich machen, dafür nichts kriegen als ihr Fluchen, Lästern und alles Unglück, das sie uns tun und wünschen können? Sind wir doch wohl so blind und starrende Klötze in diesem Stücke, wie die Juden in ihrem Unglauben, daß wir solch große Tyrannei von den heillosen Schelmen leiden, solches nicht sehen noch fühlen, wie sie unsere Junker, ja unsere wütigen Tyrannen sind, wir aber ihre Gefangenen und Untertanen, klagen dennoch, sie seien unsere Gefangenen, spotten unser dazu, als müßten wir's von ihnen leiden.
Wollen aber die Herrn sie nicht zwingen, noch solchem ihrem teuflischen Mutwillen steuern, daß man sie zum Lande austreibe, wie gesagt, und lassen ihnen sagen, daß sie hinziehen in ihr Land und Güter gen Jerusalem, und daselbst lügen, fluchen, lästern, speien, morden, stehlen, rauben, wuchern, spotten und alle solche lästerliche Greuel treiben, wie sie bei uns tun, und lassen uns unsere Herrschaft, Land, Leib und Gut, vielmehr unsern HErrn Messias, Glauben und Kirche unbeschweret und unbeschmeißet mit solchen ihren teuflischen Tyranneien und Bosheiten. Ob sie Freiheiten vorwenden könnten, die sollen ihnen nichts helfen. Denn es kann niemand Freiheit geben, solche Greuel zu üben, und sind alle Freiheiten dadurch verwahrloset und verloren.
Wenn ihr Pfarrherrn und Prediger (neben mir) solch treulich Warnen habt ausgerichtet, und will weder Herr noch Untertan etwas dazu tun, so laßt uns (wie Christus spricht [Matth. 10 V. 14]) den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschuldig an euerm Blut. Denn ich sehe wohl und hab's oft erfahren, wie gar barmherzig die verkehrete Welt ist, da sie billig sollte scharf sein, und wiederum scharf ist, da sie sollte barmherzig sein, wie der König Ahab, 3. Reg. 20 [1. Kön. 20 V. 31ff.]. So regiert der Fürst dieser Welt. Also werden sie vielleicht jetzt auch barmherzig sein wollen über die Juden, die blutdürstigen Feinde unsers christlichen und menschlichen Namens, damit den Himmel zu verdienen. Aber daß die Juden mit allen solchen teuflischen oben aufgezählten Greueln uns arme Christen fangen, plagen, martern und alles Herzleid anlegen, das soll man leiden, und ist christlich wohlgetan, sonderlich so Geld da ist, das sie uns gestohlen und geraubt haben.
Was wollen wir armen Prediger indes tun? Erstlich wollen wir glauben, daß unser HErr Jesus Christus wahrhaftig sei, der von solchen Juden, die ihn nicht annahmen, sondern kreuzigten, ein solch Urteil spricht [Matth. 12 V. 34]: „Ihr seid Schlangengezücht und Teufelskinder." wie sein Vorläufer Johannes Baptista auch sagt [Matth. 3 V. 7], und waren doch seine Blutsfreunde. Nun werden uns unsere Herrschaften und alle solche barmherzigen Heiligen, die den Juden wohl wollen, zum wenigsten den Raum lassen, daß wir glauben mögen Jesu Christo, unserm HErrn, der freilich alle Herzen besser kennet als solche barmherzigen Heiligen, daß diese Juden müssen Schlangengezüchte und Teufelskinder sein, das ist, die uns ebensoviel Guts gönnen wie ihr Vater der Teufel. Was uns derselbige Guts getan, sollten wir Christen ja billig aus der Erfahrung neben der Schrift längst und wohl verständigt sein.
Ich hab' viel Historien gelesen und gehört von den Juden, so mit diesem Urteil Christi stimmen. Nämlich, wie sie die Brunnen vergiftet, heimlich gemordet, Kinder gestohlen, wie droben gemeldet. Item, daß ein Jude dem andern über Feld einen Topf voll Bluts, auch durch einen Christen, zugeschickt, item, ein Faß Wein, da das ausgetrunken, ein toter Jude im Fasse gefunden, und dergleichen viel. Und das Kinderstehlen hat sie oft (wie droben gesagt) verbrennet und verjagt. Ich weiß wohl, daß sie solches und alles leugnen. Es stimmet aber alles mit dem Urteil Christi, daß sie giftige, bittere, rachgierige, hämische Schlangen, Meuchelmörder und Teufelskinder sind, die heimlich stechen und Schaden tun, weil sie es öffentlich nicht vermögen. Darum ich gerne wollte, sie wären, da keine Christen sind. Der Türke und andere Heiden leiden solches nicht von ihnen, was wir Christen von den giftigen Schlangen und jungen Teufeln leiden, sie tun's auch niemand als uns Christen, das ist's, das ich droben gesagt habe, daß ein Christ, nächst dem Teufel, keinen giftigeren, bittereren Feind habe als einen Juden, so wir doch niemand so viel Guts tun, noch so viel von jemand leiden, als eben von solchen bösen Teufelskindern und Schlangengezüchte.
Wer nun Lust hat, solche giftige Schlangen und junge Teufel, das ist die ärgesten Feinde Christi, unsers HErrn, und unser aller zu Herbergen, zu füttern und zu ehren und sich zu schinden, rauben, plündern, schänden, zu speien, zu fluchen und alles Übels zu leiden begehrt, der lasse sich diese Juden treulich befohlen sein. Ist's nicht genug, so lasse er ihm auch ins Maul tun oder krieche ihm in den Hintern und bete dasselbige Heiligtum an, rühme sich darnach, er sei barmherzig gewesen, habe den Teufel und seinen jungen Teufel gestärkt, zu lästern unsern lieben HErrn und das teure Blut, damit wir Christen erkauft sind. So ist er denn ein vollkommener Christ, voller Werke der Barmherzigkeit, die ihm Christus belohnen wird am jüngsten Tage mit den Juden im ewigen höllischen Feuer.
[…]
Weil nun das gewiß ist (durch solche lange, gewaltige Predigt in aller Welt), daß [Joh. 5 V. 23] „wer den Sohn unehret, der unehret den Vater", und wer den Sohn nicht hat, kann den Vater nicht haben, und die Juden gleichwohl immer für und für Gott den Vater, unser aller Schöpfer, lästern und fluchen, eben in dem, daß sie seinen Sohn Jesum von Nazareth, Marien Sohn (welchen er hat nun 1500 Jahre in aller Welt erklärt für seinen Sohn, mit predigen und Wunderzeichen wider aller Teufel und Menschen Macht und Kunst, und noch immer bis ans Ende der Welt erkläret) lästern und fluchen, nennen ihn Hebel Vorik, das ist: nicht allein einen Lügner und Falschen, sondern die Lüge und Falschheit selbst, ärger als den Teufel selbst, so ist uns Christen solches, vor unsern Ohren und frei vor unserer Nase in öffentlichen Synagogen, Büchern und Gebärden täglich geübt in unserm eigenen Lande, Häusern und Regiment, keinesweges zu leiden, oder müssen Gott den Vater mit seinem lieben Sohn, der uns so teuer mit seinem heiligen Blut erkauft, mit und um der Juden willen verlieren und ewiglich verloren sein, davor sei Gott.
Demnach soll und muß es uns Christen kein Scherz, sondern großer Ernst sein, hierwider Rat zu suchen und unsere Seelen von den Juden, das ist: vom Teufel und ewigen Tod, zu erretten. Und ist der, wie droben gesagt, erstlich:
Daß man ihre Synagoge mit Feuer verbrenne und werfe hierzu, wer da kann, Schwefel und Pech; wer auch höllisch Feuer könnte zuwerfen, wäre auch gut. Auf daß Gott unsern Ernst, und alle Welt solch Exempel sehen möchte, daß wir solch Haus (darin die Juden Gott, unsern lieben Schöpfer und Vater, mit seinem Sohn so schändlich gelästert hätten) bisher unwissend geduldet, nunmehr ihm seinen Hohn gegeben hätten.
Zum andern, daß man ihnen alle ihre Bücher nehme, Betbücher, Talmudisten, auch die ganze Bibel, und nicht ein Blatt ließe, und verwahrte auf die, so sich bekehreten. Denn sie des alles brauchen zu lästern den Sohn Gottes, das ist: Gott selbst den Vater, Schöpfer Himmels und der Erde (wie gesagt ist) und werden's nimmermehr anders brauchen.
Zum dritten, daß man ihnen verbiete, bei uns und in dem Unsern öffentlich Gott zu loben, zu danken, zu beten, zu lehren, bei Verlust Leibes und Lebens. In ihrem Lande mögen sie das tun, oder wo sie können, da wir Christen es nicht hören noch wissen können. […]. Darum der Juden Maul nicht soll wert gehalten werden bei uns Christen, daß es Gott sollte vor unsern Ohren nennen, sondern, wer es vom Juden höret, daß er's der Oberkeit anzeige oder mit Saudreck auf ihn werfe, sofern er ihn siehet, und von sich jage. Und sei hierin niemand barmherzig noch gütig. Denn es betrifft Gottes Ehre und unser aller (der Juden auch) Seligkeit.
[…].
Ja, wie wollen wir tun, wenn wir gleich den Juden ihre Synagoge verbrennen, Gott loben, beten, lehren, Gottes Namen nennen, öffentlich verbieten usw., gleichwohl werden sie es doch heimlich nicht lassen. Und weil wir wissen, daß sie es heimlich tun, so ist's ebensoviel, als täten sie es öffentlich. Denn, was man weiß, das heimlich geschieht und geduldet wird, das heißt doch nicht heimlich, und gleichwohl unser Gewissen damit vor Gott beschweret ist. wohlan, da mögen wir uns vorsehen. Meines Dünkens will's doch da hinaus: sollen wir von der Juden Lästerung rein bleiben und ihrer nicht teilhaftig werden, so müssen wir geschieden sein, und sie aus unserm Lande vertrieben werden. Sie mögen gedenken an ihr Vaterland, so dürfen sie nicht mehr vor Gott über uns schreien und lügen, daß wir sie gefangen halten, wir auch nicht klagen, daß sie uns mit ihrem Lästern und Wuchern beschweren. Dies ist der nächste und beste Rat, der beide Parteien in solchem Fall sichert.
Aber hier, werden sie, als die das Land ungern räumen, getrost alles und alles leugnen, dazu auch Gelds genug der Herrschaft bieten, ob sie bleiben möchten, wehe aber denen, so solch Geld nehmen, und verflucht sei solch Geld, das sie doch auch sonst verfluchterweise durch Wucher uns gestohlen haben. Denn sie leugnen ja so sehr, wie sie lügen, und wo sie uns Christen heimlich fluchen, giften oder Schaden tun können, des machen sie sich kein Gewissen. Werden sie darüber begriffen oder sonst bezichtiget, so wagen sie es getrost zu leugnen, auch bis in den Tod, weil sie uns nicht wert achten, denen sie sollten die Wahrheit bekennen, nachdem es die heiligen Gotteskinder gewiß dafür halten, daß sie, was sie uns Böses fluchen und tun können, einen großen Gottesdienst daran tun. Ja, wenn sie uns das könnten tun, das wir ihnen tun können, würde unser keiner eine Stunde leben müssen. Weil sie es aber öffentlich nicht vermögen zu tun, bleiben sie gleichwohl im Herzen unsere täglichen Mörder und blutdürstigen Feinde. Solches beweisen ihr Beten und Fluchen, und so viel Historien, da sie Rinder gemartert und allerlei Laster geübt, darüber sie oft verbrannt und verjagt sind.
Darum ich wohl glaube, daß sie viel Ärgeres heimlich reden und tun, als die Historien und andere von ihnen schreiben, sie aber sich aufs Leugnen und ihr Geld verlassen. Aber wenn sie gleich alles leugnen könnten, so können sie das nicht leugnen, daß sie uns Christen öffentlich fluchen, nicht um unseres bösen Lebens willen, sondern, daß wir den Jesum für den Messias halten, und daß sie bei uns gefangen sein müssen, so sie wohl wissen, daß sie daran lügen, und vielmehr sie uns in unserm Lande durch ihren Wucher gefangen halten, jedermann aber ihrer gern los wäre. Weil sie aber uns verfluchen, so verfluchen sie unsern HErrn auch; verfluchen sie unsern HErrn, so verfluchen sie auch Gott den Vater, Schöpfer Himmels und der Erde, daß also ihr Leugnen ihnen nichts helfen kann. Sie sind allein mit dem Fluchen überwunden, daß man alles wohl glauben muß, was man Böses von ihnen schreibet, sie tun's gewißlich mehr und ärger, als wir wissen oder erfahren. Denn Christus lüget und trüget nicht, der sie als Schlangen und Teufelskinder beurteilt, das ist: seine und aller der Seinen Mörder und Feinde, wo sie können.
Wenn ich Macht hätte über die Juden, wie unsere Fürsten und Städte haben, wollt' ich diesen Ernst mit ihrem Lügenmaul spielen. Sie haben eine Lüge, damit sie großen Schaden tun, bei ihren Kindern und gemeinem Mann, und unsern Glauben schändlich verunglimpfen. Nämlich, sie geben uns Schuld und belügen uns bei den Ihren, daß wir Christen mehr als einen einigen Gott anbeten. Da ist des Rühmens und Stolzes nicht Maß noch Zahl. Damit halten sie ihre Leute gefangen, wie sie allein das Volk sind, die vor allen Heiden nicht mehr als einen Gott anbeten. O, wie gewiß sind sie in diesem Stück ihrer Sache.
[…]
Darum, wenn ich über sie Gewalt hätte, wollt' ich ihre Gelehrten und Besten versammeln und ihnen auflegen, bei Verlust der Zunge hinten zum Halse heraus, daß sie innerhalb acht Tagen uns Christen überweisen und überzeugen, und also diese lästerliche Lüge wider uns wahr machen müßten, nämlich, daß wir mehr als den rechten einigen Gott anbeten. Könnten sie das tun, so wollten wir des Tages alle Juden werden und uns beschneiden, wo nicht, so sollten sie ihres verdienten Lohns gewarten für solche schändliche, mutwillige, schädliche, giftige Lügen. Denn wir, Gottlob, nicht so gar Enten, Klötze oder Steine sind, wie uns die hochverständigen Rabbinen (unsinnige Narren) achten, daß wir nicht sollten wissen, daß ein Gott und viele Götter nicht können zugleich mit Wahrheit geglaubet werden.
[…]
Es ist der Zorn Gottes über sie gekommen, daran ich nicht gerne denke, und mir dies Buch nicht fröhlich zu schreiben gewesen ist, also, daß ich habe müssen, jetzt mit Zorn, jetzt mit Spott, wider die Juden den schrecklichen Blick aus meinen Augen reißen, und mir wehtut, daß ich ihre schrecklichen Lästerworte hab' müssen nennen von unserm HErrn und seiner lieben Mutter, die wir Christen gar ungerne hören, und verstehe wohl, was S. Paulus meinet Roman. 10 [Röm. 9 V. 2], daß ihm sein Herz wehe tu, wenn er an sie gedenkt, welches ich acht', auch einem jeglichen Christen geschehe, der mit Ernst dran denket, nicht des zeitlichen Unglücks und Elendes halben, darüber sie, die Juden, klagen, sondern daß sie dahingegeben sind, zu lästern, fluchen, verspeien Gott selbst und alles, was Gottes ist, zu ihrer ewigen Verdammnis, und doch solches nicht hören noch wissen wollen, sondern als aus einem Eifer Gottes tun. Ah Gott, himmlischer Vater, wende dich und lasse deines Zorns über sie genug gewesen und ein Ende sein, um deines lieben Sohnes willen. Amen.
Unsern Oberherrn, so Juden unter sich haben, wünsche ich und bitte, daß sie eine scharfe Barmherzigkeit wollten gegen diese elenden Leute üben, wie droben gesagt, ob's doch etwas (wiewohl es mißlich ist) helfen wollte, wie die treuen Arzte tun; wenn das heilige Feuer in die Gebeine gekommen ist, fahren sie mit Unbarmherzigkeit und schneiden, sägen, brennen Fleisch, Adern, Bein und Mark ab. Also tue man hier auch, verbrenne ihre Synagogen, verbiete alles, was ich droben aufgezählet habe, zwinge sie zur Arbeit und gehe mit ihnen um nach aller Unbarmherzigkeit, wie Mose tat in der Wüste und schlug dreitausend tot, daß nicht der ganze Haufe verderben mußte. Sie wissen wahrlich nicht, was sie tun, wollen's dazu, wie die besessenen Leute, nicht wissen, hören noch lernen. Darum kann man hier keine Barmherzigkeit üben, sie in ihrem Wesen zu stärken. Will das nicht helfen, so müssen wir sie wie die tollen Hunde ausjagen, damit wir nicht, ihrer greulichen Lästerung und aller Laster teilhaftig, mit ihnen Gottes Zorn verdienen und verdammt werden. Ich habe das Meine getan; ein jeglicher sehe, wie er das Seine tu. Ich bin entschuldigt.
[…]
Dieses Schreiben schickte der Reformator Philipp Melanchton zusammen mit Martin Luthers Schrift "Wider die Juden und ihre Lügen" am 17. Januar 1543 an Landgraf Philipp von Hessen. Der Landgraf lies die Schrift verlesen und teilte wenig später, am 27. Januar 1543, in einem weiteren Brief an Luther (Dokument X) seinen Eindruck der Inhalte von "Wider die Juden und ihre Lügen" mit.
Landgraf Philipp von Hessen richtet das vorliegende Schreiben an Martin Luther und teilt diesem seine Einschätzung von Luthers Schrift "Die Juden und ihre Lügen" mit. Die Schrift sei Landgraf Philipp durch Dionysius Melander ("Dionisius Melander") und Johannes Lening ("Johannes Leningus"), später auch durch Philipp Melanchthon ("Philippus Melanthon") vorgelegt worden (Dokument X). Der Landgraf habe das Buch gelesen und für gut befunden, insbesondere vier Punkte in der Darstellung Luthers, "das[s] Christus komen sei". Darüber hinaus erwähnt Philipp die Eroberung des Landes Braunschweig-Wolfenbüttel, führt diese aber nicht näher aus, da Luther, so Philipp, über die Vorkommnisse bescheid wisse. Philipp endet mit der Bekräftigung gegenseitigen Wohlwollens.
Bei diesem Dokument handelt es sich um die in späterer Zeit angefertigte Zeit angefertigte Transkription jenes Briefes (Dokument X), den Landgraf Philipp von Hessen am 27. Januar 1543 an Martin Luther schreiben ließ.
Burckhardt, Die Judenverfolgungen im Kurfürstentum Sachsen von 1536 an, S. 593-598, mit Judenausschreibung des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich, gegeben zu Wittenberg am 6. Mai 1543
Mandat zur Vertreibung der Juden aus Kursachsen binnen 14 Tagen, bis Trinitatis 1543, d.h. 20. Mai 1543.
Von Gottes gnaden Johans Friderich, Herczog zu Sachssen. Des heiligen Römischen Reichs Ertzmarschall vnd Churfůst, Landgraff in Důringen, Marggraff zu Meissen, vnd Burggraff zu Magdeburg.
Allen vnd itzlichen, vnsern Prelaten, Grauen [Grafen], Herrn, Landvoigten, Haubt vnd Amptleuten, Ampts beuelhabern, denen von der Ritterschafft, Schössern, Vorwaltern, Vorstehern, Schulteisen, Gleitsleuten, Bůrgermeistern, Richtern vnd Rethen der Stedte, vnd Gemeinden, auch allen vnsern Vnterthanen vnd verwandten, vnsern grus zuuor, Erwirdigen, [Ehrwürdigen], Wolgebornen, Edlen, Lieben andechtigen Rethe, vnd getrewen, Wiewol wir des verschienen Sechs vnd dreißigsten Jars, ein offen Mandat, im Druck haben ausgehen lassen, Das kein Jůde, sampt den seinen, inn vnsern Landen, Chur, vnd Fůrstenthumben (aus bewegenden vrsachen, so zum teil, darinnen ausgedrückt) solt gelitten vnd geduldet, ihnen auch kein gewerbe oder passs, in vnd durch vnsere Lande, gestattet werden, So haben wir doch hernachmals vff Stadliche bescheene vorbit, auch der Jůdenschafft selbst, hochvleißiges anhalten, bitten vnd erbieten, vbertretten wůrden, solch vnser Mandat, durch etzliche Missiuen, des Passes halben gemiltert, vnd ihnne den, mit einer maß zugelassen, Vns aber vorbehalten, wo sie solche vnsere nachlassung, vnd ihr erbieten, vbertretten wůrden, das wir ihnen jederzeit, berůerten Passs vnd Důrchzug, gantz vnd gar, widerumb verbitten wollten, wann wir dann in glaubliche erfarung komen, das die Jůden, berůrter vnser ihnen erzeigten, nachlassung, nicht allein, mit dem Passiren, vnd Durchziehen, misbraucht, sondern nachtlager, darin zůgehalten, auch henttirens, Gewerbn vnd Ertzneytreibens, vnd darin von ihren irthumben, wider vnsern warhafftigen, Christlichen Glauben, inn berurten vnsern Landen zu disputiren, Vnd ire Jůdische, falsche lesterungen vnd lůgen, wider den rechten vnd warhafftigen Messiam, Christum vnsern Heiland, dem Volck einzubilden, hat vnterstanden, So sind wir aus dem, auch den Stadlichen schrifften nach, So der Erwirdige vnd Hochgelarte [Hochgelehrter], Vnser lieber anderchtiger, Er Martinus Luther, der Heiligen Schrifft Doctor, wider das verstockte Jůdenthumb, newlichen gethan, vnd im Druck, mit bestendigen grůnden, der Heiligen Schriften, hat ausgehen lassen, verursacht, Die vorberurte, vnsere gethane erlaubnus, des Passirens halben, inn vnd durch vnsere Lande, vnd Gebiethe, zu cassiren, vnd widerumb auffzuheben, Vnd thun darauff, ob angezeigt, vnser erstlich offentlich ausgegangen Mandat, hiermit wiederumb ernewern, vnd wollen, das kein Jůde, noch Jůdin, hinfurt in vnsere Landen, Chur vnd Fůrstenthůmben oder vnserer Prelaten, Grauen vnd Herrn, Gebieten vnd gůtern, wonen, noch darin handeln, wandeln, webern, oder dadurch Passiren, Sonder sich vnser Lande, gantz vnd gar eussern, vnd enthalten sollen, Vnd da, nach Trinitatis schirsten, einer oder mehr, der Jůden oder Jůdin, hirůber inn vnsern Landen antroffen, vnd betretten wurden, Der oder dieselben, sollen vnsers schutzes vnd schirms, auch Gerichts vnd Rechts entsatzt, vnd nicht vehig [fähig] sein. Wer auch von den vnsern, einen Jůden, oder Jüdin, inn obgemelten vnsern Chur vnd fůrstenthumben, vnd Landen antreffen vnd erlangen wirdet, Der sol sich mit jnen, vnd ihrer hab vnd gůtern, so bey ihnen befunden, Inn vnser negst gelegene Ampt, darinn sie betretten werden, vorfůgen, Vnd dieselben Juden oder Jüdin, mit der habe, so bey ihnen befunden, dem Amptman, desselben vnsers Ampts vberantworten, Do dann der Jüde oder Jüdin, inn verwarung, vnd ire bey inen befunden, dem Amptman, desselben vnsers Ampts vberantworten, Do dann der Jüde oder Jüdin, inn verwarung, vnd ire bey inen befunden habe vnd güter, ins Ampt sollen genomen, vnd dem vberantworter, von wegen, seins darbey gethanen vleisses, die helfft, solcher erlangten habe vnd güter, als das seine zu haben vnd zu gebrauchen, wider zugestalt, Aber das ander, bis auff weitern vnsern beuehlich, im Ampt verwart werden, Vnd gebieten darauff hiemit ernstlichen, das ihr alle, vnd ein jder inn sonderheit, ob diesem vnsern Mandat vnd beuehlich, wollet vnd sollet vestiglich halden [halten], vnd darwider nichts vorhengen, noch vmb einicherley vrsach willen, die Jüdenschafft inn dem verschonen, bey vormeidung, vnserer vngnade vnd ernsten straff, Daran geschiet vnsere gentzliche meinung, Zu vrkundt mit vnsern zu ende auffgedrucktem Secret besiegelt, Vnd geben zu Wittemberg, Sontags Exaudi [6. Mai],
Anno Domini 1543.
Transkription: A. Siluk
Siehe auch Josel von Rosheims Sicht auf die Dinge
Das Große Judenprivileg Kaiser Karl V., gegeben zu Speyer, 3. April 1544 [> Transkription]
Insert in einer Bestätigung dieser Privilegien durch Kaiser Rudolf II. zu Preßburg am 15. Juni 1577, überliefert in einer gleichzeitigen Abschrift eines von der Stadt Frankfurt gefertigten und gesiegelten Transsumpts vom 7. Mai 1608.
Regest
Kaiser Karl V. bekundet, daß sich die Juden des deutschen Reiches vor ihm zu Speyer darüber beklagt haben, daß man sie an ihrem Recht, sich gegen Klagen vor dem Kaiserlichen Kammergericht oder den in ihren Privilegien genannten Gerichten zu verantworten, hindert und sie "gewaltigelich, fraventlich und muetwillig an ihren persohnen, leiben, haab und güettern mit tottschlagen, rauben, wegfüren, außtreibung ihrer heußlichen wohnungen, versperung und zerstörung ierer schuellen und sinagogen, deßgleichen an gelaiten und zollen belaidigt und beschwerdt" und sie auf diese und andere Weise am Erwerb ihres Unterhalts hindert. An manchen Orten des Reiches werden die Juden "nit allain ierer haab und güetter entsetzt, geblündert und außgetriben, sondern auch ohne alle unser rechtliche erkhanndtnuß gefangen, gepeiniget, vertilgt und umb leib und guett" gebracht.
Deswegen erneuert Kaiser Karl den Schutz der Juden und bestätigt ihre Privilegien. Niemand soll fortan das Recht haben, ihre Schulen und Synagogen zu schließen, sie aus denselben zu vertreiben oder sie an ihrem Gebrauch zu hindern. Wer immer künftig Jude oder Jüdin dem verkündeten kaiserlichen Landfrieden zuwider am Leben oder an Hab und Gut schädigt, ihn heimlich oder öffentlich beraubt, soll von jeder Obrigkeit und auf Anrufen eines jeden der Landfriedensordnung gemäß gestraft werden. In Kriegs- wie in Friedenszeiten soll jeder Jude das Recht haben, seinen Geschäften im Reich zu Wasser und zu Land nachzugehen, und jede Obrigkeit ist gehalten, ihm Geleit zu gewähren und ihn mit Zoll- oder Mautgeld nicht mehr als herkömmlich ist zu beschweren. Die Juden sind nicht verpflichtet, bei ihren Reisen außerhalb ihrer Wohnorte oder der Orte, durch die sie ziehen, "judische zeichen" zu tragen. Ohne ausdrückliche Zustimmung des Kaisers soll kein Jude von seinem Wohnort vertrieben werden, wie dies bereits das am 18. Mai 1530 zu Innsbruck erlassene kaiserliche Privileg [1] festlegt.
Da die Juden höher besteuert werden als die Christen, im Gegensatz zu diesen aber weder liegende Güter noch "statliche handtierung, ampter oder handtwerkh" haben und die Abgaben nur von dem, "so sy von ieren parrschafften zuwegen bringen", bestreiten können, so wird ihnen gestattet, daß sie "iere paarschafften und zinß ... umb sovill desto höcher und etwaß weitters und mehrers, dann den cristen zuegelassen ist, anlegen". Ohne hinreichende Beweise und Zeugen ist jedem untersagt, die Juden des Gebrauchs von Christenblut zu beschuldigen oder einen Juden deswegen gefangenzunehmen, zu foltern oder hinzurichten, denn diese Verdächtigung wurde bereits durch die Päpste verworfen und durch eine Deklaration Kaiser Friedrichs [2] untersagt. Wo solche Beschuldigungen erhoben werden, sind sie vor den Kaiser zu bringen. Verstöße gegen dieses Privileg werden mit 50 Mark lötigen Goldes geahndet, die halb der kaiserlichen Kammerkasse, halb der geschädigten Judenschaft zu zahlen sind.
Regest zit. nach Uta Löwenstein, Quellen zur Geschichte der Juden im Hessischen Staatsarchiv Marburg 1267-1600, Bd. 1, Wiesbaden 1989, S. 393-394
[1] Innsbrucker Judenprivileg Kaiser Karl V. vom 18. Mai 1530.
[2] Judenprivileg Kaiser Friedrich II., Juli 1236 siehe Dokument>
Das Große Judenprivileg Kaiser Karl V., gegeben zu Speyer, 3. April 1544 [> Digitalisat]
Wir Rudolff der Ander von Gottes Gnaden / erwehlter Römischer Keyser / zu allen Zeiten Mehrer des Reichs / in Germanien / zu Hungarn / Behaim / Dalmatien / Croatien und Selauonien / u. König / Erzherzog zu Oesterreich / Herzog zu Burgundt / zu Braband / zu Steyer / zu Kärndten / zu Crain / zu Lützemburg / zu Würtemberg / Obern und Nidern Schlesien / Fürst zu Schwaben / Marggraf des H(eiligen) Römischen Reichs zu Burgau / zu Mehrern / Ober und Nider Laußnitz / Gefürster Graff zu Habspurg / zu Tyrol / zu Pfirdt / zu Kiburg / unnd Görtz / und Landgraff in Elsaß / Herr auff der Windischen Marck / zu Portenaw / und zu Salins / und Bekennen öffentlich mit diesem Brieff / und thun kund allermenniglich / daß uns gemeine Jüdlscheit im H(eiligen) Reich / durch ihre Gesandten in glaubwürdigem Schein / underthäniglichen haben fürbringen lassen / ein Privilegium oder Freyheit-Brieff / so ihnen gemeiner Jüdischeit von weyland unserm lieben Anherrn / Keyser Carln dem Fünfften / hochhlöblicher gedächtnuß / miltiglich mitgetheilt und gegeben worden / und von Wort zu Worten hernach geschrieben stehet / und also lautet:
Wir Carl der Fünfft von Gottes Gnaden Römischer Keyser / zu allen zeiten Mehrer des Reichs / König in Germanien / zu Castilien / Arragon / Leon / beyder Sicilien / Hierusalem / Hungarn / Dalmatien / Croatien / Navarra / Granaten / Toleten / Valenz / Gallicien / Maiorica / Hispalis / Sardinien / Corduba / Corsica / Murcien / Siennis / Allgarbien / Algeziern / Gibraltar / der Canarischen und Indianischen Insulen / und der Terrae firmae, des Oceanischen Meers / u. Erzherzog zu Osterreich / Herzog zu Burgundi / Lotrig / zu Braband / zu Steyer / zu Kärndten / zu Crain / zu Limburg / zu Lutzemburg / zu Geldern / zu Calabrien / zu Athen / zu Neopatrien / und zu Würtemberg / und Graffe zu Habspurg / zu Flandern / zu Tyrol / zu Görtz / zu Barcinon / zu Arthois / zu Burgundi / Pfalzgraff zu Hennigaw / zu Holand / zu Seeland / zu Pfirt / zu Kiburg / zu Namur / zu Rossilion / zu Ceritania / und zu Zutpfen / Landgraff in Elsas / Marggraff zu Burgaw / zu Oristani / zu Goriann / und des H(eiligen) Römischen Reichs Fürst zu Schwaben / zu Catalonia / Asturia / Herr in Frießland / auff der Windischen Marck / zu Portenaw / zu Piscaia / zu Molin / zu Salins / zu Tripoli / unnd Mecheln / und Bekennen für Uns und unsere Nachkommen am Reich / öffentlich mit diesem Brieff / und thun kundt allermenniglich / Als Uns / als Römischer Keyser / in allweggezimt und geburt / unsere gemeine Jüdischeit / so in dem heiligen Reich / desselben Fürstenthumben / Graffschafften / Herrschafften / Landen / Stätten und Gebieten / ihre Wohnung und Erhaltung haben / den Fried / Recht / und ihren Privilegien und Freyheiten / damit sie von weyland den heiligen Vättern / den Päpsten / gemeinen Concilien / unsern Vorfahren / Römischen Keysern und Königen seliger und hochlöblicher gedächtnuß / und Uns / auch andern Fürsten und Herren / löblich begabet / gefreyet und versehen seyn / zu schützen / zu schirmen und handzuhaben / und dann jetzo dieselb unser Jüdischeit des H(eiligen) Römischen Reichs / auff diesem unserm gegenwertigen Reichstag zu Speyer / für uns kommen ist / und mit hohen Beschwerden Klagweiß fürbracht / wie etlich au? inen / aber und wider solche ire gegeben und begabten / Päpstliche und Keyserliche Freyheiten / unsern und des Reichs auffgerichten und außgekündten Landfrieden / gülden Bullen / und Keyserlich Reformation / auch aber das sie einem jeden / so einige Sprüch und anforderung zu ihnen zu haben vermeynen / für uns / unserm Keyserlichen Kammergericht im heiligen Reich / oder an enden / da sich solches / ihren Freyheiten
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Freyheiten und Privilegien nach gebürt / Rechtens und fürkommens nie vorgewesen / und noch nicht seyen gewaltiglich / freffentlich / und muthwillig / an ihren Personen / Leiben / Haaben und Gütern / mit Todtschlägen / Rauben / wegführen / außtreibung ihrer häußlichen Wohnungen / Versperrung und zerstörung ihrer Schulen und Synagogen / deßgleichen auch an Gleydten und Zöllen beleydigt und beschwert / auch in ander Weg an iren Leibsnahrung / so sie hin und wider altem herkommen und gebrauch nach / Edlen und Unedlen / in ihren nöthen / auff Trawen und guten Glauben / umb gebürlichen Gewinn außleihen / verhindert und beschädigt werden / also / da? zu besorgen / wo von Uns / als Römischen Keyser / hierinn nicht einsehens geschehen sollte / Das zu letzt auß solchen erfolgen / unnd dahin kommen / daß die Jüdischeit an mehr Orthen im heiligen Reich / Teutscher Nation / nicht allein ihrer Haab und Güter entsetzt / geplündert und aufgetrieben / Sondern auch / ohn alle unsere Rechtlich Erkandtnuß / gefangen / gepeinigt / vertilgt / und umb Leib und Gut kommen würden / Und Uns darauf / als Römischen Keyser / zu dem sie / als ihrem rechten einigen Herrn und Beschirmer auff Erden / ihre Zuflucht und Hoffnung tragen / demüthiglich angeruffen und gebeten / daß wir ihnen hierinnen unsere Keyserliche hülff unnd Miltigkeit mitzutheilen / Sie bei ihren gegebenen Freyheiten / Privilegien / Schutz / Schirm und Eleyd zu handhaben / ihnen dieselbige alle und gleiche insonderheit zu vernewren / zu confirmiren / und zu bestetten / und dieselb unser Jüdischeit / in unsern und deß heiligen Reichs Verspruch / Schutz und Schirm / auch Eleyd und Sicherheit zu empfahen / gnädiglich geruheten.
Wann wir nun gewelter Jüdischeit demüthig anzeigen und bitten gnädiglich vernommen / und Uns als Römischem Keyser / menniglich für gewaltigen Handlungen und Beschwerden zu behüten gebürt und zusteht:
So haben Wir darumb auß den oberzehlten und andern treffentlichen Ursachen / Uns darzu bewegend / und mit wolbedachtem Muth / gutem Raht / unnd rechter Wissen / gemeiner Jüdischeit / alle und jegliche ihre Gnad / Freyheiten und Privilegien / Schutz / Schirm unnd Eleyt / damit sie von den heiligen Vattern und Päpsten / gemeinen Concilien / unsern Vorfahren / Römischen Keysern und Königen / Fürsten und Herren / auch Uns und dem heiligen Reich / gefreyet / begnadet / und versehen seyn / als Römischer Keyser / widerumb gnädiglich vernewert / confirmirt / bestettet / und darzu dieselb unser gemeine Jüdischeit vonm newem in unsern und deß heiligen Reichs Verspruch / Schutz und Schirm genommen und empfangen / und ihnen darzu unser und des Reichs frey Sicherheit unnd Eleyt für Gewalt und zu Recht gegeben / und ferner mit diesen hernach geschriebenen Freyheiten und Gnaden begabt / gefreyet und versehen.
Vernewren / confirmiren / bestetten / nemmen und empfangen / freyen / geben / und thun das alles / wie ob und nachsteht / hiemit von Römischer Keyserlicher Macht / vollkommenheit / wissentlich / in Krafft diß Brieffs / also dass nun hinfüro gemeine Jüdischeit / so in dem heiligen Reich / und desselben Fürstenthumben / Graffschafften / Herrschafften / Landen / Stätten / Märckten / Dörffern oder Weilern / häußlichen wohnen und gesessen seyn / ihre Schulen und Synagogen niemands / was Stands oder Wesens der oder die seyn / versperren / verschließen / noch sie der entsetzen / sondern irer Gewonheit nach / und wie inen das in den heiligen Concilien / und ihren Freyheiten zugeben worden ist / bleiben / und das alles ruhiglich gebrauchen lassen / un inen daran seine Irrung / Bezwang / Eintrag oder Verhinderung thun sol / in keine weiß noch wege.
Ob auch jemands / weß Standes oder Wesens der oder die weren / hinfüran einigen Jüden oder Jüdin / an ihren Leiben / Haaben und Gütern / wider unsern Keyserlichen außgekündten Landfrieden / vergewaltigen / beschädigen / berauben / wegführen / oder fänglich / heymlich oder öffentlich enthalten würde / alsdann ein jede Obrigkeit für
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für sich selbs / oder auff eines jeden anruffen und begeren / nach denselben Thätern / deßgleichen ihren Enthaltern / wo sie die / ihre Leib / Haab oder Güter betreffen mögen / greifen / und gegen denselben umb solch ihr Handlung und That / wie sich nach vermög unser Keyserlichen / außgekündten / hochverpeenten Landfrieden / des Reichs Ordnung und Rechten gebüren würde / mit Ernst procediren und handlen / und was sie also wie obstehet / vornemen und handeln / da? sie damit weder gegen Uns dem heiligen Reich / noch sonst jemand anders gefreffelt oder gehandelt haben / noch jemands darumben zu antworten schuldig seyn.
Es sollen auch hinfüro alle Juden und Jüdin mit ihren / Leiben / Haaben und Gütern / es were in Kriegslauften / oder sonst allenthalben in dem heiligen Reich / ihrer Notthurfft nach / zu Wasser und Land / sicher handlen und wandlen / und von einer jeden Obrigkeit / auff ihr jedes ansuchen / mit notthürfftigem genugsamen Eleyt fürschen / unnd hierinn auch mit Zoll unnd Mautgelt nicht höher oder weiter / dann von unsern Vorfahren / Römischen Keysern / Königen / und Uns hievor auffgesetzt und bestimpt ist / beschwert / gesteigert und belästiget / auch außerhalb der Stätte / Märckte und Flecken / darinn sie gesessen / und wonhafft seyn / oder dardurch sie zu reysen haben / auff gemeiner Strassen / in ihrem ihn und wider ziehen / zu Wasser und Land / Jüdische Zeichen zu tragen nicht schuldig oder verpflicht seyn / noch derhalben von jemands gerechtfertiget werden.
Es soll auch hinfüro kein Jud oder Jüdin / die nach unserer Keyserlichen Krönung in dem heiligen Reich / desselben Fürstenthumben / Graffschaften / Herrschafften / Landen und Gebieten / sonderlich in unsern und deß Reichs Stätten / Märckten / Dörffern und Weilern häußlichen gewohnt haben / und gesessen seyn / oder noch darinnen wohnen und sitzen / von niemands / wer der oder die seyen hoch oder nidern Standes / eygens Willens / noch sonst / ohn unser sonder zulassung und erlaubnuß / nicht außtreiben oder entsetzt werden / sondern nach außweisung und vermögen dieser und anderer voriger Freyheiten / unnd sonderlich unserer Freyheit am achtzehenden Tag des Monats Maij / deß dreyssigsten Jahrs der mindern Jarzahl / nechst verschienen zu Jußprugk1 außgangen / also ruwiglich / sie und ihre Nachkommen / unvertrieben bleiben / sitzen und wohnen sollen und mögen.
Und nach dem auch die Jüden und Jüdin deß mehrern theils in allen deß Reichs Anlagen und Hülffen / mit Leib / Haab und Gut / umb ein viel höhers / dann die Christen / belegt und angeschlagen werden / und aber darneben weder ligende Güter / noch andere stattliche Handtierung / Empter und Handwerck / bey den Christen haben und treiben / davon sie solche Anlagen erstatten / und ihre Nahrung bekommen / ausserhalb deß / so sie von ihren Barschafften zu wegen bringen.
So lassen wir zu / und gönnen denselben Juden und Jüdin / daß sie herwider umb in gleichnuß / und maß und gestalt ihrer Anlagen / damit sie also / wie obsteht / angehalten und belegt werden / ihre Barschafften und Zinß / und sonst zu ihrem Nutzen und Notthurfft / umb so viel desto höher / unnd etwas weiters und mehrers / dann den Christen zugelassen ist / anlegen und wenden / und ihnen solches geduldet werden möge.
Und nach dem Uns gemeine Jüdischeit ferrners zu erkennen geben / wie daß sie von ihren Widerwertigen offtmals beschuldiget werden / daß sie zu ihrer Notthurfft Christen Blut haben müssen / und dadurch umb geschichten und handlung willen / so sie dernhalben an Christen Menschen begehn sollen / nicht auß offenbarer oder wissentlicher That / oder auff genugsame beweisung und anzeig / sondern auß Ursachen verdenckens und Argwohns / oder auff bloß anbringen ihrer Missgönner / unangesehen / daß unsere heilige Vätter und Päpst hierüber erklärung gethan / unnd das zu glauben verbotten / auch weyland unsere lieber Herr /
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Herr unnd Anherr / Keyser Friedrich / löblicher Gedächtnuß / auff solche Päpstliche Declaration insonderheit ernstlich Befehl unnd Gebottsbrieff2 an alle Stände deß Reichs / und etliche derselben insonderheit außgehen / unnd ihnen von solchen fürnemen abzustechen / auch darvor zu seyn / und solches nicht zu gestatten / sondern wo solcher sachen ichts vorhanden / dasselb auf eine Majestät als obersten Herrn unnd Richter / dem gemeine Jüdischeit ohne mittel zugehörig / gelangen zu lassen / ernstlich gebotten hab / auch wider ihre / der Juden / Freyheiten und alt herkommen / zum höchsten beschwert / gefangen / gemartert / vom Leben zu Todt bracht / und ihnen ihre Haab und Güter gewaltiglich genommen werden / Und Wir dann auß solcher Päpstlichen erklärung/ und unsers Uranherrn / Keyser Friedrichs seligen außgangenen Befehlchen2 so vieL BerichTes empfangen / daß solches / so den Jüden also zugemessen wirdt / notthurfft halben nicht seyn muss.
Hierumb / auch auß andern bewegenden Ursachen mehr / setzen und wollen wir / daß hinfüro niemands / was Standes der sey /keinen Juden oder Jüdin derhalben sahen / und ohne fürgehende / genugsame anzeig oder beweisung glaubwürdiger Zeugen / oder befindung der That / peinigen unnd martern / noch vom Leben zum Todt richten soll / Sondern wo dergleichen Klag oder Bezüg für fiele / dasselbig zuvor an Uns oder unser Nachkommen / Römischer Keyser unnd König / als gemeiner Jüdischeit im Reich oberste Oberkeit gelangen lassen / unnd daselbs Bescheid gewarten.
Dem allem nach / meynen / setzen / ordnen declariren unnd wollen Wir / von obberührter Keyserlichen Macht / vollkommenheit / und rechtem wissen / daß hinfüro alle obbestimbte / gemeiner Jüdischeit Freyheiten / Brieff / Privilegien / Gnaden / Schutz / Schirm / Sicherheit / Eleyt unnd Confirmation / in allen und jeglichen Puncten / Articuln / Clausuln / Inhaltungen / Meynugen und Begreiffungen / gantzkräfftig und mächtig / seyn / stett gehalten / und vollzogen werden / in aller maß / als ob die alle und jede insonders von Worten zu Worten in diesem unserm Keyserlichen Brieff geschrieben und begriffen weren / die wir auch hie für gnugsam angezogen und benannt haben wollen / auch gemeine Jüdischeit und ihre Nachkommen / gemeinlich / und sonderlichen die obgeschrieben unser new gegeben Freyheiten / Gnaden / Schutz / Schirm / Sicherheit und Elent haben / dabey bleiben / und weder in gemein oder insonderheit daruber / weder mit Raub / beschädigung / ihrer Leib / Haab und Güter / noch Außtreibung und Beschliessung ihrer Synagogen / noch sonst in ander wege nicht beleydigt / beschwert / belestigt / oder bekümmerrt werden / Sondern sie und ihre Nachkommen / die gerühiglich gebrauchen und geniessen sollen / und mögen / von allermenniglich unverhindert.
Und ob hierüber auß Vergessenheit / und ungestüm anhalten / von Uns / oder unsern Nachkommen am Reich / etwas / das obbestimpter / und diesen unsern Freyheiten zu wider seyn / außgehen / oder gegeben würde: Deßgleichen wo denen zu wider einiger Vertrag / oder anders / ohn unser Wissen und Bewilligung auffgericht / oder fürgenommen were / das alles soll hiewider kein Wirckung / Krafft noch Macht haben / sondern gantz unbündig / unnkräfftig unnd unschädlich seyn / Dann wir solches alles / und jedes besonder / jetzt als dann / und dann als jetzt / auffheben / cassiren / abthun und vernichten in Krafft diß Brieffs.
Und gebieten darauff allen unnd jeglichen Churfürsten / Fürsten / Geistlichen und Weltlichen / Prelaten / Grauen / Freyen / Herrn / Rittern / Knechten / Hauptleuthen / Landvögten / Bitzthumben / Vögten / Pflegern / Verwesern / Amptleuthen / Schultheyssen / Bürgermeistern / Richtern / Rähten / Bürgern / Gemeinden / und sonst allen andern / unsern und deß Reichs Underthanen / und Getrewen / in was Würden / Stands / oder Wesens die seyen / gegenwertigen und künfftigen / ernstlich mit diesem Brieffe / und wollen / daß sie die vorberührte unser
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unser Jüdischeit in gemein / und sonderheit / den obbestimpten Päpstlichen Erklärung / unnd unserer Vorfahren am Reich / und diesen unsern Freyheiten / Privilegien / Confirmation / Schutz / Schirm / Sicherheit unnd Eleyt / gänzlich bleiben / die an ihnen stett und fest halten / deß alles gerühiglich gebrauchen und geniessen lassen / unnd von unsern deß Reichs wegen darben festiglich handhaben / schützen und schirmen / und hierwider nicht thun / und deß jemands andern zu thun gestatten / in keinerley weise noch wege / als lieb einem jeden sey unser und deß Reichs schwere Ungnad / und Straff / unnd dazu ein Peen / nemblich fünffzig Marck löthigs Golds zu vermeiden / die ein jeder / so offt er freffentlich hierwider thete / Uns halb / in unser und deß Reichs Cammer / und den andern halben Theil gemeiner Jüdischeit / oder dem Beleydigten / unablößlig zu bezahlen verfallen seyn soll / ohne gefährde.
Mit Urkundt diß Brieffs besiegelt mit unsern Keyserlichen anhangenden Innsigel / Geben in unser deß Reichs Statt Speyr / am dritten Tage deß Monats Aprilis / nach Christi unsers HERRN und Seligmachers Geburt / fünfftzehenhundert / und im vier und viertzigsten / unsers Keyserthumbs und vier und zwentzigsten / uns unserer Reich im neun und zwenzigsten Jahren.
Und uns darauff demüthiglich angeruffen / und gebetten / daß wir ihnen obgeschriebene Privilegien und Freyheit / als Römischer Keyser zu ernewern / zu confirmiren unnd zu bestetten / in massen auch hievor von weyland unserm lieben Herrn und Vattern Keyser Maximilianen dem Andern / hochmilter unnd Gottseliger Gedächtnuß / beschehen / gnädiglich geruheten.
Deß haben Wir angesehen solch ihr demüthig zimlich Bitt / und darumb mit wolbedachtem Muth / gutem Raht / und rechter Wissen / gemelter gemeiner Jüdischeit im heiligen Reich / obinserirte Keyser Carls Privilegien und Freyheiten / in allen iren Worten / Puncten / Clausuln / Artickeln / Innhaltungen / Meynungen und Begreiffungen / als Römischer Keyser / gnädiglichen ernewert / confirmirt bestett / Erneweren / confirmiren unnd bestetten ihnen die auch hiemit / von Römischer Keyserlicher Macht / Vollkommenheit / wissentlich / in Krafft diß Brieffs / was wir ihnen von Rechts und billigkeit wegen daran zu confirmiren / zu bestetten / und zu ernewern haben / cinfirmiren / bestetten / uund ernewern sollen / und mögen: Unnd meynen / setzen / und wollen / daß obinserirte weyland unsers Herrn Anherren Keysern Carls Privilegien und Freyheiten in allen und jeden ihren Worten / Puncten / Clausuln / Artickeln / Inhaltungen / Meynungen und Begreiffungen / kräfftig unnd mächtig seyn / stett / fest und unverbrüchlich gehalten und vollzogen werden / Unnd sich gemelte gemeine Jüdischeit / in gemein und insonderheit desselben alles ihres Inhalts frewen / gebrauchen / und geniessen sollen unnd mögen / von allermenniglich unverhindert.
Ob auch hieruber auß Vergessenheit / oder auff jemands ungestüm anhalten / von Uns / oder unsern Nachkommen am Reich etwas / das obinserirten Freyheiten zu wider seyn möcht / außgehen würde / Deßgleichen / wo denen zu wider einige Verträg / oder anders / ohn unser Wissen unnd Bewilligung auffgericht / oder fürgenommen weren / oder würden / das alles soll unkräfftig / unbündig / und von Unwürden / und gemelter gemeiner Jüdischeit an obgeschriebenen Privilegien unschädlich seyn / wie wir denn solches alles und jedes hiemit von obberührter unserer Keyserlichen Macht / Vollkommenheit / jetzt als dann / und dann als jetzt / auffheben / cassiren / abthun / vernichten / von Unwürden und Unkräfften erkennen / in Krafft diß Brieffs.
Unnd gebieten darauff allen und jeglichen Churfürsten / Fürsten / Geistlichen und Weltlichen / Prelaten / Grauen / Freyen / Herrn / Rittern / Knechten / Hauptleuthen / Landvögten / Bitzthumben / Vögten /
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Vögten / Pflegern / Verwesern / Amptleuthen / Schultheyssen / Bürgermeistern / Richtern / Rähten / Bürgern / Gemeinden / und sonst allen andern / unsern und deß Reichs Underthanen / und Getrewen / was Würden / Stands / oder Wesens die seyen / gegenwertigen und künfftigen / ernstlich mit diesem Brieffe / und wollen / daß sie gemelt gemein Jüdischeit / in gemein / unnd sonderheit / bei obgeschriebenen Keyser Carols Privilegien und Freyheiten / und dieser unser Keyserlichen Confirmation / Bestettigung und Ernewerung / gerühiglich bleiben / deren unverhindert frewen / gebrauchen / und geniessen lassen / auch von unser und deß Reichs wegen dabey handhaben / schützen und schirmen / und sie daran nich irren noch verhindern / auch hierwider nicht thun / noch deß jemands andern zu thun gestatten / in kein weiß noch weg / als lieb einem jeden sey / unser / und deß Reichs schwere Ungnad und Straff / und darzu ein Peen / nemlich sechtzig Marck löthigs Golds zu vermeiden / die ein jeder / so offt er freffentlich hierwider thete / Uns halb in unser deß Reichs Cammer / un den andern halben Theil gemeiner Jüdischeit / und denen / so hierwider beleydiget würden / unabläßlich zu bezahlen verfallen seyn solle.
Mit Urkundt dieses Brieffs besiegelt mit unsern Keyserlichen anhangenden Innsiegel.
Geben in unser Statt Preßlaw / den fünfftzehenden Tag des Monats Junii / nach Christi unsern lieben HERRN und Seligmachers Geburt / fünfftzehenhundert und im sieben und siebentzigsten / unserer Reich / des Römischen im andern / deß hungarischen im fünfften / und des Behaimischen auch im andern Jahr.
Rudolff.
Vice ac nomine Reuerendissimi Domini, Dn. Archiepiscopi, Archicancellarii & Electoris Moguntini
Ad mandarum Sacrae
Vt Vieheufer. Caes. Mtis proprium
P. Obernburger
Wir der Rath der Statt franckfurt am Mayn thun kundt und hiermit bekennen daß wir einen von dem Allerdurchleuchigstem großmechtigsten und [***] lichsten fursten und herrn, Herrn Rudolfs dem Andern erwehlten Römischen Kayser Zu Allen Zeiten Mehrer deß Reichs und unserm Allergnedigsten herrn, gemeiner im h(eiligen) Reich Allergnedigst gegebene Jüdischeit Confirmation, Brieff und Privilegium welches [***] bels weiß uff Wier Ergamene Blätter geschrieben und mit Ihrer Kayserlichen Maj(estät) An einer guldenen schnur und mit roth in gelb wachs getrucktem anhangendem Insigel versigelt gewesen An Ergamen Schrifften und Kay(serlichen) Insigel gantz unverseht und sonsten durchaus unargwöhnisch gesehen befund.
Auch uff deren Alhir wohnend Jüdischeit Unterthenige Demutige Bitte dieses gegenwertige Transumpt davon so dem original durchauß von worten zu worten gleichlauttendt davon Verfertigen und dessen Allen zu Urkundt unserer Statt Insigel zu ende dieses haben ufftrucken lassen. So geschehen den Ersten Monats Tag February im Sechsehenhundert und Achten Jahre.
Transkription von Christian Siekmann
1 Innsbrucker Judenprivileg Kaiser Karl V. vom 18. Mai 1530
2 Judenprivileg Kaiser Friedrich II., Juli 1236
Das Große Judenprivileg Kaiser Karl V., gegeben zu Speyer, 3. April 1544 [> Transkription]
Der historische Kontext:
Der Anlass für die Erteilung des Privilegs war doppelt. Gegen Ende 1543 ereignete sich erneut ein Fall einer Ritualmordbeschuldigung gegen die Juden. 1541 hatte man eine solche Beschuldigung mit Hilfe der Schrift Osianders zurückweisen und damit auch die Verfolgungen gegen die Juden verhindern können. Dieses Mal konnte Josel trotz großer Bemühungen den zuständigen Bischof von Würzburg (wo der Fall sich ereignete) nicht dazu überreden, die gefangenen Juden, die insgesamt 32 Wochen im Gefängnis saßen, zu befreien, obwohl sie sich trotz schwerer Folter nicht schuldig bekannten und auch andere nicht der Tat bezichtigten. Deswegen fuhr Josel nach Speyer, wo der nächste Reichstag stattfinden sollte, um vom Kaiser Briefe zur Entlassung der gesagten Juden zu erbitten. Josel konnte dem Kaiser berichten, dass die Juden trotz der rechtswidrigen Peinigung kein Geständnis ablegten und er trug ihm auch vor, dass es schon mehrere Fälle gegeben habe, in denen die Wahrheit am Ende ans Licht gekommen war, was zur Freisprechung der Juden von diesen erfundenen Beschuldigungen geführt hatte. Schließlich konnte Josel dem Kaiser ältere Privilegien und Bullen von Päpsten wie von Kaisern vorzeigen, die die Juden vor diesen Anklagen in Schutz nahmen. Der Kaiser gab Josel Briefe, mit denen die Freilassung der gefangenen Juden erwirkt werden konnte. Noch wichtiger war, dass der Kaiser erkannte, wie wichtig es war, dass er die Juden wieder unter seine Schutzherrschaft nahm und ihre Rechte bestätigte und verkündete, und zwar in einer unmissverständlichen Sprache.
Der zweite Anlass, der mit dem ersten eigentlich untrennbar verflochten war, war die Veröffentlichung der Schrift Martin Luthers „Von den Juden und ihre Lügen “. Wie Josel schon dem Straßburger Rat darstellen konnte [4], verursachte diese Schrift an vielen Ecken im Reich Unruhen oder zumindest aufrührerische Stimmung gegen die Juden. Nachdem in den Jahren zuvor Blutbeschuldigungen und Vorwürfe wegen Hostienschändungen zurückgegangen waren, schien es, als würden diese ein Wiederaufleben erfahren.
Dass Luthers Schrift(en) [5] mit der Erteilung des Privilegs etwas zu tun hatte(n), lässt sich daran erkennen, dass einige der erwähnten Schutzmaßnahmen, die der Kaiser explizit im Text der Urkunde ausführt, als eine direkte Antwort auf den Maßnahmenkatalog betrachtet werden muss, den Luther in seiner Schrift gegen die Juden gefordert hatte. So mussten z.B. die Synagogen und Lernstuben der Juden vor Verbrennungen und Zerstörungen geschützt werden. Auch das Verbot, die Juden zu vertreiben, muss in Zusammenhang mit der neuen Judenpolitik, die Luther für die protestantischen Länder vorschlug, gesehen werden.
Der Kaiser bekräftigte in diesem Privileg den Status der Juden als Kammerknechte. Damit sollte auch seine eigene Oberhoheit über die Juden im Reich zum Ausdruck gebracht werden. Das Verbot, von den Juden zusätzliche Zölle zu verlangen, wenn diese auf kaiserlichen Wegen reisen, aber auch die Bestimmung, dass Gerichtsprozesse und –urteile nur vom Kaiser selbst geführt bzw. gefällt werden können, deuten auf diesen Anspruch des Kaisers hin. Der Grund dafür, warum der Kaiser den Status der Kammerknechtschaft der Juden hier wieder aufgreift, liegt – neben der Durchsetzung seiner universellen Macht gegenüber der partikulären Macht der Fürsten und Stände – darin, dass das „Institut“ der Kammerknechtschaft seit dem Privileg von 1530 nicht mehr urkundlich erwähnt wurde und im zeitgenössischen Diskurs der Juristen, seit dem Gutachten Johannes Reuchlins außer Gebrauch gekommen war und durch das „Institut“ der civitas Romana ersetzt wurde. Eine Neuformulierung des ohnehin schon bekannten Gegenstands der kaiserlichen Judenschutzpflicht und des Knechtsstatus der Juden erschien aus diesem Grund notwendig.[6]Interessant ist, dass sich auch in diesem Privileg kein Hinweis darüber befindet, dass der Kaiser von den Juden irgendeine Steuer oder andere Zahlungen verlangte. Wenn Josel in seinem Bericht für das Jahr 1545 [7] darüber erzählte, dass die Juden mehr als 3000 Gulden für die Kriegsanstrengungen des Kaisers gegen Frankreich aufbrachten und darüber hinaus dem Kaiser Geschenke im Wert von mehr als 400 Gulden überreichten, dann sind es Anzeichen dafür, dass finanzielle Interessen doch eine Rolle spielten, auch wenn nicht als Bedingung für die Erteilung des Privilegs.
Es zeichnet sich vielmehr eine taktische Vereinbarung zwischen dem Kaiser und dem Befehlshaber der Judenschaft im Reich ab. Die Schilderung, die Josel in seinen Memoiren für die Ereignisse im Schmalkaldischen Krieg in den Jahren 1546-47 lieferte, lassen vermuten, dass tatsächlich ein gewisser Pakt mit dem Kaiser geschlossen wurde, wonach die Juden dauerhaft die Kriegsanstrengungen des Kaisers mit Geld, Speisen oder anderen Mitteln unterstützten, und zwar unabhängig davon, wer der Gegner war. Dafür standen sie in der Gunst des Herrschers und erhielten den weitreichendsten Schutz, den der Kaiser zu bieten hatte. Allerdings muss man berücksichtigen, dass laut dem gleichen Bericht Josels das Privileg von 1544 erst 1546 auf dem Reichstag unmittelbar vor Beginn des Kriegs gegen die protestantischen Fürsten tatsächlich erstellt und erteilt wurde. Ob der Kaiser die Juden in dieser Situation unter Druck setzte und ihre Unterstützung für seine Kriegsanstrengungen verlangte, ist ungewiss. Denn darüber fehlt bisher eine präzise Untersuchung.
[4] Siehe den Brief Josels an den Straßburger Rat 1543
[5] Die Schrift „Vom Schem hamphorasch “ muss hier auch erwähnt werden.
[6] Vgl. Battenberg, S. 164f.
[7] Siehe die Einleitung zum Bittgesuch der Juden an Kardinal Farnese
Aufgabe:
1. Vergleichen sie dieses Privileg mit dem Innsbrucker Judenprivileg. Inwiefern und in welchen Punkten unterscheiden sie sich?
Gruppenarbeit:
2. Die Ausstellung bietet eine große Auswahl an kaiserlichen Privilegien. Wählen Sie drei Privilegien aus unterschiedlichen Epochen aus und vergleichen Sie sie miteinander. Anschließend stellen Sie Ihre Ergebnisse den Bestimmungen des Privilegs von 1544 gegenüber. Ist diese Urkunde tatsächlich die "bedeutendste dieser Art überhaupt"?
Zu den Erläuterungen >
Übersetzung:
Hochwürdigster [1] und erlauchtester Kardinal und Legat der Heiligen Römischen Kirche usw., allergnädigster Herr!
Eurer hochwürdigsten Eminenz [2] wir, die hier in Deutschland ein ärmliches Leben zubringenden Juden, mit demütiger Klage dar, auf welche Art und Weise uns von etlichen unseren Verfolgern, namentlich von Martin Luther und seinen Anhängern, größtes Unrecht und Unterdrückung drohen und sie auf diesem Reichstag, den sie zahlreich besuchen, versuchen, sogar andere zum selben [= Luther] hinüberzuziehen und zu ihrer Meinung zu verleiten; daß uns eine von alters her zulässige Weise der Lebensführung untersagt wird, und neue Canones und Bräuche gemäß dem vorgefaßten Urteil der Gnadenbriefe und Bullen, die uns von den römischen Päpsten und Kaisern verliehen worden sind, verordnet und errichtet werden, welche in sehr vielen Absätzen und Abschnitten für uns überhaupt unerträglich sind usw.
Weil wir daher, hochwürdigster und allergnädigster Herr, mit uns vom Heiligen Stuhl gewährten Gunstbezeigungen, Gnadenbriefen und Zugeständnissen versorgt sind, wie Eure hochwürdigste Eminenz aus diesen Umständen [3] wird leicht ersehen können, bitten wir Eure hochwürdigste Eminenz sehr eifrig darum, daß Ihr Euch dazu entschließen möget, uns Armseligen kraft Eurer Milde und Eures Einflusses dort zu helfen, wo die römische kaiserliche und die königliche Majestät nicht davon ablassen, daß wir entgegen deren und der päpstlichen Heiligkeit Bullen, Gnadenbriefe und Siegel unterdrückt werden, und es gestatten, daß gegen eine seit alters her unverbrüchlich befolgte Gewohnheit irgendeine Neuerung geschaffen oder beschlossen wird außer einer, die durch Verordnung eines allgemeinen Konzils gebilligt worden ist, wobei wir hoffen, daß die päpstliche Heiligkeit [sowie] die kaiserliche und die königliche Majestät, unsere allergnädigsten Herren, die alten und verschiedenen uns von den Päpsten und römischen Kaisern zugestandenen Bullen und Gnadenbriefe verteidigen und bewahren werden.
Daher flehen wir um der Liebe des allmächtigen Gottes willen, Eure hochwürdigste Eminenz möge willens sein, uns in dieser [Sache] Eure Hilfe und Gunst zu gewähren, damit wir nicht von dem vorgenannten Luther oder anderen seiner Anhänger nach deren gegen uns feindlich gesinnten Willen entgegen ältester und bis zum heutigen Tage löblicherweise fortgeführten Gewohnheiten unterdrückt werden, und wir bitten darüber hinaus demütig darum, daß Eure hochwürdigste Eminenz unserer Bittschrift huldvoll zustimmen und darauf eine beifällige Antwort geben wolle. Und wir werden stets bereit sein, uns dessen mit jeglichem Dienst und Eifer würdig zu erweisen.
Eurer hochwürdigsten Eminenz
gehorsamste Diener
die in Deutschland lebenden Juden
An Alessandro Farnese, Kardinal[priester] von San Lorenzo in Damaso, Vizekanzler der Heiligen Römischen Kirche
Vorgelegt beim Reichstag zu Worms im Jahre usw. [15]45
[1] Reverendissimus, -a, -um wird in den gängigen Lexika mit hochehrwürdig übersetzt; die Anrede für katholische Geistliche mit Bischofsrang bzw. –weihe ist heutzutage hochwürdigst(er).
[2] Celsitudo, -inis heißt eigentlich Hoheit; die Anrede für Kardinäle ist jedoch seit alters her Eminenz.
[3] Adiunctum, -i wird in den gängigen Lexika mit charakteristisches Zeichen, Eigenheit, (Neben-) Umstand wiedergegeben; da das zugrundeliegende Verb adiungere, adiungo, adiunxi, adiunctum aber auch anfügen, anschließen, beigeben, beifügen bedeuten kann, ist an dieser Stelle mit adiunctum möglicherweise eine Anlage / Beilage zu dem obigen Schreiben gemeint, z.B. Abschriften von päpstlichen und kaiserlichen Gnadenbriefen.
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Erläuterungen: Daniel J. Cohen
Über den Kampf der deutschen Juden gegen die Machenschaften von 1545, sie zu vertreiben. Rabbi Josef von Rosheim und der Appell an Kardinal Farnese.
Anlässlich des Jubiläums zum 500. Geburtstag Martin Luthers (1983) wurden viele wissenschaftliche und publizistische Publikationen veröffentlicht, die ein breites Spektrum von Aspekten über die Person Luthers und sein Werk, sein Wirken und seinen Einfluss – zu seiner wie zu späteren Zeiten – behandelten. Zudem fanden mehrere Symposien statt und mehrere Ausstellungen wurden organisiert, in denen eine visuelle Darstellung des Lebens und Charakters des großen Reformators präsentiert wurde.[1]
Dem Anlass gemäß wurde Luthers Theologie und deren Entwicklung viel Raum gewidmet. Darunter wurden seine Einstellung zu den Juden und der Wandel in seiner Haltung ihnen gegenüber diskutiert. Dieser Wandel fand zwischen 1523, als Luther seine Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“[2] veröffentlichte, und den 30er und 40er Jahren des Jahrhunderts statt, als er den Juden und dem Judentum mit Hassschriften und diffamierenden Äußerungen begegnete.[3] Diese Diskussionen über Luthers Haltung den Juden gegenüber[4] wurden nicht wenig von der Forschung Heiko Obermanns über die Wurzeln des Antisemitismus[5] beeinflusst – sei es durch die Akzeptanz seiner Thesen oder durch deren Ablehnung.[6]
Zwar hat die Beschäftigung mit Luthers Verhältnis zu den Juden eine lange Geschichte[7], aber erst zu unserer Zeit schilderte uns Haim Hillel Ben-Sasson die verschiedenen Reaktionen der jüdischen Zeitgenossen Luthers zu dessen Person und Wirken.[8] Nichtsdestotrotz wussten wir bisher kaum etwas darüber, wie die Juden in Deutschland aktiv gegen die Gefahren, die durch Luther und seine Anhänger verursacht wurden, agierten. Zwar wussten wir von den Fürsprache-Tätigkeiten Rabbi Josefs von Rosheim, des Repräsentanten und Bevollmächtigten der deutschen Juden, der anfänglich noch hoffte, dass dank der Reformation eine Veränderung zugunsten der Juden stattfinden würde.[9] Die neue, antijüdische Haltung Luthers und seiner Freunde – die wegen der enttäuschten Erwartung, dass die Juden sich nun bekehren würden, verursacht wurde – zwang Rosheim dazu, mit voller Kraft aktiv zu werden.[10] 1537 versuchte er vergeblich, ein Treffen mit Luther zu organisieren, um diesen darum zu bitten, den Kurfürsten von Sachsen dazu zu überreden, seine Entscheidung, den Juden die Durchreise durch sein Gebiet und die Niederlassung darin zu verbieten, zurückzunehmen.[11] Luthers Groll gegen die Juden, die Feinde des Christentums, wuchs in diesen Jahren und erreichte einen Höhepunkt in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543). Diese Schrift beinhaltete brutale Ratschläge darüber, wie man die Juden behandeln soll und wie man sich ihnen entledigt – dies waren Ratschläge, mit denen er Hundt-Radowsky und seinen Nazi-Erben in Nichts nachstanden – und zwar sollte man die Synagogen und die Häuser der Juden zerstören, sie in Dachböden und Pferdeställen (wie die Zigeuner) wohnen lassen, ihre Gebet- und Lernbücher konfiszieren und ihren Rabbinern mit dem Tod drohen, falls diese weiterhin lehrten. Darüber hinaus sollte man ihnen ihren Schutz durch den Staat entziehen, ihnen den ‚Wucher‘ verbieten, ihre jungen Männer zu körperlicher Arbeit zwingen und schließlich sei es am besten, man vertreibe sie aus dem ganzen deutschen Gebiet, wie die Franzosen, Spanier und Böhmen es schon getan hatten.[12]
Bald genug wurde Rabbi Josef klar, dass die Anführer der Reformation nicht bereit waren, die Existenz der Juden innerhalb des Reiches zu garantieren. Er fasste den pragmatischen Entschluss, den Schutz und das Wohl der Juden unter der Patronage der katholischen Herrscher zu suchen.[13]
Die größten Anstrengungen für das Wohl seines Volkes unternahm Rabbi Josef an Reichstagen, an denen man sich direkt an den Kaiser und dessen Minister wenden konnte, um Bestätigungen oder Erneuerungen für Privilegien zu erbitten. So tat er es auch 1545 während des Reichstags zu Worms, auf dem er mit dem Kaiser eine Abmachung über eine „Hilfe“ bei der Finanzierung des Kriegs gegen Frankreich traf. Folgendes liest man über die Ereignisse dieses Reichstages in Josels Memoiren:
Im Jahre ’45 zog der Kaiser, groß sei sein Ruhm, mit einem mächtigen Heer gegen den König von Frankreich und rückte bis an einen Ort in der Nähe von Paris vor. Aus diesem Anlass gingen Beamten, die mit Vollmacht versehen waren, im Lande umher, um die Juden Deutschlands zur Kriegskontribution zu verpflichten: dreitausend Gulden in vierzehn Batzen pro Gulden und davon vierhundert Kronen zum Privatgebrauch des Kaisers; außerdem noch ein Geschenk von tausend Gulden. Und wir taten drei viertel aus Gold für jede Hudert. Und an diesem Tag[14], als ich in der heiligen Gemeinde Schu“m [??"?= Speyer, Worms und Mainz; Anm. d. Übers., A.S.] war, wollten alle Minister und Fürsten den Kaiser, gelobt sei sein Ruhm, aufsuchen und die Juden vertreiben, bis ein guter Mann, in Erinnerung geschätzt, aufstand, und sprach, dass dies nicht die richtige Art sei, die Juden zu behandeln, weil es nach der Religion und Tradition geboten war, im Reich Juden leben zu lassen und so tilgte er ihren bösen Plan, aber in den Städten Mainz, Esslingen, Landau hat man die Juden vertrieben und seitdem sind andere Fälle(?)…[15]
Der Vorschlag, die Juden aus dem gesamten Reichsgebiet zu vertreiben, wurde in der Tat durch eine Ständekommission gemacht, die „zur Beratung einer guten und beständigen Polizei“ berufen worden war, damit die Untertanen keinen Schaden wegen Zinszahlungen an die Juden hätten, und damit diese nicht für den türkischen Feind ausspähen würden.[16]
wenn Gaertz diese Affäre in seinem Buch „Die Geschichte der Juden“ behandelt , stützt er sich auf die Notizen Josefs von Rosheim über den Vertreibungsvorschlag aus diesem Reichstag. Seine These ist , dass der „gute Mann“, der sich für das Recht der Juden, im kaiserlichen Gebiet weiterhin leben zu dürfen, eintrat, kein anderer war als der Kardinal Alexander Farnese, der Enkel Papst Paulus III., der Beschützer der Marranen in Portugal.[17] Obwohl Graetz keine Belege für seine These bringt[18], wiederholt sie Ludwig Feilchenfeld in seinem Buch über Rabbi Josef von Rosheim[19], während Selma Stern sie in ihrer Biographie über Rosheim nicht beachtet. Sie schreibt lediglich, dass es Grund zur Annahme gibt – nach Rosheims eigenen Aussagen – dass der „gute Mann“ anscheinend ein frommer Katholik war, weil er sich auf die ältere christliche Lehre stützte, die besagte, dass man sich der Juden, wiewohl sie zu ewiger Sklaverei verdammt seien, nicht entledigen dürfe, damit sie durch ihre Existenz und ihre Leiden Zeugnis für die Wahrhaftigkeit der biblischen Prophezeiungen ablegten.[20]
Und da kam das „Lutherjahr“ und mit ihm der Beweis für Graetz‘ These. In einer Ausstellung über das Thema „Luther in Marburg“, die Ende 1983 im Staatsarchiv derselben Stadt gezeigt wurde, wurde eine Kopie des Gesuchs der deutschen Juden an „Alessandro de Frenesio, den Kardinal der St. Laurentius Kirche in Damaso[21] und Vizekanzler der heiligen Kirche in Rom“, „den Gesandten des Papstes“[22] ausgestellt. Das Erstellungsdatum steht zwar nicht auf diesem in Latein verfassten Dokument, aber auf der Rückseite findet man folgende Anmerkung: „wurde am kaiserlichen Reichstag in Worms 1545 überreicht“. Diese Versammlung war für März desselben Jahres einberufen, aber der Kaiser kam erst am 16. Mai und Farnese selbst traf erst am darauffolgenden Tag ein und blieb bis zum 27. desgleichen Monats in Worms.[23]
In diesem Brief[24] beklagen sich die „Juden, die in Deutschland leben“, über die Gefahr, der sie vonseiten ihrer Verfolger, das heißt von Martin Luther und seinen Anhängern, ausgesetzt seien. Diese nähmen zahlreich an der Versammlung am Reichstag teil und die versuchten, die anderen Teilnehmer von der Richtigkeit seiner Theologie zu überzeugen. Sie strebten danach, so die Juden, Kirchengesetze und bestimmte religiöse Riten zu erneuern, und deswegen forderten sie, unerträgliche Beschränkungen über die Juden zu verhängen. Diese Forderungen jedoch verletzten die Privilegien und Bullen, die Päpste und Kaiser ihnen erteilt hatten. Um ihr Bittgesuch zu rechtfertigen, fügten die Juden Kopien der Privilegien hinzu, die sie von den Päpsten bekommen hatten.[25] Sie betonten zudem, dass auch die Kaiser gegen die Verletzung von erteilten Schutzbriefen, Privilegien und Bullen sowie gegen jedwede Erneuerung seien, die der bestehenden Tradition widerspräche – es sei denn, diese würde in einem allgemeinen Konzil bestätigt. Des Weiteren wird die Hoffnung gehegt, dass der Papst und der Kaiser die Rechte der Juden beschützen würden. Deswegen bitten die Juden Farnese darum, dass er ihnen – in Gottes Namen – Hilfe und Unterstützung gewährt, weil Luther und seine Anhängerschaft voller Feindseligkeit versuchten, sie zu unterdrücken. Am Ende ihres Schreibens bringen die Schreiber die Hoffnung zum Ausdruck, eine positive Antwort zu erhalten.
Wer war also dieser Kardinal Farnese? Es war Alexander, der älteste Sohn Luigis, des Fürsten von Parma, der 1520 geboren wurde. Mit 14 Jahren wurde er durch seinen Großvater, Papst Paulus III. zum Kardinal ernannt. Während seines Lebens erfüllte er mehrere Funktionen im Dienst der Kirche und war Förderer von Gelehrten und Künstlern. Er starb 1589 und wurde in der ‚Il Gesù‘ Kirche in Rom begraben, die er selbst 1568 erbauen ließ. Der Bruder Alexanders, Ottavio, wurde der Nächste Fürst von Parma. Er heiratete 1542 Margarita von Österreich, die außereheliche Tochter Kaiser Karls V. Sein Großvater, der Papst, schickte Farnese zu einer heiklen diplomatischen Mission nach Worms, wo er mit dem Kaiser über die Beteiligung des Papstes im kommenden Krieg gegen die im Schmalkaldischen Bund verbündeten protestantischen Fürsten verhandeln sollte. Darüber hinaus sollte er sich mit ihm über das Konzil besprechen, das im Dezember 1545 in Trient stattfinden sollte.[26]
Josef von Rosheim nennt zwar nicht explizit den Namen des „guten Mannes“, aber es besteht kein Zweifel, dass es Farnese war, der direkt oder indirekt den Vertreibungsplan an diesem Reichstag vereitelte. Unser Dokument wirft also neues Licht auf die komplexen diplomatischen Aktivitäten, welche die Juden im Reich unternommen, um ihre Rechte zu verteidigen. Dies ist ein weiterer Beweis für den aktiven Kampf [der Juden (Anm. d. Übers.)] gegen Luther und gegen den Einfluss seiner Lehre. Damit wird auch derjenigen These widersprochen, die einen Unterschied zwischen Luthers Theologie und den davon hervorgerufenen Folgen nach dessen Tod (1546) machen will.[27]
Und wer hätte der Initiator dieses Bittgesuchs sein können? Wir wissen von keiner anderen Persönlichkeit, welche die Juden in dieser Epoche repräsentiert und oft Denkschriften und Gesuche an den Kaiser, Fürsten und Stadträte verfasst hätte, außer Rabbi Josef von Rosheim. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass auch dieses Gesuch ihm zuzuschreiben ist, und dass er die Hilfe eines Menschen in Anspruch nahm, der im Latein der Renaissancezeit kundig war.
Es bleibt dennoch die Verwunderung darüber, dass Rosheim in seinen Memoiren keinen Hinweis auf diesen Brief und auf seine Rolle in dieser Fürspracheaktivität hinterlässt. Doch auch über andere Aktivitäten, die er schildert, verrät er uns oft seine Rolle nicht.[28] Allerdings lassen sowohl die Argumente, die er in seinem Brief an den Rat von Straßburg schildert[29], als auch die Berichte aus seinen Memoiren keinen Zweifel über die Identität des Urhebers dieses Schreibens. Dieses Dokument ist also ein weiterer Ausdruck der breitgefächerten politischen Aktivität des Rabbi Josef von Rosheim in seinem Kampf um die physische Existenz seiner Glaubensbrüder im Kaiserreich. Dieser Kampf war, wie Josel in seinen Erinnerungen selbst bezeugte, bis auf wenige Fällen mit Erfolg gekrönt, denn eine Gesamtvertreibung der Juden aus Aschkenas wurde verhindert.
Allerdings gab Rabbi Josef die Fälle, die er erwähnte – die Vertreibungen aus Mainz, Esslingen und Landau – nicht mit Exaktheit wieder. Es kann daran liegen, dass mindestens zwei Jahre vergangen sind zwischen der geschilderten Ereignissen und 1547, der Zeit, in der er diese niederschrieb. Gaertz erinnert, als er Rosheim zitiert, lediglich an die Vertreibungen aus Esslingen und Landau und erwähnt Mainz nicht – wahrscheinlich weil er keine Belege dafür fand.[30] Allerdings fand in Wirklichkeit keine vollständige Vertreibung in Esslingen statt – der Stadtrat lehnte es lediglich ab, die Schutzbriefe der Juden zu erneuern, die nun nach 14 Jahren ausgelaufen waren, und die Juden mussten deswegen die Stadt verlassen.[31]
Die Situation in Landau war anders. Unter dem Artikel ‚Landau‘ in der jüdischen Enzyklopädie in deutscher Sprache, und folglich auch in der englischen Ausgabe[32], wird zwar die Vertreibung aus dem Jahr 1545 erwähnt. Allerdings findet man keine Erwähnung dafür in Löwensteins Buch über die Geschichte der Juden in der Kurpfalz.[33] Mehr noch, eine Betrachtung der Forschung über die Geschichte der Gemeinde in Landau, die auf die Protokolle der Stadt beruht, beweist unzweideutig, dass zwischen 1541-2 den Stadtjuden zwar einige Beschränkungen im Handel auferlegt und dass im Juli 1547 (also nach Abschluss des Reichstages) Einschränkungen für auswärtige Juden, die in der Stadt Handel treiben wollten, erlassen wurden. Aber weder zu dieser Zeit noch später wurde die Niederlassung der Juden in der Stadt verboten.[34]
Summa summarum: Zweifelsfrei mussten die Juden in mehreren Städten und Territorien in Deutschland eine weitere Verschlechterung ihrer Situation infolge der Reformation erleiden, denn diese führte oft zu Vertreibungen. Rabbi Josef von Rosheim verstand schon 1536, was für eine unruhestiftende Rolle Luther und seine antijüdischen Schriften bei dem Erstarken der Vertreibungstendenz spielten. Er sah in Luther und in dessen Lehre eindeutig einen entscheidenden, negativen Faktor für die Juden im Reich.[35] Es ist wahr, dass seine Rettungsversuche in dieser Epoche gescheitert sind und dass man in den Vertreibungen aus norddeutschen Städten wie Braunschweig[36] und Hildesheim[37] ein Erstarken dieser Tendenz erkennen kann. Dennoch war es sein größter Erfolg, dass er die totale Vertreibung vom gesamten Territorium des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation zu verhindern wusste, und das dank des Erwerbs der Unterstützung des päpstlichen Gesandten, Kardinals Alexander Farnese, des anonym gebliebenen Beschützers der deutschen Juden – ein „guter Mensch, in Erinnerung geschätzt“.
[1] Als Beispiel soll die breitgefächerte Ausstellung im deutschen Nationalmuseum in Nürnberg genannt werden. Siehe den prächtigen Katalog: Martin Luther und die Reformation in Deutschland, Ausstellung zum 500. Geburtstag Martin Luthers, hrsg. v. M. Bott, Frankfurt a/M 1983. Darüber hinaus siehe Anm. 22.
[2] Daß Jhesus Christus eyn geborner Jude sey, Wittenberg 1523, in Luthers Werke, Weimarer Ausgabe (=WA), Bd. 11, S. 314-336.
[3] Von den Jüden und jren Lügen. Wittenberg 1543; WA 53, S. 417-552; Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi, 1543, WA 53, S. 579-648 u.a.
[4] Zum Beispiel an der evangelischen Akademie in Müllheim am Rhein im Februar 1983. Die Diskussionen, an denen auch Juden teilnahmen, beschäftigten sich auch mit dem Verhältnis der protestantischen Kirche zum Judentum im Allgemeinen und in der Hitlerzeit insbesondere. Diese Tagung konnte nur deswegen stattfinden, weil die Organisatoren darauf bestanden, dass man diesem schmerzlichen Thema nicht ausweicht. Alle Beiträge wurden veröffentlicht (siehe unten, Anm. 6).
[5] H.A. Obermann, Wurzeln des Antisemitismus, Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation, Berlin 1981. Vgl. die Kritik von Ben-Zion Dagani, Zion, 1984, S. 427-429; beide Autoren nahmen am Symposion in Müllheim teil (Siehe Anm. 4).
[6] Die Juden und Martin Luther – Martin Luther und die Juden: Geschichte, Wirkungsgeschichte, Herausforderungen, hrsg. v. H. Kremers u.a., Neukirchen-Vluyn 1985.
[8] Haim-Hillel Ben-Sasson, "??????? ??? ???????????" (= die Juden und die Reformation), Proceedings of the Israel Academy of Sciences and Humanities, vol. 4, Nr. 5, Jerusalem 1970, S. 62-116.
[10] S. Stern, Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, Stuttgart 1959. Vgl. auch E.W. Kohl, Die Judenfrage in Hessen während der Reformationszeit, Jahrbuch der hessischen Kirchengeschichtliche Vereinigungen XXI (1970), S. 87-101.
[12] Lewin (wie Anm. 7), S. 81-84. Vgl. auch W. Maurer, Die Zeit der Reformation, in: K.H. Rengstorf und S.v. Kortzfleisch (hrsg.), Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden, Bd. 1, Stuttgart 1968, S. 375-429, insb. S. 419ff.
[15] I. Kracauer, Rabbi Joselmann de Rosheim (Journal de Joselmann), REJ, XVI, 1888, S. 94, Nu. 27. Vgl. Rabbi Josefs Schreiben an den Rat der Stadt Straßburg 1546: “Dann man sollichs in keinem gesatz, göttliche oder weltl., geschribne rechte oder nateurliche vinden kann, das man gegen uns armen on erkant alle rechten das unser sollt nehmen oder von unser wonung us den oberkeiten sollt verjagen. Dann offenbar ist auch war, das auf nechst gehaltenem reichstag zu Wormbs ime 45. Jar vor allen stenden ein umfrag geschehen uf etliche unsere missginer vermeinte, uns armen Deutschland zu verweisen, aber durch die gnod des allmechtigen von cor und fürsten und alle stend und gesandten hochverstendige erkant und usgesprochen worden. das sollichs nit zu thun ist, und wie von alter her ire oberkeit ire juden bei kais. Mt. Und der röm. Reich schutz, schirm und geleit halten mag, von menigl. Unverletzt etc.“, L. Feilchenfeld, Rabbi Josel von Rosheim, Strassburg 1898, Beil. XXI, S. 192-193.
[17] H. Graetz, Geschichte der Juden, IX. (18913), S. 302. Die Behandlung dieser Affäre fehlt in den ersten beiden Auflagen des Buchs und wurde erst nach der Veröffentlichungen Kracauers (wie Anm. 15) hinzugefügt.
[18] Es ist möglich, dass er sich auf L. von Rankes „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation“ stützte. Siehe ebd. Bd. IV, Leipzig 18684, S. 273-274.
[21] Die Basilika von St. Laurentius in Damaso ist Teil des ‚Palazzo della Cancelleria‘, der bis heute zum Vatikan gehört.
[22] F. Wolff, Luther in Marburg – Ausstellung des Hessischen Staatsarchivs Marburg anläßlich des 500. Geburtstages Martin Luthers, 21.10 -01.12.1983 (Marburger Reihe (19), Marburg/Lahn-Witzenhausen 1983, S. 47, Nr. 84. Ich bin Fritz Wolff, dem Leiter des Staatsarchivs Marburg, dafür dankbar, dass er mich auf dieses Dokument aufmerksam machte, als ich Marburg im Dezember 1983 besuchte, und dafür, dass er dafür sorgte, dass ich eine Kopie davon zugesandt bekomme. Es ist nicht mehr in Erfahrung zu bringen, wie die Quelle in das Grafenarchiv in Waldeck gelangt ist – Wolrad II. war auf jeden Fall an diesem Reichstag anwesend und er erhielt wahrscheinlich seine Kopie von dort.
[23] Siehe: P. Kannengießer, Der Reichstag in Worms im Jahre 1545, Strassburg 1891, sowie Ranke (wie Anm. 18) S. 257 und 274 Anm. 2. Leider wurden die Verhandlungen dieses Reichstages noch nicht veröffentlicht.
[25] Diese Kopien sind nicht vorhanden. Vermutlich handelt es sich um die Bestätigung des Privilegs, das Papst Martin V. 1418 den Juden in Deutschland, Savoyen und Brüssel erteilte, oder um ein ähnliches Dokument von 1429 – oder vielleicht sogar um die ‚Sicut Judaeis‘ Bulle von 1422. Siehe: M. Stern, Urkundliche Beiträge über die Stellung der Päpste zu den Juden, Kiel 1893-1895, Nos. 9, 21, 31.
[26] Siehe: C. T. Frangipane, Memoire sulla vita ed i fatti de cardinale Alessandro Farnese, Rome 1876.
[27] Siehe: L. Siegele-Wenschkewitz, „Wurzeln des Antisemitismus in Luthers theologischem Antijudaismus“, in: Die Juden und Martin Luther (wie Anm. 6), S. 355 in ihrer Auseinandersetzung mit Obermann.
[30] Kracauer (Anm. 15) S. 101 übersetzte: l’electeur de Saxe (obwohl in den handschriftlichen Memoiren Mainz ausdrücklich benannt wird, wie er selbst im Text schreibt). Kracauer wollte damit sagen, dass Rosheim sich in der Tat auf die Vertreibung aus Sachsen bezogen hatte, die schon 1536 stattgefunden hatte, während die Erneuerung des Privilegs 1543 gegeben wurde – das heißt vor dem Ereignis im Reichstag zu Worms von 1545 (Siehe Anm. 11).
[31] Stadtarchiv Esslingen, Fasz. 35: R. Overdick, Die rechtliche und wirtschaftliche Stellung der Juden in Südwestdeutschland im 15. und 16. Jahrhundert, dargestellt an den Reichsstädten Konstanz und Eßlingen und an der Markgrafschaft Baden, (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen) XV, Konstanz 1865, S. 77-81.
[32] Encyclopaedia Judaica, X, Berlin 1934, Sp. 580; Encyclopaedia Judaica, X, Jerusalem 1970, Sp. 1384.
[35] Siehe seine Memoiren (wie Anm. 15), S. 92, Z. 22. Zweifelsohne bekräftigen seine Äußerungen und das Schreiben an Kardinal Farnese die Aussagen L. Siegele-Wenschkewitz (siehe Anm. 27).
[36] R. Rieß, „Zum Zusammenhang von Reformation und Judenvertreibung: das Beispiel Braunschweig“, Civitatum Communitas, Studien zum europäischen Städtewesen, Festschrift Heinz Stoob zum 65. Geburtstag, Bd. 2, Köln-Wien 1984, S. 630-654.
[37] P. Aufgebauer, „Judenpolitik im Zeitalter der Reformation, vornehmlich in Norddeutschland“, Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart, Zeitschrift des Vereins für Heimatkunde im Bistum Hildesheim, LI (1983), S. 27-44, bes. S. 38ff.
Dieses Dokument ist aus Luthers letzter Predigt entnommen, die er drei Tage vor seinem Tod am 18.02.1546 gehalten hat. Der Text zeigt eindeutig, dass Luther den Versuch, die Juden dem Evangelium anzunähern, aufgegeben hat. Den Christen bleibt keine Alternative als die Vertreibung der Juden, wenn diese sich nicht bekehren.
Aufgaben:
Luther Klage, dass die Juden Jesus und Maria täglich lästerten klingt so, als wäre dies ein essentielles Merkmal der Juden. Eine der ersten Äußerungen Luthers über die Juden besagte das gleiche (sehen Sie die Einleitung zu diesem Ausstellungsraum).
1) Inwiefern hat sich seine Meinung geändert und inwiefern ist sie konstant geblieben?
2) Welche Motiv(e) bewegten Luther diese Warnung gegen die Juden zu predigen?
3) Betrachtet man Luthers verschiedene Äußerungen über die Juden während seines Lebens, kann man diese Predigt als Luthers Vermächtnis bezeichnen?
Augsburger Judenprivileg Karl V., auf Klagen des Joseph von Rossum [Josel von Rosheim] unter Bestätigung des Judenprivilegs von Speyer 1544, gegeben am 30. Januar 1548
Als Kaiser Karl V. dieses Privileg bestätigte, befand er sich auf der Höhe seiner Macht. Er konnte in den Jahren zuvor die Grenzen seines Reiches vor einer auswärtigen Gefahr sichern, indem er einen Vertrag mit den Türken abschloss, der den Krieg vorübergehend beendete. Zeitgleich konnte er Franz I. von Frankreich militärisch besiegen und diesen im Frieden von Crépy dazu zwingen, sein Bündnis mit den Türken aufzugeben. Auch nach innen konnte der Kaiser seine Macht festigen und ausbauen. Sein Sieg im Schmalkaldischen Krieg und die Gefangennahme der Anführer der Protestanten, Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen, brachte ihn in eine sehr günstige Position, aus der er auf dem Reichstag in Augsburg 1548 seine kirchenpolitischen Vorstellungen weitgehend durchsetzen konnte. Unter anderem gelang es ihm, „mit der Kircheneinheit und Kirchenreform auch das Verhältnis zu der Judenschaft des Reiches auf der Basis des kanonischen Rechts zu klären“.
Diese Macht schlug sich vor allem in den verabschiedeten Bestimmungen der Reichspolizeiordnung dieses Reichstags nieder, die dann zum ersten Mal das Geldgeschäft auf Reichsebene rechtlich erlaubte. Aber auch die Bestätigung des Privilegs von 1544 kann zugleich als Anzeichen dafür angesehen werden, dass der Kaiser darauf vertraute, dass sein Befehl nun aufgrund der veränderten politischen Situation und aufgrund seiner dazu gewonnenen Macht befolgt würde.
Wortlaut des Privilegs:
Wir Karl der fünft, von Gotts gn. röm. kaiser , zu allen zeiten merer des reichs, in Germ., zu Hisp., baider Sicil., Jherus., Hung., Dalm., Croat. etc. kunig, erzherzog zu Osterr., herzog zu Burg. etc., grave zu Hapsp., Fland. u. Tyrol etc., empieten allen und jegl. churfürsten, fürsten, gaistlichen u. weltl., prelaten, graven, freien, herren, rittern, knechten, hauptl., landvögten, vitzthumben, vögten, pflegern, verwesern, amtl., schulth., burgerm., richtern, räthen, burgern, gemeinden und sunst allen andern unsern und des reichs underth. und getreuen, in was wirden, stadts oder wesens die sein, den diser unser brief od. glaubwird. abschrift davon fürkumt, damit ersucht und ermanet werden, unser gnad und alles guts. Hoch- und ehrwirdigen, hochgebornen lieben freund, neven, ohaimen, churfürsten und fürsten, wolgebornen, edlen, ersamen, andächtigen und lieben getreuen!
Uns hat Josel jud von Rosshaim, unser gemainer jüdisch. im hail. reiche teutscher nation bevelchhaber, clagsweis fürgebracht, wie das etliche juden über und wider ire freihaiten, privilegien, schutz, schirm und glait, damit si von bäpsten, gemainen concilien, unsern vorfarn am reiche, röm. kaisern u. künigen, säliger u. lobt. gedächtnus, uns u. dem hail. reiche gnädigl. begabt und fürsehen weren, auch unsern und des hail. reichs aufgerichten landfriden, und sonder]. auch wider unser kais. mandat, derselben unserer gern. jüdisch. halben auf unserm nächstgehaltenem reichstag zu Speyr des 44. jars1 der mindern jarzal ausgangen, uber das, so ainem jeden, so spruch und vorderung zu inen samtlich oder sonderl. zu haben vermaint, vor uns, unserm kais. cammergericht od. an den enden, da sich dasselb gebüre, rechtens nie vorgewesen und noch nit seien, gewaltiglich, fürneml. auf unser und des hail. reichs strassen, und auch in etl. stetten, märkten und dörfern an iren leiben, haben u. gütern mit mörden, todschlagen, rauben, wegfüren, gefengnus, austreibung irer heusl. wonungen, zerstörung und versperrung irer sinagogcn und schulen, auch an glait- und zollgelt merklichen beschedigt, helaidiget, beschwärt und gestaigert werden. Und wiewol sie etlich aus euch diemütigl. angerufen u. gebeten, gegen denen, so sie also beschedigt und beschwärt, nach vermüg des reichs landfridens, unser schutz, schirm und glaits zu handlen, auch bei iren freihaiten, privilegien, schutz, schirm und glait beleihen und sie darüber obbemelter massen nit dringen oder belaidigen zu lassen, so haben sie doch bei euern ains teils dasselb nit bekommen noch erlangen mögen. Das gemainer jüdisch. zu merkl. beschwärung, schaden und nachtail reichte, und sich des gegen uns abermals höchl. beschwärt und uns darauf diemüt.igl. angerufen und gebeten, gemainer jüdisch. hierin mit unser kais. hilf gnädigl. zu erscheinen, die zu schützen und zu schirmen. Und dieweil uns dann als röm. kaiser gebart, ainen jeden bei recht und seinen habend. freihaiten zu handhaben und vor unbilliebem gewalt zu schützen u. zu verhüten, des auch zu thun genzl. gemaint sein, und darauf die gemelt jüdisch. hievor in unsern u. des hail. reichs schutz und schirm genommen und ine unser u. des reichs freie sicherh. und glait für gewalt u. zu, recht gegeben haben laut unsers briefs, darüber ausgangen:
Demnach gebieten wir euch allen und euer jedem insonders bei vermeidung unser u. des reichs schwären ungnod und straf u. den peenen, in jetz gedachtem unserm schutz, schirm und glaitbrief u. der jüdisch. freihaiten u. privilegien begriffen, von röm. kais. macht ernstl. mit disem brief und wöllen, das ir dieselb unser gern. jüdisch. samentl. u. sonderl.'bei ohbestimten bäpstl., gemainer concilien, aller unserer vorfarn am reiche u. desselben zugethanen fürstenthurnben, grafschaften, hersch., landen, stetten u. gebieten sicher handlen u. wandlen lasset u. darüber ir leib, hab od. güter nicht. beschediget od. belaidiget, auch in gemaine od. sonderh. von iren heusl. wonungen,. schulen u. sinagogen aigenthätlichs fürnemens nit treibet, noch. die zerstöret od. versperret, auch si mit neuem, ungewonl. zoll u. glaitgelt u. sonst in ander weg wider alt herkommen, recht u. billichait nit beschwäret, dringet od. staigert, noch jemands andern zu thun bevelhet, schaffet od. gestattet, auch den thätern, so also dieselb jüdisch. samtl. od. sonderl. wid. des reichs landfriden, unser kais. schutz, schirm u. glait u. disem unserm gebot u. mandat an irem leib, hab od. güte angreifen, vergwaltigen, u. beschedigen wurden, kaine hilf, fürschub . noch beistand, haiml. noch offentl., nit beweiset, in kain weise noch wege, als lieb euch u. ainem jeden seie obberürte peen u. straf zu vermeiden. Das mainen wir ernstl. Mit. urk. ditz briefs besieg. mit unserm kais. aufgetrucktem insieg.
Geben in unser u. d. reichs st. Augspurg am 30. januarii 1548 etc.
Carolus, Ad m. Cass. et Cath. maiest. pr. Jo. Obernburger.
Vt Max. Archidux.
Vt E. A. Berenot.
gedr. mit Siegel, Bez.-Arch. Strassburg, C. 78.
Gedruckt bei: Ludwig Feilchenfeld, Rabbi Josel von Rosheim. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland im Reformationszeitalter, Straßburg 1898, Dok. XXIII., S. 195-196
Lit.: Friedrich Battenberg, Das Europäische Zeitalter der Juden. Bd. I: Von den Anfängen bis 1650, Darmstadt 1990 (2. Aufl. 2000), S. 188-190 (mit sw. Abb.)
1 Das Große Judenprivileg Kaiser Karl V., gegeben zu Speyer, 3. April 1544 > Dokument
Landesbischof Martin Sasse (Thüringen), Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, November 1938 [> Transkription]
"Türkengefahr" und Islam in Luthers Werk

Denn da stehen Gottes urteil: 'Wer das schwerd nympt sol durchs Schwerd umkomen'. Denn ich widder den Tuercken odder Bapst nicht rate zu streiten seines falschen glaubens und lebens halben, sondern seines mordens und verstorens halben.
[WA 30, 2 142]
Seit der Begründung des Islams durch den Propheten Mohammed im 7. Jahrhundert und seiner raschen Expansion auf der Arabischen Halbinsel, im Nahen und Fernen Osten, in Nordafrika sowie Spanien, erstreckte sich diese "neue" Religion von der europäischen Atlantikküste bis fast an den indischen Subkontinent. Den europäischen Christen erschien dieser neue Glaube als etwas Fremdes und weckte gleichermaßen befremdliche Neugier als auch feindselige Ablehnung.
Mit den Kreuzzügen begannen schon im Jahre 1096 kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen, die sich über Jahrhunderte hinweg bis in die Zeit der Reformation hinein fortsetzten sollten. Mit dem Aufstieg des Osmanischen Reiches auf dem Gebiet der heutigen Türkei im 14. Jahrhundert und der Bedrohung europäischer Gebiete durch die Ausbreitung der Osmanen erwachte in Europa ein neuerliches Interesse am Glauben dieser fremden, türkischen Kultur. In der Folge setzten sich viele christliche Gelehrte mit dem Islam auseinander, darunter auch Martin Luther.
Die Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453, einst Hauptstadt des Byzantinischen Reiches, hatte bereits großes Entsetzen in der Christenheit ausgelöst. Die Bemühungen um einen innereuropäischen Frieden, etwa im Vertrag von London aus dem Jahre 1518 , gehen daher auch auf die zunehmende Bedrohung der christlichen Machthaber durch das aufsteigende Reich der Osmanen zurück.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts verstärkten die Osmanen ihrer Angriffe auf den Südosten Europas: 1522 begann die Belagerung der griechischen Insel Rhodos, 1526 wurde in der Schlacht von Mohács das ungarische Heer entscheidend geschlagen. In Europa verbreiteten Flugschriften bedrohliche Berichte über die Grausamkeit der Türken. Zum dauerhaften kollektiven "Trauma" der europäischen Christen und zum Höhepunkt der Angst vor der "Türkengefahr" wurde die (erfolglose) Belagerung der Stadt Wien durch die Osmanen im Jahre 1529.
Angesichts dieser Gefahr begann die römische Kirche erneut mit der Planung von Kreuzzügen, um das Osmanische Reich zurückzuschlagen. Allerdings wurden diese Pläne nie umgesetzt. Dennoch war die Frage, ob und wie man gegen die "Türkengefahr" vorgehen sollte, für die Menschen jener Epoche von großer Bedeutung. Aus diesem Grund setzte sich auch Luther sich in seinen Schriften mit dieser Frage auseinander.
Luther zum Krieg gegen die Türken
Schon in seinen 95 Thesen wider das Papsttum stellt Luther einen Bezug zur Bedrohung durch die vorrückenden Osmanen her: Er legt dar, dass der Papst in seinen Augen nur kirchliche Strafen erlassen könne, nicht eine "göttliche Züchtigung", wie er sie in den Türken sieht: "Jetzt freilich träumen die meisten und gerade die Größten in der Kirche von nichts anderem als von Kriegen gegen die Türken. Sie wollen nämlich nicht gegen ihre Ungerechtigkeiten kämpfen, sondern gegen die Rute [sc. zur Züchtung] der Ungerechtigkeit, und wollen sich [damit] Gott widersetzen, der da sagt, daß er durch diese Rute unsere Ungerechtigkeiten heimsucht, weil wir sie selbst nicht heimsuchen." [Raeder, 226]
Der Papst verurteilte diese Aussage Luthers in der Bannandrohungsbulle Exsurge Domine (1520) aufs Schärfste. Man wirft Luther vor, er predige gegen einen Krieg wider die Türken. In seiner Schrift Vom Kriege widder die Türcken (1529) [WA 30,2 107-147] nimmt Luther diesen Vorwurf auf und "gesteht": "Ich bekenne noch frech das solcher artickel mein sey und zu der zeit von mir gesetzt und verteidingt." [WA 30, 2 108]
Grundsätzlich scheint Luther tatsächlich jedwede Form des Krieges zu verdammen: "Denn das will ich keinem heiden noch Tuercken raten, schweige denn eym Christen, das sie angreiffen odder krieg anfahen (welchs ist nichts anders denn zu blut vergissen und zu verderbe raten), da doch endlich kein glueck bei ist […]." [WA 30, 2 111] Doch war Luther nie ein ausgemachter Pazifist, der Krieg und Gewalt generell ablehnte. [Raeder, 226] Im Hinblick auf die "Türkengefahr" änderte sich seine Ansicht spätestens, als er Ende des Jahres 1529 von der Belagerung Wiens durch die Türken erfuhr:
Wenn er [der Türke] yns land koempt und thut dir wie er izt vor Wien gethan hat, […] steckt [er] dir haus und hoff an, nympt dir vihe und futter, gellt und gut, sticht dich zu tod (wo dirs noch so gut wird), schendet odder wuerget dir dein weib und toechter fuer deinen augen, zuhacket deine kinder und spiesset sie auff deine zaunstecken, […] verkeufft dich daselbs we einen hund, das du dein leben lang must umb ein stieck brods und trunck wassers dienen ynn stettiger erbeit tag und nacht […]. [WA 30,2 182-183]
Angesichts dieser nun konkreten Bedrohung ändert sich seine Ansicht, sodass er im Folgenden seiner Schrift erläutert, unter welchen Umständen ein Krieg gegen die Türken gerecht und richtig sein konnte.
Im Mittelpunkt steht Luthers Auffassung, dass man auf keinen Fall im Namen des christlichen Glaubens Krieg führen solle. Derartige Rechtfertigungen von kriegerischen Handlungen verurteilt er scharf und erteilt damit auch der Kreuzzugsideologie des Papstes eine klare Absage, deren Feldzüge bereits seit dem Ersten Kreuzzug unter dem Schlachtruf des "Deus lo vult!" - "Gott will es!" - gegen vermeintliche "Feinde des Glaubens" wie Muslime und andere "Ketzer" geführt worden sind.
Aber uber alles bewegte mich, das man unter Christlichem namen widder den Tuercken zu streiten fuer nam, leret und reitzet, gerade als sollte unser volck ein heer der Christen heissen widder die Tuercken als widder Christus feinde, Welchs ist stracks widder Christus lere und namen […] Welchs ist denn die groesseste suende […] Denn es wird Christus name zu suenden und schanden gebraucht und geunehret […].
[WA 30, 2 111]
Ein solcher Versuch, so Luther, sei von Beginn an zum Scheitern verurteilt, da es sich bei der "Türkengefahr" um eine Strafe Gottes handele: "Wollen wir es nicht aus der schrifft lernen, so mus uns der Tuerck aus der scheiden leren bis wirs erfaren mit schaden, das Christen nicht sollen kriegen noch dem ubel widder stehen […]." [WA 30,2 113-114]
Der Idee des religiös motivierten Kreuzzugs gegen die Türken stellt Luther seine ganz eigene Vorstellung von angemessenen Maßnahmen gegenüber. "Ich will dich zuvor leren mit rechtem gewissen kriegen ", [WA 30,2 115] beginnt er und konstruiert in der folgenden Argumentation das sprachliche Bild zweier "Männer" mit je unterschiedlichen Aufgaben im Kampf gegen die Türken: Einerseits "Kaiser Karolus" als Stellvertreter der "weltlichen" Obrigkeit, andererseits "Herr Christianus" als Sinnbild für die gesamte "geistliche" Gemeinschaft der Christen. Mit dieser Einteilung orientiert Luther sich an der seit dem Mittelalter verbreiteten "Zwei-Schwerter-Lehre", welche das grundsätzliche Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Macht, meist übertragen auf die Ämter des römischen Papstes und des deutschen Kaisers, festzulegen versucht.
Das geistliche Schwert: Buße gegen die "Türkengefahr"
Bei der Abwehr der Gefahr durch das Osmanische Reich fällt dem "Herrn Christianus", folglich den europäischen Christen, die Aufgabe zu, die "Türkengefahr" als "Rute" Gottes zunächst als Strafe anzunehmen und entsprechend der christlichen Tradition durch umfassende Buße zu sühnen.
Denn diese man sol nicht leiblich mit dem Tuercken streiten, wie der Bapst und die seinen leren, noch yhm mit der faust widder streben, sondern den Tuercken erkennen fur Gottes ruten und zorn, welche den Christen entwedder zu leyden ist, so Gott yhre sunde heymsucht, odder allein mit busse, weinen und gebet wisse yhn fechten und veriagen muessen.
[WA 30, 2 130]
Die Sünden, die eine solche göttliche Strafe verursacht haben könnten, findet Luther inmitten der christliche Gesellschaft: Verschwendungssucht der Adeligen, Prahlerei der Bürger, Wucherei der Kaufleute, Diebstahl der Bauern und Handwerker, womöglich auch im Hinblick auf die Bauernaufstände. All diese Sünden sollten, sie Luther, die Pfarrer und Bischöfe als Verantwortliche der Kirche ihren Gläubigen eindringlich vor Augen führen und angesichts der großen Not durch die Türken zur Buße mahnen:
Würde nur fromm und ausreichend mit Gebeten gesühnt und fände man zurück zum Leben der "rechten Christen" [Vgl. WA 30,2 111], so scheint es, könne man die "Türkengefahr" letztlich doch noch abwenden. Allein um diese Form des "geistlichen" Krieges sollten sich die Vertreter der Kirche kümmern, nicht jedoch um Kreuzzüge oder ähnliche "weltliche" Angelegenheiten:
Und wenn ich Keyseer, Koenig idder Fuerst were, ym zug widdern den Tuercken wolt ich meine Bisschoff und Pfaffen vermanen, das sie daheymen blieben, yhrs Amts mit beten, fasten, lesen, predigen und armer leute warteten, wie sie nicht alleine die heilige schrift, sondern auch yhr eigen geistlich recht leret und foddert. […] dem Bapst […]nicht gepuert ein kirchen heer odder Christen heer zu fueren, denn die Kirche sol nicht streitten noch mit dem schwerd fechten.
[WA 30,2 113-114]
Das weltliche Schwert: Verteidigung durch den Kaiser
Der andere Mann, der in Luthers Augen bei der Abwehr der "Türkengefahr" eine Rolle spielt, ist "Kaiser Karolus" als Stellvertreter für jede weltliche Gewalt, also Fürsten, Könige und eben auch Kaiser. Ebenso wenig wie Angehörige des geistlichen Standes im weltlichen Geschäft des Krieges mitwirken sollen, sollen auch weltliche Herrscher nicht in das geistlichen Geschäft des Glaubens eingreifen und im Namen Christi gegen vermeintliche Feindes des Glaubens vorgehen:
Denn der keiser ist nicht das heubt der Christenheit noch beschirmer des Evangelion odder des glaubens. Die kirche und der glaube muessen einen andern schutzherrn haben denn der Keiser und Koenige sind […]. Las den Turcken gleuben und leben wie er will […]. Des Keisers schwerd hat nicht zuschaffen mit dem glauben, Es gehoert ynn leibliche, weltliche sachen.
[WA 30,2, 130-131]
Falls jedoch alle Anstrengungen zur Buße nicht erfolgreich sein und sich noch immer christliche Länder in Gefahr befinden sollten, so müsse schließlich doch der Kaiser zu den Waffen greifen: "Denn der Turcke greifft seine unterthanen und sein Keyserthum an, welcher schuldig ist die seinen zuverteidingen als eine ordenlichen Oberkeit von Gott gesetzt" [WA 30,2, 130-131].
Luther sieht es sogar als (göttliche) Verpflichtung des Kaisers und anderer weltlicher Herrscher an, ihre Untertanen gegen Angriffe durch die Türken passiv zu schützen: "[W]as der Keyser thun kann fur die seinen widder den Tuercken, das sol er thun, auff das […] doch so viel es mueglich ist mit weren und auffhalten sich befleyssige, seine unterthanen zu schutzen und retten." [WA 30,2 144] Auf keinen Fall jedoch dürfe man aktiv im Namen des Glaubens "das Schwert nehmen" und Krieg führen. [Vgl. WA 30,2 173]
Diese Ansichten über das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht sowie die Rechtmäßigkeit von Gewalt und Krieg bilden auch einen wichtigen Bestandteil von Luthers Urteil über den Islam an sich.
Luther und der Islam
Luther und seine Zeitgenossen unterschieden das türkische Volk des Osmanischen Reiches kaum von seiner Religion, dem Islam. Türke, Araber oder Muslim, das war oft einerlei und wurde häufig unter dem Begriff des "Sarrazenen" unscharf zusammengefast. Auch bleibt Luther in seinem Denken über den Islam und die Muslime stets ein mittelalterlich geprägter Christ, der dem fremden Glauben mit großem Misstrauen, Geringschätzung, oft auch Ablehnung oder gar Verachtung gegenübertritt. Obwohl man daher eine vorwiegend negative Bewertung des Islam erwarten würde, gibt es in Luthers Schriften dennoch Aspekte, die eine vergleichsweise aufgeschlossene, tolerante und sogar leicht bewundernde Haltung gegenüber den Muslimen anzudeuten scheinen. [Vgl. Lexutt, 66-67]
So lobt Luther vor allem ihren Glaubenseifer, welchen er dem geneigten (christlichen) Leser als ein erstrebenswertes Vorbild für frommen Glauben vorstellt, denn es würden "ihre priester odder geistlichen solch ein ernst, dapffer, strenge leben fueren, das man sie moecht fer Engel und nicht fuer menschen ansehen, das mit allen unsern gistlichen stand und moenchen ym Bapstum ein schertz ist gegen sie. " [WA 30,2 187]
Ähnlich wie das Leben der Geistlichen beschreibt Luther auch die islamischen Gottesdienste als Vorbild für "Zucht, Stille und schöne äußerliche Gesten". Gleichzeitig beklagt er, dass diese Eigenschaften im Christentum kaum zu finden seien. Besonders die Tatsache, dass Männer und Frauen beim Gebet in der Moschee für gewöhnlich getrennt voneinander beteten, hebt Luther als lobenswert hervor.
Zum andern wirst auch finden das sie ynn yhren kirchen offt zum gebet zu samen komen und mit solcher zucht, stille und schienen eusserlichen geberden beten, das bey uns ynn unsern kirchen solche zucht uns stille auch nirgent zu finden ist. Denn da sind die weiber an sonderlichem ort und so verhuellet, das man keine kann ansehen, das auch unsere gefangen brueder ynn der Tuercky klagen uber unser volck, das nicht auch ynn unern kirchen so stilly, ordentlich und geistlich sich zieret und stellet. […]
[WA 30,2 187-188]
Neben dem religiösen Verhalten findet Luther auch am individuellen Lebenswandel der Muslime erfreuliche Tugenden, die er "gerne auch in deutschen Landen" haben wolle. So lobt er etwa, dass Muslime nicht übermäßig Alkohol tränken, sich anständig kleideten und zurückhaltend aufträten, bescheiden bauten, nicht fluchten und ihrem Herrn gegenüber gehorsam seien.
Zum vierden wirstu sehen bey den Tuercken nach dem eusserlichen wandel ein dapffer strenge und ehrbarlich wesen: Sie trincken nicht wein, sauffen und fressen nicht so, wie wir thun, kleiden sich nicht so leichtfertiglich und froehlich, bawen nicht so prechtig, brangen auch nicht so, schweren und fluchen nicht so, haben grossen trefflichen gehorsam, zucht und ehre egen yhren Keiser und Herrn, Und haben yhr regiment eusserlich gefasset und ym schwanck wie wirs gerne haben wolltem ynn Deudschen landen. […]
[WA 30,2 189-190]
Die "äußerliche Verfassung" des Osmanischen Reiches war sehr viel mehr als etwa im Heiligen Römischen Reich auf den Herrscher als absolutes Machtzentrum ausgerichtet. Dies erschien Luther als vorteilhaft im Vergleich zum europäischen Lehnswesen, welches eine Vielzahl von Abhängigkeiten durch die Verteilung von Gütern und Herrschaften geschaffen hatte, wohingegen der Sultan "ist alleine herr uber alles ynn seinem lande, gibt nur solt [Sold] von sich und keine guter [Güter] odder Oberkeit." [WA 30,2 128-129; Vgl. auch Raeder, 228]
Doch bei aller Bewunderung der muslimischen Frömmigkeit und osmanischen Ordnung, bleibt Luthers grundsätzliches Urteil über den Wert dieser Tugenden und des Islam doch stets klar:
Denn las sich zieren, geberden wer do will und wie er wil, gleubt er nicht an Jhesu Christ, so bistu gewis, das Gott lieber hat Essen und trinkcen ym glauben, denn fasten on glauben, lieber wenig ordentlich geberde ym glauben, den viel schoener geberd on glauben. Lieber wenig gebet im glauben, denn viel gebet on glauben. […]
[WA 30,2 188]
Denn auch wenn die Muslime in manchen Dingen eine geradezu vorbildliche Lebensweise an den Tag legten, so Luther, sei diese Frömmigkeit doch letztlich nicht viel wert, da sich der Islam, in seinen Augen, auf einen falschen Gott berufe. Diese Einschätzung hängt vor allem mit der Stellung von Jesus Christus im Islam zusammen.Zwar verehrt der Islam unter den zahlreichen Propheten der abrahamitischen Religionen auch Jesus (und etwa dessen Mutter Maria). Allerdings wird Jesus im Islam nicht als der letzte, "endgültige" Prophet angesehen. Diese Rolle kommt erst dem islamischen Propheten Mohammed zu, der von Muslimen daher auch als das "Siegel der Propheten" bezeichnet wird.
Eine solche Bewertung der Gestalt des Jesus schien zwangsläufig mit dem christlichen Glauben in Konflikt geraten zu müssen, da Jesus in der Offenbarung der Evangelien eine Sonderrolle zukommt: Für die Christen ist er der von der ursprünglich jüdischen Lehre prophezeite Messias und darüber hinaus auch Gottes Sohn.
Beide Merkmale spricht das islamische Verständnis Jesus nicht zu, da zum einen erst mit Mohammed die islamische Offenbarung abgeschlossen wurde. Zum anderen sieht der Islam in einer "Vergöttlichung" des Jesus einen Widerspruch zum streng monotheistischen Glauben an den einen Gott. Für Luther als überzeugten Christen jedoch ist eine solche Leugnung des messianischen und göttlichen Wesens des Jesus vollkommen abzulehnen:
Daraus kann nur ein iglicher wol mercken, das der Mahometh ein verstoerer ist unsers Herrn Christi und seines reichs. Denn wer die stuecke an Christo verleugnet, das er Gottes son ist und fur uns gestorben sey und noch izt lebbe und regire zur rechten Gottes: Was hat der mehr an Christo? Da ist Vater, Son, heiliger geist, Tauffe, Sacrament, Evangelion, glaube und alle Christliche lere und wesen dahin Und ist an stat Christi nichts mehr, denn Mahometh mit seiner lere von eigen wercken und sonderlich vom schwerd […].
[WA 30,2 122]
Mit gleicher Schärfe kritisiert Luther bemerkenswerter Weise die Vielehe im Islam, auch wenn er nicht zwischen der durchaus begrenzten Anzahl von höchstens vier Ehefrauen und der grundsätzlich unbegrenzten Anzahl von Sklavinnen unterschied, obwohl er wohl wusste, dass kaum jemand von tatsächlich von der Polygamie tatsächlich Gebrauch machte. Dennoch sieht Luther in der möglichen Vielehe einen Widerspruch zu der im Christentum geforderten Einehe zwischen Mann und Frau: [Vgl. Reader, 227]
Solchs wesen ist aber kein ehe und kann kein ehe sein, weil keiner ein weib der meynung nimpt odder hat, ewiglich bey yhr zu bleiben als ein leib, wie Gotts wort spricht […] , Das der Tuercken ehe fast gleich sihet dem zuechtigen leben, so kriegsknecht furen mit yhren freyen dirnen.
[WA 30,2 126]
Den letzten zentralen Aspekt von Luthers Beurteilung des Islam bildet das Verhältnis zwischen Geistlichkeit und Weltlichkeit. So wie Luther auch im Christentum auf eine strenge Trennung zwischen weltlichen Angelegenheiten der herrschaftlichen Obrigkeit und geistlichen Pflichten der kirchlichen Ämter abzielt, so kritisiert Luther auch am Islam den Gebrauch geistlicher Rechtfertigung für weltliche Angelegenheiten. Der Vorwurf: Die Muslime führten im Namen Gottes Krieg.
Zum andern leret des Turcken Alkoran odder glaube nicht allein den Christlichen glauben verstoeren, sondern auch das gantz weltlich Regiment. Denn sein Mahomet (wie gesagt ist) befilhet mmit dem schwerd zu walten, und ist das meiste und furnemst werck ynn seinem Alkoran das schwerd. Und ist also ynn der warheit der Turck nichts denn ein rechter moerder odder strassen reuber, wie denn auch die that fur augen beweiset. […] Denn es wird yhn ynn yhrem gesetz gebotten als ein gut Goettlich werck das sie rauben, morden und ymer weiter umb sich fressen und verderben sollen, wie sie denn auch thun und meinen, sie thun Got einen dienst dran. […]
[WA 30, 2 123-124]
Angesichts dieser drei Aspekte ist Luthers Vorwurf an den Islam eindeutig, "daß er die drei göttlichen Grundordnungen aufhebe: den Glauben an Christus, die weltliche Herrschaft und die Ehe." [Raeder, 227] "Lugen verstoret (wie gesagt) geiistlichen stand, Mord verstoret weltlichen stand, Unehe verstoret ehestand." [WA 30,2 126]
Im Mittelpunkt steht die Warnung vor einer Vermischung von geistlicher und weltlicher Obrigkeit. Die strikte gedankliche Trennung dieser beiden Sphären erlaubt es Luther in seinen "Türkenschriften" einerseits, die weltliche Verfassung des osmanischen Staates und gewisse kulturelle Eigenarten der Muslime zu loben, andererseits aber den Islam aufgrund dieser vermeintlichen Vermischung von weltlichem und geistlichen Machstreben und der Leugnung Christi scharf zu verurteilen.
Für Luthers eigenes Schicksal war die "Türkengefahr" letztlich vermutlich sogar ein Glücksfall: Der militärischer Erfolg der Türken band für lange Zeit die Aufmerksamkeit des römisch-deutschen Kaisers (und wohl auch des Papstes), sodass bisweilen davon ausgegangen wird, dass der "Türkensturm" und die notwendige Reaktion darauf eine allzu strenge Umsetzung des Wormser Ediktes und damit die Verfolgung lutherischer Protestanten verhindern konnte.
Literatur
- Lexutt, Athina, Luther und der Islam. Beten und Büßen statt Reden und Kämpfen, in: Spiegel der Forschung, Gießen 2011 (2), 60-71, online verfügbar.
- Luther, Martin, Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 30 II, Weimar 1909.
- Raeder, Siegfried, Luther und die Türken, in: Beutel, Albrecht [Hrsg.], Luther Handbuch. Tübingen 2005, 224-230.
- Smith, Robert O., Lunther [sic], the Turks and Islam, in: Currents in Theology and Mission, 2007, online verfügbar.
Eine Heerpredigt widder den Türcken
Transkription nach WA 30,2 160-97
Niemand wollt gleuben, was ich vom Tuercken schreib, bis das wirs nu mit so grossem iamer erfaren und so viel tausent menschen ynn so wenig tagen erwuerget und weg gefueret gesehen haben. (160) […]
Denn der teuffel sucht durch seinen zeug den Tuercken, freilich nicht allein die weltliche herschafft, Sondern auch das reich Christi und seine heiligen und glieder, vom glauben zu stossen, wie Daniel sagt am siebenden Capitel. Daruemb will ich diese predigt ynn zwen stueck teylen, zuerst die gewissen unterrichten, darnach auch die faust vermanen. (161) […]
Denn die Schrift weissagt uns von zweyen grausamen Tyrannen, welche sollen fuer dem juengsten tage die Christenheit verwuesten und zurstoeren, Einer geistlich mit listen odder falschem Gotts dienst und lere widden den rechten Christlichen glauben und Evangelion […] . Das ist der Babpst mit seinem bapstum, davon wir sonst gnug gestrieben. Der ander mit dem schwerd […] , das ist der Tuercke, Also mus der teuffel, weil der welt ende fuerhanden ist, die Christenheit zuvor mit beyder seiner macht auffs aller grewlichst angreiffen und uns id erechte letze geben, ehe wir gen himel faren. […] Daruemb so halt feste und sey sicher, das der Tuercke gewislich sey der letzte und ergste zorn des teuffels widder Christum, damit der dem fass den boden ausstoesset […] , Denn nie kein koenigreich also getobet hat mit morden und wieten, als er thut. (162) […]
Weil denn nu das gewis ist und keinen zweiffel hat, das auff erden sol das Roemisch reich das letzte sein […] . (166) Denn der Tuerck keinem volck so feind ist auff erden als den Christen, Streit auch widder niemand mit solchem blutdurst als widder die Christen, auff das er diese weissagung Danielis erfuelle. (169) […]
So stehet ia auch ym Apocalypsi am zwentzigsten, das der Gog und Magog solle durchs feur vom hymel verzeret werden. Eben dasselbige schreibet auch Ezechiel am dreyssigsten capitel, das Gott wolle feuer und schwefel über Gog und Magog regenen lassen und uber yhr heer. Nu ist kein zweifel, Gog sey der Tuercke, der aus dem land Gog odder Tattern [Tartarei] komen ist ynn Asian, wie die historien beweisen. Weil aber dennoch Christus hat zeichen gegebene, da bey man kennen sol, wnn der iuengst tag nahe sey und dem nach, wenn der Tuercke ein ende haben werde, so koennen wir sicherlich wiessagen, dass der iuengst tag muesse fuer der thuer sein. (171) […]
Sondern so hab ich geraten und rate noch also, das wol ein iglicher sich vleissigen sol ein Christen zu sein, willig und bereit zu leiden vom Tuercken und yderman, Aber solle nicht streiten als ei Christen odder unter eins Christen namen, Sondern las deinen Welltlichen oeberherrn kriegen. (173) […]
Denn unser Jungkern vom Adel haben bis her gnug gebrasset, geschlemmet, gerennet, gestolzirt, gebranget mit alzu berfluessiger kost und kleidung, dadurch sie alles gellt aus Deudschem lande geschut und sich (on was der sunden widder Gott ist) an leib und gut verderbet, Es ist zeit das sie auch yhren stand und ampt beweisen und ein mal mit ernst sehen lassen, das sie vom adel sind. Desselbigen gleichen auch die buerger und kauffleut mit ubermessigem Schmuck und unzelichem wucher und geitz lange gnug yhre lust gebuesset, Haben sie so viel hundert tausent guelden so lange verkleidet, verthan odder versamlet, sollen sie auch ein mal eine busse davon geben und yhrer hoffart willen, dazu sie bis her so guten stillen fride gehabt und des missebraucht. Also auch der handwercks und baurs man, haben so lange her mit ubersetzen, schinden, stelen und rauben, neben andern grossen mutwillen und ungehorsam eine redlich busse wol verdienet […] . (181)
Sperrstu dich aber und wilt nicht geben noch reisen, Wolan, so word dichs der Tuercke wol leren, Wenn er yns land koempt und thut dir wie er izt vor Wien gethan hat, Nemlich, das er keine schetzung noch reise von dir fordert, sondern steckt dir haus und hoff an, nympt dir vihe und futter, gellt und gut, sticht dich zu tod (wo dirs noch so gut wird), schendet idder wuerget dir dein weib und toechter fuer deinen augen, zuhacket deine kinder und spiesset sie auff deine zaunstecken, Und must dazu, das das ergeste ist, solchs alles leiden und sehen mit boesem verzagtem gewissen als ein verdampter unchrist, der Gott und seiner oeberkeit ungehorsam gewest ist, odder fueret dich sampt yhn weg ynn die Tuerckey, verkeufft dich daselbs we einen hund, das du dein leben lang must umb ein stieck brods und trunck wassers dienen ynn stettiger erbeit tag und nacht, mit ruten und knuettlen trieben und dennoch keinen lohn noch danck verdienen […] , Denn der Türcke ist der man, der dich lernen wird, was du izt fuer gute zeit hast nd wie iemerlich, undanckbarlich, boeslich du sie widder Gottm seine diener und deinen nehisten zubracht, verseumet und missebraucht hat. Der Tuercke weis den Adel zu mustern und zu demuetigen, die buerger zu zuechtigen und gehorsam zu machen, die baurn zu zemen und den mutwillen zu buessen. (182-183) […]
Darumb merck auff mein lieber bruder, las dich warnen und vermanen, das du ia ym rechten Christen glauben bleibest und deinen lieben Herrn und heiland Jhesum Christum, der fur deine sunde gestorben ist, nicht verleugnest noch vergessest. So lerne nun, weil du noch raum und stat hast, die zehen gebot, dein vater unser, den glauben und lerne sie wol, […] Darumb, wo du ynn die Tuerckey komest, da du keine prediger noch buecher haben kanst. (185-186)
Unter andern ergernissen bey den Tuercken ist das wol fuernemeste, Das ihre priester odder geistlichen solch ein ernst, dapffer, strenge leben fueren, das man sie moecht fer Engel und nicht fuer menschen ansehen, das mit allen unsern gistlichen stand und moenchen ym Bapstum ein schertz ist gegen sie. Offt werden sie auch entzueckt, auch uber tissch bey den leuten, das sie sitzen als weren sie tod, Thun auch zuweilen grosse wunderzeichen dazu […] , Denn der teuffel kann auch ernst sein, saur sehen, viel fasten, falsche wunder thund und die seinen enzuecken, Aber Jhesum Christum mag er nicht leiden noch hoeren. […] Zum andern wirst auch finden das sie ynn yhren kirchen offt zum gebet zu samen komen und mit solcher zucht, stille und schienen eusserlichen geberden beten, das bey uns ynn unsern kirchen solche zucht uns stille auch nirgent zu finden ist. Denn da sind die weiber an sonderlichem ort und so verhuellet, das man keine kann ansehen, das auch unsere gefangen brueder ynn der Tuercky klagen uber unser volck, das nicht auch ynn unern kirchen so stilly, ordentlich und geistlich sich zieret und stellet. […] Denn las sich zieren, geberden wer do will und wie er wl, gleubt er nicht an Jhesu Christ, so bistu gewis, das Gott lieber hat Essen und trinkcen ym glauben, denn fasten on glauben, lieber wenig ordentlich geberde ym glauben, den viel schoener geberd on glauben. Lieber wenig gebet im glauben, denn viel gebet on glauben. […] Zum dritten wirstu auch walfarten zu den Tuerckisschen heiligen daselbst finden, die doch nicht ym Christen glauben, sondern ym Mahomets glauben gestorben sind, wie sie bekennen und rhuemen. […] Es wird auch viielen geholffen und geschehen viel grosser zeichen gleich wie bey uns auch geschehen ist. Von solchen falschen wunderzeichen haben wir offt und vie geschrieben. […] Er [der Teufel] kann auch wol so viel kunst, das er zuweilen rechte kranckheit vertreiben und rechte scheden heilen kann. Denn er ist ein Doctor uber alle doctor ynn der ertzney, dazu ein Fuerst der wellt. Sihe was wunder thut er bey und durch seine zeuberer, wie setzam er yhu hilft, unbegreifliche ding zu thun. […] Aber bei uns unter dem Bapstum sind slche falsche zeichen viel ferlicher und schwerer zu erkennen, weil sie bey uns als bey den Christen und unter dem namen Christi als von seinen Christlichen heiligen gescehehen. (187-189) […]
Zum vierden wirstu sehen bey den Tuercken nach dem eusserlichen wandel ein dapffer strenge und ehrbarlich wesen: Sie trincken nicht wein, sauffen und fressen nicht so, wie wir thun, kleiden sich nicht so leichtfertiglich und froehlich, bawen nicht so prechtig, brangen auch nicht so, schweren und fluchen nicht so, haben grossen trefflichen gehorsam, zucht und ehre egen yhren Keiser und Herrn, Und haben yhr regiment eusserlich gefasset und ym schwanck wie wirs gerne haben wolltem ynn Deudschen landen. […] So halten sie doch solche wyber alle ynn grossem zwang und gehorsam, das auch der man fuer den leuten selten mit seiner weib einem redet odder leichtfertiglich bey yhr sitzt odder schertzt […], das bey yhn nicht solch fuerwitz, uppickeit, leichtfertigckeit und ander uberfluessiger schmuck, kost und bracht unter den weibern ist, als bei uns. (189-190)
Denn hie [unter türkischer Herrschaft] ists zeit zu gehorchen und zu halten die sprueche S. Petri nd Pauli, d sie leren, das die knechte odder leibeigen sollen yhren leiblichen herrn gehorsam, trew, demuetig, ehrsam und vleissig sein, nicht anders, denn als dieneten sie Christo dem Herrn selbs. […] Wenn du unter dem Tuercken bist und diesnen must, […] so solt du solchen dienst nicht weiter verstehen noch deuten, denn so fern es ddeinem haus herrn nuetzet zu seinen guetern. Wenn er [der Türke] dich aber zwingen wolt, widder die Christen zu streiten, da solt nicht gehorsm sein, sondern lieber alles leiden, was der dir thun kann, ia viel lieber sterben. […] Eben also soltu deinen diesnt den Tuercken auch leisten, das du damit nicht widder die Christen noch widder Gott strebest, sondern allein seinem haus und guetern zum besten helffest. (193-197)
Vermahnung zum Gebet wider den Türken (Auszüge), 1541
Man spricht: Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen. Wir Deutschen haben nun viele Jahre her das liebe Wort Gottes gehört, dadurch uns Gott, der Vater aller Barmherzigkeit, erleuchtet und von den greulichen Greueln der päpstlichen Finsternis und Abgötterei gerufen in sein heiliges Licht und Reich. Aber wie dankbarlich und ehrlich wir das haben angenommen und gehalten, ist schrecklich genug zu sehen noch heutigen Tages. Denn gerade als wären der vorigen Sünden zu wenig, da wir Gott mit Messen, Fegfeuer, Heiligendienst und anderen mehr eigenen Werken und Gerechtigkeit aufs höchste (wiewohl unwissend) erzürnet und alle Winkel mit solchen großen Abgöttereien erfüllet haben, und gemeinet, Gott darin sonderlich zu dienen, so fahren wir drüber zu und verfolgen das liebe Wort, so uns zur Buße von solchen Greueln beruft, und verteidigen wissentlich und mutwillig solche Abgötterei mit Feuer, Wasser, Strick, Schwert, Fluchen und Lästern, daß es kein Wunder wäre, ob Gott nicht allein Türken, sondern eitel Teufel über Deutschland ließe oder längst hätte lassen schwemmen.
Denn wie kann er's die Länge leiden? Er muß ja die Wahrheit und Gerechtigkeit zuletzt handhaben und schützen, sdas Böse und die bösen, giftigen Lästerer und Tyrannen strafen. Sonst würde er um seine Gottheit kommen und endlich von niemand für einen Gott gehalten werden, wo jedermann für und für sollte tun, was ihn gelüstet, und Gott mit seinem Wort und Gebot so sicher und schändlich verachten, als wäre er ein Narr oder Göckelmännlein, dem es kein Ernst wäre mit seinem Dräuen und Gebieten. Darum muß er's also machen, daß man's greifen müsse, es sei Ernst und nicht Scherz.
Über das auf diesem Teil wir, so das Evangelium angenommen und uns des Wortes rühmen, erfüllen auch den Spruch Röm. 4 [2 V. 24]: "Gottes Name wird durch euch unter den Heiden gelästert."
Denn ausgenommen gar wenig, die es mit Ernst meinen und dankbar annehmen, so ist der andere Haufe so undankbar, so mutwillig, so frech, und leben nicht anders, denn als hätte Gott sein Wort darum uns gegeben, und vom Papsttum samt seiner teuflischen Gefangenschaft erlöset, daß wir könnten frei tun und lassen, was uns gelüstet, und also sein Wort nicht zu seinen Ehren und unserer Seligkeit, sondern zu unserm Mutwillen dienen mußte, so es doch seines lieben Sohnes Jesu Christi, unsers HERRN und Heilands, Blut und Tod gekostet hat, daß uns solches so reichlich gepredigt würde.
Denn, daß ich oben anfange, was für verzweifelte, böse Sekten und Ketzereien haben sich hervorgetan, wie Münzer, Zwinglianer, Wiedertäufer und viel mehr, alle unter des Evangelii Namen und Schein, dieweil sie, durchs Evangelium von des Papsts Bann und Tyrannei befreit, sicher geworden waren, zu lehren und zu tun, was sie gelüstet, welche doch zu der Zeit, da der Papst Gott und Herr war, nicht hätten zischen dürfen.
Darnach ist gekommen der große Gott Mammon oder Geiz. Wie hat der nicht allein Bauern und Bürger, sondern recht gröblich Adel, Grafen, Fürsten und Herrn besessen, daß man desgleichen kaum lesen kann in allen Historien. Der Adel will's alles haben, was Bauer und Bürger hat, ja, sie wollen Fürsten sein; der Bauer steigert neben dem Adel Korn, Gerste und alles, und machen mutwillige Teuerung, da sonst Gott genug hat wachsen lassen. Der Bürger schätzt in seinem Handwerk auch, was und wie er will.
So weiß man zuvor, was für Mutwill des Gesinde, Knechte und Mägde üben in Häusern, welch Stehlen, Untreue und allerlei Bosheit sie treiben, daß alle Hausväter übers Gesinde klagen und schreien.
So ist auch des Stehlens, ein Nachbar dem andern, kein Maß. Item, die Arbeiter oder Werkleute, wie sind sie Herrn? Nehmen Geld genug, arbeiten, was und wie und wann sie wollen. Und ob sie es verderben und zunichte machen, darf niemand ein Wort wider sie reden.
Und daß ich der Juristen auch nicht vergesse, ist's mit dem Recht dahin gekommen, daß niemand sich gerne ins Recht begibt, wenn er gleich so helle, gute Sache hat, als die Sonne im hellen Mittage klar ist.
Ich will nicht heucheln, sondern die Wahrheit sagen. Das kaiserlich Kammergericht, stehe, welch eine Teufelshure da regiert, so es doch sollt', als ein göttlich Kleinod in deutschen Landen, ein einiger Trost sein allen denen, so Unrecht leiden. Aber stehe, wie sie denen zu Goslar, Minden und andern mitspielen, und dem verzweifelten Buben Heinz Mordbrenner überhelfen in allen bösen Stücken, so sie doch nicht Richter sind, auch nicht verstehen können, dazu Partei sind in Sachen, was das Evangelium oder Kirche betrifft.
Also ist Deutschland reif und voll allerlei Sünden wider Gott, will's dazu verteidigen und trotzet mit Gotte, daß ich leider ein allzu wahrhaftiger Prophet gewesen bin, daß entweder der Türke oder wir selbst untereinander müßten uns bestrafen. [...]
Summa, es stehet und gehet fast wie vor der Sintflut, Gene. 6 [1. Mose 6 V. 12]: "Gott sah auf die Erde, und siehe, sie war verderbet, denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbet auf Erden." Daß ich bei mir gewiß bin, wo sich die Welt nicht bessert, sondern sollte so immerfort zunehmen in allerlei Mutwillen, so muß es brechen den letzten Bruch, und hab' auch in solchem Wesen keinen andern Trost noch Hoffnung, als daß der Jüngste Tag vor der Tür sei. Denn es übermacht sich allzu sehr, daß es Gott nicht länger wird dulden können. [...]
Also ist der Türke auch unser Schulmeister und muß uns stäupen und lehren, Gott fürchten und beten, sonst verfaulen wir ganz in Sünden und aller Sicherheit, wie bisher geschehen.
[...]
Und wenn ihr nun wider den Türken ziehet, so seid ja gewiß und zweifelt nicht dran, daß ihr nicht wider Fleisch und Blut, das ist, wider Menschen streitet. Sonst will ich euer Prophet sein, daß ein Türke wird viele Christen schlagen. Sondern seid gewiß, daß ihr wider ein groß Heer Teufel streitet, denn das Türken Heer ist eigentlich der Teufel Heer. Darum verlaßt euch nicht auf euren Spieß, Schwert, Büchsen, Macht oder Menge. Denn darnach fragen die Teufel nicht, wie wir bisher an der Erfahrung wohl gewitzigt sind, daß der Türke eitel Sieg und Glück gehabt hat wider uns und fürder haben wird, wo wir als Menschen wider Menschen kriegen werden. Gleichwie der Papst und seine Teufel konnten nicht geschlagen werden ohne Gottes Wort, so doch die Kaiser, die Friedrich, Heinrich usw. mächtig genug waren, sondern er trat sie alle mit Füßen unter sich, denn der Teufel war bei ihm. Wir müssen lernen mit dem 44. Psalm (V. 7) singen: "Ich verlasse mich nicht auf meinen Bogen, und mein Schwert kann mir nicht helfen" usw. Wir müssen gegen die Teufel Engel bei uns haben, welches geschehen wird, so wir uns demütigen, beten und Gotte vetrauen in seinem Wort.
Wenn wir also das Unsere getan, mit Beten uns rüsten oder wehren, so laßt uns denn sagen mit Joab [2. Sam. 10 V. 11 ff.]: Laß frisch hergehen, es geschehe Gottes Wille, wie er's vorgesehen hat, und wie es ihm gefällt zum Leben oder Tod. Will er uns strafen udn schlagen lassen, so sterben und leiden wir in unserm Beruf und seinem Befehl, dazu um seines Namens willen, und werden also sein Märtyrer. Haben über das den Vorteil, daß wir doch an jenem Tag ewiglich des Türken, Papsts, Welt und aller Teufel Richter und Herrn sein werden mit Christo und allen Engeln. Und was kann denn uns Christen der Türke und alle Teufel tun? Und wie böse kann er's denn machen? Er kann uns ja das Leben weder geben noch nehmen. Denn das Leben ist uns vorher längst genommen im Anfang der Welt, im Paradies, durch Adams Sünde, in welcher wir schon alle gestorben und tot sind, die wir von ihm geboren werden, Röm. 5 [V. 12] (der Türke auch sowohl als wir). Dagegen hat's uns Christus, unser Heiland, längst wiedergebracht und gegeben durch seine Auferstehung allen, die es glauben und ihn anrufen und begehren, aber nicht den Türken und Ungläubigen, noch den Teufeln; die die bleiben im Tod.
Das kann er wohl tun, daß er sterblich uns Sterblichen kann die Zeit verkürzen, daß wir desto eher begraben, verfaulen und zur Auferstehung bereitet werden. Mehr vermag er uns nicht zu tun, wie uns Christus selbst tröstet Matth. 10 [V. 28]: "Fürchtet euch vor denen nicht, die den Leib töten" und darnach nichts haben, was sie euch tun können. Vide, sie placet, meas ibidem Annotationes. Und I. Pet. 3 [V. 13-15]: "Und wer ist's, der euch Schaden tun könnte, so ihr dem, was gut ist, nachkommet? Und ob ihr auch leidet um Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig, fürchtet euch vor ihrem Trotzen nicht und erschreckt nicht, heiliget aber Gott den HERRN in euren Herzen", denn wir streiten nicht darum, daß wir wollen Land und Leute, Gut und Ehre gewinnen oder Abgötterei stiften und ausbreiten, sondern Gottes Wort und seine Kirche erhalten, sonderlich für unsere liebe Jugend und Nachkommen, und gedenken zu wehren dem Türken, daß er seinen Teufelsdreck und lästerlichen Mahmet nicht an unsers lieben Herrn Hesu Christi Statt setze. Das ist ja die gründliche Ursache und ernstliche Meinung unsers Streits, Sterbens und Lebens in diesem Fall, das ist gewißlich wahr. Darum führen wir einen gottseligen Krieg wider den Türken und sind heilige Christen und sterben selig.
So könnt's auch wohl an dem sein, daß der Türke, gleichwie der Papst, in Fall kommen würde. Denn die zwei Reiche des Papsts und Türken sind die letzten zween Greuel und "Gottes Zorn", wie sie Apokalyp. [Offb. 15 V. 1; 19 V. 20] nennet, den "falschen Propheten" und "das Tier", und müssen miteiner ergriffen und "in den feurigen Pfuhl geworfen werden". Denn das ist von seinem Königreich von Anfang je gehöret, daß sie den Ehestand also schändlich vernichteten, wie der Papst und der Türke nun. Der Papst unter dem Schein der Keuschheit hat ihn verboten und als unrein verdammt. Der Türke reißt Mann und Weib voneinander und gibt und verkauft die Frauen, als wären's Kühe oder Kälber, davon und anderem mehr ich jenes Mal in der Heerpredigt geschrieben habe. Summa, da ist nichts anderes, als Haus-, Stadt- und Kirchenregiment zerstören, beide im Papsttum und in der Türkei.
[...]"1
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1Martin Luther; Schriften wider Juden und Türken, München 1936, S.517-519
Lat. Transkript bei: WA 50, S. 585-625
Landesbischof Martin Sasse (Thüringen), Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, November 1938 [> Originalschrift]
„Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun. Der ist ein Mörder von Anfang und ist nicht bestanden in der Wahrheit, denn die Wahrheit ist nicht mit ihm. wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben."
Christus zu den Juden (Joh. 8, 44),
Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volke wird zur Sühne für die Ermordung des Gesandtschaftsrates vom Rath durch Judenhand die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiete im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt.
Der Weltkatholizismus und der Oxford-Weltprotestantismus erheben zusammen mit den westlichen Demokratien ihre Stimmen als Judenschutzherren gegen die Judengegnerschaft des Dritten Reiches.
In dieser Stunde muß die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert aus Unkenntnis einst als Freund der Juden begann, der, getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfah-rungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.
In dieser Schrift soll nur Luther mit seinen eigenen Worten zu uns reden. Seine Stimme ist auch heute noch gewaltiger als das armselige Wort gottferner und volksfremder internationaler Judengenossen und Schriftgelehrter, die nichts mehr wissen von Luthers Werk und willen.
Wartburgstadt Eisenach, den 23. November 1938.
Martin Sasse
Luther klagt an:
Von den Juden und ihren Lügen
Die Notwendigkeit der Judenbekämpfung
Ich habe dies Büchlein ausgehen lassen, damit ich
unter denen erfunden werde, die ... die Christen
gewarnt haben, sich vor den Juden zu hüten.
Die Juden sind die rechten Lügner und Bluthunde ... all ihres Herzens Seufzen, Sehnen und Hoffen geht dahin, daß sie einmal mit uns Heiden umgehen möchten, wie sie zur Zeit Esthers in Persien mit den Heiden um gingen.1 Nein blutdürstigeres und rachgieri geres Volk hat die Sonne je beschienen als die, die sich dünken, sie seien darum Gottes Volk, daß sie sollen und müssen die Heiden würgen und morden. Es ist auch das das vornehmste Stück, das sie von ihrem Messias erwarten, er solle die ganze Welt durch ihr Schwert ermorden und umbringen, wie sie denn auch von Anfang an uns Christen in aller Welt wohl bewiesen haben und noch gerne tun, wo sie es können. (W. 53, S. 443)
Darum hüte dich, lieber Christ, vor solchen verdammten Leuten, die Gott in so tiefe Greuel und Lügen hat versinken lassen, daß alles eitel Lüge, Lästern und Bosheit mit ihnen sein muß, was sie tun und reden, es scheine, wie gut es wolle. (S. 434) Durch das ganze Regi-ment des Volkes Israel und Juda ist nichts anderes gegangen als Gottes Wort zu lästern, zu verfolgen, zu spotten und Profeten zu würgen. Solches Volk muß man nach den Historien eitel Profetenmörder und Feinde des Wortes Gottes nennen. (S. 436) Darum hütt dich, lie-ber Christ, vor solchem verdammtem, verzweifeltem Volk, bei welchem du nichts lernen kannst, als Gott und sein Wort Lügen strafen, lästern, verkehren, Profeten morden und alle Menschen auf Erden stolz und hochmütig verachten. (S. 439) Sie sind aller Bosheit voll, voll Geizes, Nei. des, Hasses untereinander, voll Hochmut, Wucher, Stolz, Fluchen wider uns Heiden, so daß ein Jude müßte sehr scharfe Augen haben, wenn er einen frommen Juden erkennen sollte ... (S. 442) Ebenso mögen die Mörder, Huren, Diebe und Schälke und alle bösen Menschen sich rühmen, daß sie Gottes heilig, aus erwähltes Volk sind.
Die Synagoge — ein Teufelsnest
Darum hüte dich vor den Juden und wisse, wo sie ihre Schulen2 haben, daß daselbst nichts anderes ist als ein Teufels-nest, darin eigen Rühmen, Hochmut, Lügen und Lästern, Gott- und Menschenschänden getrieben wird, aufs aller, giftigste und bitterste, wie die Leufei es selbst tun. wo du einen Juden siehst oder lehren hörst, da denke nichts anders, als daß du einen giftigen Basilisken3 hörst, der auch mit seinem Gesicht die Leute vergiftet und tötet. (S. 446)
Der Teufel hat dies Volk mit all seinen Engeln besessen ... Der Odem stinkt ihnen nach der Heiden Gold und Silber. Denn kein Volk unter der Sonne ist geiziger gewesen, als sie sind und immerfort bleiben, wie man sieht an ihrem verfluchten Wucher. Sie trösten sich: wenn ihr Messias kommt, soll er aller Welt Gold und Silber nehmen und unter sie teilen ... Denn die Juden sinds, die heftiger begehren Gold und Silber als irgend ein Volk auf Erden ... pfui euch hier, pfui euch dort, ihr verdammten Juden! (W. 53, S.477/78
Darum hüte dich, lieber Christ, vor den Juden, die durch Gottes Zorn dem Teufel übergeben sind ... Darum, wo du einen rechten Juden siehst, magst du mit gutem Gewissen ein Kreuz vor dich schlagen und frei und sicher sprechen: Da geht ein leibhaftiger Teufel! (W. 53, S. 479)
Die verfluchten Gojim4 sollen ihre Rnechte sein ... ihr Gold und Silber den Juden geben und sich schlachten lassen wie das arme Vieh.
Sie haben solch giftigen Haß wider die Gojim von Jugend auf von ihren Eltern und Rabbinen eingesoffen und saufen ihn noch in sich ohne Unterlaß, daß er ihnen ... durch Blut und Fleisch, durch Mark und Bein gegangen und ganz und gar ihre Natur geworden ist. Und so wenig sie Fleisch und Blut, Mark und Bein ändern können, so wenig können sie solchen Stolz und Neid ändern. Sie müssen so bleiben und verderben. (S. 431) Darum wisse, lieber Christ, und zweifle nicht daran, daß du nächst dem Teufel keinen bitteren, giftigeren, heftigeren Feind hast als einen rechten Juden ....
Daher gibt man oft ihnen in den Historien schuld, daß sie die Brunnen vergiften, Rinder gestohlen und zerpfriemt haben ... Sie sagen wohl nein dazu. Aber es sei oder nicht, so weiß ich wohl, daß es am vollen, ganzen, breiten Willen (dazu) bei ihnen nicht fehlt.
Tun sie aber etwas Gutes, so wisse, daß es nicht aus Liebe noch dir zugut geschieht, sondern, weil sie Raum haben müssen, bei uns zu wohnen, müssen sie aus Not etwas tun. Aber das Herz bleibt und ist, wie ich gesagt habe ... Sie leben bei uns zuhause, unter unserem Schutz und Schirm, brauchen Land und Straßen, Markt und Gassen. Die Fürsten und Obrig-keit sitzen dabei, schnarchen und haben das Maul offen, lassen die Juden aus ihrem offenen Beutel und Rasten stehlen und rauben und nehmen, was sie wollen. Sie lassen sich selbst und ihre Untertanen durch der Juden Wucher schinden und aus. saugen und mit ihrem eigenen Gelde sich zum Bettler machen. Die Juden als Fremdlinge sollten eigentlich nichts haben, was sie haben, das muß gewißlich unser sein. So arbeiten sie nicht, wir schenken und geben ihnen auch nichts. Dennoch haben sie unser Geld und Gut und sind damit unsere Herren in unserem eignenLand. Wenn ein Dieb 10 Gulden stiehlt, muß er hängen; raubt er auf der Straße, so ist der Kopf verloren, wenn aber ein Jude 10 Tonnen Goldes stiehlt und raubt durch seinen Wucher, so ist er den Fürsten lieber als Gott selbst. Und zum Beweis rühmen die Juden es getrost ... : Wir arbeiten nicht, haben gute, faule Lage. Die verfluchten Gojim müssen für uns arbeiten, wir aber kriegen ihr Geld; damit sind wir ihre Herren, sie aber unsere Knechte. (W. 53, S.482/83)
Jüdische Lügen
Welch eine feine, dicke Lüge ist das, daß sie klagen, sie seien bei uns gefangen! ... Wir wissen noch heutigen Tages nicht, welcher Teufel sie her in unser Land ge-bracht, wir haben sie aus Jerusalem nicht geholt
Zudem hält sie noch jetzt niemand. Land und Straßen stehen ihnen offen. Sie mögen ziehen in ihr Land, wann sie wollen, wir wollen ihnen gerne Geschenke dazu geben, daß wir sie loswerden. Denn sie sind uns eine schwere Last wie eine Plage, Pestilenz und eitel Unglück über unserem Land. (S. 520) Sie lassen uns arbeiten im Nasen» schweiß, Geld und Gut gewinnen. Dieweil sitzen sie hinter dem Ofen, faulenzen ... und braten Birnen, fressen, saufen, leben sanft und wohl von unserm erarbeiteten Gut, spotten dazu und speien uns an, daß wir arbeiten ... Sind also unsere Herren, wir ihre Knechte mit unserem eigenen Gut, Schweiß und Arbeit. Sollte der Teufel hier nicht lachen und tanzen, wenn er solch feines Paradies bei uns Christen haben kann, daß er durch die Juden, seine Heiligen, das Unsrige frißt ... Sie hatten zu Jerusalem unter David und Salomo nicht solche guten Lage haben können in ihrem eigenen Gut, wie sie jetzt haben in unserem Gut, das sie täglich stehlen und rauben. Dennoch klagen sie, wir haben sie gefangen. (W. 53, S.521)
Es ist unsere Schuld, daß wir das große unschuldige Blut, das sie an unserem Herrn und den Christen ... nach der Zerstörung Jerusalems und bis jetzt ... an Kindern ver-gössen ..., nicht rächen, daß wir sie nicht totschlagen, sondern für all ihren Mord, Fluchen, Lästern, Lügen, Schänden bei uns treu sitzen lassen, daß wir ihre Schulen, Häuser, Leib und Gut schützen und schirmen. (W. 53, S. 522)
Jüdische Verbrecherliteratur
Ihr Talmud und ihre Rabbinen schreiben, das Töten sei nicht Sünde, wenn ein Jude einen Heiden tötet, sondern (nur), wenn er einen Bruder in Israel5 tötet, wenn er einem Hei-den den Eid nicht hält, ist es nicht Sünde. Ebenso ist Steh-len und Rauben, wie sie durch Wucher tun den Gojim, ein Gottesdienst. ... Auf solcher Lehre beharren auch heu-tigen Tages noch die Juden und tun wie ihre Väter, v e r kehren Gottes Wort, geizen, wuchern, steh-len, morden, wo sie können, und lehren solches ihre Kinder, für und für immer nachzutun. ... (W. 53,S. 489 - 490/91)
Möchte jemand denken, ich rede zu viel? Ich rede nicht zu viel, sondern zu wenig. Denn ich sehe ihre Schriften. Sie fluchen uns Gojim und wünschen uns in ihren Schulen und Gebeten alles Unglück. Sie rauben uns unser Geld und Gut durch Wucher, und wo sie können, beweisen sie uns alle bösen Tücken. Sie wollen, was noch das Ärgste ist, hierin recht und wohlgetan, d. h. Gott gedient haben, und lehren, solches zu tun. (W. 53, S. 491)
Sie sind voller Zauberei ... voll Neides und Stolzes, dazu eitel Diebe und Räuber, die täglich nicht einen Bissen essen, noch einen Faden am Leibe tragen, den sie uns nicht ge-stohlen oder geraubt haben durch ihren verdammten Wucher. Sie leben also täglich von eitel Diebstahl und Raub mit Weib und Rind als die Erzdiebe und Landräuber in aller unbußfertigen Sicherheit. Denn ein Wucherer ist ein Erzdieb und Landräuber, der am Galgen siebenmal höher als andere Diebe hängen sollte. (W. 53, S. 502).
Den Teufel und die Seinen zu bekehren ist nicht möglich, ist uns auch nicht befohlen. Es genügt, ihre Lügen aufzudecken und die Wahrheit zu offenbaren. — Solche feinen Gäste haben wir armen frommen Christen an den Juden in unserem Lande! ... (W.53, S.514)
Sie lehren Gott und schreiben ihm vor die Weise, wie er sie solle erlösen ... nämlich also: Er soll uns Heiden durch ihren Messias alle totschlagen lassen und vertilgen, damit sie aller Welt Land, Güter und Herrschaft kriegen.
Sie wünschen uns, daß Schwert und Krieg,
Angst und alles Unglück über uns verfluchte
Gojim komme.
Solch Fluchen treiben sie alle Sonnabend öffentlich in ihren Schulen und täglich in ihren Häusern. Sie lehren, treiben und gewöhnen ihre Rinder dazu von Jugend auf, daß sie ja sollen bittere, böse und giftige Feinde der Christen bleiben. (W. 53, S.520)
Luther fordert:
Fort mit den Synagogen!
Fort mit den Juden l
Was wollen wir Christen nun mit diesem verworfenen und verdammten Volk der Juden? Zu ertragen ist es nicht, nachdem sie bei uns sind, und wir solch Lügen, Lästern und Fluchen von ihnen wissen. ... Sonst machen wir uns teilhaftig aller ihrer Lügen, Fluchen und Lästerung. ... Wir müssen mit Gebet und Gottesfurcht eine scharfe Barmherzigkeit üben. ... Ich will meinen treuen Rat geben: (W. 53, S. 522)
1. daß man ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, daß kein Mensch einen Stein und Schlacke davon sehe ewiglich. Und solches soll man tun unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, daß wir Christen sind und solch öffentliches Lügen, Fluchen und Lästern seines Sohnes und seiner Christen wissentlich nicht geduldet noch gebilligt haben. Denn was wir bisher aus Unwissenheit geduldet (ich habs selbst nicht gewußt), wird uns Gott verzeihen. Nun wir's aber wissen und sollten dennoch, frei vor unserer Nasen, den Juden ein solch Haus schützen und schirmen, in dem sie Christum und uns belügen, lästern, fluchen, anspeienund schänden, das wäre ebensoviel, als täten wir es selbst; (W. 53, S. 523)
2. daß man auch ihre Häuser desgleichen zer-breche und zerstöre. Denn sie treiben eben das» selbige darin, was sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder einen Stall tun wie die Zigeuner, damit sie wissen, sie seien nicht Herren in unserem Lande, wie sie sich rühmen, son-dern in der Fremde und gefangen
3. daß man ihnen nehme alle ihre Gebetbuch-lein und Talmudisten, darin solche Abgötterei, Fluch und Lästerung gelehrt wird;
4. daß man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren;
5. daß man den Juden das Geleit und die Straße ganz und gar aufgebe. Denn sie haben nichts auf dem Lande zu schaffen. Sie sollen daheim bleiben ... Werdet ihr Für. sten und Herren solchen Wucherern nicht ordentlicher weise die Straßen verbieten, so möchte sich ein. mal eine Reiterei sammeln wider sie, weil sie aus diesem Büchlein lernen werden, was die Juden sind, und wie man mit ihnen umgehen und ihr Wesen nicht schützen soll;
6. daß man ihnen den Wucher verbiete und nehme ihnen allen Barschaft und KIeinod von Silber und Gold. ... Denn alles, was sie haben, haben sie uns gestohlen und geraubt durch ihren Wucher;
7. daß man den jungen, starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Rarst,. Spaten, Rocken, Spin-del und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiße ihrer Nasen. ... Denn es taugt nicht, daß sie uns verfluchte Gojim im Schweiße unseres An-gesichts wollen arbeiten lassen und sie, die heiligen Leute, wollten hinter dem Ofen mit faulen Tagen feisten (d. h. verzehren)
Sorgen wir uns aber, daß sie uns an Leib, Weib, Rind, Gesinde, Vieh usw. Schaden tun möchten ..., so laßt uns ... mit ihnen abrechnen, was sie uns abgewuchert haben, sie aber für immer zum Lande ausgetrieben. Denn .... Gottes Zorn ist so groß über sie, daß sie durch sanfte Barmherzigkeit nur ärger und ärger, durch Schärfe aber wenig besser werden. Darum immer weg mit ihnen! (W. 53, S. 526
Ich höre sagen, daß die Juden große Summen Geldes geben und damit den Herrschaften nützlich sind. Ja, wovon geben sie es; Nicht von dem Ihrigen, sondern von der Herr-schaft und der Untertanen Güter, welche sie durch Wucher stehlen und rauben. ... Sollten die heillosen Juden des nicht sich in die Faust lachen, daß wir uns so schändlich äffen und narren lassen und unser Geld geben, daß sie im Lande bleiben und alle Bosheit treiben mögen! ...
Mahnung an die Pfarrer und Prediger
Und euch, meine lieben Herren und Freunde, so Pfarrherren und Prediger sind, will ich ganz treulich eures Amtes hier, mit erinnert haben, daß auch ihr eure Pfarrleute warnet ..., nämlich, daß sie sich vor den Juden hüten und sie meiden. (W. 53, S. 527)
Wenn du siehst oder denkst an einen Juden, so sprich bei dir selbst also: Siehe, das Maul, das ich da sehe, hat alle Sonn-abend meinen lieben Herrn Jesum ... verflucht, vermaledeit und verspeit, dazu gebetet und geflucht vor Gott, daß ich, mein Weib und Rind und alle Christen erstochen und aufs jämmerlichste untergegangen wären. Er wollte es selber gerne tun, und, wo er könnte, unsere Güter besitzen. ... Ich sollte mit einem solchen verteufelten Maul essen, trinken oder reden? So möchte ich aus der Schüssel oder Rannen mich voller Teufel fressen und saufen, so mache ich mich gewiß damit teilhaftig aller Teufel, die in den Juden wohnen. (W. 53, S. 528)
... So ist das zu meiden, daß wir sie nicht stärken in ihrem mutwilligen Lügen, Lästern, Fluchen und Schänden, auch nicht durch Schutz, Schirm, Essen, Trinken, Beherbergen und andere nachbarliche Wohltat uns teilhaftig machen ihres teuflischen Wütens und Tobens. ... Ein solch heilloses, durch und durch böses, durchgiftetes, durchteufeltes Ding ists um die Juden, die seit 1400 Jahren unsere Plage, Pesti-lenz und alles Unglück gewesen und noch sind, (W. 53, S. 528)
In Sonderheit, wo ihr (an solchen Orten) Prediger seid, da Juden sind, da haltet an mit Fleiß bei euren Herrn und Re-genten, daß sie ihr Amt bedenken, wie sie es Gott schuldig, sind, die Juden zur Arbeit zwingen und den Wucher verbieten. ... Denke doch, wie kommen wir dazu, daß wir solch faul, müßig Volk, solch unnütz, böses, schädliches Volk... umsonst sollen nähren und reich machen?! ... Auch wenn sie Privilegien geltend machen können, die sollen ihnen nichts helfen. Denn es kann niemand Freiheit geben, solche Greuel zu üben. (W. 53, S. 529)
Sollen wir rein bleiben vor der Juden Lästerung und nicht teilhaftig ihrer werden, so müssen wir (von ihnen) geschieden und sie aus unserem Lande ge-trieben werden. ... Das ist der nächste und beste Rat, der beide Teile in solchem Falle sichert. Aber hier werden sie, als die das Land ungern räumen, getrost alles und alles leugnen, dazu auch Gelder genug der Herrschaft bieten, daß sie bleiben dürfen, wehe aber denen, die solches Geld nehmen! Und verflucht sei solches Geld! ... (W. 53, S. 538)
Die Pflicht des Staates
Unsern Oberherrn, die Juden unter sich haben, wünsche und bitte ich, daß sie eine scharfe Barmherzigkeit gegen diese elenden Leute üben wollten ..., wie die treuen Ärzte tun. Wenn der Brand in die Knochen gekommen ist, fahren sie zu mit Unbarmherzigkeit und schneiden und sägen, brennen Fleisch, Adern, Bein und Mark ab. Also tue man auch hier, verbrenne ihre Synagogen, verbiete alles, was ich oben erzählt habe, zwinge sie zur Arbeit. ... Will das nicht helfen, so müssen wir sie wie die tollen Hunde ausjagen.
Ich habe das meine getan, ein jeglicher sehe, wie er das seine tue. Ich bin entschuldigt. — Ich will zuletzt für mich das sagen: Wenn mir Gott keinen anderen Messias geben wollte, als ihn die Juden begehren und fordern, so wollte ich viel lieber eine Sau als ein Mensch sein. ... Die Juden begehren nicht mehr von ihrem Messias, als daß er ein weltlicher Kö-nig sein solle, der uns Christen totschlage, die Welt unter den Juden austeile und sie zu Herren mache.
Abschaum der Menschheit
Die Juden sind junge Teufel, zur Hölle verdammt. (E. 32, S.276)
Wohlan, es möchte vielleicht der barmherzigen Heiligen einer unter uns Christen denken, ich machte es zu grob und un-gebührlich wider die armen, elenden Juden, daß ich so spöt-tisch und höhnisch mit ihnen handle. Ach, Herr Gott, ich bin viel zu geringe dazu, solcher Teufel zu spotten. Ich wollte es wohl gerne tun, aber sie sind mir zu weit über-legen mit Spotten, haben auch einen Gott, der ist Meister mit Spotten und heißt der leidige Teufel und böse Geist. (E. 32, S. 286)
Wenn nicht mehr da wäre als das Alte Testament, so wollte ich schließen und sollte mich des kein Mensch anders bereden, daß die jetzigen Juden müssen fein eine Grundsuppe aller losen, bösen Buben, aus aller Welt zu-sammengeflossen, die sich gerottet und in die Länder hin und her zerstreut hätten, wie die Tartaren und Zigeuner und dergleichen, die Leute zu beschweren mit Wucher, die Länder auszukundschaften und zu verraten, Wasser zu vergiften, zu prellen, Rinder zu stehlen und allerlei anderen Meuchelschaden zu tun. (Aus der Schrift: „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi", 1543).
Luthers Rat zur Judentaufe
Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die «Abdrucke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hin abstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams! (Tischreden Nr. 1795)
Von einem getauften Juden erzählt Luther, „daß zu Köln in einer Kirche ein Dechant in der Tür gehauen stünde, der habe in der einen Hand eine Katze und in der anderen eine Maus. Dieser Dechant ist ein Jude gewesen und hat sich taufen lassen und sich zum Christentum begeben; nach seinem Tode hat er sich also in Stein an der Kirchtür hauen lassen, damit er anzeigen wollte, so wenig die Katze der Maus gut sein kann, so wenig ist ein Jude einem Christen gut. ... Es ist wahr, die Juden gönnen uns nichts Gutes, wir sind ihnen wie der Tod oder ein gebranntes Leid. (E.62, S.371)
Die jüdische Gefahr
Die Juden, die sich für Ärzte ausgeben, bringen die Christen, welche ihre Arzenei gebrauchen, um Leib und Gut. Denn sie meinen, sie tun Gott einen Dienst, wenn sie die Christen nur weidlich plagen und heimlich umbringen. Und wir tollen Narren haben noch Zuflucht zu unseren Feinden und widerwärtigen in Gefahr unseres Lebens, versuchen also Gott. (E. 62, S. 367)
Luthers Vermächtnis
"Wenn die Hauptsachen6 geschlichtet sind, so muß ich mich daran legen, die Juden zu vertreiben. Graf Albrecht ist ihnen feind und hat sie schon preisgegeben, aber niemand tut ihnen noch etwas, wills Gott, ich will auf der Kanzel Graf Albrecht helfen und sie auch preisgeben." (Aus einem Brief Luthers an seine Frau kurz vor seinem Tode.)
Luthers letzte Predigt:7
„Vermahnung wider die Juden!"
„Übers andere habt Ihr auch noch die Juden im Lande, die da großen Schaden tun. ... Nun ists mit den Juden also getan, daß sie unsern Herrn Christum nur täglich lästern und schänden. ... Darum sollt ihr Herrn sie nicht leiden, sondern wegtreiben. ... Sie sind unsere öffentlichen Feinde, hören nicht auf, unseren Herrn Christum zu lästern, heißen die Jungfrau Maria eine Hure, Christum ein Hurenkind; uns heißen sie Wechselbälge oder Malkälber. Und wenn sie uns könnten alle töten, so täten sie es gerne und tuns auch oft, besonders die, die sich für Ärzte ausgeben. ... So können sie die Arznei auch handhaben, die man in Welschland kann, wo man einem ein Gift beibringt, davon er in einer Stunde, in einem Monat ... sterben muß."
Darum seid unverworren mit ihnen als mit denen, die da nichts anderes bei euch tun, als daß sie unserm Herrn Jesum Christum greulich lästern; stehen uns nach Leib, Leben, Ehre und Gut. ... Darum kann ich mit den verstockten Lästerern und Schändern dieses lieben Heilandes keine Gemeinschaft und Geduld haben.
„Das habe ich als Landeskind euch zur Warnung sagen wollen zur Letzte, daß ihr euch fremder Sünden nicht teilhaftig macht. Denn ich meine es ja gut und treulich, beides, mit den Herrn und Untertanen."
(E. 65, S. 189)
1. Die jüdische Dirne Esther bestimmt den persischen König Herpes 485 - 465 v. Chr., alle Feinde der Juden umbringen zu lassen, in erster Linie die führenden Männer des persischen Volkes. In Susa wurden 800, in den Provinzen 75 000 Menschen umgebracht. Mardochai, der jüdische Berater des persischen Königs, erhebt die Mordtage zum jüdischen Purimfest, das heute noch von den Juden gefeiert wird.
2. Mit Schulen bezeichnet Luther in der Sprache seiner Zeit die Synagogen.
3 Basilisk bedeutete im Altertum ein schlangenartiges Fabeltier, dessen Blick tödlich wirkte.
4 Gojim, zu deutsch Heiden, ist die jüdische Bezeichnung für alle Nicht-Juden, insbesondere ein jüdischer Schimpfname für die Christen.
5 d. h., einen Rassegenossen
6 die Streitigkeiten zwischen den Grafen Mansfeld, die Anlaß seiner Reise waren.
7 gehalten in Eisleben einige Tage vor seinem Tode, Februar 1546
Anmerkung. Die Luther -Zitierungen sind vorgenommen nach der Weimarer (= W.), bezw. der Erlanger Ausgabe (= E.). Die Zitate auf Seite 4—9 sind der Hauptschrift Luthers „Von den Juden und ihren Lügen", die auf Seite 10—15 kleineren Schriften Luthers entnommen. — Einige Stellen, bei denen das mittelalterliche Deutsch dem Verständnis Schwierigkeiten bereitete, wurden in das heutige Deutsch übertragen, ohne daß dadurch Sinnänderungen entstanden sind.
Landesbischof Martin Sasse (Thüringen), Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, November 1938 [> Transkription]


Tafel 10: Philipp der Großmütige und die Homberger "Reformatio" 1526
Entscheidender politischer Wendepunkt für die Durchsetzung der Reformation in Deutschland ist der Reichstag zu Speyer 1526: Der Religionskonflikt wird angesichts der Türkengefahr auf ein späteres Konzil vertagt - und Kaiser, Kurfürsten, Fürsten und Reichsstände verständigen sich darauf, dass jeder Herrscher in den Fragen der Religion sich so verhalten darf, wie ein jeder solches gegen Gott und die kaiserliche Majestät ... meint verantworten zu können.
Der hessische Landgraf Philipp ergreift hierauf sofort die Initiative und erlässt bereits im September 1526 eine weltliche Reformationsordnung, der wenig später ein erstes umfassendes kirchliches Reformprogramm folgt, die Reformatio ecclesiarum Hassiae. Philipp hat hierzu im Oktober 1526 eine Synode der geistlichen und weltlichen Stände in Homberg/Efze einberufen, in deren Anschluss Franz Lambert von Avignon (1487-1530) die "Reformatio" ausarbeitet. Die Homberger Kirchenordnung ist am Modell der urchristlichen Kirche orientiert und stellt das gemeindliche Leben in den Mittelpunkt: Die oberste Leitung der Kirche liegt bei einer landesweiten Kirchenversammlung, der Synode, zu der die von den Gemeinden zu wählenden Bischöfe und Laienvertreter einmal im Jahr zusammenkommen. Der Landesherr hat Stimmrecht auf der Synode und kann diese auch einberufen. Vorgesehen sind neben der kirchlichen und theologischen Neuordnung auch grundlegende bildungspolitische Reformmaßnahmen, beginnend mit der Auflösung aller Mönchs- und Nonnenklöster, ihrer Umwandlung in "Schulen der Gläubigen" sowie der Gründung einer Universität zu Marburg.
Luther, der 1526 die oberste Kirchengewalt auf seinen sächsischen Landesherren, Kurfürst Johann, übertragen und damit das System der evangelischen Landeskirchen in Deutschland begründet hat, kann dem umfassenden hessischen Reformationsprogramm wenig abgewinnen und lehnt die auf dem Gemeindeprinzip aufbauende Homberger Ordnung als einen Haufen Gesetze ab. Statt dessen votiert er für eine allmähliche Erneuerung des Kirchenwesens durch obrigkeitliche Visitationen zur Überprüfung der Pfarreien und des Gemeindelebens. Landgraf Philipp lässt sich jedoch nur teilweise umstimmen, zumal Sachsen in der Frage der Auflösung und Umwandlung der Klöster deutlich hinter Hessen zurückgeblieben ist und hier kaum als Vorbild dienen kann. Immerhin rückt Philipp von einer konsequenten Umsetzung des Synodalprinzips als Grundlage der Reformation in Hessen ab und entscheidet sich - durchaus in Konkurrenz zum späteren kursächsischen Visitationsmodell - für ein stärker obrigkeitliches Vorgehen. Insgesamt werden wichtige Kernpunkte des Homberger Modells sukzessive realisiert, und das hessische Reformationsprogramm wird in vielerlei Hinsicht zum Vorbild für andere Fürsten in Europa.
Schreiben Landgraf Philipps von Hessen an seine Frau Mutter, Anna von Mecklenburg, wegen der ihm vorgeworfenen Religions-Neuerung, 1524
Diese Apologie des zwanzigjährigen Landgrafen gehört zu den ersten Erklärungen Philipps zu seinen reformatorischen Überzeugungen und den religiösen "Neuerungen" in Hessen. Das Ermahnungsschreiben seiner Mutter Anna, auf das sich Philipp bezieht, ist nicht mehr vorhanden. Anna starb übrigens im alten Glauben, am 10. April 1525.
Hochgeporne Fürstin freuntliche liebe Frau Mutter.
Ich hab E. L. schreyben nit anders dan freuntlich gemerckt und verstehe E. L. gemut nit anders dan das E. L. ein gute meynung hat wo E. L. recht bericht were als Ich obgotwil hoff das der almechtig E. L. erleuchten werde. Wie nu E. L. geschrieben hat, wie das Ich soll newerung insetzen, da hat man E. L. zu milde bericht. Aber das ich waren solt und der mentschen gewissen verbinden solt in die cloester oder heraus zu gehen oder pleyben, das wil ich obgotwil nit thun. Es steht mir auch solicher Gewalt nit zu, sunder es steth bey eins Iglichen gewissen. Das ich aber solt weren tewtsche mes halten und den Canon Herausserlassen Das kan Ich nit thun und wils nit thun sover als mir got sein gnad nit entzewcht. Wan Ich weis wan Ich es thet so wer es wider Gots gepott.
Das auch E. L. schreibt das der Keyser wurde ursach an mir haben das halt ich nit wan Ich bin ja Got mehr schuldig gehorsam zu sein dan den mentschen wie das Petrus sagt deßgleichen die andern Aposteln wie das E. L. findet in der Aposteln geschichte. Wil Imant mir etwas thun des Wort Gottes halben so wil ich es gern umb gots willen leyden, und wil auch darumb gern verfolget und bewacht sein, und bit got allen dagk das er mir wolle gnade geben das ich es wol thun könne.
Wie auch E. L. schreibt das got wil haben das wir werck sollen thun, das ist war. Aber wir müssen erst einen guten glawben haben, wan der nit da ist so sein die werck falsch. Man mus auch eben warnemen, was vor werck sein wo es die werck sein die got gepotten hat so halten wir sie pillich wo es aber werck sein die wir selbs erdicht haben und dadurch meynen selig from oder gerecht zu werden, oder gnad dadurch zuerlangen, so sein sie nit recht, und darumb darff E. L. mir nit glawben sunder sehn an die Episteln die Paulus schreibt zu den Colossern und er schreibt zu Timoth. So wirt E. L. finden das er den geystlichen standt so clar abmalet das man es wol vernemen kan. So spricht auch Christus in Matheo wan sie werden sagen Hie ist Christus dort ist Christus so glawbt inen nit sunder in eins jglichen hertzen ist er. So spricht auch Petrus das in keinem mentschen oder werck weder im Himmel oder auf erden die seligkeit gelegen sey dan in Christo. So spricht auch got der her zu Moisen in Deuteronomio Du solt nit zu meinem gepot zusetzen oder abthun. Daraus ist je clar das wir nit selbs werck sollen erdencken und sollen uns an gots gepott gnugen lassen, das wir nit halten konnen an sein gnad.
Wie auch E. L. anzeigt der aufzeichnung der Kirchen und Kloester halben da wil ich E. L. nit bergen das ich das keiner andern gestalt halben thun dan das ich besorge dieweyl sovil Münch und Nonnen auslawffen das da nichts antragen werde, wan ich bin nit gneigt Imant etwas zu nemen wan ich bedarff es nit.
Das ich aber sol Prediger hin und her schicken das lewth ich gar nit ich thue es auch pillich den es ist mir von got befolen und thut auch noit das man allenthalben gut prediger schicke, uf das nit durch ungelert lewthe ein Ufrur werde. Es ist auch mein meynung ghar nit das man sol monich und Nonnen das ir nehmen, das Evangelium helt es auch nit in das man Imants soll das sein nehmen.
Beschließlich so ist mein freundlich bit an E. L. das mir E. L. wol zu gut halten das ich E. L. in dem nit volge wan ich bin je got mehr schuldig gehorsam zu leisten wan E. L. Aber in den dingen die got nit antreffen wil ich gern gehorsam sein. Zum andern ist mein freuntlich bit das E. L. wolle das new und alt Testament ansehn und demselben volgen. Ich wil auch E. L. das alt Testament schicken auch sunst etliche Mentschenbucher, die besehe E. L. und wo sie was allegiren so sehe E. L. in dem Newen und alten Testament darnach, ists dan recht so volg E. L. ist es aber unrecht so volg E. L. nit. Ich wil mich auch gegen E. L. und Iderman erbotten haben, kan man mich aus dem Wort gottes beweysen das ich unrecht bin so wil ich gern volgen. Und wil mich hirmit E. L. als meiner lieben Fraw Mutter befolen haben.
Datum Marpurgk [...]
Philips L. z. Hessen
Christoph Rommel, Philipp derGroßmütige, Landgraf von Hessen. III. Band Urkunden, Gießen 1830, Dok. 1, S. 1-3
1525 Aug. 15 Der Landgraf bestellt Magister Adam [Krafft] von Fulda zum Prediger und Verkünder des Wortes Gottes.
Er soll unser prediger sein, das wort gottes und das heilig evangelium uns und allen den unsern zu horen lauter und rein nach warhaftigem christlichem verstande mit grund der schrift zu pflanzung alles guten, wie das sein ampt und er solichs an gottes stadt schuldig ist, ansagen, verkunden und jdesmal uf unser erfordern damit gewertig sein, sich auch ander pfar hin und widder [d. h.: allenthalben, nicht wie heute: dann und wann] zu visitiren und sonst nach unserm gefallen zu reisen, verschicken und geprauchen lassen und sonst alles dasjhenig mit gnaden gottes tun und volleisten, das einem fromen, christlichen prediger woll anstehet und er in kraft der hilligen schrift und von ampts wegen zu tun und zu volleisten schuldig ist [ ... ]. Dieweil dan nu ein iglicher arbeiter seins Ions wirdig, so gereden und vorsprechen wir ime vor uns, unser erben jerlichs und eins jden jars dis nachfolgend auszurichten und zu geben: nemlich ein erplich frei behausung, ime und seinen liebserben, und solch freiheit sol wegen, aldiewiel er im leben ist. Darzu jars 50 fl., zue hof cledung, 8 viertel korns, einen oshen, 2 feist schwein, 2 fuder biers, 4 hemel und 4 wagen mit holz, die wollen wir ime alwege aus dem renthof furen und in sein haus brengen lassen. [ ... ]
Rodenbergk am tag assumptionis Marie anno etc. 25.
Dienerbuch Landgraf Philipps I.,98 und Kopialbuch K 1 fol. 147. F. W. Schaefer, Adam Kraft AHG NF. 8, 1912, S. 75 f. (Auszug). — Sohm 28
Franz, Günther, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, 2. Bd., 1525-1547, Marburg 1954, S. 9-10, Nr. 3
Abschied des Reichstages zu Speyer, 27. August 1526 (s.o. Abb. 3. Auszug, sprachlich modernisiert)
"Danach haben wir, auch Kurfüsten, Fürsten und Stände des Reiches und deren Botschafter, uns jetzt hier auf diesem Reichstag einmütig abgesprochen und geeinigt, bis zum Konzil oder aber Nationalversammlung nichtsdestoweniger mit unseren Untertanen ein jeder in den Sachen, die das Edikt - das durch kaiserliche Majestät auf dem zu Worms gehaltenen Reichstag ausgegangen ist - betreffen möchten, für sich so zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein jeder solches gegen Gott und die kaiserliche Majestät hofft und meint verantworten zu können (vertraut zu verantworten)."
Reformationsordnung des Landgrafen Philipp von Hessen, 1526
Auf der "Homberger Synode" 1526 wird die Reformation in Hessen offiziell eingeführt und vor allem die Ausbildung der Knaben in den Schulen und an der neugegründeten Universität in Marburg organisiert.
Reformation der Kirchen Hessens
auf den Grund des Wortes Gottes als der sichersten Richtschnur
angeordnet auf der Hochwürdigen durch den Gnädigsten Fürsten der Hessen, Philipp, unter eigener Beteiligung des Durchlauchtigen Fürsten am 20. Oktober 1526 zu Homberg abgehaltenen Synode.
Die Hessische im Namen des Herrn zu Homberg versammelte Synode wünscht Allen und Jeden, die Christi Namen anrufen, wenn Gegenwärtiges zu ihnen gelangt, Frieden und Gnade von Gott, unserm Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.
1. Gespriesen sei Gott, unser Herr, der, nach so langer Finsternis unserer sich erbarmend, seiner ewigen Wahrheit Licht gesandt und Christum, den Trug-Geister und die Lehren vom Teufel besessener Menschen verdunkelt hatten, und aufs Neue kund gemacht hat. [...] Im Vertrauen auf diesen Namen haben wir beschlossen, mit gänzlicher Hintansetzung der gottlosen Überlieferung der Menschen zu leben und uns leiten zu lassen von seinem Wort, welches aller Gläubigen einzige und dabei sichere Richtschnur zum Heile ist.
2. Wir waren im Irrtum und irreten vordem gleich Blinden vom Wege der Wahrheit und des Heiles ab, wir wanderten auf des Irrtums und Verderbens Pfade; nun, durch Gottes Erbarmen erleuchtet, freuen wir uns, auf den Pfad, den wir verlassen hatten, in solcher Weise zurückgekehrt zu sein, daß wir wünschen müssen Alle insgesamt auf ihn herüberzuziehen und zu leiten, und sie so für denselben zu gewinnen, daß sie nimmer von ihm weichen.
3. Aus diesem Grunde haben wir für sämtliche Gemeinden unseres Hessenlandes [...] dasjenige schriftlich zusammengefaßt, was wir als den Gemeinden selbst von Nutzen erkannt haben, und was wir vor Gott und dem Kaiser aus Gottes Wort zu verantworten bereit sind, gemäß dem Abschiede des jüngst zu Speyer gehaltenen Reichstages.
[...]
Kap. 29
Vom Universitätsstudium zu Marburg.
164. Da es Gott gefallen hat, das Herz unseres Fürsten, jetzt wo das Evangelium in seiner Herrlichkeit leuchtet, für Einrichtung eines Universitätsstudiums zu Marburg zu stimmen und dies auch höchst nötig ist zur Vermehrung der Zahl derer in unseren Gemeinden, die ihnen im Gottes Wort auf eine gelehrte Weise vorstehen und das Rechte anraten können, so untersagen wir, kraft Gottes, auf der Universität etwas zu lesen, was der Förderung des Gottesreiches hinderlich sein könnte.
165. Angestellt bei ihr sollen erstens solche werden, die sich zur heiligen Schrift bekennen, und zwar ganz rein, sonst sollen sie abgesetzt werden. Ferner solche, welche Vorträge über das bürgerliche Recht halten, und zwar so, daß alle gottlosen Beschränkungen aus Gottes Wort beseitigt werden und "was mit Gottes Wort nicht übereinstimmt" aus diesem berichtigt wird. Deshalb sollen Rechtsgelehrte berufen werden, die, gelehrt und fromm zugleich, nach Gottes Wort alle Lehren bemessen. Sollte einer von ihnen etwas im Widerspruch mit Gottes Wort behaupten, so soll er aus Dienst und Gemeinschaft entlassen werden. Drittens soll wenigstens ein Professor der Medizin bestellt werden, der gelehrt und fromm zugleich ist. Viertens sollen Vorträge über freie Künste und schöne Wissenschaften gehalten und für alle, vorzüglich die mathematischen, als sicherster Maßstab das Wort Gottes gelten. Fünftens sollen Lehrer der Sprachen als Professoren bestellt werden.
166. Weiter verbieten wir das Halten von Vorlesungen über jenes mit Unrecht so genannte kanonische Recht.
167. Wer auf dieser ehrwürdigen Studien-Anstalt etwas im Widerspruch mit Gottes heiligem Worte aufzustellen wagen sollte, der sei verflucht.
Kap. 30
Von der Knaben-Schulen.
168. In allen größeren sowohl als kleinen Städten und in den Dörfern sollen Schulen sein, in welchen die Knaben in den Elementarlehren und im Schreiben solange unterrichtet werden, bis die, welche es wollen, zum Studium in Marburg befähigt, dorthin zur höheren Ausbildung sich begeben.
169. Und wenn hier und da in den Landschulen ein vollständiger Elementarunterricht unmöglich ist, so sollen wenigstens die Bischöfe oder ihre Gehilfen den Unterricht im Lesen und Schreiben erteilen. Die Gemeinden sollen aber nur Taugliche zu diesem Geschäft erwählen, solche, die auch zum Wohlverhalten und zum Fleiß die Knaben anzuhalten vermögen. Dagegen soll auch für ihr völliges Auskommen gesorgt werden, damit sie ungehindert sich diesem Geschäft ganz widmen können, und die Visitatoren und Bischöfe sollen darüber wachen, da nicht wenig, sondern gar viel darauf ankommt, daß die Jugend der Gläubigen auch guten Unterricht erhält.
Reformatio Ecclesiarum Hassiae. Homberger Kirchenordnung 1526
Franz Lambert von Avignon (1487-1530), Paradoxa zur Homberger Synode 1526
Luther an Spalatin, Klage über die Unfähigkeit des Kurfürsten zur Neuordnung der Klostergüter aus eigenem Willen, 1. Januar 1527
Der KF, ein "treuherziger Mensch" und mit anderen Geschäften überhäuft, müsse "durch ein öffentliches Büchlein erinnert werden, daß er die Klöster in anderer Weise verwalte" ... L. selbst sei in dieser sehr ernsten Angelegenheit, nämlich dem Raub der Klöster im Lande, bereits "wider den Willen aller sogar in das Gemach des Fürsten eingedrungen, um mit ihm allein über diese Sache zu reden."
Dass Kurfürst Johann Friedrich "nach dem Exempel seines Bruders [KF Friedrich der Weise] befehlen und regieren solle, ... stehtz nicht zu hoffen. Der treuherzige Mensch ist der Verschlagenheit aller ausgesetzt, und ein solcher, der da glaubt, daß alle Menschen seines Gleichen, gut und treu seien."
1527 Jan. 24 [?] Denkzettel des Landgrafen über die Reformation.
Item zu Marpurg ordenunge zu machen, wie mans halten sol in der stat mit den messen, mit den cermonien, item das die monich in die predigt gehen, und das man der armen gedenk und das man die bruderschaft, calenden, spenden, selgeret und spittel all darzu orden, desglichen ein casten ufricht.
Item dut von noden, das man orden mit rat der richter. [Nur die vier letzten Buchstaben sicher lesbar]
Zum ersten visitirer, die gut prediger allenthalben orden, und das man die bosen absetze und das man in darneben auch vorsehung schaffe, darnach der man ist, auch das man orden, wie mans halten soll mit den vicarien, die nichts dun, das sie auch die gotlosen cermonien abstellen.
Item, das auch die visitirer in allen flecken ordenten, das mans der armen halben hilt wie zu Marpurg.
Item zu gedenken der spitel halben.
Item der ehesachen halben.
Item den clostern gut prediger zu orden, und wo sie in stetten ligen, das die prediger underweilen in die closter gehen und predigen, desglichen, das man in frumme, gelerte pater und prediger setzte, die sie nit fingen in dem gewissen, das man auch in verkundigen lis, welcher eraus wolt, das man den vorsehung tun wult, das sie ansuchten bei mir, und das man vogte uber die closter setzt, die mir rechnung deten, auch die closterpersonen versorgen, das man auch die personen, die nit ins lant gehoren, ein cimlich cerung gebe und sie in ire closter weise, das man auch ein ufsehen habe uf die, so nugelich komen sein in closter.
Item die universität hie anzurichten.
Item das die visitirer die schulen in allen stetten ufrichten und frumme gelerte leut setzten und in auch cimlich versoldung verschafften.
[Es folgen Notizen über wirtschaftliche u. politische Fragen.]
PA. 214. eh. Niederschrift Philipps. Küch ZVHG. NF. 28, 238f. Sohm 31.
Franz, Günther, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, 2. Bd., 1525-1547, Marburg 1954, S. 25, Nr. 37
Landgräfliche Instruktion für Visitatoren, Nidda 9. Juni 1527
1. Gottes Wort, 2.3. Prüfung und Ersetzung der Pfarrer, 4. Ceremonien, 5.6. Gotteskasten, 7. Gleichförmigkeit in Stadt und Land, 8. Schulen, 9. Pfründen, 10. Ehe, 11. Luthers deutsche Messe, 12. Klöster
Verzeichnus und underrricht, wess sich unser geordnete visitatores [...] Oth Hundt [Otto Hund], Craft Rauw [Kraft Rau], m. Adam [Adam Krafft] und Heintz von Lutter [Heinz von Lutter] in der visitation halten und ausrichten sollen.
[1.] Anfänglich soll an allen und jeden orten angezeigt werden: nachdem sie zu Homberg einer Ordnung vertröst und aber nun bedacht und betracht were worden, dass kein besser Ordnung [...] zu machen sei, dan das wort gottes an sich selbst wer [...], das sie demnach von demjenigen, so dem wort gottes zuwider [...], abstehn und sich des worts allein gehalten, [...] sollen.
[2.] Folgends sollen sie alle und jeden pharhern und prediger in dörfern und statten visitiren, sich um ire lehr, leben, wandel und allem tuen mit fleiß erforschen und erkunden und einen iden nach befindung seiner geschicklichkeit oder Ungeschicklichkeit bestätigen oder entsetzen, auch eigentliche erkundigunge und erlernung tuen, was an eim jeden ort die pharherrn, prediger, vicarien, presenze und chorherrn und was dergleichen geistlichen inkommens, auch was die bruderschaften [...] belangt und andere stiftunge ufhebens haben, eigentlich verzeichnen und solche verzeichnus überantworten, weiter befelch zu tun darauf wissen.
[3.] An welchem ort ungeschickt pharrer und prediger befunden, dass alsobald des orts ein ander geschickter verordnet werd, wo aber kein anderer des orts aus mangel der person kunt verordent werden, dass sie alsdan denselbigen ungeschickt anmerken, dass mit der zeit ein anderer, der tuglich und geschickt wer, daselbst hingeordnet und geschickt mögt werden.
[4.] Soll einem jeden pharherr oder prediger angesagt werden, dass er es mit den ceremonien, messen und allem ändern halt, wie es zu Marpurg in der phar gehalten, und die böse, gotteslesterige ceremonien abgestellet werden.
[5.] Sollen allenthalben in stetten und dorfen mit der amptknecht und prediger zutun die armen zum besten und zu bequemsten bedacht und versehen werden und zu solcher versehung die gefäll der calender, bruderschaft, spenne und bauw nach notturft und beholf gebraucht werden.
[6.] Zu dieser der armen versehung sollen sonder fromme person gewelet und geordnet werden, die mit den armen ufsehen, ihnen rechte austeilung und zu gebürlichen Zeiten den amptknechten und dem voit jedes orts rechenschaft tuen, dass die sollen dan auch die spital in Verwaltung und versehung haben.
[7.] Dass mit aller notturft und versehung der armen, mit ceremonien, predigern, pfaffen, und ändern in den dorfern wie in den statten gehalten werd.
[8.] Soll alsbald auch in der Visitation mit fleiß verfügt werden, dass in stetten gut schul ufgericht und dem schulmeister und seine dienern versehung bescheh, wie sichs an jedem ort am besten fügen will.
[9.] Es sollen alle presentz und chorherrn zur notturft der kirchen und des pharrhers geheiss sehen und gewarten.
[10.] Soll unsern amptleuten von euch, den visitatoribus, mit ernst befelch geschehen, dass sie in den ehsachen guet ufsehens haben und geistliche und weltliche chor nit gestatten, in unpflichten zu leben und, wo irrung ehsachen halben entstunden, dass dieselbige sachen uf unser canzelei an unsere rate gelange.
[11.] Cura ut habeas tecum formulam Lutheri latine scriptum de pio missarum usu et cultu dei, germanice ab eodem vulgatam. Illi enim libelli te docebunt ritum, quem Marpurgi habemus. [Gib' Acht, dass du die von Luther erlassene lateinische Vorschrift über den frommen Brauch und die Anbetung Gottes bei dir hast, sowie eine deutsche von demselben verbreitet. Jene Bücher lehren dich nämlich über den Ritus, den wir in Marburg haben.]
[12.] Mit den cloistern.
Für allen dingen soll in monche- und nonneclöstern das evangelium verkündiget und geprediget werden.
2., das in alle cloister ein ganze versamblung furgefordert, inen angesagt werde, dass es einem jeden zu seinem willen unverkundlich freistehen soll, herauszugehen und zu pleiben, und welche ausgehen würden, solten versehung haben und uns dar-umb ansuchen, welche aber bleiben werden, dass sie von dem gotlosen wesen und ceremonien abstehen. Es soll ihnen auch ihrer unverpundlichkeit und nit Verstrickung halben aus der schrift ursach angezeigt werden, dass sie ihres ausgehens kein gewissen machten.
3. soll ihnen verboten werden, kein person ohn unser wissen hiefür zuzunehmen.
4., dass in den clostern prediger, wo die under ihnen, die geschickt weren, verordent und die priores und obersten, die so gar unvernünftig und impii weren, abgesetzt und andere geordent werden, und diejenigen, so in den cloistern bleiben wollen, ihren geordenten obersten gebührlichen gehorsamb leisten, wie ihr ihnen dan dasselb zum besten anzeigen möget. Anno 1527 zu Nidda feriis pentecostes.
Abdruck: Franz, Günter, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte. 1525-1547 (Bd. II). Marburg 1954, 37-38.
1527 Aug. 30 Landgräflicher Befehl, durch das ganze Land Gotteskasten aufzurichten.
Er hat verschienen tagen [ ... ] Adamum Crafft [Adam Krafft] von Fulda bei euch haben umbherreiten und under andern befehlen lassen, zu erhaltung der armen gemeine casten ufzurichten.
Da sie sich nachlässig zeigten, ist nochmals sein Befehl, daß allenthalben
in stetten und dörfern im ampt bei euch gemeine casten ufgericht, das gelt so bisanher zum bau gefallen, auch calendbruderschaften ... [unleserlich] vigil, seelmessgelt und ander dergleichen kirchengefell, der in gemein 5 Männer vorzusetzen und
also durch sie die almusen hausarm menschen, bedürftigen gebrechlichen Leuten ausgericht werden. Solch Almosen wird sich durch frommer Leute mitsteuer täglich mehren. Der Landgraf erwartet bis Michaelis euwer widerantwort, wie viel dieser kirchengefell in summa bei euch in casten kommen. [ ... ]
Cassel, freitag nach Bartholomai 1527. 1)
1) Der Schultheiß zu Felsberg Melchior Ruesser teilt daraufhin am Montag Michaelis 1527 (Sept. 301 mit, dass der dortige Kasten 17 11. 1'/2 Albus Ein-nahmen an Geld hat, von denen der Orgelmacher in Kassel und seine Frau eine Leibrente von 411. 11/2 Ort für eine Orgel erhalten, dazu kommen 7 Viertel 4 Matzen Korn, 101/2 Pfd. Wachs und 2 graue Tücher, die bisher Bürgermeister und Rat den Armen gegeben, künftig aber die Kastenmeister austeilen sollen. (22 a 8, 9. Ausf.)
Der Rentmeister zu Ziegenhain Told Großmann überschickt am 4. Okt. 1527, was ide kirche in E.F.G. ampt Ziegenhain summarie fallen hat (22 a 8, 29, Ausl.) Der Pfarrer, der Amtmann Caspar Trott, Bürgermeister und Rat zu Sontra überschicken Donnerstag nach Severi 1527 [Okt. 24] mit%inverschlossen zetteln, wie fiel in der stat Suntra und im ambte jerlichel die gemein kasten ertragen mogen. Sie bitten auch die Zinsen von etlichen von ihren Vorfahren gestifteten Lehen, die noch bis anher die curtisan in possession haben und noch nie kein residenz gehalten, in den Kasten legen zu dürfen (22 a 9, 27, Ausf. — Sohm 63.). Auch der Schultheiß zu Schwarzenborn übersendet in einem undatierten Schreiben das Verzeichnis der Kirchengüter und bittet 40f1. die ein Knecht vor Jahren als er zu Sancte Jacob gingk, der Kirchen gestiftet hat, den Verwandten zurückzugeben, da er` verschollen ist (17 e Schwarzenborn Ausf.). Pfarrer, Rentmeister, Schultheiß, Bürgermeister und Rat zu Homberg berichten Donnerstag nach Remigif 1527 [Okt. 3] dem Landgrafen, was die Zünfte in den casten bracht und was sie zu behalten vermeinen zu iren feltlagern, herzuchten und gezelten usw. Es erhalten sich auch etzliche irtum und geprechen mit den casten uf dem lande zu setzen, die wir auf das forderlichste auch strecken und die casten ufrichten wollen. (22 a Ausf. — Sohm 62).
Darmstadt, nicht feststellbar, Köhler, Z. Hist. Theol. 37 (1867) 246 f. Sohm 59, 61.
Franz, Günther, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, 2. Bd., 1525-1547, Marburg 1954, S. 42, Nr. 63
1527 Okt. 15 Landtagsentscheid über Aufhebung der Klöster und Abfindung der Ordensleute.
Nachdem auf dem Reichstag zu Speyer beschlossen worden ist, das es ein jeder in seinen landen und gepieten dermassen halten und schaffen solt, wie er solchs jegen got und keys. Mt. [ ... ] zu verantworten gedecht [ ... ] haben wir die unsern vom adel und stedten furgefordert [ ... ] und es demnach also mit den clostern und ordenspersonen [ . . .] zu halten furgenommen:
1. [ ... ] Welche ausgehen, sollen ire zimliche abfertigung haben (Adlige ihr Vermögen oder wenigstens 100 fl., andere nach Gelegenheit), welche aber pleiben, den wollen wir notturftige versehung tun, den weibspersonen an einem gelegen ort und den manspersonen zu Marpurg im Kugelhause, das sie daselbst im collegio studiren [ . . . ].
2. Der Landgraf hat furgehabt, in unsern ober- und unterfurstentumben zwei closter [Kaufungen u. Wetter] zu ordnen, darin die unsern vom adel solten ire kinder, je 50 an einem Ort, erhalten. Da es dem Adel nützlicher scheint, die Gefälle in einen gemeinen Kasten fallen zu lassen und daraus jährlich 8 vom Adel je 300 oder 200 fl. zu reichen, läßt er auch das zu.
Er will 30 Adligen, je 15 in beiden Fürstentümern, mit etlicher steuer an frucht, korn und habern in ire behausung versehung tun, damit sie sich in rustung erhalten [ ... ].
3. wollen wir von den clostergefellen die unversitet zu Marpurg erhalten lassen [ ... ].
4. Alle anderen Klostergefälle sollen in gemeine kasten gefallen, daruber 2 unserer rete, und 2 vom adel und auch 2 von stedten verordent werden. Ihnen sollen die verordneten Vögte jährlich Rechenschaft tun, damit, wenn es des Lands Notdurft erfordert, solich gelt angegriffen, des armuts verschonet und mit schatzung nit so erschepft werde.
Besiegelt von Landgraf Philipp, sechs Adligen und den Städten Kassel und Marburg. Cassel am dienstage nach Dionisii a. d. 1527.
Landtagsabschiede. Ausf. Siegel erhalten. UB. Kaufungen Nr. 763. — J. G. Estor, De comitiis et ordinibus Hassiae [. .. ] opusculum (1752) 113 ff. (in Schreibweise vielfach abweichend). Hildebrand 3 ff, Sohm 40.
Franz, Günther, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, 2. Bd., 1525-1547, Marburg 1954, S. 45, Nr. 69
Die Klosterinsassen mußten, um beim Ausscheiden aus dem Kloster eine Abfindung zu erhalten, einen Verzichtsbrief unterschreiben.
Das Formular eines Verzichtsbriefes
Ich N.N., ehmals Ordensperson zu ......, tue kund hiermit für mich und meine Erben und [...] bekenne öffentlich: Nachdem aus Gnaden des allmächtigen, ewigen Gottes sein heiliges wahres Evangelium wiederum zu Tage gekommen ist, ich aus Verleihung seiner göttlichen Gnade zu meiner selbst Bedenken kommen bin und in mir nicht anders, denn was der vermeinten ungöttlichen Geistlichkeit zu dem heiligen Evangelium und der schuldpflichtigen gemeinen, christlichen Liebe zuwider gewesen ist, gefunden habe, daraus so viel mir anders Christ zu sein und christlichem Leben gemäß zu leben gebühret und beliebt hat, ich denselben vermeinten Stand zu verlassen und mich in ein ehrbares, gottseliges Leben zu begeben verursacht worden bin, daß demnach ich den durchlauchtigsten, hochgebornen Fürsten und Herrn Philipp Landgrafen zu Hessen etc. untertänig ersucht und gebeten habe, mich gnädiglich aus den bemeldeten Klostergütern und -gefällen [...] zu bedenken. [...]
[Nachdem ein Mönch oder eine Nonne diesen oder einen ähnlich lautenden Verzichtsbrief unterschrieben hatte, erhielt der oder die Betreffende eine Verschreibung:]
Nachdem der N.N. aus ehrbarlichem Bedenken und eignem christlichen Bewegnis den Stand der vermeinten Geistlichen zu verlassen und sich in ein ehrbar geselliges und gemeinsam christliches Leben zu begeben verursacht worden ist, daß wir demnach als der Landesfürst zu Widerlegung und Vergeltung desjenigen, so er mit ins Kloster gebracht hat, auf daß er sich desto besser mit Ehren erhalten möge, aus christlichen Bedenken - auf Wiederkauf verschrieben und ihm damit laut seines Verzichts abgelegt haben
[hier folgt jeweils die ausgehandelte Abfindung.]
In der religiösen Bewegung der Täufer sah der hessische Landgraf eine große Gefahr für die Einheit des evangelischen Glaubens. Auszug aus dem Ausschreiben gegen die "Wiedertäufer", 1528.
Landgräflicher Erlaß gegen die Wiedertäufer, 1528.
Lieben Getreuen, wir vernehmen, daß unsere Untertanen an etlichen Orten sich des Wiedertaufens, auch anderer beschwerlicher Artikel, die wir als die Obrigkeit gar nicht leiden noch dulden können, annehmen, nämlich daß sie in unsere Predigt nicht gehen, sich von unserer christlichen Gemeinde fernhalten, ihre Kinder nicht taufen lassen, dafürhalten und predigen, daß ein Christ keine Obrigkeit haben oder ertragen muß, wollen auch mit uns und unsern Untertanen in Zeiten der Not zu Felde nicht ziehen oder das Vaterland retten und beschirmen helfen. Auch sagen etliche, daß der Aufruhr, den Müntzer und seine Gesellen gemacht haben, gottgewollt gewesen sei und diejenigen, die dieselben gestraft haben, von Gott wiederum gestraft werden sollen [...]. Da wir nun hieraus nicht anders spüren und befinden, als daß aus solcher ihrer Meinung und Sektiererei eine Trennung in unserer christlichen Gemeinde und merklicher Aufruhr und Blutvergießen entstehen würden und daß es besser sei, daß beizeiten darauf geachtet würde; denn so dieser Handel weitläufig würde, dann müßte man mit Gewalt, daraus viel Blutvergießen und Schaden folgen würde, die Ruhe wiederherstellen [...] - so ist deshalb an euch unser ernster Befehl und Meinung:
1. Wenn Ihr in euerm Amt solche Personen, Männer oder Weiber, die die Wiedertaufe und die obgemeldeten Artikel bekennen, vernehmen werdet, daß Ihr sie alsdann vorfordert und durch den Prediger bei euch mit allen Fleiß unterrichten lasset. Wenn sie dann auf ihrem Irrtum beharren und sich mit wahrer Schrift nicht davon weisen lassen wollen, [...] so sollt Ihr denselben [...] ernstlich ansagen und gebieten, alles dasjenige, so sie haben, Haus, Hof, Äcker [...] innerhalb vierzehen Tagen zu ihrem Besten zu verkaufen und zu veräußern und mit Weib und Kindern unter einer andern Herrschaft ihre Wohnung und ihren Aufenthalt zu suchen. [...]
2. Es soll auch den Amtsverwandten ernstlich untersagt werden, sich der Wiedertäufer, ihrer Weiber und Kinder derselben Sekten mit Herberg, Essen und Trinken und anderm Vorschub anzunehmen. [...]
3. Welche sich aber bekehren und wiederum in unsere Gemeinde treten, das Wort Gottes hören und andere christliche [Gebräuche] unserer Gemeinschaft zu Liebe und zu Leide mit uns haben und tragen wollen, die sollt Ihr gütig aufnehmen und ihnen untersagen, daß sie sich hinfort vor Schaden und Nachteil hüten. [...]
Der Bericht Adam Kraffts und anderer landgräflicher Beamter über die Auswirkungen der Reformation aus dem Jahre 1529 ist ein bemerkenswertes Beispiel für Verantwortung und Mut vor Fürstenthronen.
Die Prediger Erhard Schnepf, Hartmann Ibach, Rosenweber und Adam Krafft teilen dem Landgrafen ihre Bedenken mit.
E.F.G. haben den Räten zu Marburg einen Befehl überschickt, das Heiligtum [die Gebeine der hl. Elisabeth] zu begraben. Diese haben unseren Rat erbeten. Wir haben uns untereinander beraten und bedacht, daß E.F.G. Vornehmen als eine christliche und gute [Tat] keineswegs zu hindern sei, daß es aber doch vonnöten ist, so zu handeln, daß man das, was Recht ist, auch recht ausrichtet.
Nun hören wir mit Schmerzen, daß ausländische Spötter, unsers christlichen Vorhabens Widersacher, großen Spott treiben sollen mit E.F.G. und leider, wie wir auf der Kanzlei gehört haben, auch etwas mit Wahrheit. Nämlich [heißt es], daß E.F.G. die Klosterjungfrauen in Hessen mit solchem Jammer und in Armut verjagen soll, daß sie zu Mainz und anderswo im Frauenhaus und bei Pfaffen ihr Brot suchen müssen [...], als würde auf E.F.G. Seiten nicht Gott, Gottes Ehre, der Seelen Heil gesucht, sondern nur zum Deckel des Geizes unchristlicher Weise mißbraucht. [...] Nun glaube ich [Adam Krafft], daß E.F.G. dieses schändliche Ärgernis unbewußt ist, daß es so im Finstern schleiche und schmeisse, deshalben ist es vonnöten, nicht länger zu schweigen, sondern zu rufen: Not ist! Not! necessitas zwingt uns, Treue, Schuld, Pflicht und Lieb treiben uns, solches anzuzeigen. [...] So ist nun deshalb unser aller [...] Bitte [...], E.F.G. wollen sich ein wenig Zeit nehmen, einen Monat weniger oder mehr, die Sachen zu bedenken, sich mit so viel Vögten, Klosterleuten und dergleichen zu beratschlagen [...], daß E.F.G. bösen Leuten aus dem Maul und von der Zungen käme, welches geschehen mag, [...] wenn man den Vögten sagt, daß sie den Ausgewiesenen gute Frucht und nicht Dreck, fröhlich, nicht mit Fluchen geben und daß die armen Hintersassen nicht über Billigkeit beschwert werden mit Diensten; denn ich höre nicht über E.F.G. Dienst klagen, aber über der Knechte Dienst schreit jedermann. Wenn diese Personen zufriedengestellt, Pfarrherrn versehen und Schulen besoldet werden, muß der Gottlose den Mund halten. Wo aber dieses nicht bedacht und das andere so eilends und geschwind vorgenommen wird, werden wir den Unverständigen neue Ursache geben, mehr und mehr zu lästern, den Verständigen aber entweder öffentlich zu klagen oder heimlich zu seufzen.
Zum Letzten bekennen etliche öffentlich, daß im Deutschen Hause [zu Marburg] nicht wenig Hurerei getrieben werde und die Personen allein darum zu Kommunion gezwungen werden, damit man Messe haben möge. Und derweil wir uns vorgenommen haben, niemanden von des Herrn Tische mit seinem Leib und Blute zu speisen, er habe denn seinen Namen verzeichnen lassen und führe einen christlichen Lebenswandel, so laufen etliche hinab ins Deutsche Haus; deshalb sehen wir es für nötig und gut an, daß E.F.G. nach der Schrift Philipp Melanchthons alle Sakramente in der Pfarrkirche reichen ließe und sonst nirgends und die Messe im Deutschen Haus samt den Gesängen aufhöre, da es nur oben in der Pfarrkirche hindert.
So wären auch die Personen viel geneigter, das Kloster zu verlassen, wenn sie eine ehrliche Abfertigung haben möchten. Die Firmanei ist ein Schlund allen Geldes zu Marburg; da ist man täglich voll. Die Schultheißen in den Dörfern sind Weinschenken, verhandeln alle Streitereien beim Wein. Da versäuft der Arme das Seine so schändlich, daß, wo man nicht wehret, der arme Bauersmann in kurzer Zeit keinen Heller haben wird. Danach wird folgen Stehlen, Morden, Aufruhr. [...] In den Städten liegt man täglich beim Bier, verspielt, versäuft, was Gott gibt; Weib und Kind müssen betteln. Da sollte man Wirt und Gäste strafen; es geschieht aber nichts. Was mag aus diesem Verhalten auf Dauer erfolgen? Denn einen schweren, gewissen Aufruhr werden solche nackten, betrunkenen, verspielten Buben erregen, und solche sagen alles Böse vom Wort Gottes und von der Obrigkeit. [...]
Wenn wir es nicht in treuer Meinung E.F.G. angeben, wollten wir wohl wie andere stillschweigen. Aber es ist keines Frommen, Treuen Art, seines Herrn Schande verschweigen, seinen Schaden nicht warnen. Wir meinen es recht und gut; Gott weiß, wir haben das Unsere getan. Wir sollen E.F.G. vermahnen, E.F.G. greife die Sachen an, Gott wird Hilfe, Gnade, Beistand und Stärke, Kraft und Weisheit verleihen. [...]
Marburg, Donnerstags nach Bonifacii anno [15]29.

Tafel 11: Reformation und Bildungspolitik in Hessen
Reformation und Verbesserung der Bildung hängen eng zusammen. Dies zeigt sich besonders in Hessen: Die in Kapitel 29 bis 32 der Homberger "Reformatio" formulierten Vorgaben bilden den Grundstock von Landgraf Philipps Bildungsprogramm: die Gründung der Marburger Universität, Schulbildung für Knaben und Mädchen, Stipendien für begabte Arme. Der Landgraf nimmt damit das gesamte Bildungswesen in seinen Einflussbereich. 1527 werden die hessischen Klöster säkularisiert. Dadurch erhält Philipp die Möglichkeit, sein Bildungsprogramm umzusetzen und die neue Universität mit Einkünften auszustatten.
Am 30. Mai 1527 wird in Marburg die erste protestantische Universität gegründet. Sie soll universellen Charakter besitzen. Philipp verleiht ihr mit einem Freiheitsbrief vom 31. August 1529 die akademischen Freiheiten und mit der Dotationsurkunde vom 4. Oktober 1540 wirtschaftliche Selbständigkeit. Die volle Anerkennung im Reich erreicht die Alma Mater Marburgensis aber erst mit der Bestätigungsurkunde Kaiser Karls V. vom 16. Juli 1541. .
Die „Partikular-“ oder „Trivialschulen“ in Hessen dienen zunächst der religiös-sittlichen Erziehung für zukünftige Prediger und andere Staatsbeamte. So stehen im Mittelpunkt des gesamten Unterrichts die Heilige Schrift und der Katechismus. Unterricht in der lateinischen Elementargrammatik dient als Vorbereitung für den Besuch der Universität; er hat zum Ziel, die Schüler zu befähigen, Latein – die Gelehrtensprache der Zeit – schriftlich und mündlich möglichst früh zu beherrschen. Die deutsche Sprache bleibt zweitrangig, obwohl sie durch die Reformatoren zur Gottesdienstsprache geworden ist.
Landgraf Phillips Anliegen ist die Alphabetisierung beider Geschlechter. Knaben und möglichst auch Mädchen sollen wenigstens die Befähigung zur Bibellektüre erhalten. Unter Mithilfe des Straßburger Reformators Martin Bucer (1491-1551) gelingt es ihm durch die Ziegenhainer Zuchtordnung von 1539 einen planmäßigen, obligatorischen Unterricht für alle Kinder, ohne ständische Unterschiede, einzuführen. Allerdings ist deren Umsetzung eher Programm geblieben als Wirklich geworden, doch hat sie Philipps Nachfolgern den Weg gewiesen.
Bei der Gründung der Universität wird ihr ein Pädagogium angeschlossen, das die schulische Jugend auf das wissenschaftliche Studium vorbereiten soll. Dieses Marburger Pädagogium wird in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts nach preußischem Vorbild in ein humanistisches Gymnasium umgewandelt, das heutige Gymnasium Philippinum.
Editorische Vorbemerkung
Diese Schrift Luthers hat eine besondere zeitgeschichtliche Bedeutung. Im Verfolg der Reformation war nämlich die Studentenzahl an den deutschen Universitäten (mit Ausnahme Wittenbergs) rapide zurückgegangen. Das lag daran, daß durch das Aufhören des Pfründenwesens in weiten Gebieten Deutschlands der materielle Anreiz zum Studium der Theologie wie der Rechtswissenschaft (die ja weithin kanonisches Recht war) weggefallen war. Dazu kam eine, insbesondere durch die Schwärmer genährte, Wissenschaftsfeindlichkeit, gegen deren Auswirkungen Luther selbst in Wittenberg zu kämpfen hatte (hier war Karlstadt ihr Verfechter). Parallel dazu ging der Verfall der auf die Universität vorbereitenden Schulen. Sie waren bisher vielfach aus den Erträgnissen geistlicher Stiftungen finanziert worden. Wurden diese säkularisiert, hatten die Schulen mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen, falls sie nicht überhaupt eingingen – es sei denn, daß die zuständige Obrigkeit die aus der ursprünglich geistlichen Stiftung fließenden Mittel weiter für die Aufrechterhaltung der Schulen verwandte. In die mit dieser Umschichtung im Zusammenhang stehenden Fragen hat Luther praktisch einzugreifen versucht (vgl. z.B. die mit einem empfehlenden Vorwort Luthers erschienene »Kastenordnung« in Leisnig, 1523). Sehr viel größeren Erfolg als damit hatte Luther, als er das Gewissen der Öffentlichkeit zu wecken suchte. Seine Schrift »An die Ratsherren ...« (nicht an die Fürsten, denn die Lateinschulen, die er im wesentlichen im Auge hatte, lagen im Zuständigkeitsbereich der Städte) hat in einer ganzen Reihe von Städten zu Schulreformen und auch zu Neugründungen von Schulen geführt. Aus dieser in den ersten Wochen des Jahres 1524 erschienenen (und von Lukas Cranach gedruckten) Schrift sind hier ausgewählte Abschnitte wiedergegeben. (zit. nach Kurt Aland)
Martin Luther, An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen, 1524
Ja, wendest du abermals ein, wenn man gleich Schulen haben sollte und müßte, was ists uns aber von Nutzen, die lateinische, griechische und hebräische Sprache und andere Wissenschaften1 zu lehren? Könnten wir die Bibel und Gottes Wort doch wohl deutsch lehren, die uns genug zur Seligkeit ist? Antwort: Ja, ich weiß leider wohl, daß wir Deutschen immer Bestien und tolle Tiere sein und bleiben müssen, wie uns denn die umliegenden Länder nennen und wir auch wohl verdienen. Mich wundert aber, warum wir nicht auch einmal sagen: Was sollen uns Seide, Wein, Gewürze und die fremde, ausländische Ware, so wir doch selbst Wein, Korn, Wolle, Flachs, Holz und Stein in deutschen Landen die Fülle zur Nahrung haben, sondern auch eine reiche Auswahl2 zur Ehre und Schmuck? Die Künste und Sprachen, die uns ohne Schaden, ja größerer Schmuck, Nutzen, Ehre und Frommen sind, sowohl die heilige Schrift zu verstehen wie weltlich Regiment zu führen, wollen wir verachten; und die ausländischen Waren, die uns weder von Nöten noch von Nutzen3 sind, dazu uns bis auf die Knochen schinden, die wollen wir nicht entbehren.4 Heißen das nicht billig deutsche Narren, und Bestien?
Zwar, wenn kein anderer Nutzen an den Sprachen wäre, sollte doch uns das wahrlich erfreuen und entzünden, daß sie so eine edle feine Gabe Gottes sind, mit der Gott uns Deutsche jetzt so reichlich, mehr als alle Länder5 heimsucht und begnadet. Man sieht nicht viel (davon), daß der Teufel diese durch die hohen Schulen und Klöster hätte aufkommen lassen. Ja, sie haben allzeit aufs höchste dagegen getobt und toben auch noch. Denn der Teufel roch den Braten wohl: wo die Sprachen hervorkämen, würde sein Reich ein Loch bekommen, das er nicht leicht wieder zustopfen könnte. Weil er dem nun nicht hat wehren können, daß sie hervorkämen, denket er doch, sie nun so schmal zu halten, daß sie von selbst wieder vergehen und fallen sollen. Es ist ihm damit nicht ein lieber Gast ins Haus gekommen, darum will er ihn auch so speisen, daß er nicht lange bleiben solle. Diese böse Tücke des Teufels sehen unser gar wenig, liebe Herren.
Darum, liebe Deutschen, laßt uns hier die Augen auftun, Gott für das edle Kleinod danken und fest darüber wachen,6 daß es uns nicht wieder entrissen7 werde und der Teufel nicht seinen Mutwillen an uns auslasse.8 Denn das können wir nicht leugnen: obwohl das Evangelium allein durch den heiligen Geist gekommen ist und täglich kommt, so ists doch durch das Mittel der Sprachen9 gekommen und hat auch dadurch zugenommen, muß auch dadurch behalten werden. Denn gleich, als Gott durch die Apostel in alle Welt das Evangelium kommen lassen wollte, gab er die »Zungen« (Apg. 2, 4 ff.) dazu. Und er hatte auch zuvor durch der Römer Regiment die griechische und lateinische Sprache so weit in alle Lande ausgebreitet, auf daß sein Evangelium ja bald fern und weit Frucht brächte. So hat er jetzt auch getan. Niemand hat gewußt, warum Gott die Sprachen(kenntnis)10 hervorkommen ließ, bis daß man jetzt erst sieht, daß es um des Evangeliums willen geschehen ist, welches er hernach hat offenbaren und dadurch des Endchrists Regiment aufdecken und zerstören wollen. Deshalb hat er auch Griechenland dem Türken gegeben,11 auf daß die Griechen, verjagt und zerstreut, die griechische Sprache aus (dem Lande) brächten und ein Anfang würden, auch andere Sprachen mit zu lernen.
So lieb nun wie uns das Evangelium ist, so eifrig laßt uns über den Sprachen wachen.12 Denn Gott hat seine Schrift nicht umsonst allein in den zwei Sprachen schreiben lassen: das Alte Testament in der hebräischen, das Neue in der griechischen. Wenn Gott sie nun nicht verachtet, sondern vor allen andern zu seinem Wort erwählt hat, sollen auch wir sie vor allen andern ehren. Denn Paulus rühmte das als eine besondere Ehre und Vorteil der hebräischen Sprache, daß Gottes Wort darinnen gegeben ist, da er Röm. 3, 1 f. sagte: »Was hat die Beschneidung Vorteil oder Nutzen? Sehr viel. Zum ersten: ihnen ist anvertraut, was Gott geredet hat.« Das rühmt auch der König David Ps. 147, 19: »Er zeigt Jakob sein Wort, Israel seine Sitten und Rechte.« Er hat keinem Volk so getan, noch ihnen seine Rechte offenbart. Daher heißet auch die hebräische Sprache »heilig«. Und Paulus nennet sie Röm. 1, 2 die »heilige Schrift«, ohne Zweifel um des heiligen Wortes Gottes willen, das drinnen enthalten ist. So kann auch die griechische Sprache wohl »heilig« heißen, weil sie von andern dazu erwählt ist, daß das Neue Testament drin geschrieben würde und aus ihr, wie aus einem Brunnen, durchs Übersetzen in andere Sprachen geflossen ist und sie auch geheiligt hat.
Und laßt uns das gesagt sein, daß wir das Evangelium ohne die Sprachen nicht gut behalten werden.13 Die Sprachen sind die Scheide, darin dies Messer des Geistes steckt. Sie sind der Schrein, darinnen man dies Kleinod trägt. Sie sind das Gefäß, darinnen man dies Kleinod trägt. Sie sind das Gefäß, darinnen man diesen Trank fasset. Sie sind die Kemnate,14 darinnen diese Speise liegt. Und wie das Evangelium selbst zeigt, sie sind die Körbe, darinnen man diese Brote und Fische und Brocken aufbewahrt (Matth. 14, 20). Ja, wo wirs versehen, daß wir (da Gott vor sei) die Sprachen fahrenlassen, so werden wir nicht allein das Evangelium verlieren, sondern auch endlich dahin gelangen, daß wir weder lateinisch noch deutsch recht reden oder schreiben können. Dessen laßt uns das elende, greuliche Beispiel der hohen Schulen und Klöster zum Beweis und zur Warnung nehmen, darin man nicht allein das Evangelium verlernt, sondern auch die lateinische und deutsche Sprache verderbt hat, daß die armen Leute15 schier zu lauter Bestien geworden sind, weder deutsch noch lateinisch recht reden oder schreiben können und beinahe auch die natürliche Vernunft verloren haben. Darum habens die Apostel auch selbst für nötig angesehen, daß sie das Neue Testament in die griechische Sprache faßten und anbanden; ohne Zweifel, damit sie es uns daselbst wie in einer heiligen Lade sicher und zuverlässig verwahrten. Denn sie haben all das vorhergesehen, was (damals) zukünftig war und nun so eingetroffen ist: wo es allein in die Köpfe gefaßt (d.h. mündlich überliefert) würde, wie manche wilde, wüste Unordnung und Verwirrung,16 so mancherlei Sinne, Meinungen und Lehren sich in der Christenheit erheben würden; welchen auf keine Weise zu wehren, noch die Einfältigen zu schützen wären, wo nicht das Neue Testament sicher in Schrift und Sprache gefaßt wäre. Darum ists sicher: wo nicht die Sprachen bleiben, da muß zuletzt das Evangelium untergehen.
Das hat auch bewiesen und zeigt noch an die Erfahrung. Denn sobald nach der Apostel Zeit die (Ur-)Sprachen aufhörten, nahmen auch das Evangelium und der Glaube und die ganze Christenheit immer mehr und mehr ab, bis daß sie unter dem Papst ganz versunken ist. Und seit der Zeit die (Ur-)Sprachen dahingefallen sind, ist nicht viel Besondres in der Christenheit zu sehen gewesen, aber gar viel greulicher Greuel aus Unkenntnis der (Ur-)Sprachen geschehen. Ebenso ist es umgekehrt: weil jetzt die Sprachen hervorgekommen sind, bringen sie ein solches Licht mit sich und tun solche großen Dinge, daß sich alle Welt verwundert und bekennen muß, daß wir das Evangelium so lauter und rein haben, so sehr17 es die Apostel gehabt haben, und daß es ganz in seine erste Reinheit gekommen ist und sehr viel reiner ist, als es zur Zeit des Hieronymus oder Augustin gewesen ist. Und in Summa: der heilige Geist ist kein Narr, gehet auch nicht mit leichtfertigen, unnötigen Sachen um, der hat die Sprachen in der Christenheit für so von Nutzen und von Nöten erachtet, daß er sie oftmals vom Himmel mit sich gebracht hat, was uns allein genugsam bewegen sollte, dieselben mit Fleiß und Ehren zu suchen und nicht zu verachten, weil er sie nun selbst wieder auf Erden erweckt. Ja, wendest du ein: es sind viel Väter selig geworden, haben auch gelehret ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen. Das ist wahr. Wo rechnest du aber auch das hin, daß sie so oft in der Schrift fehlgegangen sind? Wie oft irrt Augustin im Psalter und anderer Auslegung ebensowohl wie Hilarius, ja auch alle, die ohne die (Kenntnis der Ur-) Sprachen sich die Schrift auszulegen unterwunden haben? Und ob sie gleich etwa recht geredet haben, sind sie doch der Sache nicht sicher gewesen, ob das recht an dem Ort stehe, da sie es hindeuten. Wie, damit ich ein Beispiel dafür gebe: recht ists geredet, daß Christus Gottes Sohn ist. Aber wie spöttisch lautet es in den Ohren der Widersacher, da sie die Begründung dafür aus dem Psalm 110, 3 anführten, wo doch in der hebräischen Sprache nichts von der Gottheit geschrieben steht. Wenn man aber den Glauben so mit ungewissen Gründen und unzutreffenden Sprüchen18 schützet, ists für die Christen nicht eine Schmach und Spott bei den Gegnern,19 die der Sprache kundig sind? Sie werden nur halsstarriger im Irrtum und halten unsern Glauben mit gutem Schein für einen Menschentraum.
Wessen ist nun die Schuld, daß unser Glaube so zuschanden wird? Daß wir die (Ur-) Sprachen nicht können! Und ist hier keine Hilfe, als die (Ur-) Sprachen können! Wurde nicht Hieronymus gezwungen, den Psalter von neuem aus dem Hebräischen zu übersetzen, um deswillen, daß, wo man mit den Juden auf der Grundlage unseres Psalters verhandelte, spotten sie unser, daß es nicht so im Hebräischen stünde, wie es die Unsern anführten? Nun sind aller alten Väter Auslegungen, die ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen die Schrift behandelt haben (obwohl sie nichts Unrechtes lehren), doch dergestalt, daß sie sehr oft eine unsichere, unangemessene und unpassende Sprache20 führen. Sie tappen wie ein Blinder an der Wand, daß sie sehr oft den rechten Text verfehlen und ihm eine Nase nach ihrer Meinung machen, wie z.B. dem droben angezeigten Psalmvers, so daß auch Augustin selbst bekennen muß, wie er in De doctrina christiana21 schreibt, daß einem christlichen Lehrer, der die Schrift auslegen soll, über die lateinische (hinaus) auch die griechische und hebräische Sprache vonnöten sind. Es ist sonst unmöglich, daß er nicht allenthalben anstoße, ja, es ist noch Not und Mühe da, wenn einer die Sprachen schon gut kann.
Darum ists ein völlig anderes Ding22 um einen schlichten Prediger des Glaubens und um einen Ausleger der Schrift oder, wie es Paulus 1. Kor. 12, 28 ff.; 14, 26 ff. nennet, einen Propheten. Ein schlichter Prediger (das ist wahr) hat aus der Übersetzung so viel helle Sprüche und Texte, daß er Christus verstehen, lehren und heilig leben und andern predigen kann. Aber die Schrift auszulegen und fortlaufend zu behandeln23 und wider die irrigen Anführer der Schrift zu streiten, ist er zu gering, das läßt sich ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen nicht tun. Nun muß man ja in der Christenheit solche Propheten haben, die die Schrift treiben und auslegen und auch zum Streit taugen, und ist es nicht genug am heiligen Leben und recht Lehren. Darum sind die (Ur-) Sprachen unbedingt und durchaus in der Christenheit vonnöten, gleichwie die Propheten oder Ausleger, obgleichs nicht not(wendig) ist noch sein muß, daß ein jeglicher Christ oder Prediger ein solcher Prophet sei, wie Paulus 1. Kor. 12, 6 ff. und Eph. 4, 11 sagt.
Daher kommts, daß seit der Apostel Zeit die Schrift so finster geblieben ist und nirgends sichere (gegen Angriffe) beständige Auslegungen darüber geschrieben sind. Denn auch die heiligen Väter haben sich, wie gesagt, oft geirrt. Und weil sie der (Ur-) Sprachen unwissend gewesen, sind sie gar selten eins: der (ver)fährt so, der (ver)fährt so. Bernhard von Clairvaux24 ist ein Mann von großem Geist gewesen, daß ich ihn schier über alle Lehrer zu setzen wagte, die berühmt sind, sowohl alte und neue. Aber siehe, wie er mit der Schrift so oft, obwohl geistlich, spielt und sie aus dem rechten Sinn (hinaus)führet. Deshalb haben auch die Sophisten25 gesagt, die Schrift sei finster; sie haben gemeint, Gottes Wort sei von Natur so finster und rede so seltsam. Aber sie sehen nicht, daß aller Mangel an der (Unkenntnis der Ur-) Sprachen liegt, sonst wäre nichts Klareres als Gottes Wort je geredet, wo wir die Sprachen verstünden. Ein Türke muß mir wohl finster reden, welchen doch ein türkisch Kind von sieben Jahren gut versteht,26 weil ich die Sprache nicht kenne.
Darum ist es auch ein tolles Vornehmen gewesen, daß man die Schrift durch der Väter Auslegung und viel Bücher und Glossen lesen hat lernen wollen. Man sollte sich dafür auf das (Studium der Ur-) Sprachen gelegt haben. Denn die lieben Väter, weil sie ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen gewesen sind, haben sie zuweilen mit vielen Worten sich an einem Spruch abgemüht27 und dennoch nur kaum hintennach gemessen und halb geraten, halb gefehlt. So läufst du dem mit viel Mühe nach und könntest dieweil durch die (Kenntnis der Ur-) Sprachen der Sache selbst viel besser raten als der, dem du folgst. Denn wie die Sonne im Vergleich zum Schatten ist, so ist die (Ur-) Sprache im Vergleich zu aller Väter Glossen. Weil es denn nun den Christen gebührt, sich in der heiligen Schrift zu üben als ihrem ihnen gehörenden einzigen Buch und es eine Sünde und Schande ist, daß wir unser eigenes Buch nicht kennen und auch unseres Gottes Sprache und Worte nicht kennen, so ists noch viel mehr Sünde und Schande, daß wir nicht (die Ur-) Sprachen lernen, besonders wenn uns Gott jetzt Leute und Bücher und alles darbietet und gibt, was dazu dienet und uns gleichsam dazu anreizt und sein Buch gern offen haben wollte. O wie froh sollten die lieben Väter gewesen sein, wenn sie so zur heiligen Schrift hätten kommen und die Sprache lernen können, wie wir können! Wie haben sie mit so großer Mühe und Fleiß kaum die Brocken erlangt, da wir mit halber, ja schier ohne alle Mühe das ganze Brot gewinnen können. O wie beschämt ihr Fleiß unsere Faulheit; ja, wie hart wird Gott auch solchen unsern Unfleiß und Undankbarkeit rächen!
Dahin gehöret auch, daß Paulus 1. Kor. 14, 27 ff. will, daß in der Christenheit über alle Lehre das Urteil sein soll. Dazu ist allerdings vonnöten, die (Ur-) Sprache zu wissen. Denn der Prediger oder Lehrer kann wohl die Bibel durch und durch lesen, wie er will, er treffe oder verfehle (den Sinn), wenn niemand da ist, der da urteile, ob ers recht mache oder nicht. Soll man denn urteilen, so muß ausreichende Kenntnis der Sprachen28 da sein, sonst ists verloren. Darum, obwohl der Glaube und das Evangelium durch schlichte Prediger ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen gepredigt werden kann, so geht es doch schlecht und schwach,29 und man wirds zuletzt müde und überdrüssig und (es) fällt zu Boden. Aber wo die (Ur-) Sprachen sind, da gehet es frisch und stark und wird die Schrift durchgearbeitet30 und findet sich der Glaube immer neu, durch andere und aber andere Worte und Werke; daß Psalm 29, 931 solch Studieren in der Schrift einer Jagd vergleicht und sagt, Gott öffne den Hirschen die dichten Wälder, und Psalm 1, 3 einem Baum, der immer grünet und immer frisch Wasser hat.
Es soll uns auch nicht irremachen, daß sich etliche des Geistes rühmen und die Schrift geringachten, etliche auch wie die böhmischen Brüder32 die Sprachen nicht für nützlich achten. Aber lieber Freund: Geist hin, Geist her, ich bin auch im Geist gewesen und habe auch Geist gesehen – wenns je gelten soll, eigenes Fleisch zu rühmen -, vielleicht mehr, als eben dieselben in einem ganzen Jahr sehen werden, wie sehr sie auch sich rühmen. Auch hat mein Geist sich etwas betätigt,33 so doch ihr Geist im Winkel gar still ist und nicht viel mehr tut, als daß er seinen Ruhm erhebt.34 Das weiß ich aber gut, wie sehr der Geist alles allein tut, wäre ich doch allen Büschen (d.h. dem Ziel) zu fern gewesen, wo mir nicht die Sprachen geholfen und mich der Schrift sicher und gewiß gemacht hätten. Ich hätte auch wohl fromm sein und in der Stille recht predigen können, aber den Papst und die Sophisten mit dem ganzen endchristlichen35 Regiment würde ich wohl haben sein lassen, was sie sind. Der Teufel achtet meinen Geist nicht so sehr wie meine Sprache und Feder in der Schrift. Denn mein Geist nimmt ihm nichts als mich allein. Aber die heilige Schrift und (die Ur-) Sprachen machen ihm die Welt zu eng, und das tut ihm Schaden in seinem Reich.
So kann ich auch die böhmischen Brüder darin gar nicht loben, daß sie die (Ur-) Sprachen verachten. Denn ob sie gleich recht lehrten, so müssen sie doch gar oft den rechten Text verfehlen und auch ungerüstet und ungeschickt bleiben, für den Glauben wider den Irrtum zu fechten. Dazu ist ihre Sache so finster und auf eine eigene Weise gezogen, außer der Schrift Weise zu reden, daß ich besorge, es sei oder werde nicht lauter bleiben. Denn es ist gar gefährlich, von Gottes Sachen anders zu reden oder mit andern Worten, als Gott sie selbst braucht. In Kürze: sie mögen bei sich selbst heilig leben und lehren. Aber weil sie ohne (Kenntnis der Ur-) Sprache bleiben, wird ihnen mangeln müssen, was allen andern mangelt, daß sie nämlich die Schrift nicht sicher und gründlich behandeln noch andern Völkern nützlich sein können. Weil sie aber das wohl tun könnten und nicht tun wollen, mögen sie zusehen, wie es vor Gott zu verantworten sei.
[WA 15, 33–53] Auszüge zit. nach Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 7, Stuttgart 1967, S. 226-229.
Anmerkungen
1 Eig.: »freye künste« (entsprechend dem damaligen Aufbau des Wissenschaftssystems und der Universitäten).
2 Eig.:»die kür und wal«.
3 Eig.:»wider not noch nütze«.
4 Eig.:»nicht geratten«.
5 Eig.:»fast uber alle lender«.
6 Eig.:»fest drob hallten«.
7 Eig.:»wider entzuckt«.
8 Eig.:»mutwillen büsse«.
9 Eig.:»durch mittel der sprachen«, besser: durch Vermittlung der Sprachen.
10 Luther schreibt hier (und in allen entsprechenden Fällen) nur »sprachen«.
11 Mit der Einnahme Konstantinopels 1453 wurde die Eroberung des Landes abgeschlossen.
12 Eig.:»hallten«.
13 Eig.:»wol werden erhallten«.
14 Hier neutral = Raum.
15 Eig.:»elenden leut«.
16 Eig.:»unordnung und gemenge«, »dunckel und leren«.
17 Eig.:»fast alls«.
18 Eig.:»feylsprüchen«.
19 Eig.:»widder fechtern«.
20 Eig.:»fast offt ungewisse, unebene und unzeyttige sprache«.
21 De doctr. christ. II, 9, 14; 11, 16 ML 34, 42 f.
22 Eig.:»gar viel eyn ander ding«.
23 Eig.:»zu handeln für sich hyn«.
24 Bernhard von Clairvaux (1090-1153), einer der führenden Theologen des Mittelalters, auf den Luther oft Bezug nimmt.
25 D.h. die katholischen Theologen.
26 Eig.:»wol vernympt«.
27 Eig.: »kaum hynnach geomet«.
28 Eig.: »kunst der sprachen«.
29 Eig.: »faul und schwach«.
30 Eig.: »durch trieben«.
31 Luther bezieht sich (versehentlich) auf den 128. Psalm.
32 Eig.: »brüder Valdenses«.
33 Eig.: »beweyset«.
34 Eig.: »rhum auff wirfft«.
35 Antichristlich.
Luther, Ratsherrenschrift 1524
"Der Deutschen Geschichte und Sprüche weiß niemand"
"Da ich jung war, fuhret man in der Schulen ein Sprichwort: Non minus est negligere scholarem, quam corrumpere virginem. Nicht geringer ist es, einen Schuler versäumen denn eine Jungfrau schwächen. Das sagt man darum, daß man die Schulmeister erschrecket, denn man wißte dazumal kein schwerer Sunde, denn Jungfrauen schänden. Aber, lieber Herr Gott, wie gar viel geringer ist's, Jungfrau oder Weiber schänden (wilchs doch als ein leibliche erkannte Sunde mag gebüßet werden) gegen dieser, da die edlen Seelen verlassen und geschändet werden, da soliche Sunde auch' nicht geachtet noch erkennet und nimmer gebüßet wird? 0 wehe der Welt, immer und ewiglich. Da werden täglich Kinder geborn und wachsen bei uns daher und ist leider niemand, der sich des armen jungen Volks annehme und regiere, da läßt man's gehen, wie es gehet. Die Klöster und Stifte sollten's tun, so sind sie eben die, von denen Christus sagt: Wehe der Welt um der Ärgernisse willen, wer dieser jungen einen ärgert, die an mich gläuben, dem wäre es besser, einen Mühlstein an den Hals gehängt und ins Meer gesenkt, da es am tiefesten ist. Es sind nür Kinderfresser und Verderber."
[Textauszug]
Luther, Martin - An die Burgermeister und Ratherrn allerlei Städte in deutschen Landen, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen. 1524
Gnad und Fried von Gott unserm Vater und Herrn Jesu Christo. Fürsichtigen, weisen lieben Herrn. Wiewohl ich, nu wohl drei Jahr verbannet und in die Acht getan, hätte sollen schweigen, wo ich Menschen Gebot mehr denn Gott gescheuet hätt, wie denn auch viel in deutschen Landen beide, groß und klein, mein Reden und Schreiben aus derselben Sache noch immer verfolgen und viel Bluts drüber vergießen. Aber weil mir Gott den Mund aufgetan hat und mich heißen reden, dazu so kräftiglich bei mir stehet und meine Sache ahn meinen Rat und Tat soviel stärker macht und weiter aasbreit, soviel sie mehr toben, und sich gleich stellet, als lache und spotte er ihrs Tobens, wie der ander Psalm sagt, an wilchem alleine merken mag, wer nicht verstockt ist, daß diese Sache maß Gottes eigen sein, sintemal sich die Art göttlichs Worts und Werks hie äuget, wilchs allzeit denn am meisten zunimmt, wenn man's auf höhest verfolget und dämpfen will.
Darum will ich reden (wie Jesajas sagt) und nicht schweigen, weil ich lebe, bis daß Christus' Gerechtigkeit ausbreche wie ein Glanz und sein heilbertige Gnad wie ein Lampe anzündet werde, und bitte nu euch alle, meine lieben Herrn und Fründe wölltet diese meine Schrift und Ermahnung gründlich annehmen und zu Herzen fassen. Denn ich sei gleich an mir selber wie ich sei, so kann ich doch fur Gott mit rechtem Gewissen rühmen, dass ich darinnen nicht das Meine suche, wilchs ich viel baß möcht mit Stilleschweigen uberkommen, sondern meine es von Herzen treulich mit euch und ganzem deutschen Land, dahin mich. Gott verordenet hat. Es gläube oder gläube nicht, wer do will. Und will euer Liebe das frei und getrost zugesagt und angesagt haben, daß, wo ihr mir hierin gehorchet, ahn Zweifel nicht mir, sondern Christo gehorchet. Und wer mir nicht gehorchet, nicht mich, sondern Christon veracht. Denn ich weiß ie wohl und bin gewiß, was und wohin ich rede oder lehr, so wird's auch jedermann wohl selbs spüren, so er meine Lehre recht will ansehen.
Aufs erstt erfahren wir jetzt in deutschen Landen durch und durch, wie man allenthalben die Schulen zergehen läßt, die hohen Schulen werden schwach, Klöster nehmen ab und will solichs Gras dürre werden und die Blume fällt dahin, wie Jesajas sagt, weil der Geist Gottes durch sein Wort drein webet und scheinet so heiß drauf durch das Evangelion. Denn nu durch das Wort Gottes kund wird, wie solch Wesen unchristlich und nur auf den Bauch gericht sei. Ja, weil der fleischliche Haufe siebet, daß sie ihre Söhne, Töchter und Freunde nicht mehr sollen oder mögen in Klöster und Stift verstoßen und aus dem Hause und Gut weisen und auf fremde Güter setzen, will niemand meher lassen Kinder lehren noch studiern. Ja, sagen sie, was soll man lernen lassen, so nicht Pfaffen, Münich und Nonnen werden sollen? Man laß sie so mehr lehren'', damit sie sich ernähren.
Was aber solche Leut fur Andacht und im Sinn haben, zeuget gnugsam solch ihr eigen Bekenntnis. Denn wo sie hätten nicht allein den Bauch und zeitliche Nahrung fur ihre Kinder gesucht in Klöstern und Stiften oder im geistlichen Stand und wäre ihr Ernst gewest, der Kinder Heil und Seligkeit zu suchen, so würden sie nicht so die Hände ablassen und hinfallen und sagen: Soll der geistliche Stand nichts sein, so wöllen wir auch das Lehren lassen anstehen und nichts dazu tun. Sondern würden also sagen: Ist's wahr, wie das Evangelion lehret, daß solcher Stand unsern Kindern fährlich ist? Ach, Lieber, so lehret uns doch eine ander Weise, die Gott gefällig und unsern Kindern seliglich sei, denn wir wöllten ja gerne unsern lieben Kindern nicht allein den Bauch, sondern auch die Seel versorgen. Das werden freilich rechte christliche, treue Eltern von solchen Sachen reden.
Daß aber der böse Teufel sich also zur Sache stellet und gibet solchs ein den fleischlichen Weltherzen, die Kinder und das junge Volk so zu verlassen, ist nicht wunder, und wer will's ihn verdenken? Er ist ein Fürst und Gott der Welt. Daß er nu des sollt ein Gefallen tragen, daß ihm seine Nester, die Klöster und geistliche Rotten, verstöret werden durchs Evangelion, in wilchen er allermeist das junge Volk verderbet, an wilchem ihm gar viel, ja ganz und gar gelegen ist, wie ist's müglich? Wie sollt er das zugeben oder anregen, daß man jung Volk recht aufziehe? Ja, ein Narre wäre er, daß er in seinem Reich sollt das lassen und helfen aufrichten, dadurch es aufs allerschwindest müßte zu Boden gehen, wie denn geschehe, wo er das niedliche Bißlin, die liebe Jugend, verlöre und leiden mußte, daß sie mit seiner Köste und Güter erhalten würden zu Gottes Dienst.
Darum hat er fast weislich tan zu der Zeit, da die Christen ihre Kinder christlich aufzogen und lehren ließen. Es wollt ihm der junge Haufe zu gar entlaufen und in seinem Reich ein Unleidlichs aufrichten. Da fuhr er zu und breitet seine Netze aus, richte soliche Klöster, Schulen und Stände an, daß es nicht müglich war, daß ihm ein Knabe hätt sollen entlaufen ohn sonderlich Gottes Wunder. Nu er aber siehet, daß diese Stricke durchs Gotteswort verraten werden, fähret er auf die ander Seiten und will nu gar nichts lassen lernen. Recht und weislich tut er abermal fur sein Reich zu erhalten, daß ihm der junge Haufe ja bleibe. Wenn er denselben hat, so wächst er unter ihm auf und bleibt sein, wer will ihm etwas nehmen? Er behält die Welt denn wohl mit Frieden innen. Denn wo ihm soll ein Schaden geschehen, der da recht beiße, der muß durchs junge Volk geschehen, das in Gotteserkenntnis aufwächst und Gottes Wort ausbreitet und ander lehret.
Niemand, niemand gläubt, wilch ein schädlichs, teufelisch Furnehmen das sei und gehet doch so still daher, daß niemand merkt, und will`' den Schaden getan haben, ehe man raten, wehren und helfen kann. Man furcht sich fur Türken und Kriegen und Wassern, denn da verstehet man, was Schaden und Frummen sei. Aber was hie der Teufel im Sinn hat, siehet niemand, furcht auch niemand, gehet still 'erein. So doch hie billig wäre, daß, wo man einen Gulden gebe, wider die Türken zu streiten, wenn sie uns gleich auf dem Halse lägen, hie hundert Gülden geben würden, ob man gleich nür einen Knaben kunnt damit auferziehen, daß ein rechter Christenmann würde. Sintemal ein recht Christenmensch besser ist und mehr Nutzs vermag denn alle Menschen auf Erden.
Derhalben bitt ich euch alle, meine lieben Herrn und Freunde, um Gottes willen und der armen Jugend willen, wöllet diese Sache nicht so geringe achten, wie viel tun, die nicht sehen, was der Weltfürst gedenkt. Denn es ist ein ernste, große Sache, da Christo und aller Weit viel an liegt, daß wir dem jungen Volk helfen und raten. Damit ist denn auch uns und allen geholfen und geraten. Und denkt, daß soliche stille, heimliche, tückische Anfechtunge des Teufels will mit großem christlichen Ernst gewehret sein. Lieben Herrn, muß man jährlich soviel wenden an Büchsen, Wege, Stege, Dämme und dergleichen unzähligen Stucke mehr, damit eine Stadt zeitlich Friede und Gemach habe. Warum sollt man nicht viel mehr, doch [zumindest] auch soviel wenden an die dürftige, arme Jugend, daß man einen geschickten Mann oder zween hielte zu Schulmeistern?
Auch soll sich ein iglicher Burger selbs das lassen bewegen, hat er bisher soviel Gelds und Guts an Ablaß, Messen, Vigilien, Stiften, Testament, Jahrtagen, Bettelmünchen, Bruderschaften, Wallfahrten und was des Geschwürms mehr ist, verlieren müssen und nu hinfurt von Gottes Gnaden solches Raubens und Gebens los ist, wöllt doch Gott zu Dank und zu Ehren hinfurt desselben ein Teil zur Schulen geben, die armen Kinder aufzuziehen, daß so herzlich wohl angelegt ist, so er doch hätte müßt wohl zehenmal soviel vergebens den obgenannten Räubern und noch mehr geben ewiglich, wo solch Licht des Evangelii nicht kommen wäre und ihn davon erlöset hätte, und erkenne doch, daß, wo sich das wehret, beschweret, sperret und zerret, das gewißlich der Teufel da sei, der sich nicht so sperret, daß man's zu Klöstern und Messen gab, ja, mit Haufen dahin treib. Denn er fuhlet, daß dies Werk nicht seines Dinges ist. So laßt nu dies die erste Ursach sein, alle lieben Herrn und Fründe, die euch bewegen soll, daß wir hierin dem Teufel widerstehen als dem allerschädlichsten heimlichen Feinde.
Die ander, daß, wie St. Paulus sagt 2. Kor. 6, wir die Gnade Gottes nicht vergeblich empfahen und die selige Zeit nicht versäumen. Denn Gott der Allmächtige hat furwahr uns Deutschen jetzt gnädiglich daheimen gesucht und ein recht gülden Jahr' aufgericht. Da haben wir jetzt die feinsten, gelehrtesten junge Gesellen und Männer, mit Sprachen und aller Kunst geziert, weliche so wohl Nutz schaffen künnten, wo man ihr' brauchen wöllt, das junge Volk zu lehren. Ist's nicht fur Augen, daß man jetzt einen Knaben kann in dreien Jahren zurichten, daß er in seinem funfzehenten oder achtzehenten Jahr mehr kann, denn bisher alle hohen Schulen und Klöster gekunnt haben? Ja, was hat man gelernt in hohen Schulen und Klöstern bisher, denn nür Esel, Klötz und Bloch werden? Zwänzig, vierzig Jahr hat einer gelernt und hat noch widder Lateinisch noch Deutsch gewußt. Ich schweige das schändlich, lästerlich Leben, darinnen die edle Jugend so jämmerlich verderbt ist.
Wahr ist's, ehe ich wollt, daß hohe Schulen und Klöster blieben so, wie sie bisher gewesen sind, daß kein ander Weise, zu lehren und leben, sollt fur die Jugend gebraucht werden, wöllt ich ehe, daß kein Knabe nimmer nichts lernte und stumm wäre. Denn es ist mein ernste Meinung, Bitt und Begierde, daß diese Eselställe und Teufelsschulen entweder in Abgrund versünken oder zu christlichen Schulen verwandelt werden. Aber nu uns Gott so reichlich begnadet und solicher Leut die Menge geben hat, die das junge Volk fein lehren und ziehen mügen, wahrlich, so ist not, daß wir die Gnade Gottes nicht in Wind schlahen und lassen ihn nicht umsonst anklopfen. Er stehet fur der Tür, wohl uns, so wir ihm auftun. Er grüßet uns, selig, der ihm antwortet. Versehen wir's, daß er furuber gehet, wer will ihn wieder holen?
Laßt uns unsern vorigen Jammer ansehen und die Finsternis, darinnen wir gewest sind. Ich acht, daß deutsch Land noch nie so viel von Gottes Wort gehöret habe als itzt. Man spürt ie nichts in der Historien davon, lassen wir's denn so hingehen ohn Dank und Ehre, so ist's zu besorgen, wir werden noch greulicher Finsternis und Plage leiden. Lieben Deutschen, käuft, weil der Mark fur der Tür ist, sammlet ein, weil es scheinet und gut Wetter ist, braucht Gottes Gnaden und Wort, weil es da ist. Denn das sollt ihr wissen, Gottes Wort und Gnade ist ein fahrender Platzregen, der nicht wiederkommt, wo er einmal gewesen ist. Er ist bei den Juden gewest, aber hin ist hin, sie haben nu nichts. Paulus bracht ihn in Griechenland, hin ist auch hin, nu haben sie den Türken. Rom und latinisch Land hat ihn auch gehabt, hin ist hin, sie haben nu den Papst. Und ihr Deutschen dürft nicht denken, daß ihr ihn ewig haben werdet, denn der Undank und Verachtung wird ihn nicht lassen bleiben. Drum greif zu und halt zu, wer greifen und halten kann, faule Hände müssen ein böses Jahr haben.
Die dritte ist wohl die allerhöhest, nämlich Gottes Gebot, der durch Mose so oft treibt und fodert, die Eitern sollen die Kinder lehren, das auch der 78. Psalm spricht: Wie hat er so hoch unsern Vätern geboten, den Kindern kundzutun und zu lehren Kindskind. Und das weiset auch aus das vierte Gebot Gottes, do er der Eltern Gehorsam den Kindern so hoch gebeut, daß man auch durchs Gericht töten soll ungehorsame Kinder. Und warum leben wir Alten anders, denn daß wir des jungen Volks warten, lehren und aufziehen? Es ist je nicht müglich, daß sich das tolle Volk sollt selbs lehren und halten. Darum hat sie uns Gott befohlen, die wir alt und erfahren sind, was ihn' gut ist, und wird gar schwerlich Rechnung Von uns fur dieselben fodern. Darum auch Mose befiehlt (5. Mos. 32) und spricht: Frage deinen Vater, der wird dir's sagen, die Alten, die werden dir's zeigen.
Wiewohl es Sunde und Schande ist, daß dahin mit uns kommen ist, daß wir allererst reizen und uns reizen sollen lassen, unsere Kinder und junges Volk zu ziehen und ihr Bestes denken, so doch dasselb uns die Natur selbs sollt treiben und auch der Heiden Exempel uns mannigfältig weisen. Es ist kein unvernünftig Tier, das seiner jungen nicht wartet und lehret, was ihn' gebührt, ohn der Strauß, da Gott von sagt Hiob 39, daß er gegen seine jungen so hart ist, als wären sie nicht sein, und läßt seine Eier auf der Erden liegen. Und was hülf's, daß wir sonst alles hätten und täten und wären gleich eitel Heiligen, so wir das unterwegen lassen, darum wir allermeist leben, nämlich des jungen Volks pflegen? Ich acht auch, daß unter den äußerlichen Sunden die Welt fur Gott von keiner so hoch beschweret ist und so greuliche Strafe verdienet als eben von dieser, die wir an den Kindern tun, daß wir sie nicht ziehen.
Da ich jung war, fuhret man in der Schulen ein Sprichwort: Non minus est negligere scholarem, quam corrumpere virginem. Nicht geringer ist es, einen Schuler versäumen denn eine Jungfrau schwächen. Das sagt man darum, daß man die Schulmeister erschrecket, denn man wißte dazumal kein schwerer Sunde, denn Jungfrauen schänden. Aber, lieber Herr Gott, wie gar viel geringer ist's, Jungfrau oder Weiber schänden (wilchs doch als ein leibliche erkannte Sunde mag gebüßet werden) gegen dieser, da die edlen Seelen verlassen und geschändet werden, da soliche Sunde auch' nicht geachtet noch erkennet und nimmer gebüßet wird? 0 wehe der Welt, immer und ewiglich. Da werden täglich Kinder geborn und wachsen bei uns daher und ist leider niemand, der sich des armen jungen Volks annehme und regiere, da läßt man's gehen, wie es gehet. Die Klöster und Stifte sollten's tun, so sind sie eben die, von denen Christus sagt: Wehe der Welt um der Ärgernisse willen, wer dieser jungen einen ärgert, die an mich gläuben, dem wäre es besser, einen Mühlstein an den Hals gehängt und ins Meer gesenkt, da es am tiefesten ist. Es sind nür Kinderfresser und Verderber.
Ja, sprichst du, solchs alles ist den Eltern gesagt, was gehet das die Ratherrn und Oberkeit an? Ist recht geredt, ja wie, wenn die Eltern aber solchs nicht tun. Wer soll's denn tun? Soll's drum nachbleiben und die Kinder versäumet werden? Wo will sich da die Oberkeit und Rat entschuldigen, daß ihnen solchs nicht sollt gebühren? Daß es von den Eltern nicht geschieht, hat mancherlei Ursach.
Aufs erst sind etliche auch nicht so frumm und redlich, daß sie es täten, ob sie es gleich kunnten, sondern wie die Strauße härten“ sie sich auch gegen ihre Jungen und lassen's dabei bleiben, daß sie die Eier von sich geworfen und Kinder zeuget haben, nicht mehr tun sie dazu. Nu, diese Kinder sollen dennoch unter uns und bei uns leben in gemeiner Stadt. Wie will denn nu Vernunft und sonderlich christliche Liebe das leiden, daß sie ungezogen aufwachsen und den andern Kindern Gift und Schmeiße seien, damit zuletzt ein ganze Stadt verderbe, wie es denn zu Sodom und Gomorra und Gaba und etlichen mehr Städten ergangen ist.
Aufs ander, so ist der größest Haufe der Eltern leider ungeschickt dazu und nicht weiß, wie man Kinder ziehen und lernen soll. Denn sie nichts selbs gelernet haben, ohn den Bauch versorgen, und gehören sonderliche Leut dazu, die Kinder wohl und recht lehren und ziehen sollen.
Aufs dritte, obgleich die Eltern geschickt wären und wöllten's gerne selbs tun, so haben sie fur andern Geschäften und Haushalten widder Zeit noch Raum dazu, also daß die Not zwinget, gemeine Zuchtmeister fur die Kinder zu halten, es wöllte denn ein iglicher fur sich selbs einen eigen halten, aber das würde dem gemeinen Mann zu schwere und würde abermal manch fein Knabe um Armuts willen versäumet. Dazu, so sterben viel Eltern und lassen Waisen hinter sich, und wie dieselben durch Furmunden versorgt werden, ob uns die Erfahrung zu wenig wäre, sollt uns das wohl zeigen, daß sich Gott selbs der Waisen Vater nennet als dere, die von idermann sonst verlassen sind. Auch sind etliche, die nicht Kinder haben, die nehmen sich auch drum nichts an.
Darum will's hie dem Rat und der Oberkeit gebühren, die allergrößesten Sorge und Fleiß aufs junge Volk zu haben. Denn weil der ganzen Stadt Gut, Ehr, Leib und Leben ihn' zu treuer Hand befohlen ist, so täten sie nicht redlich fur Gott und der Welt, wo sie der Stadt Gedeihen und Besserung nicht suchten mit allem Vermügen Tag und Nacht. Nu liegt einer Stadt Gedeihen nicht alleine darin, daß man große Schätze sammle, feste Mauren, schöne Häuser, viel Büchsen und Harnisch zeuge. Ja, wo des viel ist und tolle Narren drüber kommen, ist soviel deste ärger und deste größer Schaden derselben Stadt. Sondern das ist einer Stadt bestes und allerreichest Gedeihen, Heil und Kraft, daß sie viel feiner, gelehrter, vernünftiger, ehrbar, wohlgezogener Burger hat. Die künnten darnach wohl Schätze und alles Gut sammlen, halten und recht brauchen.
Wie hat die Stadt Roma tan, die ihre Knaben also ließ ziehen, daß sie inwendig funfzehen, achtzehen, zwänzig Jahren aufs ausbündigst künnten Lateinisch und Griechisch und allerlei freie Künste (wie man sie nennet), darnach flugs in den Krieg und Regiment, da würden witzige, vernünftige und treffliche Leute aus, mit allerlei Kunst und Erfahrunge geschickt, daß, wenn man itzt alle Bischofe und alle Pfaffen und Müniche in deutschem Lande auf einen Haufen schmelzet, sollt man nicht soviel finden, als man da wohl in einem römischen Kriegsknecht fand. Darum ging auch ihr Ding vonstatten`', da fand man Leute, die zu allerlei tüchtig und geschickt waren. Also hat's die Not allezeit erzwungen und erhalten in aller Welt, auch bei den Heiden, daß man Zuchtmeister und Schulmeister hat müssen haben, so man anders etwas Redlichs hat wöllen aus eim Volk machen. Daher ist auch das Wort Zuchtmeister in Sankt Paulo (Gal. 3) als aus dem gemeinen Brauch menschlichs Lebens genommen, da er spricht: Das Gesetze ist unser Zuchtmeister gewesen.
Weil denn eine Stadt soll und muß Leute haben und allenthalben der größte Gebreche, Mangel und Klage ist, daß [es] an Leuten feile, so muß man nicht harren, bis sie selbs wachsen, man wird sie auch widder aus Steinen hauen noch aus Holz schnitzen, so wird Gott nicht Wunder tun, solange man der Sachen durch ander seine dargetane Güter geraten' , kann. Darum müssen wir dazutun und Mühe und Kost dranwenden, sie selbst erziehen und machen. Denn wes ist die Schuld, daß es itzt in allen Städten so dünne siehet' von geschickten Leuten, ohn der Oberkeit, die das junge Volk hat lassen aufwachsen, wie das Holz im Wald wächset, und nicht zugesehen, wie man's lehre und ziehe? Darum ist's auch so unördig gewachsen, daß zu keinem Bau, sondern nur ein unnütz Gehecke und nur zum Feurwerk tüchtig ist.
Es muß doch weltlich Regiment bleiben, soll man denn zulassen, daß eitel Rülzen und Knebel regieren, so man's wohl bessern kann ist ie ein wild, unvernünftiges Furnehmen! so laß man ebensomehr Säu und Wölfe zu Herrn machen und setzen uber die, so nicht denken wöllen, wie sie von Menschen regiert werden. So ist's auch ein unmenschliche Bosheit, so man nicht weiter denkt denn also: wir wöllen itzt regieren, was geht uns an, wie es denen gehen werde, die noch uns kommen. Nicht uber Menschen, sonder uber Säu und Hunde sollten soliche Leute regieren, die nicht mehr denn ihren Nutz oder Ehre im Regiment suchen. Wenn man gleich den höhesten Fleiß furwendet, daß man eitel feine, gelehrte, geschickte Leut erzöge, zu regieren, es würde dennoch Mühe und Sorge gnug haben, daß es wohl zuginge. Wie soll es denn zugehen, wenn man da gar nichts zutut?
Ja, sprichst du abermal, ob man gleich sollt und müßte Schulen haben, was ist uns aber nütze, lateinisch, griechisch und ebräisch Zungen und andere freie Künste zu lehren, künnten wir doch wohl deutsch die Bibel und Gottes Wort lehren, die uns gnugsam ist zur Seligkeit. Antwort: Ja, ich weiß leider wohl, daß wir Deutschen müssen immer Bestien und tolle Tier sein und bleiben, wie uns denn die umliegende Länder nennen und wir auch wohl verdienen. Mich wundert aber, warum wir nicht auch einmal sagen: was sollen uns Seiden, Wein, Würze und der fremden ausländischen Ware, so wir doch selbs Wein, Korn, Wolle, Flachs, Holz und Stein in deutschen Landen nicht allein die Fülle haben zur Nahrung, sondern auch die Kür und Wahl zu Ehren und Schmuck? Die Künste und Sprachen, die uns ohn Schaden, ja, größer Schmuck, Nutz, Ehre und Frummen sind, beide, zur Heiligen Schrift zu verstehen und weltlich Regiment zu führen, wöllen wir verachten und der ausländischen Ware, die uns widder not noch nütze sind, dazu uns schinden bis auf den Grat, der wöllen wir nicht geraten'. Heißen das nicht billig deutsche Narren und Bestien?
Zwar, wenn kein anderer Nutz an den Sprachen wäre, sollt doch uns das billig erfreuen und anzünden, daß es so ein edle, feine Gabe Gottes ist, damit uns Deutschen Gott itzt so reichlich fast uber alle Länder heimsucht und begnadet. Man siehet nicht viel, daß der Teufel dieselben hätte lassen durch die hohen Schulen und Klöster aufkommen. Ja, sie haben allzeit aufs höhest dawider getobet und auch noch toben, denn der Teufel roch den Braten wohl, wo die Sprachen 'erfurkämen, würde sein Reich ein Fach gewinnen, das er nicht kunnte leicht wieder zustopfen. Weil er nu nicht hat mügen wehren, daß sie 'erfurkämen, denket er doch, sie nu also schmal zu halten, daß sie von ihn' selbs wieder sollen vergehen und fallen. Es ist ihm nicht ein lieber Gast damit ins Haus kommen. Drum will er ihn auch also speisen, daß er nicht lange solle bleiben. Diesen bösen Tuck des Teufels sehen unser gar wenig, lieben Herren.
Darum, lieben Deutschen, laßt uns hie die Augen auftun, Gott danken fur das edel Kleinod und fest drob halten, daß uns nicht wieder entzuckt werde und der Teufel nicht seinen Mutwillen büße. Denn das konnen wir nicht leugen, daß, wiewohl das Evangelion allein durch den Heiligen Geist ist kommen und täglich kommt, so ist's doch durch Mittel der Sprachen kommen und hat auch dadurch zugenommen, muß auch dadurch behalten werden. Denn gleich, als da Gott durch die Apostel wollt in alle Welt das Evangelion lassen kommen, gab er die Zungen dazu. Und hatte auch zuvor durch der Römer Regiment die griechische und lateinische Sprach so weit in alle Land ausgebreitet, auf daß sein Evangelion ie bald fern und weit Frucht brächte. Also hat er itzt auch getan. Niemand hat gewußt, warum Gott die Sprachen 'erfür ließ kommen, bis daß man nu allererst siehet, daß es um des Evangelio willen geschehen ist, wilchs er hernach hat wöllen offenbarn und dadurch des Endchrists Regiment aufdecken und zustören. Darum hat er auch Griechenland dem Türken geben, auf daß die Griechen verjagt und zustreuet, die griechische Sprach ausbrächten und ein Anfang würden, auch andere Sprachen mit zu lernen.
So lieb nu als uns das Evangelion ist, so hart laßt uns uber den Sprachen halten. Denn Gott hat seine Schrift nicht umsonst allein in zwo Sprachen schreiben lassen, das Alte Testament in die ebräische und das Neu in die griechische. Welche nu Gott nicht veracht, sondern zu seinem Wort erwählet hat fur allen andern, sollen auch wir dieselben fur allen andern ehren. Denn St. Paulus rühmet das fur ein sonderliche Ehre und Vorteil der ebräischen Sprach, daß Gottes Wort drinnen geben ist, da er sprach Röm. 3: Was hat die Beschneidung Vorteils oder Nutzes? Fast viel, aufs erst, so sind ihn' Gottes Rede befohlen. Das rühmet auch der König David Psalm 147: Er verkündigt sein Wort Jakob und seine Gebot und Rechte Israel. Er hat keinem Volk also getan noch seine Rechte ihnen offenbart. Daher auch die ebräische Sprach heilig heißet. Und Sankt Paulus Röm. 1 nennet sie die heilige Schrift, ohn Zweifel um des heiligen Worts Gottes willen, das drinnen verfasset ist. Also mag auch die griechische Sprach wohl heilig heißen, daß dieselb fur andern dazu erwählet ist, daß das Neue Testament drinnen geschrieben würde. Und aus derselben als aus eim Brunnen in andere Sprach durchs Dolmetschen geflossen und sie auch geheiliget hat.
Und laßt uns das gesagt sein, daß wir das Evangelion nicht wohl werden erhalten ohn die Sprachen. Die Sprachen sind die Scheiden, darin dies Messer des Geists stickt. Sie sind der Schrein, darinnen man dies Kleinod trägt. Sie sind das Gefäß, darinnen man diesen Trank fasset. Sie sind die Kemnot, darinnen diese Speise liegt. Und wie das Evangelion selbs zeigt: Sie sind die Körbe, darinnen man diese Brot und Fische und Brocken behält'. Ja, wo wir's versehen, daß wir (da Gott fur sei) die Sprachen fahren lassen, so werden wir nicht allein das Evangelion verlieren, sondern wird auch endlich dahin geraten, daß wir widder lateinisch noch deutsch recht reden oder schreiben künnten. Des laßt uns das elend, greulich Exempel zur Beweisung und Warnung nehmen in den hohen Schulen und Klöstern, darinnen man nicht allein das Evangelion verlernt, sondern auch lateinische und deutsche Sprache verderbet hat, daß die elenden Leut schier zu lauter Bestien worden sind, widder deutsch noch lateinisch recht reden oder schreiben konnen und beinahend auch die natürliche Vernunft verloren haben.
Darum haben's die Apostel auch selbs fur nötig angesehen, daß sie das Neue Testament in die griechische Sprache fasseten und anbünden, ohn Zweifel, daß sie es uns daselbs sicher und gewiß verwahreten wie in einer heiligen Laden. Denn sie haben gesehen all dasjenige, das zukunftig war und nu also ergangen ist, wo es allein in die Köpf gefasset würde`', wie manche wilde, wüste Unordnung und Gemenge, so mancherlei Sinnen', Dunkel und Lehren sich erheben würden in der Christenheit, wilchen in keinen Weg zu wehren noch die Einfältigen zu schützen wären, wo nicht das Neue Testament gewiß in Schrift und Sprache gefasset wäre. Darum ist's gewiß, wo nicht die Sprachen bleiben, da muß zuletzt das Evangelion untergehen.
Das hat auch beweiset und zeigt noch an die Erfahrung. Denn so bald nach der Apostel Zeit, da die Sprachen aufhöreten, nahm auch das Evangelion und der Glaube und ganze Christenheit ie mehr und mehr ab, bis daß sie unter dem Papst gar versunken ist. Und ist, sinter Zeit die Sprachen gefallen sind, nicht viel Besonders in der Christenheit ersehen, aber gar viel greulicher Greuel aus Unwissenheit der Sprachen geschehen. Also wiederum weil itzt die Sprachen 'erfurkommen sind, bringen sie ein solich Licht mit sich und tun solch große Ding, daß sich alle Welt verwundert und muß bekennen, daß wir das Evangelien so lauter und rein haben, fast als die Apostel gehabt haben, und ganz in seine erste Reinigkeit kommen ist und gar viel reiner, denn es zur Zeit Sankt Hieronimi oder Augustini gewesen ist. Und Summa: Der Heilige Geist ist kein Narre, gehet auch nicht mit leichtfertigen, unnötigen Sachen um, der hat die Sprachen so nütz und not geacht in der Christenheit, daß er sie oftmals von Himmel mit sich bracht hat, wilchs uns alleine sollt gnugsam bewegen, dieselben mit Fleiß und Ehren zu suchen und nicht zu verachten, weil er sie nu selbs wieder auf Erden erweckt.
Ja, sprichst du, es sind viel Väter selig worden, haben auch gelehret ohn Sprachen. Das ist wahr. Wo rechenst du aber auch das hin, daß sie so oft in der Schrift gefeilt haben? Wie oft feilet Sankt Augustinus im Psalter und andern Auslegung, sowohl als Hilarius, ja, auch alle, die ohn die Sprachen sich der Schrift haben unterwunden auszulegen? Und ob sie gleich etwa recht geredt haben, sind sie doch der Sachen nicht gewiß gewesen, ob dasselb recht an dem Ort stehe, da sie es hindeuten. Als daß ich des ein Exempel zeige: Recht ist's geredt, daß Christus Gottes Sohn ist. Aber wie spöttisch lautet es in den Ohren der Widersacher, da sie des Grund fuhreten aus dem 110. Psalm: Tecum principium in die virtutis tue, so doch daselbs in der ebräischen Sprachen nichts von der Gottheit geschrieben steht. Wenn man aber also mit ungewissen Gründen und Feilsprüchen den Glauben schützet, ist's nicht ein Schmach und Spott der Christen bei den Widerfechtern, die der Sprach kündig sind? Und werden nür halsstarriger im Irrtum und halten unsern Glauben mit gutem Schein fur einen Menschentraum.
Wes ist nu die Schuld, daß unser Glaube so zuschanden wird? Nämlich, daß wir der Sprachen nicht wissen, und ist hie kein Hülfe, denn die Sprachen wissen. Ward nicht St. Hieronimus gezwungen, den Psalter von neuem zu verdolmetschen aus dem Ebräischen um des willen, daß, wo man mit den Juden aus unserem Psalter handelt', spotten sie unser, daß es nicht also stünde im Ebräischen, wie es die Unsern fuhreten? Nu sind aller alten Väter Auslegung, die ohn Sprachen die Schrift haben gehandelt (ob sie wohl nichts Unrechts lehren), doch dergestalt, daß sie fast oft ungewisse, unebene und unzeitige Sprache fuhren und tappen wie ein Blinder an der Wand, daß sie gar oft des rechten Texts feilen und machen ihm eine Nasen nach ihrer Andacht, wie dem Vers droben angezeigt (Tecum principium etc.). Das auch St. Augustinus selbs muß bekennen, wie er schreibt de doctrina Christiana, daß einem christlichen Lehrer, der die Schrift soll auslegen, not sind uber die lateinische auch die griechische und ebräische Sprachen. Es ist sonst unmüglich, daß er nicht allenthalben anstoße, ja, noch Not und Arbeit da ist, ob einer die Sprachen schon wohl kann.
Darum ist gar viel ein ander Ding um einen schlechten Prediger des Glaubens und um einen Ausleger der Schrift oder, wie es St. Paulus nennet, einen Propheten. Ein schlechter Prediger (ist wahr) hat soviel heller Sprüch und Text durchs Dolmetschen, daß er Christum verstehen, lehren und heiliglich leben und andern predigen kann. Aber die Schrift auszulegen und zu handeln fur sich hin und zu streiten wider die irrigen Einführer der Schrift, ist er zu geringe, das lässet sich ohn Sprachen nicht tun. Nu muß man ie in der Christenheit soliche Propheten haben, die die Schrift treiben und auslegen und auch zum Streit tugen, und ist nicht gnug am heiligen Leben und recht Lehren. Darum sind die Sprachen stracks und aller Dinge vonnöten in der Christenheit, gleich wie die Propheten oder Ausleger, ob's gleich nicht not ist noch sein muß, daß ein iglicher Christ oder Prediger sei ein solich Prophet, wie Sankt Paulus sagt 1. Kor. 12 und Eph. 4.
Daher kommt's, daß sint der Apostel Zeit die Schrift so finster ist blieben und nirgend gewisse, beständige Auslegunge drüber geschrieben sind. Denn auch die heiligen Väter (wie gesagt) oft gefeilt, und weil sie der Sprachen unwissend gewesen, sind sie gar selten eines, der fähret sonst, der fähret so. Sankt Bernhard ist ein Mann von großem Geist gewesen, daß ich ihn schier türst uber alle Lehrer setzen, die berühmt sind, beide, alte und neue. Aber siehe, wie er mit der Schrift so oft (wiewohl geistlich) spielt und sie fuhret außer dem rechten Sinn. Derhalben haben auch die Sophisten gesagt, die Schrift sei finster, haben gemeinet, Gottes Wort sei von Art so finster und rede so seltsam. Aber sie sehen nicht, daß aller Mangel liegt an den Sprachen, sonst wäre nicht Lichters je geredt denn Gottes Wort, wo wir die Sprachen verstünden. Ein Türk muß mir wohl finster reden, wilchen doch ein türkisch Kind von sieben Jahren wohl vernimmt, dieweil ich die Sprache nicht kenne.
Darum ist das auch ein toll Fürnehmen gewesen, daß man die Schrift hat wöllen lernen durch der Väter Auslegen und viel Bücher und Glossen Lesen. Man sollt sich dafur auf die Sprachen geben haben. Denn die lieben Väter, weil sie ohn Sprachen gewesen sind, haben sie zuweilen mit vielen Worten an einem Spruch geärbeitet und dennoch nür kaum hinnach geohmet und halbe geraten, halb gefeilet. So läufest du demselben nach mit viel Mühe und künntest dieweil durch die Sprachen demselben viel baß solichen raten, denn der, dem du folgest. Denn wie die Sonne gegen dem Schatten ist, so ist die Sprache gegen aller Väter Glossen. Weil denn nu den Christen gebührt, die Heiligen Schrift zu uben als ihr eigen einiges Buch, und ein Sunde und Schande ist, daß wir unser eigen Buch nicht wissen noch unsers Gottes Sprach und Wort nicht kennen, so ist's noch viel mehr Sunde und Schaden, daß wir nicht Sprachen lehren, sonderlich, so uns itzt Gott darbeut und gibt Leute und Bücher und allerlei, was dazu dienet, und uns gleich dazu reizt und sein Buch gern wollt offen haben. Oh, wie froh sollten die lieben Väter gewesen sein, wenn sie hätten so kunnt zur Heiligen Schrift kommen und die Sprachen lehren, als wir künnten. Wie haben sie mit so großer Mühe und Fleiß kaum die Brocken erlanget, da wir mit halber, ja, schier ohn alle Arbeit das ganze Brot gewinnen künnten. Oh, wie schändet' ihr Fleiß unser Faulheit. Ja, wie hart wird Gott auch rächen solchen unsern Unfleiß und Undankbarkeit.
Daher gehöret auch, daß St. Paulus 1. Kor. 14 will, daß in der Christenheit soll das Urteil sein uber allerlei Lehre, dazu aller Dinge vonnöten ist, die Sprache zu wissen. Denn der Prediger oder Lehrer mag wohl die Biblia durch und durch lesen, wie er will, er treffe oder feile, wenn niemand da ist, der da urteile, ob er's recht mache oder nicht. Soll man denn urteilen, so muß Kunst der Sprachen da sein, sonst ist's verloren. Darum, obwohl der Glaube und das Evangelion durch schlechte Prediger mag ohn Sprachen predigt werden, so gehet es doch faul und schwach, und man wird's zuletzt müde und uberdrüssig und fället zu Boden. Aber wo die Sprachen sind, da gehet es frisch und stark und wird die Schrift durchtrieben' und findet sich der Glaube immer neu durch andere und aberandere Wort und Werk, daß der 29. Psalm solich Studiern in der Schrift vergleicht einer Jaged und spricht: Gott öffne den Hirsen die dicke Wälde. Und Psalm 1: Einem Baum, der immer grunet und immer frisch Wasser hat.
Es soll uns auch nicht irren', daß etliche sich des Geists rühmen und die Schrift geringe achten, etliche auch wie die Brüder Valdenses die Sprachen nicht nützlich achten. Aber, lieber Freund, Geist hin, Geist her, ich bin auch im Geist gewesen und habe auch Geist gesehen (wenn's je gelten soll, von eigenem Fleisch rühmen), vielleicht mehr, denn eben dieselbigen noch im Jahr sehen werden, wie fast sie auch sich rühmen. Auch hat mein Geist sich etwas beweiset, so doch ihrer Geist im Winkel gar still ist und nicht viel mehr tut, denn seinen Ruhm aufwirft. Das weiß ich aber wohl, wie fast der Geist alles alleine tut, wäre ich doch allen Büschen zu ferne gewest, wo mir nicht die Sprachen geholfen und mich der Schrift sicher und gewiß gemacht hätten. Ich hätte auch wohl kunnt frumm sein und in der Stille recht predigen, aber den Papst und die Sophisten mit dem ganzen endechristischen Regiment würde ich wohl haben lassen sein, was sie sind. Der Teufel achtet meinen Geist nicht so fast als meine Sprache und Feder in der Schrift. Denn mein Geist nimmt ihm nichts denn mich allein. Aber die Heiligen Schrift und Sprachen machen ihm die Welt zu enge und tut ihm Schaden in seim Reich.
So kann ich auch die Brüder Valdenses darinnen gar nichts loben, daß sie die Sprachen verachten. Denn ob sie gleich recht lehreten, so müssen sie doch gar oft des rechten Texts feilen und auch ungerüst und ungeschickt bleiben, zu fechten fur den Glauben, wider den Irrtum. Dazu ist ihr Ding so finster und auf eine eigen Weise gezogen außer der Schriftweise, zu reden, daß ich besorge, es sei oder werde nicht lauter bleiben. Denn es gar fährlich ist, von Gottes Sachen anders reden oder mit andern Worten, denn Gott selbs braucht. Kürzlich sie mügen bei ihn' selbs heilig leben und lehren. Aber weil sie ohn Sprache bleiben, wird ihn' mangeln müssen, das allen andern mangelt, nämlich, daß sie die Schrift gewiß und grundlich nicht handeln noch andern Völkern nützlich sein mügen. Weil sie aber das wohl künnten tun und nicht tun wöllen, mügen sie zusehen, wie es fur Gott zu verantworten sei.
Nu, das sei gesagt von Nutz und Not der Sprachen und christlichen Schulen fur das geistlich Wesen und zur Seelenheil. Nu laßt uns auch den Leib furnehmen und setzen, ob schon kein Seel noch Himmel oder Helle wäre, und sollten alleine das zeitlich Regiment ansehen nach der Welt, ob dasselb nicht dürfe viel mehr guter Schulen und gelehrter Leute denn das geistliche. Denn bisher sich desselben die Sophisten so gar nichts haben angenommen und die Schulen so gar auf den geistlichen Stand gerichtet, daß gleich eine Schande gewesen ist, so ein Gelehrter ist ehlich worden und hat müssen hören sagen: Siehe, der wird weltlich und will nicht geistlich werden. Gerade, als wäre allein ihr geistlicher Stand Gott angenehm und der weltliche (wie sie ihn nennen) gar des Teufels und unchristlich, so doch dieweil fur Gott sie selbs des Teufels eigen werden und allein dieser arm Pöfel (wie in der babylonischen Gefängnis dem Volk Israel geschah) im Land und rechten Stand ist blieben und die Besten und Obersten zum Teufel gen Babylon gefuhrt sind mit Platten und Kappen.
Nu, hie ist nicht not, zu sagen, wie das weltlich Regiment ein göttlich Ordnung und Stand ist (davon ich sonst soviel gesagt hab, daß ich hoffe, es zweifel niemand dran), sondern ist zu handelen, wie man feine, geschickte Leut drein kriege. Und hie bieten uns die Heiden ein großen Trotz und Schmach an, die vorzeiten, sonderlich die Römer und Griechen, gar nichts gewußt haben, ob solicher Stand Gott gefiele aber nicht, und haben doch mit solichem Ernst und Fleiß die jungen Knaben und Maidlin lassen lernen und aufziehen, daß sie dazu geschickt wurden, daß ich mich unser Christen schämen muß, wenn ich dran denke, und sonderlich unser Deutschen, die wir so gar Stöck und Tier sind und sagen türen: Ja, was sollen die Schulen, so man nicht soll geistlich werden? Die wir doch wissen oder je wissen sollen, wie ein nötiges und nützes Ding es ist und Gott so angenehm, wo ein Fürst, Herr, Ratmann oder was regiern soll, gelehrt und geschickt ist, denselben Stand christlich zu fuhren.
Wenn nu gleich (wie ich gesagt habe) kein Seele wäre und man der Schulen und Sprachen gar nichts dürfte um der Schrift und Gottes willen, so wäre doch allein diese Ursach gnugsam, die allerbesten Schulen, beide, fur Knaben und Maidlin, an allen Orten aufzurichten, daß die Welt, auch ihren weltlichen Stand äußerlich zu halten, doch bedarf feiner geschickter Männer und Frauen, daß die Männer wohl regiern künnten Land und Leut, die Frauen wohl ziehen und halten künnten Haus, Kinder und Gesinde. Nu, soliche Männer müssen aus Knaben werden, und soliche Frauen müssen aus Maidlin werden. Darum ist's zu tun, daß man Knäblin und Maidlin dazu recht lehre und aufziehe. Nu hab ich droben gesagt, der gemein Mann tut hie nichts zu, kann's auch nicht, will's auch nicht, weiß auch nicht. Fürsten und Herrn sollten's tun, aber sie haben auf 'm Schlitten zu fahren, zu trinken und in der Mummerei zu laufen und sind beladen mit hohen, merklichen Geschäften des Kellers, der Küchen und der Kammer. Und ob's etliche gern täten, müssen sie die andern scheuen, daß sie nicht fur Narren oder Ketzer gehalten werden. Darum will's euch, lieben Ratsherrn, alleine in der Hand bleiben, ihr habt auch Raum und Fug dazu, besser denn Fürsten und Herrn.
Ja, sprichst du, ein iglicher mag seine Tochter und Söhne wohl selber lehren oder ie ziehen mit Zucht. Antwort: Ja, man siehet wohl, wie sich's lehret und zeucht. Und wenn die Zucht aufs höhest getrieben wird und wohl gerät, so kommt's nicht ferner, denn daß ein wenig ein eingezwungen und ehrbar Gebärde da ist, sonst bleiben's gleichwohl eitel Holzböcke, die widder hievon noch davon wissen zu sagen, niemand widder raten noch helfen konnen. Wo man sie aber lehret und zöge in Schulen oder sonst, da gelehrte und züchtige Meister und Meisterin' wären, da die Sprachen und andere Künst und Historien lehreten, da würden sie hören die Geschichte und Sprüche aller Welt, wie es dieser Stadt, diesem Reich, diesem Fürsten, diesem Mann, die sein Weibe gangen wäre, und künnten also in kurzer Zeit gleich der ganzen Welt von Anbeginn Wesen, Leben, Rat und Anschläge, Gelingen und Ungelingen fur sich fassen wie in eim Spiegel, daraus sie denn ihren Sinn schicken und sich in der Welt Lauft richten künnten mit Gottesfurcht, dazu witzig und klug werden aus denselben Historien, was zu suchen und zu meiden wäre in diesem äußerlichen Leben, und andern auch darnach raten und regiern. Die Zucht aber, die man daheime ohn solche Schulen furnimmt, die will uns weise machen durch eigen Erfahrung. Ehe das geschieht, so sind wir hundertmal tot und haben unser Leben lang alles unbedächtig gehandelt, denn zu eigener Erfahrung gehört viel Zeit.
Weil denn das junge Volk muß lecken und springen oder ie was zu schaffen haben, da es Lust innen hat und ihm darin nicht zu wehren ist, auch nicht gut wäre, daß man's alles wehret, warum sollt man denn ihm nicht solche Schulen zurichten und solche Kunst furlegen? Sintemal es itzt von Gottes Gnaden alles also zugericht ist, daß die Kinder mit Lust und Spiel lehren kunnten, es seien Sprachen oder ander Künst oder Historien. Und ist itzt nicht mehr die Helle und das Fegfeur unser Schulen, da wir innen gemartert sind uber den Casualibus und Temporalibus, da wir doch nichts denn eitel nichts gelernt haben durch soviel Stäupen, Zittern, Angst und Jammer. Nimmt man so viel Zeit und Mühe, daß man die Kinder Spielen auf Karten, Singen und Tanzen lehret, warum nimmt man nicht auch so viel Zeit, daß man sie Lesen und ander Künst lehret, weil sie jung und müßig, geschickt und lüstig dazu sind? Ich rede fur mich, wenn ich Kinder hätte und vermöcht's, sie müßten mir nicht alleine die Sprachen und Historien hören, sondern auch singen und die Musica mit der ganzen Mathematica lernen. Denn was ist dies alles denn eitel Kinderspiel, darinnen die Griechen ihre Kinder vorzeiten zogen, dadurch doch wunder geschickte Leut aus worden, zu allerlei hernach tüchtig. Ja, wie leid ist mir's itzt, daß ich nicht mehr Poeten und Historien gelesen habe und mich auch dieselben niemand gelernt hat. Habe dafur müßt lesen des Teufels Dreck, die Philosophos und Sophisten mit großer Kost, Arbeit und Schaden, daß ich gnug habe dran auszufegen.
So sprichst du: Ja, wer kann seiner Kinder so embehren und alle zu Junkern ziehen? Sie müssen im Hause der Ärbeit warten etc. Antwort: Ist's doch auch nicht meine Meinung, daß man solche Schulen anrichte, wie sie bisher gewesen sind, da ein Knabe zwänzig oder dreißig Jahr hat uber dem Donat und Alexander gelernt und dennoch nichts gelernt. Es ist itzt ein ander Welt und gehet anders zu. Mein Meinung ist, daß man die Knaben des Tags ein Stund oder zwo lasse zu solcher Schule gehen und nichtsdesteweniger die ander Zeit im Hause schaffen, Handwerk lernen und wozu man sie haben will, daß beides miteinander gehe, weih das Volk jung ist und gewarten kann. Bringen sie doch sonst wohl zehenmal soviel Zeit zu mit Käulichen schießen, Ballspielen, Laufen und Rammeln.
Also kann ein Maidlin ja so viel Zeit haben, daß des Tages eine Stunde zur Schule gehe und dennoch seins Geschäfts im Hause wohl warte, verschläft's und vertanzet und verspielet es doch wohl mehr Zeit. Es feilet allein daran, daß man nicht Lust noch Ernst dazu hat, das junge Volk zu ziehen noch der Welt helfen und raten mit feinen Leuten. Der Teufel hat viel lieber grobe Blöche und unnütze Leut, daß den Menschen ja nicht zu wohl gehe auf Erden.
Wilche aber der Ausbund darunter wäre, der man sich verhofft, daß geschickte Leut sollen werden zu Lehrer und Lehrerin, zu Prediger und andern geistlichen Ämtern, die soll man deste mehr und länger dabeilassen oder ganz daselbs verordenen, wie wir lesen von den heiligen Märterern, die St. Hagnes und Agata und Lucia und dergleichen aufzogen. Daher auch die Klöster und Stifte kommen sind, aber nu gar in einen andern verdammten Brauch verkehret. Und das will auch wohl not sein, denn der beschorne Haufe nimmt fast ab, so sind sie auch das mehrer Teil untüchtig zu lehren und zu regieren, denn sie künnten nichts, ohn des Bauchs pflegen, wilchs man auch sie allein gelernt hat. So müssen wir ja Leut haben, die uns Gottes Wort und Sakrament reichen und Seelwarter seien im Volk. Wo wöllen wir sie aber nehmen, so man die Schulen zergehen läßt und nicht andere, christlicher aufrichtet? Sintemal die Schulen, bisher gehalten, ob sie gleich nicht vergingen, doch nichts geben mügen denn eitel verlorne, schädliche Verführer.
Darum es hohe Not ist, nicht alleine der jungen Leut halben, sondern auch beider unser Stände, geistlich und weltlich, zu 'rhalten, daß man in dieser Sachen mit Ernst und in der Zeit dazutu, auf daß wir's nicht hintennach, wenn wir's versäumet haben, vielleicht müssen lassen, ob wir's denn gerne tun wollten, und umsonst den Reuling uns mit Schaden beißen lassen ewiglich. Denn Gott erbeut sich reichlich und reicht die Hand dar und gibt dazu, was dazu gehöret. Verachten wir's, so haben wir schon unser Urteil mit dem Volk Israel, da Jesajas von sagt: Ich habe meine Hand dargeboten den ganzen Tag dem ungläubigen Volk, das mir widerstrebt. Und Spr. 1: Ich habe meine Hand dargeboten, und niemand wollt's ansehen, ihr habt alle meinen Rat verachtet. Wohlan, so will ich euer auch lachen in euerm Verderben und spotten, wenn uber euch kommet euer Unglück etc. Da laßt uns fur hüten. Sehet an zum Exempel, wilch einen großen Fleiß der König Salomo hierinnen tan hat, wie er sich des jungen Volks angenommen, daß er unter seinen königlichen Geschäften auch ein Buch fur das junge Volk gemacht hat, das da heißt Proverbiorum. Und Christus selbs, wie zeucht er die jungen Kindlin zu sich! Wie fleißig befiehlet er sie uns und rühmet auch die Engel, die ihr warten (Matth. am 18.), daß er uns anzeige, wie ein großer Dienst es ist, wo man das junge Volk wohl zeucht, wiederum, wie greulich er zürnet, so man sie ärgert und so verderben läßt.
Darum, lieben Herrn, laßt euch das Werk anliegen, das Gott so hoch von euch fodert, das euer Amt schuldig ist, das der Jugend so not ist und des widder Welt noch Geist embehrn kann. Wir sind leider lang gnug im Finsternis verfaulet und verdorben. Wir sind allzu lange gnug deutsche Bestien gewesen. Laßt uns einmal auch der Vernunft brauchen, daß Gott merke die Dankbarkeit seiner Güter und ander Lande sehen, daß wir auch Menschen und Leute sind, die etwas Nützlichs entweder von ihn' lernen oder sie lehren künnten, damit auch durch uns die Welt gebessert werde. Ich habe das Meine getan. Ich wollt ie deutschem Lande gerne geraten und geholfen haben, ob mich gleich etlich darüber werden verachten und solchen treuen Rat in Wind schlahen und Bessers wissen wöllen, das muß ich geschehen lassen. Ich weiß wohl, daß andere künnten besser haben ausgericht, auch weil sie schweigen, richt ich's aus, so gut als ich's kann. Es ist ie besser, dazu geredt, wie ungeschickt es auch sei, denn aller Dinge davon geschwiegen. Und bin der Hoffnung, Gott werde ie euer etliche erwecken, daß mein treuer Rat nicht gar in die Aschen falle, und werden ansehen nicht den, der es redt, sondern die Sach selbs bewegen und sich bewegen lassen.
Am letzten ist auch das wohl zu bedenken allen denjenigen, so Lieb und Lust haben, daß solche Schulen und Sprachen in deutschen Landen aufgericht und erhalten werden, daß man Fleiß und Koste nicht spare, gute Librareien oder Bücherhäuser, sonderlich in den großen Städten, die solichs wohl vermügen, zu verschaffen. Denn so das Evangelion und allerlei Kunst soll bleiben, muß es ie in Bücher und Schrift verfasset und angebunden sein, wie die Propheten und Apostel selbs getan haben, als ich droben gesagt habe. Und das nicht alleine darum, daß diejenigen, so uns geistlich und weltlich fürstehen sollen, zu lesen und studiern haben, sondern daß auch die guten Bücher behalten und nicht verloren werden samt der Kunst und Sprachen, so wir itzt von Gottes Gnaden haben. Hierinnen ist auch St. Paulus fleißig gewesen, da er Timotheo befiehlet, er solle anhalten am Lesen, und auch befiehlt, er solle das Pergamen, zu Troada gelassen, mit sich bringen.
Ja, solchs haben sich geflissen alle Königreiche, die etwas Sonderlichs gewesen sind, und zuvor das israelische Volk, unter wilchen solchs Werk Mose anfing der erste und hieß das Buch des Gesetzs in die Lade Gottes verwahren und tät's unter die Hand der Leviten, daß man bei denselben sollt holen Abschrift, wer es bedürfte, also daß er auch dem Könige gebeut, er solle von den Leviten solchs Buchs Abschrift nehmen, daß man wohl siehet, wie Gott das levitische Priestertum unter andern Geschäften auch dazu verordenet hat, daß sie der Bücher hüten und warten sollten. Nachdem hat diese Librarei gemehret und gebessert Josua, darnach Samuel, David, Salomo, Jesaja und so fortan viel mehr Könige und Propheten. Daher ist kommen die Heilige Schrift des Alten Testaments, wilche sonst nimmermehr wäre zusammenbracht oder blieben, wo Gott nicht hätte solchen Fleiß drauf heißen haben.
Dem Exempel nach haben auch die Stifte und Klöster vorzeiten Librareien angericht, wiewohl mit wenig guten Büchern. Und was es fur Schaden tan hat, daß man zu der Zeit nicht drob gehalten hat, Bücher und gute Librareien zu verschaffen, da man Bücher und Leute genug dazu hatte, ist man darnach wohl gewahr worden, daß leider mit der Zeit dahingefallen ist alle Künst und Sprachen. Und anstatt rechtschaffener Bücher die tollen, unnützen, schädlichen Münichebücher, Catholicon, Florista, Graecista, Labyrinthus, Dormi secure und dergleichen Eselsmist vom Teufel eingefuhrt ist, daß damit die lateinische Sprache zu Boden ist gangen und regieren, ja, auch Gottes Wunder und Werk zu sehen. Oh, wie manche feine Geschichte und Sprüche sollt man itzt haben, die in deutschen Landen geschehen und gangen sind, der wir itzt gar keins wissen. Das macht: Niemand ist da gewesen, der sie beschrieben oder, ob sie schon beschrieben gewest wären, niemand die Bücher gehalten hat, darum man auch von uns Deutschen nichts weiß in andern Landen, und müssen aller Welt die deutschen Bestien heißen, die nichts mehr künnten denn Kriegen und Fressen und Saufen. Aber die Griechischen und Lateinischen, ja, auch die Ebräischen haben ihr Ding so gnau und fleißig beschrieben, daß, wo auch ein Weib oder Kind etwas Sonderlichs getan oder geredt hat, das muß alle Welt lesen und wissen, dieweil sind wir Deutschen noch immer Deutschen und wöllen Deutsche bleiben.
Weil uns denn itzt Gott so gnädiglich beraten hat mit aller Fülle, beide, der Kunst, gelehrter Leute und Bücher, so ist's Zeit, daß wir ernten und einschneiden das Beste, das wir künnten, und Schätze sammlen, damit wir etwas behalten auf das Zukünftige von diesen gülden Jahren und nicht diese reiche Ernte versäumen. Denn es zu besorgen ist und itzt schon wieder anfähet, daß man immer neu und ander Bücher macht, daß zuletzt dahin komme, daß durch des Teufels Werk die guten Bücher, so itzt durch den Druck 'erfurbracht sind, wiederum unterdruckt werden und die losen, heillosen Bücher von unnützen und tollen Dingen wieder einreißen und alle Winkel füllen. Denn damit geht der Teufel gewißlich um, daß man sich wiederum mit eitel Catholicon, Floristen, Modernisten und des verdammten Münichen und Sophisten Mists tragen und martern müsse wie vorhin, und immer lernen und doch nimmer nichts erlernen.
Derhalben bitt ich euch, meine lieben Herrn, wöllet diese meine Treue und Fleiß bei euch lassen Frucht schaffen. Und ob etlich wären, die mich zu geringe dafur hielten, daß sie meins Rats sollten leben oder mich als den Verdammten von den Tyrannen verachten, die wollten doch das ansehen, daß ich nicht das meine, sondern allein des ganzen deutschen Lands Glück und Heil suche. Und ob ich schon ein Narr wäre und treffe doch was Guts, sollt's ie keinem Weisen ein Schande dunken, mir zu folgen. Und ob ich gleich ein Türke und Heide wäre, so man doch siehet, daß nicht mir daraus kann der Nutz kommen, sondern den Christen, sollen sie doch billig meinen Dienst nicht verachten. Es hat wohl ehemals ein Narr baß zu geraten denn ein ganzer Rat der Klugen. Mose mußte sich von Jethro lehren lassen. Hiemit befiehl ich euch alle Gottes Gnaden, der wöllt eur Herzen erweichen und anzünden, daß sie sich der armen, elenden, verlassenen Jugend mit Ernst annehmen und durch göttliche Hilfe ihn' raten und helfen zu seligem und christlichem Regiment deutsches Lands an Leib und Seel mit aller Fülle und Überfluß zu Lob und Ehren Gott dem Vater durch Jesum Christum unsern Heiland. Amen.
Transkription zit. nach Glaubensstimme:
Unterricht der Visitatoren - Von Schulen, 1528
Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung: Ordenung der Christlichen Kirchenzucht Für die Kirchen im Fürstenthumb Hessen, 1539
Auszug aus der "Ziegenhainer Zuchtordnung" aus dem Jahre 1539.
Auszug aus der Ziegenhainer Zuchtordnung
[...] Zum Dritten sollen die Ältesten der Kirchen sampt den Dienern des Wortes anrichten und daran sein, daß alle Kinder, wann sie des Alters halben fähig sein mögen, zu den Catechismos[unterricht] geschickt werden, welche Catechismos man auch an jedem Ort wohl auf solche Zeit halten kann, daß ein jeglicher seine Kinder dazu zu schicken unbeschweret sein würde.
Es ist auch die Obrigkeit schuldig, daß sie auch durch ihr Ampt männiglich dazu anhalte, dann so die einen jeden Menschen die seinen in sein Gewalt und Gehorsam verschaffen und darin halten soll, wie viel mehr gebühret sich, ihr zu versehen, daß Christo dem Herrn die, so durch ihn erschaffen und darüber ihm auch in der heiligen Taufe ergeben und eingeleibt sein, durch sie zugeführet und in ihm zu leben auferzogen werden. Es sollen auch die Ältesten und Prediger versehen, daß die Kinder, so nun durch die Catechismos im christlichen Verstande so weit bracht sein, daß man sie billich solle zum Tisch des Herren zulassen, an einem vornehmen Fest, als Ostern, Pfingsten und Weihnachten, vor aller Gemein[de] dem Pfarrherr an dazu verordneten Ort von Eltern und Paten dargestellt werden, um den die Ältesten und alle ander Diener des Worts stehen sollen. Da soll der Pfarrherr dieselbigen Kinder die vornehmsten Stücke des christlichen Glaubens befragen, und nachdem die Kinder darauf geantwortet, sich auch da öffentlich Christo dem Herrn und seiner Kirchen ergeben haben, soll der Pfarrherr die Gemein[de] vermahnen, den Herrn diesen Kindern umb Beständigkeit und Mehrung des heiligen Geistes zu bitten und solches Gebet mit einer Kollekte beschließen. Dem allem nach soll dann der Pfarrherr denselbigen Kindern die Hände auflegen und sie also im Namen des Herrn konfirmieren und zu christlicher Gemeinschaft bestätigen, auch darauf zum Tisch des Herrn gehen heißen, mit angehängter Vermahnung, sich im Gehorsam des Evangelii treulich zu halten und christliche Zucht und Strafe von allen und jeden Christen, vornehmlich aber von den Seelsorgern, alle Zeit gutwillig aufzunehmen und derselbigen gehorsamen Folge zu tun.
Die Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung: Ordnung der Christlichen Kirchenzucht für die Kirchen im Fürstentum Hessen, 1939 [kommentierte Edition, Sehling 1965]
Martin Bucer (1491-1551), Abb. Straßburg 1586
Reformator aus Straßburg, lernte Luther 1518 bei der Heidelberger Disputation kennen und schloss sich dessen Lehren an. Für die oberdeutsche Reformation spielte er eine entscheidende Rolle, er entwirft die "confessio tetrapolitana" und kämpft für einen Ausgleich in der Abendmahlsfrage. Teilnehmer am Marburger Religionsgespräch 1529. 1539 verfasst er für Landgraf Philipp die Ziegenhainer Zuchtordnung.
Holzschnitt 1592:
Bildung bedeutet in der Reformationszeit Anleitung, Unterweisung und auch Züchtigung
KAISER KARL V. BESTÄTIGT DIE STIFTUNG DER UNIVERSITÄT MARBURG
Pergamenturkunde mit anhängendem Majestätssiegel.
Urkunden Dep.Universität Marburg, 1541 Juli 16, Regensburg.
Lit.: H. Hermelink und S. A. Kaehler, Die Philipps-Universität zu Marburg 1527-1927 (Marburg 1927), S. 18ff.
Transkription des Kaiserlichen Privilegs vom 16. Juli 1541
KAISER KARL V. BESTÄTIGT DIE GRÜNDUNG DER UNIVERSITÄT MARBURG | |
Pergamenturkunde mit anhängendem Majestätssiegel. |
Universitätsgründungen waren bisher ausschließlich vom Kaiser oder Papst ausgegangen. Philipp der Großmütige richtet 1527 seine protestantische Universität, die erste überhaupt, aus eigener Machtvollkommenheit ein. Die rechtliche Sicherung in Form von Privilegien erfolgt erst schrittweise und nachträglich, zunächst werden Fakten geschaffen. Die Anfang 1527 entstandene sog. Ordnung der Universität ist noch nichts anderes als ein Protokoll der Räte des Fürsten über geplante Berufungen von Professoren nach Marburg. Eröffnet wird die Universität am 30. Mai 1527, selbst die Freiheitsbriefe des Landgrafen ergehen aber erst am 31. August 1529. So ist es nicht verwunderlich, daß die bereits arbeitende Hochschule noch mehr als ein Jahrzehnt auf ein kaiserliches Privileg warten muß, erst damit auf universale Anerkennung als Universität und der von ihr verliehenen Grade rechnen kann. Der Kaiser läßt sich zur Ausstellung der Urkunde herbei, um Philipp aus dem protestantischen Lager abzuziehen, zu einem Zeitpunkt, „an dem der einst so selbständige Bundeshauptmann des schmalkaldischen Bundes, politisch und moralisch geschwächt durch die unglückselige Doppelehe, auf die vom Kaiser angebotene Versöhnungspolitik eingeht“ (Hermelink, S. 19), als der Kaiser selbst aber auch noch einen politischen Kompromiß im Religionsstreit auf Reichsebene für möglich hält und einen solchen über versöhnliche Gesten gegenüber dem anderen Lager arbeitet. I.A.
Kaiser Karl V. bestätigt die Gründung der Universität Marburg, 16. Juli 1541
[Transskription]
Wir Carl der Fünffte, von gots gnaden, Römischer Kayser, zu allenn tzeitenMerer des Reichs, in Germanien, zu Hispanien, baider Sicillien, Hierusalem, Hungern, Dalmatien, Croatien etc. Khunig, Ertzhertzog zu Osterreich, Hertzog zu Burgund etc., Graue zu Habspurg, Flanndern vnd Tirol etc. Bekennen öffentlichen mit disem Brief, vnd thuen kundt allermennigelich. — Als vns der hochgeborn Philips Lanndlgraf zu Hessen, vnnser lieber Oheim und Fürst vnndertheniglichen firbringen lassen, wie sein Lieb verschiner Jar gemainem Nutz der Jugent, auch dem Studio zu gutem, in seiner Stat Marpurg ain Vniuersitet vnd hohe Schuel aufrichten lassen, mit vnnderthenigister Bit, das wir, als Römischer Kaiser, Ime dieselbigen gnedigist zu confirmiren vnd zu bestetten, auch sie mit den privilegien, begnadungen vnd Freyhaiten, damit anndere vniuersiteten im heiligen Reiche versehen weren, zu begaben gnedigist geruheten. Darauf haben wir angesehen solich seiner lieb vnnderthenig zimelich Bitt, vnd darumb mit wolbedachtem muet, guetem Rath vnd rechtem Wissen, die obgedacht seiner lieb aufgericht vniuersitet vnd hohe Schuel zu Marpurg gnedigist confirmiert, und bestett, sie auch mit den Freyhaiten, Priuilegien vnd Gnaden, so wie obgemelt, anndere vniuersiteten vnd hohe Schuelen im heiligen Reiche haben, vnd am fürstendigistem begnadet und gefreyet. Thun das auch hiemit aus Römischer Kayserlicher macht wissentlich in Crafft dieses Briefes, also das sie allenthalben fir eine vniuersitet vnd hohe Schuel gehalten vnd geert werden, vnd sie alle Ehre, Wirde, vortail, Recht, Gerechtigkait vnd Gewonhait, wie anndere haben, vnd sich deren freyen, gebrauchen und gemessen sollen und mögen, von allermenniglich vnuerhindert, doch vns vnd dem heiligen Reiche an vnser Oberkait vnd sonst anndern an iren rechten vnd gerechtigkaiten vnuergriffen vnd vnschedlich. Vnd gebieten darauf allen vnd yeglichen Churfirsten, Fürsten, geistlichen vnd weltlichen Prelaten, Grauen, Freyen, Herrn, Rittern, Knechten, Haubtleuten, Landvögten, Vitzdomben, Vögten, Pflegern, Verwesern, Ambtleuten, Schuldthaissen, Bürgermaistern, Richtern, Rethen, Burgern, Gemainden vnd sonst allen anndern vnnsern vnd des Reichs vnderthanen vnd getrewen, vnd firnemblich allen anndern vniuersiteten im heyligen Reiche, auch vnsern Erblichen Fürstenthumben vnd Lannden, das sie die obgedachte vniuersitet zu Marpurg bey dieser unser Kayserlichen Confirmation, Begnadung und Freyheit gentzlichen beleihen, sie deren ruhiglich gebrauchen vnd geniessen lassen, vnd dawider nit bekuemern noch beschweren, noch das andern zu thuen gestatten in kein Weise, als lieb ainem yeden sey vnser vnd des Reichs schwere vngnad vnd Straff, vnd darzu ain Peen nemblich zwanzig Markg löttigs Goldts zu uermeyden, die ain yeder, so offt er freuentlich hiewieder thete, vns halb in vnser vnd des Reichs Camer, vnd den andern halben Thail gedachter vniuersitet zu Marpurg vnablöslich zu betzallen, verfallen sein solle. Mit vrkundt dieses Briefs, besigelt mit vnserm Kayserlichen anhangenden Insigel, geben in vnser vnd des Reichs Stat Regenspurg am 16. Tag des Monats Julii, nach Christi vnsers lieben Herrn gepurdt funfzehen hundert vnd im ain vnd vierzigsten, vnsers Kayserthumbs im ain und zwanzigsten vnd vnserer Reiche im sechs und zwanzigsten Jaren.
HStAM Abt. I Urkunden, Dep. Universität Marburg, 1541, Juli 16, Regensburg. Transskription nach: Urkundensammlung über die Verfassung und Verwaltung der Universität unter Philipp dem Grossmüthigen, hg. von Bruno HILDEBRAND, Marburg 1848, S. 37 f. Hier zit. nach Roderich Schmidt, Die kaiserliche Bestätigung derMarburger Universitätsgründung von 1527 durch Karl V. 1541, in: ZHG 108, 2003, S. 93-94
Abbildung des kaiserlichen Privilegs vom 16. Juli 1541>
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Studentenzahlen der deutschen Universitäten 1385-1700
1. Fig. 1: Kurve der Inskriptionen an den Universitäten 1385-1540 (nach Jahrfünften)
2. Fig. 3: Kurve der Inskriptionen an den Universitäten 1540-1700 (nach Jahrfünften)
3. Karte: DIE DEUTSCHEN UNIVERSITÄTEN (Gründungen vor 1540 rot, von 1540-1700 blau, seit 1700 schwarz)
4. Anhang I: Die jährlichen Inskriptionen 1516-1560 u.1561-1605 (von Ostern bis Ostern des Folgejahres)
5. Tab. I. und Tab. II. Inskriptionen und Frequenzen 1385-1540
6. Tab. III. Inskriptionen an den Universitäten 1540-1700
7. Tab. IV. Berechnete Frequenz der Universitäten 1541-1700
Kritische Erläuterungen zu den Fig. 1 + 3 sowie den Tab. I - IV.:
Fig. 1 u. 3 sowie Tab. I u. III basieren auf den in den Matrikellisten der Universitäten urkundlich nachweisbar eingeschriebenen Studenten. Die bei Eulenburg wiedergegebenen Zahlen umfassen jeweils die Gesamtsummer aller in einem Jahrfünft eingeschriebenen Studenten. Ob die inskribierten Studenten dann auch tatsächlich ein Studium an der Universität absolvierten, ist eine andere und durchaus schwierige Frage.
In den Tabellen II und IV sind die von Eulenburg errechneten jährlichen Studentenzahlen (im Fünfjahresdurchschnitt) an den einzelnen Universitäten wiedergeben, die "berechnete Frequenz". Diese Zahlen beruhen auf einem von Eulenburg zugrunde gelegten Aufenthaltskoeffizienten von ca. 1,8 Jahren an der jeweiligen Universität - und sind im Einzelfall höchst unsicher.
Beispielrechnung für Marburg 1531-35: Die nachweisbare Gesamtzahl der immatrikulierten Studenten in den fünf Jahren von 1531-35 beträgt 401 (siehe auch Anhang I). Im gemittelten Durchschnitt ergibt sich eine Zahl von 80,2 Immatrikulationen pro Jahr. Bei einer von Eulenburg angenommenen Verweildauer von ca. 1,8 Jahren [wobei E. dann tatsächlich aber mit einem Aufenthaltskoeffizienten von 1,75 für Tabelle II und 1,73 für Tab. IV rechnet] ergibt sich eine duchschnittliche Studentenzahl von 140 Studenten pro Jahr (abgerundet) in diesem Jahrfünft. Der von Eulenburg angewendete Berechnungsmodus ist insgesamt eher spekulativ und erhebt nicht den Ansprucht, tatsächlich belastbare Studentenzahlen für die jeweiligen Jahre zu liefern.
Ne 2014-12-16
Quelle: Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904, S. 49, 54-55, 75, 100-103, 288-289 (Photomechanischer Nachdruck, Berlin 1994)
Durch eine "Stipendiaten-Ordnung" regelte der Landgraf die Finanzierung des Studiums.
Ordnung durch den durchleuchtigen, Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Philipsen, Landgrafen zu Hessen, Grafen zu Catzenelnbogen etc. bedacht am Dienstag nach Invocavit, Anno 1542. Wie es mit den Stipendiaten, so gen Marburg zum Studio gesandt, gehalten werden soll.
Von der Wahl der Stipendiaten, wie die gewählet sollen werden.
1. Wählen sollen an einem jeden Ort der Pfarrer, der Schulmeister, die Ältesten der Kirchen und die zwei Bürgermeister, nämlich der im Amt ist und der das vergangene Jahr regiert hat, und solches bei ihren Pflichten und ihrem Gewissen, damit sie Gott, der Kirchen und der Obrigkeit zugetan sein, des sie auch allemal durch den Pfarrer erinnert werden sollen, nämlich einen Jungen oder eine Mannsperson, der des Alters, der Lehre, der Geschicklichkeit und der Tugend wegen zum Dienst in der Kirche der Allertauglichste und zu solchem Dienst auf förderlichste zu gebrauchen sein wird, indem sie keine Gunsterweisung, keine Fürsprache noch viel weniger ein Geschenk, Geld oder eine Gabe annehmen, weder erwarten noch erhoffen etc.
2. Und wenn man einen Bürger oder Bürgerssohn haben kann, soll man denselbigen nehmen, wenn nicht, soll man einen vom Dorf nehmen, doch möglichst einen Landsmann.
3. Man soll auch in dem Fall nicht darauf sehen, ob der Vater reich oder arm sei, sondern allein vor Augen haben, ob er der Kirchen nütze und ob die Person der Kirche dienlich sei oder nicht.
4. Und welcher also gewählt wird und die Wahl annehmen will, soll die Versicherung geben, wie es verordnet ist. Nämlich unter der Bedingung, daß er, wenn er erwachsen ist, der Kirche diene, wenn er das nicht tun möchte, muß er den halben Betrag des empfangenen Stipendiums wieder zurückgeben, sobald er das vermag. Und solches Geld sollen auch diejenigen, so die Auswahl zu treffen haben, zu einer jeden Zeit, ohne alle Abzüge, wieder eintreiben.
5. Und wenn des Knaben Vatter und Mutter leben, so sollen seine Eltern neben ihm sich dazu verpflichten.
6. Daneben soll auch der Gewählte zu Marburg nach der Ordnung, die dort existiert, examiniert werden und die oben genannten Superintendenten Obacht haben, daß alle andere Vorschriften, die eingerichtet worden sind, streng und genau eingehalten werden.
[...]
9. Und nachdem diese Knaben zum Kirchendienst erwählt werden, soll man daruf sehen, daß sie als Kleriker leben, sich nicht verschwenderisch geben, keine bunten oder "verhackten" Kleider besitzen, auch keine langen Messer tragen, sondern einen züchtigen Lebenswandel führen und sich nicht mit Saufen und anderm unzüchtigen Leben beflecken, sondern recht und ehrlich verhalten.
[...]
11. Sonderlich haben seine fürstliche Gnaden an folgendes gedacht: Wenn ein junger Mann sein Studium beendet hat und ein Pfarrer, Schulmeister und die Ältesten der Kirche befinden, daß er einen guten Verstand und Gelehrsamkeit besitzt und es also nützlich und gut sei, daß er weiter studiere, so sollten sie zusammen mit den zwei oben genannten Bürgermeistern die Macht besitzen, ihm das Stipendium zu verlängern, bis er das Alter erreicht habe, vollkommen gelehrt und verständig sei, um der Kirche zu dienen und die anderen zu überragen.
12. Außerdem soll man das Stipendien-Geld nicht den Stipendiaten, sondern dem jeweiligen Ökonom schicken, unter der Androhung einer Buße für die Übertreter, wenn sie sich anders verhalten und säumig sind. Auch soll der Ökonom dem Stipendiaten solches Geld nur von Zeit zu Zeit geben, auf schriftlichem Antrag des Magisters, nicht so oft, wie es der Stipendist wünscht. Würde aber einer gefunden, der nicht fleißig studierte, dem soll man sein Stipendium entziehen, einen anderen an seine Stelle setzen oder ihn sonst ausschließen nach der Erkenntnis der Professoren zu Marburg.
Philips L[andgrafen] zu Hessen sszt.
Der Speisezettel (in Umschrift, Abbildung nur erste Seite) zeigt, daß die Versorgung der Studenten genau geregelt war.
Speisezettel für die Stipendiaten auf alle Tage der Woche
Wie sich der probst versprochen, die Stipendiaten zu tractiren uber dem tisch.
Vor allen dingen soll der probst gutt brodt und gar kost den Stipendiaten uber tisch bringen.
Der drank soll auch nitt mitt dem drinken verderbett unnd darumb in Zeitten des Brawens vleissig versucht werden in allen fassen, wie er gestalt sey und soll zu mall nitt mehr alß ein halben gebraw thun.
Waß die wochen uber den Stipendiaten gespeyset werden soll.
Montag
Zu morgen ein suppe, ein essen fleisch, keeß. Abents ein suppen mit eyer, da manß haben kan, eyer, oder dur fleisch, kes oder butter.
Dinstag
Ein furgemues, ein gericht fleisch, keß. Abents durchgeschlagen Erbis, oder ein suppe, ein essen fleisch, kes oder butter.
Mittwochen
Ein suppe mitt fleisch oder seelgerede [Innereien], und kes. Abents ein furgemues, ein lappen [Bauchfleisch] und keß.
Donnerstag
Ein furgemues, ein essen fleisch, kes oder butter. Abents durchgeschlagen erbis, drey stueck fleisch uff einer suppe, gebratens von frischem mitt vorlegenem fleisch.
Freytag
Ein stockfisch, bier und brott, oder sunst zugemues, kees oder butter, abents und morgens.
Sonabent
Sol gehalten werden gleych den mittwochen
Sontag
Ein furgemus, drey stueck fleisch uff einer suppen, und gebrattens. Abents ein suppe, gericht fleisch, kes oder butter.
Es sall auch zun Zeiten mit gensen, huenern und dergleychen Speiß verenderung geschehen.
Die stuben in Zeitten zuwermen.
Soll auch dieser tisch der Stipendiaten mitt essenspeyß nitt geringert, mag woll besser gehalten werden.

Tafel 12: Zeugnis der Einheit oder verpasste Chance?
Das Marburger Religionsgespräch 1529 markiert ein grundlegendes Ereignis in der europäischen Reformationsgeschichte. In Marburg treffen zum ersten und einzigen Male die führenden Vertreter der beiden Hauptrichtungen der reformatorischen Bewegung in Europa, Luther und Zwingli, aufeinander, um nach einer Lösung im Abendmahlsstreit zu suchen. In der Abendmahlsfeier knüpfen die Christen an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern am Abend vor seiner Gefangennahme und seinem Kreuzestod an, bei dem er seinen Leib in Gestalt von Brot und Wein zum bleibenden Zeichen seiner Gegenwart in der christlichen Gemeinschaft reicht. Während Luther und die Wittenberger glauben, dass im Abendmahlsgottesdienst der wahre Leib und das wahre Blut Christi gegenwärtig sind (Realpräsenz), sehen Zwingli und die Reformatoren aus den oberdeutschen Städten (Zürich, Basel, Straßburg) darin ein Gedächtnismahl, das nur im übertragenen Sinne verstanden werden kann. Die Kontroverse zwischen Luther und Zwingli reicht bis in die Jahre 1524/25 zurück, gewinnt aber bis 1529 eine eminente politische Bedeutung, die weit über einen nur theologischen Bekenntnisstreit hinausgeht.
Unmittelbarer Anlass der Marburger Begegnung ist der 2. Reichstag zu Speyer, auf dem die evangelischen Stände im April 1529 eine "Protestation" gegen die Wiederinkraftsetzung des Wormser Edikts eingelegt und unter maßgeblicher Führung von Landgraf Philipp von Hessen einen geheimen vorläufigen Beistandspakt abgeschlossen haben. Für Philipp ist klar, dass die Protestanten, wie sie sich seit Speyer nennen, nur dann gegen Kaiser und die römische Papstkirche auf Dauer bestehen können, wenn sie in der Lage sind, ihre dogmatischen Gegensätze zu überwinden und sich zugleich auch zu einem politisch-militärischen Bündnis zusammenzuschließen.
Maßgeblicher Gegenspieler Philipps in diesen Fragen ist zunächst Luther selbst, der bereits vor dem Marburger Religionsgespräch seinen eigenen Landesherren, den Kurfürsten Johann von Sachsen, vor dem Bundmachen des hessischen Landgrafen nachdrücklich gewarnt hat, nicht zuletzt weil in einem solchen Bündnis auch die mutwilligen Feinde Gottes, das heißt Zwingli und seine Anhänger, eingeschlossen sein werden. Vor diesem Hintergrund steht das theologische Scheitern des Marburger Gesprächs wohl von vorneherein fest - eine verpasste Chance gleichwohl: Immerhin kann in 14 Punkten der Marburger Artikel - bis auf die Frage der Realpräsenz im Abendmahl in -Artikel 15, dem ausschlaggebenden Exklusionspunkt - eine Einigung erzielt werden. Es ist das einzige gemeinsame Bekenntnisdokument der Evangelischen mit den Unterschriften sowohl Luthers als auch Zwinglis. Mit den wenig später von den Wittenberger Theologen vorgelegten Schwabacher Artikeln wird die dogmatische Spaltung der europäischen Reformationsbewegung dann für annähernd 450 Jahre endgültig fixiert. Erst mit der Leuenberger Konkordie von 1973 kann der Streit überwunden und die Kirchengemeinschaft von lutherischen und reformierten Kirchen begründet werden.
Wenn Landgraf Philipp auch das von ihm angestrebte umfassende Bündnis der Protestanten gegen den Widerstand der Wittenberger in der Bekenntnisfrage nicht zustande bringen kann, so gelingt es ihm in Marburg doch, mit Zürich, Basel und Straßburg einen richtungsweisenden politisch-militärischen Bündnisvertrag zu vereinbaren. Dieses im November 1530 in Kraft getretene Bündnis, das sogenannte "Christliche Verständnis", wird nach dem Tode Zwinglis in der Schlacht bei Kappel (Oktober 1531) zwar keine historische Wirkung mehr entfalten, dient aber als Vorlage für den Schmalkaldischen Bündnisvertrag von 1531 - dann freilich ohne Straßburg und die Schweizer Städte.
Huldrych Zwingli (1484-1531), Porträt von Hans Asper, um 1531
Luther, Martin, An den Landgrafen Philipp, vom 23. Juni 1529
Gnade und Friede in Christo. Durchlauchtiger,
Hochgeborner Fürst, gnädiger Herr! Ich habe E. F. G.1) Schrift und gnädiges Begehren, daß ich mich soll gen Marburg begeben, mit Oecolampad und den Seinen eine Unterrede zu haben, des Zwiespalts halben vom Sacrament, ob Gott wollte Friede und Einigkeit geben, unterthäniglich vernommen. Wiewohl ich aber eine schlechte Hoffnung habe zu solchem Frieden; so ist doch ja E. F. G. Fleiß und Sorge hierin hoch und sehr zu loben, und ich für mich willig bin, solchen verlornen und vielleicht auch uns fährlichen Dienst E. F. G. mit allem Fleiß zu beweisen, und E. F. G. Willen und Fürnehmen nach mich begeben, wohin ich soll. Denn ich den Ruhm mit Wahrheit dem Widertheil nicht lassen will (ob Gott will), daß sie mehr zum Frieden und Einigkeit geneigt wären, denn ich. Ich will E. F. G. eben so mehr bei Zeit dürre heraus sagen, was ich denke. Aber da bitte ich für, gnädiger Fürst und Herr, daß E. F. G. wollten gnädiglich bedenken, oder auch erforschen, ob jenes Theil auch geneigt wäre etwas zu weichen von ihrer Meinung, damit endlich übel nicht ärger werde, und eben das Widerspiel deß gerathe, das jetzt E. F. G. so herzlich und ernstlich sucht. Denn was hülfe es, zusammen kommen und unterreden, so beider Theil mit Fürsatz kommet, nichts überall zu weichen?
Mich stehet die Sache an, als suchten sie durch E. F. G. Fleiß ein Stücklein, daraus nichts Gutes folgen will, nämlich, daß sie hernach wider uns rühmen mögen, wie es kein Fehl an ihnen gewesen sei, hätten solchen großen Fürsten bewegt, und wollten also uns durch E. F. G. Namen mit Unglimpf beschweren, als wären wir Feinde des Friedens und der Wahrheit, sich aufs Allerfeinste zu schmücken. Ich kenne den Teufel wohl, was er sucht. Gott gebe aber, daß ich hier nicht ein Prophet sei. Denn wo es nicht ein falscher Tück, sondern rechter Ernst wäre bei ihnen, Friede zu suchen: dürften sie solche prächtige Weise, durch große mächtige Fürsten, nicht fürnehmen; denn wir von Gottes Gnaden so wüst und wilde nicht sind. Sie hätten uns mit Schriften ihren demüthigen Fleiß zum Frieden, wie sie rühmen, wohl längest, und noch, können anbieten. Denn ich weiß das wohl, daß ich ihnen schlecht nicht weichen werde; kann auch nicht, weil ich so ganz für mich gewiß bin, daß sie irren, dazu selbst ungewiß sind ihrer Meinung. Denn ich alle ihren Grund in dieser Sache genugsam erfahren habe; so haben sie meinen Grund auch wohl gesehen.
Darum ist meine unterthänigste Bitte, E. F. G. wollten um Gottes Willen helfen höchlich bedenken, obs mehr Frucht oder Schaden bringen werde. Denn das ist gewiß, wo sie nicht weichen, so scheiden wir von einander ohne Frucht, und sind vergeblich zusammen kommen, und ist E. F. G. Kost und Mühe verloren. So werden sie denn nicht lassen können ihr Rühmen, wie sie bisher gewohnet, und uns mit Unglimpf beschweren, daß wir aufs neue gedrungen werden uns zu verantworten. So ists denn ärger worden, denn es jetzt ist. Das will und sucht der Satan.
Daß aber E. F. G. besorget, aus solcher Uneinigkeit möcht Blutvergießen folgen, weiß auch E. F. G., was deß folgen werde (da Gott für sei), daß wir deß alles unschuldig sind. Und Gott wird unsere Unschuld wohl an Tag bringen. Ob der Rottengeist Blutvergießen anrichtet, so thut er nach seiner Art, wie er zuvor an Franz von Sickingen, Carlstadt und Münzer auch gethan hat; da wir dennoch von Gottes Gnaden unschuldig, und der Gegentheil schuldig blieben ist.
Solches habe ich, E. F. G. zu erzeigen meinen bereiten, willigen (wiewohl gar kleiner Hoffnung) Dienst, geschrieben. Denn E. F. G. zu dienen bin ich schuldig und willig. Christus aber, unser Herr, zutrete den Satan unter seine und unser aller Füße, Amen, Amen. Gegeben zu Wittenberg, den 23. Juni, Anno 1529.
E. F. G.
williger
Martinus Luther.
Quelle: Luthers Volksbibliothek, Band 7
1) d. h. Euer Fürstlichen Gnaden.
Eines der sieben Gemälde des Historienmalers Peter J. Th. Janssens aus dem Jahre 1903 in der neogotischen Aula der Philipps-Universität hält den "Einzug der Reformatoren" fest.
Landgraf Philipp von Hessen auf dem Marburger Religionsgespräch, Ölgemälde von August Noack, 1869
Philipp I. von Hessen und einige andere Teilnehmer des Marburger Religionsgesprächs, das vom 1. bis zum 4. Oktober im Jahre 1529 auf dem Marburger Schloß oberhalb der Lahn auf Einladung des hessischen Landgrafen stattgefunden haben.
Ansicht der berühmten Stadt Marburg und ihrer Geschichte. Cosmographia des Sebastian Münster, 1628: Der berhümbten Statt Martpurg Abcontrafactur
Zum Marburger Religionsgespräch 1529 (hier mit Abb. Zwinglis) heißt es:
Anno 1529 ward auff begeren Landtgraff Philips des älteren ein Colloquium zu Martpurg vom Abendmal Christi gehalten, dahin D. Martin Luther, Philippus Melanchton, Zwinglius, Oecolampadius, Osiander, Bucerus, Hedio, und andere mehr vociert worden. Im Jahr 1530 ist die Hohe Schule daselbst von Landtgraff Philipp zu Hessen angerichtet worden, welche nach und nach und noch biß zu disen zeiten in ein grosses auffnemen kommen.
MARBURGER RELIGIONSGESPRÄCH im Oktober 1529
Die dogmatischen Gegensätze in der Abendmahlslehre zwischen Wittenberg, Straßburg und Zürich/Basel standen einem politischen Bündnis der "neugläubigen" Gebiete entgegen. So kam auf Initiative des Landgrafen Philipp von Hessen (1504—67) ein Religionsgespräch in Marburg zustande, das die dogmatischen Gegensätze bereinigen sollte. Zusammengekommen waren u.a. Luther, Melanchthon und Justus Jonas (1499—1555) aus Wittenberg, Zwingli aus Zürich, Johannes Oekolampad (1482—1531) aus Basel, Martin Bucer und Kaspar Hedio (1494—1552) aus Straßburg, Brenz aus Schwäbisch Hall, Andreas Osiander (1498—1552) aus Nürnberg. Nach teilweise heftigen Diskussionen wurden am 3. Oktober die 15 Marburger Artikel gemeinsam verabschiedet; in der Abendmahlsfrage konnte man sich aber über die "praesentia realis", die leibhafte Präsenz Christi in den Elementen, nicht einigen.
ORIGINALDIGITALISAT siehe DOKUMENT
Die 15 Marburger Artikel (3. Oktober 1529)
Auf diese Artikel haben sich die hier Unterschriebenen zu Marburg geeinigt am 3. Oktober 1529.
[1. Von der heiligen Dreifaltigkeit]
Zuerst, daß wir auf beiden Seiten einträchtiglich glauben und halten, daß allein ein einziger, rechter, natürlicher Gott ist, Schöpfer aller Kreaturen, und derselbe Gott einig im Wesen und Natur und dreifaltig in den Personen, nämlich Vater, Sohn, Heiliger Geist etc., ganz wie im Konzil zu Nizäa beschlossen und im nizänischen Symbol in der ganzen christlichen Kirche in der Welt gesungen und gelesen wird.
[2. Vom Sohne Gottes, unserm Herrn Jesus Christus]
Zum anderen glauben wir, daß nicht der Vater noch der Heilige Geist, sondern der Sohn Gottes des Vaters, rechter natürlicher Gott, Mensch geworden ist durch Wirkung des Heiligen Geistes, ohne Zutun des Mannes, geboren von der reinen Jungfrau Maria, leiblich vollkommen mit Leib und Seele wie ein anderer Mensch, doch ohne jegliche Sünde etc. [Hebr 4,15].
[3. Vom Heilswerk Christi]
Zum dritten, daß derselbe Gott und Mariens Sohn Jesus Christus in unzertrennter Person für uns gekreuzigt, gestorben und begraben, auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, Herr über alle Kreaturen, kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten etc. [Apostolisches Glaubensbekenntnis].
[4. Von der Erbsünde]
Zum vierten glauben wir, daß die Erbsünde uns von Adam angeboren und ererbt ist, und zwar so, daß sie alle Menschen verdammt. Wenn uns Jesus Christus nicht zu Hilfe gekommen wäre mit seinem Tod und Leben, hätten wir ewiglich dran sterben müssen und nicht zu Gottes Reich und Seligkeit kommen können.
[5. Von der Erlösung]
Zum fünften glauben wir, daß wir von solcher Sünde und allen anderen Sünden samt dem ewigen Tode erlöst werden, wenn wir an den Sohn Gottes Jesus Christus glauben, der für uns gestorben ist, und außer solchem Glauben durch keine Werke, Stand oder Orden von irgendeiner Sünde los werden können etc.
[6. Vom Glauben]
Zum sechsten, daß solcher Glaube eine Gabe Gottes sei, den wir mit keinem vor-hergehenden Werk oder Verdienst erwerben, noch aus eigener Kraft schaffen können, sondern der Heilige Geist gibt und schafft, wo er will, denselben in unseren Herzen, wenn wir das Evangelium oder Wort Christi hören.
[7. Von christlicher Gerechtigkeit]
Zum siebenten, daß solcher Glaube unsere Gerechtigkeit vor Gott ist, um welches willen uns Gott als gerecht, fromm und heilig erachtet, ohne alle Werke und Verdienste, und dadurch von Sünden, Tod und Hölle hilft, zu Gnaden annimmt und selig macht um seines Sohnes willen, an den wir so glauben und dadurch seines Sohnes Gerechtigkeit, Leben und alle Güter genießen und ihrer teilhaftig werden. Darum wird gänzlich abgelehnt, daß Klosterleben und Gelübde zur Gerechtigkeit nützlich seien.
8. Vom äußerlichen Wort
Zum achten, daß der Heilige Geist niemandem solchen Glauben oder seine Gabe ohne vorhergehende Predigt oder mündliches Wort oder das Evangelium Christi gibt, sondern durch und mit solchem mündlichen Wort wirkt und schafft er den Glauben, wo und in wem er will, Röm 10[,17].
9. Von der Taufe
Zum neunten, daß die heilige Taufe ein Sakrament sei, das zu solchem Glauben von Gott eingesetzt ist. Und weil Gottes Gebot »Gehet hin in alle Welt« [Mt 28,19] und Gottes Verheißung »Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden« [Mk 16,16] darin ist, so ist es nicht ein leeres Zeichen oder eine Losung unter den Christen, sondern ein Zeichen und Werk Gottes, in dem unser Glaube gefordert wird, durch welchen wir zum Leben wiedergeboren werden.
10. Von guten Werken
Zum zehnten, daß solcher Glaube durch Wirkung des Heiligen Geistes danach, wenn wir dadurch gerecht und heilig erachtet und geworden sind, gute Werke übe, nämlich die Liebe gegen den Nächsten, das Beten zu Gott und das Erleiden von allerlei Verfolgung.
11. Von der Beichte
Zum elften, daß die Beichte oder das Suchen nach Rat bei seinem Pfarrer oder Nächsten ungezwungen und frei sein soll, aber doch den betrübten, angefochtenen oder mit Sünden beladenen und in Irrtum gefallenen Gewissen sehr nützlich ist, am meisten um des Trostes des Evangeliums willen, welches die rechte Absolution ist.
12. Von der Obrigkeit
Zum zwölften, daß alle Obrigkeit und weltliche Gesetze, Gerichte und Ordnungen ein rechter, guter Stand sind und nicht verboten, wie einige Papisten und Wiedertäufer lehren und halten, sondern daß ein Christ, der dazu berufen oder geboren ist, sehr wohl durch den Glauben Christi selig werden kann, gleichwie im Vater-und Mutterstand, Stand des Herrn und der Frau etc.
[13. Von menschlicher Ordnung]
Zum dreizehnten, daß man die Tradition als eine menschliche Ordnung in geistlichen oder kirchlichen Dingen erachtet ; falls die nicht einem klaren Gotteswort widersprechen, mag man [sie] freigeben oder -lassen, je nachdem wie die Leute sind, mit denen wir umgehen, um überall unnötiges Ärgernis zu verhüten und durch die Liebe den Schwachen und dem allgemeinen Frieden zu dienen. Auch daß die Lehre, die die Priesterehe verbietet, eine Teufelslehre ist [1Tim 4,1.3].
[14. Von der Kindertaufe]
Zum vierzehnten, daß die Kindertaufe recht sei und sie [die Kinder] dadurch in Gottes Gnade und in die Christenheit aufgenommen werden.
15. Vom Sakrament des Leibes und Blutes Christi
Zum fünfzehnten glauben und halten wir alle von dem Nachtmahl unseres lieben Herrn Jesus Christus, daß man nach der Einsetzung Christi beide Gestalten gebrauchen soll; daß auch die Messe kein Werk ist, mit dem einer für den anderen, tot oder lebendig, Gnade erlange; daß auch das Sakrament des Altars ein Sakrament des wahren Leibes und Blutes jedem Christen vonnöten ist; desgleichen der Gebrauch des Sakramentes wie das Wort vom allmächtigen Gott gegeben und verordnet ist, um damit die schwachen Gewissen durch den Heiligen Geist zum Glauben zu bewegen. Da wir uns aber zu dieser Zeit nicht geeinigt haben, ob der wahre Leib und das wahre Blut Christi leiblich in Brot und Wein seien, so soll doch ein Teil dem anderen gegenüber christliche Liebe, sofern eines jeden Gewissen es immer ertragen kann, erzeigen, und beide Teile den allmächtigen Gott fleißig bitten, daß er uns durch seinen Geist das rechte Verständnis bestätigen wolle. Amen.
Martinus Luther, Justus Jonas, Philippus Melanchthon, Andreas Osiander, Stefanus Agricola, Johannes Brentius, Johannes Oekolampadius, Huldrychus Zwinglius, Martinus Bucerus, Caspar Hedio.
Quelle: G. May (Hg.), Das Marburger Religionsgespräch 1529, TKTG 13, 1970, S. 67—70; übers. nach: R. Stupperich (Hg.), Das Bekenntnis der Reformation, KGQ 16, 1966, S. 40—43. —
Literatur: S. Hausammann, Die Marburger Artikel — eine echte Konkordie?, ZKG 77, 1966, S. 288—321; G. W. Locher, Die Zwinglische Reformation, S. 319ff.; s. auch Nr. 79.
Transskription nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 159-161
Marburger Religionsgespräch 1529: Die 15 Marburger Artikel [ORIGINALDIGITALISATE komplett], 3. Okt. 1529
TRANSKRIPTION der Marburger Artikel siehe DOKUMENT
Martin Luthers Brief an seine Ehefrau Katharina während seines Aufenthalts in Marburg, 1529.
Aus dem Briefwechsel Martin Luthers mit seiner Ehefrau
Meinen freundlichen lieben Herrn1 Katharina Lutherin, Doctorin, Predigerin zu Wittenberg.
Gnad und Friede in Christo. Lieber Herr Käth!
Wisset, daß unser freundlich Gespräch zu Marburg ein Ende hat, und seind fast in allen Stücken eins, ohne daß die Widerteil wollten eitel Brot im Abendmahl behalten und Christum geistlich darinnen gegenwärtig bekennen. Heute handelt der Landgraf ob wir könnten eins werden, oder doch gleichwohl, so wir uneins blieben, dennoch Brüder und Christus' Glieder unter einander uns halten. Da arbeit der Landgraf heftig. Aber wir wollen des Brüdern und Glieders nicht, friedlich und guts wollen wir wohl. Ich achte, morgen oder übermorgen wollen wir aufbrechen und zu E. Gn. Herrn gen Schl. in Voigtland ziehen, dahin uns S. K. F. Gn. berufen hat.
Sage dem Herrn Pommer, daß die besten Argumente seind gewesen des Zwinglii, daß corpus non potest esse sine loco, ergo Christi corpus non est in pane2, des Oecolampadii: dies Sacramentum est signum corporis Christi3. Ich achte, Gott habe sie verblendet, daß sie nichts haben müssen fürbringen. Ich habe viel zu tun, und der Bott eilet. Sage allen gute Nacht und bittet für uns! Wir seind noch alle frisch und gesund und leben wie die Fürsten. Küßt mir Lensgen und Hänsgen!
Am Tage Francisci, 1529
E. williger Diener
Martinus Luther.
Johann Brenz, Andreas Osiander, Doctor Stephan [Agricola] von Augsburg seind auch kommen.
Sie seind hier toll worden mit Schweißschrecken, gestern haben sich bei fünfzig geleget, deren seind eins oder zwei gestorben.
_______________
1 Luther redet in seinen Briefen seine Frau immer mit "Herr" an.
2 Ein Körper kann nicht ohne Ort existieren, also ist Christi Leib nicht im Brot.
3 Dieses Sakrament ist nur ein Zeichen.
(StAM Best. 180 LA Marburg Nr. 162. Revolutionäre Umtriebe, Volksversammlungen, öffentliche Aufzüge sowie das Vereinswesen betr. von 1854-1871)
Andreas Osiander, Was zu Marpurgk in Hessen vom Abendtmal und andern strittigen Artickeln gehandelt und vergleicht sei worden. 1529
Andreas Osiander: Bericht über das Marburger Gespräch (5. Oktober 1529)
[Am Samstag, dem 2. Oktober 1529] hat Luther kurz vorgetragen, wie die andere Partei [d.h. die Schweizer und Straßburger] sich unterstanden habe zu beweisen, daß die Worte Christi »Das ist mein Leib«, »das ist mein Blut« [Mt 26,26] ein anderes Verständnis zulassen und haben müssen, als wir glauben und lehren. Doch wolle er ihre Beweisführung hören und, was er daran zu bemängeln habe, freundlich und kurz anzeigen, und hat also den Text »Das ist mein Leib« mit einer Kreide vor sich auf den Tisch geschrieben.
Darauf haben sich Zwingli und Ökolampad erboten, ihr Vornehmen mit heiliger, göttlicher Schrift und mit klaren Sprüchen der Väter zu beweisen ... Also hat Zwingli angefangen und den Spruch Joh 6[,63]: »Das Fleisch ist nichts nütze« her-angezogen in der Meinung, damit zu beweisen: weil das Fleisch Christi nichts nütze wäre, hätte es auch Christus nicht zu essen gegeben! Und als er zu seinen Gunsten das ganze Kapitel erzählen wollte ..., hat Luther wohl gemerkt, daß es ein langes . . . Geschwätz werden würde, und eingewendet, ihn nehme wunder, daß Zwingli den Spruch vortrage, obwohl er doch wisse, daß Christus daselbst nichts vom Abendmahl rede, sondern vom Glauben, weshalb er dem gegenwärtigen Streit nicht diene. Darauf hat Zwingli geantwortet, es sei wahr, er wolle aber dennoch daraus beweisen, daß das Fleisch im Abendmahl nichts nütze sei. Es wundere ihn nicht, daß Luther jenes Wort nicht gern höre; denn es werde ihm (hat er mit großem Trotz und Pochen gesagt), dem Luther, noch den Hals brechen. Dar-auf hat Luther den Zwingli . . . gebeten, er möge sich die stolzen und trotzigen Worte sparen, bis er heim zu seinen Schweizern käme; wo nicht, so wüßte er ihm auch wohl über die Schnauze zu fahren ..., worauf Zwingli still wurde und sich zurückhielt.
Nachdem nun Zwingli den Spruch »Das Fleisch ist nichts nütze« vorgetragen hatte, gab Luther energisch ungefähr diese Meinung zur Antwort: Zum ersten, er stimme ihm nicht zu, daß Christus von seinem Fleisch rede, sondern von unserem sündlichen und fleischlichen Wesen, wie es sonst in der Schrift Brauch ist .. . Zum andern, wenngleich Christus von seinem eigenen Fleisch geredet hat, gestehe er doch nicht zu, daß deshalb recht zu folgern und zu schließen wäre: >Das Fleisch ist nichts nütze, also ist es im Abendmahl auch nicht präsent.< Anders könnte er gegen Zwingli auch den Schluß ziehen: >Das Brot ist nichts nütze, also ist es im Abendmahl nicht da. < . . . Zwingli werde doch nun begreifen müssen, daß seine Konsequenz ein Fehlschluß sei. Das Wort, das Fleisch und Blut umfaßt, ins Herrenmahl einsetzt und zu genießen befiehlt, dies Wort macht alles nütze, was sonst, ohne das hinzutretende Wort unnütz wäre und auch bliebe, wenn man das Wort nicht beachtet noch glaubt etc. Also ist über diesen Spruch der halbe Tag zu-gebracht und nach allgemeinem Urteil durch Luther erstritten worden, auch bei der anderen Partei, daß der Spruch nicht zur Sache diene und sie nichts damit beweisen können.
Nachmittags aber, als wir1 auch dabei waren, trug Zwingli den Spruch vor, Hebr 5 [richtig: 4,15]: »Der versucht ist allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde«, und zog dazu Röm 8[,3] an: »Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches«, und Phil 2[,7]: »Er hat die Gestalt eines Knechtes angenommen, ist gleichgeworden wie ein anderer Mensch und an Gebärden erfunden als ein Mensch« etc., der Meinung also, daraus zu schließen, Christus sei uns in allen Dingen gleich geworden, nur die Sünde allein ausgeschlossen; unsere Leiber aber seien jeweils nur an einem Ort, darum müsse auch der Leib Christi an einem Ort allein sein und könne nicht an vielen Orten sein im Abendmahl.
Darauf antwortete Luther lachend: »Soll sich dann das Wörtlein >Gleichheit< oder >Gestalt< dahin erstrecken, daß es alles in sich schließe bis auf die Sünde allein, so ist es mir ein seltsames Ding; denn ich habe ein Weib; das ist keine Sünde; so muß Christus auch ein Weib gehabt haben etc. Doch sehe ich davon ab und sage so dazu: >Wenn es gleich wahr wäre, daß uns Christus in allen Dingen bis auf die Sünde allein gleich sein müßte, so gestehe ich doch das auch nicht zu, daß unsere Leiber eben an einem Ort allein sein müssen. Denn Gott ist allmächtig; er kann auch wohl meinen Leib ohne eine Stätte erhalten ... Er kann auch wohl einen Leib an mehr als einem Ort halten . . ., wie er will<«, und bat darauf den Zwingli mit ernstlichen Worten, er solle nicht so kindisch von der göttlichen Majestät und Allmächtigkeit denken und reden. Denn Gott »rufe das, was nicht sei, daß es sei« [Röm 4,17].
Zwingli antwortete und bekannte, daß Gott dies wohl tun könnte, wenn er wollte, er täte es aber nicht; das beweise er so: Die Heilige Schrift zeigt uns Christus immer an einem besonderen Ort, wie zum Beispiel in der Krippe ..., im Grab, zur Rechten des Vaters; darum meint er, er müßte immer an einem besonderen Ort sein. Dazu sagte ich [Osiander], mit diesen Sprüchen könnte man nicht mehr beweisen, als daß Christus zu einigen Zeiten an besonderen Orten gewesen sei; daß er aber immer und ewig an einem besonderen Ort oder einer abgemessenen Stätte wäre, ja sein müßte, und nicht ohne Stätte oder an vielen Stätten in natürlicher oder übernatürlicher Weise sein könnte, wie sie vorgeben, das würde mit diesen Schriften nimmermehr bewiesen. Darnach sagte Zwingli: »Ich habe bewiesen, daß Christus an einer Stätte gewesen ist; beweist nun ihr, daß er an gar keiner oder an vielen Stätten sei.« Luther antwortete: »Ihr habt euch am Anfang erboten, zu beweisen, daß es nicht so sein könne und unser Verständnis falsch sei. Das zu tun seid ihr schuldig und nicht [von uns] Beweisführung zu fordern; denn wir sind euch keine schuldig. «
Zwingli sagte, es wäre eine Schande, daß wir einen so schweren Artikel lehrten und verfochten und doch keine Schrift [stellen] darüber zeigen könnten oder wollten. Da hob Luther die samtene Decke auf und zeigte ihm den Spruch: »Das ist mein Leib«, den er mit der Kreide für sich geschrieben hatte und sprach: »Hier steht unsere Schrift; die habt ihr uns noch nicht entwunden, wie ihr euch erboten habt; wir bedürfen keiner andern.«
Zwingli fragte, ob er sonst keine Schrift, Argumente oder Zeugnisse hätte als diese allein. Da antwortete Luther: »Ich habe noch andere, wie ihr hören werdet, wenn ihr mir vorher diese abgewinnt; denn was nötigte mich, daß ich ein gewisses Wort Gottes, das mir niemand abringen kann, selbst fahren ließe und [mich] nach einem andern umsähe. Stürzt mir das um ! Darnach werdet ihr wohl hören, was ich weiter für Argumente habe.«
Soviel Zeugnisse haben Zwingli und Ökolampad aus der Heiligen Schrift angeführt und nicht mehr; sie fuhren fort und wollten eifrig nach der Vernunft darlegen, wie ein Leib an vielen Orten oder an gar keinem Ort sein könne. Das wollte ihnen aber Luther nicht gestatten; er sagte: »Vernunft, Philosophie und Mathematik gehören nicht hierher; denn wenn wir gleich statuieren würden, daß ein Leib an einem Ort allein sein müßte, wäre dies doch nichts anderes, als daß er nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur zu rechnen an einem Ort allein sein müßte. Daß aber Gottes allmächtiges Wort nicht etwas anderes vermögen sollte als die gewöhnliche Natur, das wäre undenkbar: darum dient es hier nicht etc.« Er erbot sich, wenn sie darauf durchaus nicht verzichten wollten, würde er außerhalb dieser Handlung mit ihnen darüber disputieren ... Sie fragten, wo Gott je einen Leib ohne eine besondere Stätte gesetzt oder erhalten hätte. Darauf antwortete Luther: »Den allergrößten Leib, worin alle anderen Leiber enthalten seien, nämlich die ganze Welt, erhält Gott ohne eine Stätte; denn außerhalb der Welt ist nichts als Gott; darum hat die Welt keine Stätte, worin sie ist. « Dazu schwiegen sie alle still. Also wurde weiter nichts aus der Schrift von ihnen vorgebracht, worüber wir uns sehr verwunderten .. .
Am Sonntag vor- und nachmittags [4. Oktober] trugen Zwingli und Ökolampad Sprüche der Väter vor, nämlich einen aus Fulgentius [t 533], etliche aus St. Augustin, die beweisen sollten, daß ein Leib an einem besonderen Ort sein müßte und daß das Brot im Abendmahl ein Zeichen des Leibes und Blutes Christi wäre. Dar-über hörten wir ihnen fast den ganzen Tag zu, bis sie es suchten, lasen und verdeutschten, was überaus langweilig anzuhören war.
Zuletzt beantwortete es Luther so: »Daß St. Augustin das Brot als Zeichen des Leibes Christi nennt, ist nichts Besonderes ; denn wir können daraus nicht wissen, ob es seine Meinung sei, daß der Leib da sei oder nicht; denn wir selbst halten es für ein Zeichen, nennen es auch so und halten dennoch dafür, daß der Leib da sei. Daß er aber sagt, ein Leib muß an einem Ort allein sein, das schreibt er an den Stellen, wo er mit keinem Wort des Abendmahls gedenkt; wenn er aber vom Abendmahl redet, so nennt er es den Leib und das Blut Christi ebensogut wie wir.« Luther führte dafür einige Aussagen an und sagte: »Warum sollten wir nun die Sprüche Augustins mißachten, die er an den Stellen schreibt, wo er vom Abendmahl handelt, und sollten uns nach denen richten, die er schreibt, wo er überhaupt nichts vom Abendmahl sagt? Wenn dazu es gleich gewiß wäre, daß es Augustin so gemeint hätte, wie ihr vorgebt, warum sollten wir gerade Augustin anhangen und nicht vielmehr Cyprian, Cyrill, Ambrosius, Hieronymus und vielen anderen, welche unsere Meinung aufs allerklarste geschrieben haben? Und wenngleich die Väter allesamt eurer Meinung wären, wie kämen wir dazu, daß wir um der Väter willen Gottes Wort geringschätzen sollten und ihnen anhängen? Befiehlt doch Sankt Augustin selbst, man soll seine Bücher lesen, wie er die Bücher der anderen lese; denn er glaube keinem etwas deshalb, weil er es so hält, wie angesehen er auch sei, sondern allein, wenn er mit der Heiligen Schrift beweise, daß dem so sei.« .. .
Darauf sagte Ökolampad: »Wohlan, wir haben dennoch soviel angezeigt, daß wir nicht leichtfertig noch ohne Ursache oder großen Beweggrund zu dieser Meinung gekommen sind.« Dazu sagte Luther: »Wir wissen allzu gut, daß ihr große Ursache gehabt habt; aber die Sache ist um nichts besser.«
Danach wurden sie gefragt, ob sie weiter etwas vorbringen wollten. Sie sagten: »Nein. Hat man die vorigen Argumente schon nicht akzeptiert, sei klar zu ermessen, daß man die folgenden noch weniger annehmen werde.« Darauf sagte Luther: »Nun, ihr habt ja auch nichts bewiesen; davon gibt euch euer eigenes Gewissen Zeugnis.«
Da schaltete sich der Kanzler [Feige] ein: sie sollten Mittel und Wege suchen, wie man einig würde. Da sagte Luther: »Ich weiß kein anderes Mittel, als daß sie Gottes Wort die Ehre geben und mit uns glauben. « Dazu sagten sie, sie könnten es weder begreifen noch glauben, daß der Leib Christi präsent wäre. Da sagte Luther: »So wollen wir euch auch hingehen lassen und dem gerechten Gericht Gottes befehlen. Der wird wohl herausfinden, wer recht hat.« Ökolampad entgegnete: »Und wir euch auch.« Aber Zwingli gingen die Augen [von Tränen] über, daß es alle merkten.
Weil aber Luther im Anfang gesagt hatte: »Sollen wir einig werden, so müssen wir nicht allein vom Sakrament, sondern auch von mehreren anderen Stücken handeln', weil sie, der Widerteil, fast kein Hauptstück christlicher Lehre recht lehren... «, stand Jakob Sturm [Stettmeister von Straßburg] auf, zeigte an, er wäre geschickt, darum bemüht zu sein, daß der Zwiespalt vom Sakrament beigelegt würde etc. Nun wäre er gekommen in der Meinung, es handle sich nur um einen strittigen Artikel; es seien aber mehrere, und wenn er diese Nachricht heimbringen sollte, würde er übel bestehen etc. ; er begehrte, die Lehre seiner Prediger zu verhören und anzuzeigen, wo sie recht oder unrecht lehrten. Dem wurde stattgegeben. Bucer gab Rechenschaft für sie alle, aber wahrlich nicht angemessen, insbesondere von der Taufe; er begehrte, Luther sollte ihnen Zeugnis geben, daß sie recht lehrten . . . Luther antwortete: »Ich bin nicht euer Herr, nicht euer Richter, auch nicht euer Lehrer, so reimt sich unser Geist und euer Geist nicht zusammen; es ist offenbar, daß wir nicht einerlei Geist haben; denn das kann nicht einerlei Geist sein, wo man an einem Ort die Worte Christi einfältig glaubt und am andern denselben Glauben tadelt, anficht, Lügen straft und mit allerlei frevelhaften Worten verunglimpft. « .. .
Als man nun sah, daß sie sich im Hauptartikel vom Sakrament nicht helfen noch raten ließen, ließ der Fürst Philipp von Hessen uns danken ... Danach entbot er jeden einzeln, fragte um Rat, Mittel und ob man nicht nachgeben könnte, und fand bei uns allen, wenn sie, der andere Teil, bekennen wollten, daß der Leib Christi im Abendmahl wäre [und] nicht allein im Gedächtnis der Menschen, wollten wir ihnen alle anderen Fragen erlassen und auf nichts dringen, ob er leiblich oder geistlich, natürlich oder übernatürlich, in einer Stätte oder ohne Stätte präsent wäre, und so als Brüder wieder annehmen und alles tun, was ihnen lieb wäre. Aber – das ist sonderbar anzuhören – sie wollten nicht. Der Fürst lud uns alle von beiden Parteien an seinen Tisch.
Am Montag [5. Oktober] wurde uns befohlen, wir sollten selbst untereinander verhandeln. Also handelten Luther und Philipp [Melanchthon] mit Zwingli und Ökolampad, Brenz und ich [Osiander] mit Martin Bucer und [Kaspar] Hedio im geheimen [und] brachten Bucer dahin, daß er zugab, Christi Leib wäre im Abend-mahl und würde in und mit dem Brot den Gläubigen gegeben, aber nicht den Ungläubigen ... Da sagten wir: »So würde ein neuer Streit entstehen, doch nicht so arg wie der vorige; wir bemühen uns, des Streits wegen wohl noch zu einem Vergleich zu kommen.« Aber als Bucer zu seinen Brüdern kam, redeten sie es ihm aus und er fiel wieder ab.
Luther verhandelte auch fleißig, erreichte aber des Sakramentes wegen nichts. Sie aber hatten um Gottes willen gebeten, wir sollten sie für Brüder halten und die Ihren bei uns die Sakramente empfangen lassen; desgleichen wollten auch sie tun. Aber es wurde ihnen aus gewichtigen und christlichen Gründen abgeschlagen. Danach haben sie begehrt, man solle die anderen Streitpunkte beilegen. Das hat sich Luther gefallen lassen und versucht. Die Sache wurde dahin geklärt, daß er die Hauptstücke aufzeichnen sollte; was ihnen nicht gefiele, wollten sie anzeigen; würde man einig, sollte ein jeder unterschreiben .. .
1. Nämlich Stephan Agricola aus Augsburg, Johannes Brenz aus Schwäbisch Hall und Andreas Osiander aus Nürnberg.
Quelle: G. May (Hg.), Das Marburger Religionsgespräch 1529, TKTG 13, 1970, S. 52—57.
Literatur: H. v. Schubert, Bekenntnisbildung und Religionspolitik 1529/30 (1524-1534). Untersuchungen und Texte, 1910; W. Köhler, Das Marburger Religionsgespräch. Versuch einer Rekonstruktion, SVRG 148, 1929; ders., Das Religionsgespräch zu Marburg 1529, Zwing. 5, 1930, S. 81—102; vgl. Nr. 72 und 73a—f.
Text zitiert nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 161-165
Bericht Zwinglis über das Marburger Religionsgespräch und die Rolle Luthers, Brief an Vadian vom 20. Oktober 1529
Nachdem wir unter sicherem Geleit nach Marburg geführt waren und Luther mit seinen Begleitern angekommen war, ordnete der fürstliche Landgraf an, Oekolampad solle mit Luther und Melanchthon mit Zwingli getrennt, ohne jeden Schiedsrichter, die Auseinandersetzung versuchsweise beginnen, will sagen: Sie sollten gegenseitig erkunden, ob sich in ihren Lehren etwas finden ließe, das zu einem Friedensschluss beitragen könne. Dabei hat sich Luther den Oekolampad so vorgenommen, dass der bei mir im Vertrauen darüber klagte, er sei von neuem dem Eck in die Hände gefallen. Aber das darfst du nur verschwiegenen Leuten weitersagen. Aber da Melanchthon überaus glatt wie ein Aal war und wie ein Proteus alle möglichen Gestalten annahm, nötigte er mich, zur Feder zu greifen und sozusagen mit Salz meine Hand zu wappnen und zu trocknen, um so den Entschlüpfenden und sich in alle erdenklichen Flucht- und Schlupfwinkel Drückenden unerbittlich festzuhalten. Daher schicke ich dir die Kopie einer Niederschrift von einigen aus Hunderttausenden seiner Aussagen, doch unter der Bedingung, dass du sie nur verschwiegenen Leuten mitteilst, d.h. solchen, die daraus keine Fortsetzung der Tragödie anzetteln, denn auch Philipp selbst besitzt eine solche Kopie. Die Niederschrift stammt nämlich von mir, aber er hat alles durchgesehen, gelesen und einiges selbst diktiert. Wir jedoch wollen nicht die Einleitung einer neuen Tragödie bieten.
Dieses Gespräch dauerte bei Philipp und mir sechs, bei Luther und Oekolampad drei Stunden. Anderntags (2. Oktober) stiegen vor dem Landgrafen und einigen Schiedsrichtern — höchstens vierundzwanzig — Luther und Melanchthon, Oekolampad und Zwingli in die Arena; der Kampf zog sich über diese wie über drei weitere Sessionen hin. Denn im Ganzen waren es vier, in denen vor den Schiedsrichtern der Kampf glücklich verlief. Wir hielten Luther nämlich entgegen, dass er die dreimal leicht-fertigen Sätze »Christus hat nach seiner göttlichen Natur gelitten« und «Christi Leib ist überall« und auch das Bibelwort »Das Fleisch ist nichts nütze« selbst in einem anderen Sinne, als er jetzt behaupte, ausgelegt habe. Aber liebenswürdig, wie er ist, gab er auf all das keine Antwort, außer dass er zu dem Satz »Das Fleisch ist nichts nütze« erklärte: »Du weißt doch, Zwingli, wie die Alten alle im Verlauf der Jahrhunderte und mit wachsender Urteilskraft die biblischen Texte immer wieder anders behandelt haben.« Er sagte: »Leiblich wird der Leib Christi in unseren Leib hinein gegessen, doch zugleich will ich mir die Möglichkeit vorbehalten, ob auch die Seele den Leib esse«, während er kurz vorher erklärt hatte: »Mit dem Munde wird der Leib Christi leiblich gegessen, die Seele isst ihn nicht leiblich.« Er sagte, der Leib Christi komme zustande durch diese Worte »Das ist mein Leib«, gleichgültig, was für ein Bösewicht es sei, der diese Worte spreche.
Er gab zu, dass der Leib Christi begrenzt sei. Er gab zu, dass das Zeichen des Leibes Christi Eucharistie genannt werden könne. Wie er diese und ungezählte andere widersprüchliche, widersinnige und törichte Sätze so daherblökte, unermüdlich wie das Geplätscher am Strand, so wurde er doch von uns widerlegt, so dass sogar der Fürst selbst uns beistimmte, obwohl er das in der Öffentlichkeit vor gewissen anderen Fürstlichkeiten verschleierte. Der hessische Hof fiel so fast ganz von Luther ab. Der Fürst gestattete ausdrücklich, dass man unsere Bücher ungestraft lesen dürfe. Er duldete jetzt auch nicht mehr, dass die Pfarrer (episcopi5), die unserer Lehre beipflichten, abgesetzt werden. Johann von Sachsen war nicht anwesend, aber Ulrich von Württemberg. Zuletzt ging man auseinander nach der Annahme der Übereinkunft, die du demnächst gedruckt lesen kannst.
Die Wahrheit hat so offenkundig die Oberhand gewonnen, dass, wenn jemals einer unterlegen ist, Luther mit seiner Unverschämtheit und Schmähsucht vor aller Augen unterlegen ist, allerdings nur vor einem hell sehenden und gerechten Richter. Mag er unterdessen so laut schreien, wie er will, er sei unbesiegt geblieben usw. Auch den Gewinn haben wir davon getragen, dass, nachdem wir in den übrigen Lehren (dogmata) der christlichen Religion einig geworden sind, die Päpstler nicht länger hoffen können, Luther werde ihre Partei ergreifen.
Quelle:CR 97, 316,2-318,8 (Nr. 925). Übers.: Huldrych Zwingli, Ausgewählte Schriften, hg. v. E. Saxer, Neukirchen-Vluyn 1988, 126-128. –Literatur: s. nach Text c.
Text zitiert nach: Volker Leppin, Kirchen - und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 165-66.
Landgraf Philipp von Hessen zum Abendmahlsstreit zwischen Zwingli und Luther. Brief an Elisabeth von Sachsen-Rochlitz, 20. Februar 1530 [Auszüge, ungekürzte Fassung hier]
Herzliebe Schwester,
wie Du mir schreibst, hast Du große Sorge darum, dass ich nicht daran glaube, dass Christus leibhaftig im Brot beim Sakrament des Abendmahls gegenwärtig ist. Auch wenn ich das glaubte, so glaubte ich Christus nicht und alle seine Worte müssten falsch sein usw. Nun liebe Schwester, weil Du mir zweimal geschrieben hast, muss ich Dir doch zeigen, ob ich schon den Glauben hätte, dass ich darum nicht so böse wäre.
Zuerst besteht der Streit zwischen Luther und Zwingli wie auch Oekolampad in folgendem: Luther sagt, Christus sei im Brot leiblich zugegen, und wenn man ihn fragt, ob er [Christus] in der Weise anwesend sei, wie er am Kreuz gehangen hat bzw. sterblich, so sagt er Nein. Er wisse es nicht und will es beweisen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für Euch gegeben wird. Und er will ihn doch nicht so in demjenigen Zustand im Brot sein lassen, in dem er für uns alle dahin gegeben und gekreuzigt worden ist.
Dagegen argumentieren Zwingli und Oekolampad mit dem 6. Kapitel des Johannesevangeliums: Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschen[sohns] und trinken sein Blut, so werdet ihr kein Leben in euch haben. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das Ewige Leben und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.
Da ihn nun die Jünger fragten und sagten: Herr, das ist eine harte Rede, wie können wir dein Fleisch essen und dein Blut trinken? antwortet Christus: das Fleisch ist nichts nütze, der Geist ist es, der lebendig macht. Denn meine Worte sind Geist und Leben usw.
Hieraus folgert nun Zwingli, dass Luther und alle Menschen, die je etwas von der göttlichen Lehre verstanden haben, mit ihm darin einig seien, dass diese Worte allein geistlich, nämlich auf Glauben und im Glauben verstanden werden müssen, nämlich dass Christus Fleisch sei und ihn zu essen uns nützlich sei durch den Glauben an (?) sein Sterben.
Denn, liebe Schwester, Du kannst Dir vorstellen, würde man durch das äußerliche Essen das ewige Leben haben, so könnte sogar einer selig werden, der gar nicht glaubt, und es gäbe dann zwei Wege zur Seligkeit, der eine durchs Glauben, der andere durchs Essen, welches aber der Heiligen Schrift und dem [rechten] Glauben nach nicht sein kann. Wenn nun Luther sich gezwungen sieht, die eindeutigen Worte im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums geistlich zu verstehen, warum dann nicht auch die Worte ‚Das ist mein Leib‘, da doch Christus keine Speise des Leibes ist, sondern der Seele.
Weiter sagt Zwingli, dass Christus gesagt habe, er wollte nicht mehr leiblich in der Welt sein. Zwingli sagt aber nicht, wie man ihm vorwirft, dass Gott dieses nicht vermocht hätte, sondern Gott wollte es anders haben, und Christus habe hier auf Erden sein Amt und den Auftrag seines Vaters ausgerichtet und vollendet. […]
Damit Du aber ein besseres Verständnis darüber erlangst, nun dieses: es verhält sich folgendermaßen: Christus ist Gott und zugleich Mensch, hat zwei Naturen an sich, die eine ist göttlich, die andere ist menschlich. Die göttliche Natur ist von Ewigkeit her gewesen und nicht geschaffen, die menschliche ist von Gott und durch Gott erschaffen und geschaffen. Gott hat menschliches Wesen angenommen. […]
Nun ist der Leib Christi nicht im Brot für uns dahingegeben, sondern am Kreuz. Daher rührt nun die Auffassung von Zwingli und Oekolampad, dass man Christus geistlich d. h. seinen Leib und sein Blut durch den Glauben im Herzen und nicht mit dem Munde empfange, und in dieser Weise nütze es uns. Leiblich habe er [Christus] sein Werk vollendet und danach seinen Geist in unsere Herzen gesandt, der uns alle Dinge offenbaren soll. […]
Und darum zum Schluss: erwäge alles wohl [...] und binde Dich nicht an einzelne Personen, sondern an die Wahrheit; bei Gott gilt kein Ansehen der Person. Ich sehe auch größere Besserung bei denen, die Schwärmer genannt werden, als bei denen, die lutherisch sind. [...]
Cassel, Freitag nach Valentini [20. Februar] 1530
Philipp Landgraf zu Hessen
gedruckt bei Christoph von Rommel, Philipp der Großmüthige, Bd. III, Gießen 1830, Dok. 9, S. 35-40 sowie André Thieme (Hg.), Die Korrespondenz der Herzogin Elisabeth von Sachsen, Erster Band, Leipzig 2010, S. 285-290. Übertragung ins Neuhochdeutsche für die vorliegende DigAM-Ausstellung "Luther und Europa" von Ulrich Stöhr.
Landgraf Philipp von Hessen zum Abendmahlsstreit zwischen Zwingli und Luther. Brief an Elisabeth von Sachsen-Rochlitz, 20. Februar 1530 [ungekürzte Fassung]
Herzliebe Schwester,
wie Du mir schreibst, hast Du große Sorge darum, dass ich nicht daran glaube, dass Christus leibhaftig im Brot beim Sakrament des Abendmahls gegenwärtig ist. Auch wenn ich das glaubte, so glaubte ich Christus nicht und alle seine Worte müssten falsch sein usw. Nun liebe Schwester, weil Du mir zweimal geschrieben hast, muss ich Dir doch zeigen, ob ich schon den Glauben hätte, dass ich darum nicht so böse wäre.
Zuerst besteht der Streit zwischen Luther und Zwingli wie auch Oekolampad in folgendem: Luther sagt, Christus sei im Brot leiblich zugegen, und wenn man ihn fragt, ob er [Christus] in der Weise anwesend sei, wie er am Kreuz gehangen hat bzw. sterblich, so sagt er Nein. Er wisse es nicht und will es beweisen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für Euch gegeben wird. Und er will ihn doch nicht so in demjenigen Zustand im Brot sein lassen, in dem er für uns alle dahin gegeben und gekreuzigt worden ist.
Dagegen argumentieren Zwingli und Oekolampad mit dem 6. Kapitel des Johannesevangeliums, wo steht: „Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschen[sohns] und trinken sein Blut, so werdet ihr kein Leben in euch haben. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das Ewige Leben und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.“ Da ihn nun die Jünger fragten und sagten: „Herr, das ist eine harte Rede, wie können wir dein Fleisch essen und dein Blut trinken?“ antwortet Christus: „Das Fleisch ist nichts nütze, der Geist ist es, der lebendig macht. Denn meine Worte sind Geist und Leben“ usw.
Hieraus folgert nun Zwingli, dass Luther und alle Menschen, die je etwas von der göttlichen Lehre verstanden haben, mit ihm darin einig seien, dass diese Worte allein geistlich, nämlich auf Glauben und im Glauben verstanden werden müssen, nämlich dass Christus Fleisch sei und ihn zu essen uns nützlich sei durch den Glauben an (?) sein Sterben.
Denn, liebe Schwester, Du kannst Dir vorstellen, würde man durch das äußerliche Essen das ewige Leben haben, so könnte sogar einer selig werden, der gar nicht glaubt, und es gäbe dann zwei Wege zur Seligkeit, der eine durchs Glauben, der andere durchs Essen, welches aber der Heiligen Schrift und dem [rechten] Glauben nach nicht sein kann. Wenn nun Luther sich gezwungen sieht, die eindeutigen Worte im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums geistlich zu verstehen, warum dann nicht auch die Worte „Das ist mein Leib“, da doch Christus keine Speise des Leibes ist, sondern der Seele.
Weiter sagt Zwingli, dass Christus gesagt habe, er wollte nicht mehr leiblich in der Welt sein. Zwingli sagt aber nicht, wie man ihm vorwirft, dass Gott dieses nicht vermocht hätte, sondern Gott wollte es anders haben, und Christus habe hier auf Erden sein Amt und den Auftrag seines Vaters ausgerichtet und vollendet. Und dass solches wahr sei, schreibt Lukas im ersten Kapitel der Apostelgeschichte: „Als Christus in den Himmel aufgenommen wurde und die Apostel noch da standen und in den Himmel sahen, da traten zwei Engel zu ihnen und sprachen: Ihr galiläischen Männer, was steht ihr da und seht in den Himmel? Der Christus wird so, wie ihr ihn in den Himmel habt fahren sehen, wieder kommen. So will er auch am Ende der Welt sichtbar wieder kommen.“ Über eine unsichtbare Wiederkunft in leiblicher Form haben wir kein Schriftzeugnis. Zwingli schreibt ferner, dass Christus sagt: „Ich verlasse die Welt und gehe zum Vater. Und wenn ich nicht fortgehe, so kommt der Tröster nicht.“ Ebenso: „Eine kleine Weile lang habt ihr mich nicht, und wiederum eine kleine Weile, so habt ihr mich, und ich gehe zum Vater.“ Ebenso: „die Armen habt ihr allezeit, mich aber habt ihr nicht allezeit.“ Und derlei Aussagen finden sich an vielen Stellen im Johannesevangelium. Und in der Apostelgeschichte steht geschrieben, Christus müsse den Himmel einnehmen, bis all das vollendet werde, was von ihm alle Propheten geweissagt haben. Ebenso steht im Brief an die Hebräer: „Wenn er auf Erden wäre, so wäre er kein Priester,“ und an anderer Stelle in diesem Brief: „Er hat ein für allemal ein Opfer gebracht für die Sünde, das für ewige Zeiten gültig ist.“ Beim nächsten Mal wird er erscheinen in seiner Herrlichkeit usw., will sich auch nicht noch einmal opfern lassen. Es spricht auch Christus selbst gegenüber Kaiphas: „Von nun an werdet ihr den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Kraft und kommen sehen in den Wolken des Himmels.“ Dies alles gibt Zeugnis davon, dass Christus nicht mehr leiblich auf Erden sein will, und nicht darin wohnen, wie die Schrift sagt, was mit Händen gemacht ist.
Damit Du aber ein besseres Verständnis darüber erlangst, nun dieses: es verhält sich folgendermaßen: Christus ist Gott und zugleich Mensch, hat zwei Naturen an sich, die eine ist göttlich, die andere ist menschlich. Die göttliche Natur ist von Ewigkeit her gewesen und nicht geschaffen, die menschliche ist von Gott und durch Gott erschaffen und geschaffen. Gott hat menschliches Wesen angenommen.
Nun muss man Christus auf rechte Weise verstehen in seinen Worten und Werken. Denn einmal spricht er in seiner menschlichen Natur, ein anderes Mal in seiner göttlichen Natur. Wenn er etwa sagt: „Der Vater ist größer als ich,“ dann spricht er wie ein Mensch. Denn gemäß seiner göttlichen Natur ist er im Vater gegenwärtig und mit diesem ein Wesen, aber der menschlichen Natur gemäß ist er ein Geschöpf und niedriger als Gott, entsprechend dem Wort am Kreuz: „Ach Gott ach Gott, wie sehr hast du mich verlassen,“ da redet er wie ein Mensch. Denn wenn er hier entsprechend seiner göttlichen Natur redete, dürfte er nicht sagen: „ach mein Gott.“ … er leidet nicht in seiner göttlichen Natur, sondern auf menschliche Weise. Auch gibt es in Gott selbst kein Verlassensein, sondern allein als Mensch wird er eine kleine Weile verlassen und danach, wie im Psalm steht, mit der Krone der Ehren gekrönt. Dazu noch die Schriftstelle, wenn im Markusevangelium der Christus vom Jüngsten Tage spricht. Da sagt Christus: „Es kennt kein Engel die Zeit, zu der er kommen wird noch der Sohn selbst, sondern allein der Vater.“ Siehe, dies hier ist aber nicht anders zu verstehen als dass es der Sohn nach seiner menschlichen Natur [redet], denn nach der göttlichen Natur kennt er alle Dinge und ist ihm nichts verborgen, wie dies auch im Evangelium enthalten ist.
Dies alles schreibe ich deswegen auf, damit du siehst, wie es die Eigenart der Schrift ist [von Christus zu reden] und auch die Eigenart Christi ist, von sich selbst zu reden. Darum müssen nun alle genannten Schriftstellen so verstanden werden [dazu dienen], dass Christus als leibliches Wesen künftig nicht mehr hier auf Erden, an welchem Ort auch immer, sein wolle. Aber in seiner göttlichen Natur ist er überall dort, wo er gerade sein möchte. Angebetet werden möchte er aber nirgendwo anders als im Himmel, wie es uns das Vaterunser lehrt, wo es nämlich heißt: „Vater unser, der du bist im Himmel.“ Es spricht Christus auch bei Matthäus, Markus und Lukas: „Wenn sie sagen werden, der Christus ist hier oder da, er ist in der Kammer oder er ist in der Wüste, so glaube es nicht.“ Aus diesem allen hast du dir leicht ein Urteil zu bilden. Wie du mir auch schreibst, soll ich mir das elfte Kapitel im Brief des Paulus an die Korinther ansehen. Nun habe ich darin wirklich fleißig gelesen. Ich bitte aber auch dich freundschaftlich und brüderlich, du mögest auch darin, und zwar in rechter Weise lesen und dabei auf das achten, was ich dir [im Folgenden] aufzeigen werde.
Zunächst erkennst du deutlich, dass sie sich in Korinth in einer Weise versammelt und das Abendmahl gehalten haben, wie wir es in unseren deutschen und lateinischen Messen nicht kennen, sondern miteinander gegessen und ihr Essen zusammengetragen. Dass aber Paulus die Korinther schilt und sagt, dass sie zum Gericht zusammenkommen und dass sie schuldig seien am Leib und Blut des Herrn, das hat den Grund, dass – wie es der Wortlaut mit sich bringt – sie sich vollsoffen und dieses Abendmahl verachteten und dazu die Armen, die nichts hatten. Denn wer das verachtet, was Christus im Abendmahl eingesetzt hat – wie nämlich Paulus schreibt: „So oft ihr von dem Brot essen werdet, sollt ihr des Herrn Tod verkündigen „– wer dies Abendmahl nun gering achtet und dazu die Armen beschämt, der verachtet die Verkündigung des Todes des Herrn und der ist auch schuldig am Leib und Blut des Herrn. Denn wer das Wort verachtet, das ihm Tod und Leiden Christi durch den Glauben mitbringt, der verachtet Christus und seinen Tod, sein Sterben und sein Leiden, der ist schuldig am Leib und Blut des Herrn. Zum andern: wer seine Nächsten verachtet – während doch Christus unser Haupt ist und wir seine Glieder sind und Christi Leiden genauso für meinen Nächsten geschehen ist wie für mich – der ist schuldig am Leib und Blut des Herrn, „denn wer meiner Hand etwas zufügt, der fügt auch mir etwas zu.“ Und dass solches wahr ist und dass dieses das rechte Verständnis sei, ergibt sich aus dem Anfang und Ende des elften Kapitels im (ersten) Brief an die Korinther. Am Anfang, als Paulus hart sagt: „Wenn ihr zusammenkommt, so hält man doch nicht des Herrn Abendmahl, sondern der eine ist betrunken, der andere ist hungrig. Habt ihr denn keine Häuser, in denen ihr essen und trinken könnt? Oder verachtet ihr etwa diejenigen, die nichts haben? usw. Soll ich euch hierin loben? Ich lobe euch nicht.“ Und am Ende [des Kapitels] schreibt Paulus: „Darum, liebe Brüder, wenn ihr zusammenkommt, so warte einer auf den anderen, damit ihr nicht zum Gericht zusammenkommt.“ Siehe, hier erkennst du wohl, warum sie am Leib und Blut des Herrn schuldig sind. Dazu spricht Paulus an vier Stellen in diesem Kapitel namentlich vom Brot und schreibt: derjenige, der unwürdig vom Brot isset, und sagt nicht: „so oft ihr vom Leib essen werdet oder von dem Blut trinken werdet“, sondern er nennt es geradewegs „Brot und Kelch“. Paulus wäre wohl zweifellos so weise gewesen, dass er dann, wenn es der Leib hätte sollen sein, er ihn auch so benannt hätte. In gleicher Weise nennen auch Lukas und Paulus den Kelch nicht anders: „Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blut“, und sagen nicht: „in diesem Kelch ist mein Blut.“ So steht auch bei der Wendung‚ „das ist mein Leib“ bei Paulus und Lukas durchgängig „der für euch gegeben wird.“
Nun ist der Leib Christi nicht im Brot für uns dahingegeben, sondern am Kreuz. Daher rührt nun die Auffassung von Zwingli und Oekolampad, dass man Christus geistlich d. h. seinen Leib und sein Blut durch den Glauben im Herzen und nicht mit dem Munde empfange, und in dieser Weise nütze es uns. Leiblich habe er [Christus] sein Werk vollendet und danach seinen Geist in unsere Herzen gesandt, der uns alle Dinge offenbaren soll.
Dazu sagen sie, nachdem wir genügend Vergebung unserer Sünden, die ewig gilt, durch Christi Leiden im Glauben besitzen, warum wir uns dann noch so sehr ängstigen und bemühen wollen, noch eine weitere Vergebung zu erlangen, sondern uns vielmehr jene (bereits erfolgte) Vergebung in Erinnerung rufen, wie denn Paulus sagt: „so oft ihr von dem Brot essen [werdet] usw. sollt ihr des Herrn Tod verkündigen“, und auch ihm für dieselbe zu danken und gegenüber unserem Nächsten? Sie sagen auch weiter, dass der größte Teil der Kirchenväter auf ihrer Seite stehe, indem etwa Augustinus spricht: „Was bereitest Du den Bauch und den Mund. Glaube, so hast Du gegessen“, und an einer anderen Stelle sagt Augustinus: „Wenn die Kinder in die Kirche gehen, so sagen sie [anschließend] wir haben den Herrgott gesehen,“ und haben doch nicht unsern Herrgott gesehen, sondern das Brot oder Zeichen der Danksagung (Eucharistie) oder des Leibes Christi. Es ist ja wahr, dass wir es ein Sakrament nennten, nun bedeutet Sakrament im Deutschen nichts anderes als ein heiliges Zeichen, nämlich eines heiligen Dinges, und so haben es alle Kirchenväter genannt. Christus nennt es auch ein Testament. Ist es nun ein Testament, so darf zwingend derjenige, der das Testament errichtet hat, nicht mehr anwesend sein, sondern vielmehr verstorben und so niemals mehr gegenwärtig sein, sonst wäre das Testament nicht in Kraft (getreten). Es ist auch nicht (numen) zu leugnen, dass Luther und Philipp Melanchthon eben dieser Auffassung gewesen sind.
Und darum zum Schluss: erwäge alles wohl [...] und binde Dich nicht an einzelne Personen, sondern an die Wahrheit; bei Gott gilt kein Ansehen der Person. Ich sehe auch größere Besserung bei denen, die Schwärmer genannt werden, als bei denen, die lutherisch sind. Setz dein Vertrauen in den, von dem im Psalm [110] steht: „Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich alle deine Feinde zum Schemel deiner Füße vor dich lege.“
Ich schicke dir auch ein Neujahrsgeschenk mit diesem Brief. Und Gott schenke dir einen Sohn.
Es wird freilich in meiner Landgrafschaft nicht eigens über die strittige Angelegenheit [des Abendmahls] gepredigt; wir lassen es uns genügen, dass wir Christus und all seine Wort im Glauben annehmen und sie gebrauchen in Glaube, Hoffnung und Liebe und zur Stärkung angesichts der Verfolgung.
Wenn ich einen wohlgeformten Zelter bekommen kann, sollst du ihn erhalten. Ich schicke dir das Einhorn [Trinkgefäß].
Cassel, Freitag nach Valentini [20. Februar] 1530
Philipp Landgraf zu Hessen
gedruckt bei Christoph von Rommel, Philipp der Großmüthige, Bd. III, Gießen 1830, Dok. 9, S. 35-40 sowie André Thieme (Hg.), Die Korrespondenz der Herzogin Elisabeth von Sachsen, Erster Band, Leipzig 2010, S. 285-290. Übertragung ins Neuhochdeutsche für die vorliegende DigAM-Ausstellung "Luther und Europa" von Ulrich Stöhr.
Teilnehmer am Marburger Religionsgespräch 1529
Chiffrierschlüssel zur Geheimkorrespondenz des Landgrafen Philipp mit Zwingli, 1530-1531
Seit dem 15. Februar 1530 verwendete Landgraf Philipp in seiner Korrrespondenz mit Zwingli den beiliegenden Chiffrierschlüssel. Hintergrund der Verschlüsselung des Schriftwechsels waren insbesondere die geheimen politischen Verhandlungen über den am 4. Oktober 1929 in Marburg vereinbarten großen antihabsburgischen Bündnisplan zwischen der Landgrafschaft Hessen, Straßburg, Basel und Zürich bzw. die Aufnahme Hessens in das Schweizer Burgrecht. Dieser Vertrag, das sog. "Christliche Verständnis", trat dann am 18. November 1530 in Kraft, entfaltete aber keine tatsächliche Wirksamkeit mehr.
Zwingli an Landgraf Philipp nach dem Marburger Religionsgespräch, 2. November 1529
Zwingli bedankt sich bei Landgraf Philipp nach seiner Rückreise vom Marburger Religionsgespräch. Er beklagt sich über die Unduldsamkeit der Lutherischen und schlägt als Gegengewicht eine Synodalverfassung vor. Osianders Buch zu Nürnberg in Druck ausgegangen (die Marburger Artikel mit einer Epistel).
Tag zwischen Zürich, Bern und Basel zur Verhandlung über die streitige Sache [Bündnisvertragsentwurf von Marburg]. Zeitung aus Italien. Herzog Ulrichs Sache. Mandat der 13 Orte über den Frieden untereinanser.


Tafel 13: Die Spaltung des Protestantismus
Beim Religionsgespräch, zu dem Landgraf Philipp 1529 nach Marburg eingeladen hat, finden Luther, Zwingli und die oberdeutschen Reformatoren in der Frage der Realpräsenz Christi beim Abendmahl keine Einigung. Der Abendmahlsstreit zwischen Lutheranern und Reformierten führt zu zwei protestantischen Konfessionen:
Im Unterschied zur katholischen Kirche gehen beide reformatorischen Bekenntnisse nur von zwei Sakramenten aus, der Taufe und dem Abendmahl. Gemeinsam ist auch die Verdammung der katholischen Heiligen- und Bilderverehrung. Die Calvinisten sind in der Bilderfrage aber wesentlich strenger als die Lutheraner und praktizieren in ihren Kirchen ein striktes Bilderverbot. Auch im kirchlichen Aufbau finden sich grundsätzliche Unterschiede :
- In den orthodox-lutherischen Landeskirchen ist der regierende Landesherr als "Notbischof" zugleich oberster Kirchenherr; er setzt Konsistorium und Pfarrer ein: Kirche und weltliche Obrigkeit sind in einer Hand.
- Bei den reformierten Kirchen bestimmen General- und Provinzialsynoden als Versammlungen von Predigern und Ältesten über die Gemeindeangelegenheiten: Die reformierten Kirchenordnungen stellen den Gemeindegedanken in den Mittelpunkt und unterscheiden klar zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt.
Zu den Nebenströmungen der Reformation gehören die Täufer, Spiritualisten („Schwärmer“) und Antitrinitarier, die die Dreifaltigkeit Gottes ablehnen. Diese Gruppierungen stehen für die frühe Sektenbildung im Protestantismus und bilden - bei allen Unterschieden - den Grundstock der späteren evangelikalen Bewegung. Zum sog. "radikalen" oder "linken" Flügel der Reformation zählen Persönlichkeiten wie Thomas Müntzer oder Andreas Karlstadt.
Die Täufer entwickeln sich seit Mitte der 1520er Jahre schnell zu einem bedeutenden Nebenzweig der europäischen Reformationsbewegung - und sie werden 1529 in dem "Wiedertäufermandat" des Reichstags zu Speyer als mit dem Tode zu bestrafende Ketzer belegt. Insgesamt fallen im 16. und 17. Jh. mehr als 1000 "Wiedertäufer" den Verfolgungen zum Opfer; auch in protestantischen Territorien wie z.B. in Kursachsen wird die Todesstrafe gegen die Täufer vollstreckt. Eine rühmliche Ausnahme bildet Landgraf Philipp von Hessen, der es als nicht vereinbar mit seinem Gewissen ansieht, gegen einen Menschen, der im Glauben etwas irrig ist, so scharf zu verfahren. Soll nun derselbe so stracks von uns zum Tode verurteilt werden, sorgen wir uns wahrlich, dass wir an seinem Blut nicht unschuldig seien.
GRAPHIK: Zweige der Reformation und die Erneuerung der Katholischen Kirche
Das Abwägen der Religionen, Niederlande 17. Jh.
Zwei Zentren der Reformation in Europa: Wittenberg sowie Genf/Zürich
Der Erste Teil aller Bücher und Schriften Martin Luthers von 1517 bis 1522, Jena 1555 (Titelblatt)
Martin Luther, Kurzes Bekenntnis vom Heiligen Sakrament, 1544 [Auszüge]
[...] Denn ich, der ich nun dem Tode nahe bin, will dieses Zeugnis und diesen Ruhm mit mir vor den Richterstuhl meines lieben Herrn und Heilands Jesus Christus bringen, dass ich die Schwärmer und Sakramentsfeinde Karlstadt, Zwingli, Oekolampad, Schwenckfeld und ihre Jünger zu Zürich - und wo sie sonst noch sind - mit ganzem Ernst verdammt und gemieden habe nach seinem Befehl, Tit 3: Einen Ketzer sollst du meiden, wenn er ein- oder zweimal ermahnt worden ist. Wisse, dass ein solcher ganz verkehrt ist und sündigt als jemand, der einfach verdammt sein will. Sie sind oft genug, auch ernst genug, von mir und vielen anderen ermahnt worden - die Bücher liegen vor. Und wir predigen alle noch täglich gegen ihre lästerliche und lügenhafte Ketzerei, was sie sehr wohl wissen.[...]
Es ist wahr: Vor 15 Jahren sind Zwingli und Oekolampad und etliche von uns in Marburg zusammengekommen, und wir haben uns in den Marburger Artikeln miteinander verständigt, die sehr christlich sind, wie es die gedruckte Fassung auch bezeugt. Aber im Artikel vom Sakrament stockte es. So gingen wir auseinander, wollten aber ansonsten gute Freunde sein, damit das scharfe Schreiben gegeneinander ruhen möge. Vielleicht würde Gott mit der Zeit durch unser Gebet auch hierin ein übereinstimmendes Verständnis geben. Meine Hoffnung war ziemlich groß, dass sich mit der Zeit Einigkeit auch in diesem Artikel finden würde, da Zwingli und die Seinen in so vielen wichtigen Artikeln nachgegeben hatten. Und so kam es zwischen uns etliche Jahre lang zu einer Pause im Gegeneinanderschreiben.
Indes wurde Zwingli von der Gegenpartei der Papisten auf dem Schlachtfeld jämmerlich erschlagen, und Oekolampad war viel zu schwach, um dieses Unglück ertragen zu können, und starb vor Leid darüber. Dies tat dann mir selbst zwei Nächte lang so leid, dass ich leicht auch hätte sterben können. Denn ich hatte gute Hoffnung auf ihre Besserung, musste mich nun aber um ihre Seele aufs Höchste sorgen, weil sie noch im Irrtum versunken und demzufolge in Sünden verstorben waren.
Aber nach dem Tod Zwinglis wurde eine Schrift, die er kurz vor seinem Ende geschrieben haben soll, unter dem Namen Christianae fidei expositio ad Christianum Regem veröffentlicht. Diese Schrift sollte alle seine vorigen übertreffen. Dass es seine, nämlich Zwinglis Schrift, sein musste, gaben die Art seiner wilden, wüsten Reden und seine altbekannten Meinungen zu erkennen. Über diese Schrift erschrak ich sehr, nicht um meinetwillen, sondern um seinetwillen. Denn weil er nach unserer Versöhnung in Marburg diese hat schreiben können, ist es gewiss, dass er in Marburg uns gegenüber alles mit falschem Herzen und Mund verhandelt hat; und ich musste - wie ich es auch jetzt noch muss - an seiner Seelen Seligkeit verzweifeln, wenn er in dieser Gesinnung gestorben ist, ungeachtet dessen, dass ihn seine Jünger und Nach-kommen zum Heiligen und Märtyrer machten. Ach Herr Gott, der Mann ein Heiliger und Märtyrer! [...]
Also gingen wir in Marburg, wie gesagt, in der Hoffnung auseinander, sie würden mit der Zeit völlig mit uns übereinstimmen, weil sie alle christlichen Glaubensartikeln anerkannten und sich auch in diesem Artikel vom heiligen Sakrament von ihrem vorigen Irrtum, dass es nur einfaches Brot wäre, abwandten.
Weil dies nun durch das Wirken des Teufels nicht eingetroffen ist und ich gehörig betrogen worden bin - wie ich auch aus der Schrift, die nach dem Tode Zwinglis veröffentlicht wurde, merken musste, dass er nach dem Kolloquium schlimmer als zuvor geworden war und gewiss in Marburg nicht ehrlich mit mir umgegangen ist -, werde ich gezwungen, keine Gemeinschaft mehr zu halten mit irgendeinem Schwärmer, er heiße Schwenckfeld, Zwingli, Oekolampad, Karlstadt oder wer sonst noch zu ihnen gehört - den Schwärmen, Brotfressern und Weinsäufern, also den Lästerern und Feinden Christi; vielmehr darf ich weder ihre Briefe, Bücher, ihren Gruß und Segen, ihre Schriften, ihre Namen noch die Erinnerung an sie in meinem Herzen behalten, sie auch nicht sehen oder hören.
Denn weil ich mir meiner Sache sicher bin und ihr eigenes Gewissen gegen sie bezeugen muss, dass sie Unrecht haben und Gott lästern, will und kann ich fröhlich vor meinem lieben Herrn Jesus Christus am jüngsten Tage sagen: Herr Jesus, ich habe sie treu gewarnt und ermahnt; außerdem überführt sie ihr eigenes Gewissen, das müssen sie vor dir bekennen; das weißt du, lieber Herr. [...]
Martin Luther, Deutsch-Deutsche Studienausgabe, Bd. 2 Wort und Sakrament. Hg. von Dietrich Korsch und Johannes Schilling Leipzig 2015, S. 805ff.
Martin Luther, Kurzes Bekenntnis vom Heiligen Sakrament, 1544
In dieser Schrift verdammt Luther Zwingli und die Reformierten als Ketzer und macht sie für die Glaubensspaltung der Protestanten verantwortlich. Wiederholt kommt Luther dabei auf das Marburger Religionsgespräch 1529 und die Verstockheit Zwinglis sowie seiner Anhänger zurück: "... Und der Zwingel hatte ein lang ungereimt Geschwätz mit mir ..."
In ihrem Schreiben an den Landgrafen Philipp von Hessen wenden sich die Zürcher Prediger gegen die Verdammung Zwinglis und der Reformierten als Ketzer, wie dies Luther in seinem "Kurzen Bekenntnis vom Hl. Sakrament" 1544 öffentlich verkündet hat.
Die Zürcher Prediger an Landgraf Philipp v. Hessen, 12. März 1545 (Aut. Entwurf v. Heinrich Bullinger)
[neuhochdeutsche Fassung]
Durchlauchtiger hochgeborener Fürst und gnädigster Herr!
Unser untertäniger williger Dienst samt Erweisung alles Guten seien E F G von uns allzeit zuvor bereit.
Dass Dr. Martin Luther so sehr voller Ingrimm gegen uns, ohne dass wir dies verdient oder verschuldet hätten, sich in von ihm verantworteten Druckschriften geäußert hat, erfüllt uns mit Traurigkeit, und dies insbesondere mit Blick auf solche einfältigen, geistlich schwachen Christen, die besonders daran nicht wenig Ärgernis und Anstoß nehmen werden, dass wir [Theologen] , die wir aufgrund des e i n e n Evangeliums den e i n e n Herrn Christus predigen, wegen seines heiligen Symbols und Sakraments in solch langwierigem Streit mit einander stehen.
So bedauern wir auch nicht wenig, dass E F G und anderer frommer christlicher Fürsten, Herren, Stände und Stadtobrigkeiten freundschaftliche Bemühungen um Frieden nicht stärker bei Dr. Luther hat verfangen wollen, indem er nach langem Stillhalten von unserer Seite und demnach ohne rechtfertigenden Anlass den ärgerlichen Streit wieder hat aufleben lassen.
Wir hätten wirklich diesen Frieden [mit ihm] gehalten und weiter wie bisher schon geschwiegen, wobei wir uns sehr lange und vielleicht länger als gut gewesen ist erduldet haben.
Da nun aber unsere Geduld und unser Stillschweigen bei Dr. Luther nichts anderes bewirkt hat als dass er uns in seinem letzten Bekenntnis als Ketzer verdammt sowie unsere Vorfahren – ehrbare Christenleute – und unsere Kirchen hinsichtlich der Glaubensinhalte und ihrer Ehre schmäht und beleidigt – wie es in seiner Schrift klar zutage tritt, haben wir mit Rücksicht auf unsere Ehre, Leumund, Pflichten und Ämter nicht mehr weiter wie bisher fortfahren können. Dabei haben wir nicht eigenmächtig hinter dem Rücken unserer gnädigen Herren und Obrigkeiten, Bürgermeister und Räte gehandelt, sondern mit ihrer Kenntnis und ihrer Einwilligung, indem ihnen – mitsamt allen Gläubigen bei uns – in nachvollziehbarer Weise ein sehr großes Leidwesen wegen Luthers so abscheulichem Schmähen und Schelten Toter und Lebendiger zugefügt worden ist, an dem sie noch zu tragen haben – wobei viele der Ansicht sind, auch wenn die Kirchen bei uns und wir, ihre Diener, bei der Behandlung der Sakramente ein wenig fehlgingen, so sollte doch Luther sie und uns nicht ganz und gar [i. S. v. wie Kehricht?] ausschütten (ausschelten?), zumal in dieser Zeit, in der diejenigen, die der Wahrheit feindlich gesinnt sind, alle Kräfte anstrengen, um die evangelische Wahrheit zu verdammen und zu unterdrücken.
Wenn wir dagegen recht und der ursprünglichen apostolischen heiligen Kirche gemäß lehren und es mit dieser halten, sollte Dr. Luther sich noch viel weniger von uns trennen und ohne Not eine Spaltung in der Kirche herbeiführen. Weil denn auch E F G in unserer Antwort [auf Luther] erwähnt wird, nämlich an der Stelle, wo wir von dem in Marburg abgehaltenen Gespräch handeln, übermitteln wir E F G untertänig unsere Antwort und unser Bekenntnis mit der demütigsten, freundlichsten Bitte, E F G wollen diese [Antwort und Bekenntnis] in Gutem von uns so sehr wohlmeinenden und willigen Dienern empfangen und, wenn es angesichts der Vielzahl und Bedeutung der Regierungsgeschäfte (je nun?) möglich ist, [sie] auch gern lesen.
Daneben bitten wir auch, E F G werde um Gottes und seines heiligen Wortes willen in Gnaden zu verhindern wissen, dass unser Bekenntnis und unsere schriftliche Antwort samt anderen unseren Büchern in E F G Fürstentümern verboten und wir folglich, ohne gehört worden zu sein, unschuldig verdammt werden. Unsere gnädigen Herren und Obrigkeiten lassen ja an ihrer Stelle in Grafschaften, Städten und Ländern sowohl alle und jede Bücher Luthers als auch andere Schriften kaufen und verkaufen, deren Inhalt sich gegen uns richtet.
Diese zu lesen fordern wir selbst auch jeden auf, denn es ist gerecht, dass beide Parteien gehört werden und niemandes Meinung, ohne dass man ihn zuvor gehört habe, unterdrückt wird. Dabei vertrauen wir Gott und seiner hellen, ewigen Wahrheit an, dass alle Gläubigen klar und gründlich erkennen werden, dass weder unsere Kirchen noch wir selbst verdammenswert sind, wie es Dr. Luther gern der ganzen Christenheit weismachen würde. Gott verzeihe ihm. Darüber hinaus bitten wir E F G auch darum, dass sie nochmals in Betrachtung Gottes, der Wahrheit und unserer Unschuld freundlich bei dem Kurfürsten von Sachsen wie auch bei ihrem Schwiegersohn, Herzog Moritz, unseren gnädigsten Herren, darauf hinwirken wolle, dass Ihre Fürstlichen Gnaden uns, ohne dass sie uns zuvor gehört hätten, nicht verdammten und unsere Bücher in ihren Fürstentümern nicht verbieten ließen. Wir haben auch etliche Büchlein mitgeschickt, die Ihren Fürstlichen Gnaden – sofern es E F G nicht widerstrebt – übersandt werden mögen.
Allergnädigster Fürst und Herr! Lasst E F G unsere schwerwiegenden Anliegen zu Herzen gehen angesichts dessen, dass es um die Kirche unserer frommen Gläubigen, um unsere eigene Ehre und um den guten Ruf der verstorbenen redlichen, gottesfürchtigen und gelehrten [Anhänger unserer Konfession] geht, ja auch um unsere Ehre und unseren guten Namen, ja [zuletzt] auch um die Wahrheit. Denn Dr. Luther verschreit uns unablässig als unbußfertige, verdammte Ketzer, deren Gemeinschaft und Schriften alle Gläubigen meiden sollen. Da wir aber von Herzen aller Ketzerei feind sind und begehren, in christlicher Wahrheit in der Gemeinschaft aller Rechtgläubigen zu bleiben, hoffen wir auch auf Gott unseren Herrn, dass dann, wenn E F G unser Begehren und demütiges Schreiben gnädig aufnimmt und erhört, der Allmächtige E F G Bitte und Begehren auch gnädig aufnehmen und erhören wird, nachdem er im Evangelium klar gesagt hat, wenn einer einem seiner Diener einen kühlen Trunk Wasser biete, wolle er dies nicht unvergolten lassen. Da, wo wir uns dann mit untertänigen willigen Diensten gegenüber E F G als dankbar erweisen könnten, wollen wir uns zu allen Zeiten ganz untertänig und willig erweisen. Gott, unser himmlischer Vater, wolle E F G samt allen Ihren Angehörigen durch Jesus Christus, unseren Erlöser, unter seinem Schirm stets in Treue erhalten und bewahren.
Datum Zürich in der Eidgenossenschaft, 12. März 1545.
Zürich StA, E II 337, 366. Zit. nach Andreas Mühling, Heinrich Bullingers europäische Kirchenpolitik, Bern, Berlin u.a. 2001, Anlage 7, S. 293-295. Übertragung und Kollationierung Dr. Ulrich Stöhr
In ihrem Schreiben an den Landgrafen Philipp von Hessen wenden sich die Zürcher Prediger gegen die Verdammung Zwinglis und der Reformierten als Ketzer, wie dies Luther in seinem "Kurzen Bekenntnis vom Hl. Sakrament" 1544 öffentlich verkündet hat.
Die Zürcher Prediger an Landgraf Philipp v. Hessen, 12. März 1545 (Aut. Entwurf v. Heinrich Bullinger)
„Durchlüchtiger, hochgeborner fürst und gnädigister herr.
Unser underthänig willig dienst sampt erbietung alles guten sye ü.f.g. von uns allezyt bevoran bereit. Das D. Martin so gar grimmig wider uns, one unsern verdienst und beschulden, geschriben und in den truck gäben hat, ist uns leid, insonders von wägen der einfalten, schwachen Christen, die sich an dem nitt wenig verergerend und anstossend, das wir, die uß einem evangelio einen herren Christum predgend, von sinem heiligen zeychen und sacrament in so langwirigem span gägen andren stand. So beduret uns ouch nitt wenig, das ü.f.g. und anderer frommer christenlicher fürsten, herren, ständen und stetten früntlich zuthun und friden nitt mee by D. Luthern hat mögen verfahen, dann das er nach langem stillstand unser und deßhalb one rächtmässigen anlaß den ergerlichen stryt widerumb ernüweret. Wir zwaren hättend lieber frid gehept und fürohin wie bißhar geschwigen, über das wir vil und lang, ja me, dann filicht gut, uns gelitten habend. Diewyl aber unser gedult und schwygen by D. Luthern nitt me gebracht hat, dann das er in siner letsten bekentnis uns für kätzer verdampt, unsere vorfaren, eeren christenlüt, und unsere kylchen amm glouben und eeren schmächt und schendet, alls hierumb sin schryben heiter amm tag ist, habend wir eeren, glimpffs, pflichten und ampts halben nitt me und wyter fürgan können. Da so habend wir nitt für uns selbs hinder unsern gnedigen herren und obren, burgermeistern und rädten gehandlet, sunder mitt irem vorwissen und verwilligen, welche ouch sampt allen glöubigen by uns ein besonder groß beduren ab so abschüchlichem Luthers schenden und schelten todter und läbendiger nitt unbillich empfangen habend und tragend, diewyl mencklich vermeint, wenn glych wol die kylchen by uns und wir, deren diener, im handel des sacraments ettwas mangels hättend, sölte doch Luther sy und uns nitt also gar uußschütten, insonders diser zyt, in welcher der warheit ungünstige alle krefft herfür thünd, evangelische warheit ze verdammen und ze vertrucken. So wir aber rächt und der ersten apostolischen heiligen kylchen glichförmig lerend und haltend, sölte D. Luther noch vil minder sich von uns trännen und ein spaltung in der kylchen one nodt machen etc. Sidmals dann ouch ü.f.g. in unserer antwort gedacht wirt, da wir von dem colloquio, zü Marpurg gehalten, redent, überschickend wir underthänig ü.f.g. unsere antwort und bekantnus mit demütigister, früntlichister pitt, ü.f.g. wölle die in gutem von uns gar gutgünstigen und willigen dienern empfahen und, wo vile und grosse der gschäfften halben jenan müglich, ouch willig läsen. Darnäben bittend wir wyter, ü.f.g. wölle umb gottes und sines heiligen worts willen gnedicklich fürkummen, das unsere bekantnus und antwort sampt andern unsern bücheren nitt in ü.f.g. fürstenthumb verbotten und wir also unverhört und unschuldig verdampt werdint. Unsere gnedige herren und obren lassend in irer statt, graffschafften, stetten und landen alle und yede Luthers bücher, ouch anderer unser widerwertigen gschriff¬ten verkouffen und kouffen. Wir vermanend ouch mencklichen, die ze läsen; dann billich ists, das beide teyl verhört und nieman unverhört undertruckt werde. Da so truwend wir gott und siner hällen ewigen warheit, alle glöubigen werdint klarlich und eigentlich befinden, das weder unsere kylchen noch wir söliche verdampte lüt sind, wie uns D. Luther der gantzen christenheit gern ynbildete; gott verzyhe imm. Darüber bittend wir ü.f.g. ouch umb das, das sy abermals gott, die warheit und unsere unschuld ansähen und früntlich an den churfürsten von Saxen, ouch an ü.f.g. tochterman hertzogen Moritzen, unsere gnedigisten herren, vermögen wölle, das ir fürstliche gnaden uns unverhört mitt verbieten unser geschrifften in iren fürstlichen gnaden fürstenthumen nitt lassind verdammen. Wir habend ouch ettliche büchli hie bygelegt, welche iren f.g. möchtend, wo es ü.f.g. nitt widerig, überantwortet werden. Allergnedigister fürst und herr, lassend ü.f.g. unser schwerr anligen ze hertzen gan, angesähen, das es umb unserer frommen, glöubigen kylchen, umb der redlichen, gotts-förchtigen und gelerten abgestorbnen und umb unsere eer und guten namen, ja ouch umb die warheit ze thün ist. Dann ye D. Luther uns alls unbüßvertige verdampte kätzer uußschrygt, deren gmeinschafft und schriben alle glöubige myden söllend. Da aber wir von hertzen aller kätzery find sind und begärend mitt christenlicher warheit in der gmeinschafft aller rächtglöubigen ze blyben, hoffend ouch zü gott, unserm herren, wenn ü.f.g. unser begär und demütigs schriben gnedigklich uffnimpt und erhört, der allmächtig werde ü.f.g. bitt und begär ouch annemmen und erhören, diewyl er heyter imm evangelio gesprochen hat: Welcher einem siner dienern ein kalten wassertrunck biete, wölle er nitt unvergulten lassen. Wo wir uns dann mitt underthänigen, willigen diensten gägen ü.f.g. danckbar bewysen köndent, wölltend wir uns zü allen zyten gantz underthänig und willig erzeigen. Gott unser himelischer vatter wölle ü.f.g. sampt allen iren zugehörigen durch Jesum Christum, unsern erlöser, in sinem schirm trüwlich und allwäg erhallten.
Datum Zürych in der Eydgnoschafft des 12. tag imm Mertzen anno 1545."
Zürich StA, E II 337, 366. Zit. nach Andreas Mühling, Heinrich Bullingers europäische Kirchenpolitik, Bern, Berlin u.a. 2001, Anlage 7, S. 293-295.
Text in neuhochdeutscher Übertragung und Kollationierung siehe Dokument
Schreiben des Landgrafen Philipp an den Kurfürsten Johann Friedrich und den Herzog Johann Ernst von Sachsen zu den Wiedertäufern, 19. August 1545
Vnser freuntlich dienst vnd, was wir liebs vnd guts vermugen, altzeit zuuor. Hochgeborne fursten, freuntliche, lieben vettern, Bruder, Sohn vnd geuatter, E. L. schreyhen, Datums weissende den 24 ten des monats Julii, Belangend die wiedertauffer, so sich zu Mülhaussen enthalten sollen, haben wir verlesen, von E. L. freundtlich vermerckt, vnd wiewol wir derselbigen secten, Opinion oder glaubens gantz nicht sein, so konnen wir doch nit vmbgehen, E. L., wie wir es mit diesen Leuthen jn vnsern Landen gehalten haben vnd noch halten, vnd was vnser bedencken deßhalben sey, zuerofnen.
Befinden anfenglichs, das diese leuth nit alle einer opinion sein, Sonder das einer diß, der ander jhenis Glaubt vnd das jrer ensteils mit gotlichem wort zu. berichten vnd wieder zu der Christlichen Gemein zupringen sein; wann man aber gegen jnen mit der Scherpf vortfaren wolt, So seind sie so steiff, das sie sich hinrichten liessen, dardurch diesem jrthumb wenig abgeholffen, Dann so jn Gottlicher geschrieft vnberichte Leuth, solche bestendigkait sehen, so fallen sie alspalt jn diese gedancken vnd Opinion, als ob die hingerichte gar rechtschaffene Christliche leuth sein mußen, dieweil sie so bestendiglich jn den dot gegangen, vnd gibt also ein hingerichte person, welche bestendig bleibt, wol zwantzig andern personen vrsach vnd nachdencken, seiner Opinion beytzufallen.
Derwegen haben wir bissanher jn vnsern landen den geprauch gehabt, So halt wir dieser leuth jnnen worden, haben wir sie jn verwarung nehmen vnd mit Gotlicher geschrieft zum vleyssigsten berichtenlassen. Einsteils haben solchen bericht halt angenomen vnd von jrem jrthumb abgestanden, Einsteils aber haben lang gesessen vnd doch letzlich vf die vielfaltige bericht, so jnen bescheen, jren jrthumb auch erkennet; was aber sich nicht hadt berichten lassen, Sondern fur vnd fur sein opinion beharret, die seind vnsers Landts verwiesen. Wir haben auch wol etzliche, die sich nit haben wollen berichten lassen vnd andere Leuth anstecken mochten, jn gefengnus behalten, Darin sie noch sein; also haben wir viel leuth vnd den mehrerteil durch Gotliche verleyung vnderichtet vnd wiederumb vf die Recht ban pracht vnd zweyueln bey vns gar nicht, wo wir betten vnderstanden, es mit dem schwerdt außzureuten, Es hedt sich darmit nicht lassen dempfen, Sondern wer ye lenger ye weither eingerissen.
Das nhun wir gegen einem menschen, so jm glauben jrret, nicht so scharpff sein vnd jm das leben Nhemen, dunckt vns jn vnserm gewissen, solchs woll sich der Gotlichen geschrieft nach einem Christen nicht wol anders ziemen oder geburen.
Dann Matthei am 13. findet man, was Christus seinen jungern vor ein Gleichnus furgehalten. Da die diener zum Haußvatter sprachen, Ob er wolt, daß sie hingiengen vnd das vnkraut ausgetten, Darauf der Haußvatter geantwortet: Nein, vf das sie nicht zugleich den weitzen mit dem vnkraut außreifften, Sonder der Haußvatter wolt, man solt es wachsen lassen, Biß zu der zeyt der Ehrnden, als dann wolt er zu den dienern sagen, Sie sollten das vnkrauth zusamen binden vnd verbrennen etc. (Mt 13, 24-30.)
Weiter wirdet gelesen, als Luce am 9. die junger Christi jn der margkt der Samariter [einen] kamen, Christo herberg zuhestellen vnd sie jnen nicht annehmen wolten, Derwegen Jacob vnd Johannes sprachen : Her, wiltu, das wir sagen, das feuer vom himel fal vnd vertzere sie, wie Elias thet etc.?, Das darauf Jesus sie betrawet vnd sprach: wist jr nicht, welches geystes kinder jr seyt? Des Menschen Sohn ist nicht komen, der menschen seien zuuerderben, sonder zuerhalten etc.» (Lk 9, 52-56.)
Vnd wirdet ferner ein schon ertzelung der schwachgleubigen halben durch Paulum an die Rhömer am 14. Capittel gethan, meldende: Den schwachen jnn glauben nehmet auff, vnd verwirrit die Gewissen nicht. Einer gleubt, er muge allerley Essen; wilcher jsset, der verachte den andern nicht; wilcher nicht jsset, der richte den nicht, der da jsset, dann Got hadt jn aufgenohmen, er stehet oder feilet seinem hern. Er kann aber wol vfgericht werden. Einer helt einen Dag vor dem andern, der ander aber helt alle tage gleich. Ein jder aber sey seins synns gewiß (Röm. 14, 1-5.). Item volget weyter: Es wirdt ein jdlicher vor sich selbst Rechenschaft geben. Darumb lasset vns nicht mehr einer den andern richten; sondern das richtet viel mehr, das niemant seinem bruder ein ergernuß oder anstoß darstelle etc. (Röm 14, 12f.).
Diese spruch liegen vns dermassen jm wege, das wir jn vnsern Gewiessen nit wol fienden mogen, wie gegen einem menschen, so jm glauben etwas jrrig ist, so scharpf sott gefaren. werden, dann es mocht sich ein mensch vber nacht vnderrichten vnd weysen lassen vnd wieder von seinem jrthumb abtretten. Soll nhun derselbig so gestracks von vns zum dodt verurteilt werden, sorgen wir warlich, wir mochten seins bluts nicht vnschultdig sein.
Dann Bolte man alle die jhenigen hinrichten, so nicht vnsers glaubehs sein, wie wolt es dan den Papisten, desgleichen den Juden er-gehen, welche desfals ye so hoch vnd höcher dann die wiederteuffer jrren?
Darumb liessen wir vns nochmals geuallen, wo dieser leuth weren, das man sie jn verwarung zöge, durch geschickte leuth mit Gotlichem worth vnderrichten vnd, do sie weder durch die eintziehung oder Christliche vnderrichtung wiederumb zur Christlichen gemein jres jrthumhs abtretten wolten, Sie als dann gantz aus dem Landt verweysen liesse, bey vermeytung einer Leibstraf, wo sie sich weiter darin begehen, Oder das man die, wilche so gantz halsstarrig sein vnd ander Leuth anstecken mochten, jn gefengnus behielte vnd den Costen darauf wende, wilcher doch nit so hoch anlauffen möcht.
Welche aber aufstandt, entborung, vngehorssam der vnderthanen oder ander Malefitz hendel zu practiciren vnderstunden, Solchs wer ein ander meynung, vnd da wusten wir nicht zu vnbillichen, das man mit Scherpf der recht vnd kayserlicher Constitution gegen denselben procedir vnd volfure etc.
Wilchs wir also freuntlicher meynung zu eroffnung vnsers bedenckens E. L. hinwieder nicht wollten verhalten, doch nyt der meynung, E. L. hiemit jn jren Obrigkaiten, da sies allein zuthun haben, masse zu geben. Seindt damit E. L. freundllich vnd vetterlich zudienen altzeit geneigt. Datum Friedwald, den 19. Augusti Anno etc. xxxxv.
Philips von Gots gnaden Landgraue zu Hessen,
graue zu Catzenelnpogen etc.
Paul Wappler, Die Stellung Kursachsens und des Landgrafen Philipp von Hessen zur Täuferbewegung, Münster 1910, Dok. 89, S. 232-234

Tafel 14: Augsburgische Konfession 1530 und Schmalkaldischer Bund
Auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 zeigt sich, dass die evangelischen Christen kein gemeinsames Bekenntnis vorlegen können, sondern unterschiedliche Konzepte einreichen:
- die Confessio Augustana, die Lutherische Position, von Philipp Melanchthon verfasst und dem Kaiser übergeben von den sechs führenden protestantischen Fürsten, an der Spitze Kurfürst Johann von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen.
- die Confessio Tetrapolitana der vier oberdeutschen Städte Konstanz, Memmingen, Lindau und Straßburg, von Martin Bucer und Wolfgang Capito formuliert, sowie
- die Fidei Ratio (Rechenschaft über den Glauben) für die Schweiz, verfasst von Huldrych Zwingli.
Dabei wird die Confessio Augustana, die erst im Augsburger Religionsfrieden von 1555 Anerkennung als gültiges Reichsrecht findet, zur wichtigsten protestantischen Bekenntnisschrift. Bis heute ist sie für viele Landeskirchen die gültige Bekenntnisgrundlage. In der strittigen Abendmahlsfrage folgt sie der lutherischen Auffassung der leiblichen Gegenwart Christi im Brot und Wein. Die bereits im Marburger Religionsgespräch offenbar gewordene dogmatische Spaltung zwischen den Lutheranern und den Schweizer Reformatoren und ihren Anhängern verfestigt sich damit weiter. Dem intensiven Bemühen von Landgraf Philipp ist es im Zusammenspiel mit dem Straßburger Reformator Martin Bucer und Melanchthon zu verdanken, dass 1536 auf Grundlage der Wittenberger Abendmahlskonkordie eine Einigung zwischen den Lutheranern, Straßburg und den meisten oberdeutschen Städten erreicht werden kann. Um dazu ein Gegengewicht zu schaffen, formulieren 1536 die Schweizer Reformierten die Confessio Helvetica minor.
Der Augsburger Reichstag hat auch gezeigt, dass sich die Protestanten zur Verteidigung ihres Bekenntnisses in einem politisch-militärischen Schutzbündnis vereinigen müssen. 1530/31 initiiert Philipp von Hessen die Gründung des Schmalkaldischen Bundes, der sich insbesondere bei der Rückgewinnung Württembergs 1534 als bedeutsam erweist. Der hessische Landgraf kann nach erfolgreicher militärischer Intervention die Wiedereinsetzung des zum lutherischen Glauben übergetretenen Herzogs Ulrich durchsetzen und so die Voraussetzung dafür schaffen, dass in Württemberg die lutherische Reformation eingeführt wird. Aufgrund der Bekenntnisfrage bleibt der Schmalkaldische Bund für die Zwinglianer grundsätzlich verschlossen - durchaus gegen die Absichten Philipps, der seine Mittlerrolle zwischen den streitbaren europäischen "Konfessionsverwandten" keineswegs aufzugeben gewillt ist.
Evangelische Bündnisplanungen des Kurfüsten von Sachsen und des Landgrafen Philipp auf dem Reichstag zu Speyer, 22. April 1529
Reichstagsakten, Bd. 7/II, S. 1321 f.
Auf dem Reichstag zu Speyer hatten zwar die katholischen und evangelischen Fürsten schriftliche Zusagen ausgetauscht, bis zum künftigen Konzil „in Ungutem mit der Tat nichts fürzunehmen”. Doch schlossen Sachsen und Hessen mit Straßburg, Nürnberg und Ulm am Tage des Reichsabschiedes auf alle Fälle ein Abkommen zur Vorbereitung von Bündnisbesprechungen, worin schon die Grundgedanken eines künftigen Bündnisses niedergelegt wurden.
Erstlich ist bedacht, das hochgenante der churfurst zu Sachsen und landgraf zu Hessen, auch di vorgemelte drei stedte ire botschaften auf den sechsten tag des brachmonats [Juni] schirstkommend, jegen Rotach [Rodach bei Coburg] einzukommen verordnen sollen, von nachfolgenden artikeln zu handeln und sovil muglich zu beschließen. So aber auf den tag nit endlich beschlossen werden mocht, solt alsdan ein begrif [Entwurf] gemacht, hinter sich getragen [zum Bericht mit nach Hause genommen] und auf ein zeit dorin benent zu- oder abzuschreiben gestelt werden.
Anfenglich das hochgedachte churfurst und furst, auch die gemelte stedte einander mit ganzen treuen und gutem herzen meinen und furdern sollen, wie dan solchs auf denselben tag mit mehr worten mag angezeigt werden.
Und folgend: nochdem sich die sachen und hendel allenthalben und sonderlich auf itztgehaltenem RT dergestalt ereugen und zutragen, dadurch hochlich zu besorgen, das sollichs wenig zu fridden und einigkeit im reich dienstlich, soll auf den tag davon geredt und gehandelt werden, wie und in welcher gestalt zu furfallender notturft, das got verhuten wolle, einer dem andern, so der oder dieselbigen von wegen des gotlichen worts wolten uberzogen vergwaltiget oder beschwert werden, soll hilf und beistand leisten, nemlich auf zwen wege:
Alsso wo furfallen wurde, das ein eilend oder unversehentlich uberzug oder beschwerung von der jegenpartei wolte furgenommen werden, das alsdan, so die fursten einer oder bede desfals beschwert, iren kfl. und f. g. von den stedten N personen zu fueß auf iren kosten und darlegen solten furderlich zugefertiget werden ... Desgleichen so die gnante stedte eine oder mher angegriffen wurden, das alsdan gnante churfurst und furst inen N geruster reißigen, auch in maßen wie obstehet zu prauchen ... furderlich zu-fertigen solten ... So aber durch den jegentail mit ganzer gewalt di vorgnanten churfursten, fursten und die stedte eine oder mher wolten unberzogen und beschwert werden, das dan di andern dißer partei, so nit angegriffen, mit ganzer macht sambt denjenigen, so sie vermogen wurden [über die sie verfügen könnten], zu rettung und jegenwher zu-ziehen solten, oder aber den oder dijenigen, so sich solchs gewalts unterfahen wurden, understehen daheim zu behalten [veranlassen, daheim zu bleiben], wie sich dan solichs am schicklichsten zutragen wurd .. .
zit. nach: Geschichte in Quellen Bd. III, bearb. von Fritz Dickmann, München 1966, S. 162-63
Protestation der evangelischen Stände auf dem Reichstag zu Speyer, 20. April 1529.
Reichstagsakten, Bd. 7/II., S. 1276 f., 1286 f.
Da die Mehrheit der Stände sich trotz lebhafter Gegenvorstellungen der Evangelischen zu keiner wesentlichen Änderung ihres Bedenkens verstehen wollte und die Aufnahme eines Protestes der Minderheit in den Reichsabschied verweigerte, gaben Kurfürst Johann von Sachsen, Markgraf Georg von Brandenburg-Kulmbach, Landgraf Philipp von Hessen, Fürst Wolf von Anhalt und die Herzöge Ernst und Franz von Braunschweig-Lüneburg noch vor Festsetzung des Abschiedes ihre berühmte „Protestation” ab, von der sie den Namen der „Protestanten” erhielten. König Ferdinand verweigerte die Annahme, die Evangelischen ihrerseits erklärten den Reichsabschied für ungültig. Die Protestation legt die Gründe dafür dar:
... So haben wir in betrachtung solchs voraufgerichten verpflichten, verbrieften und besigelten abschieds [von Speyer], auch aus hernachfolgenden gegrundten ursachen .. . in aufhebung des vorgesatzten ainmutiglich bewilligten und zu halten verpflichten artikels ... nit willigen konnen noch mogen.
Nemlich zum ersten aus der gegrundten ursach, das wir unzweifenlich dafur halten, ksl. m. als ein loblicher gerechter und christlicher kaiser, unser allergnedigster herr, auch e. kgl. d., ... desgleichen auch der merer tail aus eurn der andern liebden, seien nichtz weniger dann wir des ... erbarn aufrichtigen, bestendigen gemuts und willens, was die alle (als obgemelt) ain mal und mit uns ainmutiglich bewilligt, verpflichtet, verbrieft und besigelt haben, also laut des buchstabens stet, fest und unverprochenlich zu halten, zu vollziehen und darin gar nichtz zu grubeln, noch mit ichte [irgend etwas] dawider zu sein noch ze tun .. .
Zum andern westen wir auch solchs, wie vor und hernach gemelt wirdet, mit gutem gewissen gegen gott dem allmechtigen als dem ainigen herrn, regirer und enthalter unsers h. chr. seligmachenden glaubens, noch auch gegen ksl. m. als einem chr. kaiser in keinen wege zu verantworten .. .
So sind doch dises solch sachen, wie e. kgl. d., 1. und ir die andern wissend, die gottes ere und unser jedes seien haile und seligkeit angeen und betreffen, darin wir aus gottes befelch unser gewissen halben denselben unsern herrn und gott als hochsten konig und herrn aller hern in der tauf und sunst durch sein h. gotlichs wort vor allem anzusehen verpflicht und schuldig seien, der unzweifenlichen zuversicht, e. kgl. d., 1. und ir die andern werden uns (als wir auch hievor freuntlich gebetten haben) darin freuntlich, gnediglich und gutwilliglich entschuldigt halten, das wir mit e. kgl. d., 1. und euch den andern obberurter artikel halben in dem nit ainig sein, noch in solchem dem merern [der Mehrheit], wie etlich mal uf disem reichstag hat furgewandt werden, gehorchen wollen, in bedacht in angesehen, das wir solchs vermog des vorigen speierischen reichsabschied, der sonderlich in dem angezogen artikel lauter dartut, das solcher artikel durch ain ainmutige verainigung (und nit allein den merer tail) also beschlossen worden, darumb auch ein solcher ainmutiger beschlus von erberkeit, billicheit und rechts wegen anders nit dann widerumb durch ein ainhellig bewilligung geendert werden soll, kan oder mag, zusambt dem, das auch an das in den sachen gottes ere und unser seien haile und seligkeit belangend ain jeglicher fur sich selbs vor gott steen und rechenschaft geben mus, also das sich des orts keiner auf ander minders oder merers [auf einer Minderheit oder Mehrheit] machen oder beschließen entschuldigen kan, und aus andern redlichen gegrundten guten ursachen zu tun nit schuldig sein .. .
... Und wo aber je dises dritt1) anzaigen unser merklichen beschwerden bei e. kgl. d., 1. und euch den andern kein stat finden noch haben wolt, so protestirn und bezeugen wir hiemit offenlich vor gott, unserm ainigen erschaffer, enthaltern, erlosern und seligmachern (der wie vorgemelt allein unser aller herzen erforscht und erkennt, auch dem-nach recht richten wurde), auch fur alle menschen und creaturen, das wir fur uns, die unsern und aller meniglichs halben in alle handlung und vermeint abschied, so ... wider gott, sein h. wort, unser aller seien hail und gut gewissen, auch wider den vorigen an-gezogen speierischen reichsabschied furgenommen, beschlossen und gemacht werden, nit gehellen [zustimmen] noch willigen, sonder aus vorgesatzten und andern redlichen, gegrundten ursachen fur nichtig und unpundig halten, das wir auch dawider unser notturft [das Erforderliche] offenlich ausgeen lassen und der ro. ksl. m., unserm allergnedigsten herrn in disem handel weiter grundlichen und wahrhaftigen bericht tun .. . [und] das wir uns nichtzdestweniger mitler weil gemelts gemainen und freien christlichen concilion oder nacionalversamlung vermittelst gottlicher hilf vermöge und inhalts des vilberurten vorigen speierischen reichsabschieds in unsern obrigkeiten, auch bei und mit unsern undertanen und verwandten also halten, leben und regirn, wie wir das gegen dem allmechtigen gott und ro. ksl. m., unserm allergnedigsten hern, als ainem christlichen kaiser hoffen und getrauen zu verantworten .. .
1) Vorhergegangen war am 12. April eine schriftliche Darlegung ihrer Gründe und am 19. April eine erste Protestation
zit. nach: Geschichte in Quellen Bd. III, bearb. von Fritz Dickmann, München 1966, S. 160-61
Protestation des Landgrafen Philipp von Hessen, des Kurfürsten Johann von Sachsen u.a., Druckfassung vom 5. Mai 1529
Luther gegen das "Bundmachen" des Landgrafen Philipp, Brief an Kurfürst Johann von Sachsen, 22. Mai 1529
Luther, Werke (Weimarer Ausgabe), Briefwechsel Bd. V, S. 75 ff.
Auf die Kunde von dem geplanten evangelischen Bündnis, die Philipp Melancbtbon vom Reichstag zu Speyer mitbrachte, wendete sich Luther mit diesem Brief an den Kurfürsten von Sachsen.
Dem Durchleuchtigsten, hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Johanns, Herzogen zu Sachsen und Kurfürsten, Landgrafen in Thüringen und Markgrafen zu Meißen, meinem gnädigsten Herrn.
Gnad und Friede in Christo! Durchleuchtigster, hochgeborner Fürst, gnädigster Herr! Es hat mir M. Philipps [Melanchthon] aus dem Reichstage unter andern diese Zeitung gebracht, wie ein neu Bündnis fürhanden sein solle, sonderlich meines gnädigsten Herrn Landgrafen zu Hessen mit etlichen Städten; welches mich nicht wenig bewegt ... Und wiewohl ich verhoffe, Gott werde uns förder behüten, und E. K. F. G. seinen Geist und Rat geben, sich hinfort für solchem und dergleichen Bündnis zu bewahren, hab ich's doch aus übriger Sorge und Zwang meines Gewissens nicht mögen lassen, E. K. F. G. davon zu schreiben, als der ich weiß und erfahren habe, daß man dem Teufel und seinen Lüsten nicht kann genugsam und zu fleißig fürkommen. Christus unser Herr wird's geben durch unser Gebet, daß, ob der Landgraf gleich ja fortführe (dafür Gott auch gnädiglich sein wollte) mit seinem Bundmachen, daß doch E. K. F. G. sich nicht mit darein flechten und und binden lassen; denn was Unrats daraus folgen will, können wir nicht alles denken.
Erstlich ist das gewiß, daß solch Bündnis nicht aus Gott, noch aus Trauen zu Gott geschieht, sondern aus menschlicher Witze [Überlegung], und um menschliche Hülfe alleine zu suchen, darauf zu trotzen, welches keinen guten Grund hat und dazu keine gute Frucht bringen mag, angesehen, daß solch Bündnis unnötig ist, denn der Papisten Haufen nicht so viel vermag noch so viel Herzens hat, daß sie sollten etwas anfahen, und hat Gott allbereits uns gegen sie mit guter Mauer seiner Macht verwahrt. So schafft auch solch Bündnis nicht mehr, denn daß der Widerteil verursacht wird, auch Bündnis zu machen .. .
Aufs andere, so ist das allerärgste, daß wir in solchem Bündnis die müssen haben, so wider Gott und das Sakrament streben'), als die mutwilligen Feinde Gottes und seines Wortes, dadurch wir müssen alle ihre Untugend und Lästerung auf uns laden, teilhaftig machen und verfechten, daß fürwahr kein [ge]fährlicher [er] Bund möchte fürgenommen werden, das Evangelium zu schänden und zu dämpfen, dazu uns mit Leib und Seel verdammen; das sucht der Teufel leider.
Wills nicht anders sein, so helfe Gott, daß E. K. F. G. den Landgrafen lasse und sei abgesondert .. .
Zum dritten, so hat Gott im Alten Testament allezeit solch Bündnis menschlicher Hülfe verdammt, als Jesaja [30, Vers 15] spricht: Wenn ihr stille bleibt und trauet, so soll euch geholfen werden; denn wir sollen Kinder des Glaubens sein zu Gott, in rechter Zuversicht. Sollen wir aber Bündnis haben, die wird er uns ohne unser Suchen und Sorgen zu-schicken, wie er verheißt Matth. 6: Sorget nicht, solches alles soll euch zukommen, wenn ihr zuerst Gottes Reich suchet .. .
zit. nach: Geschichte in Quellen Bd. III, bearb. von Fritz Dickmann, München 1966, S. 163-64
Transkription / Abdruck des "Christlichen Verständnis" vom September 1529 in:
CORPUS RERFORMATORUM Vol. XCIII, Teil II, Huldreich Zwinglis Sämtliche Werke, Band VI, II. Teil, Zürich 1968, S. 602-03
Das sind nun die artickel unnd das anbringen, das herr Lanndtgraf von Hessenn an uunsere bottschafften [Ulrich Funk von Zürich und Hans Rudolf Frey von Basel] langen lassenn hadt :
[Präambel]
Nachdem sich die louff [Zeitläufte] allennthalben sorgklich geschwind unnd sonderlich der gestalt ertzeigent, als ob man begerte diejhenen, so das hell klar Wort gottes in iren fürstenthumen, stetten, landen unnd gebietten predigen unnd verkünden lassenn, daruff allerley missbrüch abgestellt unnd verändert, mit gewalt oder der that von sölchem irem cristenlichem fürnemmen zetringen [zu drängen];
Unnd aber ye eyner christenlichen oberkeyt schuldig ampt ist, nit allein iren underthanen das wort gutes zû verkünden lassenn, sonder ouch mit allem ernst unnd vermögen davor sin, das sy von dem wort gotes nit getrungen [gedrängt] oder abfellig gemacht werdint.
Derhalben so wil die notturfft unnd das schuldig ampt der oberkeyth erfordren, wo jemants sich understûndi, ire underthanen mit gwalt oder der that von dem wort gotes unnd erkanter warheyt zû den abgethanen mißbrüchen wider zetringen, nach allenn mittlen unnd wegen zugedenckenn unnd trachten, damit solcher gwalt abgewent und verderbenheit an Iib unnd sel der underthanen verhütet werdi.
Diewyl aber söllichs eyner oberkheyt oder einichem stand allein zethun in ansechung der loiff vilicht zeschwer, wer uff folgende mittel zegedencken:
[Hauptteil]
[1] Erstlich das alle oder der merteyl der obergkheiten, so bißhar das wort gotes by inen verkünden lassennt, sich mit unnd gegen einander trüwlich und von hertzen meinend unnd fürdren unnd vor schaden warnen solten.
[2] [Hauptartikel] Unnd ob sich in künfftigem begebe, das jemants uß inen gevechtet [verfolgt], vergwaltiget oder uberzogen wurdi umb des wort gotes oder was demselben anhengig oder daruß gefolget ist, willenn; oder so eyn anndre sach fürgewändet wurdi, zu eynem schin, da doch die anndren erkennen möchtent, das es fürnemlich umb deß wort gotes willenn bescheche, das dann alle die anndren, so in disem cristenlichen verstand [der geplante Bündnisvertrag] werind, unnd eyn yeder für sich selbs, sobald sy deß von dem vergwaltigaten verstendig oder sunst innen wurdent, inen nit anders sin solte lassenn, dann als ob eyn jeder selbs angegriffenn, bevechtet oder überzogen wery unnd also an [ohne] einichen gefarlichen vorzug sinem besten vermögen nach helffen retten und weren, es wer mit angriffung derjenen, so im gelegen [günstig gelegen, benachbart] unnd sich wider sine puntsverwandten [Verbündeten] enbörtent, oder dem angegryffnen oder bevechten mit macht zuzüchen, oder in andre weg, wie es sich jeder zytt zutragen unnd gelegenheyt deß handels unnd die notturfft erhoischen oder erfordren wurdi, unnd also den handell trülich helfen füren, sich ouch keyn teyl an der anndren wissen unnd willenn in khein rachtung [Vergleich, Abmachung, Vertrag] begeben.
[3] Ob sich ouch zutragen wurdi, das eynicher oberkeyth ire underthanen durch heimlich praticken oder sunst zu abfal von dem wortt gottes unnd also zu unghorsame und empörung wider sölche oberkeytt bewegt wurdent, so söllennt die andren unnd fürnemmlich die, so dem hanndel zum nächsten gelegen, allenn flyß unnd ernst ankeren [anwenden], söliche underthanen wider zu gehorsami irer oberkeyt zubringen, wie sich je die gelegenheyt unnd solcher oberkeyt notturfft erheischen wurdi.
[4] Es sol ouch solcher Cristenlicher verstand key[serlicher] M[ajestä]t oder keim stand des helgen rychs oder sunst yemands zuwider, sonder alleyn zu erhalltung göttlicher warheyt unnd fridens im helgen rich unnd zu entschütung [Befreiung von] unbillichs gwalts fürgenomen werden.
[5] Ob ouch jemantz weri, der in sölchen verstand sich zu nemmen begerti unnd erstmals nit darum begriffen were, der soll mitt wüssenn unnd willenn der anndren ouch darin genomen werden.
[6] Es sol ouch diser verstand n jar weren.
Zusammenfassung des "Christlichen Verständnis", Marburg, September 1529
Die Präambel hebt zwei Dinge hervor:
1. das „hell, klar wort gottes”, das bei den Kontrahenten gepredigt werde, und die Abstellung von „allerlei mißbrüch” hätten die Gefahr von Nachstellungen mit sich gebracht.
2. Es sei „einer christenlichen oberkeit schuldig ampt”, den Untertanen die Verkündigung von Gottes Wort und die Abstinenz von den „mißbrüchen” zu garantieren.
Die fünf Artikel enthalten:
1. Gegenseitige Warnung,
2. (Hauptartikel): Bei einem Angriff gegen einen Kontrahenten
a) „umb des wort gottes oder was demselben anhängig oder darus gefolget ist, willen” oder b) „so ein andre sach fürgewendet wurdi zuo einem schin”,
sollen die anderen sich gleichfalls als die Angegriffenen betrachten und „sinem besten vermögen nach helfen retten und weren”:
aa) „mit angrifung der jenen, so im gelegen und sich wider sine pundsverwanten embörtent” oder:
bb) durch direkten Zuzug oder sogar:
cc) je nach Notdurft auch auf andere Weise (wohl durch Geldzahlung oder Materiallieferung).
3. Bei einer Empörung der Untertanen sollen die Kontrahenten sich beistehen.
4. Es soll auch solcher „christenlicher verstand keiserlicher Majestat oder keim stand des helgen Rychs zuowider” sein.
5. Mit Beistimmung der andern können neue Glieder aufgenommen werden.
6. Die Vertragsdauer bleibt offen, was den Entwurfscharakter des Schriftstückes unterstreicht.
zit. nach Hauswirth, René, Landgraf Philipp von Hessen und Zwingli. Voraussetzungen und Geschichte der politischen Beziehungen zwischen Hessen, Straßburg, Konstanz, Ulrich von Württemberg und reformierten Eidgenossen 1526-1531, Tübingen 1968, S. 113
Übergabe der Confessio Augustana an Kaiser Karl V. am 25. Juni 1530
Das Augsburger Bekenntnis
Dieses Bekenntnis wurde 1530 Seiner Majestät Karl V. in Augsburg von Philip Melanchthon (1497-1560) überreicht.
I.Teil
ARTIKEL DES GLAUBENS UND DER LEHRE
ARTIKEL I: VON GOTT
Zuerst wird einträchtig laut Beschluß des Konzils von Nizäa gelehrt und festgehalten, daß ein einziges göttliches Wesen sei, das Gott genannt wird und wahrhaftig Gott ist, und daß doch drei Personen in diesem einen göttlichen Wesen sind, alle drei gleich mächtig, gleich ewig: Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist. Alle drei sind ein göttliches Wesen, ewig, unteilbar, unendlich, von unermeßlicher Macht, Weisheit und Güte, ein Schöpfer und Erhalter aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Unter dem Wort "Person" wird nicht ein Teil, nicht eine Eigenschaft an einem anderen Sein verstanden, sondern etwas, was in sich selbst besteht (selbständig ist), so wie die Kirchenväter in dieser Sache dieses Wort gebraucht haben. Deshalb werden alle Irrlehren verworfen, die diesem Artikel widersprechen.1.
ARTIKEL 2: VON DER ERBSÜNDE
Weiter wird bei uns gelehrt, daß nach Adams Fall alle natürlich geborenen Menschen in Sünde empfangen und geboren werden, das heißt, daß sie alle von Mutterleib an voll böser Lust und Neigung sind und von Natur keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott haben können, ferner daß auch diese angeborene Seuche und Erbsünde wirklich Sünde ist und daher alle die unter den ewigen Gotteszorn verdammt, die nicht durch die Taufe und den Heiligen Geist wieder neu geboren werden.
Damit werden die verworfen, die die Erbsünde nicht für eine Sünde halten, damit sie die Natur fromm machen durch natürliche Kräfte, in Verachtung des Leidens und Verdienstes Christi.
ARTIKEL 3: VOM SOHN GOTTES
Ebenso wird gelehrt, daß Gott, der Sohn, Mensch geworden ist, geboren aus der reinen Jungfrau Maria, und daß die zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, also in einer Person untrennbar vereinigt, ein Christus sind, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist, wahrhaftig geboren, gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben, daß er ein Opfer nicht allein für die Erbsünde, sondern auch für alle anderen Sünden war und Gottes Zorn versöhnte, ebenso daß dieser Christus hinabgestiegen ist zur Hölle (Unterwelt), am dritten Tage wahrhaftig auferstanden ist von den Toten und aufgefahren ist in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, daß er ewig über alle Geschöpfe herrsche und regiere; daß er alle, die an ihn glauben, durch den Heiligen Geist heilige, reinige, stärke und tröste, ihnen auch Leben und allerlei Gaben und Güter austeile und sie schütze und beschimme gegen den Teufel und die Sünde; daß dieser Herr Christus am Ende öffentlich kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten usw. laut dem Apostolischen Glaubensbekenntnis.
ARTIKEL 4: VON DER RECHTFERTIGUNG
Weiter wird gelehrt, daß wir Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit vor Gott nicht durch unser Verdienst, Werk und Genugtuung erlangen können, sondem daß wir Vergebung der Sünde bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnade um Christi willen durch den Glauben, nämlich wenn wir glauben, daß Christus für uns gelitten hat und daß uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird. Denn diesen Glauben will Gott als Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, ansehen und zurechnen, wie der Hl. Paulus zu den Römern im 3. und 4. Kapitel sagt.
ARTIKEL 5: VOM PREDIGTAMT
Um diesen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt, der den Glauben, wo und wann er will, in denen, die das Evangelium hören, wirkt, das da lehrt, daß wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, wenn wir das glauben.
Und es werden die verdammt, die lehren, daß wir den Heiligen Geist ohne das leibhafte Wort des Evangeliums durch eigene Vorbereitung, Gedanken und Werke erlangen.
ARTIKEL 6: VOM NEUEN GEHORSAM
Auch wird gelehrt, daß dieser Glaube gute Früchte und gute Werke hervorbringen soll und daß man gute Werke tun muß, und zwar alle, die Gott geboten hat, um Gottes willen. Doch darf man nicht auf solche Werke vertrauen, um dadurch Gnade vor Gott zu verdienen. Denn wir empfangen Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit durch den Glauben an Christus - wie Christus selbst spricht: "Wenn ihr alles getan habt, sollt ihr sprechen: Wir sind untüchtige Knechte." So lehren auch die Kirchenväter. Denn Ambrosius sagt: "So ist es bei Gott beschlossen, daß, wer an Christus glaubt, selig ist und nicht durch Werke, sondern allein durch den Glauben ohne Verdienst Vergebung der Sünde hat."
ARTIKEL 7: VON DER KIRCHE
Es wird auch gelehrt, daß allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muß, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, daß das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und es ist nicht zur wahren Einheit der christlichen Kirche nötig, daß überall die gleichen, von den Menschen eingesetzten Zeremonien eingehalten werden, wie Paulus sagt: "Ein Leib und ein Geist, wie ihr berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe" (Eph 4,4.5).
ARTIKEL 8: WAS DIE KIRCHE SEI?
Ebenso, obwohl die christliche Kirche eigentlich nichts anderes ist als die Versammlung aller Gläubigen und Heiligen, jedoch in diesem Leben unter den Frommen viele falsche Christen und Heuchler, auch öffentliche Sünder bleiben, sind die Sakramente gleichwohl wirksam, auch wenn die Priester, durch die sie gereicht werden, nicht fromm sind; wie denn Christus selbst sagt: "Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Pharisäer" usw. (Mt 23,2).
Deshalb werden alle verdammt, die anders lehren.
ARTIKEL 9: VON DER TAUFE
Von der Taufe wird gelehrt, daß sie heilsnotwendig ist und daß durch sie Gnade angeboten wird; daß man auch die Kinder taufen soll, die durch die Taufe Gott überantwortet und gefällig werden, d.h. in die Gnade Gottes aufgenommen werden. Deshalb werden die verworfen, die lehren, daß die Kindertaufe nicht richtig sei.
ARTIKEL 10: VOM HEILIGEN ABENDMAHL
Vom Abendmahl des Herrn wird so gelehrt, daß der wahre Leib und das wahre Blut Christi wirklich unter der Gestalt des Brotes und Weines im Abendmahl gegenwärtig ist und dort ausgeteilt und empfangen wird. Deshalb wird auch die Gegenlehre verworfen.
ARTIKEL 11: VON DER BEICHTE
Von der Beichte wird so gelehrt, daß man in der Kirche die private Absolution oder Lossprechung beibehalten und nicht wegfallen lassen soll, obwohl es in der Beichte nicht nötig ist, alle Missetaten und Sünden aufzuzählen, weil das doch nicht möglich ist: "Wer kennt seine Missetat?" (Ps 19, 13).
ARTIKEL 12: VON DER BUSSE
Von der Buße wird gelehrt, daß diejenigen, die nach der Taufe gesündigt haben, jederzeit, wenn sie Buße tun, Vergebung der Sünden erlangen und ihnen die Absolution von der Kirche nicht verweigert werden soll. Nun ist wahre, rechte Buße eigentlich nichts anderes als Reue und Leid oder das Erschrecken über die Sünde und doch zugleich der Glaube an das Evangelium und die Absolution, nämlich daß die Sünde vergeben und durch Christus Gnade erworben ist. Dieser Glaube tröstet wiederum das Herz und macht es zufrieden. Danach soll auch die Besserung folgen und daß man von Sunden lasse; denn dies sollen die Früchte der Buße sein - wie Johannes sagt: "Tut rechtschaffene Frucht der Buße" ( Mt 3, 8).
Hiermit werden die verworfen, die lehren, daß diejenigen, die einmal fromm geworden (zum Glauben gekommen) sind, nicht wieder in Sünden fallen können. Andererseits werden auch die verworfen, die die Absolution denen verweigerten, die nach der Taufe gesündigt hatten. Auch werden die verworfen, die nicht lehren, daß man durch Glauben Vergebung der Sünde erlangt, sondern durch unsere Genugtuung.
ARTIKEL 13: VOM GEBRAUCH DER SAKRAMENTE
Vom Gebrauch der Sakramente wird gelehrt, daß die Sakramente nicht nur als Zeichen eingesetzt sind, an denen man die Christen äußerlich erkennen kann, sondern daß sie Zeichen und Zeugnis sind des göttlichen Willens gegen uns, um dadurch unseren Glauben zu erwecken und zu stärken. Darum fordern sie auch Glauben und werden dann richtig gebraucht, wenn man sie im Glauben empfängt und den Glauben durch sie stärkt.
ARTIKEL 14: VOM KIRCHENREGIMENT
Vom Kirchenregiment (kirchlichen Amt) wird gelehrt, daß niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder die Sakramente reichen soll ohne ordnungsgemäße Berufung.
ARTIKEL 15: VON KIRCHENORDNUNGEN
Von Kirchenordnungen, die von Menschen gemacht sind, lehrt man bei uns, diejenigen einzuhalten, die ohne Sünde eingehalten werden können und die dem Frieden und der guten Ordnung in der Kirche dienen, wie bestimmte Feiertage, Feste und dergleichen. Doch werden dabei die Menschen unterrichtet, daß man die Gewissen nicht damit beschweren soll, als seien solche Dinge notwendig zur Seligkeit. Darüber hinaus wird gelehrt, daß alle Satzungen und Traditionen, die von Menschen zu dem Zweck gemacht worden sind, daß man dadurch Gott versöhne und Gnade verdiene, dem Evangelium und der Lehre vom Glauben an Christus widersprechen. Deshalb sind Klostergelübde und andere Traditionen über Fastenspeisen, Fasttage usw., durch die man Gnade zu verdienen und für die Sünde Genugtuung zu leisten meint, nutzlos und gegen das Evangelium.
ARTIKEL 16: VON DER POLIZEI (STAATSORDNUNG) UND DEM WELTLICHEN REGIMENT
Von der Polizei (Staatsordnung) und dem weltlichen Regiment wird gelehrt, daß alle Obrigkeit in der Welt und geordnetes Regiment und Gesetze gute Ordnung sind, die von Gott geschaffen und eingesetzt sind, und daß Christen ohne Sünde in Obrigkeit, Fürsten- und Richteramt tätig sein können, nach kaiserlichen und anderen geltenden Rechten Urteile und Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert bestrafen, rechtmäßig Kriege führen, in ihnen mitstreiten, kaufen und verkaufen, auferlegte Eide leisten, Eigentum haben, eine Ehe eingehen können usw.
Hiermit werden die verdammt, die lehren, daß das oben Angezeigte unchristlich sei. Auch werden diejenigen verdammt, die lehren, daß es christliche Vollkommenheit sei, Haus und Hof, Weib und Kind leiblich zu verlassen und dies alles aufzugeben, wo doch allein das die rechte Vollkommenheit ist: rechte Furcht Gottes und rechter Glaube an Gott. Denn das Evangelium lehrt nicht ein äußerliches, zeitliches, sondern ein innerliches, ewiges Wesen und die Gerechtigkeit des Herzens; und es stößt nicht das weltliche Regiment, die Polizei (Staatsordnung) und den Ehestand um, sondern will, daß man dies alles als wahrhaftige Gottesordnung erhalte und in diesen Ständen christliche Liebe und rechte, gute Werke, jeder in seinem Beruf, erweise. Deshalb sind es die Christen schuldig, der Obrigkeit untertan und ihren Geboten und Gesetzen gehorsam zu sein in allem, was ohne Sünde geschehen kann. Wenn aber der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht befolgt werden kann, soll man Gott mehr gehorchen als den Menschen.
ARTIKEL 17: VON DER WIEDERKUNFT CHRISTI ZUM GERICHT
Auch wird gelehrt, daß unser Herr Jesus Christus am Jüngsten Tag kommen wird, um zu richten und alle Toten aufzuerwecken, den Gläubigen und Auserwählten ewiges Leben und ewige Freude zu geben, die gottlosen Menschen aber und die Teufel in die Hölle und zur ewigen Strafe verdammen wird.
Deshalb werden die verworfen, die lehren, daß die Teufel und die verdammten Menschen nicht ewige Pein und Qual haben werden.
Ebenso werden hier Lehren verworfen, die sich auch gegenwärtig ausbreiten, nach denen vor der Auferstehung der Toten eitel (reine) Heilige, Fromme ein weltliches Reich aufrichten und alle Gottlosen vertilgen werden.
ARTIKEL 18: VOM FREIEN WILLEN
Vom freien Willen wird so gelehrt, daß der Mensch in gewissem Maße einen freien Willen hat, äußerlich ehrbar zu leben und zu wählen unter den Dingen, die die Vernunft begreift. Aber ohne Gnade, Hilfe und Wirkung des Heiligen Geistes kann der Mensch Gott nicht gefallen, Gott nicht von Herzen fürchten oder an ihn glauben oder nicht die angeborenen, bösen Lüste aus dem Herzen werfen, sondern dies geschieht durch den Heiligen Geist, der durch Gottes Wort gegeben wird. Denn so spricht Paulus: "Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes" (1. Kor 2,14).2
ARTIKEL 19: UBER DIE URSACHE DER SÜNDE
Von der Ursache der Sünde wird bei uns gelehrt: wiewohl Gott der Allmächtige die ganze Natur geschaffen hat und erhält, so bewirkt doch der verkehrte Wille in allen Bösen und Verächtern Gottes die Sünde, wie es denn der Wille des Teufels und aller Gottlosen ist, der sich, sobald Gott seine Hand abzog, von Gott weg dem Argen zugewandt hat, wie Christus sagt: "Der Teufel redet Lügen aus seinem Eigenen" (Joh 8,44).
ARTIKEL 20: VOM GLAUBEN UND GUTEN WERKEN
Den Unseren wird in unwahrer Weise nachgesagt, daß sie gute Werke verbieten. Denn ihre Schriften über die Zehn Gebote und andere beweisen, daß sie von rechten christlichen Ständen und Werken einen guten nützlichen Bericht und eine Ermahnung hinterlassen haben, worüber man früher wenig gelehrt hat; sondern man hat in allen Predigten vor allem zu kindischen, unnötigen Werken, wie Rosenkränze, Heiligenverehrung, Mönchwerden, Wallfahrten, Fastenordnungen, Feiertage, Bruderschaften usw. angetrieben. Diese unnötigen Werke rühmen auch unsere Gegner jetzt nicht mehr so sehr wie früher. Außerdem haben sie auch gelernt, nun vom Glauben zu reden, über den sie doch früher gar nicht gepredigt haben. Sie lehren jetzt, daß wir vor Gott nicht allein aus Werken gerecht werden, sondern fügen den Glauben an Christus hinzu und sagen, daß Glaube und Werke uns vor Gott gerecht machen, welche Lehre etwas mehr Trost bringen mag, als wenn man allein lehrt, auf Werke zu vertrauen.
Weil nun die Lehre vom Glauben, die das Hauptstück im christlichen Wesen ist, lange Zeit - wie man bekennen muß - nicht betrieben worden ist, sondern überall allein die Lehre von den Werken gepredigt wurde, ist von den Unseren folgende Unterrichtung gegeben worden:
Erstlich, daß unsere Werke uns nicht mit Gott versöhnen und uns nicht Gnade erwerben können, sondern das geschieht allein durch den Glauben - wenn man nämlich glaubt, daß uns um Christi willen die Sünden vergeben werden, der allein der Mittler ist, um den Vater zu versöhnen. Wer nun meint, das durch Werke zu erreichen und dadurch Gnade zu verdienen, der verachtet Christus und sucht einen eigenen Weg zu Gott gegen das Evangelium.
Diese Lehre vom Glauben wird deutlich und klar bei Paulus vielerorts vertreten, besonders hier: "Aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch, sondern Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich niemand rühme" (Eph 2,8) usw.
Daß hierdurch von uns kein neues Verständnis des Glaubens eingeführt worden ist, kann man aus Augustinus beweisen, der diese Sache ausführlich behandelt und ebenfalls lehrt, daß wir durch den Glauben an Christus Gnade erlangen und vor Gott gerecht werden und nicht durch Werke, wie sein ganzes Buch "Über den Geist und den Buchstaben" beweist.
Obwohl nun diese Lehre von nicht sachkundigen Leuten sehr verachtet wird, so zeigt sich doch, daß sie für schwache und erschrockene Gewissen sehr tröstlich und heilsam ist. Denn das Gewissen kann nicht durch Werke zu Ruhe und Frieden kommen, sondern allein durch den Glauben, wenn es bei sich mit Gewißheit schließt, daß es um Christi willen einen gnädigen Gott hat - wie auch Paulus sagt: "Weil wir durch den Glauben gerecht geworden sind, haben wir Ruhe und Frieden vor Gott" (Röm 5,1).*
Ferner wird gelehrt, daß gute Werke geschehen sollen und müssen, aber nicht, daß man darauf vertraut, durch sie Gnade zu verdienen, sondern um Gottes willen und zu Gottes Lob. Der Glaube ergreift immer nur die Gnade und die Vergebung der Sünde; und weil durch den Glauben der Heilige Geist gegeben wird, darum wird auch das Herz befähigt, gute Werke zu tun. Denn zuvor, weil es ohne den Heiligen Geist ist, ist es zu schwach; dazu befindet es sich in der Gewalt des Teufels, der die arme menschliche Natur zu vielen Sünden antreibt, wie wir's an den Philosophen sehen, die versucht haben, ehrlich und unsträflich zu leben sie haben es aber dennoch nicht erreicht, sondern sind in viele große, offenkundige Sünden gefallen. So geht es mit dem Menschen, der ohne den rechten Glauben und ohne den Heiligen Geist lebt und sich allein aus eigener menschlicher Kraft regiert.
Deshalb ist diese Lehre vom Glauben nicht zu schelten, daß sie gute Werke verbiete, sondern vielmehr dafür zu rühmen, daß sie lehrt, gute Werke zu tun, und Hilfe anbietet, wie man zu guten Werken kommen kann. Denn außer dem Glauben und außerhalb von Christus ist menschliche Natur und Vermögen viel zu schwach, gute Werke zu tun, Gott anzurufen, im Leiden Geduld zu haben, den Nächsten zu lieben, befohlene Ämter fleißig auszurichten, gehorsam zu sein, böse Lust zu meiden usw. Solche hohen und rechten Werke können ohne die Hilfe Christi nicht geschehen, wie er selbst sagt: "Ohne mich könnt ihr nichts tun" (Joh 15,5).
ARTIKEL 21: VOM DIENST DER HEILIGEN
Vom Heiligendienst wird von den Unseren so gelehrt, daß man der Heiligen gedenken soll, damit wir unseren Glauben stärken, wenn wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und auch wie ihnen durch den Glauben geholfen worden ist; außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, ein jeder in seinem Beruf.* Aus der Hl. Schrift kann man aber nicht beweisen, daß man die Heiligen anrufen oder Hilfe bei ihnen suchen soll. "Denn es ist nur ein einziger Versöhner und Mittler gesetzt zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus" (1.Tim 2,5). Er ist der einzige Heiland, der einzige Hohepriester, Gnadenstuhl und Fürsprecher vor Gott (Röm 8,34). Und er allein hat zugesagt, daß er unser Gebet erhören will. Nach der Hl. Schrift ist das auch der höchste Gottesdienst, daß man diesen Jesus Christus in allen Nöten und Anliegen von Herzen sucht und anruft: "Wenn jemand sündigt, haben wir einen Fürsprecher bei Gott, der gerecht ist, Jesus" ( 1. Joh 2,1) usw.
ABSCHLUSS DES ERSTEN TEILS
Dies ist beinahe die Zusammenfassung der Lehre, die in unseren Kirchen zum rechten christlichen Unterricht und zum Trost der Gewissen sowie zur Besserung der Gläubigen gepredigt und gelehrt wird. Wie wir ja auch unsere eigene Seele und Gewissen nicht gern vor Gott durch Mißbrauch des göttlichen Namens oder Wortes der höchsten Gefahr aussetzen oder unseren Kindern und Nachkommen eine andere Lehre hinterlassen oder vererben als eine solche, die dem reinen göttlichen Wort und der christlichen Wahrheit gemäß ist. Weil denn diese Lehre in der Heiligen Schrift klar begründet ist und außerdem der allgemeinen christlichen, ja auch der römischen Kirche, soweit das aus den Schriften der Kirchenväter festzustellen ist, nicht zuwider noch entgegen ist, meinen wir auch, daß unsere Gegner in den oben aufgeführten Artikeln mit uns nicht uneinig sind. Deshalb handeln diejenigen ganz unfreundlich, vorschnell und gegen alle christliche Einigkeit und Liebe, die die Unseren als Ketzer abzusondern, zu verwerfen und zu meiden suchen, ohne daß sie dafür einen triftigen Grund in einem göttlichen Gebot oder in der Schrift haben. Denn die Uneinigkeit und den Zank gibt es vor allem wegen einiger Traditionen und Mißbräuche. Wenn denn nun an den Hauptartikeln kein vorfindlicher falscher Grund oder Mangel festzustellen ist und dies unser Bekenntnis göttlich und christlich ist, sollten sich die Bischöfe billigerweise, selbst wenn bei uns wegen der Tradition ein Mangel wäre, wohlwollender erweisen; obwohl wir hoffen, stichhaltige Gründe und Ursachen anführen zu können, warum bei uns einige Traditionen und Mißbräuche abgeändert worden sind.
Der Zweite Teil des Augsburger Bekenntnisses behandelt Regelungen in der Kirche, die die Reformation als Mißbräuche erkannt und dem Evangelium gemäß neu geordnet hat. Die Artikel sind überschrieben:
ARTIKEL 22: Von den beiden Gestalten des Sakraments,
ARTIKEL 23: Vom Ehestand der Priester,
ARTIKEL 24: Von der Messe,
ARTIKEL 25: Von der Beichte,
ARTIKEL 26: Von der Unterscheidung der Speisen,
ARTIKEL 27: Von Klostergelübden,
ARTTKEL 28: Von der Gewalt (Vollmacht) der Bischöfe.
Anmerkungen
1. Hier werden wie an entsprechenden Stellen in den Artikeln 2, 5 ,8 ,9, 12, 16, 17 und 18 Beispiele von Irrlehren aus der Alten Kirche oder der Reformationszeit genannt, auf die sich die Verwerfungen beziehen. Diese Verurteilungen wollen das Evangelium vor Entstellungen bewahren, richten sich aber nicht gegen den persönlichen Glauben bestimmter Menschen.
2. Hier ist der Text gekürzt.
Quellennachweis: http://www.ekhn.de/index.htm?http://www.ekhn.de/inhalt/glaube/impulse/glaubensbekenntnis/augsburger.htm~inhalt
Confessio Tetrapolitana: Bekenntnis der vier Städte Straßburg, Costnitz, Memmingen und Lindau, worin sie Sr. Kaiserlichen Majestät auf dem Reichstage zu Augsburg ihren Glauben dargelegt, 9. Juli 1530
Eingang
Deine geheiligte Majestät, Großmächtigster und Gnädigster Kaiser, hat befohlen, daß die Stände des heiligen Reiches, so viel es jeden angehe, und so viel jeder zur Beruhigung der Kirche Christi beizutragen hoffe, ihre Meinung von der Religion, so wie von den Irrthümern und Fehlern, welche gegen ihre Lehre sich eingeschlichen haben, in beiden Sprachen, lateinisch und deutsch, schriftlich abfassen und Dir überreichen zur Untersuchung und Prüfung, um desto leichter Mittel und Wege zu finden, die reine Lehre Christi wieder herzustellen, und alle Irrthümer auszurotten.
Diesem Befehl, der nicht nur aus einer, die Religion betreffenden und auf das Wohl der Kirche gerichteten Absicht hervorgegangen ist, sondern auch jene unvergleichliche Gnade und Leutseligkeit athmet und beweiset, wodurch Deine geheiligte Majestät die Liebe der ganzen Welt gewonnen hat, gehorchen wir, wie es billig ist, mit Freuden. [...]
Cap. 1. Vom Inhalte der Predigten.
Als man vor etwa zehn Jahren anfing, die Lehre Christi durch Gottes besondere Wohlthat etwas zuverlässiger und klarer, als vorher, hin und wieder in Deutschland vorzutragen, [...] haben wir, in Erwägung dessen, was der heilige Paulus schreibt, daß die von Gott eingegebene Schrift nützlich sei zu lehren, damit die Sünde, wo sie vorhanden ist, entdeckt und gestraft, und Jeder zur Gerechtigkeit gebildet werde, daß ein Mensch Gottes vollkommen sei und zu jedem guten Werke geschickt, indem uns die Furcht vor Gott und die gewisse, unserm Gemeinwesen drohende Gefahr uns dazu antrieb und alles Zögern verbot, endlich denen, die bei uns das Predigtamt verwalteten, befohlen, nichts anderes auf der Kanzel zu lehren, als was in der heiligen Schrift entweder wirklich enthalten sei oder sich darauf gründe. [...]. Denn wenn es wahr ist, was der heilige Paulus bezeugt, daß ein Mensch Gottes durch die heilige Schrift vollkommen und zu jedem guten Werke geschickt werde, so kann dem, der die Schrift gewissenhaft zu Rathe zieht, nichts an der christlichen Wahrheit, nichts an der heilsamen Lehre fehlen.
Cap. 2. Von der hochheiligen Dreieinigkeit und dem Geheimniß des Mensch gewordenen Christus.
[...] Dahin gehört, was die Kirche Christi von der hochheiligen Dreieinigkeit bisher geglaubt hat, daß nämlich der Vater, der Sohn und der heilige Geist dem Wesen nach Ein Gott sei und daß nur ein Unterschied der Personen Statt finde, daß auch unser Heiland, Jesus Christus, wahrer Gott, auch wahrer Mensch geworden sei, ohne Vermischung der Naturen durch Vereinigung derselben in Einer Person, so, daß sie in alle Ewigkeit nicht wieder getrennt werden. Auch in dem ist nichts geändert, was die Kirche nach der Lehre der heiligen Evangelien von unsrem Heilande, Jesu Christo, glaubt, der vom heiligen Geiste empfangen, dann von der seligen Jungfrau Maria geboren, zuletzt, nachdem er die Predigt des Evangeliums vollendet, am Kreuz gestorben und begraben, zur Hölle hinabgestiegen, am dritten Tage von den Todten zum ewigen Leben erweckt, und nachdem er die dazu erwählten Zeugen durch mancherlei Beweise davon überzeugt hatte, in den Himmel zur Rechten des Vaters erhoben ist, von wo wir ihn erwarten als Richter der Lebenden und der Todten. [...]
Da wir hierin nicht abweichen von den Vätern, und dem gemeinschaftlichen Bekenntniß der Christen, so glauben wir, es werde hinreichen, daß wir von unserm Glauben auf diese Weise Zeugniß gegeben haben.
Cap. 3. Von der Rechtfertigung und dem Glauben.
Was aber von der Art und Weise, wie wir der durch Christum geschehenen Erlösung theilhaft werden, und von den Pflichten des Christen gelehrt zu werden pflegt, davon sind die Unsrigen einiger Maßen abgewichen. Was wir in dieser Hinsicht angenommen haben, wollen wir versuchen, Deiner geheiligten Majestät ganz einfältig auseinander zu setzen, und zugleich diejenigen Stellen der Schrift, welche uns dazu genötigt haben, treulich anzuzeigen.
Erstlich hat man seit einigen Jahren behauptet, daß zur Rechtfertigung des Menschen seine eignen Werke erforderlich seien; die Unsern aber haben gelehrt, sie sei ganz und gar der Gnade Gottes und dem Verdienste Christi zuzuschreiben, und werde allein durch den Glauben erlangt. [...] da Paulus so ausdrücklich schreibt: „Nicht aus uns, noch aus den Werken,“ so erhellt hinlänglich, daß unsre Werke nichts dazu beitragen können, daß wir aus Ungerechten, wie wir geboren worden, Gerechte werden, indem wir, da wir von Natur Kinder des Zorns, und daher Ungerechte sind, nichts Gerechtes und Gott Wohlgefälliges zu leisten vermögen, sondern der Anfang unsrer ganzen Gerechtigkeit und Seligkeit von dem barmherzigen Gotte ausgehen muß [...]
Cap. 4. Von den guten Werken, die aus dem Glauben durch die Liebe hervorgehen.
Dieß aber wollen wir nicht so verstanden wissen, als wenn wir die Seligkeit und Gerechtigkeit in müßigen Gedanken der Seele, oder in einem Glauben ohne Liebe, den man gestaltlos nennt, setzen, da wir überzeugt sind, daß Niemand gerecht oder selig werden könne, wenn er nicht Gott über Alles liebt und ihm eifrigst nachahmt. „Denn welche er zuvor versehen hat, die hat er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes,“ wie in der Herrlichkeit des ewigen Lebens, so auch im Schmucke der Unschuld und der vollkommenen Gerechtigkeit; denn „wir sind sein Werk, geschaffen zu guten Werken.“ [...]. Und diese Liebe ist des ganzen Gesetzes Erfüllung, wie Paulus spricht: Das ganze Gesetz wird in Einem Worte erfüllt, in dem nämlich: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. Denn Alles, was das Gesetz Gottes lehrt, zielt dahin und fordert das eine, daß wir endlich zum vollkommenen Ebenbilde Gottes erneuert, in jeder Hinsicht gut und zum Nutzen der Menschen bereit und geschickt sind, was nicht anders möglich ist, als wenn uns jede Tugend schmückt. Denn wer kann zur wahren Erbauung der Kirche und zum wahren Besten Aller, das heißt, nach dem Gesetze Gottes und zur Ehre Gottes Alles beginnen und vollbringen, wie es einem Christen gebührt, wenn er nicht überall ordentlich und richtig denkt und spricht und handelt, so, daß das ganze Chor der Tugenden bei ihm wohnt?
Cap. 5. Wem die guten Werke zuzuschreiben und wie nothwendig sie sind.
Da aber die, welche Gottes Kinder sind, mehr vom Geiste Christi getrieben werden, als selbst handeln, und von ihm und durch ihn alle Dinge sind, so darf keinem anderen, als eben diesem Geiste, dem alleinigen Spender aller Tugenden, zugeschrieben werden, was wir Gutes und Rechtes thun. Er thut uns schlechterdings keinen Zwang an, sondern er führt uns mit unserm Willen, und wirket so in uns das Wollen und das Vollbringen. Daher schreibt der heilige Augustinus sinnreich, Gott belohne in uns seine eignen Werke. Hiermit verwerfen wir die guten Werke nicht, sondern behaupten nur, daß Niemand selig werden könne, wenn er nicht durch den Geist Christi dahin gelangt, daß ihm keines der guten Werke mangelt, wozu ihn Gott erschaffen hat. [...].
Cap. 6. Von den Pflichten eines Christen.
Jetzt kann es auch nicht mehr zweifelhaft sein, worin die Pflichten eines Christen bestehen, und welcher Handlungen er sich besonders befleißigen müsse; derjenigen nämlich, durch welche Jeder für sich seinen Mitmenschen dienen kann, zuerst zum ewigen Leben, daß auch sie anfangen, Gott zu erkennen, anzubeten und zu verehren, sodann auch für das gegenwärtige Leben, daß ihnen nichts von dem fehle, was des Leibes Nothdurft fordert. Denn wie das ganze Gesetz Gottes, welches alle Gerechtigkeit aufs vollkommenste gebietet, in dem Einen Worte zusammengefaßt wird: Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst, so muß auch alle Gerechtigkeit in der Beweisung solcher Liebe zusammengefaßt und ausgeübt werden. Daher darf durchaus nichts zu den Pflichten eines Christen gerechnet werden, was nicht einen Beitrag zum Wohl des Nächsten liefert, und jedes Werk ist um so mehr eine Christenpflicht, je mehr es das Beste des Nächsten befördert. Deßhalb rechnen wir, nächst den kirchlichen Aemtern, unter die wichtigsten Pflichten eines Christen die Verwaltung des gemeinen Wesens, daß man denen, die es verwalten, gehorsam sei, weil sie dadurch das allgemeine Beste befördern, ferner die Sorge für Weib, Kinder und Familie, die Ehrfurcht gegen die Aeltern, weil ohne dieß das Leben der Menschen nicht bestehen kann, das Treiben freier Künste und guter Wissenschaften, ohne deren Pflege wir sehr großer, dem Menschengeschlecht eigenthümlicher Vorzüge verloren gehen müßten. Doch darf man in diesen und anderen Geschäften des menschlichen Lebens nichts aufs Gerathewohl vor die Hand nehmen, vielmehr soll man gewissenhaft darauf achten, wozu man von Gott berufen wird. Das wird denn eines Jeden Pflicht, und zwar die vornehmste sein, was den Wittwen den größten Vortheil bringt.
Cap. 7. Vom Beten und Fasten.
Beten aber und andächtiges Fasten halten wir nichts desto weniger für heilige Werke, welche einem Christen sehr wohl anstehen, zu denen unsre Prediger ihre Zuhörer aufs fleißigste ermahnen. Denn das rechte Fasten ist gleichsam eine Entsagung des gegenwärtigen, bösen Lüsten stets unterworfenen, und eine Betrachtung des künftigen Lebens, das von Leidenschaften frei ist. Das Gebet aber ist eine Erhebung des Gemüthes zu Gott, und ein solches Gespräch mit ihm, das mehr als sonst etwas mit himmlischen Empfindungen entflammt und die Seele nach dem Willen Gottes bildet. Obgleich aber dieß heilige und einem Christen nöthige Uebungen sind, so dient man durch sie nicht eigentlich dem Nächsten, sondern man wird dadurch in den Stand gesetzt, dem Nächsten mit Erfolg zu dienen, daher darf man sie der heilsamen Belehrung, gottseligen Ermahnungen und Erinnerungen oder anderen Pflichten vorziehen, aus denen dem Nächsten sogleich ein Vortheil erwächst. Daher lehren wir von dem Erlöser, daß er des Nachts gebetet, am Tage aber gelehrt und Kranke geheilt habe. Denn wie die Liebe größer ist als Glaube und Hoffnung, so glauben wir auch, müsse das, was sich zunächst auf dieselbe bezieht, was den Menschen sicheren Nutzen bringt, allen anderen Verrichtungen vorgezogen werden. Daher schreibt auch der heilige Chrysostomus, das Fasten habe in der Reihe der Tugenden den letzten Platz.
Cap. 8. Von den Fastengeboten.
Weil aber nur solche Seelen, welche voll Inbrunst und durch den Geist von oben angeregt sind, gehörig und mit Nutzen beten oder fasten können, so glauben wir, daß es besser sei, nach dem Beispiel der Apostel und der frühern, reineren Kirche durch fromme Ermahnungen dazu zu ermuntern, als es durch Gebote zu erzwingen, insbesondere durch solche, die Alles zur Sünde machen, wie man sichs in spätern Zeiten erlaubt hat, nachdem der Priesterstand nicht wenig ausgeartet war. So wollen wir auch den Ort, die Zeit, die Art und Weise zu beten und zu fasten, lieber dem heiligen Geiste, ohne den Niemand recht beten und fasten kann, zu bestimmen überlassen, als durch bestimmte Gesetze vorschreiben, besonders solche, die man nicht ungestraft übertreten könnte. [...]
Cap. 9. Von der Unterscheidung der Speisen.
Aus derselben Ursache ist auch jene für gewisse Tage vorgeschriebene Unterscheidung der Speisen nachgelassen, welche Paulus in einem Briefe an Timotheus eine Teufelslehre nennt.[...]. Denn was ist das für ein Fasten, oder was ist das für eine Enthaltsamkeit, wenn man nur die Art der Genüsse ändert, wie die zu thun pflegen, die jetzt für besonders fromm gelten, da der heilige Chrysostomus es nicht für ein Fasten erkennt, wenn man auch bis zum Abend ohne Speisen bleibt, wenn man mit der Enthaltsamkeit von Speisen nicht Vermeidung alles Schädlichen verbindet, und einen großen Theil der Zeit zur Beschäftigung mit geistlichen Dingen gebraucht.
Cap. 10. Daß im Beten und Fasten kein Verdienst zu suchen sei.
Ferner haben unsre Geistlichen über Fasten und Beten bessern Unterricht ertheilt, da man die Leute gewöhnlich lehrt, in diesen Handlungen Verdienst und Gerechtigkeit zu suchen. Denn so wie wir aus Gnade durch den Glauben selig werden, so werden wir auch gerecht. Und von den Werken des Gesetzes, zu denen auch das Gebet und das Fasten gerechnet wird, schreibt Paulus so: “ Christus ist euch überflüssig, die ihr durch das Gesetz gerecht werdet; ihr seid aus der Gnade gefallen; denn wir bewahren im Geist und Glauben die Hoffnung der Gerechtigkeit.“ Daher muß man beten, aber, um von Gott zu empfangen, nicht, um ihm etwas zu geben. Wir müssen fasten, damit wir desto aufgelegter seien zum Gebet, und das Fleisch beherrschen, nicht, um etwas bei Gott zu verdienen. Dieser alleinige Zweck und Nutzen des Gebetes und Fastens wird in der Bibel, so wie in den Schriften und durch das Beispiel der Kirchenväter empfohlen. In dieser Hinsicht steht unsre Sache so, daß, wenn wir auch mit noch so großer Andacht beten und fasten, und Alles, was uns Gott befohlen hat, vollbringen könnten, und nichts weiter von uns gefordert werden könnte, was kein Sterblicher bis dahin geleistet hat, wir uns dennoch für unnütze Knechte bekennen müßten. Wie sollten wir also von einem Verdienste träumen?
Cap. 11. Daß der einige Gott durch Christum angerufen werden müsse.
Dabei ist noch ein anderer Mißbrauch verworfen, daß man nämlich durch Gebet und Fasten auch das Wohlgefallen der Mutter Gottes, der Jungfrau Maria, und anderer Heiligen gewinnen will, um durch ihre Vermittelung und ihr Verdienst von Uebeln der Seele und des Leibes befreit und mit Gütern aller Art erfüllt zu werden. Denn unsre Prediger lehren, den alleinigen Vater im Himmel durch den alleinigen Mittler, Christum, anzurufen und um Alles zu bitten, da, wie er selbst bezeugt hat, er uns nichts versagen wird, um was wir ihn im Glauben und im Namen Christi bitten. Da also Paulus diesen einen Menschen, Jesum Christum, den Mittler zwischen Gott und den Menschen nennt, und Niemand uns mehr lieben, auch Niemand bei dem Vater mehr gelten kann, so pflegt man bei uns zu erinnern, daß man an diesem einen Mittler und Vertreter bei dem Vater genug habe.
Die Mutter Gottes aber, die heiligste Jungfrau Maria und alle Heiligen lehrt man zwar mit allem Fleiße zu ehren; das könne jedoch nur dann geschehen, wenn man sich dessen befleißige, was ihnen besonders am Herzen liegt, nämlich der Unschuld und Frömmigkeit, worin sie uns so herrliche Vorbilder gegeben haben. Denn da sie Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus allen Kräften lieben, so können wir nichts thun, das ihnen lieber wäre, als wenn wir, wie sie, Gott aufs inbrünstigste lieben und ihm nachahmen. Denn ihrem Verdienste schreiben sie ihre eigene Seligkeit nicht zu; viel weniger kommt es ihnen in den Sinn, uns dadurch zu helfen. Sie Alle sprachen, so lange sie hier lebten, mit Paulus: „Das Leben, das ich nun lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben hat; ich verachte nicht die Gnade Gottes.“ Wenn sie selbst nun Alles der Gnade Gottes und der Erlösung Jesu Christi zuschreiben, so können wir durch nichts ihr Wohlgefallen mehr erlangen, als wenn auch wir uns auf diese Hülfe verlassen.
Cap. 12. Vom Mönchswesen.
Aus derselben Ursache aber, weil unsre Rechtfertigung ganz auf dem Glauben an Jesum Christum beruht, wodurch uns Freiheit in allen äußerlichen Dingen gegeben ist, so haben wir auch bei uns die Fesseln des Mönchthums zu lösen gestattet. [...]
Nun steht fest, daß das Mönchthum nichts Anderes ist, als Knechtschaft unter menschlichen Satzungen, und durchaus eine solche, wie sie Paulus in den angeführten Stellen verdammt; denn die, welche in den Mönchsstand treten, widmen sich jenen menschlichen Anordnungen in der Hoffnung, sich dadurch Verdienste zu erwerben. Daher halten sie es für ein Verbrechen, sich von ihnen wieder zur Freiheit Christi zu wenden. Da aber unser Leib und unser Geist Gottes ist, und zwar aus zwiefachem Grunde, nach der Schöpfung und nach der Erlösung, so kann es den Christen nicht frei stehen, sich in den Dienst jener mönchischen Knechtschaft zu begeben, viel weniger, als leiblichen Knechten (Sclaven), ihre Herren zu ändern. Ueberdieß läßt sich nicht leugnen, daß durch solche Hingabe und solche Gelübde, nach den Geboten der Menschen zu leben, wie es immer zu geschehen pflegt, die Nothwendigkeit herbeigeführt werde, Gottes Gesetz zu übertreten. Das Gesetz Gottes verlangt, daß ein Christ der Obrigkeit, den Aeltern, den Verwandten und allen Anderen, die Gott mit ihm in Verbindung gebracht und ihm zugeführt hat, daß er ihnen Dienste leiste, nach Kräften diene, an welchem Ort oder zu welcher Zeit es auch sei, wenn ihr Bedürfniß es fordert. Ferner soll er eine solche Lebensweise erwählen, in welcher er das Wohl des Nächsten am besten befördern kann, und nicht den ehelosen Stand vorziehen, wenn es ihm nicht um des Himmelreichs willen, das heißt: zur Beförderung der Gottseligkeit und der Ehre Gottes, gegeben ist, sich selbst zu verschneiden und der Ehe zu entsagen. Denn es besteht jenes durch Paulus bekannt gemachte Gebot Gottes, welches menschliche Gelübde nicht aufheben können: Zur Vermeidung der Hurerei habe ein Jeder (Niemand wird ausgenommen) sein Weib und eine Jede ihren Mann. Denn nicht Alle fassen jenes Wort von der um des Himmelreichs willen zu wählenden Ehelosigkeit, wie Christus selbst bezeugt, der am besten wußte und am glaubwürdigsten lehrte, was die menschliche Natur vermag, und was dem Vater gefällt. [...]
Daher haben wir es Niemand wehren können, der das Mönchsleben, ohne Zweifel eine Dienstbarkeit des Satans, mit dem christlichen Leben vertauschen wollte; ebenso wenig Anderen aus dem geistlichen Stande, die Weiber genommen und eine Lebensart ergriffen haben, von der sich mehr Nutzen für den Nächsten und mehr Ehrbarkeit des Wandels, als von der früheren, erwarten läßt. Endlich haben wir auch denjenigen, die bei uns im Dienste des göttlichen Wortes geblieben sind, das Recht, sich zu verheirathen, obgleich sie Keuschheit angelobt haben, aus den angeführten Gründen gestattet, da der heilige Paulus, der ausgezeichnete Vertheidiger der wahren Keuschheit, einen verheiratheten Bischof gelten läßt. Denn mit Recht haben wir allen menschlichen Gesetzen dieß eine göttliche vorgezogen: Zur Vermeidung der Hurerei soll ein Jeder sein Weib haben u.s.w. Weil dieß Gesetz so lange verworfen war, so sind alle unerhörten Arten der Wollust (mit Züchten zu melden vor Deiner geheiligten Majestät, Großer Kaiser) auf die gräulichste Art in den geistlichen Stand eingedrungen, daß in diesem Betracht heut zu Tage keine Menschenclasse verabscheuungswerther ist.
Cap. 13. Von dem Amte, der Würde und der Macht der Kirchendiener.
Von dem Amte und der Würde des geistlichen Standes wird bei uns gelehrt, zuerst, daß die Kirche keine Macht habe, als zur Erbauung. Ferner, daß keiner dieses Standes für etwas Anderes zu halten sei, als wofür sich Paulus, Petrus und Apollos und ähnliche Personen wollten geachtet wissen, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse, von denen dieß insbesonder zu fordern sei, daß ein Jeder treu erfunden werde. Diese haben die Schlüssel des Himmelreiches, zu binden und zu lösen, die Macht, Sünde zu erlassen und zu behalten, jedoch so, daß sie nichts sind, als Diener Christi, denen dieses Recht allein zusteht. Denn wie er allein die Herzen erneuen kenn, so ist er es auch allein, der durch seine Kraft den Menschen den Himmel aufschließt und sie von Sünden losspricht. Beides wird uns nur dann zu Theil, wenn unser Herz erneuert wird, und unser Bürgerrecht im Himmel ist. [...]
Cap. 14. Von menschlichen Ueberlieferungen.
Was ferner die Ueberlieferungen der Väter und die heute von den Bischöfen und der Kirche bestätigten betrifft, so ist dieß die Meinung der Unsern.
Sie zählen zu menschlichen und zwar in der Schrift verworfenen Ueberlieferungen einzig und allein diejenigen, die mit dem Gesetz Gottes streiten, z.B. die von Speise und Trank, von der Zeit und von anderen äußeren Dingen, die das Gewissen binden, die den Ehestand denen verbieten, welche dasselbe zu einem tugendhaften Leben bedürfen u. dgl. m. Denn die mit der Schrift übereinstimmenden, die zur Beförderung guter Sitten und zum Nutzen der Menschen angeordnet sind, wenn sie auch nicht mit ausdrücklichen Worten in der Schrift enthalten sind, werden, weil sie aus dem Gebot der Liebe fließen, die Alles gebührend anordnet, mit Recht eher für göttlich, als für menschlich gehalten. Von der Art waren jene Vorschriften des Paulus, daß die Frauen nicht mit entblößtem, die Männer nicht mit bedecktem Haupte in der Gemeinde beten, daß die Communicanten auf einander warten, daß die in fremden Sprachen Redenden es in der Gemeine nicht thun ohne Ausleger, daß die Propheten ohne Verwirrung weissagen und die Zuhörer es beurtheilen sollen.
Dergleichen beobachtet die Kirche heutiges Tages viel mit Recht, und ordnet nach Gelegenheit Neues an. Wer das verwirft, der verachtet nicht der Menschen, sondern Gottes Ansehen; denn von ihm stammt jede nützliche Satzung her. Denn alles Wahre, was geredet oder geschrieben wird, das wird als Gebot dessen geredet und geschrieben, der die Wahrheit selbst ist, wie der fromme Ausspruch des heiligen Augustinus lautet. [...]
Cap. 15. Von der Kirche.
Nun müssen wir noch erklären, was wir von der Kirche und den Sacramenten denken. Die Kirche Christi also, die zuweilen auch Himmelreich genannt wird, ist die Gesellschaft derer, die sich als Christen bekennen und sich dem Glauben an ihn ganz und gar ergeben, denen aber bis an das Ende der Welt solche beigemischt sein werden, die den Glauben an Christum heucheln, aber nicht wirklich besitzen. Das hat der Herr sattsam gelehrt in dem Gleichnisse vom Unkraut, von dem Netze, das ins Meer geworfen wird, und faule Fische mit den guten heranzieht, von dem Könige, der zur Hochzeit seines Sohnes Jedermann einladen, nachher aber den, der kein hochzeitlich Kleid hatte, wieder hinauswerfen ließ; ferner, wenn die Kirche Christi Braut genannt wird, für die er sich selbst hingegeben, sie zu heiligen; ingleichen ein Haus Gottes, Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit, Berg Zion, Stadt des lebendigen Gottes, himmlisches Jerusalem, Gemeine der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben sind. Dieses Lob kommt nur denen zu, die ernstlich an Christum glauben und daher wahrhaftig zu den Kindern Gottes gehören. Da unter diesen der Heiland wirklich regiert, so werden sie eigentlich seine Kirche und die Gemeinschaft, d.i. die Gesellschaft der Heiligen genannt, wie das Wort Kirche im apostolischen Glaubensbekenntnisse erklärt wird. Sie regiert der heilige Geist, von ihr ist Christus nie fern, sondern er heiligt sie, so, daß er sie sich selbst darstelle, als die keine Flecken noch Runzel hat; wer sie nicht hören will, der soll für einen Heiden und Zöllner gehalten werden. Da das, was sie eigentlich zur Kirche Christi macht, nämlich der Glaube an Christum, unsichtbar ist, ist sie selbst unsichtbar, kann aber aus ihren Früchten zur Genüge erkannt werden. Die vornehmsten dieser Früchte sind muthiges Bekenntniß der Wahrheit, aufrichtige Liebe gegen Jedermann, und muthige Verachtung aller Dinge um Christi willen. Dieß kann durchaus nicht fehlen, wo man das Evangelium und die Sakramente rein erhält. Da nun auch die Kirche das Reich Gottes ist, und Alles daher in derselben ordentlich zugehen muß, so hat sie verschiedene Aemter für ihre Diener; denn sie ist ein aus verschiedenen Gliedmaßen, deren jedes seine Geschäfte hat, zusammengesetzter Leib. [...].
Cap. 16. Von den Sacramenten.
Weil ferner die Kirche hienieden im Fleische ist, obgleich sie nicht nach dem Fleische wandelt, so hat es dem Herrn gefallen, sie auch durch das äußere Wort zu belehren, zu erinnern und zu ermahnen, und damit dieß desto bequemer geschehe, hat er auch gewollt, daß die Seinen eine äußere Gesellschaft unter sich halten sollten. Deßhalb hat er ihnen auch die heiligen Zeichen gegeben, die wir Sakramente nennen, unter denen die vorzüglichsten die Taufe und das Abendmahl sind. Diese, glauben wir, sind von den Alten Sacramente genannt worden, nicht bloß, weil sie sichtbare Zeichen der unsichtbaren Gnade sind, wie der heilige Augustinus sich ausdrückt, sondern auch, weil durch sie gleichsam ein Glaubensbekenntniß abgelegt wird.
Cap. 17. Von der Taufe.
Von der Taufe also bekennen wir, was die heilige Schrift an verschiedenen Stellen davon lehrt, daß wir durch dieselbe begraben werden in den Tod Christi, zu Einem Leibe verbunden, Christum anziehen, daß sie sei ein Bad der Wiedergeburt, die Sünde abwasche, und uns selig mache.
Dieß Alles verstehen wir aber so, wie der heilige Petrus es erklärt, indem er spricht: Mit diesem Vorbild stimmt die Taufe überein, und macht auch uns selig; sie ist nicht das Abthun des Unflathes vom Fleisch, sondern das Bekenntniß eines guten Gewissens vor Gott. Denn ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen, und wir werden aus Gnaden selig, nicht durch unsre Werke. Da aber die Taufe ein Sacrament des Bundes ist, den Gott mit den Seinigen schließt, indem er verheißt, er wolle ihr und ihrer Nachkommen Beschützer sein, und sie für sein Volk halten; da sie überdieß ein Zeichen der Erneuerung des Geistes ist, die durch Christum geschieht, so lehren wir, daß sie auch den Kindern mitzutheilen sei, aber so, wie sie ehemals unter Moses beschnitten wurden. Denn wir sind in Wahrheit Adams Kinder. Darum bezieht sich jene Verheißung eben sowohl auf uns, als auf die Alten: Ich werde dein und deines Samens Gott sein.
Cap. 18. Vom Abendmahl.
Von diesem hochwürdigen Sacrament des Leibes und Blutes Christi wird das, was die Evangelisten, Paulus und die heiligen Väter in ihren Schriften hinterlassen haben, bei uns mit aller Treue gelehrt, empfohlen und eingeprägt. Daher verkündigen die Unsren mit besonderem Eifer die Güte Christi gegen die Seinen, nach welcher er nicht weniger heute, als bei jenem letzten Abendmahl, allen, die sich von Herzen zu seinen Schülern bekennen, seinen wahren Leib und sein wahres Blut, wirklich zu essen und zu trinken, zur Speise und zum Trank für die Seelen, wodurch sie zum ewigen Leben genährt werden, im Sacramente gnadenvoll dargereicht, so, daß er in ihnen und sie in ihm leben und bleiben, und am jüngsten Tage zu einem neuen und ewigen Leben von ihm erweckt werden, nach seinem ewig wahren Worte: Nehmet und esset, das ist mein Leib, trinket Alle daraus, dieser Kelch ist mein Blut rc. Mit vorzüglichem Fleiß führen unsre Prediger die Herzen des Volkes von allem Streit und unnützen, vorwitzigen Untersuchungen auf das zurück, was allein nützt, und von Christo, unsrem Erlöser allein bezweckt ist, daß wir, von ihm gespeiset, in ihm und durch ihn leben, ein Gott gefälliges, heiliges und deshalb ewiges und seliges Leben, und Alle Ein Brot, Ein Leib seien, da wir Eines Brotes im Abendmahl theilhaft werden. Daher kommt es, daß das göttliche Sacrament im heiligen Abendmahl mit der größten Andacht und besonderer Ehrerbietung verwaltet und empfangen wird.
Aus dem, was sich wirklich so verhält, ersieht Deine geheiligte Majestät, Allergnädigster Kaiser, wie nunmehr unsre Widersacher verbreiten, daß die Unsren Christi Worte verändern und durch menschliche Auslegungen entstellen, und daß nichts als blos Brot und Wein bei unsrem Abendmahl ausgetheilt, mithin das Abendmahl des Herrn selbst von uns verachtet und verworfen werde. Denn bei uns wird immer mit dem höchsten Eifer gelehrt und ermahnt, daß Jeder bei einfältigem Glauben, mit Beseitigung aller menschlichen Erdichtungen und falschen Erklärungen die Worte des Herrn ergreife und dem, was sie sagen, sein Gemüth ohne allen Zweifel öffne, und die Sacramente selbst zur belebenden Nahrung für die Seele und zur dankbaren Erwägung einer so großen Wohlthat, und mit aller Andacht empfange. Dieß pflegt auch bei uns jetzt viel häufiger und andächtiger zu geschehen, als vormals. Zugleich aber haben sich unsre Prediger bisher immer erboten, und erbieten sich heute noch, mit aller Bescheidenheit und Wahrheit Rechenschaft von ihrem Glauben und ihrer Lehre zu geben, über Alles, was sie in Ansehung dieses Sacraments, als sonst glauben und lehren, und zwar nicht allein Deiner geheiligten Majestät, sondern einem Jeden, der es verlangt.
Cap. 19. Von der Messe.
Da nun Christus sein Abendmahl, das man nachher angefangen hat Messe zu nennen, also eingesetzt, daß nämlich in demselben die Gläubigen mit seinem Leibe und Blut zum ewigen Leben genährt, seinen Tod, durch den sie erlöset sind, verkündigen, ihm auf diese Weise danken, und solches Heil auch Anderen empfehlen; so haben unsre Prediger nicht umhin gekonnt, es für verwerflich zu erklären, daß man dieß hin und wieder vernachlässigt, und daß diejenigen, welche die Messe halten, Christum dem Vater als Opfer für Lebende und Verstorbene darzubringen sich bereden, und die Messe zu einem solchen Werke machen, wodurch fast einzig und allein die Gnade Gottes und die Seligkeit erworben werde, die Menschen mögen sonst glauben und leben, wie sie wollen. Daher hat sich auch der schändliche und im höchsten Grade gottlose Handel mit diesem Heiligthum eingeschlichen, und es ist dahin gekommen, daß heutiges Tages nichts einträglicher ist, als die Messe. [...]
Cap. 20. Von der Beichte.
Da aber auch das Bekenntniß der Sünden, das aus Frömmigkeit geschieht, von Niemand abgelegt werden kann, den dazu nicht Reue und wahre Betrübniß der Seele treibt, so kann man nicht durch ein Gebot dazu gezwungen werden. Darum haben auch weder Christus selbst, noch die Apostel selbst es gebieten wollen. Aus dieser Ursache ermahnen unsre Prediger, die Sünden zu bekennen, und zeigen, wie nützlich es sei, wenn Jemand bei einem christlichen und verständigen Mann im Stillen Trost, Rath, Belehrung und Ermunterung sucht, aber durch Gebote nöthigen sie Niemand dazu, sondern behaupten, daß solche Gebote der Gottseligkeit Eintrag thun. Denn die Verordnung, daß man dem Priester die Sünden beichten müsse, hat unzählige Seelen in schwere Verzweiflung getrieben, und bringt so manche Nachtheile, daß sie längst hätte abgeschafft werden müssen, und ohne Zweifel wäre abgeschafft worden, wenn die Vorsteher der Kirchen in den letzten Jahrhunderten von demselben Eifer wären erfüllt gewesen, wie der heilige Nestorius, Bischof von Constantinopel, der die Ohrenbeichte in seiner Kirche abschaffte, weil eine vornehme Frau, die häufig das Gotteshaus besuchte, als wollte sie dem Bußwerk obliegen, eines verbotenen Umgangs mit dem Diaconus überführt wurde. Dergleichen unzählige Verbrechen sind an verschiedenen Orten begangen worden. [...]
Cap. 21. Von den Gesängen und Gebeten der Geistlichen.
Aus derselben Ursache aber, damit nicht das, was vergeblich etwas Gottesdienstliches sein soll, zu einer Beleidigung Gottes werde, und zwar zu der allergrößten, geduldet werde, haben die Unsern in den Gesängen und Gebeten der Geistlichen Vieles verworfen. Denn es ist allbekannt, daß man von der ersten Einsetzung und dem Gebrauch der Väter abgewichen ist. Denn Niemandem, der die Schriften der Alten gelesen hat, ist es unbekannt, daß sie die Gewohnheit hatten, einige wenige Psalmen und ein Capitel der Schrift mit Nachdruck vorzulesen und zugleich zu erklären, da jetzt viele Psalmen, aber fast ohne Gedanken, abgesungen werden, aus der Lesung der Schrift aber nur die Anfänge der Capitel übrig geblieben sind, vielerlei aber dafür aufgenommen ist, was mehr zum Aberglauben führt, als zur Frömmigkeit. [...]
Cap. 22. Von Bildsäulen und Gemälden.
Auch gegen Bildsäulen und Gemälde haben die Unsern in Predigten geeifert, besonders darum, weil man angefangen hat, sie öffentlich zu verehren und anzubeten, und vergebliche Kosten darauf zu verwenden, die man dem hungrigen und durstenden und nackten Christus schuldig war, und weil man durch solche Verehrung und diese Kosten, obgleich beides mit dem Worte Gottes streitet, ein Verdienst vor Gott suchte.
Diesem Mißbrauch der Religion hat man auch das Ansehen der alten Kirche entgegengesetzt, der es ein Gräuel war, ein gemaltes oder geschnitztes Bild im Gotteshause zu sehen, wie es hinlänglich bewiesen wird durch eine That, welche Epiphanius, der Bischof zu Salamis in Cypern, von sich selbst erzählt. Als er das Bild Christi oder eines Heiligen, (dessen erinnerte er sich nicht mehr genau,) auf einem Vorhang in einer Kirche erblickte, ward er darüber so aufgebracht, gegen das Ansehen der Schrift und unsrer Religion das Bild eines Menschen in der Kirche hängen zu sehen, daß er den Vorhang sogleich zerriß und die Leiche eines Armen in denselben zu wickeln befahl. Den Brief, worin dieser Gottesmann das von sich selbst bezeugt, und der an Johannes, Bischof von Jerusalem, gerichtet ist, hat der heilige Hieronymus als rechtgläubig ins Lateinische übersetzt und auch nicht mit einem Worte dieses Urtheil des Epiphanius von Bildern als unrichtig getadelt. Hieraus kann man hinreichend schließen, daß weder der heilige Hieronymus, noch der Bischof von Jerusalem andrer Meinung von Bildern gewesen sind.
Denn was man zu sagen pflegt, daß durch Bildsäulen und Gemälde die Ungebildeten belehrt und erinnert werden, das ist kein hinreichender Grund, Gemälde und Bildsäulen zu dulden, zumal, wenn das Volk sie anbetet. Das alte Volk war ungebildeter, so, daß es mit mancherlei Ceremonien unterwiesen werden mußte; allein daß Bilder zur Belehrung und Ermunterung der Ungebildeten dienen sollten, hat Gott so wenig anerkannt, daß Gott vor allen Dingen verbot, dergleichen zu haben. Wollte man sagen, Gott habe Bilder verboten, die man anbete; so folgt eben daraus, daß, weil man vorlängst angefangen hat, sie alle anzubeten, des Anstoßes wegen alle aus den Gotteshäusern weggeschafft werden müßten. Denn in der Kirche muß Alles zur gewissen Erbauung angeordnet sein; am wenigsten darf man etwas dulden, das zum Falle dienen und keinen Nutzen schaffen könnte.
Wenn man einwirft, daß sie zur Erinnerung dienen, so antwortet der heilige Athanasius, indem er die Heiden widerlegt, die durch denselben Vorwand ihre Götzen vertheidigten: Sie mögen doch sagen, wie Gott durch Bilder erkannt wird, ob durch den Stoff, aus dem sie bestehen, oder durch die Form, die man dem Stoffe gegeben hat. Geschieht es durch den Stoff, wozu ist dann die Form nöthig, da, noch ehe sie gebildet ward, Gott aus dem Stoffe zu erkennen war, indem alles von seiner Herrlichkeit zeugt? Ist aber die dem Stoffe gegebene Form die Ursache der Erkenntniß Gottes, was bedarf es dann der Malerei und des Stoffes überhaupt, und wird Gott nicht weit besser aus den Geschöpfen, deren formen die Bilder sind, erkannt werden? Denn in der That, Gottes Herrlichkeit muß sich deutlicher offenbaren, wenn sie aus lebenden Wesen, vernünftigen und vernunftlosen hervorstrahlt, als auch solchen, die weder Leben, noch Bewegung haben. Wenn ihr also zur Beförderung der Gotteserkenntnis Bilder schnitzet oder malet, so ist es etwas ganz Unwürdiges, was ihr thut. So Athanasius. Lactantius sagt auch Vieles gegen diesen Vorwand. Denn dem, der fruchtbar an Gott erinnert werden kann, dienen außer dem Worte der Ermahnung viel wirksamer dazu die wirklichen und lebenden Werke Gottes, als jene leeren, von Menschen verfertigten Bilder.
Da nun Gott sein Urtheil über die Bilder in so vielen Stellen der Schrift sattsam bezeugt hat, so geziemt es uns Menschen nicht, von ihnen Nutzen zu erwarten, da Gott sie als gefährlich zu meiden befohlen hat, besonders, da wir selbst erfahren haben, wie hinderlich sie der Frömmigkeit sind. Den Gebrauch der Bilder an sich erklären zwar auch die Unsrigen für erlaubt, allein ein Christ hat zu untersuchen, was nützt und erbaut, und sich der Bilder da und so zu bedienen, daß sie Niemandem zum Anstoß gereichen. Paulus war bereit, sich den Genuß des Fleisches und des Weines zu versagen, wenn er einsähe, daß dieß auf irgend eine Weise der Wohlfahrt Anderer nachtheilig würde.
Cap. 23. Von der Obrigkeit.
Wir haben oben gezeigt, daß unsre Prediger den Gehorsam gegen die Obrigkeit unter die vornehmsten guten Werke zählen, und lehren, daß Jeder sich um so mehr befleißigen müsse, die öffentlichen Gesetze zu befolgen, je rechtschaffener und gläubiger er in seinem Christenthum sei. Sie lehren ferner, daß das Amt der obrigkeitlichen Personen ein so heiliges sei, wie nur eins von Gott den Menschen übertragen werden könne. Daher werden auch die, welche regieren, in der Schrift Götter genannt. Denn wenn sie ihr amt gehörig und ordentlich verwalten, so steht es um die Lehre und das Leben im Volke wohl; denn Gott pflegt unsre Angelegenheiten so zu ordnen, daß die Wohlfahrt und das Verderben der Unterthanen großen Theils von denen abhängt, die an der Spitze stehen. Daher werden obrigkeitliche Aemter von den besten und frömmsten Christen am würdigsten verwaltet. Daher haben die frömmsten Kaiser und Könige Bischöfe und andere geistliche Personen zu weltlichen Verwaltungszweigen zugezogen. Sie haben darin zwar verständig und gottesfürchtig gehandelt, aber es ist doch darin gefehlt worden, weil jene zur würdigen Verwaltung beider Aemter nicht geschickt sein konnten, und daher entweder bei der Leitung der Kirche in der Predigt des Wortes, oder bei der Verwaltung des gemeinen Wesens im Regiment zu wenig thaten.
Beschluß.
Das sind die Hauptpunkte, Allesunüberwindlichster und Gottseligster Kaiser, worin die Unsrigen, durch das ansehen der Schrift allein bewogen, die mit Recht allen anderen Ueberlieferungen vorzuziehen ist, von der allgemeinen Kirchenlehre abweichen. [...]
Da nun diese Angelegenheit so wichtig ist und so Vieles und Verschiedenes betrifft, und nicht mit Nutzen entschieden werden kann, bevor sie von Vielen geprüft und erforscht ist, so bitten wir Deine geheiligte Majestät und flehen sie aufs demüthigste an um Gottes und unseres Heilandes willen, dessen Verherrlichung Du gewiß vor allen Dingen suchst, daß Du eine allgemeine, freie und wahrhaft christliche Kirchenversammlung so bald als möglich berufen lassest, welches zur Beilegung der kirchlichen Angelegenheit Deiner geheiligten Majestät sowohl, wie anderen Fürsten des heiligen römischen Reichs bisher so nöthig geschienen, daß beinahe in allen Reichsversammlungen, die nach diesem in der Religion erhobenen Zwiespalt gehalten sind, die Commissarien Deiner geheiligten Majestät und anderer Fürsten des Reiches öffentlich bezeugt haben, daß auf keine andere Weise das, was in dieser Sache heilsam ist, zu Stande gebracht werden könne. Daher hat auch auf dem letztem Reichstag zu Speier Deine geheiligte Majestät Hoffnung erweckt, der römische Bischof werden nicht dawider sein, daß bald eine solche Kirchenversammlung gehalten werde. [...] Wir an unserm Theil werden gelehrig sein, ferne von aller Hartnäckigkeit, wenn wir nur die Stimme unsres Hirten Jesu Christi hören, und Alles, was man von uns verlangt, auf die Schrift, die Alles, was gut ist, lehrt, gebaut wird. [...]
Textzusammenstellung von Reinhard Neebe
Quelle: Böckel, Ernst Gottfried Adolf - Die Bekenntnisschriften der evangelisch-reformierten Kirche
http://www.glaubensstimme.de/doku.php?id=bekenntnisse:tetrapolitana
Die Ausbreitung der Reformation im Heiligen Römischen Reich bis 1530/nach 1530
Schriftwechsel Landgraf Philipp von Hessen mit Luther zur Frage des Widerstandsrechts gegen den Kaiser, 21. - 28. Oktober 1530.
Landgraf Philipp von Hessen an Luther, 21. Oktober 1530
Luther, Werke (Weimarer Ausgabe), Briefwechsel Bd. V, S. 653ff.
Landgraf Philipp hatte aus Besorgnis vor einem gewaltsamen Vorgehen des Kaisers gegen die Protestanten den Augsburger Reichstag trotz kaiserlichen Verbotes heimlich verlassen und nahm nun verstärkt seine Bemühungen um ein bewaffnetes Bündnis der evangelischen Fürsten und Städte wieder auf. Um Luther, dessen Haltung ihm als das stärkste Hindernis erschien, zu gewinnen, schrieb er ihm den nachstehenden Brief. Er beruht auf einer eigenhändigen Aufzeichnung des Landgrafen im Marburger Archiv und ist von ihm eigenhändig konzipiert. Wir haben es hier mit einem der frühesten Zeugnisse für die Lehre vom Reich als einem auf Herrschaftsvertrag beruhenden Gemeinwesen zu tun.
Lieber Doctor Martinus! Mein Begehr ist nach wie vor, wollt ein Vermahnung an alle Gläubigen tun dies Reichstags halben, und ob [falls] Ihr nit gnugsamen Bericht hättet, so schreibt mir, so will ich Euch alle ergangene Handlung zuschicken. Es tut not, die Schwachgläubigen zu trosten und vermahnen.
Ich kann Euch nach, als zu dem ich ein sonderlich gute Meinung habe, unangezeigt nit lassen, daß wohl etlich seind, die vermeinen, so der Kaiser mit seinem Anhang uns, die Oberkeit haben, strafen wollt des Evangeliums halben, und so Sein Maj. des Teufels Lehre wullt wieder ufrichten, sollten wir's gestatten und hätten mit nicht dargegen Macht zu wehren .. .
Ist nu hieruf mein Begehr, wollt mir Euer Meinung in diesem Fall anzeigen. Ich kann aber nit unterlassen, Euch, als den, der viel geschafft hat, etlicher Ursachen dieses Falls zu erinnern, uf daß Ihr ihm dester stattlicher nachdenken mogt.
Zum ersten, ist der Fall im Neuen Testament nit beschrieben, auch bei der Apostel Zeit, nach meinem Wissen, nit vorhanden gewest, als nämlich, daß ein Oberkeit, die ein Land erblich innhab, den Glauben angenommen und nachmals von einer großern Oberkeit verfolgt.
Zum andern, ist's mit den deutschen Fursten viel ein ander Ding, dann mit den vorzeiten, die schlecht Landpfleger gewest sein und nit Erbherrn. Die wälschen Fursten haben auch soliche Freiheit nit, darzu auch das Herkommen dermaßen nit herbracht, wie wir Deutschen. Und daß solchs wahr sei, so hat nie kein Kaiser Macht gehabt, einigen Untertan eins
') die Reichsstände sind.
Fursten mit Gewalt zu fahen noch hinweg zu nehmen, so anders der Untertan solchs Fursten Recht hat leiden mogen, und ob er schon gegen Kais. Maj. eigen Person, Land und Leut getan hätt. Dweil nu das mit vielen Exempeln zu beweisen, ist auch je in meinem Ansehen billig, so unsere Prediger Recht mogen leiden, daß wir sie bei Recht Schutzen und handhaben.
Es ist nach weiter offenbar wahr, daß kein Kaiser je in deutschen Landen Macht gehabt hat, einigem Fursten mit Gewalt 1 Gulden abzufordern, und ob er sie schon gefordert hätt, wär es in der Gestalt nit geben worden. So aber ein Kaiser etwas mit Bewilligung gemeiner Stände erlangt, das ist man ihme schuldig zu geben gewest.
Zum dritten ist wahr, daß der Kaiser uns so wohl gelobt und geschworen ist, als wir ihme, und wir seind ihme nit allein geschworen, sondern ihm und dem Reich zugleich. So nu der Kaiser uns nit hält, so hat er sich selbst zu einer gemeiner Person gemacht und kann nit mehr vor ein rechten Kaiser angesehen werden, sondern vor ein Friedbrecher, zuvoran dweil er kein Erbkaiser, sondern ein gewählter Kaiser ist.
Zum vierten, hat der Kaiser uf allen Reichstagen gesagt und us Hispanien geschrieben, er erkenn sich vor kein Richter in diesen zweispältigen Sachen, sonder es gebühr eim Concilio, solch Sach zu ortern und zu vergleichen. Dweil er, der Kaiser, nu selbst solchs bekennt und einmal solchs Richterampt (so er's schon Fug gehabt hätt, als er doch nit hat, sonder allein uber Leib und Gut zu richten, doch auch mit einer Maß) von sich geworfen, wie kann ihm dann nunmals solchs zugelassen werden? zuvoran dweil er so parteisch handelt, daß er Kläger, Richter und Antworter ist, und will wederumb unser Antwort weder sehen, hören noch annehmen, wilchs doch nach heidenischen Rechten zu viel ist.
Ich will diesmal nit anzeigen, wie die Wahl mit diesem Kaiser und zukunftigen Konig zugangen ist und wirdet.
Zum funften, ob gesagt wollt werden: der Kaiser hätt's wohl nit Macht, dweil aber der Kaiser und die Ständ einmütiglich mit ihm eins solchen vergleichen, so hätten wir uns dester weniger Macht zu wehren; da sag ich das zu: Es ist zum ersten nit wahr, daß alle Stände sich des mit ihm, dem Kaiser, vergleichen haben ... [Es folgt Aufzählung der Stände, die in Augsburg gegen den Reichsabschied gestimmt haben.]
Es hat auch Gott die Seinen im Alten Testament nihe verlassen und nihe lassen ein Land untergehen, das uf ihn getrauet hat.
Desgleichen hat er den Behemen [den Hussiten] auch geholfen, und wir mussen dennach alle bekennen, daß die Behemen unter dem Kaiser sein, und ein Konig von Beheim der vornehmbsten Kurfursten einer. Nach haben sie sich geweigert gegen Kaiser und Reich, und Gott hat ihn Sieg und Uberwindung geben. So hoff ich auch zu Gott, so wir nur unverzagt uf ihn trauen.
Es hat auch wohl Gott mehren geholfen jegen Kaisern und andern, die mit Gewalt ahn Recht mit ihren Untertan haben gehandelt. Exempeln: man sehe an, wie ein kleiner Hauf Schweizer die Herrn von O
sterreich und etlich Kaiser geschlagen haben; wiewohl dis Exempel in diese Sach nit hort .. .
Luther an Landgraf Philipp von Hessen, 28. Oktober 1530.
Luther, Werke (Weimarer Ausgabe), Briefwechsel Bd. V, S. 660f.
Dem durchleuchtigen hochgebornen fursten und herrn, Herrn Philipps Landgrauen zu Hessen, Grauen zu CatzenElbogen, Zigenhain, Dietz und Nida, meinem gnedigen herrn.
Gnad und friede ynn Christo! Durchleuchtigster, hochgeborner furst, gnediger herr! Ich hab E. f. g. schrifft vnd ettliche unterricht ynn furligenden sachen empffangen. Vnd Erstlich, das E. f. g. begert, ein buchlin zu trost der schwachen auszulassen, wil ich E. f. g. nit bergen, das ich an das gefasset bin [im Begriff stehe], ein büchlin ynn kurtz auszulassen, Darinn ich den abschied vnd vngeschicktes furnemen der fursten rüren wil, mit vermanung eins yders gewissen, das kein vnterthan schuldig sey, Wo k. Mt. wurde drauff beharren, gehorsam zu leisten, Sondern wil (so viel meine fedder vermag) von solchem gehorsam abschrecken, das sich niemand soll begeben ynn solche lesterliche, mordische vnd teuffelisch anschlege.l) Gott gebe, das ich viel frucht damit schaffe, Amen. Dennoch sol es verwaret [vorsichtig abgefaßt] sein, das mans nicht muge auffrurisch schelten.
Zum andern Bin ich hoffend, das Gott ein mittel werde treffen, das vmb dieser sachen willen kein blut vorgiessen sol geschehen. So hab ich auch (wo es yhe dazu komen wolt, da Gott fur sey) meinem gnedigsten herrn, dem kurfursten, meine meynung angezeigt, was man thun muge mit der gegenwere, Welche on zweiuel E. f. g. vnuerborgen sein wird, weil ich doch sehe vnd mercke, das man einen gemeinen ratschlag dauon halten wird, Vnd mir ferlich, als einer geistlichen person, solchs schrifftlich darthun, aus vielen vrsachen.
Vnd bitte, E. f. g. wolte sich nicht befrembden, das wir ynn ettlichen Stucken vns nachmals [nochmals] erbieten, als mit fasten, feyren, Speisen und gesenge anzunehmen.2) Denn wir wissen doch, das sie es mit solcher masse nicht annemen konnen, Vnd dienet vns dazu, das wir vnsern glimpff deste hoher heben vnd ich ynn meinem buchlin deste gewaltiger treiben muge. So ists vns auch on fahr, wo es schon wurde der massen angenomen. Hie mit Gott befolhen, Amen. Aus Torgaw Am tage Simonis & Jude 1530.
E. f. g. williger Martinus Luther
zit. nach: Geschichte in Quellen Bd. III, bearb. von Fritz Dickmann, München 1966, S. 172-74
Zur Rechtfertigung seiner Position gegen den Kaiser teilt Philipp der Großmütige im Jahre 1530 Martin Luther seine Gedanken über das Recht zum Widerstand mit.
Aus dem Briefwechsel des Landgrafen Philipp mit Martin Luther
Lieber Doctor Martinus! Mein Begehr ist nach wie vor, wollt ein Vermahnung an alle Gläubigen tun dies Reichstags halben, und ob Ihr nit gnugsamen Bericht hättet, so schreibt mir, so will ich Euch alle ergangene Handlung zuschicken. Es tut not, die Schwachgläubigen zu trosten und vermahnen.
Ich kann Euch noch, als zu dem ich ein sonderlich gute Meinung habe, unangezeigt nit lassen, daß wohl etlich seind, die vermeinen, so der Kaiser mit seinem Anhang uns, die Oberkeit haben, strafen wollt des Evangeliums halben, und so Sein Maj. des Teufels Lehre wullt widder ufrichten, sollten wir's gestatten und hätten mit nicht dargegen Macht zu wehren.
Nu kann ich mich erinnern, daß Ihr dem Kurfürsten etc. einmal [...] ein Ratschlag stalltet, darin Ihr anzeigt, man sollt nit anfahen, so man aber uns uberziehen wollt, hätt man sich zu wehren. [...] Ist nu hieruf mein Begehr, wollt mir Euer Meinung in diesem Fall anzeigen. Ich kann aber nit unterlassen, Euch, als den, der viel geschafft hat, etlicher Ursachen dieses Falls zu erinnern, uf daß Ihr ihm dester stattlicher nachdenken mogt.
Zum ersten, ist der Fall im neuen Testament nit beschrieben, auch bei der Apostel Zeit, nach meinem Wissen, nit vorhanden gewest, als nämlich, daß ein Oberkeit, die ein Land erblich innhab, den Glauben angenommen und nachmals von einer großen Oberkeit verfolgt.
Zum andern, ist's mit den deutschen Fursten viel ein ander Ding, dann mit den vorzeiten, die schlecht Landpfleger gewest sein und nit Erbherrn. Die wälschen Fursten haben auch soliche Freiheit nit, darzu auch das Herkommen dermaßen nit herbracht, wie wir Deutschen. [...]
Es ist nach weiter offenbar wahr, daß kein Kaiser je in deutschen Landen Macht gehabt hat, einigen Fursten mit Gewalt 1 Gulden anzufordern, und ob er sie schon gefordert hätt, wär es in der Gestalt nit geben worden. So aber ein Kaiser etwas mit Bewilligung gemeiner Stände erlangt, das ist man ihme schuldig zu geben gewest.
Zum dritten ist wahr, daß der Kaiser uns so wohl gelobt und geschworen ist, als wir ihme, und wir seind ihme nit allein geschworen, sondern ihm und dem Reich zugleich. So nu der Kaiser uns nit hält, so hat er sich selbst zu einer gemeiner Person gemacht und kann nit mehr vor ein rechten Kaiser angesehen werden, sondern vor ein Friedbrecher, zuvoran dweil er kein Erbkaiser, sondern ein gewählter Kaiser ist.
Zum vierten, hat der Kaiser uf allen Reichstagen gesagt und us Hispanien geschrieben, er erkenn sich vor kein Richter in diesen zweispältigen Sachen, sondern es gebühr ein Concilio, solch Sach zu ortern und zu vergleichen. Dweil er, der Kaiser, nu selbst solchs bekennt und einmal solchs Richterampt [...] von sich geworfen, wie kann ihm dann nunmals solchs zugelassen werden? zuvoran dweil er so parteisch handelt, daß er Kläger, Richter und Antworter ist, und will wederumb unser Antwort weder sehen, hören noch annehmen, wilchs doch nach heidenischen Rechten zu viel ist. [...]
Dies wollt ich Euch also nach meiner Einfalt angezeigt haben, demnach Euer Vernunft, da Ihr von Gott hochlich begabet, weiter nachzudenken haben, und bitt Euern Rat und Bedenken.
Datum Freitag nach Galli, Anno Dom. XXX. [...]
[= Friedewald, 21.Oktober 1530]
Luthers neue Stellung zum Widerstandsrecht: Der "Torgauer Ratschlag", Oktober 1530
Luther, Werke (Weimarer Ausgabe), Briefwechsel Bd. V, S. 662
Im Lauf der Verhandlungen zwischen Hessen und Kursachsen um ein evangelisches Bündnis nach Abschluß des Augsburger Reichstages suchten wie Landgraf Philipp so auch die Räte des Kurfürsten von Sachsen, vor allem der Kanzler Brück, Luthers Ansicht von der Unrechtmäßigkeit eines bewaffneten [Widerstandes gegen den Kaiser zu erschüttern. Im Oktober 1530 verhandelten sie mit ihm in Torgau. Hier wurde Luther durch ein ihm vorgelegtes Gutachten in die Enge getrieben, worin der Nachweis geführt wurde, daß nach römischem und geistlichem Recht gegen einen Richter, der unrechtmäßig vorgehe, z. B. einer Berufung nicht stattgeben wolle, Widerstand erlaubt sei. In dem Gutachten hieß es weiter, die evangelischen Stände hätten gegen den Kaiser an ein allgemeines und freies Konzil appelliert, außerdem sei der Kaiser gar kein Richter in Glaubenssachen. Wenn also schon gegen einen Richter unter Umständen Widerstand erlaubt sei, wieviel mehr gegen einen, der gar keine Jurisdiktion in dieser Sache habe? — Durch diese Argumente (deren Herkunft aus dem geistlichen Recht man ihm wahrscheinlich verschwieg) ließ sich Luther zu folgender Erklärung bestimmen:
Uns ist ein zetel fürgetragen, daraus wir befinden, was die Doctores der rechte schließen auff die frage, inn welchen fellen man muge der oberkeit widder stehen. Wo nu des also bey den selbigen Rechts Doctoren odder verstendigen gegrundet ist, und wir gewislich inn solchen feilen stehen, inn welchen (wie sie anzeigen) man müge der oberkeit widderstehen, und wir allzeit gelert haben, das man welltliche recht solle lassen gehen, gelten und halten, was sie vermugen, weil das Evangelion nicht widder die welltliche recht leret.
So konnen wirs mit der Schrifft nicht anfechten, wo man sich des falls wehren mußte, es sey gleich der keiser ynn eigener person oder wer es thut unter seinen namen. Auch weil es itzt allenthalben so ferlich steht, das teglich mugen auch andere sachen für-fallen, da man sich stracks wehren muste nicht allein aus welltlichem recht, Sondern aus pflicht und not des gewissens, So wil sichs gleichwol zimen, das man sich ruste und als auff eine gewalt, so plotzlich sich erheben mochte, bereit sey, wie sichs denn nach gestallt und leuffte der sachen leichtlich begeben kan.
Denn das wir bisher geleret, stracks nicht widder zustehen der oberkeit, haben wir nicht gewust, das solchs der oberkeit rechte selbs geben, Wilchen wir doch allenthalben zu gehorchen vleissig geleret haben.
zit. nach: Geschichte in Quellen Bd. III, bearb. von Fritz Dickmann, München 1966, S. 174-75
Auszug aus dem Schmalkaldischen Bundesvertrag aus dem Jahre 1531.
Der Schmalkaldische Bundesvertrag, 21. Februar 1531
Nachdem sich die Läufte dieser Zeit hin und wieder gleich sorglich, geschwinde und vorab dergestalt erzeigen, zutragen und anschicken, [...] so will unser höchste Notdurft und schuldiges Amt der Obrigkeit erfordern, ob sich itzo oder künftig zutragen oder begeben würde, daß jemand uns oder unsere Untertanen mit Gewalt oder der Tat von dem Wort Gottes und erkannter Wahrheit zu dringen [...] und also wiederumb zu den abgetanen und veränderten Mißbräuchen zu nötigen unterstünde, solches alles möglichsten Fleißes zu verhüten, damit dann solche Gewalt abgewendet und das Verderben beider, Leib und Seele, unser und unserer Undertanen, verhütet werden möge, so haben wir Gott dem Allmächtigen zu Lobe, zu mehrem Gedeihen und Aufwachsen göttlicher, freien Lehre, zu Erweckung und Förderung eins christlichen, einhelligen Wesens und Friedens dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und aller Ehrbarkeit, dazu insgemein unsern Fürstentümern, Städten und Landschaften zum Gutem, zur Wohlfahrt, Ehre, Nutz und Frommen, allein zu Gegenwehr und rettungsweise, die einem jeden nicht allein von menschlichen, sondern auch von geschriebenen Rechten zugelassen und vergönnt ist, mit- und gegeneinander eines christlichen und freundlichen Verstands [Bündnis] vereinigt. [...] Ob sich dann begebe, daß ein Teil unter uns, wer auch der wäre, um das Wort Gottes, evangelischer Lehr und unsers heiligen Glaubens [...] befehdet und überzogen würde, und derselbige auf uns andere schleunigst, endlich Rechten leiden möchte, daß dann wir alle die anderen, [...] ein jeder seinen höchsten Vermögen nach unerwartet der anderen den Befehdeten oder Vergewaltigten helfen, retten und entschütten, [...] und also den Handel einander getreulich helfen führen, sich auch kein Teil ohne der andern Wissen und Willen in eine Richtung, Vertrag oder Anstand einlassen oder begeben.
Es soll auch dieser unser christlicher Verstand [Bündnis] kaiserlicher Majestät, unserm allergnädigsten Herrn, oder keinem Stand des Heiligen Römischen Reichs oder sonst jemandem zuwider [sein], sondern allein zu Erhaltung christlicher Wahrheit und Friedens im Heiligen Reich und deutscher Nation und zu Entschüttung unbilliger Gewalt für uns und unsere Untertanen und Verwandten allein in Gegenwehr und rettungsweise vorgenommen [werden].
Bundesvertrag von Schmalkalden, 27. Februar 1531
Fabian, S. 350—352
Abgeschlossen auf sechs Jahre zwischen Kursachsen, Braunschweig-Lüneburg, Hessen, Anhalt, den Grafen zu Mansfeld und elf ober- und niederdeutschen Städten, darunter Straßburg, Ulm, Konstanz, Lübeck, Magdeburg, Bremen. Zugrundegelegt wurde der Text eines Bündnisses zwischen Zürich, Basel, Straßburg und Hessen vom November 1530 („Burgrecht" genannt), dessen erster Entwurf schon im Oktober 1529 bei dem Marburger Religionsgespräcb von Philipp dem Großmütigen aufgesetzt worden war. Vgl. auch das Speyrer Abkommen vom 22. April 1529 (Dok. Nr. ).
... Nachdem sich die Teuft dieser zeit hyn und wieder gleich sorglich, geschwinde und vorabe dergestalt erczaigen, zutragen und anschicken, als ob man begerte, diejenigen, so das hehl, clar, rayn und unvormackelet wort Gottes yn iren furstentumen, steten, landen und gebieten durch gnad und vorleihung des Almechtigen predigen und vorkündigen lassen, dordurch allerlay misbrauch abgestelt und vorendert, mit gewalt und der tat von solchem yrem cristlichen fürhaben zu dringen, und aber yhe ayner yden cristlichen oberkait schuldig ambt ist, nit allain yren undertanen das hailig wort Gots vorkundigen zu lassen, sonder auch mit allem vleis, ernst und vormögen dorfur zu sein, das sie von dem wort Gots nit gezwungen oder abfellig gemacht werden, so wil unser hochste notturft und schuldig ambt der oeberkait erfordern, ob sich itzo oder kunftiglich zutragen oder begeben wurde, das imants uns oder unser undertane mit gewalt oder der tat von dem wort Gots und erkanter warhait zu dringen (welchs dan der guetig, barmhertzig Got gnediglich vorhueten, und wir uns auch zu nymants vorsehen wollen) und also widerumb zu den abgetanen und vorenderten misbreuchen zu nötigen understunde, solchs alles möglichs vleis zu vorhueten, domit dan solcher gewalt abgewendet und das vo[r]terben baider, leib und sele, unser und unser undertanen, vorhütet werden möge, so haben wir Got dem Almechtigen zu lobe, zu mehrem gedeien und aufwachsen götlicher freien lehren, zu erweckung und förderung ayns cristlichen, einhelligen wesens und fridens dem hailigen Romischen Reich deutzscher Nation und aller erbarkait, dorzu gemaynen unsern furstentumen, steten und landschaften zu gutem, wolfart, ehre, nutz und frommen, allain zu gegenwehr und rettungsweise, die aynem yden nicht allayn von menschlichen, sonder auch von geschrieben rechten zugelassen und vergönt ist, mit und gegenainander ains cristlichen und freuntlichen vorstands vorainigt, entschlossen, denselben auch auf- und angenommen und tun das gegenwertig yn und mit traft dieses brives in massen, form und gestalt wie hernach volgt:
Nemlich das wir zu allen tailen yhe ainer den andern getreulich und von hertzen maynen, halten und vor schaden warnen sollen undt wollen, auch kayner des andern veinde und widerwertigen offenlich oder haymlich mit wissen durchschlaiffen, furschieben oder enthalten; und demnach dieser vorstandt allain gegenwehrs- und rettungsweise undt gar nit dorumb angesehen, das imant under uns ainichen krigk anfahen solle, ob sich dan begebe, das ainicher tail under uns, wer auch der were, umb das wort Gots, evangelischer lehr und unsers hailigen glaubens oder umb Sachen willen, die aus dem wort Gots, evangelischer lere und dem hailigen glauben volgen und demselben anhengig ... vorgewaltigt und uberczogen wolt werden oder befedet und ubertzogen wurde und derselbig auf uns andere schleunigs, entlichs rechten leiden möcht, das dan wir alle die andern, yn diesem cristlichen vorstandt begriffen, und ayn yder vor sich selbst, sobaldt wir das von dem vorgewaltigten oder sonst durch glaubliche erfarung verstendigt, bericht und innen wurden, die sach uns kayner andern gestalt sollen anligen lassen, dan als ob unser yder selbs angriffen, bevhedet, ubertzogen und also sein selbst aigen sache were, dorauf auch an [ohne] allen gefarlichen vorzug ayn yder seinem hoechsten vormögen nach unerwart der andern den befedeten oder vorgeweltigten helfen, retten und entschutten, luft und platz machen .. .
Es soll auch dieser unser cristenlicher vorstand kaiserlicher Maiestat, unserm allgnedigsten herrn, oder kaynem stand des hailigen Römischen Reichs oder sonst ymants zu-wieder, sonder allayn zu erhaltung cristenlicher warhait und fridens ym hailigen Reich und deutzscher Nation und zu entschuttung unbillichs gewalts für uns und unser undertann und vorwanten allayn yn gegenwehr und rettungsweise furgenommen, da unser yder, wie oben berurt, recht geben und nemen mag.
So auch ymants weiter yn diesen unsern cristlichen vorstandt zu kommen begerte und vormals nicht dorinnen begriffen 1), der das hailig evangelion angenommen, der sol mit unser aller wissen und willen doryn auf- und angenommen werden .. .
1) Bei Erneuerung des Bundes im Jahre 1536 wurde die "Confessio Augustana" zur verbindlichen Grundlage des Schmalkaldischen Bundesvertrags gemacht, wobei der vorliegende Satz wie folgt geändert wurde: „... nicht dorinnen begriffen, die dem heiligen Gottes Wort und dem Evangelio anhängig, demselbigen und der reinen Lehr und unserer Confession zu Augsburg Keyserlicher Majestät und allen Ständen des Reichs übergeben in ihren Landen und Gebieten gleichförmig lehren und predigen lassen, auch darob festiglich halten sollen und wollen, der oder dieselbigen sollen mit unser aller wissen und willen doryn auf- und angenommen werden...”
zit. nach: Geschichte in Quellen Bd. III, bearb. von Fritz Dickmann, München 1966, S. 176-77
Die Wittenberger Abendmahlskonkordie, 26. Mai 1536
Im Marburger Religionsgespräch 1529 wurde zwar ein breiter Lehrkonsensus zwischen Schweizer, oberdeutschen und Wittenberger Reformatoren erzielt, aber der Gegensatz im Verständnis des Abendmahls verhinderte das Zusammenwachsen. In unablässigen Bemühungen ist es vor allem Bucer, dem die Versöhnung im evangelischen Lager zur Lebensaufgabe werden sollte, und dem Landgrafen Philipp von Hessen, der schon maßgebend am Zustandekommen des Marburger Religionsgesprächs beteiligt gewesen war, gelungen, Oberdeutsche und Wittenberger — die Schweizer hatten beschlossen, nicht teilzunehmen — zu einer Zusammenkunft zu bewegen. Hier wurde eine Einigung in den wesentlichen Fragen des Abendmahls erzielt, die die meisten oberdeutschen Städte akzeptierten.
Wir haben gehört, wie Herr Martin Bucer seine Meinung und die der anderen Prediger, die mit ihm aus den Städten gekommen sind, über das heilige Sakrament des Leibes und Blutes Christi erklärt hat, nämlich folgendermaßen:
Sie bekennen entsprechend den Worten des Irenäus, daß in diesem Sakrament zwei Dinge sind, eines himmlisch und eines irdisch. Demnach meinen und lehren sie, daß mit dem Brot und Wein wahrhaftig und wesenhaft [vere et substantialiter] der Leib und das Blut Christi zugegen sei und dargereicht und empfangen werde.
Wiewohl sie keine Transsubstantiation annehmen, und auch nicht meinen, daß der Leib und [das] Blut Christi localiter, räumlich, in das Brot eingeschlossen oder sonst bleibend damit vereinigt werde außerhalb des Genusses des Sakramentes, so geben sie doch zu, daß durch sakramentale Einigkeit das Brot der Leib Christi sei, das ist, sie meinen, wenn das Brot dargereicht wird, daß dann der Leib Christi zugleich gegenwärtig sei und wahrhaftig dargereicht werde etc. Denn sie meinen nicht, daß außerhalb des Genusses, wenn man das Brot beiseitelegt und im Sakramentshäuschen behält oder in Prozessionen herumträgt und zeigt, wie im Papsttum geschieht, der Leib Christi zugegen sei.
Zum zweiten meinen sie, daß die Einsetzung dieses Sakraments, durch Christus geschehen, in der Christenheit gültig sei und daß es nicht an der Würdigkeit oder Unwürdigkeit des Geistlichen liegt, der das Sakrament reicht, oder [dessen] der es empfängt, deshalb weil, wie der heilige Paulus sagt [1Kor 11,27], auch die Unwürdigen dieses Sakrament genießen. So nehmen sie an, daß auch den Unwürdigen der Leib und das Blut Christi dargereicht wird, und die Unwürdigen wahrhaftig dasselbe empfangen, wenn man die Einsetzung und den Befehl des Herrn Christus hält. Aber diese empfangen es zum Gericht, wie der heilige Paulus spricht [1Kor 11,29]; denn sie mißbrauchen das heilige Sakrament, weil sie es ohne wahre Buße und ohne Glauben empfangen. Denn es ist darum eingesetzt, daß es bezeuge, daß denen die Gnade und Wohltat Christi ebenda zugeeignet wird und daß diejenigen Christus eingeleibt und durch das Blut Christi gewaschen werden, die wahre Buße tun und sich trösten durch den Glauben an Christus.
Weil aber diesmal wenige von uns zusammengekommen sind und diese Sache auch zu den anderen Predigern und Obrigkeiten beiderseits gelangen muß, können wir die Konkordie noch nicht beschließen ... Nachdem aber diese alle bekennen, daß sie in allen Artikeln der Augsburgischen Konfession und Apologie .. . gemäß und gleich glauben und lehren wollen ... haben wir gute Hoffnung, daß eine beständige Konkordie unter uns aufgerichtet werde.
D. Wolfgang Capito, Straßburg; Mg. Martin Bucer, Straßburg; Lic. Martin Frecht, Ulm; Lic. Jakob Otther, Esslingen; Bonifatius Lycosthenes, Augsburg; Johannes Bernhardi, Frankfurt; Martin Germani, Fürfeld; Mg. Matthäus Alber, Reutlingen; Johannes Schradin, Reutlingen.
D. Martin Luther; D. Justus Jonas; D. Kaspar Cruciger, Wittenberg; D. Johannes Bugenhagen, [gen.] Pomeranus; Philipp Melanchthon; Justus Menius, Eisenach; Friedrich Myconius, Gotha.
Quelle: WA.B 12, S. 206—208,57. S. 209—210,44. Zit. nach: Heiko A. Oberman, Die Kirche im Zeitalter der Reformation, Neukirchen-Vlyn, 4. Aufl. 1994, S. 185-187, Dok. 90.
Schmalkaldische Bundesfahne mit dem Wappen der 36 Bundesmitglieder, 1542

Tafel 15: Letzte Chance des europäischen Religionsausgleichs?
Zu Beginn der 1540er Jahre scheint es für einen kurzen Moment so, als eröffne sich eine letzte Chance zur Überwindung der konfessionellen Spaltung in Deutschland und Europa: Auf dem Regensburger Reichstag 1541 unternimmt Kaiser Karl V. noch einmal einen ernsthaften Versuch, einen friedlichen Ausgleich zwischen den katholischen und protestantischen Reichsständen zu erreichen und die zerbrochene Glaubenseinheit wiederherzustellen. In Vorbereitung seines ehrgeizigen Vorhabens haben ausgewählte Theologen beider Seiten im sogenannten Regensburger Buch grundlegende Lehrsätze aufgestellt, die dann auf dem Reichstag verhandelt und verabschiedet werden sollen. Wichtigster Verbündeter von Karl V. aus dem Lager der Protestanten und politische Schlüsselfigur in Regensburg ist Philipp von Hessen: In den Beziehungen des Landgrafen zu den Habsburgern hat sich nach 1534 (Rückeroberung Württembergs und Frieden von Kaaden) eine allmähliche Annäherung ergeben, und bereits 1535 kommt es zu einem ersten, dann aber nicht in Kraft getreten Bündnisvertragsentwurf.
Im Bemühen um einen umfassenden Religionsausgleich 1540/41 treffen sich die Motivationen von Kaiser und Landgraf, der sich auch in den theologischen Disput mit bemerkenswertem persönlichen Engagement einschaltet. In ganz wesentlichen Punkten wie der Rechtfertigungslehre wird eine Einigung oder zumindest Annäherung gefunden. -Gleichwohl zeigt sich, dass aufgrund der Verkoppelung von theologischen Fragen mit politischen Interessen ein umfassender friedlicher Religionsausgleich im Reich inzwischen nicht mehr erreichbar erscheint. Immerhin kann Karl V. den hessischen Landgrafen im Regensburger Geheimvertrag (Juni 1541) auf eine Unterstützung der habsburgischen Politik verpflichten - und zwar nicht nur mit Blick darauf, die Wiederherstellung der Glaubenseinheit in Deutschland jetzt und künftiglich zu fördern. Im Gegenzug erhält Philipp in einem von Karl V. unterzeichneten kaiserlichen Diplom die lange ersehnte reichsrechtliche Anerkennung seiner protestantischen Universität zu Marburg.
Dem hessisch-habsburgischen Abkommen von 1541 ist jedoch keine allzu lange Wirksamkeit beschieden: Nachdem die Protestanten eine Teilnahme an dem Konzil von Trient (1545-1563) abgelehnt haben und die Schmalkaldener unter Bruch der Reichsverfassung in Braunschweig-Wolffenbüttel eingefallen sind und Herzog Heinrich gefangen genommen haben, sucht Karl V. nun die militärische Entscheidung. In der Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547 erleidet der Schmalkaldische Bund eine vernichtende Niederlage, und seine beiden Hauptleute, Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen, geraten in langjährige Gefangenschaft des Kaisers.
Der Versuch Karls V., seinen großen Sieg zur Wiederherstellung der Kircheneinheit im Reich zu nutzen, bleibt jedoch am Schluss erfolglos: Im Augsburger Interim von 1548 strebt Karl V. eine Zwischenregelung in der Religionsfrage an, die bis zur Beendigung des Trienter Konzils gelten soll: Den Protestanten wird der Laienkelch und die Priesterehe zugestanden, ansonsten aber der tradierte katholische Ritus (Beibehaltung der Messe, Heiligenverehrung und Sakramentslehre) verpflichtend gemacht. Das Interim wird sowohl von katholischer als auch protestantischer Seite abgelehnt und bleibt ohne nachhaltige praktische Auswirkung, bevor es nach dem Fürstenaufstand gegen Karl V. im Passauer Vertrag 1552 außer Kraft gesetzt wird. Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen kommen wieder frei - und ein unbefristeter Religionsfrieden soll auf dem kommenden Reichstag (Augsburg 1555) verhandelt werden.
Confessio Augustana Variata 1540
Philipp Melanchthon, der maßgebliche Verfasser der Confessio Augustana von 1530, hat mit Luthers Abendmahlslehre der Realpräsenz von Leib und Blut Christi nie in Gänze übereingestimmt. Schon in der Wittenberger Konkordie von 1536 wurde ein erster Kompromiss in der Abendmahlsauffassung mit den Reformierten in Oberdeutschland und Straßburg gesucht. In Vorbereitung der Regensburger Religionsgespräche und des Regensburger Buches von 1541 modifizierte Melanchthon schließlich den strittigen Art. 10 der Augsburger Konfession so, dass auch Calvin und die Schweizer Reformierten sich dieser Fassung anschließen konnten. (Confessio Augustan Variata).
Philipp der Großmütige, Landgräfliche Instruktion für das Wormser Religionsgespräch,
Marburg, 19. Oktober 1540
Landgräfliche Gesandte waren Alexander von der Tann, Oberamtmann der Obergrafschaft in Darmstadt, Hartmann Schleier, Amtmann zu Gemünden an der Wohra. Adamus Craft von Fulda, professor und superintendens zu Marpurgk, Gerhardus Noviomagus, professor, Johann Becker [Pistorius], predicant zu Nidda (PA. 553, die Räte an Feige, 1. Nov. 1540). Später war auch Feige in Worms.
HStAM PA 3, Nr. 544. Gedruckt in: Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationgeschichte, Bd. II, bearbeitet von Günther Franz, Marburg 1954, S. 341-348
1. Art des Vorgehens. II. Artikel. 1. Buße. 2. Rechtfertigung. 3. Taufe. 4. Messe und Sakrament. 5. Pfaffenehe. 6. Mönche und Nonnen. 7. Speise und Fasten. B. Zeremonien. 9. Bilder. 10. Geistliche Güter. 11. Bischöfliche Gewalt. 12. Gewalt des Papstes. 13. Freier Wille. 14. Vorsehung Gottes. 15. Anrufung der Heiligen. 16. Fürbitte für die Toten. 17. Doppelehe.
[I.] Erstlich sollen sie das kaiserlich furtragen, so uf diesem tage geschehen wirdet, wol anmerken und vernemen, was der kaiser fur ein handlung gestatten und geben will. Darnach hat man sich in vil wege zu richten. Darnach sollen sie in allewege mit er Jacob Sturmen und doctor Martini Bucers rat in den sachen handlen, wie man den anfang des gesprechs soll machen. So werden sie auch hören, was die andern stende, sonderlich di Sachsischen churfurstischen geschickten, der-halben werden anzaigen, doch soln sie sich in allewege hierin mehr nach Sturmen und Buceri mainung 1) dan nach den andern richten.
Zum 2. sollen sie allen vleis tun, sovil immer mit got und gewissen leidlich, menschlich und muglich ist, ob man kommen möcht zu vergleichung der religion.
Zum 3. ist unser rat, das sie in allewege vil der altvetter schrift, alten kirchen und concilien brauchen, also höret mancher umbstender, das wir diese dinge nit allein ausser schrift alts und neues testaments zogen, sondern das die altvetter, kirchen und concilien der dinge mit uns ainig weren, und hierin sollen sie kamen vleis sparen.
[II.] Volgend die articul specifice, davon aufm bemelten tage gehandelt werden soll.
Zum 1.: Von der b u s s e ists ungezweifelt, das die gotlich schrift inhiltet und got haben wil, das die mentschen sollen busse tun, wie dann Cristus und Johannes sagen: Tut busse, busse ist nun nit anders dann abstehen von bosen leben und guts tun, den vorigen bosen wandel verlassen etc. Dieses artikels werden sich unsers achtens papisten und lutheraner liederlich [leichtlich] mit einander vergleichen. Item ob darin schon mit eingezogen wurde, wie es dan die alten gehalten, das ainer offentlich penitenz solte tun, nit dergestalt, das es darum die sunde abneme, sondern das es andern ain exempel were, solchs konten wir nit so ganz widderachten, allain, das mans nit darfurhielte, das es eben die sunde hinwegneme.
Der 2. articul. De j u s t i f i c a t i o n e. Ist der streit: die papisten wollen haben, der glaub und die werk, die von got gebotten, die machen selig; die unsern aber woln haben, der glaube mach allain one zutun der werk rechtvertig, welch wort „allein” und das die werk zur seligkait ganz nichts sein solten, die papisten am hochsten streiten. Nach unserm dunken aber weren fromme papisten und wir unsers tails wol in dem fall zu vergleichen, dann wir je bekennen mussen, so wol als geschrieben stehet, das der glaube rechtfertig mache one zutun der werk, also widerherumb stehe auch geschrieben, das got die werk der lib Ionen wil, das sie uns in die ewig hutten nemen werden, und das dieser ein weiser man sei, der sein haus uff ain velsen baue [Mt. 7, v. 24], und der spruch unzelig vil. Darumb wils unwidersprechlich den verstant haben, das der glaub uns vor got rechtfertige, doch ein solcher glaube, so es der mentsch an der zeit und stunde hette zu leben, das er gute werk tun wurde, und solche werk, die got gebotten und aus der lieb gottes herfliessen, auch dem negsten zu gut kommen. Ein solcher glaube, der tetig ist durch die lieb, machet vor got recht fromme und selig und wirdet also dem mentschen die seligkait geben umb des sterbens und leidens Jesu Cristi willen, so er das annimpt durch den glauben. Dem glauben volgen durch die liebe gute werk, und werden die werk belonet, auch mit der seligkait, wie Cristus spricht [Mt. 10, v. 42] von dem kalten drunk wassers in jener weit, nit um irer wirdigkeit noch umbs mentschen tun willen, sondern umb der verheissung und zusagung gots willen, und darumb konnen die reden wol uf beiden seiten gelitten werden: der glaub macht selig, widerumb der glaube und die werk, die von got gebotten sein, machen selig, wie wir oben davon geschrieben. Und derowegen will in allewege not tun, so man so weit in disputation von diesem artikel kerne, das alsdan etzlich herzutretten und sagten: lieben hern, ir seiet in diesem punct im grunt nit unainig, sondern nur in worten, und dieses extendirten, wie wir itzo davon geschrieben haben. Darumb were gut, so man sich des vergliche, das man den artikel dermassen stelte, das die prediger solten sagen und verkundigen, das wir durch die grosse barmherzigkait gots und sterben und blutvergiessen Christi erloset und selig gemacht weren one zutun alle unser werk sovern, das wir das vestiglich und gruntlich gleubten. Darneben wolte uns aber geburen, auch gute werk zu tun, aber doch solich werk, die got gebotten, und die aus liebe gots und des negsten herfliessen, welche werk uns auch got hie und dort, zeitlich und ewiglich belonen wurde, nit umb unsers verdiensts oder werk, sondern umb seiner zu-sage willen. Wann die prediger dermassen und mit besserer geschicklichkait, dann wir hie schreiben, davon predigen, erstet [zunächst, vorerst] die busse von abstehung des bosen lebens wol triben, und sagten, dem Volk, der laster, die Paulus specificiret, da er spricht [Ga]. 5, v. 21]: welcher in solichen lastern bleibe, der werde das reich gots nit ererben, mussig zu stehen, so wurde one zweivel ain wol gezogen volk und hiedurch weder dem glauben noch den werken was abgezogen noch keinem zu vil zugegeben. Was sie nun von alten haben, die hierzu stimmen, als Ambrosius, Augustinus, Georgius etc. desgleichen die alten concilia, die mögen sie hierzu auch allegieren, mit bestem vleis.
Der 3. artikel, die tauf betreffend. Ist das der rechte tauf: im namen des vatters, sons und heiligen gaists, wie es Cristus hat eingesetzt, und das man sie leret halten alles das, so Cristus bevolen hat. Was man nun vor zusetz darzu tut, di nit wider got sein, die nit ainer zauberei oder ainem solchen segen gleich sehen, wi solchs die alt kirch gepraucht hat, das lassen wir uns nit ubel gefallen. In was sprache aber solch tauf geschehen solt, dweil Paulus amen verstendigen gotsdinst haben wil, dann er spricht [1. Kor. 14, v. 8], ein pausan [Posaune] gebe kamen verstendlichen tone, so deucht uns, das mans in teutsche bleiben liesse. Doch solts auch lateinisch geschehen, so wolten wirs auch nit zu sehr streiten.
Der 4. artikel belangend messe und s a c r a m e n t a. Da mussen sie auch brauchen die alten. nachdem wir hören, es solte klar sein, das man kain messe gehalten one communicanten und dan Cristus und die apostel und die alten kirchen den brauch auch also gehalten fur und fur, so achten wir, wan man die alten dermassen anzihe, es werden die papisten, sie wolten dan gar pertinaces bleiben, sagen mussen, es sei unrecht, meß zu halten one communicanten. Es werde auch kain zweivel da, sonder zu beweisen sein, das mans sacrament in beider gestalt gegeben habe und geben solte. Wolte man aber den papisten, wann sie sich sunst in andern dingen mit uns vergleichen, des tags noch ain messe, doch die messe weder gelobt oder gescholten, zulassen umb verhoffnung willen, das inen got mit der zeit mehr gnad verleihen mocht, solchs wolten wir den andern unsern mitstenden zu bedenken heimgestelt haben.
Der 5. artikel berurend die p f a f f e n e h e. Ob die alten wol hierin nit mit uns sein, so ists aber doch in der schrift clar, es were wol gut, das wir solch pfaffen konten haben, die kainer weiber bedurften, es ist aber nit muglich, sie seint auch nit zu finden in solcher grossen anzale. So hat man gesehen, was misbrauch und schendlichs leben aus der vermeinten keuschheit der pfaffen gevolgt. Dweils nun die schrift alts und neues testament so clar zulesset, so mus man desfals die altvetter uber gots wort nit erheben. Darneben kan man dannost anzaigen, das der pfaff nuntius offentlich im concilio solchs widdersprochen hat. Item wann die gaistlichen solten solcher keuschheit geleben, und man solt so hart uber dem haben, wie die canones aussenweisen, wan ein pfaff ein weibsbild bei sich hette und man sie so hart drumb strafte, so wurden sie wol lernen, wie sie weiber solten nemen. Item man hat auch anzuzaigen, das vor nit so langer zeit unser pfaffen in teutscher nation weiber gehabt, bis inen Meintz die genomen.
Der 6. artikel berurend die j u n g f r a u s c h a f t, muncherei, nonnerei. Dweil aus solchem orden sovil misbrauchs gevolgt ist, nit allain, das sie haben ir werk der weit verkeufen und di damit in himel zu pringen gewoltet, auch damit die gnugtuung, so Cristus vor uns getan, verringert und ander abgotterei, die sie getrieben, sondern auch, das sie vil sodomitische hendel in clostern geubet, auch die nonnen vil kinder umbpracht und andere grausame hendel getrieben, dweil dann Paulus spricht [1. Kor. 7, v. 25], von jungfrauen hab er kain gebot des herren, so ist nit besser, dann solch ding ganz ab-getan und an ire stat aus den clostern studia, die jugent drin aufzuziehen, und spital der armen zu machen und sunst zu cristlichen, guten, milten werken die zu brauchen. Wolte man aber etlich leute drin ufziehen, die sich von der weit absonderten, ehrlich, zuchtig leben drin furten, die man heut oder morgen mocht zu predigern brauchen, solchs solt uns auch nit ubel gefallen, doch one alle gelubte der keuschait, das sie auch zu irer gelegenheit widder herausser gehen und sich verhairaten mochten. Wolte man auch in solchen clostern etliche witwen haben, die doch der jar veraltet weren, und der kranken warteten, solte uns gleichfals nit misfallen. Wolte man auch in solchen clostern jungfrauen aufziehen, doch one alle gelubte der keuschait und das sie sich mochten verhairaten zu irer gelegenheit, das lassen wir gescheen, wiewol wir befaren, es mocht die lenge in ainen misbrauch geraten, doch konten wirs nit wol weren.
Der 7. artikel betreffend speise und fasten. Diesen artikel stellen wir, wie sich der zu vergleichen schickt, ob man schon etzlich fasttage widder anrichtete und unter zeiten etzlich speise veranderte, dweil die vierzig tagige fast dannost lang gewesen etc., aber nit, das man darumb dadurch die seligkait wolt erlangen, sondern den alten damit ein etzwas nachvolgte, so were wol um vergleichung und christlicher liebe willen was nachzugeben, dweil doch Cristus von uns auch er-fordert, unsere corpor zu casteien.
8. artikel, betreffen die c e r e m o n i e n, es sei singen, dingen, hore canonice etc. Nachdem die ding sein, die unser gewissen nit sollen verbinden, ist unser mainung, das man sich in dem vergleiche, wie man konne. So ists auch dannocht nicht so bose; dan das gemein volk dardurch angereizet wirdet, dest eher in die kirchen zugehen.
9. artikel, berurend die p i 1 d e r. Wann man unser mainung wolte folgen, solte man die ganz abtuen, dan sie im alten testament heftig verbotten sein, sonderlich auch Johannes spricht [1. Joh. 5, v. 21]: 'hutet euch vor den abgottern.' Wil man aber etlich bilder leiden, doch das den, so di iren abgetan, nit ufgelegt werde, die widder aufzurichten, so lassen wirs auch gescheen, aber doch das di prediger in der predig die bilder aus der mentschen herzen bringen und in allewege die bilder, dafur man gebetet und mit welchen man abgotterei getrieben, hinweg tue.
Der 10. artikel, angehende die g a i s t l i c h e guter, sollen sie anzaigen, das wir niemants mit gewalt aus den clostern unserer lande getrieben, sondern denen frei gelassen drin-zubleiben ader herauszugeen, sich zu beweiben, ze bemannen und sunstet erlich zu neren. Welch auch also aus gutem willen herausser gegangen, denen hetten wir ehrliche abfertigung getan. Do auch deren aus ungutem willen, doch one unser tringen, herausser gelaufen, mit denselbigen hetten wir uns auch in der gute abgefunden, wie dan noch etzliche closter in unserm land, darin ordenspersonen weren. Dweil nun dergestalt die closter mehrtail ode gestanden, so hetten wir die besten gaistlichen guter zu zweien spitaln der armen 2), zwei spital des adels 3), die andern zur universitet, darnach etlich vil closterguter und der besten closter ains ganz 4) zu underhaltung der pfarrer gegeben. Darumb hetten wir etwo noch kaumbt vier, wiewol vast geringe closter, die trugen uns nit sovil nutzens als wir sunst von clostern, do die noch in irem closterlichen wesen gestanden, gehabt, dann sie musten uns der zeit wagen, atzung, lager und anderes halten, taten uns auch vil steuer mit gelt und andern. Und wiewol wir vil in der religion sach ufgewendet, welchs auch uns die vier closter, wan wir die schon behilten, nit erstatten mochten, so wolten wir doch, was sie desfals machen werden, das man solch guter solt wenden zu cristlichen guten und milten werken, an uns kain mangel sein lassen, doch das andere sich auch dahin weisen lassen. Es ist unser mainung, das man billich die gaistlichen guter zu den dingen, darzu sie geben, solt kommen lassen, als zu schulen, spitaln, stipendien, pfarr zu versehen und armen zu erhalten etc., dann einmal ist der stifter mainung gewesen, ire gaben zu gots ehr zu wenden. Ist nun die papistische mainung unrecht, so soll mans nun zu rechten gots werken und dinsten wenden. Dweil auch die canones vermugen, das man allen stenden, die verarmet weren, helfen solle von solchen kirchengutern, und die canones vil wege anzaigen, wozu man sie brauchen solte, so mus druf verdacht sein, ob etliche stende ire erbguter der religion halben verpfendet, das man inen dannost darmit auch zustatten komme.
Item nachdem Wurtemberg und Lunenburg in verdorben land kommen, das man den die gaistliche guter so lang volgen liesse, bis sie ire jerlich intraten und einkommen widder erledigen mochten, dann sunst one das konten sie sich nit enthalten, den gemeinen man mit steuer zu hart zu beschweren.
Gegenclage.
Hirneben mus man widerumb die bischove und gaistlichen beclagen, desgleichen auch die weltlichen auf jener partei, das sie die gaistlichen guter unrecht brauchen 5), das sie widerumb restituirten die bischtumb Utricht, Hildenshaim etc. und dann die weltlichen die grossen schatzungen, damit sie die closter teglich beschweren, dermassen, das die closter lenger nit wol konnen bleiben, als herzog Heinrich von Braunschweig tut, als die hern von Bayern tun etc. Item da der bischof zu NIaintz carthausen und closter seinen hovereten hinweggeben hat, item der Rhornisch konig etlich closter hinweg geben hat, item der konig solch schatzung von clostern in Schlesien und Bemen genomen und dargegen etzlich dorfer erblich verkeufen hat lassen. Nun die gaistlichen sonderlich anzuclagen, das sie mit den gaistlichen gutem so ubel umbgehen, die verbrossen, verzeren, zu sich ziehen, irem ambt weder bischofe, abt, prelaten, dechant, scolaster, diacones etc. und in summa ir kainer gnug tue, wie ir aigen recht und canones ausweisen, wie dan Bucerus sie dessen alle besser berichten kan, dan wirs itzo schreiben mogen. Und darumb wann jenstail vil uf die restitution dringet, so soll man sich darzu, wie obberurt, in ehrlichen christlichen dingen, doch nit widder neue munch ader nonnen ader dergleichen zu machen erbieten, doch das die weltlichen und gaistlichen jenstails die kirchen auch widder restituiren.
Der 11.artikel belangend den bischovelichen gewalt. Wann sie wolten recht bischove sein, irem ambt gnug tuen, nach inhalt der canonum sich halten und iren pracht fallen lassen, so wolten wir gern inen die jurisdiction concediren, sovern das sie die sach auch nit anders angriffen dan sich der schrift nach gepurt. Dweil sie aber itzunt weder in leer noch leben, wie Paulus ainen hailigen lerer abmalet und die canones mitpringen, weder wenig oder vil sich gemes halten, so ist inen das kirchenregiment nit zu vertrauen, und darumb, wo man es kont, uf die mittel bringen, das sie fromme unterbischove hetten, di irem ambt gnug teten und liessen die guter, da sunst tumerei neben den hohen stiften sein, darzu fallen und das in ainem itzlichen zimlichen furstentumb solcher unterbischove drei ader vier weren, wie itzo in unsern landen die superintendenten sein, das were unsers verstants die beste ordnung, die man in der sach itziger zeit finden konte. Also mocht man lassen die andern grosse stift weltlich hern sein und sie doch bischove nennen [Vorlage: nemen] dergestalt, das sie weren aufseher uf die unterbischove und ire hanthaber, das inen kain gewalt geschehe. Desgleichen liesse man die tumbhern uff denselben stiften rete der oberbischove oder solang tumbhern sein, bis got mit inen besser mittel schickt, doch in allewege mussen die bischove in unsern landen nichts zu schaffen, sondern ein [Vorlage: in] ides land sein aigne bischof haben, wie dann itzo geschicht mit den supraintendenten.
Der 12. artikel vom g e w a l t d e s b a b s t s , stunde unser bedenken, wan er from und christlich were und sich wolt reformiren lassen, das er alsdan macht solte haben, ain concilium zu benennen. Doch wo ers nit tun wolt, das dann kaiser, konig und fursten freistunde, ain concilium auszuschreiben und zu halten. Er solt auch nit gewalt haben, bischove zu setzen ader zu entsetzen, oder denen in ir regiment zu tragen oder neue gesatz oder ordnung zu machen. Desgleichen solt in seiner macht nit stehen, die annaten und pallia zu vorkaufen. Wolten aber die Italianer und papisten inen weiter dulden, das liessen wir geschehen, doch das man widder sein misbreuch zu reden und zu schreiben hette uf diese mainung, was man sich itzo zu Worms ader dem volgenden reichstage verglieche, das er solchs nit endern solt, wie sich auch ain babst halten soll. Des seint vil canones furbanden, zu deme so ist zu allegiren, das ain patriarch zu Constantinopel und bischof zu Alexandria eben den gewalt gehabt, den ein Rhomischer bischof gehabt.
Der 13. artikel vom freien w i l l e n. Wir haben wol amen willen, aber nit frei, sondern dermassen eingezogen, das das tun ader lassen in sachen die seligkeit betreffend nit bei uns, sondern bei got und seinem gaist stehet, aber in euserlichen, zeitlichen, weltlichen dingen ist ja wol ain wille, doch knechtlich und gefangen.
Der 14. artikel von der v o r s e h u n g g o t t e s. Got hat alle ding zur seligkeit ader verdamnus versehen. Wen er aber zur seligkeit versehen, dem gibt er erst sein wort und gaist, daraus volgt der glaube und aus dem rechtschaffenen glauben gute werk der liebe. Wer aber zu verdamnus versehen, dem gibt er sein geist und verstant des worts nit und verstockt ine, daraus folgen alle frucht des unglaubens und schandlicher und boser werk, und verdient also die verdamnus.
[15.] Von h a i l i g e n a n r u f u n g und ehrerbietung, ist das hailigen anrufen abgotterei, dann Cristus der warhaftig mitler und furbitter ist; das man sie aber dergestalt ehre, das man ires lebens und leidens gedenke als zu ainem furbilde, deme nachzuvolgen sei, solchs widderachten wir nit, aber alle walfarten seint abgottereien und werden billich abgetan.
[16.] Von bit vor die toten. Dieselbig bit achten wir vergeblich aus vilen grunden, und das man derowegen billich die vigilien, seelmeß und dergleichen begengnus abstelle, dan ad Hebreos [10, v. 18] stehet: Wo solche vergebung, ist nit opfer fur die sund; in Jeremia [31, v. 34] : Got wil unser sund nimer gedenken. Wer glaubt, hat das ewig leben und wirt nit gericht [Joh. 3, 36]. Vor solchen darf man nit bitten, dan sie seint selig. Wer nit glaubt, ist gericht, fur den ist nit zu bitten. Wie auch im Job stehet [7, v. 9]: In der helle ist kain erlosung. Im Marco, dem evangelisten, stet [9, v. 44]: "Jr worm wirt nit ersterben und ir feuer wirt nit verleschen." Was hilft dann fur sie zu bitten. [ ... ]
Marpurk, dinstag nach Galli 1540.
[17.] Sonderlicher memorialzettel fur unser geschickten zu diesem gesprechstage, articul der d i g a m i halben, ist unser mainung, wan man diesen articul nit anreget, so sollen ine unsere geschickten auch unangereget lassen. Wurde man den aber anregen, so sollen sie daruff verdacht sein, das sie diesen articul nit weiter verengern, einziehen oder verknupfen lassen, dan er itzo ist. Und ob man ain gemein gesetz wolte machen, das niements noch ain weib nemen solte, so sollen sie doch in allewege dis furbehalten, wann ainer trefflich erhebliche ursachen hette, noch ain weib zu nemen, das alsdan desselbigen weibsnemers bischove, beichtvatter und obrigkeit in diesem fall mit demjenigen, der es, wie berurt, aus notturft und trefflichen ursachen tete, zu dispensiren macht hetten, oder das das urteil und gericht von ehesachen beiden, fursten und oberkaiten, sambt derselbigen superintendenten und gaistlichen und weltlichen reten, inmassen wie das itzt stehet, bleiben moge.
Ausfertigung mit Siegel und eigenhändigerUnterschrift des Landgrafen.6)
1) Die Gesandten sollten u. a. mitnehmen, des Buceri schrift, so er jungstlich an uns getain, daraus sie vil zurichtung in diser sach schopfen mögen (Lenz 1, 215 Anm.).
2) Damals waren erst Haina und Merxhausen gestiftet.
3) Kaufungen und Wetter.
4) Spieskappel
5) Nota, das der Römische kunig vom babst und kaiser consens erlangt erstlich den dritten und darnach den viertenteil aller geistlichen ligenden guter erplich zu verkeufen, inmassen den auch gescheen. Von der Hand Bings eingefügt.
6) Adam Krafft schreibt (als Beilage zu dem Schreiben der Räte vom 13. Nov. 1540) dem Landgrafen: Dweile wir die theologen bis anhere nichts haben zue tuen gehabt, ist von allen vor gute angesehen worden, das wir von unsern grunden und probationibus auch des gegenteils objectionibus und wie dieselbigen mochten solide aufgelost werden, uns unterreteten und sein also etliche male bei eine gewesen. Ist candide, docte et humaniter conferirt worden. Und haben articulum iustificationis und applicationem missae pro vivis et mortius exerciert aufs fleissigst und zweifel nicht, es solle deutliche und gewaltliglich von den unsern gehendelt werden. Ob aber adversarii sich wollen der warheit unterwerfen, steht bei gottes gnaden. De votis monasticis haben wir itzo vor henden. Aber das lustigste und frolichste in unserm colloquio ist das, das alle concionatores so gare einig und fridlich sein und nicht als umb ein bare des vorigen dissidii gedacht wurde. In summa, es ist summus consensus in doctrina. Er bittet, E. F. G. wollen den predicanten bevelen, das sie ecclesias anhalten zum gebete. So hoffe ich, got solle viele gnade mitteilen. [ ... ] (PA. 553).
Erster Vortrag Kaiser Karls V. zur Religionsfrage auf dem Reichstag zu Regensburg, 5. April 1541
In Anknüpfung an das Hagenauer Religionsgespräch schlägt Karl V. die Bildung eines ständischen Religionsausschusses vor. [Auszug]
Corp. Ref. IV, S. 151-154. Hier zit. nach Alfred Kohler (Hg.), Quellen zur Geschichte Karls V., Darmstadt 1990, S. 248-250
Und nachdem auf mehr gehaltenen Reichstägen der streitigen Religion halben Handlung vorgenommen und bedacht worden, daß derselbe Streit und Zwiespalt unserer christlichen Religion durch keinen fruchtbarern und geschicklichern Weg hingelegt, und zu einhelligem, gleichmäßigen Verstand gebracht werden möge, denn durch ein gemein christlich Concilium: so hat ihre Majestät solchen Weg an die Hand genommen, und keinen möglichen Fleiß, Mühe noch Arbeit gespart, damit solch Concilium ausgeschrieben und gehalten würde, und sonderlich wie solches auf jüngstem Reichstag allhie zu Regensburg im nächst verschienem 32sten Jahr der mindern Zahl bedacht und verbscheidet worden ist [...]
Nun hätten sich ihre Kais. Maj. aus ihren Niedererblanden zu diesem Reichstag gefördert, und unterwegs, so viel ihrer Maj. möglich gewesen, Beeilet, unangesehen ihrer Majestät Leibes Schwachheit und sonst allerlei Gebrechen und Verhinderungen, so ihrer Maj. zugestanden. Zu dem hätte ihre Maj. auch nicht unterlassen, bei Päpstlicher Heiligkeit anzusuchen, und solches erhalten, daß Seine Heiligkeit vermöge des Hagenauischen Abschieds ihren Legaten insonderheit hieher verordnet, christliche Fried und Einigkeit fördern zu verhelfen. Und hat derhalben den hochwürdigen Cardinal Contarenum, als einen Liebhaber des Friedens und sonders berühmten verständigen Prälaten, hieher geschickt, welcher auch vor dieser Zeit allhie ankommen ist.
So denn ihre Kais. Maj. diesen jetzigen Reichstag aus oberzählten und andern hochwichtigen und nothwendigen Ursachen, im selben Ausschreiben verleibt, vorgenommen, sich eigner Person hieher verfügt, und nun eine gute Zeit der abwesenden Churfürsten, Fürsten und Stände Ankunft erwartet, die auch nunmals zum Theil in eigener Person, und etliche durch ihre Gesandten gehorsamlich erschienen, deß sich Ihre Maj. freundlich und gnädiglich bedankt, und nun der Principalpunct, darum diese Reichsversammlung beruft wäre, als obstehet, der Zwiespalt unserer christlichen Religion und Glaubens, so bisher über alle gepflogene Handlung für unerlediget, von Tag zu Tag je länger je beschwerlicher worden, daraus allerlei Mißtrauen und Widerwärtigkeit zwischen den Ständen des heiligen Reichs erfolgt, und wo man dem mit zeitlichem heilsamen Rath nicht vorkommen würde, allerlei beschwerliche Weiterung, Krieg und Empörung, als hoch zu besorgen, erwachsen möchten: so ist ihre Maj. zu solchem trefflichen und nothwendigen Werk zu helfen ganz gnädiglich geneigt und begierig, der gnädigen und gänzlichen Zuversicht, die erscheinende Churfürsten, Fürsten und Stände, und der Abwesenden Gesandte, Räthe und Botschaften, werden ihres Theils und ein jeglicher insonderheit auch nichts erwinden lassen, sondern die Sachen ihres besten Verstandes und Vermögens fördern, und deren nachgedenken.
Und es begehret demnach ihre Kais. Maj. an die erscheinenden Churfürsten, Fürsten und Stände, auch der Abwesenden Gesandten, Räthe und Botschaften, freundlich gnädiglich ersuchend, sie wollen erwägen, bedenken und berathschlagen, welcher Maßen berührter Zwiespalt in unserer heiligen christlichen Religion und Glauben hingelegt, und zu einhelligem christlichen Verstand gebracht und vereinigt werden möge, auch was und wie hierin zu handeln und vorzunehmen sey. Und damit die Stände abnehmen mögen, daß Ihre Kais. Maj. diese Religionssache als das trefflichste und höchste Obliegen darum auch gern gefördert sehen wollten, bei ihr selbst mehrmals zu Bedenken und zu Herzen genommen, haben ihre Maj. auf diesen Weg gedacht, sofern die Stände kein fruchtbarer fürträglicher Mittel wissen: daß ihre Majestät mit wohlbedachtem zeitlichen Rath, doch dem Augsburgischen Abschied ohne Nachtheil, etliche guter Gewissen, ehr- und friedliebende Personen, die auch des heiligen Reichs deutscher Nation Ehr, Nutz und Wohlfahrt zu fördern geneigt, in geringer Anzahl aus gemeinen Ständen und deutscher Nation erwählen und verordnen, die streitigen Artikel der Religion nothdürftiglich zu examiniren und zu erwägen, die auch allen möglichen Fleiß vorwenden, die-selben irrigen Puncte zu vergleichen, und alsdann, wie dieselben zu Vergleichung und Einigkeit gebracht werden mögen, ihrer Kais. Maj. auch Churfürsten, Fürsten und Ständen dessen Anzeigung und Bericht thun sollen, sich darauf desto besser haben zu entschließen, auch mit Päpstlicher Heiligkeit Legaten, vermöge des obbemeldten Hagenauischen Abschieds, zu communiciren. Und seynd ihre Kais. Maj. auf solchen Weg auch darum desto mehr bewegt, daß derselbige hievor etliche Mal zu Augsburg und jüngst zu Worms vorbehaltlich, wie obstehet, als zu dieser Sachen der bequemste, fruchtbarste und förderlichste gedacht worden ist.
Erklärung Kaiser Karls V. den kursächsischen Gesandten gegenüber zur weiteren Vorgangsweise in den Religionsverhandlungen, 18. Mai 1541
Beratungen über eine »christliche Reformation" durch sechs Theologen. Ablehnung eines 18- bis 19köpfigen Theologengremiums. Diskretion über den Inhalt der Beratungen.
Corp. Ref. IV, S. 293-297. Hier zit. nach Alfred Kohler (Hg.), Quellen zur Geschichte Karls V., Darmstadt 1990, S. 250- 254 [Auszug]
Den achtzehnden Tag Maii hat die K. Maj. die Chur- und Fürstl. Sächsischen gesandten Räthe zu sich in die Herberg fordern und auf folgende Punkt Anzeigung thun lassen.
Erstlich, wie ganz väterlich gnädiglich und wohl es die K. Maj. je und allweg gemeinet, an keinem Fleiß noch Mühe erwinden lassen, damit Fried und Einigkeit in der Christenheit möchte gemacht werden. Ihre Maj. hab sich auch derhalben aus ihrem Hispanischen Königreich in deutsche Land verfügt, solche Sachen zu fördern, darauf auch die Handlung allhie angefangen. Und wiewohl Ihre Maj. den Weg für den besten angesehen, daß etliche wenige Personen zusammen verordnet (würden), die sich von den Sachen christlich und freundlich unterreden sollten, so würden doch 1. Maj. berichtet, daß sich etliche dieses Theils Theologen so hart erzeigten, daß wenig fruchtbarliches, da sie dergestalt verfahren würden, zu verhoffen, und also Ihre Reise, Mühe und Arbeit dießfalls vergebens angewendet haben würden.
Aber dieweil Kais. Maj. nicht zweifelt, der Churfürst zu Sachsen etc. wäre nicht weniger, denn Ihre Kais. M., zu christlicher Einigkeit geneigt, wie sich deß ihr Churf. Gn. mehrmals vernehmen lassen und erboten. daß auch wir als Ihre Chfl. Gn. Gesandten und Räthe sonder Zweifel geneigt wären, so hat Ihre K. M. solches im besten uns anzuzeigen nicht unterlassen wollen. Und wäre Ihrer K. M. ganz gnädigs Begehren, das Beste zu rathen helfen und zu mitteln, und die Theologen zu erinnern und zu vermahnen, daß sie sich freundlich und schiedlich halten wollten. Denn gemeldte Theologen sollten dem christlichen Glauben nichts geben oder nehmen, sondern ihr Befehl erstrecke sich dahin, die Sache christlich zu berathschlagen, zu bewegen, und dann zu berichten, damit man also zu christlicher Vergleichung kommen möchte.
Man breche etwas wohl ein altes Haus abe, daran doch die Steine und anderes zu Wiederaufbauung eines andern dienstlich, und nützlich seyn möchte nicht zu verwerfen, sondern zu gebrauchen: also, dieweil viel Mißbrauch ein-gerissen, die man von diesem Theil angefochten, müßte man derhalben was gut wäre nicht gar verwerfen, wie denn vielleicht mit etlichen geschehen seyn möchte. Derwegen so wollten wir die Herren Theologen, sich christlich und schiedlich zu halten, vermahnen. Und hätte die K. M. im Besten bedacht und verordnet, daß die sechs Theologen allein unter sich handeln, und die Ding bewegen sollten. Denn wo ihrer mehr und in zu großer Anzahl bei einander seyn sollten, wäre zu besorgen, daß sie so viel desto beschwerlicher zur Vergleichung kommen möchten.
Und dieweil die K. Maj. angelanget, als sollten in die 18 oder 19 Theologi dieses Theils1) als zu den drei verordneten täglich kommen, damit auch die Stände dieses Theils Consilia hielten, vielleicht einer der, und der andere einer andern Meinung wäre, und also die Concordia dadurch wenig gefördert: so wollt I. Majest. gnädiglich begehrt haben, mit den unsern davon auch zu reden, damit solches verbliebe. Denn Ihre Maj. hätten es auf dem andern Theil auch abgeschafft, hörten auch nicht, daß es geschehe.
Es wäre aber Ihrer K. M. nicht entgegen, daß dem Landgrafen und uns, auch andern vertrauten Personen der Sachen Bericht geschehe, und sie, die Theologen, sich mit uns unterredeten.
Es würde auch Ihrer M. berichtet, daß ein Prädicant neulich anher kommen,2) welcher zu unsrer Herberg gepredigt haben soll, daß der Kais. Maj. Gemüth nicht dahin gerichtet, daß sie zu christlicher Vergleichung geneigt, sondern es würde von 1. Maj. viel anderes gemeint und gesucht. Aber Ihre Maj. wollten Gott, sie und andere zu Zeugen nehmen, daß ihr Gemüth nicht anders stünde, denn daß sie diese Sache zu einer rechten christlichen Einigkeit auch Frieden und Ruhe fördern und richten möchten, und wenn der Allmächtige Gnade verleihen würde, daß die Lehre etwas zu Vergleichung gebracht, wollten sich Ihre Maj., so viel sie belanget, und Ihr zu thun gebührt, also halten und erzeigen, daß an I. Maj. kein Mangel sollte befunden werden, und sollt ein jeder nach seinem Vermögen, damit er christliche Vergleichung treffen möcht, treulich und fleißig fördern.
Und ob der Papst zu einer christlichen Reformation gleich nicht würde geneigt seyn; so sollten Ihre Majest. mit Rath und Zuthun der Churfürsten, Fürsten und Stände dahin trachten, damit eine christliche Reformation der Kirche erfolge. Welches alles die K. Maj. ihnen, den gesandten Räthen, gnädigster Meinung hat wollen lassen anzeigen.
[...]
Die Kais. Maj. hat, nach kurzer Unterrede mit ihren Räthen, dem Herrn von Bratho, Granvel und Doct. Naves, wiederum lassen anzeigen:
Erstlich hat I. M. zu gnädigstem Gefallen und Dank angenommen, daß man dieses Theils zu Friede und Einigkeit geneigt, und daß I. M. Meinung auch nicht anders sey, denn bei dem göttlichen Wort und Wahrheit zu bleiben. Denn wir hätten beiderseits Eine Schrift, alt und neu Testament; aber des Verstandes halben fiele Ungleichheit vor, darum I. M. die Zusammenverordnung der Theologen, als vortrefflich gelehrter, frommer und gottesfürchtiger Leute, bedacht, die Sachen von den streitigen Punkten zu unterreden, die Dinge zu rechten einhälligen Verstand zu bringen. Denn wie Ein Glaub wäre, also wäre auch nur Ein einhälliger rechter Verstand der Schrift, und wäre I. M. Meinung und Gemüth nicht anders, denn daß die Wahrheit gesucht und erforscht möchte werden.
Es hätte sich auch die Handlung in der erst [ersten Zeit] ziemlich angelassen, aber hernach in etlichen Puncten gestoßen, darum sollte man die Theologen, wie begehrt, sich freundlich und schiedlich zu halten, vermahnen. Denn dieser Handel wäre auch ganz unverbindlich, und stünde bei Churfürsten, Fürsten und Ständen, sich auf der verordneten Sechs Unterrede und Handlung zu erklären und vernehmen zu lassen.
Des Prädicanten halben beschwert sich I. M. für ihre Person nicht besonders, denn I. M. müsse geschehen lassen, was man von 1. M. rede, wüßten aber vor Gott zu bezeugen, daß sie die Sachen treulich und wohl meineten, und ihr Gemüth nicht anders denn zu christlicher Vergleichung stünde. Und hätten I. M. vornämlich darum lassen anzeigen, daß sie besorgten, durch solche Reden möchte das christlich gute Werk verhindert werden, welches I. M. zum höchsten beschwerlich.
Daß aber die Sachen des Gesprächs halben durch etliche ausgebreitet und lautbar gemacht worden, lassen I. M. beruhen, von welchem Theil es geschehen, dann I. M. habe verschafft, niemands denn denjenigen, so davon Wissens haben sollen, solches zu berichten. Es wollten aber I. M. bei jenem Theil ein gleiches verfügen, die Sachen nicht ferner, denn dahin es gehöret, auszubreiten, und daß den Theologen solches auch angezeigt würde.
Und wären Ihre K. M. an unsrer Antwort und Erbieten gnädigst und wohl zufrieden.
1 Gemeint sind die evangelischen Theologen.
2 Nikolaus Amsdorf.
Regensburger Buch, 1541 (Titelblatt)
Landgraf Philipp an Georg v. Carlowitz, Zapfenburg 1542 November 30.
[1] [...]
[2] Was aber Dein Schreiben an den König [Ferdinand] betrifft, von dem Du Uns eine Abschrift zugeschickt hast, so haben Wir dieses ebenfalls verlesen lassen.
Der erste Artikel Eures Schreibens gefällt uns nicht schlecht, wenn es nur allein bei Ungarn zu erheben wäre und es der Türke zulassen würde.
Der Artikel bezüglich der Religion gefällt uns auch gut, er hätte allerdings noch vollständiger sein können. Andererseits können wir nachvollziehen, dass Du dem König als einem schreiben musst, der in diesen Dingen der Religion noch keine ausreichenden Grundlagen besitzt.
Wenn man es nun dahin bringen könnte, dass die Päpstlichen [zu einem Konzil] zusammen kämen und dort miteinander die Ordnung ihrer Kirche reformierten und die Missbräuche abstellten, so wäre dies vorläufig von ihrer Seite entgegenkommend genug. Das Übrige würde sich im Lauf der Zeit noch einstellen.
[…]
Wir haben aber bei uns an einen anderen Weg gedacht, wodurch ein Ausgleich unter den großen Häuptern und Potentaten herbeigeführt werden könnte, nämlich auf diesen; Wenn es bewerkstelligt werden könnte,
- dass der Kaiser dem Franzosen Mailand überließe und dass der Franzose und das Reich dem Kaiser dabei helfen würden, die Romagna d. h. sämtliche weltliche Herrschaften des Papstes einzunehmen – wobei dem Papst ein angemessener Unterhalt belassen würde, indem er in seinem ursprünglichen Amt eines Bischofs von Rom verbliebe,
- dass man Florenz und den anderen [italienischen] Städten, die in früherer Zeit zum Reich gehörten, wieder zu ihren angestammten Freiheiten verhelfen würde und
- dass sich folglich der Franzose im Besitz von Mailand und der Kaiser im Besitz der Romagna befände und so die großen Häupter in Italien gleich stark wären – indem der Franzose Piemont und Mailand, der Kaiser aber Neapel und die Romagna besäße –
so würde das Misstrauen zwischen den Großmächten beseitigt sein. [...]
Denn ohne eine derartige Regelung ist Frankreich bzw. sind die Königssöhne nicht zufriedenzustellen, da Frankreich eine Teilhabe an der Herrschaft über Italien durch den Besitz von Mailand und Piemont anstrebt. Im Gegenzug müsste der Kaiser den Herzog von Savoyen in Spanien abfinden.
Und wenn dann der Franzose Mailand und Piemont, der Kaiser dagegen die Romagna und Neapel besäße, so könnte zwischen ihnen auf unabsehbare Zeit Frieden herrschen.
Dann müsste auch umgehend das Konzil abgehalten und in Fragen des Glaubens ein Ausgleich hergestellt werden. Das Papstamt müsste auf seine ursprüngliche Funktion als ein Aufseher und Bischof von Rom beschränkt werden.
Gleichzeitig sollte mit dem Heer, mit dem Italien unterworfen worden ist, und mit weiterer Hilfe gegen den Türken ins Feld gezogen werden. So wäre zu hoffen, dass gegen den Türken etwas Ansehnliches ausgerichtet werde, sofern man denn Gott aus Acht und Bann täte, d. h. das Edikt von Worms [1521] und den Abschied von Augsburg [1530], insoweit es um die Religion geht, aufhebt. Denn ohne den Ausgleich der Konfessionen wird man nichts gegen den Türken ausrichten. Und ohne die Zurückstufung des Papsttums zu seinem ursprünglichen Statusfist es nicht möglich, dass die Hauptmächte, der Kaiser und Frankreich, einig bleiben. Denn er, der Papst sorgt für Uneinigkeit zwischen ihnen und richtet allen Streit an.
Zapfenburg 30. November 1542
aus: Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, hg. von Erich Brandenburg, Erster Band, Berlin 1982, Nr. 411, S. 513-14. Übertragung in Neuhochdeutsche von Ulrich Stöhr
Landgraf Philipp an Georg v. Carlowitz, Zapfenburg 1542 November 30.
1. Kammergericht. 2. Kritik des Briefes Georgs v. Carlowitz an König Ferdinand. 3. Vorbedingungen eines Friedens innerhalb der Christenheit.
Konz. M. Sachsen, Albert. Linie II, 4. — Gedruckt: Rommel, Philipp der Großmütige III, 90.
[1] Dein an uns gethanes schreiben [Nr. 407] haben wir empfangen, und inhalts lesende vernommen. Sovil nun betrifft das kammergericht, gefeilt uns Dein bedenken nit ubel; dweil aber an solchem kammergericht ein hauf böser, loser, papistischer buben sitzen, die sich auch in vielen sachen gegen uns und unsern stenden so ganz ubel und parteisch gehalten und noch, so kannst Du bei Dir selbst abnemen, dass unsern stenden solch kammergericht keins wegs zu leiden ist, sondern haben dasselbig in allen sachen recusirt; ingleichnus wirds markgrafe Jorge und andere, die nit in unser bundnus sein, auch thun; und wird das kammergericht nimmermehr gut, es werde dann reformirt und mit frommen unparteischen leuten widerum besetzt; dann sich das itzig kammergericht zu vil verdechtig helt, und wurd uns mit seinem erkennen, wann wir im solchs nachlissen, nit allein in geistlichen, sondern auch in weltlichen sachen um leih und gut zu bringen understehen. Aber an das muegen wir und die verstendnis ein unparteisch kammergericht, das mit frommen, erbarn erlichen person besetzt were, wol leiden.
[2] Was aber betrifft Dein schreiben, so Du an den konig gethan [Nr. 405], davon Du uns copei zugeschickt, haben wir dasselbig auch verlesen, und gefeilt uns der erst artikel gemelts Deins schreibens nit ubel, wenns allein bein Ungern zu erheben were, und es der Turk leiden wollte. Der artikel der religion halben gefeilt uns wol, allein wenn er vollkommner were; wir konnen aber wol denken, dass Du dem konig schreiben musst als einem, der in diser sachen der religion noch den ganzen grund nit hat. Wenn mans nun dahin bringen konnte, dass die papisten zusammenkemen und sich selbst unter einander, auch ire kirchenordnung, reformirten, und was missbreuchlich abstelleten, so wers vors erst von inen anzunemen; das ander wurde mit der zeit auch folgen. Der dritt artikel, des hz. von Gulchs halben, gefiele uns wol, wenns bei ime zu erheben were, wie wir besorgen, dass er Gellern nit verlassen wird.
[3] Wir haben aber bei uns uf einen andern weg gedacht, dardurch die grossen heupter und potentaten möchten verglichen werden, nemlich uf disen: Wenn mans dohin bringen konnte, dass der kaiser dem Franzosen Mailand ubergebe, und dass der Franzos und das reich dem kaiser hulfe, dass er Romaniam, das ist alle landschaft, die der babst innhat, einbekeme, — doch musst dem babst auch ein zimlicher underhalt gelassen werden, als dass er ein bischof zum Rom, wie von altersher, bliebe, — und dass die stadt Florenz und andere, die vor zum reich gehort,, wider zu iren freiheiten gebracht wurden; und wenn der Franzose Mailand, der kaiser Romaniam hette, und weren die grossen heupter also im vermugen einander gleich in Italia, — dann der Franzos hett Biamund und Mailand, so hett der kaiser Neapolis und Romaniam, — so wurd das misstrauen zwuschen den grossen heuptern gestillt mugen werden; dann on das ist Frankreich oder seine söne nit zufriden zu stellen, dann er will mitherr in Italia sein und Mailand und Biamund haben. Dargegen musst der kaiser den hz. von Saphoy in Spanien zufriden stellen. Und wenn also der Franzos Mailand und Biamund, der kaiser Romania und Neapolis innhette, so konnte fride werden so zwuschen inen bestendiglich. Alsdann musst auch von stund das concilium gehalten werden, und in sachen des glaubens vergleichung gemacht, der babst zu seinem vorigen stand, das ist ein ufseher und bischof zu Rom, bracht werden, und gleich mit dem krigsvolk, damit Italia gewunnen, mit merer hilf gegen den Turken geruckt und gezogen; also mocht verhoffentlich sein, dass gegen den Turken etwas stattlichs ausgericht, sofern man gott aus der acht und bann thete, das ist, das wormisch edict und augsburgisch abschid ufhube, sovil die religion betrifft. Dann on vergleichung der religion richt man nichts aus, und on sturzung des babsts zu seinem vorigen stand ist nit muglich, dass die heupter, kaiser und so Frankreich, eins bleiben; dann er, der babst, macht sie uneins und richt allen unwillen an.
Dat. Zapfenburg den 30. novembris a. 42.
aus: Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, hg. von Erich Brandenburg, Erster Band, Berlin 1982, Nr. 411, S. 513-14
1. Unterredung des Landgrafen mit dem Kaiser, Regensburg, den 22. April 1541
Es folgen noch mehrere Gespräche im April, Mai und Juni 1541
Unterredung des Landgrafen mit dem Kaiser, Regensburg, den 17. Mai 1541
Unterredung des Landgrafen mit dem Kaiser, Regensburg, den 7. Juni 1541
Regensburger Vertrag zwischen Kaiser Karl V. und Philipp von Hessen, 13. Juni 1541
[Auszug]
Verpflichtungen des Landgrafen: Unterstützung der habsburgischen Politik, ausgenommen die Religionsfrage und die bestehenden Bündnisverpflichtungen Philipps (Schmalkaldischer Bund, Rheinische Einung, Erbeinungen). Förderung der Religionsvergleichung. Unterstützung der Reichspolitik Ferdinands. Kein Vertragsverhältnis zu Frankreich, England und anderen Feinden Habsburgs (namentlich zu Kleve). Keine Aufnahme Frankreichs, Kleves, Moritz' von Sachsen, Ulrichs von Württemberg in den Schmalkaldischen Bund. Militärische Unterstützung des Kaisers gegen Geldern und Zütphen. Verpflichtungen Karls und Ferdinands: Zusage des Rechtsschutzes. Ausgenommen sind die Religionssache und ein Religionskrieg gegen den Schmalkaldischen Bund.
Lenz III, S. 91-96. Hier zit. nach Alfred Kohler (Hg.), Quellen zur Geschichte Karls V., Darmstadt 1990, S. 254-259
Regensburg, 13. Juni 1541
Wir Karl der funft, von Gottes gnaden Römischer Kayser, zu allen zeiten merer des reichs, König in Germanien, zu Castilien, Arragon, Leon, baider Sicilien, Iherusalem, Hungern, Dalmatien, Croatien, Navarra, Granaten, Toleten, Valentz, Galicien, Majorica, Hispalis, Sardinien, Corduba, Corsica, Murcien, Giemus, Algarbien, Algezieren, Giberaltar, der Canarischen und Indianischen insulen, und der Terre firme des oceanischen mers etc., Ertzhertzog zu Osterreich, Hertzog zu Burgundii, zu Lotterigk, zu Brabant, zu Steier, zu Karndt[e]n, zu Crain, zu Limburg, zu Lutzemburg, zu Geldern, zu Calabrien, zu Athen, zu Neopatrien und Wurtemperg etc., Grave zu Habsperg, zu Flandern, Tirol, zu Gortz, zu Barcinon, zu Arthois, zu Burgundi etc., Pfaltzgrave zu Hennigau, zu Holland, zu Seeland, zu Pfirt, zu Riburg, zu Namur, zu Rossilion, zu Teritania und zu Zuphen, Landgrave in Elsas, Marggrave zu Burggau, zu Oristain, zu Gociani, und des heiligen romischen reichs Furst zu Schwaben, Cathalonia, Asturia, Her in Friesland, auf der Windischen Mark, zu Portenau, zu Biscaya, zu Molin, zu Salins, zu Tripoly und zu Mecheln etc. –
bekennen offentlich mit disem brive und thuen khund allermenigclichen fur uns und den durchleuchtigsten fursten, herrn Ferdinandum, Romischen Konig, auch zu Hungern, Behem, Dalmatien, Croatien etc. Konig etc., unsern freuntlichen lieben bruder, an diesem brieve: das wir bedacht haben, das dem heiligen romisch[e]n reich nichtzit bessern geschehn mög, dann so dasselb in seinen heuptern und gelidern, und auch die glider gegen einander in rechten gnedigem, underthanigen und freuntlichen willen, frid und ainigkait stehen und ainer des andern ere, nutz und wolfart suchet. Darumb so haben wir uns fur uns und den gemelten unsern freuntlich[e]n, lieben bruder im namen des Herrn mit dem hochgebornen Philipsen, Landgraven zu Hessen, graven zu Catzenelnbogen, unserm lieben ohemen und furst[e]n zusammen gesetzt, und thun das in und mit kraft dis briefs, nemlich das unser ein teil das ander gnedigklich und treulich mainen, er[e]n und furdern soll in allen sachen, so hierin nicht ausgenomen sein. Und sonderlich so sol obgemellter unser lieber ohem und furst, der Lantgrave, sich als ain gehorsamer, treuer furst und lehenman des heiligen romischen reichs gegen uns und gemelten unsern lieben brudern und dem heiligen römischen reich teutscher nation halten und erzaigen, auch uns gehorsamen, unsern nutz und fromen furdern und schaden warnen und abwenden, sovil ime muglich, gegen yederman – doch hierinen furbehalt[e]n und ausgenomen die religionsach und was derselben anhangt, auch die buntnus und confederation, so zu Schmalkalt[e]n zwischen den religionsverwanten der Augspurgischen confession und ir[e]n in sol[c]her schmalkaldischen buntnus mitvereinigt[e]n aufgericht, oder so derhalben hernach aufgericht möchte werden; dergleichen die ainigung, so sein lieb hat mit den churfurst[e]n bei Rhein, nemlich Maintz, Trier, Pfalz, und dem bischof zu Wurtzburg, dem hertzogen zu Wurtemberg, zum tail erblich, zum tail auf ain zeit; item hertzog Ernsten und hertzog Erich[e]n den jungern, hertzog zu Bronschweig und Lunenburg, dem bischof zu Monster und dem hertzogen zu Holstein, der sich nennet ain könig zu Denmark, wie sein lieb uns und hertzog Fridrichen des gewis gemacht hat, welche arbaynung [so], buntnus und confederation uns, unsern bruder und dem heiligen römischen reich zuwider nicht aufgericht sein. Und ist solich ausnemen von seiner lieb dermassen geschech[e]n, soviel der offtgem[elten] ainung1) auf zeit gestellt und gemacht sein, das dan sein lieb mit den obgemelt[e]n cur- und furst[e]n, auch potentaten in zeitlich[e]n sachen nach verloffung der gedachten zeit sich mit denselbigen in weiter ainung [und bu]ndnus nicht geben wil, es seien dan wir und unser bruder und unser beder furstenthumb und land darin ausgenomen.
Er sol und wil auch, soviel an ime ist und [er] mit gutem gewissen mit Got thun kan, die verainigung und vergleichnus in der religion und teutscher nation jetzt und kunftigklich zu furdern und dasjene, das auf disem gegenwurtigen r[e]ichstag durch uns als romischen kaisern und beder teil religion stend und verwant[e]n mit guetem wissen und willen, mit gemeinem zulassen und bewilligen bewilligt und beschlossen wurdet, das er mit guetem gewissen halt[e]n kan, halten und bei dem [so; 1. „den”] seinen zu halten verschaffen, sovil an im ist. Item, er sol auch auf allen reichstagen und versamblungen der chur- und fursten und stendt unser, unsers bruders und des heiligen reichs sachen, sovil ime moglich ist und er mit er[e]n thun kan, furdern und unsern und unsers brudern [so] willen nach seinem vermogen in das werk zu pringen understehn, und, wes er sich dunk[e]n lesset, das zu unserm, unsers bruders und gemainer teutschen nation, desgleichen auch der erbland Osterreich, Burgund[e]n, Brabant, Lutzelburg und anderer ere, nutz und reputation dienen mag, treulich erinnern, wie er das unverletzt voriger habenden aynung und sonst mit er[e]n thun mag.
Er soll auch unsern [so] freuntlich[e]n lieb[e]n bruder, dem romischen konig anhangen, und sonderlich, so sich zutruge, das wir mit tod abgeen wurden – das der almechtig Got zu seinem lob und ere lange zeit verhuete –, so sol er gemeltem unserm bruder anhangen und sein lieb fur ainen romischen konig acht[e]n und halten und die obgemelten heuser Osterreich und Burgundy, sovil ime möglich ist und wo er solchs mit er[e]n thun mag, furdern und denen gunstig sein. Es soll auch sein lieb, sovil ir möglich ist, ire freunt, gesipten und verainigten zu unserm, unsers bruders und unserer land gut[e]n willen und treu zu bewegen treulich understeen. Er sol auch getreuen vleis anwenden, das des heiligen reichs stend uns und unsern bruder zu hanthabung des heilig[e]n romisch[e]n reichs gerechtigkait und achtung wider alle die, so gegen uns dero wegen etwas furnemen oder widerwertig sein wolten, bede aus Italien und von andern ort[e]n her, beystendig, ratlich und hülflich sein, wie inen das zu thun gepur[e]n und wol anstan wurd. Er soll und wil auch an unser und unsers bruders besondern willen mit dem könig zu Frankreich noch sonst ainich[e]n andern auswendigen königen, furst[e]n, potentat[e]n kain bundnus, aynung oder confederation irer kaiserlich[en] mayt. und disem vertrag zuwider annemen, mach[e]n noch aufricht[e]n. Also wil auch sein lieb nicht zulassen, das der obgemelt konig von Frankreich und hertzog zu Cleve in die schmalkal'.disch buntnus genomen werden oder sonst mit den protestierenden stend[e]n in buntnus komen; wil auch für sich mit gemelten [so] hertzogen zu Cleve in kain bundnus komen. Er wil auch fleiß furwenden, das hertzog Moritz von Sachs[e]n, seiner lieb eyd[a]m, in gleichnus sich mit dem konig zu Frankreich oder hertzog von Cleve oder mit imands anders zu unserm und unsers bruders nachteil in kein butnus kome [so] sive directe sive indirecte, sonder das er, hertzog Moritz, in gleicher treu und gehorsam gegen uns beleibe in maßen gemelter landgrave. Dagegen so sollen und wöllen wir als ain romischer kaiser denselben [so] hertzog Moritzen sein land, leut und gerechtigkait in genedigen kaiserlichem bevelch haben, und so sich begebe, das sein vatter hertzog Hainrich zu Sachsen mit tod abgieng, im als dem eltesten son der regalien und reichslehen gnedigklich leihen und die vatterliche und bruderliche vertreg seiner anherrn, vatters [so] und vöttern hertzogen zu Sachsen, die erbung, succession und regirung belangend, confirmir[e]n und bestettigen: doch also, das gemelter hertzog Moritz solch gelt, so durch die furst[e]n der Nurnbergisch[e]n puntnus hinderlegt, denselben widerumb behendige und volgen lasse, sover es nicht gelübet [geliefert] were.
Es soll auch landgrave Philips mit herzog Ulrichen zu Würtenperg treulich hand[e]ln, sich mit dem konig zu Franckreich oder hertzogen zu Cleve oder mit jemants andern zu unserm nachteil in buntnus nicht zu begeben directe vel indirecte, noch in derselbigen dienst ainiche kriegsleut aus seinem land zu senden und zu lauffen gestaten, soviel im möglich. Und sover hertzog Ulrich sollichs annymmpt und zusagt, so sollen und wöllen auch wir und unser bruder sein gnedig herrn kaiser und konig sein, ine, sein land und leut in gnedigst[e]n bevelch haben, und was im unbillichs begegnet, gnedigklich abwenden. Es soll auch gemelter lantgrave seines vermugens alle und yde pratiken, so der kunig von Franckreich jetz und konftigclich in teutscher nation bey churfurst[e]n, furst[e]n und stenden uns und unserm bruder zu nachtail und wider [so] mach[e]n möchte, wenden und verhindern, und diejenen, so sich zu im gethon hetten oder genaigt wer[e]n, nach seinem vermugen abzihen und abnemen [so; abmanen?]. Es hat auch gemelter landtgrave uns bey der warhait zugesagt, das er auf disen tag mit dem hertzogen von Cleve kain buntnus habe, das er auch mit demselbigen kaine annemen noch mach[e]n wöl noch demselbigen ainiche hulf, rat oder beystand thun well [so] wider uns haimlich noch offenbar, sonderlich sovil unser vordrung und ansprach zu dem hertzogthum Gellern und graffschaft Sutphen antrift, sonder es wil gemelter lantgrave aus redlichen ursachen in darzu bewegend in obgemelter sach ain gemainer man und kainem tail weiter, dan obgemelt ist, zugethon sein, sonder wil in dem frey steen. Wurden aber uns gemaine stend des heiligen reichs in dem fal ainiche hülf bewilligen und thun, alsdan wil er sich als ain ander furst der gepur wissen zu halten. Wurden auch auswendig konig, furst[e]n und potentaten uns oder unser erbland mit der that uberziehn und wir seiner person umb zimliche erliche besoldung in unsern dienst begern und gestalt der handlung anzaigen lassen und ime ain sollichs furschlagen, das im zu thun anstund und im gelegen, alsdann wil er sich bedenck[e]n und in dem fall weder ab noch zugesagt haben. Aber gleichwol, so er personlich nicht dienen wurd, so wil er uns sein hauptleut und underthonen umb zimbliche besoldung zureit[e]n und zuzieh[e]n lassen, auch solichs bey hertzog Moritzen, dergleichen zu tun oder personlich ze ziehen, mit fleis anregen und hand[e]ln.
Daneben hat gemelter landtgrave uns vergwisset, das er mit dem konig von Engelland keinen verstand oder buntnus hab noch auch kaine annemen wol on sonderlich unser zulassen. Will auch nicht verwilligen, das gemelter konig in die schmalkaltische oder andre bundnus, so uns zuwider sein mochten, komen möge. Verner wil er treuen fleis furwenden, die sachen, so sich zwischen hertzog Fridrich[e]n zu Bairn und dem hertzogen zu Holstein erhalt[e]n, neben andern zu gutlichen tagen und handlungen zu pringen, und versuch[e]n, ob die mocht[e]n auf bessere weg gepracht werden; in gleichnus auch gern in den Lutzenburgisch[e]n geprech[e]n neben Pfaltz hand[e]ln, ob man die zu vertrag oder auf tregliche pilliche weg pringen mocht[e]n, [so]. Zum letzt[e]n wil gemelter landgraf, sovil ime moglich ist, alzeit verhindern, damit kain kriegsvolk aus teutscher nation, sonderlich seinen landen, dem konig von Frankreich zu dienst zuzieh[e]n noch auch sonst in dienst aines andern frembden potentaten, konigs oder furst[e]n wider uns, und in dem treues und fleißigs aufsehens haben, auch seine freunt und mitverwant[e]n darzu vermanen. Und so er verstunde, das in teutscher nation oder sonst in ainichen [so] ort wider uns oder unser land etwas practicirt oder furstund, darin wil er sich jeder zeit halt[e]n, wie ainem treuen, erlichen lehenman zustehet, gegen uns, unser schwester, der kunigin von Hungern witib, und andern unsern treuen diener[n] und regierern. Und demnach so haben wir aus sonderer gnedig[e]n zunaigung, auch liebe und freuntschaft, so wir zu gemeltem landgrauen tragen, sein lieb in unser besonder gnade und freuntschaft genomen (und thun das in und mit kraft dises brifs) und ime alles und jedes, was das sey, so er wider uns, unsern brueder oder jemantz anders, wer der sey, sovil das uns antreffen mag oder wider unser kaiserlich gesatz und recht oder des reichs ordnung bis auf disen tag offenlich oder heimlich gehand[e]lt hette oder gehandelt zu haben geachtet wurde, gentzlich nachgelassen und verzigen.
Und darumben so sollen auch weder wir noch unser pruder, unser fiscal noch imantz von unser beeder wegen von solcher oder andren besonderer seiner lach[e]n weg[e]n, so er bis auf disen tag gehabt oder noch hat, wider ine oder sein ere und wurdigkait, stet und gueter, land und leut in oder außerhalb rechts nichtzit furnemen durch uns oder jemantz anders von unsern wegen directe oder indirecte, noch das zu gescheh[e]n oder zu thun verschaffen oder bevelh[e]n. Sonder wir sollen und wollen sampt unserm lieben bruder sein lieb derselbigen eerwürdigkait und stand, kinder, land und leut in gnedigst[e]n bevelch, schutz und schirm haben. Und so wir etwas von imantz, wer der wer, furzunemen innen und gewar wurden, das im, seinen ern, landen und leut[e]n und den seinen zuwider und nachtail raich[e]n möcht, dasselb gnedigklichist und bey guet[e]n glauben abwenden und verhindern; auch sollichs unser freuntlich[e]n lieben schwestern, (rauen Maria, unserer regentin und andern unsern bevelhhabern in unserm abwes[e]n also zu thun und zu halt[e]n bevelh[e]n und gepiet[e]n.
Doch ist hierin ausgenomen die religionsach und was derselbigen anhanget auf beden seit[e]n, bede von unser und auch des lantgraf[e]n wegen: doch also, das wir oder die unsern oder imands von unsern wegen, unser bruder oder die seinen von wegen sol[c]her religionsach oder was daraus fließen oder dero anhangen mocht, ainich[e]n krieg, fordrung oder anfechtung in oder außerhalb rechts wider gemelt[e]n landgraven, seine land, leut oder die seinen particulariter nicht furnemen sollen noch woll[e]n; es were dann, das von wegen der religion wider alle protestantes in gemain krieg bewegt wurd. Wir wöllen auch uns durch nymants, wer der were, wider gemelten landgraven bewegen oder anraitzen lassen, particulariter etwas wider in zu hand[e]ln, noch auch kain rescript oder comission wider des reichs ordenung und obgemelte unser obligation auf imands anhalten ausgeen lassen in kain weis. Dergleich[e]n woll[e]n auch wir uns gegen seinem eyden hertzog Moritzen gnedigklich erzaigen; und so wir etwas erfur[e]n, das wider sein lieb oder seiner lieb lant und leut were oder sein möcht, davon sollen wir [gnedi]klich warnen.
Und in disen vertrag haben wir uns des gemelt[e]n unsers freuntlich[e]n lieb[e]n bruders, dieweil derselb sein lieb mit betrifft, freundtlich gemechtigt, und wollen auch [. . .] und verfueg[e]n, das sein lieb denselben auch ratificir[e]n sol. Sollichs alles haben wir gemeltem lantgraven bey unsern kaiserlich[e]n waren wort[e]n und gut[e]n glauben, und er uns [hin]wider bey seinen furstlich[e]n wurd[e]n und treuen zugesagt, steet, vest und unverbrechlich zu halt[e]n on all geverd, mit urkundt ditz briefs, gesig[e]lt mit unserm kaiserlich[e]n anhangenden insig[e]l.
1) Die Rheinische Einung vom 8. November 1532
Deklaration Kaiser Karls V. zum Regensburger Reichsabschied, 29. Juli 1541
[Auszug]
Verbindlichkeit der verglichenen Religionsartikel. Kirchengut — „christliche Reformation”. Gültigkeit der Besitzstandsgarantie für geistliche Güter (der Katholiken) gilt auch für die Augsburger „Konfessionsverwandten”. Ein „freiwilliger” Übertritt von Untertanen zum Protestantismus fällt nicht unter das Landfriedensgebot.
Corp. Ref. IV, S. 623-625. Hier zit. nach Alfred Kohler (Hg.), Quellen zur Geschichte Karls V., Darmstadt 1990, S. 264-266
Wir Karl der 5te von Gottes Gnaden, Römischer Kaiser thun kund mit diesem Brief gegen jedermänniglich: nachdem der Augsburgischen Confession und deren Religionsverwandte Stände Mängel etlicher mißverständiger Artikel unsers jetzt gegebenen Abschieds gegen uns angegeben und vortragen lassen, mit unterthänigster Bitt, dieselbigen ferner zu declariren und zu erläutern, daß wir demnach solche Mißverstand derselben angegebenen Artikel weiter erklärt, und folgender Meinung verstanden haben wollen.
Als zum Ersten der Artikel im Abschied von den Artikeln durch ihre Theo-logen verglichen etc.,' etwas dunkel gesetzt, hat es den Verstand, daß der Augsburgischen Confession verwandte Stände bis zu der endlichen Vergleichung der Religionsachen in denen Artikeln, derer sich ihre Theologen vereinigt mit samt ihrer Declaration, dieselbe Vergleichung und Declaration nicht überschreiten sollen. Und ist in den übrigen unverglichenen Artikeln hierin kein Maß gegeben.
Zum Andern, im Artikel da der Abschied besagt, daß die Klöster undKirchen unzerbrochen und unabgethan sollen bleiben; derselbige Artikel soll dahin verstanden werden, daß hinfort die Klöster und Stift unzerbrochen und unabgethan bleiben sollen; doch unbegeben einer jeden Obrigkeit hinter derer sie gelegen, dieselbigen zu christlicher Reformation anzuhalten.
Zum Dritten, da Meldung beschicht, daß die Geistlichen ihrer Güld, Zinß etc. deren sie jetzt in Possession sind, hinfort nicht sollen entsetzt werden; die-selben Worte sollen diesen Verstand haben, daß nicht allein auf der gemeinen Stände Geistlichen und Stifte, deren sie jetzt im Besitz, dieselben gezogen sind, sondern auch auf der Augsburgischen Confessionverwandten Geistliche, Gestift, Klöster und Häuser, daß auch dieselbigen ihrer Rente, Güld und Einkommen, derer sie noch in Possession, ungeachtet welches Theils Religion sie sind, auch ausgegangener Mandaten hinfüro unaufgehalten und unentsetzt bleiben. Und soll derselbe Artikel auch darauf verstanden werden, daß in alle Wege die nothdürftigen Ministerien und Schulen, die sie vormals bestalt haben, nachmaln bestellen, ungeacht was Religion sie seyen, wie gewöhnlich versehen und bestellt; doch daß in denselben nicht ferner geschritten werde, denn wie jetzt.
Zum Vierten, da der Abschied meldet, daß die der Augsburgischen Confession verwandt, niemand zu sich dringen bewegen sollen, soll das Wort „bewegen” den Verstand haben, daß sie hinfür keinem Stand der andern Religion seine Unterthanen abpracticiren, in Schutz oder Schirm nehmen sollen. Und soll hierdurch, ob sich jemand sonst zu ihrer Religion begeben wollte, dem-selben das unbenommen seyn.
Also soll es auch des Kammergerichts halben verstanden werden, daß die Beisitzer desselben auf den jetzigen Abschied und Declaration sollen vereidet werden, und der Augsburgische Abschied, so viel die Religion anlanget, nicht statthaben soll, deßgleichen die Personen, so präsentirt worden, von deßwegen daß sie der Augsburgischen Confession und Religion seyn, gar nicht geweigert werden, und soll einem jeden, ungeachtet wasser Religion er sey, gleichmäßig Recht gesprochen werden; und soll kein Beisitzer, der tauglich, der Augsburgischen Confession und derselbigen Stände Religion halben daraus entsetzt werden. So soll auch den Ständen der Augsb. Confession verwandt und den andern Ständen frei seyn, auf nächst künftige Visitation denjenigen, so sie in unser Kammergericht zu setzen haben, ob sie die nicht ferner darzu brauchen wollen, zu erlauben, und andre taugliche Personen ihrer Religion an deren Statt zu verordnen. Und wir wollen in Verordnung der Personen zur Visitation keinen Unterschied der Religion haben [...]
Und soll auch der Artikel von der Augsburgischen Religion meldend von andern Sachen außerhalb der Religion verstanden werden vermöge des Abschieds.
Auf diese Declaration haben die Stände der Augsburgischen Confession verwandt diesen unsern Abschied, und anders nicht, gewilligt und angenommen, alles in Kraft dieses Briefs, ohne Gefährde. Mit Urkunde dieses Briefs besiegelt mit unserm Kaiserlichen anhangenden Insiegel.
Gedrucktes Mandat des Landgrafen Phlipp zu Hessen an Grafen und Herren, Geistliche und Weltliche, Edle und Unedle, Bürger und Bauern, auf Grund wiederholter Gebotsbriefe des Kaisers, daß sich niemand in Kriegsdienst gegen Kaiser und das Römische Reich begeben noch gebrauchen lassen soll, 10. 10. 1541
Türkengefahr, 21. November 1541
Auch auf Grund der drohenden Gefahr eines muslimischen Angriffs war Kaiser Karl V. darauf bedacht, daß Einigkeit innerhalb der Christenheit herrschte.
Geheimartikel zum Frieden von Crepy zwischen Karl V. und Franz I. von Frankreich, 19. September 1544
Der sorgfältig vorbereitete Feldzug gegen Frankreich 1544 sollte dem Kaiser die Hände freimachen zur Niederwerfung der deutschen Protestanten. Nach kurzem, erfolgreichem Vormarsch schloß Karl am 18. September 1544 den Frieden von Cripy, der am folgenden Tage in Meudon durch ein Geheimabkommen ergänzt wurde. Es ließ schon durch seine Form die Siegerstellung des Kaisers erkennen: Während Franz bedeutende Verpflichtungen übernahm, vermied es Karl, seinem Gegner etwas Schriftliches in die Hand zu geben. Er fürchtete, daß der König ihn an dieselben Protestanten, zu deren Unterwerfung er sich verpflichtete, verraten könnte.
Franz von Gottes Gnaden König von Frankreich: Es sei kundgetan, daß zwischen Unserem teuren und sehr geliebten Bruder Kaiser Karl, dem fünften seines Namens, und Uns am 18. September 1544 Frieden geschlossen worden ist, und daß er und Wir für das richtigste Ziel im Dienst Gottes die Rückführung Unseres heiligen Glaubens und Unserer Religion zu völliger Einheit und die Abstellung der Mißbräuche gehalten haben, die zur Entstehung der neuen und verderblichen, an mehreren Orten und Gegenden der Christenheit zur Zeit herrschenden Sekten Anlaß gegeben haben. Unsere Bevollmächtigten haben bei dieser Verhandlung ihm in Unserem Namen versprochen und auf Wunsch Unseres lieben Bruders, des Kaisers, zugestanden, daß Wir vermittelst und in Anbetracht des genannten Friedensvertrages gemeinsam mit Unserem Bruder bei der Rückführung [zur Einheit] und bei der Reformation [der Kirche] helfen und Beistand leisten werden.
Da Uns dieses durchaus genehm ist und Unserem Wunsch und Willen entspricht, versprechen Wir hiermit in aller Treue, auf königliches Wort und auf Unsere Ehre, mit allen Unseren Kräften ernsthaft, gründlich und vollständig zu der genannten Rückführung und Reformation (reduction et reformation) zu helfen, sei es auf dem Wege des Konzils oder auf andere Weise, wie Unser geliebter Bruder und Wir es für zweckmäßig und dienlich erachten werden ... Wir werden ihm diese Hilfe künftig leisten aus den obengenannten Rücksichten, und weil es eine Sache ist, die vor allem seine kaiserliche Autorität und Würde betrifft; desgleichen dem Römischen König [Ferdinand], Unserem ebenfalls geliebten guten Bruder. Wir werden ihnen alle Unsere Hilfe und Gefälligkeit (faveur) erweisen in dem, was die erwähnte Rückführung und Befriedung des Zwiespaltes der Religion in Deutschland betrifft, so oft und viel davon nötig erscheinen wird. Wir werden in gutem Glauben alles tun, was an Uns liegt oder worum die genannten Herren, der Kaiser und der König, Uns ersuchen werden, um die Reichs-stände (besonders die von den genannten Irrlehren berührten und angesteckten) dazu zu bringen, zu überreden und zu überzeugen, und Wir werden Uns auf Anforderung des Herrn Kaisers mit Seiner Kaiserlichen Majestät zusammen zum Feind aller, wer es auch sei, im allgemeinen wie auch im besonderen, erklären, die die genannte allgemeine oder teilweise Rückführung und Reformation hindern oder sich ihr widersetzen wollen, ohne Uns jemals in dieser Hinsicht von Unsern geliebten Brüdern, dem Römischen Kaiser und dem Römischen König, abzusondern oder zu trennen.
Für den Fall, daß es sich als nötig erweisen sollte, gegen die genannten Häretiker Gewalt anzuwenden, stimmen Wir zu und bewilligen Wir, daß die Hilfe an Reitern und Fußvolk, die Wir in dem erwähnten Friedensvertrag gegen den Türken versprochen haben, gegen die genannten Häretiker verwendet werde. Wir werden sie auf Anforderung des Herrn Kaisers ganz oder teilweise, wie es gefordert werden wird, zur Verfügung stellen. Hinsichtlich des allgemeinen Konzils stimmen Wir zu und sind Wir einversvnden, daß es in Trient oder Cambrai oder Metz nach Wahl Unseres Bruders und zu der von ihm vorgeschlagenen Zeit stattfinde. Wir werden Unsere Vertreter, Gesandten und Gelehrten sowie einige Männer von erprobtem Ansehen und Eifer dorthin schicken, damit sie mit den Beauftragten und Gesandten Unserer genannten Brüder zusammen einmütig an der Abhaltung dieses Konzils und an der Verhandlung der im Vertrag als notwendig und nützlich genannten Punkte mitwirken.
Außerdem werden Wir Unserem genannten Bruder, dem König der Römer, ehrlich und getreulich in seinen Angelegenheiten helfen und beistehen, insbesondere bei der Rückeroberung dessen, was der Türke ihm in Ungarn abgenommen hat .. .
Auch versprechen Wir dem Herrn Kaiser, künftig keinen Friedensvertrag mit dem König von England einzugehen, ohne ihn mit seinen Königreichen, Ländern und Staaten ausdrücklich einzuschließen und vorzubehalten. Sollte aber der König von England aus Anlaß des zwischen Uns geschlossenen Friedensvertrages den Herrn Kaiser beunruhigen oder Krieg gegen ihn erregen, werden Wir mit aller Unserer Macht dem Herrn Kaiser treulich und ehrlich helfen, ihm zu widerstehen, und werden Uns in aller Form als Feind des Königs von England erklären ...
[F. Dickmann]
[Hasenclever, S. 420—422] zit. nach: Geschichte in Quellen, Bd. III, Renaissance, Glaubenskämpfe, Absolutismus, München 1966, S 179-180
Offensivbündnis zwischen Papst Paul III. und Kaiser Karl V. gegen die Protestanten in Deutschland, 6. und 26. Juni 1546
Papst Paul III., aus dem Haus Farnese, ein Gegner des Kaisers und seiner Konzilspläne, hatte nach dem Frieden von Crepy angesichts der überlegenen Machtstellung Karls V. seinen Widerstand aufgegeben und das Konzil von Trient (1545-1563) einberufen. Nachdem die Protestanten auf dem Wormser Reichstag 1545 eine Beteiligung abgelehnt hatten, wurde der vorliegende Vertrag vom Kaiser am 6. Juni 1546 in Regensburg, vom Papst am 26.Juni 1546 in Rom unterzeichnet.
I. Da Deutschland seit vielen Jahren von der Häresie zerstört und verwüstet wird, woraus ihm unendliche Schäden und Unglück erwachsen sind und noch erwachsen, auch Gefahr der Zerstörung, des Unterganges und Ärgernisses für viele andere; und da die Beruhigung und Einigung dieses Reiches schon so lange Zeit und auf allerlei Weise erstrebt wurde und man nunmehr erfahren mußte, daß die Protestanten und Schmalkaldener nach der Einberufung des allgemeinen Konzils nach Trient erklärten, daß sie nicht geneigt seien, sich der Entscheidung dieses Konzils zu unterwerfen..., haben Seine Heiligkeit und Seine Majestät es für notwendig erachtet, zur Ehre Gottes, zum Besten der Christenheit im allgemeinen und Deutschlands im besonderen nachstehenden Vertrag zu schließen, indem sie einander in aller Form bindend zusagen, was folgt:
II. Seine Majestät wird im Namen Gottes, mit Hilfe und Unterstützung Seiner Heiligkeit im nächstfolgenden Monat Juni [1546] mit aller seiner Macht gegen die genannten Protestanten, Schmalkaldener und sonstigen Häretiker jeder Art in Deutschland mit Waffengewalt vorgehen, um sie erfolgreich zu der wahren alten Religion und zum Gehorsam gegen den apostolischen Stuhl zurückzuführen. Seine Majestät mag zu diesem Zwecke alle geeigneten Mittel und Wege anwenden, um zu versuchen, ob sie sich ohne Gewaltanwendung zu der genannten Religion und zum Gehorsam gegen den apostolischen Stuhl bringen lassen, doch darf, sofern auf diesem Wege die Rückführung bis zum genannten Termin nicht gelingt, das Unternehmen dadurch nicht verzögert werden.
III. Seine Majestät darf mit den Protestanten und Schmalkaldenern und sonstigen Häretikern keinerlei Vereinbarung oder Abkommen irgendwelcher Art schließen, die,den wesentlichen Inhalt (substantia) und Erfolg des Unternehmens betreffen oder es vereiteln oder verzögern könnten; insbesondere darf er ihnen ohne ausdrückliche Zustimmung Seiner Heiligkeit oder des apostolischen Legaten nichts zugestehen oder bewilligen, was gegen die Religion oder gegen die Ordnungen der Kirche verstößt .. . [Es folgen Bestimmungen über finanzielle und militärische Hilfeleistung des Papstes und Abgaben der spanischen Kirche für das Unternehmen.]
IX. Allen katholischen Fürsten und Ständen Deutschlands, geistlichen wie weltlichen, und überhaupt allen anderen christlichen Fürsten, Staaten und Republiken soll der Beitritt zu diesem Bündnis offenstehen und dabei jedem die seinem Rang zukommende Ehrenstellung eingeräumt werden ...
[F. Dickmann]
[Nuntiaturberichte, 1. Abt., Bd. 9, S. 575—578] zit. nach: Geschichte in Quellen, Bd. III, Renaissance, Glaubenskämpfe, Absolutismus, München 1966, S 180-181
Fußfall von Landgraf Philipp von Hessen vor dem Kaiser in Halle am 19. Juni 1547
Landgraf Philipp war im Jahre 1547 gezwungen, um Verzeihung zu erlangen, durch einen Fußfall vor dem Kaiser öffentlich seine Unterwerfung zu demonstrieren.
Auszug aus: Wahrhafte Beschreibung, welcher gestalt vor der Röm. Kais. Majestät zu Hall an der Sal Landgraff Philip [...] seinen Fußfall gethan
Und als sie alle auf [dem] genannten Saale [an]gekommen sind, haben die Kaiserl. Hofmeister Platz gemacht, damit die Kurfürsten samt dem Landgrafen vor der Kaiserlichen Majestät, welche, wie vorher gesagt, schon saß, kommen mochten wie auch geschehen. Also ist der vielgenannte Landgraf mit seinem Kanzler, Dr. Tilmann Günderode, ohne einige Vorrede vor dem Teppich, auf dem der Stuhl der Kaiserliche Majestät stand, auf den Estrich auf die Knie gefallen. Doch zuvor, ehe er niederkniete, hat er mit dem Kurfürsten [Moritz] ein wenig geredet und gelächelt die Kaiserliche Majestät [hat] aber sauer gesehen. Der erwähnte Kanzler mitsamt seinem Herrn also kniend, baten danach, indem sie Wort für Wort von einer Schrift oder einem Zettel ablasen, um Gnade und Verzeihung. [...]
Nach [der] Antwort ist der Landgraf ohne Danksagung, aus eigenem Antrieb, aufgestanden die Kaiserliche Majestät [hat] sauer gesehen und ihm weder die Hand gegeben, noch mit einem Wort angesprochen.
Da hat der Herzog Alba sich dem Landgrafen genähert, seine Hand genommen und, vorangehend, sich mit den vorher erwähnten Kurfürsten und dem Landgrafen von der Kaiserlichen Majestät weg zum Saale hinausbegeben. Diesen folgte der von Arras alle haben ihre Pferde bestiegen und sind auf die Moritzburg, das Quartier des Herzogs Alba, geritten dort haben sie alle zusammen zu Abend gespeist. Danach ist der erwähnte Landgraf in ein besonderes Gemach geführt worden und von acht oder zehn Rotten spanischer Hakenschützen, die sich beständig abwechselten, ohne Beteiligung durch deutsche Landsknechte, die sonst im Schloß anwesend sind, mit großer Sorgfalt in seinen Kammern und Stuben bewacht worden.
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Kaiser Karl V., Porträt von Tizian, 1548
In der Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547 erlitt der Schmalkaldische Bund eine vernichtende Niederlage, und seine beiden Hauptleute, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen, gerieten in langjährige Gefangenschaft. Der Versuch des Kaisers, seinen großen Sieg zur Wiederherstellung der Kircheneinheit im Reich zu nutzen, bleib jedoch am Schluss erfolglos: Im Augsburger "Interim" von 1548, das von gemäßigten evangelischen und katholischen Theologen ausgearbeit war und in Teilen an die Religionsgespräche in Worms und Regensburg (1540/41) anknüpfte, strebte Karl V. eine Zwischenregelung in der Religionsfrage an, die bis zur Beendigung des Trienter Konzils (1545-63) gelten sollte: Den Protestanten wurde der Laienkelch und die Priesterehe zugestanden, ansonsten aber der tradierte katholische Ritus (Beibehaltung der Messe, Heiligenverehrung und Sakramentslehre) verpflichtend gemacht. Das Interim wurde sowohl von katholischer als auch protestantischer Seite abgelehnt und blieb ohne nachhaltige praktische Auswirkung, bevor es 1555 im Augsburger Religionsfrieden endgültig außer Kraft gesetzt wurde.
Das Augsburger Interim 1548: Der Römischen Kaiserlichen Majestät Erklärung, wie es der Religion halber im Heiligen Reich bis zu Austrag des gemeinen Concilii gehalten werden soll, Augsburg, 15. Mai 1548 [Auszüge]
(IV) Von der Rechtfertigung
Wer nun durch das teure Blut Christi erlöst ist und das Verdienst des Leidens Christi zugeteilt bekommen und erhalten hat, der wird alsbald gerechtfertigt. Das bedeutet: Er findet Vergebung seiner Sünden, wird von der Schuld der ewigen Verdammnis befreit und durch den Heiligen Geist erneuert, und so wird aus einem Ungerechten ein Gerechter. Denn wenn Gott rechtfertigt, handelt er mit dem Menschen nicht allein nach menschlicher Weise, dass er ihm nur verzeihe und ihm die Sünde erlasse und ihn von der Schuld befreit, sondern er macht ihn auch besser, was doch kein Mensch zu geben pflegt oder geben kann. Denn er teilt ihm seinen Heiligen Geist mit, der sein Herz reinigt und treibt ihn durch die Liebe Gottes, die in sein Herz ausgegossen wird, an, dass er das, was gut und recht ist, begehrt und was er begehrt auch im Werk vollbringt.[...]
Weil nun ein Mensch, solange er hier auf Erden lebt, die Vollkommenheit dieser eingegebenen Gerechtigkeit nicht erlangen kann, so kommt uns Christus auch an dieser Stelle spürbar und gnädig zu Hilfe, da er »uns von Gott gemacht ist zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung« (1 Kor 1,30): Das geschieht nämlich so, dass er, gerade wie er durch die Mitteilung seiner Gerechtigkeit die Gerechtigkeit des Menschen, die diesem nun geschenkt und in ihm ist, die auch ihren Anteil von ihm nimmt, gewirkt hat, so auch diese Gerechtigkeit mehrt, so dass sie sich von Tag zu Tag erneuert, bis sie in dem ewigen Vaterland ganz vollkommen werde. Und durch das Verdienst seines teuren Blutes und seiner Gerechtigkeit, die ganz vollkommen besteht, erwirbt er dem Menschen Vergebung, so dass der Mensch alles, was er wegen seiner Schwäche zu wenig kann, durch Christi Vollkommenheit erlangt und geschenkt bekommt. [...]
(XXVI) Von den Zeremonien und Gebräuchen
Die alten Zeremonien, die bei dem Sakrament der Taufe gebraucht werden, sollen alle bleiben, nämlich: Exorzismus, das heißt: Absage (an den Teufel), Glaubensbekenntnis, das Chrisma, das heißt das Öl, und anderes. Denn sie dienen dazu, die Kraft dieses Sakramentes anzuzeigen und zu bezeichnen.
Ferner soll man in den alten Zeremonien, die die allgemeine Kirche bei der Messe gebraucht, nichts ändern, denn sie sind alle für das, was man in der Messe tut, ganz geeignet...
Für den Kanon, an dem man nichts andern soll, soll es auch eine klare Auslegung geben, damit die Priester erstens den Gebrauch ihres Amtes besser verstehen, und was sie verstehen, dem Volk mitteilen können.
Die Zeremonien der anderen Sakramente sollen gebraucht werden gemäß den alten Agenden. Doch wo sich in diese etwas eingeschlichen haben sollte, das Ursache für Aberglauben geben könnte, soll dies nach zeitgemäßem Rat gebessert werden. Die Altäre, Priesterkleider, die Kirchengeräte, Fahnen, desgleichen Kreuz, Kerzen, Bilder und Gemälde soll man in der Kirche halten, doch so, dass sie allein dem Gedächtnis dienen und diesen Dingen keine göttliche Ehrung entgegengebracht wird. So soll auch zu den Bildern und heiligen Gemälden kein abergläubischer Zulauf geschehen...
Man soll auch die Feste, die von der Kirche angenommen sind, behalten — wenn nicht alle, so doch die herausragendsten, nämlich: die Sonntage, den Geburtstag des Herrn, die Beschneidung des Herrn, den Heiligen Dreikönigstag, den Palmsonntag, Ostern mit zwei aufeinander folgenden Tagen, Christi Himmelfahrt, Pfingsten mit zwei aufeinander folgenden Tagen, das Fest Trinitatis, das Fest des Fronleichnams Christi, die Feiertage der Heiligen Jungfrau Maria, die Tage der heiligen Apostel, Sankt Johannes der Täufer, Sankt Maria Magdalena, Sankt Stefan, Sankt Laurentius, Sankt Martin, Sankt Michael und Allerheiligen...
Nun soll man es mit dem Apostel so halten, dass für die Dinge, die des Herrn sind, der sorgt, der ohne Frau ist (1 Kor 7,32). Darum wäre es zu wünschen, dass viele unter den Klerikern gefunden würden, die so, wie sie ohne Frau sind, auch tatsächlich keusch lebten. Da es jetzt aber viele gibt, die die Kirchenämter im Stand der Geistlichen verwalten und an vielen Orten Frauen genommen haben, die sie nicht gehen lassen wollen, so soll hierüber die Entscheidung und Erörterung des allgemeinen Konzils abgewartet werden, da doch die Veränderung dessen, wie jetzt die Zeitläufte sind, derzeit nicht ohne schwere Zerrüttung geschehen kann. Doch kann man, wenn auch der Ehestand an sich selbst nach der Schrift ehrbar ist (Hebr 13,4), nicht leugnen, dass der, der keine Ehefrau nimmt und tatsächlich Keuschheit übt, eben nach der Schrift besser handelt (Mt 19,10ff.; 1 Kor 7,1.8.26).
Eben diese Auffassung gilt auch für den Gebrauch der Eucharistie unter beiderlei Gestalt, wie sie nun viele gebrauchen und daran gewöhnt sind; das kann derzeit ohne schwere Unruhe (bewegung) nicht beseitigt werden. Und das allgemeine Konzil, dem sich alle Stände des heiligen Reiches unterworfen haben, wird dann ohne Zweifel gottselige und eifrige Mühe darauf verwenden, dass in diesem Fall dem Gewissen vieler Menschen und dem Frieden der Kirche nach Notwendigkeit Genüge getan wird; folglich sollen diejenigen, die den Gebrauch unter beider Gestalt bislang angenommen haben, in dieser Sache gleichfalls die Erörterung und Entscheidung des allgemeinen Konzils erwarten. Doch sollen die, die den Gebrauch unter beiderlei Gestalt haben, die Gewohnheit, unter einer Gestalt zu kommunizieren, die mittlerweile alt ist, nicht tadeln, auch keiner den anderen in dieser Sache angreifen, bis hierüber ein Beschluss von einem allgemeinen Konzil vorliegt.
Quelle: Das Augsburger Interim von 1548, hg. v. J. Mehlhausen, Neukirchen-Vluyn 2 1996, 42-46.134-138
Auszüge aus: Volker Leppin, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 200-202
Der Landgraf [an Landgraf Wilhelm, Statthalter und Räte zu Kassel]. Tafel der religion, wie ich glaube und halt. Auseinandersetzung mit dem Interim, 06. Febr. 1550
Die "Tafel der Religion" ist das konfessionspolitisches Vermächtnis des Landgrafen Philiip, das dieser während seiner Gefangenschaft in Oudenarde in Holland verfasst und an seinen Sohn Wilhelm und die Räte in Kassel auf Schreibtäfelchen geschickt hatte. Über seinen Tod hinaus wollte der Landgraf sein Glaubensverständnis unwiderruflich dokumentieren und jedem Zweifel entziehen. In seinem Bekenntnis setzt sich Philipp intensiv mit den Eckpunkten des Interims auseinander - und stimmt dabei nicht zuletzt in der Frage der doppelten Rechtfertigung mit diesem überein. Dies ist allerdings nicht als vordergründige Konzession gegenüber dem Kaiser zu verstehen, sondern steht in der Kontinuität der theologischen Grundüberzeugungen und der übergreifenden konfessionellen Unionsbestrebungen des Landgrafen, wie diese u.a. bereits im Zusammenhang des Regensburger Buch 1541 deutlich geworden waren.
[1.] Vom menschen fahl und widerpringung gleube und halt ich, wie im interim stehet; desgleichen von der b u s s e , wie nachvolgt.
[2.] Von der e r l o s u n g Christi redet das Interim, recht. Bin darumb der meinung auch, das wir durch gottes barmherzigkeit, damit uns gott angesehen hat, und durch sterben und verdinst Jhesu Christi selig und gerecht werden etc., so wir das mit glauben annemen, der da warhaftig ist, die liebe, hoffnung und gute werk mit sich pringet. Was aber unsere werk zu wenig, ist gottes barmherzigkeit und das sterben und leiden Christi so gross, das es solchs erfullet und uns aus gnaden gerecht macht.
[3.] Von werken halt ich, dass die werk sollen vorgenomen werden, die gott geboten. Kan aber der mensch mer werk tun, die nicht wider gott, halte ich, seie nit böse. Wir haben aber unser lebelang an gotts gebot gnug zu tun; darumb der nit viel sein werden, die mehr ungepottener werk gotts tun werden (die nit widder gott sein). Das aber etliche keuscheit und anders an zwang halten und tun mer, das nicht von gott geboten ist, strafe ich nicht.
[4.] S o l a f i des. So aber einer sich selbst trostet, das er allein durch den glauben selig werde, hette weder hoffnunge, liebe oder gute werk, mit dem halt ichs nicht, und wird fehlen. Doch der sunder, der sich bekert, ja auch am letzten ende, wird durch den glauben an Christum selig. Es wird aber sein vorsatz sein, der sunden abzustehen, gott und den menschen zu lieben, in guten werken sein leben zu volnpringen und in gottes barmherzigkeit durch Christum in hoffnung und glauben sein ende zu beschliessen; der wirdet gewiss selig. Ich gleube vestiglich den simbolum Niceni und den Athanasius gemacht: qui vult salvus esse etc.
[5.] Von opfer der messe. Wans dem volk also declarirt worde, wie im interim stat, und nit ex opere operato, und ein opfer des widergedechtnus des vorigen opfers, das Christus ein-mal getan, genant und der brauch des sacrament auch geben und ausgeteilt wurde in beider gestalt, dieweil es dan die alten in der ersten kirchen also gehalten, die do martirer und die wider alle ketzereien Pauli Samasseni und der arrianer gewesen, so wolt ich auch darwider nicht sein, das ein opfer genant. Das aber einer allein an communication messe hiltet, das bin ich nit verstendig gnug, wie das aus gottlicher schrift noch den vetern der ersten christlichen kirchen zu verantworten ist. Das ich aber in die messe gehe, den sontag einmal, tue ich, inen damit anzuzeigen, wan sie den sontag messe mit communicanten [wohl versehentlich: communitanten] hielten wie in der ersten christlichen kirchen, das ich mir das nit missfallen lisse. Bitt jderman, wolle sich meinthalb daran nicht ergern; so ich mundlich gehort, wol ichs weiter ercleren etc. Ich hore, was guts drin ist, evangelia, episteln und andere guete gebet, die an gott vater uf Christum und durch Christus verdinst gescheen, auch den symbolum Niceni. Was guts drin in der messe, neme ich an, was missprauch und den heiligen zuvil zulegt, lass ich fahren; bitt gott, das er alle abgotterei und missprauch besser und were. Erzeige mich auch mit solchen geberden, das man wol sieht, das mir der missbrauch nit gefeit; sage auch mit worten den Spaniern, das messen an communicanten mir nicht gefallen. Wan aber die messe declarirt, wie im interim stehet, und dem volk wol aus-gelegt der verstand und communicanten alle wege oder zum meren teil mitgenossen, so lege mir an den ceremonien umb einigkeit und friden willen nichts, lisse sie gescheen. Doch will ich niemants wider sein gewissen dringen. Und das auch in einer kirchen nit mehr dan 2 messen gehalten, gefiel mir; und da alweg communicanten mitgenossen uf die sontag und feste. Ich sage dicke den Spaniern, sie dorfen umb meiner andacht willen kein messe mer halten. Ich wils nit leugnen; man hat mir von grossen dingen gesagt zu Halle [zu Schwäbisch Hall, wo der Landgraf am 8. Juli 1548 erstmalig zur Messe ging], wan ich in messe ginge etc. Habe gehofft, ich woll damit der religion und vaterland dienen etc. Het auch gemeint, es sollten messen gehalten sein, wie im interim stat, mit communicanten, das man das volk zu communiciren vermant haben soll in allen messen; befinde es aber nun anderst und verfolgung wider fromme cristen. Habe ich zuvil getan, verzeihe mirs gott durch Cristum umb seins leiden und sterben willen. Amen.
[6.] Perscrutatio scripturae. In alwege lobe ich, das alle cristen, alt und junge, testament lesen, gottliche schrift erforschen, und halt wider gott und menschlich, das man den leuten solchs verbeut, das sie die gottliche schrift nit lesen sollen.
[7.] Die 7 s a c r a m e n t e n in gemein lass ich pleiben im rechten verstand, zeichen heiliger dinge, die sie bedeuten, wie Augustinus sagt; doch den missprauch darvon getan.
[8.] Taufe halt ich vor ein gewisse sacrament, und das man teufe im nahmen des vaters, sohns, hailigen gaists mit wasser, im nahmen des einigen gotts drei person. Will man mer ceremonien, crisam, salz und anders darzu tun, irret mich nicht. Doch one abgottereie und das es freie seie, die gewissen nit binden. Halt recht, kinder teufen, unrecht, widerteufen; ob auch ketzer oder andere einen vorhin getauft hetten, sall nit wider getauft werden.
[9.] Co n f i r m a t i o n. Das die kinder wider verhort und confirmirt, gefelt mir, auch es tue ein bischof oder pfarherr. Wer crisam darzu nemen will, darumb will ich nit zanken. Doch hindan getan allen missprauch und abgotterei. Halts vor ein sacrament, das ist heilig zeichen, wie Augustinus sagt.
[10.] B u e s s e ist abstehen von sunden und das leben bessern. Lisse mir nit misfallen, das, die offentlich sundigeten, auch offentliche busse trugen, wie bei den alten christen im brauch war. Mag auch wol ein heilig zeichen genant werden.
[11.] S a c r a m e n t des leibs und bluts Christi. Gleube ich, das da den christen der leib und bluet Christi geben werde, wie es Christus eingesetzt etc., und das recht sei, beider gestalt das sacrament gereicht werden, wie es in der ersten christlichen kirchen mehr dan 1000 jar geben und gepraucht. Einerlei gestalt zu geben, weis ich wider schrift oder gewonheit der ersten kirchen.
[12.] Priesterweihe halt ich auch vor ein heilig zeichen, lasse es auch ein sacrament sein. Das die alten die priester confirmiret und noch tun und die hende uflegen, gefelt mir. Wer crisam darzu nimpt, will ich nicht darwider sein, doch hiermit kein misbrauch noch abgotterei bestetigen. Das man aber die priester, die weiber nemen, nit weihen und confirmiren wil, ist unrecht.
[13.] S a c r a m e n t der e h e. Dieweil Paulus ad Ephesios es ein misterium nennet [c. 5, v.32], auch gott der almechtige es insetzt und Christus bestetigt, ists wol ein heilig zeichen und sacrament zu nennen. Solchs sacraments mag sich jederman geprauchen, nit allein die leien, sonder auch die priester, clericken, munch und nonnen, wan sie die keuscheit nicht halten mugen. Die digamia ist in notfellen und pillichen ursachen auch nit wider gott und zulessig, durch zulassung der beichtveter in geheim und durch bewilligung des kaisers offentlich. Das man auch aus ehebruch und anderen ursachen willen sich scheiden moge und der teil, der nicht geprochen, in die ehe wider freihen moge und weib oder man nemen, halt ich fur recht, wie Paulus schreibt [evt. Bezugnahme auf 1. Kor. 7, v. 15].
[14.] B e i c h t ist nit boese, gott, dem nechsten, der beleidiget ist, auch dem priester zu tun; mag auch ein sacrament oder heilig zeichen genant werden. Doch sollen die gewissen nicht zu hart gedrengt werden mit erzelung und anderm. Die absolution ist pillich ein heilig zeichen genant. Den misprauch in der beicht lobe ich nicht. Die beicht sall freie, ungedrungen sein.
[15.] O l u n g. Dieweil in Marco [6, v. 13], auch im aposteln Jacob [5, v. 14] stät, das man beten sall uber die kranken und sie mit öle salben etc., will ichs nicht streiten. Halts fur ein freie ding und ceremonien, wie auch die ohrenbeicht. Doch was zu missprauch und aberglauben und die rechte mass nit hat, will ich nicht loben. Man mags auch ein heilig zeichen nennen.
[16.] H a i l i g e n a n r u f u n g. Hailigen ehren und sie bitten, das sie gott vor uns bitten, haben wir kein gottliche schrift, die das clar gebeut. Dieweil aber die alten in der ersten kirchen fürbitt der hailigen gesucht und solchs die merterer, die umb Cristus willen gestorben, und die alten veter, die wider alle bose ketzer gewesen, zum teil getan oder geduldet, so woste ich niemants darumb dem teufel zu geben und toleriren solchs umb einigkeit und fridens willen; wiewol ich kein hailigen anrufen will. Und das man gott den vater und sein sohn Christum anrufen vor den gewissern weg halte, der nit zweivelhaftig.
[17.] W a l f a r t. Von den walfarten und die abgotterei treiben halt ich ganz nichts von. Hailige stett aber zu besehen und der hailigen gedenken und ehren, schelde ich nicht.
[18.] R e l i q u i a e. Auch die gebein der hailigen ehrlich aufzuheben, doch anderst nit dan zu gedechtnus, nit anzubeten, noch ander abgotterei damit zu treiben, wie gescheen.
[19.] T o d t e n b i t t e n haben auch etliche der alten veter getan in der ersten kirchen, auch die merterer; ich weiss niemants darumb zu verdammen. Doch den missprauch der pompa und umb gelds willen lobe ich nicht. Die besten werk seind nach dem tod, fromme predicanten, spital, da armen und hausarme leut sein, erhalten; diese werk gefallen gott am besten, im leben zu üben und auch nach dem todt nach zu tun. Es ist aber viel besser, das einer so lebe, das er vorbittens nit dorfe, und in rechtem glauben und hoffnung zu gott und liebe zu gott und nechstem verschide; dan es ungewiss, ob die vorbitt darnach helfen wird, so einer todt, die-weil das fegfeuer aus gottlicher schrift clar nit zu beweisen und zweivelhaftig ist.
[20.] Von f r e i e m w i l l e n. Hat der mensch etwas ein freien willen, sonderlich zum boesen; dan solchs nicht von gott kompt, das inen gott darzu treibe; dan gott kein ursach des boesen ist. Sall aber der mensch gerecht, from und gut werden, so muss ime gott geben sein hailigen gaist, der auch gut ist, und den menschen erleuchten, erhalten und regieren, soferne auch der mensch gottlicher ingebung des hailigen geists nit widerstrebet, sonder gehorsamet und solchen geist nicht von sich treibet und stosset.
[21.] C l o s t e r p e r s o n e n. Finde ich, das bei den alten fromme munche und nonnen gewesen in primitiva ecclesia; wan sie noch also weren, lisse ich mirs gefallen. Der geiz aber und weltliche herschaft und, das man die kinder so jung hinein tut, die kein verstand, gefelt mir ganz nicht. Desgleichen, das man sie zu den votis und gelubden dringet, auch so sie nit keusch leben konnen, nit freien und man nemen und ehrlich leben sollen; inen das zu verbieten, gefeldt mir ganz nicht. Das aber in clostern fromme leut, die zu predigen und sonst aufgezogen, auch fromme frauenpersonen, die one gelubde und, so sie nit keusch sein, mochten sich verheiraten, gefiel mir.
[22.] Hinsetzung des sacraments. Das sacrament hinzusetzen, haben die alten wol getan in der ersten kirchen, die reliquias aufgehaben; so dan solchs ane abgotterei geschicht, streite ich nicht. Das umbtragen corporis Christi kan ich nicht loben, dan es weder in gottlicher schrift noch der ersten kirchen grund hat, noch auch bei den christlichen alten lehrern.
[23.] Gewalt b a b s t und b i s c h o f. Wan sie weren bischove und bebst, wie sie nach Christus sterben 300 jar gewesen, so were gewalt wol gut und zu leiden. Es ist wol notwendig, das man umb gueter ordnunge willen obrigkeit habe; doch zu bessern die kirche und nicht zu verderben; auch nit gesetz zu machen, die wider gotts wort; und das gott freie gelassen, sie die gewissen zu binden wider gotts wort und bevelch. Noch viel mehr ists unrecht, die leute zu todten umbs glaubens willen, ja auch ketzer; dan ich das in der ersten kirchen nie gelesen; ist ganz zuwider Johanni Crisostimo und heiliger geschrift, christliche veter. Die christlich kirch verfolget nit, sonder wird verfolgt. Noch viel mehr unrecht, fromme christliche leut umbzupringen umb rechts glaubens und lehre willen, ob sie wol in etwas irren. Wan sie aber iren obrigkeit recht nachgehen, ist inen zu gehorsamen, doch nit wider gott. Der nam pabst ist neue. In der ersten kirchen hat man die bischove zu Rhom geheissen. Wan nun so ein christlicher man were ein babst und prauchet die lehre des evangelii recht und macht keine satzungen dem zuwider, wer wolt den nicht ehren? Wan er aber wider Christum und die alte lehre streit und satzung macht, die wider gott, ist irre nicht zu folgen noch zu gehorsamen.
[24.] C o n c i l i a konnen irren. So aber ezwas eintrechtig geschlossen und jderman gnugsam verhort und gehort, und das solchs nicht wider gott ist und gewissen nit verwirtete, so soll man umb liebe und einigkeit willen als nachgeben, das muglich ist und das nit Bericht wider gott strebet. So es auch im hailigen geist versamlet, wirds der lere Christi nicht zuwider ordnen.
[25.] C e r e m o n i e n. Wasser, salz, leuden, psalmen singen und dergleichen seind freie dinge, mugen umb frieds und ainigkeit willen gedult werden; doch hindan getan falsch vertrauen auf solche werk, und abgotterei ganz hinweg getan.
[26.] B i l d e r konnen auch umb einigkeit willen gedultet werden, doch alles falsch vertrauen und anbeten, vorehrunge, abgotterei darvon getan und allein zu gedechtnus. Lieber aber weren mir die bilder aus den kirchen.
[28.] Fasten, feiern seind frei dinge, sollen umb friden und liebe willen geduldet werden. Doch sall man gewissen nit verwirren, auch die feiertage der hailigen zu gedechtnus und nit gleich dem sontag, den gott geboten, halten; auch der feiertage nit zuvil haben. Fasten, abbrechem dem leibe ist gut. Haben auch in der ersten kirchen die 40tegige fasten gehalten, auch freitag und sonnabent, uf das sie am sontag die eucaristia mit besser andacht entpfingen. Man sall aber die gewissen nit verwirren. Das interim gibt deshalb ein gute masse.
[S c h l u ß : ] Dieses alles habe ich in diese tafel gefast, dieweil mir alle sterblich, das jderman auch nach meinem todt meinen glauben sehe und niemants anderst von mir sagen soll noch konne. Das ich mir gefallen lasse, das solchs nicht gestritten, das in der ersten kirchen die lieben veter und marterer gehalten, tu ich darumb, dass ich glaube, das die junger der apostel und die, so nahe nach absterben Christi gewesen, ane zweivel Christi und der apostel meinung wol gewust und wir ja alle ein christliche kirche halten und glauben. Was nun die, so pald nach der apostel zeit gelebt und die merterer Christi gewesen und wider alle boese ketzereie gestritten, gehalten, dem wolt ich gern, das mir uns des mit inen verglichen. Dan je kein andere kirche sein kan, dan solche alte veter und merterer, die umb Cristus willen gelitten und wider die ariani und ketzer gewesen sein. Kan und wird auch niemandts mir ein andere christliche kirche zäigen. Doch will ich aber hiemit andere missbreuch und abgottereien, die hernach kommen, weder gelobt noch bestetigt haben. Hett ich zeit und weil, wolt ichs weiter ercleren. Bevehle mich und alle cristen gott vater, sohn, heiliger geist, einem gott. Amen.
Geschrieben den 6. februarii anno domini 1550.
HStAM PA. 1010. Kanzleiumschrift nach Tafeln. — Kanzleivermerk: tabula 72. confessio fidei lantgravii Hessiae. praes. Cassel ultima aprilis anno 1550. Abgedruckt in: Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, 3. Bd., 1547-1567, bearb. von G. und E. Franz, Marburg 1955, Dok. 731, S. 152157
Philipp Melanchton, Rede über die Zusammenkunft von Kaiser Karl V. und Papst Clemens VII 1530 in Bologna, 16. Februar 1559
in: Melanchton deutsch. Band 3. Von Wittenberg nach Europa, hg. von G. Frank und M. Schneider, Leipzig 2011, S.255-268
Melanchthons Rede über die Zusammenkunft Kaiser Karls V. mit Papst Clemens VII. im Jahr 1530 in Bologna wurde anlässlich der Magisterpromotion am 16. Februar 1559 vor der philosophischen Fakultät der Universität Wittenberg durch Dekan Paul Dumerich vorgetragen. Bei jener Zusammenkunft in Bologna, zwei Jahre nach der Plünderung Roms, soll es im Umfeld der Krönung des Kaisers durch den Papst zu einer Unterredung über die Situation der Kirche und den Wunsch des Kaisers nach der Einberufung eines Konzils gekommen sein. Nach dem Vorbild antiker Geschichtsschreiber lässt Melanchthon beide Kontrahenten in Reden zu Wort kommen; er gestaltet diese Reden frei, beruft sich dabei aber auf die Erinnerung von Augenzeugen. Melanchthon würdigt vor allem die Persönlichkeit Kaiser Karls V., der im Jahr zuvor verstorben war. Wie schon in der früheren Rede über die Plünderung Roms verteidigt er den Kaiser, obwohl dieser schließlich doch noch mit militärischer Gewalt gegen die protestantischen Fürsten und Stände vorgegangen war; im zweiten Teil der Rede, der die traditionelle Bitte an den Dekan enthält, den vorgeschlagenen Gelehrten die Magisterwürde zu verleihen, vergleicht er ihn sogar mit Kaiser Augustus.
Ubersetzungsgrundlage ist CR 12, 307-315. Erstdruck Wittenberg 1559 bei Veit Kreutzer (Koehn, 1386, Nr. 214).
Oratio de congressu Bononionensi 16. Februar 1559
Allen Gebieten der Welt und vor allem dem Menschen hat Gott Spuren eingedrückt, die beweisen, dass er Gott ist, und die den menschlichen Geist davon überzeugen, dass er ist, und zeigen, wie er ist, so dass wir seine Vorsehung bekennen müssen und dass wir Gegenstand seiner Sorge sind und wie viel von Ordnung, Gesetzen, Weisheit, Gerechtigkeit und ehrbarer Gesellschaft nicht allein durch menschlichen Rat oder menschliche Kraft, sondern von ihm, Gott selbst, bewahrt und erhalten werden. Das weiß ich gewiss und mit ganzer Überzeugung stimme ich diesem Grundsatz zu und verabscheue zugleich mit allem Nachdruck und von ganzem Herzen den Wahnsinn der Epikureer, Stoiker, und Akademiker, von denen jene zyklopischen1 Stimmen kommen, die Gott verachten, auch wenn die einen eher zügellos und die anderen eher vorsichtig reden. Aber ich erkenne Gott nicht nur durch jene natürliche Erkenntnis an, sondern ich glaube auch, dass die Lehre der Kirche wahr ist, weil sie bestätigt wurde durch die Auferstehung der Toten, die Herausführung der Israeliten aus Ägypten und viele wunderbare Freiheitstaten, und rufe den ewigen Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, den Schöpfer aller Dinge an in der Erkenntnis und im Vertrauen des Mittlers. Da es denn gewiss ist, dass die ewige Kirche durch die Stimme des Evangeliums durch den Sohn versammelt wird, danke ich dem ewigen Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, der mit dem Sohn und dem Heiligen Geist Himmel und Erde und das Menschengeschlecht geschaffen hat, weil er uns bis heute gnädig gelehrt und beschützt hat, und ich bitte ihn von ganzem Herzen, dass er nicht zulässt, dass bei uns die Stimme des Evangeliums ausgelöscht wird, sondern dass er unter uns immer eine ewige Kirche sammeln und leiten und uns beschützen möge. Deinetwegen Gott, deinetwegen schaffe du, dass du recht erkannt und angebetet wirst.
Wie es nun aber Brauch ist und weil in Zusammenkünften solcher Art vor allem über die Lehren, die Tugenden oder gute Beispiele geredet werden soll, so will ich über etwas reden, was unseren Studien nicht fern ist, nämlich über die Zusammenkunft Kaiser Karls mit Papst Clemens in Bologna, weil diese Unterredung zwischen zwei Männern von hervorragender Weisheit über eine höchst wichtige Angelegenheit, nämlich das Konzil, in den Geschichten über Karl nicht erwähnt wird und dennoch meiner Meinung nach in höchstem Maße verdient, in Erinnerung gebracht und von der Nachwelt bedacht zu werden. Meint nun aber nicht, dass es sich dabei um eine erfundene Geschichte handelt, wie die Gespräche zwischen Juno und Venus in einem Gedicht, sondern diese Unterredung hat wirklich stattgefunden, wie viele wissen, die dabei waren und die den Hauptgegenstand und die Worte unseren Freunden erzählten.2 Daher möchte ich den Hauptinhalt genau wiedergeben, wenn ich auch nicht alle Worte berichten kann. Zweifellos haben jene weisen und beredten Männer über eine so wichtige Sache viel klüger und glänzender geredet, als von irgendeinem geredet werden könnte, der heute auf Grund von Weisheit oder Beredsamkeit besonders zu loben wäre.
Dass ich aber gerade jetzt daran erinnere, hat seinen Grund vornehmlich darin, dass Karl gerade erst gestorben ist3 und ich oft über seinen Charakter und sein Geschick nachdenke und über jene Veränderungen, die im Reich und in der Kirche stattgefunden haben. Ich meine auch, dass alle vernünftigen Menschen daran erinnert werden sollten, damit sie bedenken, was nach Gottes Willen in den Reichen und in der Kirche geschehen soll. Wer unter allen Königen in vielen Jahrhunderten hat eine solche vereinigte Macht Europas gegen sich gehabt? In diesen ungeheuren Bewegungen hat Gott diesen Fürsten auf wunderbare Weise bewahrt. Der französische König, der mit einem großen Heer am Tessin stand, wurde von wenigen Truppen nicht nur besiegt, sondern auch gefangen genommen.4 Dann schien bei der Stadt Neapel, die sechs Monate belagert wurde, die Macht Karls gebrochen zu sein. Aber da ging das französische Heer an der Syphilis zu Grunde.5 Wenn wir daran und an vieles andere zurückdenken, dann erkennen wir darin Gottes Gegenwart in der Verteidigung des Siegers. Wie hat er sich als Sieger in diesen Konflikten verhalten? Fest steht, dass er weder den französischen König noch den Papst nach ihrer Gefangennahme grausam behandelt hat. Seine Mäßigung ist daher lobenswert.
Ich weiß wohl, dass mir einige vorwerfen werden, dass ich in dieser Erinnerungsrede Karl nicht kritisiere. Aber wie könnte ich den Ausgang dieser Ereignisse, die von Gott gelenkt waren, tadeln? Und was so maßvoll von ihm getan wurde, wer wollte das verschweigen oder kritisieren oder diese Zurückhaltung boshaft entstellen. Lasst uns vielmehr Gott dankbar preisen, dass er diesen Fürsten beschützt und ihm Macht und Erfolg verliehen hat, so dass Deutschland unter seiner Herrschaft doch einigermaßen ruhig war. Dazu war anfänglich auch seine Besonnenheit gut, als er noch nicht nach Art der Päpste grausam verfahren wollte, sondern forderte, dass man sich der Streitfragen annehmen und dass sie nach reiflicher Überlegung zum Heil der Kirche entschieden wer-den sollten. Weil er von dieser Besonnenheit später abgerückt ist, als er den Krieg in Deutschland anfing,6 lasst uns daher das Elend dieses letzten und wahnsinnigen Greisenalters (der Welt)7 beklagen und sehen, wie überall viel Übles vorhanden ist und darum Strafen gekommen sind und kommen werden. Lasst uns den Sohn Gottes bitten, er wolle seinen gerechten Zorn abmildern, uns mit seiner Wahrheit zur Hilfe kommen und den Rest seiner Herde bewahren. Auch Karl selbst hat erfahren, dass ihm jene Entscheidung zur Gewalt kein Glück brachte. Aber ich will nicht über alle seine Taten reden.
Vielmehr will ich auf diese Zusammenkunft in Bologna eingehen, die beweist, dass er am Anfang vor allen gewaltsamen Lösungen zurückschreckte. Wahr ist, als Karl im Jahr 1530 nach Italien kam, ließ er Gutachten über den Streit in der Kirche anfertigen. Da meinten einige, dass keine Veränderung in der Lehre oder in den Riten notwendig oder erlaubt sei, dass man auch kein Konzil einberufen solle, sondern einfach mit Waffengewalt jene Lehrer und Fürsten zu vernichten seien, die es wagten, jene sogenannte Ruhe zu erschüttern, und dass es schlechter sei Veränderungen zuzulassen als die Krankheit selbst, zu deren Besserung sie gedacht sind. Wenn man nämlich einmal eine Veränderung versuchen würde, dann würde man neuerungssüchtige Geister zu noch größeren Veränderungen einladen. Andere antworteten weit sanfter und meinten, jener gewalttätigen und lakonischen Maßnahmen8 bedürfe es nicht. Einmal, weil es etwas anderes sei, die Kirche zu führen, als einen Staat wie Sparta. In Sparta gehe es nur um die Bewahrung des Friedens, in der Kirche aber um Gottes Ehre. Da es offenkundig sei, dass viele falsche Meinungen durch Irrtum, Aberglaube und Habsucht in die Kirche eingedrungen seien, sei es zur Ehre Gottes notwendig, sie zu bessern.
Da es keinen Frieden geben wird, weil ja immer einige irgendetwas tadeln werden, dann werden das viele umso gewalttätiger tun, die ohne öffentliche Vollmacht und ohne Zustimmung der Herrschenden vorgehen werden. Es sind auch offenkundig die sexuellen Verfehlungen im Zölibat, die zu beheben Gott befohlen hat, soweit das von den Herrschenden geleistet werden kann. Schließlich darf die Kirche nicht tyrannisch sein, sondern muss aus verständlichen Gründen ungerechte Lasten lindern. In Athen hat Solon die Härte der alten Gesetze gemildert und einen Schuldenerlass bewirkt. Oft wurde auch in der Stadt Rom und im Reich die Schuldenlast gemildert. Umso mehr steht der Kirche die Milde an, weil ja so oft geboten wird, die Schwachen zu schonen. Schließlich, da schon so viele Herrscher Konzilien einberufen haben und weil außerdem überall auf der Erde gute und gelehrte Leute mit beharrlichem Seufzen ein Konzil verlangen, was wäre das für eine Tyrannei, wenn man hier ohne Bedenken Gewalt anwenden würde? Auch die Beispiele guter Herrscher seien angefügt, die wie Konstantin, Theodosius, Arkadius und Markian9 Konzilien einberufen haben, die für die Kirche hilfreich waren.
Nachdem er nun beide Gutachten gelesen und da der Kaiser von Natur aus milde war, fern aller Tyrannei und auch nicht weltlich gesinnt, hat er die Sache lange bedacht und mit den klügsten Männern besprochen und schließlich die gerechte und sanftere Meinung vorgezogen und bekräftigt, darauf beharren zu wollen.
Als er nun nach Bologna kam, wurde eine Beratung über den Frieden in der Kirche vereinbart. Als Karl und der Papst nebeneinander Platz genommen hatten und neben ihnen die älteren Kardinäle Genutius und Farnese und andere, sowie auf der anderen Seite spanische und italienische Fürsten standen, hat Merkurinus in einer langen und sehr bedeutsamen Rede den Willen Karls erklärt und ein Konzil gefordert. Diesem wiederum antwortete Clemens, der ebenfalls weise und redegewandt war und sich auf diesen ganzen Sachverhalt vorbereitet hatte, in einer Rede mit folgendem Inhalt:
Ich glaube, dass du, Kaiser Karl, in deinem Urteil ehrerbietig über die Anbetung Gottes denkst und angeregt durch die Beispiele der löblichsten Fürsten mit gutem Eifer ein Konzil forderst. Aber in dieser Sache, in der die Kirche so sehr gefährdet ist, muss meine Überlegung und meine Autorität den Vorrang haben. Denn ohne jetzt näher auf meine Rechte einzugehen, steht doch fest, dass das Konzil von Nicäa alle Streitigkeiten der Kirche im Westen dem römischen Bischof zu-gewiesen hat und dass es unser Recht ist, Konzilien einzuberufen. Schon oft und vor dieser Zeit, haben ich selbst, Genutius und Farnese und andere darüber beraten, wie man dem Frieden in der Kirche raten könnte; ob man eher auf einem Konzil darüber beraten solle oder ob jene mit Gewalt zu unterdrücken seien, die von den Dekreten und Meinungen, die schon früher akzeptiert wurden, abweichen. Aus diesem Grund, meine ich, sollte man ein Konzil nicht einberufen, so will ich gleich zu Beginn fordern, damit du nicht meinst, ich würde es aus Angst um mich selbst oder aus Sorge um die Macht des römischen Stuhls scheuen.
Man sagt, Johannes XXIII. habe es bereut, das Konzil von Konstanz einberufen zu haben, das ihn aus seinem höchsten Amt entfernte. Ich bin nun wahrhaftig erfahren, was die Wechsel des Schicksals betrifft, unlängst erst gefangen, meine ich, dass nicht nur Ehre und Macht, sondern auch das Leben selbst nur allzu flüchtige Schatten sind, und ich werde mit ruhigem Mut Abschied nehmen von diesem Aufenthalt, wann auch immer Gott oder ein anderer Umstand mich von hier wegführen wird. So habe ich keine Sorge, was die Mittel des römischen Stuhles angeht und die uns Ludwig, Karls Sohn, zugewiesen hat, damit wir die zur Verwaltung nötigen Mittel zur Verfügung haben und sicherer sind gegen plötzliche räuberische Überfälle. Aber ich wollte lieber, dass die Bürde der römischen Bischöfe erleichtert würde, wenn wir denn immer solche Kaiser hätten, wie du einer bist. Nicht also wegen solcher törichten Wünsche scheue ich ein Konzil und mich bewegt auch nicht jenes Argument der Rechtsgelehrten: Man müsse die Autorität der schon ergangenen Urteile bestehen lassen und sie nicht mit neuen Diskussionen aufweichen. Wenn diese Disputation dem Frieden und der Nachwelt dienen würde, dann wollte ich sie nicht verhindern, denn auf allgemeinen Frieden und das Wohl der Nachwelt ist mein ganzes Bestreben gerichtet. Ich möchte meinen Rat begründen, indem ich auf die verschiedenen Arten der Lehren, (die zur Diskussion stehen), eingehe.
Darunter sind zum einen Lehren, die nicht nur falsch, sondern auch offenkundig absurd sind, wie die der Wiedertäufer: Aller Besitz müsse allen gemeinsam gehören, Obrigkeit, Urteil und gerechte Strafen und Königreiche seien alle von Gott verdammt. Alles geschehe nach Vorherbestimmung, auch die Verbrechen, es gäbe keine Freiheit für den menschlichen Willen, die Menschen würden wiedergeboren ohne das Wort der Lehre und mit solcher Art Enthusiasmus bekämpfen sie den Willen. Neueren Datums sind auch jene Lehren im Sinne der Samosatener10 über den Sohn Gottes, die die Lehre der Kirche zu einer Lehre Mohammeds umwandeln. Um einen Brand auszulöschen, müssen alle guten Menschen sofort herbeieilen und so müssen auch alle Verantwortlichen herbeieilen, um solche Debatten schon im Keim zu ersticken, und es gäbe ein sehr schlechtes Beispiel, wenn man erlauben würde, darüber zu diskutieren. Einmal konnte Kaiser Konstantius anhören, was ein Betrüger an Gottlosigkeit auf einem Konzil vorbrachte: Der Vater ist gottlos (asebes), der Sohn ist fromm (eusebes), also sind Vater und Sohn ungleich." Ist das vielleicht Sanftmut oder nicht eher Gottlosigkeit, wenn man sich solche Reden anhört? Ich glaube nicht, dass du, Karl, ohne unsäglichen Schmerz und Widerwillen auf dem Konzil sitzen und dir solche Sophistereien anhören würdest wie jener Konstantius, denn dies halte ich nicht für tolerant, sondern für wahnsinnig.
Die zweite Art von Lehren betrifft jene, wie ich sie nennen möchte, unentwirrbaren oder unauflöslichen Dogmen. Da man über diese nicht streiten kann, sollte man sie besser auch nicht auf die Tagesordnung setzen. Dazu gehören solche Fragen wie die der Anbetung der Hostie, der Darbringung und des Messopfers.
Die dritte Art betrifft die Dispense auf Grund päpstlicher Vollmacht, wie die Aufhebung von Gelübden, Heiratserlaubnis, Einschränkung des Aberglaubens, und was Speise und Kleidung und ähnliche Kleinigkeiten angeht. Über diese Art, da es hier um klare Sachverhalte geht, muss keine Diskussion auf einem Konzil stattfinden. Wenn Könige und Fürsten hier eine größere Freiheit wünschen, dann kann der römische Stuhl mit einem einzigen Edikt eine Milderung in allen diesen Fragen veranlassen. Auch ich wollte gerne, dass der Aberglaube und die sittlichen Mängel aufgehoben würden, die durch törichte Gesetze noch vermehrt werden. Aber ich will keine Anarchie. Man möge vom römischen Stuhl eine Verbesserung verlangen, aber ich will nicht, dass ihm jene Vollmacht genommen wird, die ihm nach Meinung der alten Kirche zusteht.
Wenn ihr diese drei Arten bedenkt, dann werdet ihr verstehen, war-um man ein Konzil nicht einberufen kann. Es bleibt, dass du, Karl, mit Waffengewalt den Frieden wiederherstellst. Italien, durch dein Heer gezähmt, hat nun Ruhe, der französische König ist zurückgeschlagen, der mit dir nicht über stoische Paradoxa oder den judaisierenden Fanatismus von Mönchen, sondern um das Reich gekämpft hat. Umso leichter kannst du nun den nicht großen Teil Germaniens befrieden, sofern du auch an die Zukunft denkst. Wenn die Autorität dieses Stuhles ausgelöscht wird, dann folgt eine Anarchie, der durch ein Nachlassen der Disziplin eine Verwilderung der Sitten folgt, und dann wird der leichtfertige Erfindungsgeist ständig neue Dogmen hervorbringen; bedenkt, wie verderblich ein Zögern angesichts dieses Brandes wäre.
Als der Papst mit seiner Rede zu Ende war, befahl Karl, da er entschlossen war von seiner Meinung nicht abzugehen, dem Merkurinus, die päpstliche Rede zu widerlegen. Als nun Merkurinus mit seiner Rede begann, da unterbrach ihn der Papst; mit wutverzerrtem Gesicht und mit herrischer Stimme fuhr er den Merkurinus mit folgenden Worten an:
„Wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen und den Herrn gegen mich aufzubringen?”
Da stand nun Karl selbst auf, um das Wort zu ergreifen. Da waren die Fürsten gespannt, was dieser Jüngling sagen würde, und aufmerksam hörten alle zu. Dies nun ist die Zusammenfassung jener höchst bedeutsamen Rede:
Ich weiß, dass ich noch jung bin, und bekenne, dass ich den Rat des Merkurinus und anderer Weiser gebrauchen kann und auf das Urteil jener hören muss, die weiser sind als ich, und gerade in dieser Angelegenheit, in der es um die Ehre Gottes und das Wohl des ganzen Menschengeschlechts geht, habe ich mit vielen gesprochen, die sich aus-zeichnen durch Weisheit, Tugend und Glauben und die der Meinung sind, ein Konzil wäre nötig für die Kirche. Auch du kannst nicht die Meinung aller weisen und guten Männer in ganz Europa übergehen, die mit beständigem Seufzen ein Konzil fordern, das recht geleitet wird. Weil nun diese Sache gründlich überlegt wurde und mit den genannten Gründen, gegen die du dich wehrst, bedacht wurde, möchte ich ein Konzil zusammenrufen, und wisse, dass Merkurinus das, was er gesagt hat in meinem Auftrag gesagt hat, und ich werde, solange ich lebe, von dieser Meinung nicht abrücken. Dein Rat scheint auf den ersten Blick imponierend und den Weltleuten einsichtig zu sein, aber der meine dafür gerecht und für die Kirche besser, und wenn ihr mich nicht daran hindern werdet, dann, so hoffe ich, wird er mit Gottes Hilfe dem Menschengeschlecht heilsam sein. Auch deine schreckliche Rede, dass man über Absurdes und Unumstößliches nicht disputieren solle, wird mich von dieser Meinung nicht abbringen. Denn worüber jetzt diskutiert wird, das ist nicht absurd und jene Fragen in der Kirche über notwendige Dinge sind auch nicht unentwirrbar. Auch ich hörte schon oft jenes Wort Platos: „Wie man mit dem Wahnsinn der Eltern umzugehen hat, so sind auch in den Staaten und Religionen die Laster zu verheimlichen."12 So verhält es sich in den Reichen und in der Kirche. Ein Fundament muss man in der Kirche gewiss behalten. Und jene ewigen Gesetze in den Reichen und Kirchen sind aufrechtzuerhalten, die Götzendienst und Sittenverfall verbieten. Es sind aber einige Formen der Anbetung, die gegen Gott gerichtet sind, in die Kirche eingedrungen. Und auch der schreckliche Verfall der Sitten ist offenkundig. Aber nicht nur wegen der Behebung dieser Übel wird ein Konzil verlangt, sondern das Ganze der gemeinsamen Lehre ist neu zusammenzufassen, damit alle Völker in allen Kirchen mit einer Stimme loben. Du weißt, dass auch in deinen Städten jetzt zu vielen wichtigen Fragen unterschiedliche Stimmen laut werden. Wenn sich also in dieser Zeit manches Absurde ausbreitet, dann kann das Konzil deutliche und gewisse Zeugnisse dagegensetzen, damit in dieser Zeit und auch später, ausgerüstet mit den vom Konzil aufgezeigten Argumenten, die Menschen weniger getäuscht werden.
Jene Aussage aber, Papst, ist unwürdig, wenn du sagst, dass manches unentwirrbar sei. Gott hat sich in seiner ungeheuren Güte offenbart und will, dass wir die Lehre annehmen, die er uns übergibt, was aber ein leerer Schall wäre, wenn diese Lehre zweideutig wäre. Mir gefällt auch der Rat des Theodosius, der befohlen hat auf dem Konzil nach den anerkannt alten Zeugnissen zu suchen und sie vorzustellen. Ganz gewiss höre ich gerne auf die lehrende Kirche, wie Simson ermahnte: „Wenn ihr nicht mit meinen Rindern pflügt, werdet ihr es nicht finden"13.
Über die Dispense, die du anbietest, wo könnte man darüber besser reden als auf einem Konzil? Denn die Eintracht wird größer sein unter den Völkern, wenn alle diese Erleichterung annehmen. Ich freue mich an jenem altehrwürdigen Wort: „In Zeiten allgemeiner Gefahr soll man gemeinsam beraten.”14 Ich werde mich, sobald mir der Sachverhalt bekannt ist, meiner Pflicht nicht entziehen. Damit es zu einer ordentlichen Verhandlung kommt, werde ich nach dem Beispiel der alten Kaiser anwesend sein und auch dafür sorgen, so gut ich kann, dass jene Gesetze genauestens befolgt werden: „Beide Seiten sollen gehört werden” und „Urteile sollen nicht nach tyrannischer Willkür, sondern gemäß den Gesetzen erfolgen"15, in diesem Fall gemäß der Lehre, die gewiss von Gott überliefert ist.
Nun zu dem, was du befiehlst, dass ich nämlich ohne Unterscheidung Gutes und Schlechtes vernichten soll, dies werde ich auf keinen Fall tun. Ich will nämlich nicht, dass gerechtes Urteil aus der Kirche verschwindet und eine Tyrannis errichtet wird. Ich habe aber schon zuvor im Krieg klar meinen Gehorsam gegenüber der Kirche, gegen den römischen Stuhl und gegenüber dir zum Ausdruck gebracht und werde dies auch weiterhin tun.
Als sie diese Rede hörten, staunten der Papst und alle Fürsten über den Verstand und den Mut Karls. Und um Karl nicht noch mehr zu erzürnen, gab der Papst die verbindliche Antwort, er werde darüber mit seinem Senat noch einmal beraten.
Dieses Geschehen in Bologna zeigt, wie maßvoll und besonnen Karl gewesen ist, und dem entspricht, dass er sich danach auf dem Reichstag in Augsburg unser Bekenntnis aushändigen ließ;16 dies alles, so lasst uns bedenken, geschah nach Gottes Willen, damit nämlich die Lehre des Evangeliums dargelegt und ausgebreitet wurde, die wir zur Ehre Gottes und zu unserem eigenen Heil eifrig lernen und die unglaublichen Wohltaten Gottes erkennen, dankbar feiern und von ihm mit beständigen Gebeten erbitten, dass er uns in den so gewaltigen Verwirrungen des Menschengeschlechts, gnädig führen, schützen und nicht zulassen möge, dass wir uns in Irrtümern verfangen und aus der Kirche in die Finsternis fallen.
Dich Sohn Gottes, Herr Jesus Christus, der du gesagt hast: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken17, rufe ich an, dass du uns lehrest, leitest und bewahrest. Ich zweifle nicht, dass du die Wahrheit sagst, wenn du alle Mühseligen rufst. Deiner Stimme vertraue ich und komme zu dir, bitte und erwarte von dir Hilfe und Heil. Ich habe gesprochen.
Bitte an den Dekan
Wenn ich mich an die Reden Kaiser Karls erinnere, so kommt mir zugleich in den Sinn, was ich über den Kaiser Augustus und diesen Karl denke. Ich finde in diesen zwei Fürsten vieles, was ähnlich ist, wenn sie auch ungleich sind, was ihre Macht angeht oder auch die Verhältnisse im Einzelnen und die Zeit. Dennoch sind sie beide in schon bewegte und verwirrte Zeit geraten. Die Ähnlichkeit der Naturen und die Übereinstimmung der Konstellation zeigen: Beide sind im Sternbild des Widders geboren, beide zur Zeit einer Konjunktion von Saturn und Mars. So ist also klar, warum hier eine Ähnlichkeit besteht in der Sittlichkeit, im Urteil, in den Vorhaben, Ereignissen, Taten und im Wandel des Glücks. Augustus kam aus der Schule von Rhodos von der Wissenschaft zur Macht; nach der Ermordung von Gaius Caesar, von dem er noch als Jüngling adoptiert worden war, und nach der Ermordung der Konsuln Hircus und Pansa folgte er ihnen im Amt des Konsuls, neunzehn Jahre alt.18 Genauso alt war Karl, als er von den Kurfürsten gewählt und zur Verwaltung des römischen Reiches berufen wurde. Beide führten große Kriege zu Lande und auf dem Meer mit beinahe gleichem Erfolg und mit demselben Wandel des Glücks, mehr gegen die Feinde im Innern als die von außen. Beiden wider-fuhren verschiedentlich Widerstand und Anschläge. Beiden hat Gott an Weisheit und Kriegskunst hervorragende Männer zur Seite gestellt, mit deren Rat und Führungskraft sie mit Glück und Erfolg große Taten vollbrachten: Augustus den Agrippa, Maecenas, Drusus und andere; Karl den Merkurinus, Granvella, Antonius Leva und Frundsberg. Beider Weisheit schon in jungen Jahren war herausragend und nach einem Sieg war auch ihre Mäßigung ausgezeichnet. Man erzählt von Nikolaus von Schönberg, Kardinal von Capua, dass er nach seiner Gesandtschaft bei drei Königen, Karl von Spanien, Franz von Frankreich und Heinrich von England, von dem Kardinal von St. Georg19 nach seiner Rückkehr nach Rom gefragt wurde, welchen der drei Könige er am meisten für würdig hielte, in Erinnerung zu bleiben: Er habe in Frankreich einen schönen König und auch in England einen schönen König getroffen — König Heinrich war von außergewöhnlicher Gestalt —, in Spanien aber den weisen Rat des Königs. Er meinte damit Karl selbst und seine Berater. In beiden war ein ernsthaftes Bemühen, unsichere und im Fluss befindliche Dinge zusammenzubringen, und wenn ein Friede erreicht und unterzeichnet war, der den Streit beenden sollte, war es ihr Bestreben, einen dauerhaften Stand auch für die Nachwelt und für die zukünftige Ruhe und Unversehrtheit des Reiches zu erreichen. So beriet Augustus mit den zwei klügsten Männern, mit Agrippa und Maecenas, ob man die alte Form der Republik wiederherstellen sollte, die ja eine gemischte Form von Aristokratie und Demokratie war, oder ob man diese, nachdem sie praktisch am Ende war, in eine Monarchie umwandeln sollte. Die Inhalte dieser Unterredung finden sich bei Dio20 in langen Reden, in denen vieles diskutiert wurde, ernsthaft und klug unter Berücksichtigung beider Seiten. So hat auch Karl, um die Streitigkeiten in der Kirche zu beenden und zu beruhigen und um eine Besserung in der Kirche durch das Urteil eines recht-mäßigen Konzils zu erlangen und schließlich Eintracht herzustellen, sowohl vor dem deutschen Krieg'' als auch danach mit seinen Weisen vieles und in allen Teilen gründlich erwogen. So haben sie beide und fast mit gleichem Erfolg etwas versucht und sich, nachdem man von den ursprünglich angestrebten Plänen Abstand nahm, von der Regierung des Staates enttäuscht zurückgezogen, Augustus nach Nola, Karl in ein Kloster und beide sind in Resignation und Einsamkeit gestorben. So sind sie beide ein Beispiel dafür, wie unselig menschliche Weisheit ist und wie weitgehend vergeblich, wenn sie nicht von Gott geleitet wird.
Ich habe umso lieber auch an Kaiser Karl erinnert, weil er, wie wir alle wissen, trotz so vieler Mühen in der Regierung und in den Kriegen unsere Wissenschaften der Physik und Mathematik geliebt, verstanden und ausgeübt hat. So hat er auch keine Medikamente genommen, die er nicht zuvor selbst untersucht und geprüft hatte; er hat über Geographie und Astronomie mehr gewusst als viele andere, die sich diesen Studien widmen konnten, und er hat jene geehrt und ausgezeichnet, die in diesen Disziplinen durch ihr Wissen herausragten. Durch dieses Urteil eines so großen Kaisers über unsere Wissenschaften mögen Jünglinge dazu bewegt werden, das Studium der Philosophie hochzuhalten.
Da wir nun erfahren haben, dass sich jene zweiunddreißig ehrbaren und gelehrten Männer, die man nach Art der Schule gehört hat, in der Philosophie mit hervorragendem Fleiß betätigt haben, und wir hoffen können, sie werden sowohl für die Leitung der Kirche als des Staates nützlich und eine Zierde sein, halte ich es für recht, dass sie mit dem Titel, der kraft kaiserlicher Vollmacht den Gelehrten zukommt, von unserem Kollegium ausgezeichnet werden. Darum befehle ich sie dir, hochgelehrter Herr Dekan und Vizekanzler, an und bitte darum im Namen unseres Kollegiums und in ihrem Namen, dass ihnen Titel und Grad eines Magisters der Philosophie verliehen werden. Für diese erwiesene Auszeichnung wirst du sie dir für immer verpflichten.
Ich bete zu Gott, dem ewigen Vater unseres Herrn Jesus Christus, dass er die Kirche in diesen Ländern und diese unsere Schule gnädig behüten und schützen möge und dass er das Licht seiner Lehre und die ehrbaren Studien erhalten und uns alle leiten und bewahren möge.
Ich habe gesprochen.
1 Die Zyklopen, nach antiker Überlieferung einäugige Riesen, stehen hier für primitive, unmenschliche Kreaturen.
2 Näheres über diese Freunde ist nicht bekannt.
3 Kaiser Karl V. starb am 21.9.1558 in Yuste.
4 In der Schlacht von Pavia 1526.
5 Bei der Belagerung Neapels 1528.
6 Schmalkaldischer Krieg 1546/ 1547.
7 Senecta mundi, Ausdruck für die Endzeit, in der sich die Welt nach Melanchthons Auffassung befand.
8 Lakedämonier oder Spartaner waren für Härte und Grausamkeit bekannt.
9 Die sogenannten ökumenischen Konzilien wurden von den Kaisern Ostroms einberufen.
10 Lehre des Paul von Samosata über die Natur Christi, vgl. CA Art. I (BSLK, Bd. 1, 52). Hier Anspielung auf die Lehren der Antitrinitarier.
11 Bischof Acacius von Cäsarea, im arianischen Streit Vertreter einer vermittelnden Richtung, der sogenannten Homöer; sie bestritten die Wesensgleichheit von Vater und Sohn in der Trinität, weil der Vater niemanden verehrt — daher gottlos —, der Sohn hingegen den Vater.
12 Plato, Fundort unbekannt.
13 Ri 14,18.
14 Quelle nicht bekannt.
15 Grundsätze römischen Rechts.
16 Am 25. Juni 1530 durch den sächsischen Kanzler Christian Beyer.
17 Mt 11,28.
18 43 v. Chr.
19 Kardinaldiakon Girolamo Grimaldi.
20 Cassius Dio Cocceianus.
21 Schmalkaldischer Krieg 1546/1547.
Ausbreitung der Reformation und Konfessionsverteilung um 1555

Tafel 16: Die Züricher und Genfer Reformation: Zwingli, Bullinger und Calvin
Wittenberg ist nicht der alleinige und früheste Ausgangspunkt der Reformation, sondern daneben hat es andere, davon unabhängige Zentren gegeben. Dazu gehört insbesondere Zürich in der Schweizer Eidgenossenschaft. Während Wittenberg das Modell einer vom Landesherren bestimmten Fürstenreformation ist, steht Zürich für eine autonome städtische Reformation, getragen von einem wirtschaftlich und politisch leistungsfähigen Bürgertum. Zentralfigur der Schweizer Reformation ist der vom Humanismus geprägte Huldrych Zwingli (1484-1531), der Erasmus persönlich begegnet und von diesem maßgeblich beeinflusst ist. Zwingli hat stets betont, dass er unabhängig von Luther und schon vor ihm zum Evangelium gekommen sei: Ich habe das Evangelium Christi im Jahre 1516 zu predigen angefangen, ehe in unserer Gegend noch irgend jemand von Luthers Namen gewusst hat. 1519 wird Zwingli Leutpriester am Großmünster in Zürich und leitet dort 1522 die Reformation ein, die sich auch in Bern, Basel, St. Gallen und anderen Städten schnell ausbreitet und mit der Säkularisation der Klöster und der Abschaffung der Messe 1525 abgeschlossen ist.
Luther ist für Zwingli zunächst ein trefflicher Streiter Gottes, im Kampf gegen das römische Papsttum von niemandem übertroffen. In der Abendmahlslehre kommt es aber schon früh zum Konflikt zwischen den Schweizer Reformatoren und dem Luthertum, den auch Philipp von Hessen 1529 beim Marburger Religionsgespräch und verschiedenen späteren Vermittlungsversuchen nicht überbrücken kann. Mit dem Nachfolger Zwinglis, dem in Deutschland zu Unrecht vergessenen Heinrich Bullinger (1504-1575), verbindet Philipp eine lebenslange intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Bullinger ist für den hessischen Landgrafen die zentrale Vermittlungsinstanz zwischen den Anhängern der Augsburgischen Konfession und den Reformierten in der Schweiz und anderen Teilen Europas. Ihr intensiv geführter Briefwechsel erweist, dass in allen Fragen einer übergreifenden europäischen Unionspolitik nicht Luther und die Wittenberger, sondern Bullinger der erste Ansprechpartner Philipps ist.
Nach dem Tode Zwinglis (1531) wird Genf mit Johannes Calvin (1509-1564) bald zu einem neuen Mittelpunkt der reformierten Lehre - mit Ausstrahlung seiner Prädestinationslehre vor allem nach Westeuropa und schließlich auch Nordamerika (Puritaner). Ein Auseinandergehen der Schweizer und der calvinistischen Reformation wird durch eine Einigungsformel in der Abendmahlsfrage, die Bullinger und Calvin 1549 im Consensus Tigurinus finden, verhindert. Bullingers Confessio Helvetica posterior (1561/66) beeinflusst die Reformation im europäischen Maßstab nachhaltig - kann aber nicht, wie von diesem eigentlich beabsichtigt, auch eine Brücke zu den Evangelischen in Deutschland bauen. Am Ende des Reformationszeitalters zeigt sich, dass die Spaltung zwischen Lutheranern und Reformierten zu zwei protestantischen Konfessionen geführt hat.
Huldrych Zwingli (1484-1531), Porträt von Hans Asper, um 1531
Johannes Calvin 1509-1564, Porträt 16 Jh.
Johannes Calvin, Antwort an Kardinal Sadolet (1539)
Nachdem der Genfer Stadtrat Johannes Calvin (1509–64) wegen Ungehorsam aus der Stadt ausgewiesen hatte (April 1538), richtete Jacob Sadolet (1477–1547), seit 1517 Bischof von Carpentras (Südfrankreich), seit 1536 Kardinal und Mitglied der von Papst Paul III. berufenen Reformkommission, einen offenen Brief an die Bevölkerung in Genf (März 1539). Die Antwort erfolgte im September von Straßburg aus durch Calvin, der in seiner »Responsio ad Sadoletum« in knapper Form Rechenschaft über das Anliegen der Reformation gab.
[Auszüge]
Kennzeichen rechter Kirche
Auf drei Teilen steht und stützt sich am ehesten die Unversehrtheit der Kirche: auf Lehre, Ordnung und Sakramente; viertens können noch die Zeremonien hinzu-kommen, die das Volk in den Pflichten der Frömmigkeit üben sollen. Wenn nun das Ansehen Eurer Kirche möglichst geschont werden soll, in welchem Teil sollen wir sie Deiner Meinung nach prüfen?
Die Wahrheit prophetischer und evangelischer Lehre, auf der eine Kirche gegründet sein muß, ging nicht nur großenteils zugrunde, noch mehr, sie wurde feindselig mit Feuer und Schwert bekämpft. Möchtest Du mir eine solche Kirche aufdrän‑
gen, die alles erbittert verfolgt, was die Hauptartikel unserer Religion ausmacht, Was Gottes Aussprüche ans Licht brachten, was auch in den Schriften der heiligen Väter seine Bestätigung erfuhr und was auf den alten Konzilien angenommen ist? Ferner, besteht denn noch eine Spur von jener heiligen wahren Zucht bei Euch, die die alten Bischöfe in der Kirche übten? Habt Ihr nicht alle ihre Einrichtungen zum Gespött werden lassen? Habt Ihr nicht alle alten Leitsätze mit Füßen getreten? Und daran, wie bei Euch böswillig die Sakramente entweiht sind, mag ich nur mit Schaudern denken. Zeremonien habt Ihr zwar mehr als genug. Aber was können sie schon die Kirche stärken helfen, wenn sie großenteils ihres rechten Ausdrucks entkleidet und durch zahllose Formen von Aberglauben verdorben sind? Du siehst, ich brauche die Anklagen nicht zu übertreiben. Sie liegen alle so offen zutage, daß man mit dem Finger darauf tippen möchte, wenn überhaupt Augen da sind, die sehen können. Nun mache bitte einmal die Gegenprobe bei uns. Du wirst die Verbrechen, die Du uns vorwirfst, nicht nachweisen können.
bei den Sakramenten haben wir nur versucht, sie in ihrer ursprünglichen Reinheit, von der sie weit abgekommen waren, wiederherzustellen und ihnen wieder zu ihrer rechten Wertschätzung zu verhelfen. Die Zeremonien haben wir großen-teils abgeschafft. Wir waren tatsächlich dazu gezwungen; teils waren sie durch ihre Überzahl zu einer Art jüdischem Geschäft entartet, teils brachten sie in das Denken des Volkes so viel Aberglauben, daß das auf keinen Fall so bleiben konnte. Denn der Frömmigkeit, die sie fördern sollten, standen sie gerade am meisten im Wege. Behalten haben wir die, welche nach gegenwärtigem Verständnis [pro temporis ratione] hinreichend schienen.
Wir stellen keineswegs in Abrede, daß bei uns die Zucht, wie sie die alte Kirche hatte, fehlt. Aber ist das nun richtig, daß wir wegen der abgetanen Kirchenzucht in denen unsere Ankläger finden, die sie selber allein schon fast beseitigt haben? Wer bereitete uns größten Widerstand, als wir sie wieder einzuführen suchten?
Die Rechtfertigungslehre
Du selbst sprichst uns übrigens durch Dein eigenes Verhalten frei: unter unsern Glaubenssätzen, die Du erledigen willst, führst Du keinen an, dessen Kenntnis nicht zur Erbauung [aedificatio] der Kirche besonders notwendig ist. Zunächst rührst Du an die Rechtfertigung aus Glauben. Hierüber ist ja zwischen uns und Euch hauptsächlich erbittert gerungen worden. Ist dies denn eine unnütze Spitzfindigkeit? Jedoch nimm diese Erkenntnis fort, dann ist Christi Ehre ausgelöscht, die Religion abgeschafft, die Kirche niedergerissen und uns jede Hoffnung auf Rettung entschwunden. Also jener Glaubenssatz, der in der [christlichen] Religion am höchsten steht, ist von Euch — so behaupten wir — aus dem lebendigen Bewußtsein der Menschen in gottloser Weise getilgt. Mit dem klaren Beweis hierfür sind unsere Bücher angefüllt. Die völlige Unkenntnis hierüber, die man noch heutzutage in Euren Kirchen antrifft, beweist, daß man sich ganz zu Unrecht über uns beschwert. Du wirfst uns hier recht böswillig vor: dadurch, daß wir dem Glauben alles übertrügen, ließen wir den Werken keinen Platz. Wenn ich mich hier auf eine richtige Auseinandersetzung einließe, könnte sie nur in einem umfangreichen Band abgeschlossen werden. Doch wenn Du nur einen Blick in den Katechismust werfen möchtest, den ich selbst für die Genfer verfaßte, als ich dort Pastor war [gemeint ist Calvins »Instruction et Confession de Foy« von 1537], würdest auch Du Dich schon nach kurzem geschlagen geben müssen und verstummen. Ich möchte Dir hier aber mit einer kurzen Darlegung unseres Standpunktes helfen.
Wir achten streng darauf, daß der Mensch mit seiner Selbsterkenntnis den Anfang macht, und zwar nicht so leichthin und nebenbei, sondern so, daß er sein Gewissen vor Gottes Richterstuhl stellt. Von seiner Unbotmäßigkeit wird er dann tief durchdrungen. Die Strenge solchen Richtspruches trifft alle Sünder. So sinkt er vor Gott hin und demütigt sich, denn sein Elend brachte ihn ins Wanken und erschütterte ihn. Alles Selbstvertrauen ist abgelegt, nur Seufzer eines zum Tode Verurteilten bleiben ihm. Hier zeigen wir ihm, daß die einzige Rettungsmöglichkeit in Gottes Barmherzigkeit offensteht. In Christus haben wir dies Angebot. Unser ganzes Heil liegt in ihm vollkommen bereit. Wenn also alle Sterblichen vor Gott Sünder sind — so ist unsere Überzeugung —, ist Christus unsere einzige Gerechtigkeit. Durch seinen Gehorsam hat er unsere Übertretungen ausgelöscht, durch sein Opfer den Zorn besänftigt, mit seinem Blut unsere Flecken beseitigt, mit seinem Kreuz unsere Verurteilung auf sich genommen, und schließlich mit seinem Tode für uns alles beglichen. Hierher stammt unser Satz, der Mensch werde mit Gott dem Vater durch Christus versöhnt, — durch kein eigenes Verdienst, durch keine Anrechnung von Werken, sondern durch das Geschenk der Barmherzigkeit. Da wir aber im Glauben Christus umfassen und gleichsam mit ihm tauschen möchten, nennen wir es in Anlehnung an die Heilige Schrift Glaubensgerechtigkeit.
in Auszügen zit. nach: Heiko A. Oberman, Die Kirche im Zeitalter der Reformation, Neukirchen-Vlyn 1994, Dok. 91, S. 187-190
Die Zürcher Übereinkunft (Consensus Tigurinus) zwischen Heinrich Bullinger und Johannes Calvin, 20. Mai 1549
Am 20. Mai 1549 einigten sich Bullinger (Nachfolger Zwinglis in Zürich) und Calvin (Genf) auf eine gemeinsame Abendmahlslehre. Vor allem auf der Grundlage von Formulierungen Heinrich Bullingers gelang es, eine Einigung der Schweizer Reformationsbewegung, den "Zürcher Konsens", herbeizuführen. Der "Consensus Tigurinus" zwischen dem Zürcher und dem Genfer Zweig der Reformation war von grundlegender Bedeutung für die Herausbildung einer »reformierten« Konfession in ganz Europa und darüber hinaus.
1. Das gesamte geistliche Regiment der Kirche führt uns zu Christus
Weil Christus das Ziel des Gesetzes ist und seine Kenntnis in sich die gesamte Fülle des Evangeliums umfasst, besteht kein Zweifel, dass das gesamte geistliche Regiment der Kirche darauf abzielt, dass es uns zu Christus führt, so wie man allein durch ihn zu Gott gelangt, der das letzte Ziel eines glücklichen Lebens ist. Wer deshalb von ihm auch nur ein wenig abweicht, kann niemals über die Einrichtungen Gottes richtig oder angemessen sprechen.
2. Die wahre Erkenntnis der Sakramente entspringt aus wahrer Erkenntnis Christi
Weil aber die Sakramente Anhänge des Evangeliums sind, wird folglich derjenige sowohl pas send als auch auf nützliche Weise ihre Natur, Kraft, Aufgabe und Frucht erörtern, der bei Christus beginnt, und zwar nicht auf jene Weise, dass er beiläufig den Namen Christi erwähnt, sondern indem er wirklich festhält, wieweit er uns vom Vater geschenkt wurde und was er uns an Gutem gebracht hat.
3. Welcher Art ist die Erkenntnis Christi?
So muss man glauben, dass Christus, weil er Gottes ewiger Sohn war, von demselben Wesen und derselben Ehre wie der Vater, unser Fleisch annahm, damit er nach dem Recht der Annahme an Kindesstatt das, was er von Natur aus an eigenem besass, uns mitteilte, nämlich dass wir Kinder Gottes seien. Das geschieht, wenn wir durch den Glauben in den Leib Christi eingefügt sind und zwar durch die Wirksamkeit des heiligen Geistes und (dabei) erstens als gerecht gelten durch die unentgeltliche Anrechnung der Gerechtigkeit, zweitens wiedergeboren werden zu einem neuen Leben; wenn wir durch dieses nach dem Bild des himmlischen Vaters umgestaltet worden sind, geben wir den alten Menschen auf.
4. Christus der Hohepriester. Christus der König
Daher müssen wir Christus in seinem Fleisch als Priester betrachten, der unsere Sünden durch das einmalige Opfer seines Todes auslöschte, der alle unsere Ungerechtigkeiten durch seinen Gehorsam zerstörte, der uns vollkommene Gerechtigkeit erwarb und der jetzt zu unseren Gunsten eintritt, damit uns der Zugang zu Gott offen steht. Er muss als Bruder betrachtet werden, der uns aus elenden Kindern Adams zu glückseligen Kindern Gottes machte. Er muss betrachtet werden als Wiederhersteller, der durch die Wirksamkeit seines Geistes wiederherstellt, was immer in uns mangelhaft ist, so dass wir aufhören, für die Welt zu leben und für das Fleisch, und dass Gott selbst in uns lebt. Er muss betrachtet werden als König, der uns mit jeder Art von Gutem bereichert, der uns durch seine Kraft regiert und beschützt, der uns mit geistlichen Waffen rüstet, damit wir gegen Teufel und Welt unbesiegt bestehen bleiben, der uns aus jeder Verstrickung befreit und der uns durch das Szepter seines Mundes leitet und lenkt. Und zwar muss er auf jene Weise betrachtet werden, dass er uns zu sich als zum wahren Gott und zum Vater fortzieht, bis sich das erfüllen wird, was am Ende geschehen wird, nämlich dass Gott alles in allem sein wird.
5. Auf welche Weise Christus uns Anteil gibt
Damit sich uns Christus ferner als so geartet vorstellt und eine Wirkung dieser Art in uns hervorruft, ist es nötig, dass wir eins mit ihm werden und mit seinem Leib verschmelzen, weil er nicht auf andere Weise sein Leben in uns strömen lässt, ausser wenn er unser Haupt ist, »von dem der gesamte Körper zusammengefügt und verbunden ist und über jede Verbindung eines Dienstes entsprechend der Funktion nach Mass eines jeden einzelnen Gliedes körperliches Wachstum erzielt«.
6. Geistliche Teilnahme. Einsetzung der Sakramente
Geistlich ist diese Teilnahme, die wir an Gottes Sohn haben, wenn er mit seinem Geist in uns wohnt und alle Gläubigen aller guten Dinge, die in ihm ihren Sitz haben, teilhaftig macht. Zum Zeugnis davon ist ebenso die Verkündigung des Evangeliums eingerichtet, wie uns der Gebrauch der Sakramente anvertraut ist, und zwar der heiligen Taufe und des heiligen (Abend-)Mahls.
7. Die Ziele der Sakramente
Aber auch dies sind Ziele der Sakramente: dass sie Kennzeichen und Marken des christlichen Bekenntnisses und der Gemeinschaft oder Bruderschaft sind; dass sie Aufforderungen zur Danksagung aus Einübung des Glaubens und eines frommen Lebens sind; schliesslich Unterschriften, die dazu verpflichten. Aber darunter ist ein Ziel unter den andern das vorzüglichste, dass Gott uns durch sie seine Gnade bezeugt, darstellt und besiegelt. Denn auch wenn sie nichts anderes bezeichnen ausser das, was durch das Wort selbst verkündigt wird, so ist dies doch etwas grosses, dass unseren Augen gleichsam lebendige Bilder vorgeführt werden, die unsere Sinne stärker berühren (als das Wort allein), indem sie gleichsam ins Geschehen selbst hineinführen, wenn sie uns Christi Tod und alle seine Wohltaten in Erinnerung rufen, schliesslich (ist es auch etwas grosses,) dass das, was durch Gottes Mund verkündet wurde, gleichsam wie mit Siegeln bestätigt und bekräftigt wird.
8. Was die Sakramente wahrhaft bezeichnen, gewährt der Herr wahrhaft. Danksagung
Weil aber das wahr ist, was uns der Herr an Zeugnissen und Siegeln für seine Gnade gab, gewährt er selbst uns ohne Zweifel innerlich durch seinen Geist, was die Sakramente den Augen und den andern Sinnen bezeichnen, d. h. dass wir aus Christus trinken wie aus dem Brunnen alles Guten, dass wir sodann durch die Wohltat seines Todes mit Gott versöhnt werden, durch den Geist zur Heiligkeit der Lebensführung erneuert werden, schliesslich Gerechtigkeit und Heil erlangen und zugleich für diese Wohltaten, die uns damals am Kreuz eröffnet wurden und die wir jeden Tag im Glauben empfangen, Dank sagen.
9. Zeichen und bezeichnete Sachverhalte sind verschieden
Wenn wir daher auch, wie es recht ist, unterscheiden zwischen Zeichen und bezeichneten Sachverhalten, so trennen wir gleichwohl die Wahrheit nicht von den Zeichen; im Gegenteil bekennen wir, dass so, wie alle diejenigen, die im Glauben die dort dargebotenen Verheissungen annehmen, Christus auf geistliche Weise zusammen mit seinen geistlichen Gaben empfangen, ebenso auch diejenigen, die bereits an Christus Anteil erhalten haben, jene Gemeinschaft (mit ihm) fortsetzen und (laufend) erneuern.
10. Die Verheissung muss vor allem in den Sakramenten gesucht werden
Denn es eignet sich nicht, auf die blossen Zeichen zu achten, sondern vielmehr (zu achten) auf die Verheissung, die dort angefügt ist. Soweit also unser Glaube in der Verheissung, die dort dargeboten ist, fortschreitet, soweit entfaltet sich jene Kraft und Wirksamkeit, von der wir sprachen. Daher bietet uns die Materie von Wasser, Brot bzw. Wein Christus keineswegs an und macht uns auch nicht teilhaftig an seinen geistlichen Gaben, sondern man muss mehr auf die Verheissung achten, deren Teile (folgende) sind: Sie führt uns auf geradem Weg des Glaubens zu Christus; dieser Glaube macht uns an Christus teilhaftig.
11. Vor den Elementen darf man nicht in Erstaunen stehen bleiben
Von daher stammt der Irrtum derjenigen, die in Erstaunen vor den Elementen stehen bleiben und diesen das Vertrauen auf ihr Heil zuschreiben, wo doch die Sakramente getrennt von Christus nichts als leere Hüllen sind und wo doch in all dem diese Stimme deutlich herausklingt, dass nirgendwo sonst als allein an Christus Halt und von nirgendwoher sonst die Gnade des Heils gesucht werden darf.
12. Die Sakramente bewirken aus sich heraus nichts
Wenn uns ferner irgend etwas Gutes durch die Sakramente verschafft wird, dann geschieht dies nicht durch deren eigene Kraft, auch wenn man die Verheissung, die ihnen eingeschrieben ist, erfasst. Denn Gott allein ist es, der durch seinen Geist handelt; und wenn er den Dienst der Sakramente benutzt, dabei flösst er weder diesen seine Kraft ein noch nimmt es der Wirksamkeit seines Geistes etwas weg, sondern entsprechend der Erkenntnisfähigkeit unserer Verständnislosigkeit wendet er sie gleichsam wie Hilfsmittel auf solche Weise an, dass die gesamte Möglichkeit zu wirken allein bei ihm selbst bleibt.
13. Gott benützt ein Werkzeug, jedoch auf solche Weise, dass alle Wirksamkeit bei Gott liegt
Wie daher Paulus anmahnt, dass derjenige, der anpflanzt oder bewässert, nichts ist, sondern allein Gott, der das Wachstum gibt, ebenso gilt es von den Sakramenten zu sagen, dass sie nichts sind, weil sie nichts nützen könnten, wenn nicht Gott alles insgesamt bewirken würde. Werkzeuge sind sie also, durch die, wie gezeigt wurde, Gott wirksam handelt, jedoch auf solche Weise, dass das gesamte Werk unseres Heils allein ihm selbst verdankt werden muss.
14. Wir stellen daher fest, dass es allein Christus ist, der wahrhaft innerlich tauft, der uns im Abendmahl an sich teilhaben lässt, der schliesslich alles erfüllt, was die Sakramente bezeichnen, und dass er auch diese (Sakramente) als Hilfsmittel benutzt, so dass die ganze Wirksamkeit bei seinem Geist liegt.
15. Auf welche Weise die Sakramente stärken
Auf diese Weise heissen die Sakramente indessen Siegel, so sagt man, dass sie den Glauben nähren, stärken und voranbringen; und dennoch ist allein der Geist im eigentlichen Sinne Siegel, und derselbe ist der Anreger und Vervollkommner des Glaubens. Denn alle diese Beinamen der Sakramente liegen auf einer unteren Ebene, so dass nicht einmal der geringste Teil unseres Heils vom einzigen Urheber auf Geschöpfe oder (Welt-)Elemente übertragen wird.
16. Nicht alle, die am Sakrament teilnehmen, haben auch an der Sache teil
Ferner lehren wir fleissig, dass Gott seine Kraft nicht wahllos an alle austeilt, die die Sakramente aufnehmen, sondern nur an die Erwählten. Denn genauso, wie er nicht andere als (nur) diejenigen, die er im voraus zum Leben vorherbestimmt hat, zum Glauben erleuchtet, ebenso bewirkt er durch die geheime Kraft seines Geistes, dass die Erwählten das erhalten, was die Sakramente anbieten.
17. Die Sakramente verschaffen nicht die Gnade
Durch diese Lehre wird jene Auslegung von Schlaubergern [Sophisten] von Grund auf widerlegt, die lehrt, dass die Sakramente des neuen Gesetzes allen, die nicht eine Todsünde als Hindernis dagegenstellen, die Gnade verschaffen würde. Denn abgesehen davon, dass in den Sakramenten nichts ausser durch den Glauben empfangen wird, muss auch festgehalten werden, dass Gottes Gnade an dieselben nicht im mindesten gebunden ist in der Weise, dass, wer immer das Zeichen hat, sich auch der S ache bemächtigen könnte. Denn den Verworfenen werden die Zeichen genau gleich wie den Erwählten ausgeteilt, jedoch die Wahrheit hinter den Zeichen gelangt allein zu letzteren.
18. Allen werden Gottes Gaben angeboten; nur die Gläubigen empfangen sie
Es ist zwar sicher, dass allen gemeinsam Christus zusammen mit seinen Gaben angeboten wird und dass nicht durch den Unglauben der Menschen Gottes Wahrheit wirkungslos wird, so dass die Sakramente immer ihre Kraft behalten; jedoch sind nicht alle (Menschen) für Christus und seine Gaben empfänglich. Deshalb ändert sich auf Seiten Gottes nichts; soweit es aber die Menschen betrifft, empfängt ein jeder entsprechend dem Mass seines Glaubens.
19. Die Gläubigen haben auch vor und ausserhalb des Gebrauchs der Sakramente an Christus teil
Genauso aber, wie den Ungläubigen der Gebrauch der Sakramente nichts mehr verschafft als dann, wenn sie sich davon enthalten, ja mehr noch tödlich für sie ist, ebenso steht für die Gläubigen ausserhalb ihres Gebrauches die Wahrheit, die dort bezeichnet wird, fest. So wurden durch die Taufe Paulus´ Sünden abgewaschen, die schon vorher abgewaschen waren. So wurde dieselbe Taufe (dem Hauptmann) Cornelius zum Bad der Wiedergeburt, der aber bereits mit dem heiligen Geist begabt worden war. So teilt sich uns Christus im Abendmahl mit, der sich aber schon vorher uns zugeteilt hatte und der dauernd in uns bleibt. Denn wenn es heisst, jeder einzelne solle sich prüfen, so folgt daraus, dass von einem Glaube gefordert wird, bevor man zum Sakrament geht. Jedoch gibt es Glauben nicht ohne Christus, sondern soweit der Glaube durch die Sakramente bestärkt und vermehrt wird, werden in uns Gottes Gaben bestärkt, und auf diese Weise wächst Christus auf eine gewisse Weise in uns und wir (wachsen) in ihm.
20. Nicht auf solche Weise verbindet sich die Gnade mit der Feier der Sakramente, dass der Gewinn aus ihnen irgendwann nach der Feier empfangen wird
Der Nutzen ferner, den wir aus den Sakramenten empfangen, darf nicht im mindesten auf den Zeitpunkt, in dem sie uns ausgeteilt werden, beschränkt werden, gerade so, als ob das sichtbare Zeichen, wenn es öffentlich vorgeführt wird, in eben diesem Augenblick Gottes Gnade mit sich brächte. Denn diejenigen, die im frühesten Säuglingsalter getauft wurden, erneuert Gott während der Kindheit oder in der Jugend, indessen auch im Alter. So erstreckt sich der Nutzen der Taufe auf den ganzen Lebenslauf, weil ewig in Kraft steht die Verheissung, die dort enthalten ist. Indessen kann es auch geschehen, dass der Gebrauch des heiligen Abendmahls, der im Geschehen selbst wegen unserer Ungläubigkeit oder Trägheit kaum nützt, später seinen Gewinn hervorbringt.
21. Die räumliche Einbildung ist aufzugeben
Vor allem aber muss jedwede Einbildung von räumlicher Gegenwart aufgegeben werden. Denn obwohl die Zeichen hier auf Erden sind, mit den Augen erkannt und den Händen berührt werden, befindet sich Christus, soweit er Mensch ist, nirgendwo sonst als im Himmel und kann nicht auf andere Weise als mit dem Denken und mit der Erkenntnisfähigkeit des Glaubens gesucht werden. Daher ist es ein verkehrter und frevelhafter Aberglaube, ihn selbst unter den Elementen dieser Welt einschliessen zu wollen.1
22. Erklärung der Abendmahlsworte: »Dies ist mein Leib«
Diejenigen ferner, die in den feierlichen Abendmahlsworten: »Dies ist mein Leib«, (Mt. 26, 26; Mk. 14, 22; Lk. 22, 19; 1. Kor. 11, 24) »dies ist mein Blut«, (Mt. 26, 28; Mk. 14, 24) den genau wörtlichen, wie sie sagen, Sinn anstrengen, diese verachten wir als letztklassige Ausleger.2 Denn wir gehen davon aus, dass ausser Diskussion steht, dass im übertragenen Sinn verstanden werden muss, dass von Brot und Wein gesagt wird, sie »seien«, was sie bezeichnen. Ausserdem darf es weder neu noch ungewohnt erscheinen, dass durch Bedeutungsübertragung der Name der S ache auf das Zeichen übertragen wird, da ja andauernd in den (heiligen) Schriften derartige Ausdrucksweisen begegnen und da wir, sozusagen, nichts anführen, was nicht bei gerade den ältesten und bewährtesten Schriftstellern der Kirche steht.
23. Vom Essen des Leibes Christi3
Dass aber Christus durch das Essen seines Leibes und das Trinken seines Blutes, die hier bezeichnet werden, unsere Seelen mittels des Glaubens durch die Wirkung seines Geistes speist, das darf nicht so aufgefasst werden, als ob es irgendeine Vermischung oder Übertragung seines Wesens gäbe; sondern (deshalb,) da wir ja aus seinem ein einziges Mal als Opfer dargebrachten Fleisch und seinem zur Versöhnung vergossenen Blut das Leben schöpfen.
24. Gegen die Transsubstantiation(slehre) und andere Einfältigkeiten
Auf diese Weise wird nicht nur die Auslegung der Papisten betreffend die Transsubstantiation4 widerlegt, sondern auch alle üppigen Einbildungen und unnützen Spitzfindigkeiten, die seiner5 himmlischen Herrlichkeit Abbruch tun oder mit der Wahrheit seiner menschlichen Natur zu wenig im Einklang stehen. Denn wir beurteilen es nicht als weniger absurd, Christus unter dem Brot anzusiedeln oder mit dem Brot zu verbinden,6 als das Brot zum Wesen seines Leibes zu verwandeln.7
25. Christi Leib befindet sich im Himmel wie an einem Ort
Und damit nicht irgendeine Zweideutigkeit übrigbleibt, wenn wir sagen, dass Christus im Himmel zu suchen ist, so klingt diese Ausdrucksweise nach Abstand der Orte und drückt diese aus. Denn obwohl es, philosophisch ausgedrückt, über den Himmeln keinen Ort gibt, so muss doch, weil trotzdem Christi Leib, wie es Natur und Art des menschlichen Körpers mit sich bringt, begrenzt ist und vom Himmel wie von einem Ort umgeben wird – so muss er doch von uns einen so weiten räumlichen Abstand entfernt sein, wie weit der Himmel von der Erde entfernt ist.
26. Christus darf im Brot bzw. Sakrament nicht angebetet werden8
Wenn es denn nicht recht ist, mit unserer Einbildungskraft Christus an Brot und Wein anzuheften, ist es noch viel weniger erlaubt, ihn im Brot anzubeten. Denn obwohl das Brot uns zum Zeichen und Pfand der Gemeinschaft, die wir mit Christus haben, dargereicht wird, daher machen – weil es trotzdem ein Zeichen, nicht (jedoch) die Sache selbst ist und auch die Sache nicht in sich eingeschlossen oder angeheftet hat – aus ihm ein Götzenbild diejenigen, die ihr Denken auf es9 richten, wenn sie Christus anbeten wollen.
Anmerkungen
1 Dieser Abschnitt richtet sich gegen die katholische und (teilweise) auch lutherische Lehre der realen Gegenwart Christi in den Elementen des Abendmahles, besonders aber auch gegen die katholische Hostienverehrung.
2 Dies zielt auf die katholische Abendmahlslehre und besonders auch auf die lutherische, mit der sich die Schweizer Reformatoren zur Zeit der Entstehung des vorliegenden Bekenntnisses heftige Auseinandersetzungen lieferten
3 Dieser Abschnitt ist eine Ergänzung Calvins.
4 D. h. Wesensverwandlung von Brot und Wein in Christus-Leib.
5 D. h. Christi.
6 Dass Christus »unter« oder »mit« dem Brot sei, ist lutherische Lehre; vgl. WA 26, 447.
7 Im lateinischen Original steht: transsubstantiare, wörtlich etwa: »wesensverwandeln«.
8 Dieser Abschnitt richtet sich besonders gegen die Hostienverehrung in der katholischen Kirche, wie sie namentlich im Fronleichnamsfest zum Ausdruck kommt.
9 D. h. das Brot.
Textzusammenstellung von R. Neebe (2013) nach: http://www.calvin09.org/media/pdf/actio/ConsensusTigurinus2004_D.pdf
In der Dokumentation bei Volker Leppin, Reformation. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. 3, Neukirchen-Vluyn 2. Auflg. 2012, S. 214-216 fehlen die für die Auseinandersetzung mit den lutherischen Reformatoren entscheidenden Abschnitte 20-26 des Consensus Tigurinus.
Johannes Clavin, Institutio Christianae Religionis, Heidelberg 1572 (Titelblatt)
Michael Servet (1509/11-1553), Porträt
Sebastianus Castellio (1515-1563), Porträt
Das Licht ist auf den Leuchter gestellt, Niederlande 1650/1700

Tafel 17: Philipp von Hessen und EUROPA
Landgraf Philipp von Hessen ist einer der zentralen "European Player" im Reformationszeitalter: Wie kein anderer sucht Philipp die Spaltung der europäischen Reformationsbewegung zu überwinden und die dogmatischen Gegensätze zwischen Lutheranern und Reformierten auszugleichen. Es ist der Weg der Mittelstraß im Sakramentenstreit und eine pragmatische Vorgehensweise, die Philipp seinen protestantischen Mitstreitern Albrecht von Preußen oder Christian III. von Dänemark als erfolgversprechendes Reformationsmodell anempfiehlt. Auch widerstreitenden Glaubensauffassungen im eigenen Territorium, selbst mit Blick auf die "Wiedertäufer", will Philipp lieber auf dem Wege der Überzeugung als durch obrigkeitlichen Zwang begegnen. Es ist auch unser Wille und unsere Meinung, dass niemand am Leben aus keinerlei Gründen, die den Glauben betreffen, gestraft werden soll - es sei denn, dass einer Aufruhr oder Blutvergießen erwecke, so Philipp in seinem Testament von 1536. Vorrangige theologische Ansprechpartner des hessischen Landgrafen sind in Wittenberg eher Melanchthon als Luther - und im europäischen Raum zuerst Lambert von Avignon, dann Martin Bucer aus Straßburg, die Züricher Reformatoren Zwingli und Heinrich Bullinger sowie der aus Polen stammende Johannes a Lasco. Für die Zwinglianer ist Philipp der wichtigste Mittler zur Augsburger Konfessionspartei.
Die Mittellage der Landgrafschaft Hessen zwischen den lutherischen Kernländern in Sachsen und den reformiert geprägten oberdeutschen und helvetischen Gebieten ist ein machtstrategischer Faktor, der Philipps Streben nach einer Einheit im Bekenntnis -zur Flankierung seiner weitgespannten europäischen Bündnispolitik - beflügelt haben wird. Außenpolitisch agiert Philipp im Netzwerk seiner Korrespondenzen und Begegnungen mit den wichtigsten europäischen Herrschern seiner Zeit: Dazu gehören - neben Kaiser Karl V., König Ferdinand I. und Philipp II. von Spanien - die französischen Könige Franz I., Karl IX., Heinrich II. sowie Katharina von Medici; Heinrich VIII., Edward VI. und Elisabeth I. von England; Christian III. von Dänemark sowie Johann Zapolya von Ungarn u.a.. Unmittelbarer Kontakt besteht auch zu Coligny und Condé, den Führern der Hugenottischen Opposition in Frankreich, denen Philipp ab 1562 erhebliche finanzielle und publizistische Unterstützung zukommen lässt.
Die Außen- und Bündnispolitik des Landgrafen ist anfangs eindeutig antihabsburgisch ausgerichtet, lockert sich Mitte der 1530er Jahre aber auf und führt 1540/41 bei den Regensburger Religionsgesprächen zu einem Zusammengehen mit Karl V. In seinem "Europa-Plan" von 1542 geht Philipp noch weiter und entwickelt ein weit über seine Zeit hinausweisendes europäisches Friedenskonzept: Sein visionärer Friedensplan basiert auf drei Eckpunkten:
- Weitgehende Auflösung des italienischen Kirchenstaates und Zurückstufung des Papstes auf seinen ursprünglichen Status als Bischof von Rom bei Angliederung der Romagna an den Kaiserlichen Besitz in Italien;
- Herstellung eines europäischen Gleichgewichts auf Grundlage eines dauerhaften Ausgleichs mit Habsburg und Frankreich, dem Mailand und Piemont zugesprochen wird;
- Glaubensvergleich zwischen Katholiken und Protestanten durch ein umgehend einzuberufendes Konzils - bei Aufhebung des Wormser Edikts (1521) und des Augsburger Abschieds (1530).
Nur unter diesen Voraussetzungen, das heißt der Aufhebung der weltlichen Macht des Papstes, der Einheit im Glauben und dem Ausgleich zwischen Frankreich und dem Kaiser, sei es möglich, erfolgreich gegen die osmanische Expansion zu bestehen und einen wahrhaften Frieden in Europa zu erreichen. Philipps europäischer Friedensplan bleibt Utopie.
Ratschlag Landgraf Philipps von Hessen an Herzog Albrecht von Preußen über die in seinem Lande hinsichtlich des Sakraments-Streites zu beobachtende Mittelstraße, Mittwoch nach Laetare, 18. März 1534
Hochgeborener Fürst, freundlicher lieber Onkel, Schwager und Bruder.
Wir haben Euer Schreiben erhalten, seinen Inhalt gelesen und verstanden. In Eurem Schreiben gebt Ihr, Euer Liebden, zu verstehen, dass sich in Eurem Hoheitsgebiet die Lehrmeinung der Zwinglianer zum Sakrament [des Hl. Abendmahls] bemerkbar macht, und Ihr bittet uns, Euch wegen der Behandlung derselben einen Rat zu geben.
Auch in den hiesigen Territorien hat die genannte Lehrmeinung begonnen sich bemerkbar zu machen. Damit diese strittige Angelegenheit beigelegt werde und es zu einer einträchtigen Verständigung komme, haben wir uns sehr viel Mühe gegeben. Es hätte auch diese strittige Sache zufriedenstellend beigelegt und geschlichtet werden können. Dann aber hat der Teufel, der niemals untätig ist wenn es gilt, solch gute Entscheidungen zu verhindern, seinen bösen Samen verstreut. Und es entstand ein solcher Hass zwischen den Anhängern der beiden Lehrmeinungen, dass die Einigung letztlich nicht vollzogen werden konnte.
Nun seid Ihr, Euer Liebden, von Gott dem Allmächtigen mit größerer Geisteskraft und mehr Verstand und Weisheit als wir es sind versehen. Deshalb ist es eigentlich nicht nötig, dass Wir Euch in dieser Angelegenheit beraten sollten. Andererseits wollen Wir Euch unser freundschaftliches Dafürhalten nicht vorenthalten.
Als sich diese [Zwinglische] Lehrmeinung in unserem Herrschaftsgebiet bemerkbar gemacht hat, haben wir uns folgendermaßen zu helfen gewusst: Wir haben unseren Pfarrern beider Richtungen befohlen, dass sie einander weder beschimpfen noch mit gehässigen und boshaften Worten angreifen sollten. Im Übrigen sollten sie das Evangelium unverfälscht und rein verkündigen. Wenn es notwendig wäre, auf der Kanzel vom Sakrament des Leibes unseres Herrn Jesus zu predigen, sollten sie das gemeine unverständige Volk ausschließlich über den Genuss des Abendmahls des Herrn belehren, nämlich dass im Abendmahl Leib, Fleisch und Blut Jesu Christi gegenwärtig seien und es im Glauben von der Seele empfangen werde, und über das, wozu der Genuss des Abendmahl des Herrn fernerhin dienlich sei. Und sie sollten den theologischen Disput darüber, wie und in welcher Gestalt der Herr [im Mahl] gegenwärtig sei, vor dem gemeinen Mann nicht ausbreiten. Denn es sei unnötig, etwas vor denen als Streitfrage zu behandeln, die es doch nicht verstehen, zumal dies eher Ärgernis als Gutes zur Folge haben werde.
So hat es der Allmächtige gnädig eingerichtet, dass in unserem Herrschaftsgebiet das Evangelium bisher unverfälscht und rein, in ruhigen Umständen und ohne Erregung von Zwiespalt und Ärgernis verkündigt worden ist und noch verkündigt wird.
Es wäre deshalb unserem Dafürhalten nach gut, wenn Ihr, Euer Liebden, Eure Prediger ebenfalls dazu anhalten wolltet, sowohl die besagte Ausbreitung theologischer Streitigkeiten vor dem gemeinen Mann zu unterlassen und allein vom rechten Gebrauch und Nutzen des Sakraments zu handeln als auch sich wechselseitiger Scheltworte und Schmähungen zu enthalten, und Ihr, Euer Liebden, so eine Mittelstraße zwischen den Lutherischen und den Zwinglischen beschrittet (denn Ihr, Euer Liebden, wisst wohl, welches die selbige ist). Wir wollen Euch, Euer Liebden, aber nicht verschweigen, dass dennoch eine solche Anschauung bei einzelnen noch verhasst ist.
Dies alles wollen Wir Euch, Euer Liebden, mit freundlichem Rat nicht verschweigen, und Wir sind geneigt und willens, Euch ferner freundliche Dienste zu erweisen.
Gegeben Kassel am Mittwoch nach Lätare. Im Jahr 1534
Philipp von Hessen: "European Player" im Reformationszeitalter
Überreichung der Augsburger Konfession 1530, Gemälde von Andreas Herneisen, 1602
Landgraf Philipp an Georg v. Carlowitz, Zapfenburg 1542 November 30.
[1] [...]
[2] Was aber Dein Schreiben an den König [Ferdinand] betrifft, von dem Du Uns eine Abschrift zugeschickt hast, so haben Wir dieses ebenfalls verlesen lassen.
Der erste Artikel Eures Schreibens gefällt uns nicht schlecht, wenn es nur allein bei Ungarn zu erheben wäre und es der Türke zulassen würde.
Der Artikel bezüglich der Religion gefällt uns auch gut, er hätte allerdings noch vollständiger sein können. Andererseits können wir nachvollziehen, dass Du dem König als einem schreiben musst, der in diesen Dingen der Religion noch keine ausreichenden Grundlagen besitzt.
Wenn man es nun dahin bringen könnte, dass die Päpstlichen [zu einem Konzil] zusammen kämen und dort miteinander die Ordnung ihrer Kirche reformierten und die Missbräuche abstellten, so wäre dies vorläufig von ihrer Seite entgegenkommend genug. Das Übrige würde sich im Lauf der Zeit noch einstellen.
[…]
Wir haben aber bei uns an einen anderen Weg gedacht, wodurch ein Ausgleich unter den großen Häuptern und Potentaten herbeigeführt werden könnte, nämlich auf diesen; Wenn es bewerkstelligt werden könnte,
- dass der Kaiser dem Franzosen Mailand überließe und dass der Franzose und das Reich dem Kaiser dabei helfen würden, die Romagna d. h. sämtliche weltliche Herrschaften des Papstes einzunehmen – wobei dem Papst ein angemessener Unterhalt belassen würde, indem er in seinem ursprünglichen Amt eines Bischofs von Rom verbliebe,
- dass man Florenz und den anderen [italienischen] Städten, die in früherer Zeit zum Reich gehörten, wieder zu ihren angestammten Freiheiten verhelfen würde und
- dass sich folglich der Franzose im Besitz von Mailand und der Kaiser im Besitz der Romagna befände und so die großen Häupter in Italien gleich stark wären – indem der Franzose Piemont und Mailand, der Kaiser aber Neapel und die Romagna besäße –
so würde das Misstrauen zwischen den Großmächten beseitigt sein. [...]
Denn ohne eine derartige Regelung ist Frankreich bzw. sind die Königssöhne nicht zufriedenzustellen, da Frankreich eine Teilhabe an der Herrschaft über Italien durch den Besitz von Mailand und Piemont anstrebt. Im Gegenzug müsste der Kaiser den Herzog von Savoyen in Spanien abfinden.
Und wenn dann der Franzose Mailand und Piemont, der Kaiser dagegen die Romagna und Neapel besäße, so könnte zwischen ihnen auf unabsehbare Zeit Frieden herrschen.
Dann müsste auch umgehend das Konzil abgehalten und in Fragen des Glaubens ein Ausgleich hergestellt werden. Das Papstamt müsste auf seine ursprüngliche Funktion als ein Aufseher und Bischof von Rom beschränkt werden.
Gleichzeitig sollte mit dem Heer, mit dem Italien unterworfen worden ist, und mit weiterer Hilfe gegen den Türken ins Feld gezogen werden. So wäre zu hoffen, dass gegen den Türken etwas Ansehnliches ausgerichtet werde, sofern man denn Gott aus Acht und Bann täte, d. h. das Edikt von Worms [1521] und den Abschied von Augsburg [1530], insoweit es um die Religion geht, aufhebt. Denn ohne den Ausgleich der Konfessionen wird man nichts gegen den Türken ausrichten. Und ohne die Zurückstufung des Papsttums zu seinem ursprünglichen Statusfist es nicht möglich, dass die Hauptmächte, der Kaiser und Frankreich, einig bleiben. Denn er, der Papst sorgt für Uneinigkeit zwischen ihnen und richtet allen Streit an.
Zapfenburg 30. November 1542
aus: Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, hg. von Erich Brandenburg, Erster Band, Berlin 1982, Nr. 411, S. 513-14. Übertragung in Neuhochdeutsche von Ulrich Stöhr
Landgraf Philipp von Hessen an den Kanzler Feige zur Anfrage Herzog Christians von Holstein, König von Dänemark (1534), wg. der geistlichen Güter und der Einführung der Reformation, Marburg 17. Mai 1533
Herzog Christian III. hatte am 9. Mai 1533 bei Philipp angefragt, wie er sich auf dem bevorstehenden Landtag zu Kiel in der Angelegenheit der geistlichen Güter und der Begehrlichkeiten des Adels verhalten solle. Philipp listet in dem vorliegenden Schreiben an Feige vom 17.05.1533 die Punkte auf, die sein Kanzler in einer Vorlage für ein Anwortschreiben an Christian III. berücksichtigen möge.
In seinem Brief an Christian III. vom 21.05.1533 (siehe Dok. 2) rät der Landgraf, auf dem bevorstehenden Landtag zu Kiel eine Disputation über die Zeremonien zu vermeiden und die Privilegien zu bestätigen. Der Herzog möge die Dinge zunächst schleifen lassen bis zu bequemer Zeit und versuchen, die Vornehmsten des Adels an sich zu ziehen. Würde das Evangelium eindringen und etliche aus den Klöstern austreten, solle man die Klöster zum Nutzen des Fürstentums mit Rat der Landschaft verwenden. Etliche Klöster kann man zu Schulen, andere zum Unterhalt adliger Jungfrauen, weitere zu Spitälern verordnen usw.
Außerdem rät der Landgraf etliche Stipendien zu verordnen. Mit Blick auf Kaiser Karl V. könne sich der Herzog unter Hinweis auf den Speyerer (1526) und Nürnberger Reichstag darauf berufen, dass man Gott mehr gehorchen müsse als dem Kaiser. Mahnung, es nicht zum Bruch mit den Ständen kommen zu lassen und notfalls zuzuwarten. Der Herzog solle die Bündnisse mit den Nachbarn wahren und sich mit ihnen gut stellen. Den abgesetzten König Christian II. von Dänemark solle er gut verwahren und - wenn ihm die Krone des Königreichs Dänemark angetragen werden sollte - dieses Reich nicht ausschlagen. Der Landgraf versichert dem Herzog allezeit seinen guten Willen und freundschaftliche Hilfe.
Landgraf Philipp an Georg v. Carlowitz, Zapfenburg 1542 November 30.
1. Kammergericht. 2. Kritik des Briefes Georgs v. Carlowitz an König Ferdinand. 3. Vorbedingungen eines Friedens innerhalb der Christenheit.
Konz. M. Sachsen, Albert. Linie II, 4. — Gedruckt: Rommel, Philipp der Großmütige III, 90.
[1] Dein an uns gethanes schreiben [Nr. 407] haben wir empfangen, und inhalts lesende vernommen. Sovil nun betrifft das kammergericht, gefeilt uns Dein bedenken nit ubel; dweil aber an solchem kammergericht ein hauf böser, loser, papistischer buben sitzen, die sich auch in vielen sachen gegen uns und unsern stenden so ganz ubel und parteisch gehalten und noch, so kannst Du bei Dir selbst abnemen, dass unsern stenden solch kammergericht keins wegs zu leiden ist, sondern haben dasselbig in allen sachen recusirt; ingleichnus wirds markgrafe Jorge und andere, die nit in unser bundnus sein, auch thun; und wird das kammergericht nimmermehr gut, es werde dann reformirt und mit frommen unparteischen leuten widerum besetzt; dann sich das itzig kammergericht zu vil verdechtig helt, und wurd uns mit seinem erkennen, wann wir im solchs nachlissen, nit allein in geistlichen, sondern auch in weltlichen sachen um leih und gut zu bringen understehen. Aber an das muegen wir und die verstendnis ein unparteisch kammergericht, das mit frommen, erbarn erlichen person besetzt were, wol leiden.
[2] Was aber betrifft Dein schreiben, so Du an den konig gethan [Nr. 405], davon Du uns copei zugeschickt, haben wir dasselbig auch verlesen, und gefeilt uns der erst artikel gemelts Deins schreibens nit ubel, wenns allein bein Ungern zu erheben were, und es der Turk leiden wollte. Der artikel der religion halben gefeilt uns wol, allein wenn er vollkommner were; wir konnen aber wol denken, dass Du dem konig schreiben musst als einem, der in diser sachen der religion noch den ganzen grund nit hat. Wenn mans nun dahin bringen konnte, dass die papisten zusammenkemen und sich selbst unter einander, auch ire kirchenordnung, reformirten, und was missbreuchlich abstelleten, so wers vors erst von inen anzunemen; das ander wurde mit der zeit auch folgen. Der dritt artikel, des hz. von Gulchs halben, gefiele uns wol, wenns bei ime zu erheben were, wie wir besorgen, dass er Gellern nit verlassen wird.
[3] Wir haben aber bei uns uf einen andern weg gedacht, dardurch die grossen heupter und potentaten möchten verglichen werden, nemlich uf disen: Wenn mans dohin bringen konnte, dass der kaiser dem Franzosen Mailand ubergebe, und dass der Franzos und das reich dem kaiser hulfe, dass er Romaniam, das ist alle landschaft, die der babst innhat, einbekeme, — doch musst dem babst auch ein zimlicher underhalt gelassen werden, als dass er ein bischof zum Rom, wie von altersher, bliebe, — und dass die stadt Florenz und andere, die vor zum reich gehort,, wider zu iren freiheiten gebracht wurden; und wenn der Franzose Mailand, der kaiser Romaniam hette, und weren die grossen heupter also im vermugen einander gleich in Italia, — dann der Franzos hett Biamund und Mailand, so hett der kaiser Neapolis und Romaniam, — so wurd das misstrauen zwuschen den grossen heuptern gestillt mugen werden; dann on das ist Frankreich oder seine söne nit zufriden zu stellen, dann er will mitherr in Italia sein und Mailand und Biamund haben. Dargegen musst der kaiser den hz. von Saphoy in Spanien zufriden stellen. Und wenn also der Franzos Mailand und Biamund, der kaiser Romania und Neapolis innhette, so konnte fride werden so zwuschen inen bestendiglich. Alsdann musst auch von stund das concilium gehalten werden, und in sachen des glaubens vergleichung gemacht, der babst zu seinem vorigen stand, das ist ein ufseher und bischof zu Rom, bracht werden, und gleich mit dem krigsvolk, damit Italia gewunnen, mit merer hilf gegen den Turken geruckt und gezogen; also mocht verhoffentlich sein, dass gegen den Turken etwas stattlichs ausgericht, sofern man gott aus der acht und bann thete, das ist, das wormisch edict und augsburgisch abschid ufhube, sovil die religion betrifft. Dann on vergleichung der religion richt man nichts aus, und on sturzung des babsts zu seinem vorigen stand ist nit muglich, dass die heupter, kaiser und so Frankreich, eins bleiben; dann er, der babst, macht sie uneins und richt allen unwillen an.
Dat. Zapfenburg den 30. novembris a. 42.
aus: Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, hg. von Erich Brandenburg, Erster Band, Berlin 1982, Nr. 411, S. 513-14
Landgraf Philipp von Hessen an Herzog Christian III. von Schleswig und Holstein - Rat für die Durchführung der Reformation in Holstein, 21. Mai 1533
In Beantwortung des Schreibens vom 9. Mai wollen wir E. L. nicht verhalten, wie wir es nach verkundung des evangelii in unserm furstentumb gehalten. Wir haben ein furstentumb vom heiligen reich, das unser erb ist, darinne niemands von unsern undertonen zu regieren, zu setzen oder zu entsetzen hat, sondern alle administration steet von gots gnaden frei in unser hand und darf ein regirender furst niemands von not wegen fragen, was er tun solle, allein das er us erbarkeit und notturft, dweil der gescheft vil seind, etliche, die er wil und im gefallen, zu rat und seinen gescheften gebraucht., auch sonst die undertanen bei iren rechten und gerechtigkeiten zu lassen schuldig ist, alsdan unser eltern gnediglich getan haben und wir nach zu tun gedenken. Da nun das evangelion ein zeit lang verkündigt und der gemein man des inhalts berichtet war, haben wir nicht von stund an die kloster, stifte oder, dergleichen eingenomen, sonder vor den klostern und stiften rechtschaffene prediger zugesandt. Da sie nu so vil berichtes befunden, das sie selbstwilliglich abgestanden und sich in andere leben begeben, haben wir den personen us den clostergudtern ir leben lang versehung getan und von dem uberigen ein hohe schule zu Martpurgk mit grossem costen ufgericht und bis nach erhalten, und darzu anderthalb hundert benefitia, die nicht pfarren sein, verordent, zu dem gebrauch, das man davon anderthalb hundert Studenten zu Martpurg halten sol und solliche underhaltung angeen, alspalt dieselben benefitia ledig werden, dero aan auch gereit etwo vil ledig worden. Darzu haben wir zwei kloster zu spitalen armer leut, man und frauen, so man us den dorfern unsers furstentumbs nemen sol und nicht us stedten, dieweil die stedt gemeinlich ir eigen spital und besser Vorsehung dan die dorfer haben, gestiftet und verordent. In denselben beiden spitaln wirdet man auch uf anderthalb hundert person erhalten mögen. Darüber haben wir zwei gute closter in hande des adels gegeben mit aller nutzung, also das sie die selbst bestellen und brauchen mugen und davon jars etliche erbare arme edeljungfrauen, die von iren eitern villicht so vil nicht haben, das sie irem stand nach bestat werden mögen, beratten und ussetzen sollen. Das uberig [haben wir] zu beschirmung des evangelii, wie E. L. wissen, das es bei uns vil anfechtung gehapt, brauchen müssen, damit unsern undertan so vil minder beschwerung ufgelegt werden dorfte. Und wo wir vermerkt, das die alten vom adel guter an kloster dermassen gegeben und des reversal entpfangen haben, als wir der vil funden, so die mess und begengnusa) nicht gehalten wurden, das ine und iren erben alsdan ir gudter widder volgen solten, so haben wir den erben solliche guter auch widderumb zusteen lassen und in ir gewissen gestelt, dieselben wol anzulegen. Wir haben auch zu zeiten einen zehenden, hoif oder stuck guts uf 1000, 1500 oder 2000 fl. werdt faren lassen, dem evangelio und den sachen zu gudten, gegen denjenen die es umb uns und das furstentumb gemeinlich verdienen mochten. Und disser ordenung sein, gotte lob, unser edeln und landschaft wol zufridden gewesen.
Dem Herzog rät der Landgraf auf dem bevorstehenden Landtag eine Disputation über die Zeremonien zu vermeiden und die Privilegien zu bestätigen. Er möge die Sachen zunächst schleifen lassen bis zu bequemer Zeit und versuchen, die Vornehmsten des Adels an sich zu ziehen. Würde das Evangelium ein-dringen und etliche aus den Klöstern austreten, soll man sie versehen und die Klöster zum Nutzen des Fürstentums mit Rat der Landschaft verwenden. Etliche Klöster kann man zu Schulen, andere zum Unterhalt adliger Jungfrauen, weitere zu Spitälern verordnen oder das arme kinder bis zu zimblichen alter darus gezogen und underwiesen werden und sonderlich weibsperson und das sie sich darus mochten verheiraten. Item E. L. mocht auch furschlagen, das man von dem uberigen etliche reisigen vom adel, so notturftig und zu dienen geschickt weren, erhalten mocht, E. L. und dem furstentumb zu dienen, strassen zu versehen und ander notturft auszurichten. Und also mochten E. L. bedenkens den heusern fürstender und pre-laten, so christlich leben furten und zu ehren des furstentumbs dieneten, an der itzigen stede gesatzt werden, doch in alwege den itzigen prelaten unverletzlich, sie nemen das wort an ader nicht an iren habenden eren und gudtern ir leben lang. Außerdem rät der Landgraf etliche Stipendien zu verordnen. Der Herzog könne sich unter Hinweis auf den Speyerer und Nürnberger Reichstag darauf berufen, dass man Gott mehr gehorchen müsse als dem Kaiser. Mahnung, es nicht zum Bruch mit den Ständen kommen zu lassen und notfalls zuzuwarten. Es ist jedenfalls besser, dass er regiert, als ein Papist. Der Herzog soll die Bündnisse mit den Nachbarn wahren. Auch der Landgraf verspricht Hilfe. Cassel, den 21. may anno 33.
Abdruck: Franz, Günter, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte. 1525-1547 (Bd. II). Marburg 1954, 175-177.
Testament des Landgrafen Philipp, 25. Februar 1536
Im namen des vatters unnd unsers lieben herren Hiesu Cristi, unsers erlosers und seligmachers amen. Kunth unnd offenbar sey allermenniglichenn, denen dißer unser letzter will furkompt, das wir, Philips, landgrave zu Hessen, grave zu Catzenelnpogenn etc., bedacht haben unser mentschliche sterbliche natur, das nichts gewissers ist dan der toidt und nichts ungewissers dan die stunde des todts. Und darumb, damit wir ane testament oder codicill, vetterliche Ordnung oder letzten willen nicht abgehen mochten, so haben wir gedacht, unser testament, codicill oder vetterlichen und letzten willen zu machen. [...]
Unnd nochdem der almechtig Got uns mit einem furstenthumb und etlichenn graveschaftenn begabt hat, so wollen wir allen und yeden unsem underthanen, lehenleuthen und verwanten auf ire eide und pflicht ernstlich und in craft dißes unsers letzten willen befolhen haben, das sie dießen unsem letzten willen getrewlich handthaben unnd dawidder nicht thun in keinen wegk, inmassen wir uns des alßo zu inen verstehen wollen. [...]
[Religion]
Unnd dieweill wir die ehere Gottes zu furdem schuldig unnd gneigt sein, so dancken wir Got, das sein gotliche gnade in dem uns erschienen, das das evangelion bey unsem zeiten widderumb herfurgeprochenn und aufgangen ist. Und wollen derwegen die gesatzten furmonder, unsere liebe kinder, landt und leuthe, desgleichen gemeine unsere landtschaft bey iren pflichtenn unnd gewissen ermanet, erfordert unnd beschwert haben, das sie das evangelium in unserm furstenthumb und gepieten, inmassen wir das bißher, sovil muglich gewesenn, gefurdert haben, sovil auch inen als mentschen muglich ist, getrewlich mit cristlichem hertzen und gewissen handthaben unnd furdem, als lieb inen Got und irer seelen heyll sey, und nicht zweiffelnn, Got der almechtig werde sie dabey gnediglich handthaben. Wo sie aber dorin farlessig handelten, so wurden sie darumb redde und antwort dem grossen ernsten richter geben mußen.
Sie wollen auch allesampt und sonderlich doran sein, das die sect des widdertaufs unnd andere beschwerliche bose secten, die dem evangelio zuwidder und ufrur im rukken tragen, in unserm furstenthumb nicht einreiße, sondern allein das rhein evangelium gepredigt und gehandthapt werde. Es ist auch unser will und meynung, das niemants am leben umb keinerley sachenn willen, den glauben betreffend, gestraft werden soll, es' sey dan, das einer ufrur oder plutvergießen erwecke.
Unnd obwoll etzlich prediger in unserm furstenthumb funden wurden, die von dem sacrament des altars mit den ändern gemeinlich in worten sich nit verglichenn und doch in dem verstände, nemlich das in dem nachtmal der wäre leib unnd plut unsers heylandts Hiesu Christi warhaftig entpfangenn werde, mit eynig sein unnd alßo leren unnd bekennen wurden, so sollen dieselbigen weither nit belestigt, auch auß unserm furstenthumb unnd landenn nit verjagt werden. '
[Universität und Stiftungen]
Wir wollenn und ordnen auch, das unsere gesatzte Vormunde, auch gemeine landtschaft, so wir verlassen werdenn, nach ir yedes befelh unnd vermogenn, das sie von Got und uns entpfangenn haben, mit allem vleis doran sein, das unsere schule, so wir zu Margpurg der jugent unsers furstenthumbs zu gute und zu nutz habenn aufgerichtet, desgleichen die spittall, [die wir] zu Hayne, Merxhausen, Kauffungenn, Wetter unnd allenthalben in und außerhalb unsem stedten unnd schlossenn verordent oder widderumb aufgericht haben, desgleichen die gemeynen casten unverruckt pleiben unnd getrewlich gehandthapt werden und sich ein yeder dorin erzeige, als er will vor dem hohen richter, unsem hem Hiesu Christo, darumb antwort geben. Das auch die mitfurmonder unnd regirer ye zu Zeiten des jars einmall von sollichen Vorstehern der genenten zu Margpurg1? universitet unnd spittal zu Kauffungen, Wetter, Hayne und Merxhausen unnd sonst ändern spittalen rechnung zu hören statlich verordnen und einsehens thun, das dieselbigen in gutem wesen gehalten unnd kein eigner nutz gesucht, sonder dermassenn, wye die fundirt, gehaltenn und gehandthabt werden, auch bey iren pflichten wie obgemelt.
Unnd dieweil wir in denen dingen unsem diener Heintzen von Luther trew unnd aufrichtig finden, so befelhen wir unsem gesalzten mitvormundem unnd ime, das sie inen doran pleiben lassen und er auch sich nit beschweren wolle, sein leben lang die sorge als ein oberster spittalmeister zu tragen und dorin nach seinem gewissen zum besten handeln. Und sali ime Johan Walter zu Treisa zugegebenn werden. Und ob Heintz von Luther mit tode abegienge, so sali Ciriax, zu Hersfelt unser itzig schultheis, dartzu gepraucht werdenn. So befelhen wir doctor Johan Eyserman als einem glidmaß der universitet zu Margpurg, das derselb auch sein leben lang die sorge desselbigen unsers studiumbs treulich unnd vleissig trage, inmassen die bißher Johan Feigh, unser cantzier, getragen hat. Unnd so der einer abegehen, sollen unsere gesatztenn Vormunde alwege andere gotfurchtige fromme und verstendige personen an die stadt verordnen, damit die obgemelte dinge alßo in wesen pleiben, gemeret und gebessert werdenn.
Und wiewoll wir gentzlich willens gewesen sein, ein bestimpt einkhommen für unser Studium zu Margpurg, damit dasselb furo und für bestendig pleiben möge, zu verordnen, so haben doch sollichs die manichfeltigkeit unsers schwerenn anligens bis hieher verhindert. Und darumb wollen wir unsem gesatzten vormondem bey irem gewissen befolhen haben, das sie sollichs nachmals, sobalt es ymmer möglich ist, so fer wir es bey unserm leben nicht bestendig gemacht hetten, verordnen und bestendig machen. [...]
[Änderungsvorbehalt]
Wir wollen uns auch hiemit Vorbehalten haben, dißen unsem letzten willen zu yeder zeit nach unserer gelegenheit und gefallen zu endem, abezuschaffen, zu meren oder zu mindern. Unnd sonderlich so ordnen, setzen und wollen wir, ob nach unserm totlichen abegang einich codicill, brief, zettel oder dergleichen schriftlich urkunde, mit unser eigen handt geschrieben oder underschrieben, dorin wir etwas ordnen oder schaffen oder verschaffen werden, befunden werd, das sollich codicil, brief, zettel oder dergleichen schriftlich urkund in alwege durch die geordenthe Vormunde, mitvormonde und unser erben stedte und veste gehalten und volnzogen werden soll, in allermaßen als ob sie in dißem unserm testament von worten zu Worten inserirt und verleibt weren. [...]
Des zu urkunde haben wir, landgrave Philips, unser groß insiegel wissentlich hieran thun hencken. Geben und gescheen am dienstage nach Valentini, der do wäre den funfundzwantzigsten februarii anno tausentfunfhundertdreissigsechs.
Transkription: Hollenberg, Günter, Hessische Landtagsabschiede 1526-1603, Marburg 1994, 105-116.
Testament des Landgrafen Philipp, 6. April 1562
Unser, Philipsen, von Gotts gnaden landtgraven zu Hessen, graven zu Catzenelnpogen, Dietz, Ziegenhain und Nidda etc., letzt testament, vatterliche verordenung und Satzung. Nachdeme wir etliche testamenta ufgerichtet haben, darinnen wir Vormünder unsem kindem, chur und fürsten als obriste, auch unsere vomembste rethe zu der zeit zu undervormunden gesetzt, dieselbigen obriste Vormünder, auch undervormunder und andere zugeordenten den mehrer theill in Gott verscheiden, auch sich die leuffte und zeitten betreffende die cristliche vereynigung und andere dinge viell geendert, unserer dochter von frawen Cristinen geboren vier vergeben, unserer sohne nunmehr drei erwachssen, daß sie zimblichs alters, so hat die unvermeidtliche notturfft ervordert, dieselben alten testamenta, die vor dato disses testaments ufgerichtet, zu revociren. [...]
[§ 3: Religionsbestimmungen]
Wir wollen unsere sohne ermanet haben, das sie bey der waren religion des heiligen evangelii alten und des newen testaments und der Augspurgischen confession pleiben wollen und sich darvon in keinen wegk nicht lassen abwenden; auch die prediger in gnedigem bevelh haben, inen keinen überlast thun, beschwerung oder etwas, das inen nachteilig und verdrislich sein mochte, zufuegen lassen; darneben aber auch ein gut ufsehen haben, das rechtschaffene superattendenten erhalten, die die prediger, item schulmeister in guter reformation (das sie inhalt der Augspurgischen confession und dem evangelio undb neuen testament gemes lehren, auch das sie ein gut cristlich leben fueren und dem volck kein ergemus geben) halten.
Nachdem auch ein zweispalt des sacraments und abentmals des herren under den predigem ist: welche prediger nun bei der concordi, die Bucerus seliger zwischen den luterischen und oberlendem hievor gemacht, pleiben und bekennen, das warhafftig im abentmalh und sacrament der leib und bludt Cristi geben und genossen werde, sollen sie in keinen wegk verjagen0, noch weitter in sie tringen.
Die widderteuffer seindt ungleich. Da sollen unsere sohne mit vleis den gelertten bevelhen, ob sie die konten von irer secten abbringen. Welche aber darvon nicht abtzupringen sein, (uf das sie nicht andere leuthe verfuren) sollen sie die ussim lande weisen. Einichen mentschen aber umb deswillen, das er unrecht glaube, zu toidten, haben wir nicht? gethan, wollen auch unsere sohne ermanet haben, sollichs nicht ze thun; dan wirs (das es widder Gott seie) halten, wie das im evangelio dar angetzeigt, auch Augustinus und Crissostimus [sic!] und andere alte lehrer in iren buchem, auch in tripardita [sic!] historia dar schreiben.
Ob unser herre Gott gnade gebe, das sich die pappisten wurden unserer religion nehem und das eß zu einer verglichung khommen mochte, die nicht widder Gott und sein heiliges wort (als doch, wie zu besorgen, schwerlich gescheen wirdt), wollen wir treulich gerathen haben, das unsere sohne mit rath unserer gelertten und ungelertten frommen und nicht eigennützigen rethen (die mehr dencken, das sie ire kinder uf grosse stiffte bringen, als daruf sehen, das sie rathen, was mit Gott zu thun oder nicht) solliche vergleichungk befurdem helffen und nicht usschlagen.
[§ 4: Universität und Stiftungen]
Die universitet sollen unsere sohne bey denen gutem, die sie innehaben, pleiben lassen. Und soll landtgrave Wilhelm neben landtgrave Ludwiegen die zu bestellen haben, auch darauf ein gut ufsehens haben, das rechte und gelertte professores erhalten, kein eigner nutz noch freundtschafft darin angesehen und gesucht, auch mit den Stipendiaten und stipendiis gute Ordnung gehalten und denenf gegeben werden, so gute ingenia haben; auch sonderlich mit emst und vleis dartzuthun, das in der theologi viell Studenten ufertzogen und rechtschaffen underweiset und erhalten werden, uf das man kunfftig daraus rechtschaffene prediger, schulmeister und kirchendiener haben könne, wie wir dan deshalben den funfzehenden monatstag Februarii anno domini thausentfunfhundertuhdsechstzig ein Ordnung haben usgehen lassen.
Die sechs spittall, als Kauffungen, Wetter, Heina, Merxhaussen, Gruna und Hoifheim, desgleichen die siechenheusser, so wir gereit ufgerichtet? haben und noch ufrichten werden, wollen unsere sohne mit vleis ufsehen lassen, das treulich mit umbgangen und darüber keine eigennützige leuthe verordent, auch alle jare rechnung gehört, wie dan sollichs die Ordnungen mitpringen. Und sollen unsere sohne an einem iden ortte es imeh geburet daruf sehen, das darmit rechtschaffen umbgangen und die armen treulich erhalten werden. Sie sollen auch die ändern gemeine spittale und casten inen bevolhen sein lassen und daruf sehen, das darmit rechtschaffen umbgangen werde und jarlichs die rechnung von den superattendenten und ändern, die dartzu geordent, gehöret. [...]
[§ 16: Bistumsbewerbungen]
Es sollen unsere sohne - da erlangt mocht werden, wan ein bischof unsere Augspurgische confession und unser religion anneme, das er darumb nicht endtsetzt solt werden vom bisthumb mit vleis befurdem, das die ändern zwen sohne landtgraff Philips und landtgrave George iglicher zu einem regirer eines bischthumbs gefordert werden. Doch soll einem iden sein theill, so wir ime vom lande zugeordent, ob er schon bischof wurde, pleiben und nicht abgeschnitten werden.
[§31: Glaube und Lebenswandel]
Wir wollen auch unsere sohne vatterlich ermanet haben, das sie wollen gottfurchtig sein, Got vor äugen haben und alle ir hofnung und vertrawen alleine zu deme setzen und vestiglichen an den herren Jesum Cristum, unsem einigen mitlem, glauben und Got den heiligen geist bitten, das er sie darin stercke und erhalte, und sich in allewege huiten vor aberglauben, zeuberei, Wahrsagern, cristallenseher, schwartzkunstlem und mit denen dingen gar nichts umbgehen, dan es die höchste und vornembste sunde ist widder Gott; sich auch, wo sie bey unserm leben nicht ehelich werden, beweiben und einen guten wandeil vor Gott und irer landtschafft fueren und sich untzucht und hurenslebens enthalten. Das wirt inen vor Gott, irer landtschafft und der weldt zum besten khommen, auch woll nachgesagt und gerumbt werden. [...]
Dis unser letzter wille, vatterliche verordenung und letzt testament haben wir ufgerichtet, underschrieben uf alle pletter, zudeme auch am ende underschrieben und versieglen lassen mit unserm grossen fürstlichen ingesiegell und mit ändern rechtmessigen solemniteten ufgerichtet und vollentzogen. Gescheen zu Cassell am sechsten tagk des monats Aprilis anno domini thausentfunfhundertsechstzig und zwei.
Transkription: Hollenberg, Günter, Hessische Landtagsabschiede 1526-1603, Marburg 1994, 260278.


Tafel 18: Nordosteuropa: Preußen, Baltikum und Polen
Die Ideen Luthers finden im nordöstlichen Europa früh Gehör. Sowohl im Deutschordensstaat und in Polen-Litauen als auch in der Livländischen Konföderation (heute Est- und Lettland) sind ab 1520 lutherische Drucke im Umlauf, wird im lutherischen Sinn gepredigt. 1523 wendet sich Luther mit dem Brief an die Christen in Riga, Reval und Dorpat an diese gleichzeitig zur Hanse und zur Livländischen Konföderation gehörenden Städte, die sich der lutherischen Reformation angeschlossen haben. Die wichtigen Reformatoren in den baltischen Städten kommen fast ausschließlich aus dem engeren Umfeld Luthers: Andreas Knopken, Johannes Brieseman, Nikolaus Glossenius.
Teile der Livländischen Konföderation und Polen-Litauens gehören zum Deutschordensstaat. In Livland findet anders als in Polen-Litauen das Luthertum Anfangs keine Verbreitung; der Deutschordensmeister Wolter von Plettenberg verteidigt die alte Lehre. Später, unter dem letzten Deutschordensmeister Gotthard Kettler (1559-1565), bekennt sich der livländische Zweig des Deutschen Ordens offen zum Luthertum.
Albrecht von Brandenburg-Ansbach (Albrecht von Preußen) Hochmeister des Deutschen Ordens und in regem Austausch mit Luther und Landgraf Philipp, bekennt sich zum Protestantismus und säkularisiert 1525 den Deutschen Orden. Der Deutschordensstaat wird zum lutherischen Herzogtum Preußen unter Lehnshoheit der polnischen Krone. Ein Teil des polnischen Herrschaftsgebietes gehört damit zum protestantischen Einflussgebiet.
Während der Reformationszeit herrschen in Polen-Litauen die Könige Sigismund I. (1506-48) und Sigismund II. August (1548-72), beide aus dem Geschlecht der Jagiellonen. Sigmund I. versucht zwar mit Edikten, den Protestantismus zu begrenzen, er legt aber den Protestanten gegenüber eine tolerante Haltung an den Tag und gewährt aus Glaubensgründen Verfolgten Asyl.
Eine der wichtigsten Personen in diesem Raum ist Johannes a Lasco (1499-1560). 1524 trifft er in Zürich Huldrych Zwingli, in Basel verbringt er bei Erasmus von Rotterdam ein halbes Jahr. Die breite Rezeption der Schriften des Erasmus wie derjenigen des reformierten Glaubens in Polen ist a Lasco zu verdanken.
A Lasco ist für eine Reform der Kirche, er will aber den Bruch mit Rom zunächst vermeiden und steht deswegen Luthers Vorgehen kritisch gegenüber. Später wird er Anhänger der Confessio Helvetica. Nach kurzem Aufenthalt als Superintendent in Norddeutschland wirkt er im Auftrag von Albrecht von Preußen in London, um unter der Obhut König Edwards VI. die Flüchtlingsgemeinden aus den Niederlanden zu organisieren. Dort entsteht die von ihm verfasste Kirchenordnung Forma ac ratio, welche vor allem in Norddeutschland und den Niederlanden größten Einfluss auf das reformierte Kirchenrecht ausübt. Diese Schrift hat a Lasco König Sigismund II. August von Polen in der Hoffnung gewidmet, ihn für die Reformation gewinnen zu können.
Nach der Thronbesteigung Maria Tudors 1553 und ihrem Versuch der Rekatholisierung Englands muss a Lasco das Land verlassen. Nach Aufenthalten in Dänemark und Deutschland, wo er sich mit Calvin und Melanchthon austauscht, kehrt er mit Unterstützung von Landgraf Philipp nach Polen zurück. A Lasco versucht eine Union der polnischen Protestanten zu schaffen. Deren Einigung im Consensus von Sandomir 1570 erlebt er jedoch nicht mehr. Erst 1573 setzt die Warschauer Konföderation die freie Wahl der Religion durch: Lutheraner, Reformierte und Katholiken besitzen die gleichen Rechte.
Es ist der Arbeit der Jesuiten in der Zeit der Gegenreform geschuldet, dass die polnischen Territorien ohne Gewalt und durch geschickt eingesetzte Bildungspropaganda für den Katholizismus zurückgewonnen werden.
Ratschlag Landgraf Philipps von Hessen an Herzog Albrecht von Preußen über die in seinem Lande hinsichtlich des Sakraments-Streites zu beobachtende Mittelstraße, Mittwoch nach Laetare, 18. März 1534
Hochgeborener Fürst, freundlicher lieber Onkel, Schwager und Bruder.
Wir haben Euer Schreiben erhalten, seinen Inhalt gelesen und verstanden. In Eurem Schreiben gebt Ihr, Euer Liebden, zu verstehen, dass sich in Eurem Hoheitsgebiet die Lehrmeinung der Zwinglianer zum Sakrament [des Hl. Abendmahls] bemerkbar macht, und Ihr bittet uns, Euch wegen der Behandlung derselben einen Rat zu geben.
Auch in den hiesigen Territorien hat die genannte Lehrmeinung begonnen sich bemerkbar zu machen. Damit diese strittige Angelegenheit beigelegt werde und es zu einer einträchtigen Verständigung komme, haben wir uns sehr viel Mühe gegeben. Es hätte auch diese strittige Sache zufriedenstellend beigelegt und geschlichtet werden können. Dann aber hat der Teufel, der niemals untätig ist wenn es gilt, solch gute Entscheidungen zu verhindern, seinen bösen Samen verstreut. Und es entstand ein solcher Hass zwischen den Anhängern der beiden Lehrmeinungen, dass die Einigung letztlich nicht vollzogen werden konnte.
Nun seid Ihr, Euer Liebden, von Gott dem Allmächtigen mit größerer Geisteskraft und mehr Verstand und Weisheit als wir es sind versehen. Deshalb ist es eigentlich nicht nötig, dass Wir Euch in dieser Angelegenheit beraten sollten. Andererseits wollen Wir Euch unser freundschaftliches Dafürhalten nicht vorenthalten.
Als sich diese [Zwinglische] Lehrmeinung in unserem Herrschaftsgebiet bemerkbar gemacht hat, haben wir uns folgendermaßen zu helfen gewusst: Wir haben unseren Pfarrern beider Richtungen befohlen, dass sie einander weder beschimpfen noch mit gehässigen und boshaften Worten angreifen sollten. Im Übrigen sollten sie das Evangelium unverfälscht und rein verkündigen. Wenn es notwendig wäre, auf der Kanzel vom Sakrament des Leibes unseres Herrn Jesus zu predigen, sollten sie das gemeine unverständige Volk ausschließlich über den Genuss des Abendmahls des Herrn belehren, nämlich dass im Abendmahl Leib, Fleisch und Blut Jesu Christi gegenwärtig seien und es im Glauben von der Seele empfangen werde, und über das, wozu der Genuss des Abendmahl des Herrn fernerhin dienlich sei. Und sie sollten den theologischen Disput darüber, wie und in welcher Gestalt der Herr [im Mahl] gegenwärtig sei, vor dem gemeinen Mann nicht ausbreiten. Denn es sei unnötig, etwas vor denen als Streitfrage zu behandeln, die es doch nicht verstehen, zumal dies eher Ärgernis als Gutes zur Folge haben werde.
So hat es der Allmächtige gnädig eingerichtet, dass in unserem Herrschaftsgebiet das Evangelium bisher unverfälscht und rein, in ruhigen Umständen und ohne Erregung von Zwiespalt und Ärgernis verkündigt worden ist und noch verkündigt wird.
Es wäre deshalb unserem Dafürhalten nach gut, wenn Ihr, Euer Liebden, Eure Prediger ebenfalls dazu anhalten wolltet, sowohl die besagte Ausbreitung theologischer Streitigkeiten vor dem gemeinen Mann zu unterlassen und allein vom rechten Gebrauch und Nutzen des Sakraments zu handeln als auch sich wechselseitiger Scheltworte und Schmähungen zu enthalten, und Ihr, Euer Liebden, so eine Mittelstraße zwischen den Lutherischen und den Zwinglischen beschrittet (denn Ihr, Euer Liebden, wisst wohl, welches die selbige ist). Wir wollen Euch, Euer Liebden, aber nicht verschweigen, dass dennoch eine solche Anschauung bei einzelnen noch verhasst ist.
Dies alles wollen Wir Euch, Euer Liebden, mit freundlichem Rat nicht verschweigen, und Wir sind geneigt und willens, Euch ferner freundliche Dienste zu erweisen.
Gegeben Kassel am Mittwoch nach Lätare. Im Jahr 1534
Landgraf Philipp von Hessen an Kurfürst August von Sachsen, mit der Bitte um Unterstützung von Johannes Lasco bei der Verbreitung der evangelischen Lehre in Polen, 1556 Oktober 29
Landgraf Philipp von Hessen an Melanchthon,
1556 Oktober 29
Philips von gots gnaden landgrave zu Hessen grave zu Catzenelnbogen
Unsern gnedigen grus zuvor, wirdiger und hochgelarter lieber besonder. Es ist der auch wirdig und hochgelarte Joannes a Lasco alhie bey uns ankommen und uns undertheniglichen berichtet und zu erkennen gegeben,. das er von etzlichen tapfern und trefflichen polonischen hern sich in Polen, welchs sein vaterland ist, zu begeben und daselbst unsere ware christliche religion anzustiften. erfordert worden sey, wie ihr von ime nach der lenge weiter vornehmen werdet. Nachdem wir nun solliche erforderung von gemelten polonischen hern aus christlichem gutten eifer bescheen sey und dann dissen Joannem a Lasco vor einen gelerten vortrefflichen man und einen reinen bestendigen lehrer des gotlichen worts achten, er uns auch undertheniglichen gebetten, das wir inen an euch verschreiben wolten, das ime zu fortreibung sollichs christlichen werks durch euch gutte befurderung erzeigt werden muge, und wir dann wissen, das ihr an euch die ware christliche religion erbreitern zu helfen keinen moglichen menschlichen vleis erwinden zu lassen geneigt seiet, so solt unsers erachtens nutz und gut sein, wie wir dann auch hiemit an euch gnediglichen begeren wollen, das irr uch notturftiglich mit im underredet und dissem gutten herren ratet wie die forderung der ewangelischen lere in Pollen am besten wird getriben werden, und darnach mit itztgerurtem Joanne a Lasco zu dem hochgebornen fursten unserm freuntlichen lieben vettern, schwager und brudern, herzog Augusto zu Sachsen churfursten geritten hettet und bey s. 1. neben ime mit vleys bearbeytetet, das s. 1. zu pflanzung und aufkomung berurter unser christlichen waren religion in Pollen alle christliche und mugliche befurderung thun helfen wolten, wie wir s. 1. d a r z u das zu erweiterung der augsburgischen confession dienet, geneigt wissen, wir auch deshalben s. 1. bey vielgedachtem Joanne a Lasco insonderheit geschrieben und gebeten haben. Darzu woll Gott der here sein gnade geben. Das haben wir euch christlicher gut-herziger meinung unangezeigt nit lassen wollen. Zweifeln nit irr euern von got begabten verstand dem besser dan wir schreiben nachdenken und ins werk bringen werdet. Euch und den euern zu gnaden seind wir geneigt.
Dat. Spangenbergk am 29. Octobris anno 56.
An Melanthonem.
[Melanchthons Antwort hierauf steht im Corpus Reformatorum VIII 911]
Franz Gundlach, Nachträge zum Briefwechsel des Landgrafen Philipp mit Luther und Melanchton, in: 1504-1904. Festschrift zum Gedächtnis Philipps des Grossmütigen, Kassel 1904, Dok. 18, S. 84-85

Tafel 19: Südosteuropa und Republik Venedig
Die Reformationsbewegung in Südosteuropa steht ganz unter dem Vorzeichen der osmanischen Expansion nach Mitteleuropa. 1529 belagern die Türken zum ersten Mal Wien und der Balkanraum ist inzwischen weitgehend unter ihrer Herrschaft. 1541 wird Ungarn in drei Teile aufgeteilt: Westungarn unter habsburgischer Oberhoheit, eine osmanische Provinz in Mittelungarn sowie das Fürstentum Siebenbürgen als türkischer Vasallenstaat, aber mit weitgehender innerer Autonomie. Die evangelischen Christen in Ungarn befinden sich damit in einer doppelten Frontstellung zwischen einem expansiven Islam und einer wiedererstarkenden römisch-katholischen Kirche.
Im Unterschied zu Deutschland, Skandinavien oder England/Schottland finden wir in Südosteuropa (bei fehlender zentralstaatlicher Entscheidungsgewalt) keine Fürstenreformation "von oben", sondern eine Reformationsbewegung "von unten", maßgeblich mitgetragen von lokalen politischen Eliten. Die unterschiedlichen Spielarten des europäischen Protestantismus können sich nebeneinander entfalten, so dass sich schließlich zwei rivalisierende reformatorische Bekenntnisse etablieren können: Wittenberger Einfluss manifestiert sich in der Einführung der Reformation in Kronstadt(1543) durch Johann Honterus (1498-1549) und der Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen (1547), die der Augsburgischen Konfession folgt. Gleichzeitig verbreitet sich die helvetische Glaubensrichtung durch Heinrich Bullinger, dessen Schriften An die ungarischen Kirchen und Pastoren (1551) sowie Zweites Helvetisches Bekenntnis (1561/66) wesentliche Bedeutung erlangen.
Für die Verbreitung der reformatorischen Lehren in Kroatien, Slowenien und den orthodoxgläubigen südosteuropäischen Gebieten kommt der von Hans von Ungnad (1493-1564) in Urach (Württemberg) eingerichteten Druckerei für slowenische, kroatische und kyrillische Schriften eine Schlüsselrolle zu. In Urach wird 1561/62 eine kroatische Übersetzung des Neuen Testaments sowie eine von Primos Trubar, dem Begründer der evangelischen Kirche in Slowenien, bearbeitete Fassung der Augsburgischen Konfession gedruckt. Unterstützt wird Ungnad u.a. durch Philipp von Hessen, der in regem Schriftwechsel mit ihm steht und die Uracher Bibelanstalt finanziell fördert.
Auch in der Republik Venedig, deren Herrschaftsgebiet im Reformationszeitalter von Oberitalien entlang der dalmatinischen Küste bis hin nach Zypern reicht, und in anderen Teilen Italiens haben sich die lutherischen Lehren früh verbreitet. In dem mit Spanien - im Kampf gegen die Türken - verbündeten Venedig ist die Evangelische Gemeinde allerdings in ihrer Entfaltung stark eingeschränkt: Schon 1520 werden dort die ersten Schriften von Luther beschlagnahmt. Auf Bitten der evangelischen Christen aus Venedig, Vicenza und Treviso, die sich 1542 hilfesuchend an Luther gewandt haben, intervenieren 1543 die Hauptleute des Schmalkaldischen Bundes, Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen, über Matthias Flacius bei dem Senat der Republik Venedig, um die Freilassung des von der Inquisition bedrohten ehemaligen Franziskanermönchs Baldo Lupetino zu erwirken. Lupetino wird zunächst zu lebenslanger Haft und schließlich 1556 zum Tod durch Ertränken verurteilt.
Philipp Melanchton, Brief an einige Evangelische in Venedig, Januar 1539
in: Melanchton deutsch. Band 3. Von Wittenberg nach Europa, hg. von G. Frank und M. Schneider, Leipzig 2011, S.240-248
Der Brief ist an „einige am Evangelium interessierte” Christen in Venedig gerichtet. Nach einer anderen Abschrift bzw. einer im Druck veröffentlichten Fassung war er an den Senat von Venedig gerichtet.' Tatsächlich werden nicht näher bekannte Personen angeredet, die offenbar an der Reformation interessiert waren; möglicherweise waren darunter auch politisch einflussreiche Persönlichkeiten. Der Brief wurde als akademische Rede 1539 im Druck veröffentlicht. In Italien gab es an einigen Orten religiöse Kreise, die eine Reform der Kirche forderten und teilweise auch Verbindung zur Reformation hatten. Der zu Beginn erwähnte, aus Venedig stammende Michele Bracetto (Braccietus) kam auf Empfehlung von Melanchthons Freund Veit Dietrich nach Wittenberg und suchte dort das Gespräch mit Melanchthon. Offenbar hat er versucht, Melanchthon wieder in die römische Kirche zurückzuführen.' Melanchthon berichtet in diesem Brief von den Anfängen der Reformation, verteidigt ihr An-liegen und warnt zugleich vor den Lehren des Michael Servet, der mit seinem 1531 in Hagenau erschienenen Buch Über die Irrtümer der Trinität für heftige Auseinandersetzungen sorgte. Servet wurde 1553 in Genf hingerichtet, da seine Bestreitung der Trinitätslehre als Gotteslästerung galt, die nach gültigem kaiserlichen Recht mit dem Tod bestraft werden musste.
Grundlage der Übersetzung ist MBW.T 8, 283–289 (Nr. 2135). CR 3, 745–750.
Brief Philipp Melanthons3 an den Senat von Venedig4
1) Als im vergangenen Jahr Braccietus5 mit mir über das Studium der besten Wissenschaften und sehr häufig über die Religion diskutierte, konnte ich leicht erkennen, dass ihn nicht nur eine einzigartige Bildung, sondern auch Klugheit und Besonnenheit auszeichnen. Darum habe ich mich seiner mit großem Eifer angenommen. Ich genoss die Anmut seines Geistes, die sich sowohl in den lieblichsten aufgeschriebenen Gedichten ausdrückt als auch in seinen Reden, die eine umfassende Bildung erkennen lassen. Ich weiß nicht, welches Schicksal mir den täglichen Umgang mit ihm neidete. Ihr wisst, dass er letztes Jahr durch dringende familiäre Verpflichtung plötzlich in die Heimat zurückberufen wurde, wo er berichtete, wie er von uns liebevoll und voll Vertrauen Hilfe erfuhr. Nachdem er nun zu uns zurückeilte und das gewaltige Alpenmassiv und die Gebirge6 im tiefsten Winter durchreiste, gab er mir damit ein klares Zeichen seines außergewöhnlichen Wohlwollens und beständiger Freundschaft. Seine Rückkehr war für mich äußerst angenehm und ich wünschte sehr, dass ich mich noch lange an seiner Gesellschaft erfreuen kann.
2) Es kam mir sehr gelegen, dass er mich an die ausgewogenen Urteile einiger sehr bedeutender Männer über die Besserung der kirchlichen Missbräuche erinnerte, die von uns mit wahrhaftig berechtigter Leidenschaft oder Eifer bekämpft werden. Aber es begann damit, dass sich einige gute Männer, aufgebracht durch das Geschrei einiger ganz Schamloser für die päpstlichen Ablässe, durch ihr Gewissen gezwungen sahen, in den Kirchen wieder reiner zur lehren.7 Da entbrannte der Streit, der allmählich die Wut der Feinde reizte. Wir haben alle Mühe darauf verwandt, Gewalt und Aufruhr im Volk zu vermeiden, und wo es dennoch wegen der Wut der Feinde dazu kam, haben wir sie unterdrückt.8
3) Außerdem haben wir in der Lehre den geforderten Glauben bewiesen, damit nach Besserung der Missstände die reine und katholische Lehre der Kirche Christi sichtbar hervortritt. Wir wissen ja, dass es auf der Welt immer die unterschiedlichsten Meinungen über die Religion gibt und dass sich der Teufel als Feind Christi von Anfang an bemüht hat, gottlose Meinungen einzustreuen und die Herrlichkeit Christi zunichte zu machen. Außerdem reizt der Teufel neugierige und schlechte Geister, die wahren Lehren zu verderben und zu untergraben. Weil wir diese Gefahr für die Kirche erkennen, so verwenden wir große Sorgfalt drauf, dass wir nicht sozusagen über das Ziel hinausschießen. Wenn wir daher auch die neuerdings entstandenen falschen Meinungen verurteilen, so verteidigen wir dennoch die wahre Kirche und weichen nicht ab von den apostolischen Schriften noch von den Bekenntnissen, wie dem apostolischen, nicaenischen und athanasianischen, und auch nicht vom alten Konsens der katholischen Kirche; schließlich folgen wir der Aussage Tertullians: „wir halten für richtig, was zuerst war, und das spätere für verfälscht"9.
4) Sollte aber einer davon ganz überzeugt sein, dass der Kirche keine Laster anhaften, weder Ehrgeiz, Habsucht und Aberglaube, und dass sie auch nicht durch den Trug des Teufels die alten Einrichtungen verändert oder verschlechtert hat, dann gleicht er jenen, die trotz großer Schmerzen wegen ihres kranken Geistes die Macht der Krankheit nicht spüren. Wer von den Verständigeren hat nicht schon lange vor diesem Zeitalter den Missbrauch der Liturgie beklagt, die zu einer gotteslästerlichen Gewinnmacherei zu führen pflegt? Der Kult der Heiligen, wie weit ist der noch entfernt von den heidnischen Meinungen und Riten? Mit Recht beklagt ein neuerer Autor wie Gerson, dass die Menschen sich so sehr um menschliche Traditionen bemühen, dass sie darüber die göttlichen Gebote vernachlässigen.10 So hat auch Augustin früher geklagt11 und dennoch, wie sehr ist nach der Zeit Augustins der Berg der Traditionen angewachsen?
5) Wir verkennen dabei nicht, dass dies die Schwachheit des Menschengeschlechts ist, dass nämlich kein Zeitalter ohne Übel ist, und wir sind uns auch der politischen Maxime bewusst, die vielfach in Schriften und Dokumenten zu finden ist und die uns lehrt, dass man um der öffentlichen Ruhe und Eintracht willen manches Unrecht besser ungestraft sein lässt und so verhindert, dass, wie die Griechen sagen, gute Absicht zum Schlechten führt. Aber nun gilt notwendigerweise ein anderes Gebot, vor allem in der Kirche, der es von Gott aufgegeben ist, die Wahrheit und Reinheit der Lehre zu bewahren, wie Paulus sagt: „Wenn einer ein anderes Evangelium lehrt, der sei verdammt"12. Wenn auch gewisse Laster in den Sitten zu ertragen sind, so müssen dennoch die Irrtümer der Lehre, die das Evangelium verfinstern und zum Götzendienst führen, geahndet werden.
6) Zuerst ist von den Unseren die Lehre von der Buße gereinigt worden, indem die menschlichen Genugtuungen13 – so hat man sie genannt – zurückgewiesen werden, damit der Verdienst Christi klarer erkannt und die Lehre von jenem Glauben aufgerichtet wird, in dem die Vergebung der Sünden empfangen wird. Wir haben auch den Unterschied zwischen dem Gesetz und den Verheißungen wieder ans Licht gebracht, der zum Verständnis des Evangeliums wesentlich ist. Diese wichtigsten Dinge lagen verschüttet in tiefster Finsternis unter einer solchen Masse von Traditionen und Irrwegen, die bei jenen Schreibern vorkommen, die den Petrus Lombardus kommentierten. Dann wurde der Gottesdienst verbessert und die alte Sitte in der Kirche wiederhergestellt. Nichts ist leichtsinnig oder nach unserer Meinung verändert worden, sondern wir folgten nicht nur den Schriften der Apostel, sondern auch dem Urteil und Beispiel der alten und reineren Kirche. Wir haben die Anrufung der Heiligen verworfen und haben mit wahrem Lob die Ämter in Politik und Wirtschaft ausgezeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, dass gerade sie, denen man früher die unsinnigsten Traditionen vorgezogen hat, in hervorragender Weise Gott dienen. Wir haben darauf hingewiesen, was von den weniger wichtigen Riten zu halten ist und welche von ihnen behalten werden können. Schließlich gibt es die Zusammenfassung unserer Lehre in einer von mir verfassten Schrift mit dem Titel Loci communes, aus der zur Genüge hervorgeht, dass wir den alten Konsens der reineren und katholischen Kirche bewahren und die Studien zur alten Reinheit zurückführen wollen.
7) Auch wenn einige weltlich Gesinnte unsere Diskussionen belächeln, teilweise sie auch als aufrührerisch verwerfen, steht dennoch für uns der Sinn unseres Standpunktes fest, und fromme und kluge Menschen wissen, dass solcher Streit in der Kirche notwendig ist, weil sie sehen, wie lange schon eine Besserung gewisser Missbräuche nötig gewesen wäre. Ihr erinnert Euch an eine Geschichte von Herodot: Als Astyages dem Harpagos vorschlug seinen Sohn aufzuessen, fragte er den armen Vater, wie er die Ermordung seines Sohnes ertragen könne, da soll, so wird erzählt, Harpagos geantwortet haben, „mir scheint richtig, was auch immer der König tut"14. Eine solche Sklavengesinnung darf in der Kirche keineswegs aufgerichtet werden, dass wir um der Ruhe willen gezwungen werden, alle Irrtümer der Verantwortlichen zu billigen, vielmehr ist gerade von den Gebildeten die Freiheit sowohl in der Meinungsäußerung als auch in der Lehre zu schützen. Da nun Eure Stadt die einzige auf dem ganzen Erdkreis ist, in der eine echte Aristokratie über so viele Jahrhunderte erhalten blieb und die immer feind war aller Tyrannei, umso mehr muss an diesem Ort das freie Urteil der Guten gelten und jene ungerechte Wut getadelt werden, die sich anderenorts in der Kirche austobt. Darum ermahne ich Euch, so gut ich kann, dass Ihr zur Ehre Gottes Euren Eifer und Eure Autorität einsetzt.” Dieser Dienst gefällt Gott am meisten.
8) Ich habe auch erfahren, dass hier ein kleines Buch von Servet16 herumgeht, in dem er einen alten Irrtum der Samosatener erneuert, der schon am Anfang der Kirche verdammt wurde," und die Lehre von den zwei Naturen in Christus in Frage stellt; er leugnet, dass verbum bei Johannes Hypostase oder Person, wie man heute sagt, bedeutet; so sagt Johannes: „Am Anfang war das Wort” und später: „Und das Wort wurde Fleisch'. Wenn auch mein Urteil in dieser Streifrage feststeht und ich die Lehre Servets in den Loci ausdrücklich verdammt habe,19 dennoch fühle ich mich jetzt gezwungen, Euch zu ermahnen und zu beschwören, die Ihr Anführer und Stimmführer seid, dass man den gottlosen Irrtum Servets fliehen, ablehnen und ausrotten soll. Ich weiß, es scheint absurd, dass die Kirche lehrt, Wort bedeute hier Hypostase oder Person, aber in diesen himmlischen Worten darf man nicht auf das sehen, was dem menschlichen Verstand einsichtig scheint, sondern was die von Gott gegebenen Zeugnisse in den Schriften der Apostel sicher lehren und bekräftigen, die Servet schlau verspottet, aber die Schmähungen sind überhaupt von den heiligen Lehren fernzuhalten.
9) Wir, wie es sich für fromme Leute gehört, bedenken zuerst, was die erste Kirche sicher gelehrt hat. Denn Servet tut Irenäus und Tertullian gewiss gewaltig Unrecht, wenn er vorgibt, sie seien seiner Meinung, da Tertullian deutlich die Frage aufwirft, ob Wort Hypostase bedeute, oder den Vater meint, der entscheidet oder et-was schafft.20 Oft bekräftigt er, dass Wort Person oder Hypostase bedeute, und führt die Autorität der älteren Kirche an. Irenäus21 zitiert Polykarp, den Hörer des Johannes, ist also ein besonders reiner Autor, und dieser bekräftigt eindeutig, Wort bedeute Hypostase oder Person, auch bevor es die menschliche Natur annahm. Es gibt auch das Bekenntnis des Gregor von Nazianz und mit dieses Gregor Autorität wurde vor allem der Samosatener widerlegt. Es gibt auch viele andere Zeugnisse des Origenes, des Dionys von Alexandria, der fast in die apostolische Zeit führt. Basilius sagt, für ihn sei das Bekenntnis des Gregor von Nazianz gleichsam die Norm und Regel der kirchlichen Lehre gewesen. Die Kirche ruft Christus in täglichen Gebeten an, und dies ist keine neue Sitte, sondern wurde auch von Paulus so geübt, wie seine Briefe bezeugen. Es gibt auch Zeugnisse in den Psalmen, die dazu auffordern, den verheißenen Herrn im Gebet anzurufen. Die Anrufung aber gibt ihm göttliche Ehre, wenn wir ihn als den erkennen, den wir anrufen und der sieht, was die Herzen aller bewegt, und das ist nichts anderes als die ungeheure Macht und kommt von Gott. Servet hebt die Anrufung in der Sache auf, auch wenn er sie dem Scheine nach behält.
10) Wir setzen dagegen das Zeugnis der ersten Kirche, und in-dem wir dies beherzigen, wollen wir uns auch bestätigen durch die Worte der Apostel, die von ausreichender Klarheit sind, wenn sie nicht durch Sophistereien verdreht werden. Wenn also Wort bei Johannes an dieser Stelle nichts anderes bedeuten sollte als den Vater in seinem Denken, dann kann es später nicht heißen: „Das Wort wurde Fleisch."22 Dann sagt Johannes auch von Christus: „Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn gemacht."23 Es steht fest, dass die Welt nicht durch die menschliche Natur Christi gegründet ist, also muss in Christus eine andere Natur sein, die im Anfang gewesen ist und durch die die Welt geschaffen ist. So schreibt Paulus auch klar an die Kolosser: „Alles ist durch Christus erschaffen"24 und er wiederholt diese Behauptung einige Male. Und der Brief an die Hebräer sagt: „Durch den die Welt geschaffen ist, welcher ist der Glanz seiner Herrlichkeit und Abbild seines Wesens"25. Was soll in diesen Worten zweideutig sein, wenn sie einfach und ohne Sophisterei angenommen werden? Sie bekräftigen, dass die Welt durch den Sohn Gottes geschaffen ist. Darum ist notwendigerweise in Christus eine andere Natur, die Johannes Wort nennt und der Hebräerbrief Bild oder Abbild des Vaters26 Dies stimmt gut überein, denn Wort ist Abbild. Auch wenn dies außerhalb des Fassungsvermögens der menschlichen Vernunft ist, darf es dennoch nicht durch Sophisterei verspottet werden. Im Gegenteil, je größer das Geheimnis ist, desto weniger dürfen Hochmut und Gottlosigkeit das Unbegreifliche in Frage stellen. Mit diesen und ähnlichen sicheren und festen Zeugnissen wollen wir dem zustimmen, weil sie verdeutlichen, was die Kirche vom Sohn Gottes lehrt. Wir erfahren dabei Unterstützung durch den Konsens der alten, ursprünglichen Kirche und bedenken, was das Wesen und den Willen Gottes angeht, dass diese nicht auf Grund menschlicher Überlegung, sondern auf Grund himmlischer Zeugnisse zu glauben sind. In diese Verfinsterung des menschlichen Geistes muss uns das Wort Gottes Licht bringen.
11) Der Teufel kämpft aber mit der wahren Kirche und versucht, Gottes Herrlichkeit so gut er kann mit seinen Künsten zu verdunkeln. Die Frommen müssen diese Anschläge erkennen und zusammenstehen in der Abwehr eines solchen Feindes, der das Wort Gottes angreift und versucht, die Herzen von jener Regel abzubringen. Aber dieser Kampf ist wenigen bewusst. Seit dem Anfang der Welt sind zu allen Zeiten da und dort Irrtümer jeder Art ausgestreut und verbreitet worden und es ist leicht, zu Fall zu kommen. Da aber der Geist aller Menschen von Natur aus dazu geführt wird, etwas über die Religion zu erfahren, und dennoch das Wort Gottes eher vernachlässigt und lieber menschlichen Spekulationen folgt, wird das Wort Gottes den Menschen ausgetrieben. Darum ist sowohl in dieser als auch in anderen Streitfragen Sorge zu tragen, dass wir nicht menschlichen Sophistereien folgen, die die wahre Meinung der Schrift entstellen.
12) Ich habe dies ausführlicher geschrieben, als es zu einem Brief passt, aber viel zu knapp, als es die Bedeutung der Frage erfordern würde. Ich wollte Euch den wahren Hintergrund meines Urteils mitteilen, aber nicht noch tiefer auf die ganze Streitfrage eingehen; wenn es aber einer verlangt, werde ich mich ausführlicher damit auseinandersetzen. In den Loci habe ich die wichtigsten Zeugnisse, die sich darauf beziehen, gesammelt27 und damit gestärkt kann man leicht die Spekulationen der Gegenseite widerlegen. Ein gewisses Kriegsgesetz bemerkt, es sei weniger schimpflich das Schwert als den Schild abzulegen, weil man zuerst sich selbst schützen und dann erst den Feind treffen muss, so muss es auch in diesem Streit unsere erste Sorge sein, unseren Geist recht zu wappnen und erst danach den Feind zu widerlegen.
Aus Leipzig 1539
1 Zu den Varianten vgl. MBW Bd. 2, Nr. 2135, 408. Zur Druckausgabe vgl. Koehn Nr. 93, 1341.
2 MBW Bd. 11, 185.
3 Melanthon, so die von Melanchthon oft gebrauchte verkürzte Schreibweise seines Namens.
4 So MBW 2135 nach dem ersten Nürnberg Druck von 1539. Koehn Nr. 93, 1341.
5 Wittenberger Student aus Venedig.
6 Mittelgebirge Deutschlands.
7 Luther und der Streit um den Ablass.
8 Vgl. Melanchthons Schriften gegen die Bauern (CR 20, 641—662) und die Täufer, MSA 1, 272 ff.
9 Tertullian, Adversus Praxean, 2, 2, in: PCCSL 2, 157b.
10Johannes Gerson, De vita spirituali animae lectio 2: OEuvres completes 3 (1962), 129.
11 Augustin, Epistola 54, 2. PCCSL 33, 200.
12 Gal 1,8.
13 Bußleistungen.
14 Herodot, Historien 1, 119, 4—7.
15 Aus dieser Formulierung könnte man schließen, dass die Adressaten doch eine verantwortliche Position in der venezianischen Republik einnehmen.
16 Michael Servet, De Trinitate erroribus, Hagenau 1531.
17 Vgl. CA Art. 1.
18 Joh 1,10.
19 Loci von 1535 MSA II, 1, 194.
20 Tertullian, Adversus Praxean 7, 3-6, in: PCCSL 2, 155-158.
21 Irenäus bei Euseb, Historia ecclestiastica 5, 20, 6, in: PCCSG 20, 483-486.
22 Joh 1,14.
23 Joh 1,10.
24 Kol 1,16.
25 Hebr 1,2 f.
26 Hebr 1,3.
27 Loci von 1535, in: CR 21, 262 ff.
Martin Luther an die Evangelischen in Venedig, Vicenza und Treviso, 13. Juni 1543
[Antwort auf deren Schreiben vom 26. November 1542]
Gott unser Vater und unser Herr Jesus Christus, der sich selbst zum Opfer für unsere Sünden dahingegeben hat (Eph. 5, 2), gebe Euch viel Gnade und Barmherzigkeit und Frieden (1. Petr. 1, 2) Amen. Beste und überaus teure Brüder!...
Ich finde bei Euch solche und so große Güter, die Euch der Herr nach seiner Gnade gegeben hat, daß ich mich fast meiner schäme, der ich so viele Jahre in dem Worte Gottes geübt bin, wenn ich erkenne, daß ich Euch so ungleich bin an Tugend und Geist. Denn ich sehe zur Genüge, daß Ihr das, was Ihr mir beilegt, mir nach Eurer Liebe und Freundlichkeit zu Unrecht zuschreibt. In der Tat bin ich doch weit geringer, als Ihr meint und urteilt. Ich bin ein sündiger Mensch, unrein und im Fleische, wie auch Paulus klagt (Röm. 7, 18 ff.), geringen Glaubens und lauwarmen Geistes des Lebens, indem ich so kaum das Gesetz in meinen Gliedern (Röm. 7, 23) in Schranken halte. Es möchte das Gesetz Gottes im inwendigen Menschen (Röm 7, 22) Gott aus allen Kräften lieben und vor Liebe sterben. Aber (1. Petr. 2, 9) »der mich aus der so großen Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat«, der hat mich so untüchtigen und ganz ungeeigneten Menschen auch in ein so großes Amt gesetzt. Doch freue ich mich außerordentlich und wünsche Euch von ganzem Herzen Glück. Gott, den Vater aller Gnaden und allen Segens, benedeie und preise ich, daß er Euch, sei es nun durch die Schriften der Unsrigen oder anderer, sein Heil und dieses unaussprechliche Geheimnis Jesu Christi, seines Sohnes, kundgemacht hat. Denn ich fürchte, daß Ihr von meinen Schriften nicht viel gehabt habt, da ich selten lateinisch geschrieben habe. Denn ich bin, wie wir in unserem Sprichwort zu sagen pflegen, ein deutscher Prediger und ein ungelehrter Lehrer. Aber woher Ihr es auch immer haben möget, es ist wenig daran gelegen. Von Gott habt Ihr mit uns alles und seid viel besser als ich, Gott sei Dank und die Ehre, Amen.
Daher hätte ich mich fast enthalten, Euch zu antworten, da ich nichts Würdiges sah, was ich denen antworten konnte, die der Herr mit so großer Begabung seines Geistes beschenkt hatte. Denn was fehlt Euch an geistlichen Gütern durch Christus, die Ihr so rein den Sohn Gottes erkennt und bekennt, die Ihr so brünstig nach der Gerechtigkeit hungert und dürstet, die Ihr so selig auch Verfolgungen um Christi willen leidet (Matth. 5, 10 ff.), die Ihr die Feinde Christi und den Antichrist so vollkommen haßt? Wer von uns hätte hoffen können, daß solches entweder zu unseren Lebzeiten in Italien selbst geschehen oder im Schwange gehen könnte oder daß es einst geschehen werde im Gebiet des Reiches des Antichrist selbst, welcher uns, die wir außerhalb der Grenzen der Welt sind, nicht leiden wollte?
Aber durch diese Beispiele belehrt uns der, welcher uns befohlen hat zu hoffen und zu bitten, der da mächtig ist zu tun über unser Bitten und Verstehen (Eph. 3, 20) und ohne Zweifel sein Werk vollführen wird, das er angefangen hat (Phil. 1, 6), bis ans Ende, zu seiner Ehre und unserer Seligkeit. Aber damit ich Eure Hoffnungen nicht täuschte und Euren Geist nicht betrübte (Eph. 4, 30), habe ich die Scham abstreifen wollen und Vertrauen fassen zu dem Wohlwollen Eurer Liebe, und dies Wenige und Ungelehrte als Antwort Euch zurückschreiben wollen. Wie dies nun auch immer sein mag, so wollet es bitte nicht nach seinem Verdienst oder Würdigkeit, sondern nach Eurer aufrichtigen Freundlichkeit gütig aufnehmen...
In: Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in Auswahl für die Gegenwart, hg. von Kurt Aland. Bd. 10 Briefe, Göttingen 1983, S. 321-22
[alles Inhaltliche aus der lateinischen Fassung des Briefes in WA Briefe Bd. 10, S. 328-333, nämlich dass die Schmalkaldener sich beim venetianischen Senat zu Gunsten der Evangelischen in Venedig, Vicenza und Treviso verwenden möchten - sowie zu Fragen der Abendmahlslehre, bei Aland nicht zitiert]
Brief an den Dogen Pietro Lando und den Senat der Republik Venedig, im Auftrag des Schmalkaldischen Bundes von Philipp Melanchthon verfasst, 26. Juni 15431
in: Melanchton deutsch. Band 3. Von Wittenberg nach Europa, hg. von G. Frank und M. Schneider, Leipzig 2011, S.252-254
Der Brief wirft ein Licht auf die Situation der evangelischen Christen in Italien, die Anfang der vierziger Jahre immer stärker verfolgt werden, auch in Venedig. Auf Bitten von evangelischen Christen aus Venedig, Vicenza und Treviso, die sich schon Anfang des Jahres 1543 an Luther gewandt hatten, intervenieren die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes. Unter den Verfolgten wird der ehemalige Franziskanermönch Baldo Lupetino namentlich genannt, den die Inquisition bereits 1541 hatte verhaften lassen. Er wurde zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt und, nachdem er 1547 auch in der Haft seinen Mithäftlingen gepredigt haben soll, zum Tode verurteilt. Zunächst durch den Dogen begnadigt wurde er 1555 erneut angeklagt und schließlich in der Lagune ertränkt. Baldo Lupetino war ein Neffe des bekannten lutherischen Theologen und späteren Gegners Melanchthons, Matthias Flacius. Flacius hat diesen Brief selbst nach Venedig gebracht und er wurde dort dem Senat übergeben, wie einige venezianische Freunde der Reformation in ihrem Brief an Luther vom 30.8.1543 berichten.2
Übersetzungsgrundlage CR 6, 761-763. MBW 3268.
An den vornehmsten Fürsten Herrn Pietro Lando3 und den berühmten Senat der Republik Venedig, unserem Freund und allen von uns außerordentlich geschätzten Herren.
Vornehmster Fürst und berühmter Senat, Freunde und außerordentlich geliebte Herren.
Uns wird berichtet, dass einige fromme und ehrbare Menschen, Anhänger eines unverdorbenen Glaubens in Italien, hart angegriffen und schwer verfolgt werden, nur weil sie das Evangelium von Jesus Christus hochhalten und seinen Ruhm verdeutlichen und ausbreiten wollen. Weil wir aber die Lehre und das Heil des Evangeliums, das durch die Gnade des allmächtigen Gottes gleichsam in die Kirche als seine Heimat zurückgefunden hat, überall bewahren wollen, sind wir mit Recht vom Elend dieser frommen Menschen betroffen.
Ihre vielen Trübsale und Tränen verdienen frommes Mitleid, weil sie um der Wahrheit des Evangeliums willen bedrängt werden, die uns vor allem am Herzen liegt. Weil wir gehört haben, dass einige fromme Männer auf Befehl des römischen Papstes — in Sonderheit aber ein gewisser Baldo Lupetino, ein Mann von einzigartiger Frömmigkeit und Bildung, bei Euch fast mit dem Tode bedroht, in Fesseln gelegt — und bis heute gefangen werden, hielten wir es für unsere Pflicht für ihn und für die anderen frommen Männer mit Briefen und unserer Fürsprache einzutreten.
Wir übergeben Euch (verehrter Fürst) und Euch (verehrte Senatoren) als unseren Freunden diesen Brief, den wir in unserem und im Namen der anderen in der Frage der Religion verbündeten Fürsten und Stände des Reiches herausgegeben haben, und bitten und ermahnen Euch, dass Ihr als Verwalter einer so blühenden Republik und als Förderer der Kirche jene als fromme und unschuldige Männer betrachtet, die sich durch Ehrbarkeit ihrer Sitten und Unbescholtenheit des Lebens auszeichnen, die Wahrheit des Evangeliums hochhalten und die Lehren der Kirche weder untergraben noch neue hervorbringen, sondern jene Irrtümer und Missbräuche, die gegen das Evangelium Christi und die Urteile der reineren Kirche4 schon seit Langem eingedrungen sind, dem Volk aufzeigen wollen.
In Eurer Klugheit werdet Ihr beschließen, dass diese Menschen als Glieder Christi nicht unwürdig behandelt werden dürfen, sondern dass man sie unterstützen und fördern muss, um Gottes Ehre zu mehren, die ganz offenkundig seit vielen Jahrhunderten verfinstert wurde. Obwohl uns Gott in diesen letzten Zeiten in seiner Güte das Licht des Evangeliums wiedergegeben hat, so wird es dennoch an vielen Orten durch die Gewaltherrschaft und den Starrsinn der Päpste und Bischöfe bedrängt und behindert, was gute und frommen Gewissen nicht dulden können und woraus ihnen wiederum auch große Gefahr erwächst.
Wahr ist, dass von einem frommen und christlichen Senat jene zu verteidigen und zu unterstützen sind, was ja seine vornehmste Pflicht ist — wie es auch die heilige Schrift bezeugt, wenn sie sagt: „öffnet eure Toren ihr Fürsten"5 —, darum hat uns dies schon am Anfang dazu bewegt, jene frommen Prediger zu schützen, die wegen des Unmuts der Päpste in Gefahr geraten waren. Darum sahen wir uns auch genötigt, Euch in aller Liebe zu bitten, diese frommen Menschen und namentlich den schon genannten Baldo Lupetino, der mit seinen Brüdern wegen des Namens Christi verfolgt wird, anzubefehlen und Euch auf Grund Eurer Menschlichkeit zu veranlassen, dass sie aus ihren Fesseln befreit unter Eurem Schutz und Protektion Gott verehren und die Herrlichkeit Christi verdeutlichen können.
Damit wir erkennen, dass diese unsere Bitte bei Euch Gehör findet — für welchen Dienst der Frömmigkeit der höchste und beste Gott Euch und Eurer Republik wiederum Glück und für alle anstehenden Aufgaben Erfolg, Frieden und Barmherzigkeit schenken möge —, so wollen wir (unsererseits) Euch und Eurer Republik unseren Dienst und unsere Mühe zuwenden und versprechen und Euch bei nächster Gelegenheit mit Freuden unseren Dank erweisen.
Lebt wohl.
26. August 15436.
1 Datierung nach MBW 3268. Anders in CR.
2 WA Br 10, 376—384 Nr. 3907, bes. Z. 83 ff.
3 Pietro Lando, Doge 1538—1545.
4 Die reinere Kirche ist die alte Kirche.
5 Jes 26,2.
6 Folgt in der Brieffassung die Unterschrift des Kurfürsten von Sachsen.

Tafel 20: Reformation in England und Schottland, Dänemark und Skandinavien
Die reformatorischen Lehren erreichen zu Beginn der 1520er Jahre auch England - maßgeblich gefördert durch William Tyndale und Robert Barnes, die beide in Wittenberg (1524/1528) zu überzeugten Anhängern Luthers geworden sind. Während sich König Heinrich VIII. (1509-1547) zunächst als entschiedener Verteidiger des katholischen Glaubens zeigt, vollzieht er 1531/34 den Bruch mit Rom, als Papst Leo X. die Annullierung seiner Ehe mit Katharina von Aragon verweigert. Mittels der Suprematsakte von 1534 macht sich Heinrich zum alleinigen Oberhaupt der Kirche von England, der Anglicana Ecclesia, die zunächst eng am römisch-katholischen Vorbild orientiert bleibt.
In seiner Scheidungssache hat Heinrich VIII. zuvor auch den hessischen Landgrafen Philipp eingeschaltet, der wiederum auf Luther einzuwirken versucht, um ein zustimmendes theologisches Gutachten aus Wittenberg zu bekommen. Der Versuch Philipps, Heinrich VIII. für den Schmalkaldischen Bund zu gewinnen, bleibt indes erfolglos. Erst unter Heinrichs Nachfolger Eduard VI. (1547-1553) wird die innere Kirchenreform weiter ausgestaltet ("Book of Common Prayer" 1549/52). Dabei gewinnt die Züricher reformierte Richtung bestimmenden Einfluss - nicht zuletzt durch Martin Bucer, der seit 1549 im englischen Exil in Cambridge wirkt, oder Johannes a Lasco. Unter Königin Elisabeth I. (1558-1603) wird die anglikanische Staatskirche - nach dem gescheiterten Rekatholisierungsversuch unter Maria I. Tudor (1553-1558) - schließlich endgültig etabliert.
Ähnlich wie in England ist die evangelische Bewegung in Schottland zunächst durch die Lehren Luthers geprägt. Patrick Hamilton (1504-1528) aus St. Andrews wird zum ersten Märtyrer Schottlands, nachdem er 1527 an der neu gegründeten Universität Marburg bei Franz Lambert von Avignon studiert hatte. Hamiltons Marburger Disputationsthesen werden posthum in seinem Werk Patrick’s Places verbreitet, ein Buch, das zum "Bestseller" und wichtigsten Multiplikator der reformatorischen Ideen in Schottland wird. Wegen lutherischer Häresien wird Hamilton 1528 zum Tode verurteilt und in St. Andrews auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wie in England wird das Luthertum auch in Schottland seit den 1540er Jahren zunehmend verdrängt. Bedeutendster Akteur der schottisch-calvinistischen Reformation ist John Knox (1514-1572, maßgeblicher Mitverfasser der Confessio Scotica (1560), die zur Grundlage der schottisch-reformierten Kirche wird.
Schon früh kann sich die evangelische Lehre in Skandinavien - ausgehend von den norddeutschen und baltischen Handelsstädten - ausbreiten. Gleichwohl ist es wie in England eine Reformation "von oben": Während in Schweden der Bruch mit Rom bereits 1527 durch die Ernennung König Gustavs I. Wasa zum Oberhaupt der Schwedischen Kirche eingeleitet wird, erfolgt die Einführung der Reformation in Dänemark und Norwegen erst eine Dekade später unter König Christian III. (1503-1559). 1533 wendet sich Christian ratsuchend an den hessischen Landgrafen Philipp, der in seiner Antwort das hessische Reformationsprogramm als beispielhaftes Modell vorstellt und vor allem dazu rät, bei der Auflösung der geistlichen Güter einvernehmlich mit dem Adel und den Ständen vorzugehen. Nicht zuletzt mit Unterstützung des Landgrafen kann sich Christian III. schließlich im Kampf um die dänische Thronfolge durchsetzen und 1536/37 die evangelische Staatskirche in Dänemark begründen. Auf Grundlage der von Johannes Bugenhagen erarbeiteten Ordinatio Ecclesiastica wird die Reformation 1537 in den Königreichen Dänemark und Norwegen und in den Herzogtümern Schleswig undHolstein durchgeführt.
Lollardenbewegung in England, 15. Jh.
Die Lollardenbewegung entstand im späten 14. Jh. und begründete sich auf den Lehren John Wyclifs. Zu ihren Überzeugungen gehörte ein vehementer Antiklerikalismus, die Erkenntnis, dass der Papstes der Antichrist sei, die Säkularisierung des Kirchenbesitzes, die Auflösung der Kirchenhierarchie, das Primat der Heiligen Schrift, die Ablehnung jeglicher Bilder-, Personen- oder Reliquienkulte, die Armut der Kirche, die Laienpredigt und die religiöse Schulung des einfachen Volkes, durch Bibelübersetzungen ermöglicht. Das Lollardentum wurde in einem Großteil Englands, durch Wanderprediger, verbreitet. Die Bewegung setzte sich vornehmlich aus Handwerkern, Bauern und Tagelöhnern zusammen, obwohl sie unter den Adligen viele Sympathisanten und einige Anhänger hatte. Zunächst wurde 1410 versucht, durch eine Petition an das Parlament eine Umsetzung ihrer Ideen zu erwirken. Als diese jedoch abgelehnt wurde, rüsteten sich die Lollarden zum Volksaufstand, der jedoch im Jahre 1413 scheiterte. In der Folgezeit wurde die lollardische Bewegung gewaltsam unterdrückt, sodass ihr Einfluss sank und ihre Anhänger nur noch im Geheimen ihrem Glauben nachgingen. Das Lollardentum bestand noch bis ins frühe 16. Jh. und beschleunigte in ihrem Verbreitungsgebiet die Reformation.1
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1Vgl. Erbstösser, Martin. "Ketzer im Mittelalter". Leipzig, 1987, S. 215-225
Karte aus: Erbstösser, Martin. "Ketzer im Mittelalter". Leipzig, 1987, S. 217
Heinrich VIII, Assertio Septem Sacramentorum, Antwort auf Martin Luthers Kritik in "De captivitate Babylonica", 1521
"We have in this little book, gentle reader, clearly demonstrated, I hope, how absurdly and impiously Luther has handled the holy sacraments. For though we have not touched all things contained in his book, yet so far as was necessary to defend the sacraments (which was our only design), I suppose I have treated, though not so sufficiently as might have been done, yet more than is even necessary. . . .
But that others may understand how false and wicked his doctrine is, lest they might be so far deceived as to have a good opinion of him, I doubt not but in all parts there are very learned men . . who have much more clearly discovered the same, than can be shown by me. And if there be any who desire to know this strange work of his, I think I have sufficiently made it apparent to them. For seeing by what has been said, it is evident to all men what sacrilegious opinions he has of the sacrament of our Lord's Body, from which the sanctity of all the other sacraments flow: who would have doubted, if I had said nothing else, how unworthily, without scruple, he treats all the rest of the sacraments? Which, as you have seen, he has handled in such sort that he abolishes and destroys them all, except Baptism alone. . . .
What everybody believes, he alone by his vain reason laughs at, denouncing himself to admit nothing but clear and evident Scriptures. And these, too, if alleged by any against him, he either evades by some private exposition of his own, or else denies them to belong to their own authors. None of the Doctors are so ancient, none so holy, none of so great authority in treating of Holy Writ, but this new doctor, this little saint, this man of learning, rejects with great authority.
Seeing, therefore, he despiseth all men and believes none, he ought not to take it ill if everybody discredit him again. I am so far from holding any further dispute with him that I almost repent myself of what I have already argued against him. For what avails it to dispute against one who disagrees with everyone, even with himself? Who affirms in one place what he denies in another, denying what he presently affirms? Who, if you object faith, combats by reason; if you touch him with reason, pretends faith? If you allege philosophers, he flies to Scripture; if you propound Scripture, he trifles with sophistry. Who is ashamed of nothing, fears none, and thinks himself under no law. Who contemns the ancient Doctors of the church, and derides the new ones in the highest degree; loads with reproaches the Chief Bishop of the church. Finally, he so undervalues customs, doctrine, manners, laws, decrees and faith of the church (yea, the whole church itself) that he almost denies there is any such thing as a church, except perhaps such a one as himself makes up of two or three heretics, of whom himself is chief[...]"1
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1 http://www.luminarium.org/renlit/defense.htm
Dokumentenquelle: http://www.ibiblio.org/expo/vatican.exhibit/exhibit/c-humanism/images/human14.jpg
Martin Luther an Robert Barnes über Heinrich VIII. und dessen mögliche Scheidung von Katharina von Aragón, 1531
"Wittenberg, 3. oder 5. September 1531
An D. Robert Barnes.
[...]
Gnade und Frieden in Christo! Ueber die Sache des Königs von England ist meine Meinung die, welche du mündlich gehört hast, mein lieber Antonius, da wir über diese Angelegenheit vertraulich disputirten, nämlich daß mir die Entscheidung der Löwener vor allem am meisten gefällt, welche das Gegenteil urtheilen, und der König kann derselben mit ganz sicherem Gewissen folgen, ja, muß ihr folgen, wenn er vor Gott sicher sein will, das heißt, er kann auf seine Weise die Königin, die Frau des verstorbenen Bruders, die er geheirathet hat, verstoßen, und durch dies Verstoßen sowohl die Mutter als auch die Tochter zu einer blutschänderischen machen. Denn jetzt disputire ich nicht darüber, was die Dispensation des Papstes, die Frau des verstorbenen Bruders zu nehmen, werth sei, sondern ich sage dies: Es mag immerhin sein, daß der König durch das Nehmen der Frau des verstorbenen Bruders gesündigt habe: dennoch wird es eine weit greulichere und größere Sünde sein, die Geheirathete zu verstoßen und die Ehe in so grausamer Weise aufzulösen, daß sowohl der König als auch selbst die Königin und die Prinzessin immerdar unter der Schmach der Blutschande stehen müssen, obwohl in der That keine Ursache vorhanden ist, warum er sie mit dieser erschecklichen Anschuldigung schänden wollte, und über das auch noch die Ehe auflösen. Diese beiden überaus großen Sünden sind so groß, daß auf Eine geringere Sünde, vornehmlich die vergangen und bereits vergeben ist, und in Wahrheit keine Sünde mehr, durchaus keine Rücksicht zu nehmen ist. Denn die eheliche Verbindung des Mannes und des Weibes ist göttliches und natürliches Rechtes. Aber das Verbot, das Weib des verstorbenen Bruders zu nehmen, gehört zum gegebenen (positivi), nicht zum göttlichen Rechte, es sei denn, daß man vorwenden wolle, daß alle Rechte göttlich seien, weil Gott alle Rechte gutgeheißen habe. Deshalb quälen diejenigen das Gewissen des Königs vergeblich, welche ihn zur Verstoßung auffordern, ja, sie versündigen sich aufs Schwerste wider das göttliche Gesetz.
Daß sie aber anführen, es sei wider das göttliche Recht, die Frau des verstorbenen Bruders zu heirathen, nämlich 3 Mos. 18, 16.: Du sollst deines Bruders Weibes Scham nicht blößen", darauf antworte ich erstlich: Wenn sie dem Mosaischen Gesetze folgen wollen und uns unter diesen Gesetzgeber stoßen, dann werden sie es dahin bringen, daß der König in diesem Falle gehalten ist, nicht alleine die geheirathete Königin zu behalten, sondern auch, wenn sie noch nicht geheirathet wäre, sie jedenfalls zu nehmen und seinem Bruder Samen zu erwecken da ja der verstorbene Bruder keine Kinder von dieser Frau hinterlassen hat, wie klärlich 5 Mos. 25,5. stehet und Matth. 22, 24. von den Sadducäern vor Christo angeführt wird.
Aber hier sagen sie, das Gesetz 5 Mos. 25 sei ein ceremoniales gewesen, welches dem Gesetze 3 Mos. 18 weichen müsse, das ein sittliches wäre, weil die Dinge, welche Ceremonien betreffen, aufgehört hätten, die, welche die Sitten betreffen (moralia), nicht aufgehört hätten. Wer sieht hier nicht, daß solche Glossenmacher entweder bestochen seien, oder daß diese Dinge von ihnen nicht mit gutem Urtheil noch auch mit irgend einer Lauterkeit gesagt werden? Nämlich so schnell haben sie eine Glosse gefunden, mit der sie das Gesetz 3 Mos. 18 zum Gespött machen könnten; hier wollten sie keine Glosse haben. Daher ist es klar, daß sie sich vorgesetzt haben, nicht mit gutem Urtheil, sondern nach ihrem Willen, das ihnen unbequeme Gesetz zu glossiren.
Sodann, wie wollen sie beweisen, daß das Gesetz 5 Mos. 25 ein ceremoniales sei oder gewesen sei, zumal da sie wollen, daß das Gewissen gewiß gemacht werde? Ist es etwa genug zu sagen: Wir wollen es so, wir sagen so: darum soll es ein ceremoniales sein. Wir sagen dagegen, das Gesetz im 5. Buch Mosis sei ein die Sitten betreffendes (moralem) gewesen, weil es in der That ein dem Gemeinwesen dienendes Gesetz war zur Erhaltung der Familien, zum Behalten der Erbschaften, zur Erlangung von Erben, das heißt, das da gegeben war, um Güter zu erlangen, um das Gemeinwesen zu mehren und zu stärken, gleichwie den Ader bestellen zu dieser oder jener Zeit, auf diese aber oder jene Weise, damit er desto reichlicher Frucht trage, etwas dem Gemeinwesen wahrhaft Dienendes und Sittliches ist, weil durch diese Sitte Güter zuwegegebracht werden sowohl für den Hausstand als auch für das Gemeinwesen. Deshalb mußten die Juden dieses Gesetz nicht weniger halten als irgend ein anderes Gesetz, und der Text zeigt ganz klar an, daß er rede von der Erhaltung der Familien und Erbtheile, welche sicherlich nicht ceremoniale Dinge sind, sondern solche, die das Gemeinwesen und nothwendige sittliche Dinge betreffen.
Und, Lieber, wir wollen annehmen, daß das Gesetz im 5. Buch Mosis ein ceremoniales gewesen sei, wie diese Leute vorwenden, was dient das zur Sache? da nichtsdestoweniger dies feststeht, daß die Juden unter Mose gezwungen waren, dies Gesetz zu halten, gleichwie die Beschneidung und andere Ceremonien. Hier mögen sie uns antworten, wie die Juden das Weib eines verstorbenen Bruder nehmen konnten, wenn es 3 Mos. 18 durch göttliches Recht verboten war. Dass es streiten diese beiden Gesetze wider einander, wenn beide auch von dem verstorbenen Bruder zu verstehen sind. Daher ist offenbar, daß sie die Worte und Personen des Gesetzes nicht recht ansehen.
Wenn sie aber vorgeben wollen, die ceremonialen Dinge seien abgethan, und die sittlichen seien geblieben, deshalb dürfe man das Gesetz im 5. Buch Mosis halten, so steht erstlich noch das fest, daß die Juden beide gehalten haben, wie ich gesagt habe. Deshalb werden diese Leute genöthigt sein, mit Nothwendigkeit zuzugestehen, daß die Juden nicht wider des Gesetz im 3. Buch Mosis gesündigt haben dadurch, daß sie das Gesetz des 5. Buchs Mosis hielten. Darnach müssen die, welche solche Meinung haben, die ceremonialen Dinge seien abgethan, daß sie für uns todbringend seien, und nicht erlaubt, sie zu halten, dafür nicht das entgegenstehende Gesetz im 3. Buch Mosis anführen, sondern die Abschaffung selbst. Nun aber schließen sie aus der Abschaffung und gründen sich darauf, und dennoch ziehen sie das entgegengesetzte Gesetz an als einen Ausspruch Mosis, um ihrer Meinung Glauben zu verschaffen. Aber gerade dadurch geben sie an den Tag, daß sie nicht aus dem Streben nach Wahrheit, sondern aus Gelüsten nach dem Siege solche Spitzfindigkeiten treiben und jene Täuscherei ausüben, welche Aristoteles das Schließen von einer Nicht-Sache auf eine Sache (a non causa ad causam) nennt. Denn unter Mose, wo das Gesetz im 5. Buche Mosis noch nicht abgethan war, konnte weder die Abschaffung Gelegenheit zu einem Beweisgrund geben, noch auch das Gegeneinanderstehen der Gesetze, da beide Gesetze Geltung hatten und gehalten wurden. Daher muß jetzt der Beweisgrund von dem Gegeneinanderstehen viel weniger Geltung haben. Aber wenn es irgend einen Beweisgrund gibt, so soll es das Lehrstück von der der Abschaffung selbst sein, und diese Leute mögen ablassen, noch ferner auf das entgegenstehende Gesetz im 3. Buch Mosis zu bringen. Welche dafürhalten, daß uns ceremoniale Dinge unerlaubt seien, die verstehen durchaus nichts davon, weder was Abschaffung, noch was eine ceremoniale Sache sei. Ceremoniale Dinge sind nach der Abschaffung frei und gleichgültige Dinge (indifferentia), nicht mehr geboten und nothwendig, 1 Cor. 7, 18.: "Ist jemand beschnitten, der zeuge keine Vorhaut", wo er lehrt, daß es auch nicht vonnöten sei, eine Vorhaut zu haben, sonst würden die gläubigen Juden genöthigt sein, die Vorhaut wieder herzustellen. Daher ist die Abschaffung die Befreiung vom Gesetze, nicht aber ein Verbieten, wie St. Hieronymus wider Augustinus irrt. Als, wenn ein König an irgend einem Orte von neuem Gesetze geben wollte, könnte er aus gewissen Ursachen etliche Ceremonien Mosis, die nun abgethan und frei sind, anordnen. Alsdann aber würden diese Ceremonien nicht durch das Ansehen Mosis bindend sein, sondern durch den neuen Befehl des Königs. Deshalb, wenn auch dies Gesetz im 5. Buch Mosis ein ceremoniales wäre und jetzt abgethan, so könnte der König von England dennoch aus billiger Ursache, wie er sie jetzt vor sich hat, wider diese spitzfindigen Leute dasselbe von neuem verordnen, und gebieten, an welchem Orte er wollte, daß ein Bruder das Weib des verstorbenen Bruders heirathen sollte. Alsdann würde dies Gesetz die Unterthanen zwingen völlig zu gehorchen, gleichwie irgendein anderes Gesetz des Königs oder seiner bürgerlichen Herrschaft, Röm. 13,1.: "Jedermann sei unterthan".
Um wieder auf das Gesetz im 3. Buch Mosis zurückzukommen, welches dem Gesetze im 5. Buch Mosis entgegengesetzt ist, wie diese Leute sagen, so gestehen wir zu, daß es einander widerwärtige Gesetzt seien, die aber nicht so glossirt werden müssen, daß eins von beiden gänzlich aufgehoben werde, sondern daß beide erhalten und gehalten werden, weil diese Glosse bei den Juden nicht gegolten hätte, welche beide zu halten gezwungen waren, wiewohl sie dem Scheine nach wider einander waren. Dies aber ist die rechte Glosse, daß das Gesetz im 3. Buch Mosis von der Frau des lebenden Bruders redet, und das Gesetz im 5. Buch Mosis von der Frau des verstorbenen Bruders. So streiten sie nicht wider einander, sondern werden beide gehalten, weil das Gesetz im 3. Buch Mosis schlechthin von dem Bruder redet, aber das im 5. Buch Mosis den verstorbenen ausdrücklich nennt, um anzuzeigen, daß es von einem andern Bruder rede als das 3. Buch Mosis. So straft Johannes der Täufer den Herodes, daß er das Weib seines lebenden Bruders habe, weil Vielweiberei den Herodes nicht tadelnswerth machte, welche allen gestattet war, aber doch in solcher Weise, daß ein Bruder dem noch lebenden Bruder sein Weib nicht mit einem Schein des Rechts oder mit Schmeicheleien abwendig mache sollte, wie sie es mit einem Hause und anderen Dingen leicht thun konnten. Durch dieses Vergehen an der Frau seinen Bruder Philippus war Herodes verbrecherisch.
Auch können die Widersacher, wenngleich sie es wollen, nicht beweisen, daß das 3. Buch Mosis von dem todten Bruder rede, noch können sie eine andere Vereinigung beider Gesetze vorbringen, besonders eine solche, die genugsam sei, ein Gewissen zu stillen. Aber wer ist so ungelehrt, daß er nicht irgendetwas erdichten oder erträumen könnte, um die Gewissen zu beunruhigen?
Auch das ist frevelhaft, daß sie schließen: aus dem Gesetze im 5. Buch Mosis folge, daß gegebenen Falles jemand seine Tochter nehmen könne oder dazu gezwungen würde, als, wenn Athniel, wenn er starb, sein Weib Achsa nachgelassen hätte, die Tochter seines Bruders Caleb, so wäre Caleb gezwungen gewesen, als der Bruder Athniels, seine eigene Tochter zu heirathen. Wer sieht hier nicht das Bestreben, eine üble Sache zu schützen, als ob sie in der That nicht wüßten, daß ein höheres Gesetz ein niedrigeres aufhebt, wie das Gesetz der Beschneidung das Gesetz des Sabbaths verletzt, Joh. 7, 22., wo Christus selbst disputirt, der Mensch werde am Sabbath beschnitten, das heißt, er werde aufgehoben oder wider das Gesetz des Sabbaths ungestraft sündigt, damit nicht wider das Gesetz der Beschneidung gesündigt werde, welches vor dem Gesetz des Sabbaths gewesen und von den Vätern hergekommen war. Was bedarf es vieler Worte? Es ist bekannt, daß ein niedrigerer Gesetzgeber dem höheren Gesetz und Gesetzgeber die Hand nicht schließen kann, sondern ein jegliches Gesetz und [die Gewalt] eines jeglichen Gesetzgebers hält sich in den Schranken der Gewalt, die ihm von Gott gegeben ist, als, ein Familienvater gibt Gesetze für seine Familie und sein Haus, soweit seine Gewalt sich erstreckt. Aber die Obrigkeit oder die Stadt gehorcht seinen Gesetzen nicht, sondern unterwirft ihn den Gesetzen des Gemeinwesens, so daß es vonnöthen ist, daß er mit seinen Gesetzen stillzustehen gezwungen werde, und den gemeinen Gesetzen dienstbar zu sein. So ist der König Herr über das Reich oder die Stadt mit seinen Gesetzen, indem er zwar gestattet, daß sie nach ihren eigenen Gesetzen regiert werden, aber so, daß sie, indem die Gesetze des Königs unverletzt bleiben, dem Könige gehorchen und nicht herrschen über die königlichen Gesetze. So lässt Gott alle Obrigkeiten zu, ja, er billigt es, daß sie ihrer eigenen Gesetze gebrauchen, aber mit Vorbehalt und Ausnahme seines Willens, dem sie mit ihren Gesetzen weichen und gehorchen müssen. So weichen immer die gegebenen Gesetze, wo sie mit dem Gesetze Gottes oder der Natur streiten, eben diesen Gesetzen Gottes oder dem der Natur als dem höheren. Deshalb, da das Gesetz im 5. Buch Mosis ein gegebenes Gesetz ist, und nicht ein Naturgesetz, so muß es, wenn es in irgendeiner Sache wider das Gesetz der Natur verstößt, dem Gesetz der Natur weichen und Raum geben, als das niedrigere dem höheren. Und so auch, wenn es nach dem Gesetze im 5. Buch Mosis den Schein hat, als ob er gezwungen sei, seine Tochter Achsa zum Weibe zu nehmen, so wird er dennoch, weil Achsa nicht bloß as Weib seines Bruders ist (denn die Worte des Gesetzes sind eigentlich und einfach zu nehmen), sondern auch seine Tochter, deshalb durch ein anderes und höheres Gesetz verhindert, ein solches Weib des Bruders zu nehmen, welches für ihn eine Tochter ist, weil das Gesetz der Natur verbietet, die Tochter zu heirathen, wenngleich das gegebene Gesetz befiehlt, das Weib des verstorbenen Bruders zu nehmen. Aber wozu diese weitläuftige Erörterung, mein lieber Antonius, es sei denn, daß du vielleicht künftig mit Leuten zu dusputiren hättest, welche der Gesetze unkundig sind?
Wir wollen zur Sache kommen und sagen: daß Moses todt sei, aber für das jüdische Volk gelebt habe, und daß wir durch seine Gesetze nicht verpflichtet werden. Deshalb wollen wir alles, was von Mose als einem Gesetzgeber [herkommt], nicht zulassen, wenn es nicht auch durch unsere Gesetze, das heißt natürliche und weltliche, gutgeheißen wird, und wollen nicht die Gemeinwesen der ganzen Welt in Verwirrung setzen, sondern die Aufruhre und Störungen aller Gesetze und Ehrbarkeit als ein Gift fliehen. Dieselben mögen seinem Gemeinwesen dienen, wir haben unsere Gesetzgeber in diesen Sache. Deshalb ist dies zu erörtern: wenn durch die Gesetze des Papsts oder des Kaisers die Ehe zwischen einem Bruder und dem Weibe des verstorbenen Bruders verboten wird, ob dann der König von England gehalten sei, die ihm verbotene Königin nicht zu heirathen, und sie, nachdem er sie genommen hat, zu verstoßen. Hier muß geantwortet werden: Durchaus nicht, sondern er soll gehalten sein, sie zu behalten, unter Gefahr der Seligkeit unter ewigen Verdammniß. Dies wird so bewiesen: Erstlich, es steht nicht fest, daß es verboten sei, die Frau des Bruders zu heirathen, weder durch natürliches Recht noch durch göttliches, sondern nur durch ein gegebenes Recht. Denn der Gesetzgeber Moses ist für uns todt und nichts. Denn wir lesen, daß die vor dem Gesetz Mosis und unter dem natürlichen Gesetze lebenden Abraham und Rahor Töchter ihres Bruders geheirathet haben; dieser Grad ist hernach von Mose durch ein gegebenes Gesetz verboten worden. Und Jakob heirathete zwei Schwestern, was hernach Moses gleichfalls verboten hat. Es bleibt daher nur übrig, daß es durch ein menschliches und gegebenes Recht verboten sei, das Weib des verstorbenen Bruders zu heirathen. Aber, wie wir gesagt haben, die Ehe ist göttliches und natürliches Rechtes. Wo nun das göttliche und das gegebene Recht mit einander streiten, muß das gegebene Recht dem göttlichen weichen; deshalb hat auch Christus das Gesetz der Scheidung in Mose aufgehoben, um das göttliche Gesetz der Ehe aufzurichten. Mag daher der König von England dadurch gesündigt haben, daß er das Weib seines verstorbenen Bruders geheirathet hat, mag er gegen das menschliche und bürgerliche Gesetz des Kaisers oder des Papsts gesündigt haben; wenn nun der Kaiser oder der Papst ihm ihre Gesetze nachgelassen haben, so hat er durchaus nichts gesündigt, weil derselbe Gott, der das vom Kaiser gegebene bürgerliche Gesetz gutheißt, auch das Gesetz des Kaisers, welches vom Kaiser nachgelassen ist, gutheißt, weil er ihm die Gewalt gegeben hat, Gesetze zu geben und nachzulassen, und, daß ich so sage, die Binde- und Löseschlussel in dem Lande, welches ihm unterworfen ist. Ebendasselbe sage ich von dem Papste, wo er mit bürgerlicher Gewaltherrschaft regiert; wiewohl er mit seinem Rechte bindet, so hat es doch viel mehr Gültigkeit, wenn er nachlässt, als wenn er bindet. Aber wenn der König die Königin verstoßen wird, wird er mit dem schwersten Vergehen wider das göttliche Gesetz sündigen, welches sagt: "Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden", das heißt, der Mensch soll die nicht scheiden, welche Gott entweder in seiner Ordnung oder durch sein Zulassen verbunden hat, weil sein Zusammenfügen, mag es nun mit Recht oder durch eine menschliche That geschehen, höher ist, als eine menschliche Ordnung. Wenn daher nun diese beiden Gesetze mit einander streiten, so möge man sich vorsehen, daß nicht der König von England ein menschliches Gesetz halte, so daß er wider das göttliche sündige, sondern damit er das göttliche Gesetz halte, möge ihm nachgelassen werden, wenn etwa wider das menschliche Gesetz eine Sünde begangen wäre. Doch, wie ich gesagt habe, wo der Papst oder der Kaiser (wenn er die Gesetze des Kaisers anerkennt) wohl oder übel dispensirt haben, da ist keine Sünde.
Da hast du, mein lieber Antonius, meine Meinung in deinen Busen ausgeschüttet. Denn ich weiß nicht, ob es nützlich sein daß dieselbe veröffentlicht werde, damit nicht vielleicht meine Name dieser Sache mehr schade, welcher, wie du genugsam weißt, so verhaßt und verabscheut ist, daß, wiewohl ich die Wahrheit sage, diese dennoch aus Haß gegen meinen Namen vedammt wird. Jedoch, damit du mit Freunden über meine Meinung sicher disputiren könnest, will ich zulassen, daß du nach deinem Belieben dieselbe entweder unterdrückest oder veröffentlichst. Ich wünschte in der That, wenn nicht der Haß meines Namens im Wege wäre, daß dieselbe dem Könige und der Königin nützen möchte, damit sie nicht verführt würden, und von den Sophisten zu einer so nichtswürdigen und verruchten Ehescheidung getrieben werden möchten, von der sie, wenn sie geschehen ist, beständiges Elend im Gewissen leiden werden. Aber was auch immer geschehen mag, sei es, daß diese Ehescheidung schon geschehen ist, sei es, daß der König durch das Ansehen anderer Doctoren dazu angetrieben wird, daß er die Ehescheidung vollbringe, so rathe du doch den Freunden ab, allen, denen du nur immer kannst, damit sie diese Ehescheidung verabscheuen. Und wenn die Widersacher den König völlig eingenommen haben sollten, so mögen doch die Unsern mit allem Eifer versuchen, wenigstens die Königin zu erhalten, daß sie auf keine Weise in die Ehescheidung willige, sondern lieber sterbe, als daß sie ihr Gewissen eines so großen Vergehens vor Gott schuldig mache, sondern ganz fest glaube, daß sie die rechte und gesetzmäßige Königin Englands sei, von Gott selbst dazu gemacht und gebilligt. Denn es darf nicht zugelassen werden, daß sie sich mit einer falschen Anschuldigung beschwere, eine so große Sünde glaube, welche keine Sünde ist. Denn das hieße in irrendem Gewissen die Lüge fürchten und anstatt Gottes anbeten. Denn wenn sie den König nicht retten können, daß sie, wenn die Ehescheidung nicht verhindert werden kann, dies große Uebel des größten Unrechts als ihr Kreuz trage, aber keineswegs billige oder einwillige. Ich, der ich nichts Anderes vermag, wende mich im Gebet zu Gott, daß Christus diese Ehescheidung verhindern möge und die Rathschläge Ahitophels, welcher diesselbe räth, zu nichte machen, oder wenn er sie nicht verhindern will, daß er wenigstens der Königin einen starken Glauben und ein beständiges und sicheres Gewissen gebe, daß sie die gesetzmäßige und rechte Königin von England sei und sein werde, wider den Willen der Pforten der Welt und der Hölle. Du gehab dich in Christo recht wohl. Gegeben zu Wittenberg, den 5. September Anno 1531.
Dein Martin Luther."
Robert Barnes, 1495 - 1540 (Kurzbiographie)
Robert Barnes wurde 1495 nahe Norwich geboren. Bereits als Kind trat er in den Orden der Augustinereremiten ein und erhielt dort seine erste schulische Ausbildung, woraufhin er sein Studium an der Universität von Cambridge antrat. 1521 oder 1522 kam er nach Löwen, wo er sehr wahrscheinlich Patrick Hamilton, der dort zur selben Zeit studierte, kennenlernte. 1523 kehrte er zurück nach Cambridge und erhielt die Würde des Doktortitels der Theologie. In dieser Zeit begab sich Robert Barnes in reformbedachte theologische Kreisem, die stark von Luthers Lehren beeinflusst waren. Am 24. Dezember 1525 hielt er eine Predigt in Cambridge, welche eine lutherische Auslegung der Bibel propagierte, Kritik am Reichtum des englischen Klerus übte und bewusst die Gebete an die Mutter Gottes und für die Verstorbenen ausließ. Daraufhin wurde Barnes, der sich bereits vorher durch seinen akademischen Erfolg und reformbedachte Lehren Feinde gemacht hatte, der Häresie angeklagt. Barnes verweigerte den Widerruf und wurde nach London gebracht, um dort 1526 von Kardinal Wolsey verhört zu werden. Unter Androhung der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen wurde er schließlich zum Widerruf genötigt. Im darauffolgenden Hausarrest im Augustinereremitenkonvent in London setzte Barnes seine reformatorischen Aktivitäten fort, u.a. der Teilnahme am Handel von ketzerischen Büchern. Als Folge wurde er nach Northampton verlegt und eine Hinrichtung seitens der kirchlichen Behörden in Betracht gezogen, der Barnes sich allerdings durch die Flucht Ende 1528 oder Anfang 1529 entziehen konnte. Nach einem längeren Aufenthalt in Lübeck reiste er 1530 nach Wittenberg, knüpfte Kontakte mit wichtigen Lutheranern, wohnte sogar einige Zeit bei Martin Luther selbst und verfasste vermutlich dort die erste Version seiner "Supplication unto Henry VIII". Der "Vitae Romanorum Pontificum" von 1535 und "Bekenntnis des Glaubens" 1540 fügte Martin Luther jeweils ein eigenes Vorwort bei.
Da Heinrich VIII in der Folgezeit eine Annäherung an die deutschen Lutheraner und den Schmalkaldischen Bund suchte, setzte eine kurze Periode der vorübergehenden Toleranz ein und Barnes wurde die Rückkehr nach England genehmigt. Durch seine exzellenten Kontake wurde Barnes 1535 und 1539 als Diplomat des Königs zu Verhandlung mit dem Schmalkaldischen Bund nach Deutschland geschickt. Infolge des Scheiterns der Verhandlungen und der Verschärfung der Machtkämpfe innerhalb der englischen Kirche zwischen Reformern und Konservativen, wurde Barnes am 30. Juli 1540 als lutherischer Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.1
Autor: Alexander Debney
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1 Beiergrößlein, Katharina. Robert Barnes, England und der Schmalkaldische Bund (1530-1540). Heidelberg, 2011. S. 24-41
Bildquelle: http://2.bp.blogspot.com/_2EzEBbtDGmI/SnQZ1Q2SHTI/AAAAAAAAG4E/KPDxK0CQZhQ/s1600/barnes.jpg
Patrick Hamilton
Patrick Hamilton (1504 – 1528) war ein schottischer Reformator und protestantischer Märtyrer. Er entstammte dem schottischen Hochadel, verwandt mit dem schottischen König1, und wurde vermutlich auf einem der familiären Anwesen in Linlithgow, Kinneill oder Kincavill2 geboren. Nach Abschluss der Elementarschule verfolgte er eine klerikale Ausbildung und studierte an der Universität von Paris, welches als „internationales Zentrum“3 der Zeit galt und besonders für schottische Studenten, durch die innigen politischen, militärischen und kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und Schottland, attraktiv war.
An der Universität von Paris zirkulierten nicht nur humanistische Ideen, insbesondere die des Erasmus von Rotterdam, sondern auch etliche Schriften Luthers, zu einem Zeitpunkt, an dem beide Strömungen noch in dieselbe Richtung zu weisen schienen. Letztere Werke hatten auf Hamilton einen derartigen Einfluss, dass von einem „Lutheraner in nuce“4 gesprochen werden kann.
Es gilt als wahrscheinlich, dass Patrick Hamilton im Anschluss seines Magisters in Paris 1521 oder 1522 zur Universität von Löwen übersiedelte, an der Erasmus von Rotterdam bis Mitte 1521 lehrte, wenngleich unklar bleibt, ob er auf Erasmus traf oder nicht5. 1523 kehrte Patrick Hamilton nach Schottland zurück, zunächst als Student, und wurde ein Jahr später Lehrer an der Universität von St. Andrews6. In den folgenden Jahren predigte Hamilton lutherisches Gedankengut, insbesondere sola scriptura und die Darstellung des Papstes als Antichrist, und zog die Missgunst der Kirche auf sich, die 1525 ein Importverbot für Bücher des „Häretiker[s] Luther“ erwirkte7. Allerdings wurde, aufgrund Hamiltons ausgezeichneter Kontakte, zunächst nur halbherzig ein Verfahren gegen ihn eingeleitet8. So wurde er von offizieller Seite rechtzeitig gewarnt und konnte Anfang 1527 aus Schottland entkommen.
Nun zog es ihn zunächst auf das europäische Festland und später ins protestantische Hessen, wo er, vermutlich während seiner Reise, von der neugegründeten und allerersten protestantischen Hohen Schule in Marburg erfuhr. Marburg war im Begriff sich zu einer der Knotenpunkte der Reformation zu entwickeln, besonders durch Hohe Schule, die schon in ihren ersten Jahren „auffallend viele Ausländer“10 zu ihren Studenten zählte. Durch den regen intellektuellen Austausch wurde Marburg in ganz Europa mit der Reformation verknüpft. Verschiedene Buchdrucker aus Antwerpen, die wegen der Verfolgung durch die Kirche anonym bleiben wollten, benutzten etliche erkennbare Pseudonyme, darunter den berühmten reformatorischen Drucker Hans Lufft, eigentlich ansässig in Wittenberg, jedoch mit der Angabe des Standortes Marburg,11 um ihre gedruckten Werke als eindeutig reformatorisch zu kennzeichnen.
In Marburg entwickelte Hamilton, der offiziell Student und kein Lehrender war, Thesen für eine öffentliche Disputation in der Artistenfakultät12, welches sonst nur das Privileg der Professoren war. Dass es ihm trotzdem erlaubt wurde, eine Disputation zu führen, verdankt Hamilton dem Vertrauensverhältnis zu Franz Lambert von Avignon, zu der Zeit Professor in Marburg. Franz Lambert war ein entscheidender protestantischer Reformator in Hessen, maßgeblich an der Homberger Synode und der Universitätsgründung in Marburg beteiligt. Hamiltons Thesen wurden später in seinem Werk Patrick’s Places, von John Frith ins Englische übersetzt, verarbeitet, das zeitweise ein solcher Erfolg in seiner Heimat wurde, dass sich innerhalb der protestantischen Bevölkerung nur Bibelübersetzungen besser verkauften12, während Franz Lambert auf dem Kontinent die Thesen seines Schülers nach dessen Tode verbreitete.
Ende 1527 entschied sich Patrick Hamilton nach Schottland zurückzukehren, um die Reformation weiter voranzutreiben. Kurz nach seinem Eintreffen wurde er verhört, jedoch nicht auf Dauer festgesetzt und er konnte unbehelligt predigen13. Die Kirchenvertreter fürchteten noch immer den gewichtigen Einfluss, den die Familie Hamilton ausübte, und versuchten mit allen Mitteln, Patrick zum Umdenken zu bewegen. Als dieser sich jedoch inständig weigerte und den Vorschlag einer erneuten Flucht ebenfalls zurückwies, musste ihm der Prozess gemacht werden13.
Während des Prozesses bekannte Patrick Hamilton sich offen zu den lutherischen Häresien und wurde Ende Februar 1528 zum Tode verurteilt14. Kurz vor der Vollstreckung wurde noch ein Versuch seitens des Bruders, James Hamilton, und des Clans unternommen, ihn gewaltsam zu befreien, doch die Witterungsbedingungen verzögerten den Vormarsch derart, dass sie zu spät kamen.15
Autor: Alexander Debney
Grundlegende Untersuchung zu Patrick Hamilton bei: Haas, Rainer. Franz Lambert und Patrick Hamilton in ihrer Bedeutung für die Evangelische Bewegung auf den Britischen Inseln. Marburg, 1973.
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1 Haas, Rainer. S. 52.
2 S. 54
3 S. 54f.
4 S. 58
5 S. 59
6 S. 61
7 S. 62f.
8 S. 63
9 S. 64
10 S. 9
11 S. 28
12 S. 67f.
13 S. 75
14 S. 78f.
15 S. 81
Bildquelle: http://www.thereformation.info/Images/PatkHamilton.jpg
Landgraf Philipp von Hessen an den Kanzler Feige zur Anfrage Herzog Christians von Holstein, König von Dänemark (1534), wg. der geistlichen Güter und der Einführung der Reformation, Marburg 17. Mai 1533
Herzog Christian III. hatte am 9. Mai 1533 bei Philipp angefragt, wie er sich auf dem bevorstehenden Landtag zu Kiel in der Angelegenheit der geistlichen Güter und der Begehrlichkeiten des Adels verhalten solle. Philipp listet in dem vorliegenden Schreiben an Feige vom 17.05.1533 die Punkte auf, die sein Kanzler in einer Vorlage für ein Anwortschreiben an Christian III. berücksichtigen möge.
In seinem Brief an Christian III. vom 21.05.1533 (siehe Dok. 2) rät der Landgraf, auf dem bevorstehenden Landtag zu Kiel eine Disputation über die Zeremonien zu vermeiden und die Privilegien zu bestätigen. Der Herzog möge die Dinge zunächst schleifen lassen bis zu bequemer Zeit und versuchen, die Vornehmsten des Adels an sich zu ziehen. Würde das Evangelium eindringen und etliche aus den Klöstern austreten, solle man die Klöster zum Nutzen des Fürstentums mit Rat der Landschaft verwenden. Etliche Klöster kann man zu Schulen, andere zum Unterhalt adliger Jungfrauen, weitere zu Spitälern verordnen usw.
Außerdem rät der Landgraf etliche Stipendien zu verordnen. Mit Blick auf Kaiser Karl V. könne sich der Herzog unter Hinweis auf den Speyerer (1526) und Nürnberger Reichstag darauf berufen, dass man Gott mehr gehorchen müsse als dem Kaiser. Mahnung, es nicht zum Bruch mit den Ständen kommen zu lassen und notfalls zuzuwarten. Der Herzog solle die Bündnisse mit den Nachbarn wahren und sich mit ihnen gut stellen. Den abgesetzten König Christian II. von Dänemark solle er gut verwahren und - wenn ihm die Krone des Königreichs Dänemark angetragen werden sollte - dieses Reich nicht ausschlagen. Der Landgraf versichert dem Herzog allezeit seinen guten Willen und freundschaftliche Hilfe.
Landgraf Philipp von Hessen an den Kanzler Feige zur Anfrage Herzog Christians von Holstein, König von Dänemark (1534), wg. der geistlichen Güter und der Einführung der Reformation, Marburg 17. Mai 1533
Herzog Christian III. hatte am 9. Mai 1533 bei Philipp angefragt, wie er sich auf dem bevorstehenden Landtag zu Kiel in der Angelegenheit der geistlichen Güter und der Begehrlichkeiten des Adels verhalten solle. Philipp listet in dem vorliegenden Schreiben an Feige vom 17.05.1533 die Punkte auf, die sein Kanzler in einer Vorlage für ein Anwortschreiben an Christian III. berücksichtigen möge.
In seinem Brief an Christian III. vom 21.05.1533 (siehe Dok. 2) rät der Landgraf, auf dem bevorstehenden Landtag zu Kiel eine Disputation über die Zeremonien zu vermeiden und die Privilegien zu bestätigen. Der Herzog möge die Dinge zunächst schleifen lassen bis zu bequemer Zeit und versuchen, die Vornehmsten des Adels an sich zu ziehen. Würde das Evangelium eindringen und etliche aus den Klöstern austreten, solle man die Klöster zum Nutzen des Fürstentums mit Rat der Landschaft verwenden. Etliche Klöster kann man zu Schulen, andere zum Unterhalt adliger Jungfrauen, weitere zu Spitälern verordnen usw.
Außerdem rät der Landgraf etliche Stipendien zu verordnen. Mit Blick auf Kaiser Karl V. könne sich der Herzog unter Hinweis auf den Speyerer (1526) und Nürnberger Reichstag darauf berufen, dass man Gott mehr gehorchen müsse als dem Kaiser. Mahnung, es nicht zum Bruch mit den Ständen kommen zu lassen und notfalls zuzuwarten. Der Herzog solle die Bündnisse mit den Nachbarn wahren und sich mit ihnen gut stellen. Den abgesetzten König Christian II. von Dänemark solle er gut verwahren und - wenn ihm die Krone des Königreichs Dänemark angetragen werden sollte - dieses Reich nicht ausschlagen. Der Landgraf versichert dem Herzog allezeit seinen guten Willen und freundschaftliche Hilfe.
Landgraf Philipp von Hessen an Herzog Christian III. von Schleswig und Holstein - Rat für die Durchführung der Reformation in Holstein, 21. Mai 1533
In Beantwortung des Schreibens vom 9. Mai wollen wir E. L. nicht verhalten, wie wir es nach verkundung des evangelii in unserm furstentumb gehalten. Wir haben ein furstentumb vom heiligen reich, das unser erb ist, darinne niemands von unsern undertonen zu regieren, zu setzen oder zu entsetzen hat, sondern alle administration steet von gots gnaden frei in unser hand und darf ein regirender furst niemands von not wegen fragen, was er tun solle, allein das er us erbarkeit und notturft, dweil der gescheft vil seind, etliche, die er wil und im gefallen, zu rat und seinen gescheften gebraucht., auch sonst die undertanen bei iren rechten und gerechtigkeiten zu lassen schuldig ist, alsdan unser eltern gnediglich getan haben und wir nach zu tun gedenken. Da nun das evangelion ein zeit lang verkündigt und der gemein man des inhalts berichtet war, haben wir nicht von stund an die kloster, stifte oder, dergleichen eingenomen, sonder vor den klostern und stiften rechtschaffene prediger zugesandt. Da sie nu so vil berichtes befunden, das sie selbstwilliglich abgestanden und sich in andere leben begeben, haben wir den personen us den clostergudtern ir leben lang versehung getan und von dem uberigen ein hohe schule zu Martpurgk mit grossem costen ufgericht und bis nach erhalten, und darzu anderthalb hundert benefitia, die nicht pfarren sein, verordent, zu dem gebrauch, das man davon anderthalb hundert Studenten zu Martpurg halten sol und solliche underhaltung angeen, alspalt dieselben benefitia ledig werden, dero aan auch gereit etwo vil ledig worden. Darzu haben wir zwei kloster zu spitalen armer leut, man und frauen, so man us den dorfern unsers furstentumbs nemen sol und nicht us stedten, dieweil die stedt gemeinlich ir eigen spital und besser Vorsehung dan die dorfer haben, gestiftet und verordent. In denselben beiden spitaln wirdet man auch uf anderthalb hundert person erhalten mögen. Darüber haben wir zwei gute closter in hande des adels gegeben mit aller nutzung, also das sie die selbst bestellen und brauchen mugen und davon jars etliche erbare arme edeljungfrauen, die von iren eitern villicht so vil nicht haben, das sie irem stand nach bestat werden mögen, beratten und ussetzen sollen. Das uberig [haben wir] zu beschirmung des evangelii, wie E. L. wissen, das es bei uns vil anfechtung gehapt, brauchen müssen, damit unsern undertan so vil minder beschwerung ufgelegt werden dorfte. Und wo wir vermerkt, das die alten vom adel guter an kloster dermassen gegeben und des reversal entpfangen haben, als wir der vil funden, so die mess und begengnusa) nicht gehalten wurden, das ine und iren erben alsdan ir gudter widder volgen solten, so haben wir den erben solliche guter auch widderumb zusteen lassen und in ir gewissen gestelt, dieselben wol anzulegen. Wir haben auch zu zeiten einen zehenden, hoif oder stuck guts uf 1000, 1500 oder 2000 fl. werdt faren lassen, dem evangelio und den sachen zu gudten, gegen denjenen die es umb uns und das furstentumb gemeinlich verdienen mochten. Und disser ordenung sein, gotte lob, unser edeln und landschaft wol zufridden gewesen.
Dem Herzog rät der Landgraf auf dem bevorstehenden Landtag eine Disputation über die Zeremonien zu vermeiden und die Privilegien zu bestätigen. Er möge die Sachen zunächst schleifen lassen bis zu bequemer Zeit und versuchen, die Vornehmsten des Adels an sich zu ziehen. Würde das Evangelium ein-dringen und etliche aus den Klöstern austreten, soll man sie versehen und die Klöster zum Nutzen des Fürstentums mit Rat der Landschaft verwenden. Etliche Klöster kann man zu Schulen, andere zum Unterhalt adliger Jungfrauen, weitere zu Spitälern verordnen oder das arme kinder bis zu zimblichen alter darus gezogen und underwiesen werden und sonderlich weibsperson und das sie sich darus mochten verheiraten. Item E. L. mocht auch furschlagen, das man von dem uberigen etliche reisigen vom adel, so notturftig und zu dienen geschickt weren, erhalten mocht, E. L. und dem furstentumb zu dienen, strassen zu versehen und ander notturft auszurichten. Und also mochten E. L. bedenkens den heusern fürstender und pre-laten, so christlich leben furten und zu ehren des furstentumbs dieneten, an der itzigen stede gesatzt werden, doch in alwege den itzigen prelaten unverletzlich, sie nemen das wort an ader nicht an iren habenden eren und gudtern ir leben lang. Außerdem rät der Landgraf etliche Stipendien zu verordnen. Der Herzog könne sich unter Hinweis auf den Speyerer und Nürnberger Reichstag darauf berufen, dass man Gott mehr gehorchen müsse als dem Kaiser. Mahnung, es nicht zum Bruch mit den Ständen kommen zu lassen und notfalls zuzuwarten. Es ist jedenfalls besser, dass er regiert, als ein Papist. Der Herzog soll die Bündnisse mit den Nachbarn wahren. Auch der Landgraf verspricht Hilfe. Cassel, den 21. may anno 33.
Abdruck: Franz, Günter, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte. 1525-1547 (Bd. II). Marburg 1954, 175-177.
Landgraf Philipp von Hessen an Herzog Christian III. von Schleswig und Holstein - Rat für die Durchführung der Reformation in Holstein, 21. Mai 1533
In Beantwortung des Schreibens vom 9. Mai wollen wir E. L. nicht verhalten, wie wir es nach verkundung des evangelii in unserm furstentumb gehalten. Wir haben ein furstentumb vom heiligen reich, das unser erb ist, darinne niemands von unsern undertonen zu regieren, zu setzen oder zu entsetzen hat, sondern alle administration steet von gots gnaden frei in unser hand und darf ein regirender furst niemands von not wegen fragen, was er tun solle, allein das er us erbarkeit und notturft, dweil der gescheft vil seind, etliche, die er wil und im gefallen, zu rat und seinen gescheften gebraucht., auch sonst die undertanen bei iren rechten und gerechtigkeiten zu lassen schuldig ist, alsdan unser eltern gnediglich getan haben und wir nach zu tun gedenken. Da nun das evangelion ein zeit lang verkündigt und der gemein man des inhalts berichtet war, haben wir nicht von stund an die kloster, stifte oder, dergleichen eingenomen, sonder vor den klostern und stiften rechtschaffene prediger zugesandt. Da sie nu so vil berichtes befunden, das sie selbstwilliglich abgestanden und sich in andere leben begeben, haben wir den personen us den clostergudtern ir leben lang versehung getan und von dem uberigen ein hohe schule zu Martpurgk mit grossem costen ufgericht und bis nach erhalten, und darzu anderthalb hundert benefitia, die nicht pfarren sein, verordent, zu dem gebrauch, das man davon anderthalb hundert Studenten zu Martpurg halten sol und solliche underhaltung angeen, alspalt dieselben benefitia ledig werden, dero aan auch gereit etwo vil ledig worden. Darzu haben wir zwei kloster zu spitalen armer leut, man und frauen, so man us den dorfern unsers furstentumbs nemen sol und nicht us stedten, dieweil die stedt gemeinlich ir eigen spital und besser Vorsehung dan die dorfer haben, gestiftet und verordent. In denselben beiden spitaln wirdet man auch uf anderthalb hundert person erhalten mögen. Darüber haben wir zwei gute closter in hande des adels gegeben mit aller nutzung, also das sie die selbst bestellen und brauchen mugen und davon jars etliche erbare arme edeljungfrauen, die von iren eitern villicht so vil nicht haben, das sie irem stand nach bestat werden mögen, beratten und ussetzen sollen. Das uberig [haben wir] zu beschirmung des evangelii, wie E. L. wissen, das es bei uns vil anfechtung gehapt, brauchen müssen, damit unsern undertan so vil minder beschwerung ufgelegt werden dorfte. Und wo wir vermerkt, das die alten vom adel guter an kloster dermassen gegeben und des reversal entpfangen haben, als wir der vil funden, so die mess und begengnusa) nicht gehalten wurden, das ine und iren erben alsdan ir gudter widder volgen solten, so haben wir den erben solliche guter auch widderumb zusteen lassen und in ir gewissen gestelt, dieselben wol anzulegen. Wir haben auch zu zeiten einen zehenden, hoif oder stuck guts uf 1000, 1500 oder 2000 fl. werdt faren lassen, dem evangelio und den sachen zu gudten, gegen denjenen die es umb uns und das furstentumb gemeinlich verdienen mochten. Und disser ordenung sein, gotte lob, unser edeln und landschaft wol zufridden gewesen.
Dem Herzog rät der Landgraf auf dem bevorstehenden Landtag eine Disputation über die Zeremonien zu vermeiden und die Privilegien zu bestätigen. Er möge die Sachen zunächst schleifen lassen bis zu bequemer Zeit und versuchen, die Vornehmsten des Adels an sich zu ziehen. Würde das Evangelium ein-dringen und etliche aus den Klöstern austreten, soll man sie versehen und die Klöster zum Nutzen des Fürstentums mit Rat der Landschaft verwenden. Etliche Klöster kann man zu Schulen, andere zum Unterhalt adliger Jungfrauen, weitere zu Spitälern verordnen oder das arme kinder bis zu zimblichen alter darus gezogen und underwiesen werden und sonderlich weibsperson und das sie sich darus mochten verheiraten. Item E. L. mocht auch furschlagen, das man von dem uberigen etliche reisigen vom adel, so notturftig und zu dienen geschickt weren, erhalten mocht, E. L. und dem furstentumb zu dienen, strassen zu versehen und ander notturft auszurichten. Und also mochten E. L. bedenkens den heusern fürstender und pre-laten, so christlich leben furten und zu ehren des furstentumbs dieneten, an der itzigen stede gesatzt werden, doch in alwege den itzigen prelaten unverletzlich, sie nemen das wort an ader nicht an iren habenden eren und gudtern ir leben lang. Außerdem rät der Landgraf etliche Stipendien zu verordnen. Der Herzog könne sich unter Hinweis auf den Speyerer und Nürnberger Reichstag darauf berufen, dass man Gott mehr gehorchen müsse als dem Kaiser. Mahnung, es nicht zum Bruch mit den Ständen kommen zu lassen und notfalls zuzuwarten. Es ist jedenfalls besser, dass er regiert, als ein Papist. Der Herzog soll die Bündnisse mit den Nachbarn wahren. Auch der Landgraf verspricht Hilfe. Cassel, den 21. may anno 33.
Abdruck: Franz, Günter, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte. 1525-1547 (Bd. II). Marburg 1954, 175-177.
Suprematsakte, 1534 (Auszug)
"Obgleich Seine Majestät der König nach Recht und Gesetz das Oberhaupt der Kirche [Churche of England] ist und sein soll und von der Geistlichkeit des Reiches in ihren Kirchenversammlungen [convocacions] als solches anerkannt worden ist, wird trotzdem zur Bestätigung und Bekräftigung dessen, zur Stärkung des christlichen Glaubens im Königreich England uind zur Beseitigung und Ausrottung aller Irrtümer, Irrlehren und anderen Schändlichkeiten und Mißbräuchen, die bisland hier üblich waren, kraft der Gewalt dieses Parlaments verfügt, daß unser höchster Herr und König, seine Erben und Nachfolger, die Könige dieses Reiches, als das alleinige Oberhaupt der Kirche von England, genannt Anglicana Ecclesia, gelten und angesehen werden. Zusammen mit der Krone des Reiches sollen sie den Titel und darüber hinaus alle Ehren, Würden, Vorrechte, Sonderrechte, Vollmachten, Freiheiten und Vorurteile besitzen und genießen, die zur Würde eines Oberhaupts dieser Kirche gehören... Unser genannter höchster Herr, seine Erben und Nachfolger, die Könige dieses Reiches, sollen die Macht haben, von Zeit zu Zeit alle derartigen Irrtümer, Irrlehren, Mißbräuche, Übeltaten, Mißachtungen und Schändlichkeiten, gleich welcher Art, zu untersuchen, einzuschränken und abzuändern, wenn sie von einer geistlichen Obrigkeit oder Gerichtsbarkeit verbssert, eingeschränkt , geordnet, abgestellt, berichtigt, unterdrückt oder abgeändert werden können oder sollen - zum Wohlgefallen Gottes des Allmächtigen, zur Stärkung des christlichen Glaubens und zur Erhaltung von Frieden, Einigkeit und Ruhe in diesem Reich, ungeachtet aller entgegengesetzten Gewohnheiten und aller ausländischen Gesetze und Obrigkeiten [foreyne lawes, foreyne auctoryte]."1
Englisches Transkript des Originals:
"Albeit the Kynges Majestie justely and rightfully is & oweth to be supreme hede of the Churche of England and so is recognysed by the Clergy of the Realme in their convocacions; yet neverthelesse for corroboracion & confirmacion thereof, and for increase of vertue in Cristis Religion within the Realme of England, and to represse & extirpe all errours heresies and other enormities & abuses heretofore used in the same,
Be it enacted by auctorite of this present Parliament that the Kyng our Soveraign Lorde his heires and successours Kynges of the Realme shalbe takyn accepted & reputed the onely supreme hede in erthe of the Churche of England callyd Anglicana Ecclesia, and shall have and enjoye annexed and united to the Ymperyall Crowne of this Realme aswell the title and style thereof, as all Honours, Dignyties prehemynences jurisdiccions privileges auctorites ymunyties profits and commodities to the said dignytie of supreme hede of the same Churche belonging and apperteynyng.
And that from tyme to tyme to visite represse redresse reforme ordre correct restrayne and amende all suche errours heresies abuses offences contemptes and enormities what so ever they be, whiche by any maner spiritual auctorite or jurisdiccion ought or maie lawfully be reformyd repressyd ordred redressyd corrected restrained or amendyd, moste to the pleasure of Almyghtie God the encrease of vertue yn Chrystis Religion and for the conservacion of the peace unyte and tranquylyte of this Realme any usage custome foreyne lawes foreyne auctoryte prescripcion or anye other thinge or thinges to the contrarie hereof notwithstandinge."2
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1 Oberman, Heiko A. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Band 3: Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Neukirchen-Vluyn, 1994, S. 260f.
2 http://www.nationalarchives.gov.uk/pathways/citizenship/rise_parliament/transcripts/henry_supremacy.htm
Dokumentenquelle: http://www.nationalarchives.gov.uk/pathways/citizenship/images/citizen_subject/c65-143a.gif
Tyndale Bibel, 1536
Die Tyndale Bibel, bis 1536 komplett ins Frühneuenglische übersetzt, war ein Werk mit einer ganzen Reihe von Autoren und nur Teile sind aus der Feder William Tyndales. Sie knüpft theologisch an die wyclifitische Bibel an und integriert lutherische, sowie Tyndales eigene, Ideen. Obwohl seitens der kirchlichen Behörden alles unternommen wurde, um die Verbreitung zu stoppen, wurde die Tyndale Bibel zu einem flächendeckenden Erfolg. Sie diente als Vorlage für die King James Bibel von 1611, welche noch heute als Standardübersetzung gilt.
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1 Vgl. Jones, Tudur. „The Great Reformation“. Leicester, 1985, S. 113-115
Dokumentenquelle:
http://www.inkandblood.com/wysiwyg-uploads/files/downloadable_graphics/Tyndale_1536_Original-hi.jpg
Heinrich VIII., Aufruf zur Beendigung der theologischen Zwietracht vor dem Englischen Parlament, 1545
"Nun, da ich bei Euch solche Liebe zu mir vorfinde, kann ich nicht anders, als Euch auch meine Liebe und Güte zuzuwenden, mit der Beteuerung, daß in der ganzen Welt kein Herrscher seinen Untertanen besser geneigt ist als ich, ebenso wie keine Untertanen ihren Herrn besser lieben und ihm gehorsamer sind als Ihr. Für Euren Schutz soll mein Schatz nie versteckt sein, noch würde mein eigener Körper dem Wagnis entzogen werden, wenn es dazu käme.
Doch obwohl wir miteinander so in vollkommener Liebe und Eintracht leben, kann dieses gute Verhältnis nicht andauern, wenn Ihr, meine Herren vom weltlichen Stand, und Ihr, meine Herren der Geistlichkeit, und Ihr, meine treuen Untertanen, Euch nicht bemüht, das einzige, das nicht in Ordnung ist, zu verbessern, wozu ich Euch von Herzen auffordere: ich meine die gute Nächstenliebe, die bei Euch fehlt, denn Zwiespalt und Meinungsverschiedenheit herrschen überall. Der heilige Paulus sagt zu den Korinthern, im 13. Kapitel: »Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen« [1Kor 13,4] . . . Seht also, welche Liebe da bei Euch tätig ist, wenn die einen die anderen »Ketzer und Wiedertäufer« heißen, und die anderen darauf mit »Papisten, Heuchlern und Pharisäern« antworten. Sind dies die Zeichen der Liebe? Sind dies die Merkmale brüderlicher Freundschaft? Nein, nein, ich versichere Euch: dieser Mangel an Nächstenliebe wird das gute Verhältnis zwischen uns verhindern und verringern, es sei denn, dies wäre heil gemacht. Leider muß ich feststellen, daß Ihr an diesem Zwiespalt schuld seid, Ihr Priester und Prediger aus dem Klerus. Wenn ich nämlich weiß, ein Mann treibt Ehebruch, muß ich ihn notwendigerweise für einen fleischlich gesinnten Menschen halten; höre ich von einem, der prahlt und sich hochspielt, so muß ich schließen, er ist hochmütig. Und täglich sehe und höre ich, wie Ihr von der Geistlichkeit gegeneinander predigt - Ihr schimpft aufeinander ohne Milde oder Besonnenheit. Manche halten zu steif an ihrem alten »mumpsimus« fest; manche wieder treiben zu kräftig hinter dem neuen »sumpsimus« her. Und so leben fast alle [Priester und Prediger] in Verschiedenheit und Widerspruch, und wenige nur predigen Gottes Wort wahr und treu, wie sie es tun sollten. Kann ich Euch also als liebend beurteilen? Nein, nein, das kann ich nicht. Weh uns, wie können die armen Seelen in der Einigkeit leben, wenn Ihr Geistlichen in Euren Predigten Zwietracht sät! Von Euch suchen sie das Licht und Ihr liefert ihnen die Dunkelheit. Verlaßt diese Abwege, so fordere ich Euch auf; zeigt an das Wort Gottes, sowohl in guter Predigt als auch im guten Beispiel, sonst werde ich, den Gott zu seinem Stellvertreter hier ernannt hat, dafür sorgen, daß diese Spaltungen beendigt und diese Verbrechen bestraft werden, wie es meine Pflicht ist. Sonst wäre ich ein unnützer Diener und falscher Amtsträger."1
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1 Oberman, Heiko A. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Band 3: Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Neukirchen-Vluyn, 1994, S. 261f.
Book of Common Prayer, 1552
Das Book of Common Prayer, durch Eduard VI. in Auftrag gegeben und maßgeblich von Thomas Cranmer geschrieben, regelt den Rahmen und Ablauf der Gottesdienste, Taufe, Abendmahl, Trauung, Beerdigung und Konfirmation. Die erste, noch gemäßigt protestantische, Version erschien 1549, wurde aber hinlänglich ihrer unzureichenden evangelischen Tragweite kritisiert. Die zweite, überarbeitete Version von 1552 bricht stärker mit den katholischen Ritualen, die unter Heinrich VIII. bestanden hatten. Nach dem Tod des protestantischen Eduard VI. wurde das Book of Common Prayer von Maria I. abgeschafft, doch von ihrer Nachfolgerin Elisabeth I. wiedereingeführt und gesetzlich in der Uniformitätsakte von 1559 verankert.
"THE PREFACE
THERE was never anye thynge by the wytte of man so wel devised, or so sure established, whiche (in continuance of tyme) hath not been corrupted: as (emong other thynges) it may playnlye appeare by the common prayers in the Churche commonlye called divine servyce: the firste originall and grounde whereof yf a manne woulde searche out by auncient fathers, he shall fynde that the same was not ordayned but of a good purpose, and for a great advancemente of godlynesse. For they so ordered the matter, that all the whole Bible (or the greatest part thereof) shoulde be readde over once in the yeare entendynge thereby, that the clergie and speciallye suche as were ministers of the congregacion, should (by often readynge and meditacion of Godde's woorde) be stirred up to godlynesse themselves, and be more able also to exhorte other by whole some doctrine, and to confute them that were adversaries to the trueth. And further, that the people (by dayly hearynge of holye scripture read in the Churche) should continuallye profyte more and more in the knowledge of God, and be the more in flamed with the love of hys true religion. But these manye yeres passed, this godly and decent order of the auncient fathers hath been so altered, broken, and neglected, by plantinge in uncertayn Stories, Legendes, Respondes, Verses, vayne repeticions, Commemoracions, and Sinodalles, that commonlye when anye boke of the Bible was begonne, before three or foure Chapters were read out, al the rest were unread. And in thys sorte the boke of Esay [Isaiah]was begonne in Advent, and the boke of Genesis in Septuagesima: but they were onely begonne, and never read through. After a lyke sorte were other bokes of holy scripture used. And moreover, where as Sainct Paule woulde have such language spoken to the people in the Churche, as thei might understande, and have profite by hearing the same; the service in this Churche of Englande (these manye yeres) hath been read in Latyn to the people, whiche they understode not: so that they have heard with their eares onely; and their heartes, spirite, and mynde, have not been edified thereby. And furthermore, notwithstandynge that the auncient fathers have divided the Psalmes into seven porcions, whereof everye one was called a Nocturne; nowe of late tyme, a fewe of them have been dayly sayd (and ofte repeated) and the rest utterlye omitted. Moreover, the numbre and hardnesse of the rules, called the Pie, and the manyfolde chaungynges of the servyce, was the cause, that to tourne the boke onely was so harde and intricate a matter, that manye tymes there was more busynesse to fynde out what shoulde be read, then to reade it when it was founde out.
These inconveniences therefore consydered, here is set furthe suche an order, whereby the same shalbe redressed. And for a redynesse in thys matter, here is drawen out a kalendar for that purpose, whiche is playne and easye to be understanden: wherin (so muche as may be) the readynge of holye scriptures is so set furthe, that all thynges shalbe doen in order, without breakynge one pyece thereof from another. For thys cause be cut of Anthemes, Respondes, Invitatories, and suche lyke thynges, as dyd breake the continuall course of the readynge of the scripture. Yet because there is no remedye, but that of necessitie there must be some rules, therefore certayn rules are here sette furth, whiche as they be fewe in numbre, so they be playn and easie to be understanden. So that here you have an order for prayer (as touchynge the readynge of holye scripture) muche agreable to the mynde and purpose of thold fathers, and a great deale more profitable and commodious, then that which of late was used. It is more profitable, because here are lefte out manye thynges, where of some be untrue, some uncertayn, some vayne and supersticious, and is ordeined nothynge to be read, but the very pure worde of God, the holye scriptures, or that which is evidentlye grounded upon the same, and that in such a language and order, as is most easy and playne for the understandynge bothe of the readers and hearers. It is also more commodious, bothe for the shortness thereof, and for the playnnesse of the order, and for that the rules be fewe and easye. Furthermore, by thys order, the curates shall nede none other bokes for their publyke service, but thys boke, and the Bible: By the meanse whereof, the people shall not be at so greate charge for bokes, as in tyme paste they have been.
And where heretofore there hath been greate diversitie in sayeng and syngyng in Churches within this realme, some folowynge Salisbury use, some of Herford use, some the use of Bangor, some of Yorke, and some of Lincolne. Nowe from hence furthe, all the whole realme shall have but one use. And yf any woulde judge thys way more painfull, because that all thynges muste be read upon the booke where as before by the reason of so often repeticion, they could saye many thynges by heart; yf those men wyl weygh their laboure, with the profyte and knowledge, which dayly they shal obtayne by readyng upon the boke, they wyl not refuse the payne, in consideracion of the great profite that shal ensue therof.
And for asmuche as nothynge can almoste be so playnly set furthe, but doubtes may ryse in the use and practisynge of the same: To appease all suche diversitie (yf any aryse), and for the resolucion of all doubtes concemynge the maner howe to understande doe and execute the thynges conteyned in this boke: the partes that so doubt, or diversly take any thyng, shall alway resorte to the Byshoppe of the Diocesse, who by hys discrecion shall take order for the quietynge and appeasyng of the same: so that the same order be not contrarye to anye thynge conteyned in thys boke. And yf the Byshoppe of the Diocesse be in anye doubte, then maye he sende for the resolution thereof unto the Archebyshoppe.
Though it be appoynted in the afore wrytten Preface, that all thynges shalbe read and songe in the Churche in the Englyshe tongue, to the ende that the congregacion maye be thereby edified: yet it is not ment, but when menne say Mornyng and Evenynge prayer privatly, they may saie the same in anye language that they themselves do understande.
And all Priestes and Deacons shalbe bounde to say dayly the Mornynge and Evenyng prayer, either privatly or openly, excepte they be letted by preaching, studeing of divinityie, or by some other urgent cause.
And the Curate that ministreth in every Parish Churche or Chapell, beyng at home, and not beyng otherwise reasonably letted [prevented], shall say the same in the Parishe Churche or Chapell where he ministreth, and shall tolle a belle thereto, a convenient tyme before he begyn, that suche as be disposed maye come to heare Goddes worde, and to praie with hym."1
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1 http://justus.anglican.org/resources/bcp/1552/Front_matter_1552.htm
Dokumentenquelle: http://www.sid.cam.ac.uk/life/lib/1552Commonprayer2_000.jpg
Uniformitätsakte, 1559
Die Uniformitätsakte von 1559, durch Königin Elisabeth I. intiiert und vom Parlament ratifiziert, vereinheitlichte und regelte die Kirchenordnungen in England, verankerte gesetzlich die Benutzung des Book of Common Prayer und machte den wöchentlichen Kirchenbesuch zur Pflicht.
"Where at the death of our late sovereign lord King Edward VI there remained one uniform order of common service and prayer, and of the administration of sacraments, rites, and ceremonies in the Church of England, which was set forth in one book, intituled: The Book of Common Prayer, and Administration of Sacraments, and other rites and ceremonies in the Church of England; authorized by Act of Parliament holden in the fifth and sixth years of our said late sovereign lord King Edward VI, intituled: An Act for the uniformity of common prayer, and administration of the sacraments; the which was repealed and taken away by Act of Parliament in the [Page 459] first year of the reign of our late sovereign lady Queen Mary, to the great decay of the due honour of God, and discomfort to the professors of the truth of Christ's religion:
Be it therefore enacted by the authority of this present Parliament, that the said statute of repeal, and everything therein contained, only concerning the said book, and the service, administration of sacraments, rites, and ceremonies contained or appointed in or by the said book, shall be void and of none effect, from and after the feast of the Nativity of St. John Baptist next coming; and that the said book, with the order of service, and of the administration of sacraments, rites, and ceremonies, with the alterations and additions therein added and appointed by this statute, shall stand and be, from and after the said feast of the Nativity of St. John Baptist, in full force and effect, according to the tenor and effect of this statute; anything in the aforesaid statute of repeal to the contrary notwithstanding.
And further be it enacted by the queen's highness, with the assent of the Lords (sic) and Commons in this present Parliament assembled, and by authority of the same, that all and singular ministers in any cathedral or parish church, or other place within this realm of England, Wales, and the marches of the same, or other the queen's dominions, shall from and after the feast of the Nativity of St. John Baptist next coming be bounden to say and use the Matins, Evensong, celebration of the Lord's Supper and administration of each of the sacraments, and all their common and open prayer, in such order and form as is mentioned in the said book, so authorized by Parliament in the said fifth and sixth years of the reign of King Edward VI, with one alteration or addition of certain lessons to be used on every Sunday in the year, and the form of the Litany altered and corrected, and two sentences only added in the delivery of the sacrament to the communicants, and none other or otherwise.
[Page 460] And that if any manner of parson, vicar, or other whatsoever minister, that ought or should sing or say common prayer mentioned in the said book, or minister the sacraments, from and after the feast of the nativity of St. John Baptist next coming, refuse to use the said common prayers, or to minister the sacraments in such cathedral or parish church, or other places as he should use to minister the same, in such order and form as they be mentioned and set forth in the said book, or shall wilfully or obstinately standing in the same, use any other rite, ceremony, order, form, or manner of celebrating of the Lord's Supper, openly or privily, or Matins, Evensong, administration of the sacraments, or other open prayers, than is mentioned and set forth in the said book (open prayer in and throughout this Act, is meant that prayer which is for other to come unto, or hear, either in common churches or private chapels or oratories, commonly called the service of the Church), or shall preach, declare, or speak anything in the derogation or depraving of the said book, or anything therein contained, or of any part thereof, and shall be thereof lawfully convicted, according to the laws of this realm, by verdict of twelve men, or by his own confession, or by the notorious evidence of the fact, shall lose and forfeit to the queen's highness, her heirs and successors, for his first offence, the profit of all his spiritual benefices or promotions coming or arising in one whole year next after his conviction; and also that the person so convicted shall for the same offence suffer imprisonment by the space of six months, without bail or mainprize.
And if any such person once convicted of any offence concerning the premises, shall after his first conviction eftsoons offend, and be thereof, in form aforesaid, lawfully convicted, that then the same person shall for his second offence suffer imprisonment by the space of one whole year, and also shall therefore be deprived, ipso facto, of all his [Page 461] spiritual promotions; and that it shall be lawful to all patrons or donors of all and singular the same spiritual promotions, or of any of them, to present or collate to the same, as though the person and persons so offending were dead.
And that if any such person or persons, after he shall be twice convicted in form aforesaid, shall offend against any of the premises the third time, and shall be thereof, in form aforesaid, lawfully convicted, that then the person so offending and convicted the third time, shall be deprived, ipso facto, of all his spiritual promotions, and also shall suffer imprisonment during his life.
And if the person that shall offend, and be convicted in form aforesaid, concerning any of the premises, shall not be beneficed, nor have any spiritual promotion, that then the same person so offending and convicted shall for the first offence suffer imprisonment during one whole year next after his said conviction, without bail or mainprize. And if any such person, not having any spiritual promotion, after his first conviction shall eftsoons offend in anything concerning the premises, and shall be, in form aforesaid, thereof lawfully convicted, that then the same person shall for his second offence suffer imprisonment during his life.
And it is ordained and enacted by the authority aforesaid, that if any person or persons whatsoever, after the said feast of the Nativity of St. John Baptist next coming, shall in any interludes, plays, songs, rhymes, or by other open words, declare or speak anything in the derogation, depraving, or despising of the same book, or of anything therein contained, or any part thereof, or shall, by open fact, deed, or by open threatenings, compel or cause, or otherwise procure or maintain, any parson, vicar, or other minister in any cathedral or parish church, or in chapel, or in any other place, to sing or say any common or open prayer, or to minister any sacrament otherwise, or in any other manner and form, than is mentioned in the said book; or that by [Page 462] any of the said means shall unlawfully interrupt or let any parson, vicar, or other minister in any cathedral or parish church, chapel, or any other place, to sing or say common and open prayer, or to minister the sacraments or any of them, in such manner and form as is mentioned in the said book; that then every such person, being thereof lawfully convicted in form abovesaid, shall forfeit to the queen our sovereign lady, her heirs and successors, for the first offence a hundred marks.
And if any person or persons, being once convicted of any such offence, eftsoons offend against any of the last recited offences, and shall, in form aforesaid, be thereof lawfully convicted, that then the same person so offending and convicted shall, for the second offence, forfeit to the queen our sovereign lady, her heirs and successors, four hundred marks.
And if any person, after he, in form aforesaid, shall have been twice convicted of any offence concerning any of the last recited offences, shall offend the third time, and be thereof, in form abovesaid, lawfully convicted, that then every person so offending and convicted shall for his third offence forfeit to our sovereign lady the queen all his goods and chattels, and shall suffer imprisonment during his life.
And if any person or persons, that for his first offence concerning the premises shall be convicted, in form aforesaid, do not pay the sum to be paid by virtue of his conviction, in such manner and form as the same ought to be paid, within six weeks next after his conviction; that then every person so convicted, and so not paying the same, shall for the same first offence, instead of the said sum, suffer imprisonment by the space of six months, without bail or mainprize. And if any person or persons, that for his second offence concerning the premises shall be convicted in form aforesaid, do not pay the said sum to be paid by virtue of his conviction and this statute, in such manner [Page 463] and form as the same ought to be paid, within six weeks next after his said second conviction; that then every person so convicted, and not so paying the same, shall, for the same second offence, in the stead of the said sum, suffer imprisonment during twelve months, without bail or mainprize.
And that from and after the said feast of the Nativity of St. John Baptist next coming, all and every person and persons inhabiting within this realm, or any other the queen's majesty's dominions, shall diligently and faithfully, having no lawful or reasonable excuse to be absent, endeavour themselves to resort to their parish church or chapel accustomed, or upon reasonable let thereof, to some usual place where common prayer and such service of God shall be used in such time of let, upon every Sunday and other days ordained and used to be kept as holy days, and then and there to abide orderly and soberly during the time of the common prayer, preachings, or other service of God there to be used and ministered; upon pain of punishment by the censures of the Church, and also upon pain that every person so offending shall forfeit for every such offence twelve pence, to be levied by the churchwardens of the parish where such offence shall be done, to the use of the poor of the same parish, of the goods, lands, and tenements of such offender, by way of distress.
And for due execution hereof, the queen's most excellent majesty, the Lords temporal (sic), and all the Commons, in this present Parliament assembled, do in God's name earnestly require and charge all the archbishops, bishops, and other ordinaries, that they shall endeavour themselves to the uttermost of their knowledges, that the due and true execution hereof may be had throughout their dioceses and charges, as they will answer before God, for such evils and plagues wherewith Almighty God may justly punish His people for neglecting this good and wholesome law.
[Page 464] And for their authority in this behalf, be it further enacted by the authority aforesaid, that all and singular the same archbishops, bishops, and all other their officers exercising ecclesiastical jurisdiction, as well in place exempt as not exempt, within their dioceses, shall have full power and authority by this Act to reform, correct, and punish by censures of the Church, all and singular persons which shall offend within any their jurisdictions or dioceses, after the said feast of the Nativity of St. John Baptist next coming, against this Act and statute; any other law, statute, privilege, liberty, or provision heretofore made, had, or suffered to the contrary notwithstanding.
And it is ordained and enacted by the authority aforesaid, that all and every justices of oyer and terminer, or justices of assize, shall have full power and authority in every of their open and general sessions, to inquire, hear, and determine all and all manner of offences that shall be committed or done contrary to any article contained in this present Act, within the limits of the commission to them directed, and to make process for the execution of the same, as they may do against any person being indicted before them of trespass, or lawfully convicted thereof.
Provided always, and be it enacted by the authority aforesaid, that all and every archbishop and bishop shall or may, at all time and times, at his liberty and pleasure, join and associate himself, by virtue of this Act, to the said justices of oyer and terminer, or to the said justices of assize, at every of the said open and general sessions to be holden in any place within his diocese, for and to the inquiry, hearing, and determining of the offences aforesaid.
Provided also, and be it enacted by the authority aforesaid, that the books concerning the said services shall, at the cost and charges of the parishioners of every parish and cathedral church, be attained and gotten before the said feast of the Nativity of St. John Baptist next following; [Page 465] and that all such parishes and cathedral churches, or other places where the said books shall be attained and gotten before the said feast of the Nativity of St. John Baptist, shall, within three weeks next after the said books so attained and gotten, use the said service, and put the same in use according to this Act.
And be it further enacted by the authority aforesaid, that no person or persons shall be at any time hereafter impeached or otherwise molested of or for any the offences above mentioned, hereafter to be committed or done contrary to this Act, unless he or they so offending be thereof indicted at the next general sessions to be holden before any such justices of oyer and terminer or justices of assize, next after any offence committed or done contrary to the tenor of this Act.
Provided always, and be it ordained and enacted by the authority aforesaid, that all and singular lords of the Parliament, for the third offence above mentioned, shall be tried by their peers.
Provided also, and be it ordained and enacted by the authority aforesaid, that the mayor of London, and all other mayors, bailiffs, and other head officers of all and singular cities, boroughs, and towns corporate within this realm, Wales, and the marches of the same, to the which justices of assize do not commonly repair, shall have full power and authority by virtue of this Act to inquire, hear, and determine the offences abovesaid, and every of them, yearly within fifteen days after the feasts of Easter and St. Michael the Archangel, in like manner and form as justices of assize and oyer and terminer may do.
Provided always, and be it ordained and enacted by the authority aforesaid, that all and singular archbishops and bishops, and every their chancellors, commissaries, archdeacons, and other ordinaries, having any peculiar ecclesiastical jurisdiction. shall have full power and authority by [Page 466] virtue of this Act, as well to inquire in their visitation, synods, and elsewhere within their jurisdiction at any other time and place, to take occasions (sic) and informations of all and every the things above mentioned, done, committed, or perpetrated within the limits of their jurisdictions and authority, and to punish the same by admonition, excommunication, sequestration, or deprivation, and other censures and processes, in like form as heretofore has been used in like cases by the queen's ecclesiastical laws.
Provided always, and be it enacted, that whatsoever person offending in the premises shall, for the offence, first receive punishment of the ordinary, having a testimonial thereof under the said ordinary's seal, shall not for the same offence eftsoons be convicted before the justices: and likewise receiving, for the said offence, first punishment by the justices, he shall not for the same offence eftsoons receive punishment of the ordinary; anything contained in this Act to the contrary notwithstanding.
Provided always, and be it enacted, that such ornaments of the church, and of the ministers thereof, shall be retained and be in use, as was in the Church of England, by authority of Parliament, in the second year of the reign of King Edward VI, until other order shall be therein taken by the authority of the queen's majesty, with the advice of her commissioners appointed and authorized, under the great seal of England, for causes ecclesiastical, or of the metropolitan of this realm.
And also, that if there shall happen any contempt or irreverence to be used in the ceremonies or rites of the Church, by the misusing of the orders appointed in this book, the queen's majesty may, by the like advice of the said commissioners or metropolitan, ordain and publish such further ceremonies or rites, as may be most for the advancement of God's glory, the edifying of His Church, and the due reverence of Christ's holy mysteries and sacraments.
[Page 467] And be it further enacted by the authority aforesaid, that all laws, statutes, and ordinances, wherein or whereby any other service, administration of sacraments or common prayer, is limited, established, or set forth to be used within this realm, or any other the queen's dominions or countries, shall from henceforth be utterly void and of none effect."1
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1 http://history.hanover.edu/texts/engref/er80.html
Dokumentenquelle: http://assets3.parliament.uk/iv/original//ImageVault/Images/id_11522/scope_0/ImageVaultHandler.aspx.jpg
Confessio Scotica, 1560 (Auszüge)
"Drei Dokumente aus der Zeit der Reformation sind in dem Buch der Bekenntnisse enthalten, die jeweils ihren Ursprung in Schottland, Deutschland oder der Schweiz haben. Diese drei Zentren der Reformation sind bis heute wichtige Zentren des reformierten und presbyterianischen Denkens.
Die Confessio Scotica wurde an einem Wendepunkt in der Geschichte der schottischen Nation geschrieben. Als die Regentin Marie de Guise im Jahre 1560 starb, war der protestantische Adel von Schottland in der Lage, die englische Anerkennung der schottischen Souveränität im Vertrag von Edinburgh zu sichern. Nachdem das schottische Parlament Schottland zur protestantischen Nation erklärte hatte, forderte es die Geistlichen dazu auf, ein Glaubensbekenntnis zu verfassen. Sechs Geistliche, darunter John Knox, verrichteten diese Arbeit innerhalb von vier Tagen. 1560 wurde das Dokument vom Parlament ratifiziert als "Doktrin, begründet auf dem unfehlbaren Worte Gottes".
Die Confessio Scotica beginnt mit einer bedingungslosen Verpflichtung für den dreieinigen Gott, der erschafft, erhält und alle Dinge regelt und führt. Die ersten elf Kapitel behandeln Gottes Werke in der biblischen Geschichte. Die kirk (Kirche) der Gegenwart und Zukunft ist eine Fortführung der kirk des Volk Gottes, die bis zu Adam zurückreicht. Sie bekräftigt, dass die Bibel das Maß ist, an der sich die kirk misst, und sieht die Bibel als eine heilige Geschichte an, an dessen Fortführung die heutige Kirche durch den Heiligen Geist bis zum Ende aller Zeiten teilnimmt. Gottes providentielle Erlösung bestehe nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart.
Die Confessio Scotica legt drei Kennzeichen der wahren Kirche und der Gläubigen fest: "die wahre Predigt des Wort Gottes", "die richtige Anwendung der Sakramente Christis" und" kirchliche Disziplin... wobei das Laster verdrängt und die Tugend genährt wird."
"[...]
Chapter 5 -
The Continuance, Increase, and Preservation of the Kirk
We most surely believe that God preserved, instructed, multiplied, honored, adorned, and called from death to life his Kirk in all ages since Adam until the coming of Christ Jesus in the flesh. For he called Abraham from his father's country, instructed him, and multiplied his seed, he marvelously preserved him, and more marvelously delivered his seed from the bondage and tyranny of Pharaoh; to them he gave his laws, constitutions, and ceremonies; to them he gave the land of Canaan; after he had given them judges, and afterwards Saul, he gave David to be king, to whom he gave promise that of the fruit of his loins should one sit forever upon his royal throne. To this same people from time to time he sent prophets, to recall them to the right way of their God, from which sometimes they strayed by idolatry. And although, because of their stubborn contempt for righteousness he was compelled to give them into the hands of their enemies, as had previously been threatened by the mouth of Moses, so that the holy city was destroyed, the temple burned with fire, and the whole land desolate for seventy years, yet in mercy he restored them again to Jerusalem, where the city and the temple were rebuilt, and they endured against all temptations and assaults of Satan till the Messiah came according to the promise.
[...]
Chapter 13 - The Cause of Good Works
The cause of good works, we confess, is not our free will, but the Spirit of the Lord Jesus, who dwells in our hearts by true faith, brings forth such works as God has prepared for us to walk in. For we most boldly affirm that it is blasphemy to say that Christ abides in the hearts of those in whom is no spirit of sanctification. Therefore we do not hesitate to affirm that murderers, oppressors, cruel persecutors, adulterers, filthy persons, idolaters, drunkards, thieves, and all workers of iniquity, have neither true faith nor anything of the Spirit of the Lord Jesus, so long as they obstinately continue in wickedness. For as soon as the Spirit of the Lord Jesus, whom God's chosen children receive by true faith, takes possession of the heart of any man, so soon does he regenerate and renew him, so that he begins to hate what before he loved, and to love what he hated before. Thence comes that continual battle which is between the flesh and Spirit in God's children, while the flesh and the natural man, being corrupt, lust for things pleasant and delightful to themselves, are envious in adversity and proud in prosperity, and every moment prone and ready to offend the majesty of God. But the Spirit of God, who bears witness to our spirit that we are the sons of God, makes us resist filthy pleasures and groan in God's presence for deliverance from this bondage of corruption, and finally to triumph over sin so that it does not reign in our mortal bodies. Other men do not share this conflict since they do not have God's Spirit, but they readily follow and obey sin and feel no regrets, since they act as the devil and their corrupt nature urge. But the sons of God fight against sin; sob and mourn when they find themselves tempted to do evil; and, if they fall, rise again with earnest and unfeigned repentance. They do these things, not by their own power, but by the power of the Lord Jesus, apart from whom they can do nothing.
Chapter 14 -
The Works Which Are Counted Good Before God
We confess and acknowledge that God has given to man his holy law, in which not only all such works as displease and offend his godly majesty are forbidden, but also those which please him and which he has promised to reward are commanded. These works are of two kinds. The one is done to the honor of God, the other to the profit of our neighbor, and both have the revealed word of God as their assurance. To have one God, to worship and honor him, to call upon him in all our troubles, to reverence his holy Name, to hear his Word and to believe it, and to share in his holy sacraments, belong to the first kind. To honor father, mother, princes, rulers, and superior powers; to love them, to support them, to obey their orders if they are not contrary to the commands of God, to save the lives of the innocent, to repress tyranny, to defend the oppressed, to keep our bodies clean and holy, to live in soberness and temperance, to deal justly with all men in word and deed, and, finally, to repress any desire to harm our neighbor, are the good works of the second kind, and these are most pleasing and acceptable to God as he has commanded them himself. Acts to the contrary are sins, which always displease him and provoke him to anger, such as, not to call upon him alone when we have need, not to hear his Word with reverence, but to condemn and despise it, to have or worship idols, to maintain and defend idolatry, lightly to esteem the reverend name of God, to profane, abuse, or condemn the sacraments of Christ Jesus, to disobey or resist any whom God has placed in authority, so long as they do not exceed the bounds of their office, to murder, or to consent thereto, to bear hatred, or to let innocent blood be shed if we can prevent it. In conclusion, we confess and affirm that the breach of any other commandment of the first or second kind is sin, by which God's anger and displeasure are kindled against the proud, unthankful world. So that we affirm good works to be those alone which are done in faith and at the command of God who, in his law, has set forth the things that please him. We affirm that evil works are not only those expressly done against God's command, but also, in religious matters and the worship of God, those things which have no other warrant than the invention and opinion of man. From the beginning God has rejected such, as we learn from the words of the prophet Isaiah and of our master, Christ Jesus, "In vain do they worship Me, teaching the doctrines and commandments of men."
Chapter 15 - The Perfection of the Law and The Imperfection of Man
We confess and acknowledge that the law of God is most just, equal, holy, and perfect, commanding those things which, when perfectly done, can give life and bring man to eternal felicity; but our nature is so corrupt, weak, and imperfect, that we are never able perfectly to fulfill the works of the law. Even after we are reborn, if we say that we have no sin, we deceive ourselves and the truth of God is not in us. It is therefore essential for us to lay hold on Christ Jesus, in his righteousness and his atonement, since he is the end and consummation of the Law and since it is by him that we are set at liberty so that the curse of God may not fall upon us, even though we do not fulfill the Law in all points. For as God the Father beholds us in the body of his Son Christ Jesus, he accepts our imperfect obedience as if it were perfect, and covers our works, which are defiled with many stains, with the righteousness of his Son. We do not mean that we are so set at liberty that we owe no obedience to the Law--for we have already acknowledged its place--but we affirm that no man on earth, with the sole exception of Christ Jesus, has given, gives, or shall give in action that obedience to the Law which the Law requires. When we have done all things we must fall down and unfeignedly confess that we are unprofitable servants. Therefore, whoever boasts of the merits of his own works or puts his trust in works of supererogation, boasts of what does not exist, and puts his trust in damnable idolatry.
Chapter 16 - The Kirk
As we believe in one God, Father, Son, and Holy Ghost, so we firmly believe that from the beginning there has been, now is, and to the end of the world shall be, one Kirk, that is to say, one company and multitude of men chosen by God, who rightly worship and embrace him by true faith in Jesus Christ, who is the only Head of the Kirk, even as it is the body and spouse of Christ Jesus. This Kirk is catholic, that is, universal, because it contains the chosen of all ages, of all realms, nations, and tongues, be they of the Jews or be they of the Gentiles, who have communion and society with God the Father, and with his Son, Christ Jesus, through the sanctification of his Holy Spirit. It is therefore called the communion, not of profane persons, but of saints, who, as citizens of the heavenly Jerusalem, have the fruit of inestimable benefits, one God, one Lord Jesus, one faith, and one baptism. Out of this Kirk there is neither life nor eternal felicity. Therefore we utterly abhor the blasphemy of those who hold that men who live according to equity and justice shall be saved, no matter what religion they profess. For since there is neither life nor salvation without Christ Jesus; so shall none have part therein but those whom the Father has given unto his Son Christ Jesus, and those who in time come to him, avow his doctrine, and believe in him. (We include the children with the believing parents.) This Kirk is invisible, known only to God, who alone knows whom he has chosen, and includes both the chosen who are departed, the Kirk triumphant, those who yet live and fight against sin and Satan, and those who shall live hereafter.
[...]
Chapter 18 - The Notes by Which the True Kirk Shall Be Determined From The False, and Who Shall Be Judge of Doctrine
Since Satan has labored from the beginning to adorn his pestilent synagogue with the title of the Kirk of God, and has incited cruel murderers to persecute, trouble, and molest the true Kirk and its members, as Cain did to Abel, Ishmael to Isaac, Esau to Jacob, and the whole priesthood of the Jews to Christ Jesus himself and his apostles after him. So it is essential that the true Kirk be distinguished from the filthy synagogues by clear and perfect notes lest we, being deceived, receive and embrace, to our own condemnation, the one for the other. The notes, signs, and assured tokens whereby the spotless bride of Christ is known from the horrible harlot, the false Kirk, we state, are neither antiquity, usurped title, lineal succession, appointed place, nor the numbers of men approving an error. For Cain was before Abel and Seth in age and title; Jerusalem had precedence above all other parts of the earth, for in it were priests lineally descended from Aaron, and greater numbers followed the scribes, Pharisees, and priests, than unfeignedly believed and followed Christ Jesus and his doctrine . . . and yet no man of judgment, we suppose, will hold that any of the forenamed were the Kirk of God. The notes of the true Kirk, therefore, we believe, confess, and avow to be: first, the true preaching of the Word of God, in which God has revealed himself to us, as the writings of the prophets and apostles declare; secondly, the right administration of the sacraments of Christ Jesus, with which must be associated the Word and promise of God to seal and confirm them in our hearts; and lastly, ecclesiastical discipline uprightly ministered, as God's Word prescribes, whereby vice is repressed and virtue nourished. Then wherever these notes are seen and continue for any time, be the number complete or not, there, beyond any doubt, is the true Kirk of Christ, who, according to his promise, is in its midst. This is not that universal Kirk of which we have spoken before, but particular Kirks, such as were in Corinth, Galatia, Ephesus, and other places where the ministry was planted by Paul and which he himself called Kirks of God. Such Kirks, we the inhabitants of the realm of Scotland confessing Christ Jesus, do claim to have in our cities, towns, and reformed districts because of the doctrine taught in our Kirks, contained in the written Word of God, that is, the Old and New Testaments, in those books which were originally reckoned as canonical. We affirm that in these all things necessary to be believed for the salvation of man are sufficiently expressed. The interpretation of Scripture, we confess, does not belong to any private or public person, nor yet to any Kirk for pre-eminence or precedence, personal or local, which it has above others, but pertains to the Spirit of God by whom the Scriptures were written. When controversy arises about the right understanding of any passage or sentence of Scripture, or for the reformation of any abuse within the Kirk of God, we ought not so much to ask what men have said or done before us, as what the Holy Ghost uniformly speaks within the body of the Scriptures and what Christ Jesus himself did and commanded. For it is agreed by all that the Spirit of God, who is the Spirit of unity, cannot contradict himself. So if the interpretation or opinion of any theologian, Kirk, or council, is contrary to the plain Word of God written in any other passage of the Scripture, it is most certain that this is not the true understanding and meaning of the Holy Ghost, although councils, realms, and nations have approved and received it. We dare not receive or admit any interpretation which is contrary to any principal point of our faith, or to any other plain text of Scripture, or to the rule of love.
Chapter 19 - The Authority of the Scriptures
As we believe and confess the Scriptures of God sufficient to instruct and make perfect the man of God, so do we affirm and avow their authority to be from God, and not to depend on men or angels. We affirm, therefore, that those who say the Scriptures have no other authority save that which they have received from the Kirk are blasphemous against God and injurious to the true Kirk, which always hears and obeys the voice of her own Spouse and Pastor, but takes not upon her to be mistress over the same.
Chapter 20 - General Councils, Their Power, Authority, and the Cause of Their Summoning
As we do not rashly condemn what good men, assembled together in general councils lawfully gathered, have set before us; so we do not receive uncritically whatever has been declared to men under the name of the general councils, for it is plain that, being human, some of them have manifestly erred, and that in matters of great weight and importance. So far then as the council confirms its decrees by the plain Word of God, so far do we reverence and embrace them. But if men, under the name of a council, pretend to forge for us new articles of faith, or to make decisions contrary to the Word of God, then we must utterly deny them as the doctrine of devils, drawing our souls from the voice of the one God to follow the doctrines and teachings of men. The reason why the general councils met was not to make any permanent law which God had not made before, nor yet to form new articles for our belief, nor to give the Word of God authority; much less to make that to be his Word, or even the true interpretation of it, which was not expressed previously by his holy will in his Word; but the reason for councils, at least of those that deserve that name, was partly to refute heresies, and to give public confession of their faith to the generations following, which they did by the authority of God's written Word, and not by any opinion or prerogative that they could not err by reason of their numbers. This, we judge, was the primary reason for general councils. The second was that good policy and order should be constitutes and observed in the Kirk where, as in the house of God, it becomes all things to be done decently and in order. Not that we think any policy of order of ceremonies can be appointed for all ages, times, and places; for as ceremonies which men have devised are but temporal, so they may, and ought to be, changed, when they foster superstition rather than edify the Kirk.
Chapter 21 - The Sacraments
As the fathers under the Law, besides the reality of the sacrifices, had two chief sacraments, that is, circumcision and the Passover, and those who rejected these were not reckoned among God's people; so do we acknowledge and confess that now in the time of the gospel we have two chief sacraments, which alone were instituted by the Lord Jesus and commanded to be used by all who will be counted members of his body, that is, Baptism and the Supper or Table of the Lord Jesus, also called the Communion of His Body and Blood. These sacraments, both of the Old Testament and of the New, were instituted by God not only to make a visible distinction between his people and those who were without the Covenant, but also to exercise the faith of his children and, by participation of these sacraments, to seal in their hearts the assurance of his promise, and of that most blessed conjunction, union, and society, which the chosen have with their Head, Christ Jesus. And so we utterly condemn the vanity of those who affirm the sacraments to be nothing else than naked and bare signs. No, we assuredly believe that by Baptism we are engrafted into Christ Jesus, to be made partakers of his righteousness, by which our sins are covered and remitted, and also that in the Supper rightly used, Christ Jesus is so joined with us that he becomes the very nourishment and food for our souls. Not that we imagine any transubstantiation of bread into Christ's body, and of wine into his natural blood, as the Romanists have perniciously taught and wrongly believed; but this union and conjunction which we have with the body and blood of Christ Jesus in the right use of the sacraments is wrought by means of the Holy Ghost, who by true faith carries us above all things that are visible, carnal, and earthly, and makes us feed upon the body and blood of Christ Jesus, once broken and shed for us but now in heaven, and appearing for us in the presence of his Father. Notwithstanding the distance between his glorified body in heaven and mortal men on earth, yet we must assuredly believe that the bread which we break is the communion of Christ's body and the cup which we bless the communion of his blood. Thus we confess and believe without doubt that the faithful, in the right use of the Lord's Table, do so eat the body and drink the blood of the Lord Jesus that he remains in them and they in him; they are so made flesh of his flesh and bone of his bone that as the eternal Godhood has given to the flesh of Christ Jesus, which by nature was corruptible and mortal, life and immortality, so the eating and drinking of the flesh and blood of Christ Jesus does the like for us. We grant that this is neither given to us merely at the time nor by the power and virtue of the sacrament alone, but we affirm that the faithful, in the right use of the Lord's Table, have such union with Christ Jesus as the natural man cannot apprehend. Further we affirm that although the faithful, hindered by negligence and human weakness, do not profit as much as they ought in the actual moment of the Supper, yet afterwards it shall bring forth fruit, being living seed sown in good ground; for the Holy Spirit, who can never be separated from the right institution of the Lord Jesus, will not deprive the faithful of the fruit of that mystical action. Yet all this, we say again, comes of that true faith which apprehends Christ Jesus, who alone makes the sacrament effective in us. Therefore, if anyone slanders us by saying that we affirm or believe the sacraments to be symbols and nothing more, they are libelous and speak against the plain facts. On the other hand we readily admit that we make a distinction between Christ Jesus in his eternal substance and the elements of the sacramental signs. So we neither worship the elements, in place of that which they signify, nor yet do we despise them or undervalue them, but we use them with great reverence, examining ourselves diligently before we participate, since we are assured by the mouth of the apostle that "whoever shall eat this bread, and drink this cup of the Lord, unworthily, shall be guilty of the body and blood of the Lord."
Chapter 22 - The Right Administration of the Sacraments
Two things are necessary for the right administration of the sacraments. The first is that they should be ministered by lawful ministers, and we declare that these are men appointed to preach the Word, unto whom God has given the power to preach the gospel, and who are lawfully called by some Kirk. The second is that they should be ministered in the elements and manner which God has appointed. Otherwise they cease to be the sacraments of Christ Jesus. This is why we abandon the teaching of the Roman Church and withdraw from its sacraments; firstly, because their ministers are not true ministers of Christ Jesus (indeed they even allow women, whom the Holy Ghost will not permit to preach in the congregation to baptize) and, secondly, because they have so adulterated both the sacraments with their own additions that no part of Christ's original act remains in its original simplicity. The addition of oil, salt, spittle, and such like in baptism, are merely human additions. To adore or venerate the sacrament, to carry it through streets and towns in procession, or to reserve it in a special case, is not the proper use of Christ's sacrament but an abuse of it. Christ Jesus said, "Take ye, eat ye," and "Do this in remembrance of Me." By these words and commands he sanctified bread and wine to be the sacrament of his holy body and blood, so that the one should be eaten and that all should drink of the other, and not that they should be reserved for worship or honored as God, as the Romanists do. Further, in withdrawing one part of the sacrament--the blessed cup--from the people, they have committed sacrilege. Moreover, if the sacraments are to be rightly used it is essential that the end and purpose of their institution should be understood, not only by the minister but also by the recipients. For if the recipient does not understand what is being done, the sacrament is not being rightly used, as is seen in the case of the Old Testament sacrifices. Similarly, if the teacher teaches false doctrine which is hateful to God, even though the sacraments are his own ordinance, they are not rightly used, since wicked men have used them for another end than what God had commanded. We affirm that this has been done to the sacraments in the Roman Church, for there the whole action of the Lord Jesus is adulterated in form, purpose, and meaning. What Christ Jesus did, and commanded to be done, is evident from the Gospels and from St. Paul; what the priest does at the altar we do not need to tell. The end and purpose of Christ's institution, for which it should be used, is set forth in the words, "Do this in remembrance of Me," and "For as often as ye eat this bread and drink this cup ye do show"--that is, extol, preach, magnify, and praise--"the Lord's death, till He come." But let the words of the mass, and their own doctors and teachings witness, what is the purpose and meaning of the mass; it is that, as mediators between Christ and his Kirk, they should offer to God the Father, a sacrifice in propitiation for the sins of the living and of the dead. This doctrine is blasphemous to Christ Jesus and would deprive his unique sacrifice, once offered on the cross for the cleansing of all who are to be sanctified, of its sufficiency; so we detest and renounce it.
Chapter 23 - To Whom Sacraments Appertain
We hold that baptism applies as much to the children of the faithful as to those who are of age and discretion, and so we condemn the error of the Anabaptists, who deny that children should be baptized before they have faith and understanding. But we hold that the Supper of the Lord is only for those who are of the household of faith and can try and examine themselves both in their faith and their duty to their neighbors. Those who eat and drink at that holy table without faith, or without peace and goodwill to their brethren, eat unworthily. This is the reason why ministers in our Kirk make public and individual examination of those who are to be admitted to the table of the Lord Jesus.
Chapter 24 - The Civil Magistrate
We confess and acknowledge that empires, kingdoms, dominions, and cities are appointed and ordained by God; the powers and authorities in them, emperors in empires, kings in their realms, dukes and princes in their dominions, and magistrates in cities, are ordained by God's holy ordinance for the manifestation of his own glory and for the good and well being of all men. We hold that any men who conspire to rebel or to overturn the civil powers, as duly established, are not merely enemies to humanity but rebels against God's will. Further, we confess and acknowledge that such persons as are set in authority are to be loved, honored, feared, and held in the highest respect, because they are the lieutenants of God, and in their councils God himself doth sit and judge. They are the judges and princes to whom God has given the sword for the praise and defense of good men and the punishment of all open evil doers. Moreover, we state the preservation and purification of religion is particularly the duty of kings, princes, rulers, and magistrates. They are not only appointed for civil government but also to maintain true religion and to suppress all idolatry and superstition. This may be seen in David, Jehosaphat, Hezekiah, Josiah, and others highly commended for their zeal in that cause.
Therefore we confess and avow that those who resist the supreme powers, so long as they are acting in their own spheres, are resisting God's ordinance and cannot be held guiltless. We further state that so long as princes and rulers vigilantly fulfill their office, anyone who denies them aid, counsel, or service, denies it to God, who by his lieutenant craves it of them.
[...]"
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Zitiert nach The Constitution of the Presbyterian Church (U.S.A.), Part I, Book of Confessions; Geneva Press, Louisville, KY. Copyright ©1996 by the Office of the General Assembly, Presbyterian Church (U.S.A.)
online unter: http://www.creeds.net/reformed/Scots/scots.htm
Exkommunikationsbulle gegen Königin Elisabeth I., 1570
"POPE PIUS V'S BULL AGAINST ELIZABETH (1570)
Pius Bishop, servant of the servants of God, in lasting memory of the matter.
He that reigneth on high, to whom is given all power in heaven and earth, has committed one holy Catholic and apostolic Church, outside of which there is no salvation, to one alone upon earth, namely to Peter, the first of the apostles, and to Peter's successor, the pope of Rome, to be by him governed in fullness of power. Him alone He has made ruler over all peoples and kingdoms, to pull up, destroy, scatter, disperse, plant and build, so that he may preserve His faithful people (knit together with the girdle of charity) in the unity of the Spirit and present them safe and spotless to their Saviour.
1. In obedience to which duty, we (who by God's goodness are called to the aforesaid government of the Church) spare no pains and labour with all our might that unity and the Catholic religion (which their Author, for the trial of His children's faith and our correction, has suffered to be afflicted with such great troubles) may be preserved entire. But the number of the ungodly has so much grown in power that there is no place left in the world which they have not tried to corrupt with their most wicked doctrines; and among others, Elizabeth, the pretended queen of England and the servant of crime, has assisted in this, with whom as in a sanctuary the most pernicious of all have found refuge. This very woman, having seized the crown and monstrously usurped the place of supreme head of the Church in all England to gether with the chief authority and jurisdiction belonging to it, has once again reduced this same kingdom- which had already been restored to the Catholic faith and to good fruits- to a miserable ruin.
2. Prohibiting with a strong hand the use of the true religion, which after its earlier overthrow by Henry VIII (a deserter therefrom) Mary, the lawful queen of famous memory, had with the help of this See restored, she has followed and embraced the errors of the heretics. She has removed the royal Council, composed of the nobility of England, and has filled it with obscure men, being heretics; oppressed the followers of the Catholic faith; instituted false preachers and ministers of impiety; abolished the sacrifice of the mass, prayers, fasts, choice of meats, celibacy, and Catholic ceremonies; and has ordered that books of manifestly heretical content be propounded to the whole realm and that impious rites and institutions after the rule of Calvin, entertained and observed by herself, be also observed by her subjects. She has dared to eject bishops, rectors of churches and other Catholic priests from their churches and benefices, to bestow these and other things ecclesiastical upon heretics, and to determine spiritual causes; has forbidden the prelates, clergy and people to acknowledge the Church of Rome or obey its precepts and canonical sanctions; has forced most of them to come to terms with her wicked laws, to abjure the authority and obedience of the pope of Rome, and to accept her, on oath, as their only lady in matters temporal and spiritual; has imposed penalties and punishments on those who would not agree to this and has exacted then of those who perserved in the unity of the faith and the aforesaid obedience; has thrown the Catholic prelates and parsons into prison where many, worn out by long languishing and sorrow, have miserably ended their lives. All these matter and manifest and notorius among all the nations; they are so well proven by the weighty witness of many men that there remains no place for excuse, defence or evasion.
3. We, seeing impieties and crimes multiplied one upon another the persecution of the faithful and afflictions of religion daily growing more severe under the guidance and by the activity of the said Elizabeth -and recognising that her mind is so fixed and set that she has not only despised the pious prayers and admonitions with which Catholic princes have tried to cure and convert her but has not even permitted the nuncios sent to her in this matter by this See to cross into England, are compelled by necessity to take up against her the weapons of juctice, though we cannot forbear to regret that we should be forced to turn, upon one whose ancestors have so well deserved of the Christian community. Therefore, resting upon the authority of Him whose pleasure it was to place us (though unequal to such a burden) upon this supreme justice-seat, we do out of the fullness of our apostolic power declare the foresaid Elizabeth to be a heretic and favourer of heretics, and her adherents in the matters aforesaid to have incurred the sentence of excommunication and to be cut off from the unity of the body of Christ.
4. And moreover (we declare) her to be deprived of her pretended title to the aforesaid crown and of all lordship, dignity and privilege whatsoever.
5. And also (declare) the nobles, subjects and people of the said realm and all others who have in any way sworn oaths to her, to be forever absolved from such an oath and from any duty arising from lordshop. fealty and obedience; and we do, by authority of these presents , so absolve them and so deprive the same Elizabeth of her pretended title to the crown and all other the abovesaid matters. We charge and command all and singular the nobles, subjects, peoples and others afore said that they do not dare obey her orders, mandates and laws. Those who shall act to the contrary we include in the like sentence of excommunication.
6. Because in truth it may prove too difficult to take these presents wheresoever it shall be necessary, we will that copies made under the hand of a notary public and sealed with the seal of a prelate of the Church or of his court shall have such force and trust in and out of judicial proceedings, in all places among the nations, as these presents would themselves have if they were exhibted or shown.
Given at St. Peter's at Rome, on 27 April 1570 of the Incarnation; in the fifth year of our pontificate."1
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1 http://tudorhistory.org/primary/papalbull.html
Dokumentenquelle: http://image.invaluable.com/housePhotos/Whytes/05/283405/H2548-L19329522.jpg
Die 39 Artikel der Glaubensgrundsätze der Anglikanischen Kirche, 1571
Die 39 Artikel, 1571 vom Parlament gesetzlich verordnet, legten die offiziellen Doktrinen der Englischen Anglikanischen Kirche hinsichtlich der katholischen Kirche, sowie anderer protestantischer Glaubensrichtungen fest. Die 39 Artikel zeugen von einem für die anglikanische Kirche typischen Kompromiss aus katholischen, lutherischen und calvinistischen Lehren.
"[Artikel] 8. Die drei Glaubensbekenntnisse
Die drei Glaubensbekenntnisse, das nizänische, das des Athanasius und das, welches gewöhnlich das apostolische genannt wird, sind in allem anzunehmen und zu glauben; sie können nämlich mit den sichersten Zeugnissen der Schrift belegt werden.
10. Der freie Wille
Der Zustand des Menschen nach dem Falle Adams ist so, daß er sich durch seine natürlichen Kräfte und guten Werke zum Glauben und zur Anrufung Gottes nicht wenden und vorbereiten kann. Deshalb vermögen wir nichts, ohne daß die Gnade Gottes durch Christus uns zuvor anregt, daß wir wollen, und uns hilft, während wir wollen, zur Vollbringung frommer Werke, die Gott angenehm und wohlgefällig sind.
11. Die Rechtfertigung des Menschen
Nur wegen des Verdienstes unseres Herrn und Heilands Jesus Christus gelten wir als gerecht vor Gott durch den Glauben, nicht wegen unserer Werke und Verdienste. Deshalb ist die Lehre, daß wir nur durch den Glauben gerechtfertigt werden, höchst heilsam und trostvoll, wie in der Homilie1 von der Rechtfertigung des Menschen auseinandergesetzt ist.
12. Die guten Werke
Die guten Werke, welche Früchte des Glaubens sind und den Gerechtfertigten folgen, sind, obgleich sie unsere Sünden nicht austilgen und vor der Strenge des göttlichen Gerichtes nicht bestehen können, doch Gott angenehm und in Christus wohlgefällig, und fließen notwendig aus einem wahren und lebendigen Glauben, so daß ganz auf gleiche Weise aus ihnen der lebendige Glaube erkannt wird, wie ein Baum nach seiner Frucht beurteilt werden kann.
19. Die Kirche
Die sichtbare Kirche Christi ist die Gemeinschaft der Gläubigen, in der das Wort Gottes rein verkündigt wird und die Sakramente . . . der Einsetzung gemäß recht verwaltet werden. Wie die Kirchen von Jerusalem, Alexandrien und Antiochien geirrt haben, so hat auch die römische Kirche geirrt, nicht nur in Betreff der Handlungen und Gebräuche der Zeremonien, sondern auch in dem, was man glauben soll.
20. Die Autorität der Kirche
Der Kirche ist es nicht erlaubt, irgend etwas anzuordnen, was dem Worte Gottes entgegensteht, und sie kann keine Stelle der Schrift so erklären, daß sie einer anderen widerspricht. Die Kirche vermag Zeugin und Bewahrerin der göttlichen Bücher zu sein, doch darf sie nichts gegen sie entscheiden und außer ihnen auch nichts zu glauben aufdrängen, als ob es zur Seligkeit notwendig wäre.
22. Das Fegefeuer
Die Lehre der Römischen vom Fegefeuer, vom Ablaß, von der Verehrung und Anbetung der Bilder und Reliquien sowie von der Anrufung der Heiligen, ist etwas Nichtiges und leere Erdichtung und beruht auf keinen Zeugnissen der Schrift, ja, sie widerspricht dem Worte Gottes.
25. Die Sakramente
Die von Christus eingesetzten Sakramente sind nicht allein Zeichen des Bekenntnisses der Christen, sondern vielmehr gewisse Zeugnisse und kräftige Zeichen der Gnade und der gütigen Gesinnung Gottes gegen uns, durch welche er unsichtbar selbst in uns wirkt und unsern Glauben an ihn nicht nur anregt, sondern auch festigt. Zwei Sakramente sind von Christus, unserem Herrn, im Evangelium eingesetzt, nämlich die Taufe und das Abendmahl. Die fünf, gewöhnlich so genannten >Sakramente<, nämlich Firmung, Buße, Priesterweihe, Ehe und Letzte Ölung, sind nicht für evangelische Sakramente zu halten, da sie teils aus einer verkehrten Nachahmung der Apostel geflossen sind, teils Stände des Lebens [Ehe- bzw. Priesterstand] sind, die zwar in der Schrift zugestanden werden, aber nicht die Charakteristika von Sakramenten mit Taufe und Herrenmahl gemein haben, da sie kein sichtbares Zeichen oder eine Zeremonie haben, die von Gott eingesetzt sind. Die Sakramente sind nicht dazu von Christus eingesetzt, daß sie geschaut oder umhergetragen werden, sondern damit wir sie recht gebrauchen sollen; und bei denen, die sie würdig empfangen, haben sie einen heilsamen Einfluß; jene aber, die sie unwürdig empfangen, bereiten sich selbst (wie Paulus sagt [IKor 11,27-29]) die Verdammnis.
28. Das Mahl des Herrn
Das Mahl des Herrn ist nicht ein bloßes Zeichen des gegenseitigen Wohlwollens der Christen unter sich, sondern vielmehr ist es das Sakrament unserer Erlösung durch den Tod Christi. Und so ist denen, die es richtig, würdig und mit Glauben empfangen, das Brot, das wir brechen, die Gemeinschaft des Leibes Christi; ebenso ist der gesegnete Kelch die Gemeinschaft des Blutes Christi [IKor 10,16]. Die Verwandlung des Brotes und Weines im Abendmahle kann aus der Heiligen Schrift nicht bewiesen werden, sondern ist den deutlichen Worten der Schrift zuwider, verkehrt das Wesen des Sakraments und hat zu vielem Aberglauben Anlaß gegeben. Der Leib Christi wird gegeben, empfangen und gegessen im Abendmahle, aber in himmlischer und geistiger Weise. Das Mittel, durch welches der Leib Christi im Abendmahle empfangen und gegessen wird, ist der Glaube. Das Sakrament des Abendmahls wird nach der Anordnung Christi nicht aufbewahrt, umhergetragen, in die Höhe gehoben und angebetet.
30. Über beiderlei Gestalt
Der Kelch des Herrn ist den Laien nicht zu verweigern, denn beide Teile des Sakraments des Herrn müssen nach der Anordnung und Vorschrift Christi allen Christen gleich erteilt werden.
32. Die Ehe der Priester
Den Bischöfen, Presbytern und Diakonen ist es durch keinen göttlichen Befehl vorgeschrieben, daß sie entweder Ehelosigkeit geloben oder sich der Ehe enthalten sollen. Es ist daher auch ihnen - wie allen übrigen Christen - erlaubt, wo es nach ihrem Befinden mehr zur Frömmigkeit beiträgt, nach ihrem Gutdünken zu heiraten.
34. Die kirchliche Tradition
Es ist im allgemeinen nicht notwendig, daß überall dieselben Traditionen und Zeremonien oder ganz ähnliche stattfinden. Wie sie nämlich immer mannigfaltig gewesen sind, so können sie auch nach Verschiedenheit der Gegenden, Zeiten und Sitten verändert werden, wenn nur nichts gegen Gottes Wort angeordnet wird. Wer die kirchlichen Traditionen und Zeremonien, die dem Worte Gottes nicht widersprechen und von der öffentlichen Autorität angeordnet und bestätigt sind, nach eigenem Willen tatsächlich und bewußt öffentlich verletzt, der ist - wie einer, der sich an der öffentlichen Kirchenordnung vergreift und die Autorität der Obrigkeit verletzt und die Gewissen der schwachen Brüder verwundet - öffentlich zu bestrafen, damit die übrigen abgeschreckt werden. Jede besondere [Kirche] oder Landeskirche hat die Vollmacht, Zeremonien oder kirchliche Gebräuche, die nur durch menschliche Autorität angeordnet sind, abzuändern, zu verändern und abzuschaffen, wenn nur alles zur Erbauung geschieht."1
"VIII. Of the Creeds.
The Nicene Creed, and that which is commonly called the Apostles' Creed, ought thoroughly to be received and believed: for they may be proved by most certain warrants of Holy Scripture.
X. Of Free-Will.
The condition of Man after the fall of Adam is such, that he cannot turn and prepare himself, by his own natural strength and good works, to faith; and calling upon God. Wherefore we have no power to do good works pleasant and acceptable to God, without the grace of God by Christ preventing us, that we may have a good will, and working with us, when we have that good will.
XI. Of the Justification of Man.
We are accounted righteous before God, only for the merit of our Lord and Saviour Jesus Christ by Faith, and not for our own works or deservings. Wherefore, that we are justified by Faith only, is a most wholesome Doctrine, and very full of comfort, as more largely is expressed in the Homily of Justification.
XII. Of Good Works.
Albeit that Good Works, which are the fruits of Faith, and follow after Justification, cannot put away our sins, and endure the severity of God's judgment; yet are they pleasing and acceptable to God in Christ, and do spring out necessarily of a true and lively Faith insomuch that by them a lively Faith may be as evidently known as a tree discerned by the fruit.
XIX. Of the Church. The visible Church of Christ is a congregation of faithful men, in which the pure Word of God is preached, and the Sacraments be duly ministered according to Christ's ordinance, in all those things that of necessity are requisite to the same.
As the Church of Jerusalem, Alexandria, and Antioch, have erred, so also the Church of Rome hath erred, not only in their living and manner of Ceremonies, but also in matters of Faith.
XX. Of the Authority of the Church.
The Church hath power to decree Rites or Ceremonies, and authority in Controversies of Faith: and yet it is not lawful for the Church to ordain any thing that is contrary to God's Word written, neither may it so expound one place of Scripture, that it be repugnant to another. Wherefore, although the Church be a witness and a keeper of Holy Writ, yet, as it ought not to decree any thing against the same, so besides the same ought it not to enforce any thing to be believed for necessity of Salvation.
XXII. Of Purgatory.
The Romish Doctrine concerning Purgatory, Pardons, Worshipping and Adoration, as well of Images as of Relics, and also Invocation of Saints, is a fond thing, vainly invented, and grounded upon no warranty of Scripture, but rather repugnant to the Word of God.
XXV. Of the Sacraments.
Sacraments ordained of Christ be not only badges or tokens of Christian men's profession, but rather they be certain sure witnesses, and effectual signs of grace, and God's good will towards us, by the which he doth work invisibly in us, and doth not only quicken, but also strengthen and confirm our Faith in him.
There are two Sacraments ordained of Christ our Lord in the Gospel, that is to say, Baptism, and the Supper of the Lord.
Those five commonly called Sacraments, that is to say, Confirmation, Penance, Orders, Matrimony, and Extreme Unction, are not to be counted for Sacraments of the Gospel, being such as have grown partly of the corrupt following of the Apostles, partly are states of life allowed in the Scriptures, but yet have not like nature of Sacraments with Baptism, and the Lord's Supper, for that they have not any visible sign or ceremony ordained of God.
The Sacraments were not ordained of Christ to be gazed upon, or to be carried about, but that we should duly use them. And in such only as worthily receive the same, they have a wholesome effect or operation: but they that receive them unworthily, purchase to themselves damnation, as Saint Paul saith.
XXVIII. Of the Lord's Supper.
The Supper of the Lord is not only a sign of the love that Christians ought to have among themselves one to another, but rather it is a Sacrament of our Redemption by Christ's death: insomuch that to such as rightly, worthily, and with faith, receive the same, the Bread which we break is a partaking of the Body of Christ; and likewise the Cup of Blessing is a partaking of the Blood of Christ.
Transubstantiation (or the change of the substance of Bread and Wine) in the Supper of the Lord, cannot be proved by Holy Writ; but is repugnant to the plain words of Scripture, overthroweth the nature of a Sacrament, and hath given occasion to many superstitions.
The Body of Christ is given, taken, and eaten, in the Supper, only after an heavenly and spiritual manner. And the mean whereby the Body of Christ is received and eaten in the Supper, is Faith.
The Sacrament of the Lord's Supper was not by Christ's ordinance reserved, carried about, lifted up, or worshipped.
XXX. Of both Kinds.
The Cup of the Lord is not to be denied to the Lay-people: for both the parts of the Lord's Sacrament, by Christ's ordinance and commandment, ought to be ministered to all Christian men alike.
XXXII. Of the Marriage of Priests. Bishops, Priests, and Deacons, are not commanded by God's Law, either to vow the estate of single life, or to abstain from marriage: therefore it is lawful for them, as for all other Christian men, to marry at their own discretion, as they shall judge the same to serve better to godliness.
XXXIV. Of the Traditions of the Church.
It is not necessary that Traditions and Ceremonies be in all places one, or utterly like; for at all times they have been divers, and may be changed according to the diversity of countries, times, and men's manners, so that nothing be ordained against God's Word. Whosoever, through his private judgment, willingly and purposely, doth openly break the Traditions and Ceremonies of the Church, which be not repugnant to the Word of God, and be ordained and approved by common authority, ought to be rebuked openly, (that others may fear to do the like,) as he that offendeth against the common order of the Church, and hurteth the authority of the Magistrate, and woundeth the consciences of the weak brethren.
Every particular or national Church hath authority to ordain, change, and abolish, Ceremonies or Rites of the Church ordained only by man's authority, so that all things be done to edifying."2
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1 Oberman, Heiko A. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Band 3: Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Neukirchen-Vluyn, 1994, S. 262ff.
2 http://anglicansonline.org/basics/thirty-nine_articles.html
Dokumentenquelle: http://storage.cloversites.com/standrewseiscopalchurch/site_images/page78_picture0_1347377414.jpg

Tafel 21: Hugenotten in Frankreich
In Frankreich werden die ersten Schriften Luthers bereits ab 1519 verkauft und stoßen namentlich bei den Professoren der Pariser Sorbonne auf zustimmendes Interesse. Der neue Glaube, der in der ersten Phase als luthérien bezeichnet wird, gewinnt zunächst in den großen Städten - neben Paris besonders Lyon und Meaux - an Boden, bevor er auch das Land erfasst. Der zunehmende Einfluss Calvins von Genf auf die französische Reformationsbewegung trägt seit den 1540er Jahren wesentlich zur Organisierung der Hugenotten, wie die Protestanten in Frankreich bald genannt werden, bei. Das in Calvins Institution de la religion chrétienne (frz. Ausgaben ab 1541) manifestierte theologische System koordiniert in der Folge die bisher locker nebeneinander lebenden Gruppen und die verschiedenen Lehrmeinungen. Die endgültige Ausformung der Kirchenorganisation und Lehre erfolgt dann auf der Nationalsynode der reformierten Gemeinden Frankreichs 1559 in Paris (Confessio Gallicana). Die Reformierten machen mit etwa 1-2 Millionen Anhängern zwar nicht mehr als 5-10% der Gesamtbevölkerung aus. Aber mit dem Anschluss der führenden französischer Häuser Bourbon, Condé und Coligny erfahren die Hugenotten eine entscheidende politische Stärkung und werden zu einem wichtigen Faktor im Machtkampf der Adelsparteien in Frankreich.
In den Jahren ab 1559 wird der Religionskonflikt in Frankreich zu einem gesamteuropäischen Problem: Wieder ist es von den protestantischen Fürsten in Deutschland Landgraf Philipp von Hessen, der die Initiative ergreift und für ein friedliches Nebeneinander der Konfessionen in Frankreich eintritt: Ganz falsch wäre es, wenn die deutschen Protestanten ihre französischen Glaubensverwandten wegen des Abendmahlstreits verdammten und die vorbehaltlose Anerkennung der Confessio Augustana zur Vorbedingung ihrer Unterstützung machten. Im Falle eines allgemeinen Bürgerkriegs (civile bellum) und eines möglichen Sieges der Papisten in Frankreich, so Philipp 1561, sei die Ausübung der freien christlichen Lehre auch in Deutschland in Gefahr.
Als die Hugenotten nach dem Massaker von Vassy (März 1562) um direkte Waffenhilfe nachsuchen, finanziert der hessische Landgraf zusammen mit Kurfürst Friedrich von der Pfalz und Christoph von Württemberg eine Bürgschaft von 100.000 Gulden. Damit werden einige tausend Söldner (auch aus Hessen) bezahlt, die Coligny und Condé freilich vergeblich zur Hilfe kommen. Gleichzeitig besorgt Philipp zusammen mit seinem Sohn, Landgraf Wilhelm IV., bei Andreas Kolbe in Marburg den Erstabdruck der berühmten Déclaration des Prinzen Condé in deutscher Sprache. Dieses Manifest vom 8. April 1562 begründet das militärische Eingreifen der hugenottischen Partei und steht am Anfang der bis 1598 andauernden Hugenottenkriege.
Eine eingeschränkte Religionsfreiheit für die französischen Hugenotten garantiert erst das Edikt von Nantes (1598), allerdings nur bis 1684/85. Nach der Aufhebung des Edikts durch Ludwig XIV. und der Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich gehört die Landgrafschaft Hessen-Kassel (deren Landesherr inzwischen zur reformierten Religion übergetreten ist) zu den Territorien, in denen die französischen Flüchtlinge eine neue Heimat finden.
Landgraf Philipp von Hessen an Kurfürst August von Sachsen, 30. August 1561
Unser freundtlich dienst u. s. w. Was der prinz vom Conde [Condé] an uns geschrieben und darbey werben lassen, und wir ime daruf geantwortet, fertigen wir euer lieb hirbey zu. Weiter so ist uns auch zukommen ein schreiben von dem von Gwisse [Guise], darin er uns mitgeschickt hat, was er an den pfalzgraven Churfursten geschrieben, wie euer Lieb solchs beiliegendt zusehen; das alles wir dann mit vleis gelesen, und wie es uns ansieht, so mochten viellicht sie von allen theilen underhandlung leiden; bedeuchte uns darumb gut sein, so es euer Lieb gefiele, das der pfalzgrave Churfurst, E. L., Wurtenberg und wir, auch wer mehr darzu willig were, und in der eil neben uns darzu zuvermugen, ein stadtliche botschaft in Franckreich schickten, und liessen zwischen inen handlen, das sie mit ain vergleichen werden mochten:
Erstlichen, der religion halben, uff ein sollichen weg, weil der hern und des adels und der hauf des gemeinen mans so gross in Franckreich, das sie bey irer religion plieben, und die pappisten auch bey irer religion gelassen wurden, uff solliche und dergleichen mittel, wie der pfalzgrave Churfurst, E. L. und Wurtenberg dem weiter nachzudenken haben.
Weiter, das man auch die heuser kondt mit ein vergleichen, nemblich das haus Borbon [Bourbon], als den konnig von Navarra, und sein bruder, den von Conde und das haus Gwisse [Guise], und die zu freundtlicher einigkeit pringen; dann wir besorgen warlich, wo nicht furderlich darzu gethan, das da ein grosses civile bellum angehen werde, und solten die pappisten oben liegen, was nachteil keunftiglichen (s.) den teutschen fursten und sollicher teutschen nation daraus ervolgen wurde, haben euer Lieb zubedenken. Solt dann der dritt mann darzu kommen und sich dar in mengen, und in dem zank ganz Franckreich oder ein gross stuck darvon einbekommen, was schadens und nachteil der teutschen nation daraus ervolgen, auch der religion halben keunftiglichen zu niddertruckung der freien christlichen lehr ervolgen wurde, haben euer Lieb aus hohem verstand zubedenken.
Deshalben so were unser bedenken, das man solliche botschaft in Franckreich schickte, nit sie zuermanen, was confession, als der Augspurgischen Confession oder calvinischen sie sein selten oder abstehen, sondern des nichts gedacht und allein dahin gehandlet wurde, das der theil bey seiner religion pliebe und der ander theil so pappistisch auch bey seiner religion gelassen wurde, und kein theil den andern beschwerte, und die obgemelten heuser verglichen, wilchs uns gar christlich und gut vorzunehmen ansicht. Was nun E. L. hirin, sovil die schickung betrifft, gefellig, das wollen euer Lieb uns zuerkennen geben.
[Copie.]
Originaldokument in HStAM, Bestand 3, Nr. xxx. Gedruckt bei Arthur Heidenhain, Die Unionspolitik Landgraf Philipps von Hessen 1557-1562, Halle 1890, S. 82-83
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Landgraf Philipp von Hessen an Kurfürst August von Sachsen, 30. August 1561 Zapfenburg
Arthur Heidenhain, Die Unionspolitik Landgraf Philipps von Hessen 1557-1562, Halle 1890, Beilagen XLVII 1561, S. 82-83
Unser freundtlich dienst u. s. w. Was der prinz vom Conde an uns geschrieben und darbey werben lassen, und wir ime daruf geantwortet, fertigen wir euer lieb hirbey zu. Weiter so ist uns auch zukommen ein schreiben von dem von Gwisse, darin er uns mitgeschickt hat, was er an den pfalzgraven Churfursten geschrieben, wie euer Lieb solchs beiliegendt zusehen; das alles wir dann mit vleis gelesen, und wie es uns ansieht, so mochten viel-licht sie von allen theilen underhandlung leiden; bedeuchte uns darumb gut sein, so es euer Lieb gefiele, das der pfalzgrave Churfurst, E. L., Wurtenberg und wir, auch wer mehr darzu willig were, und in der eil neben uns darzu zuvermugen, ein stadtliche botschaft in Franckreich schickten, und liessen zwischen inen handlen, das sie mit ain vergleichen werden mochten:
Erstlichen, der religion halben, uff ein sollichen weg, weil der kern und des adels und der hauf des gemeinen mans so gross in Franckreich, das sie bey irer religion 'lieben, und die pappisten auch bey irer religion gelassen wurden, uff solliebe und dergleichen mittel, wie der pfalzgrave Churfurst, E. L. und Wurtenberg dem weiter nach-zudenken haben.
Weiter, das man auch die heuser kondt mit ein vergleichen, nemblich das haus Borbon, als den konnig von Navarra, und sein bruder, den von Conde und das haus Gwisse, und die zu freundtlicher einigkeit pringen; dann wir besorgen warlich, wo nicht furderlich darzu gethan, das da ein grosses civile bellum angehen werde, und solten die pappisten oben liegen, was nachteil keunftiglichen (s.) den teutschen fursten und sollicher teutschen nation daraus ervolgen wurde, haben euer Lieb zubedenken. Soll dann der dritt mann darzu kommen und sich dar in mengen, und in dem zank ganz Franckreich oder ein gross stuck darvon einbekommen, was schadens und nach-teil der teutschen nation daraus ervolgen, auch der religion halben keunftiglichen zu niddertruckung der freien christlichen lehr ervolgen wurde, haben euer Lieb aus hohem verstand zubedenken.
Deshalben so were unser bedenken, das man solliche botschaft in Franckreich schickte, nit sie zuermanen, was confession, als der Augspurgischen Confession oder calvinischen sie sein solten oder abstehen, sondern des nichts gedacht und allein dahin gehandlet wurde, das der theil bey seiner religion pliebe und der ander theil so pappistisch auch bey seiner religion gelassen wurde, und kein theil den andern beschwerte, und die obgemelten heuser verglichen, wilchs uns gar christlich und gut vorzunehmen ansicht. Was nun E. L. hirin, sovil die schickung betrifft, gefellig, das wollen euer Lieb uns zuerkennen geben.
Copie.
Landgraf Philipp von Hessen an Herzog Christoph von Württemberg, mutatis mutandis Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz,. 19. April 1562 Giessen
Arthur Heidenhain, Die Unionspolitik Landgraf Philipps von Hessen 1557-1562, Halle 1890, Beilagen LVII 1562, S. 96-97
Freundtlicher lieber vetter etsc. Es ist itzo unser diener Clingelberger der aus Pariss am negstvergangen Montag den 13 ten Aprilis geritten, heut Sonnabents alhie zu Giessen bey uns ankommen, und uns angezeigt, wie e. 1. inligendt zusehen, auch seine bestellang gewiesen, darvon wir E. L. beiliegendt copien zuschicken.
Horen ganz ungerne, das sich der tumoldt in Franckreich also zutregt, denn wir sorgen, das es Franckreichs verterben sein werde. So auch die papisten recht behalten, es ein anlass geben, das gegen die teutsche nation auch also gehandlet werden mochte.
Darumb deucht uns vors erste nutz und gut sein, das e. l. und der pfaltzgrave Churfurst furderlich Irer verstendigen rethe etzliche uffs eilendeste in Franckreich schicken, sich in underhandlung ein-zulassen zwischen dem konnige zu Frankreich und derselben parthei, und dem prinzen von Conde, Admiral, und den andern, ob gott gnade wolt geben das durch solliche underhandlung mocht das blut vergiessen verkommen und die sachen vertragen und gestilt werden, das der prinz von Conde, der Admirall und andere wieder zu gnaden uffgenommen, und das Evangelium nicht ausgereutet; da thetten e. 1. ein gross gut werk an, welch ohne zweivel gott hundert-fettig belohnen wirdet. Wollen e. 1. nun, dass wir auch einen mit-schicken solten, welchen platz uns dann e. 1. anzeigen, da wollen wir denselbigen hin verordnen.
Darbeneben bedunkt uns gut sein das das kriegsvolk aus teutscher nation dem pappistischen theil nicht zugelassen, sondern verhindert werde, sovil muglichen; auch an den Rein fahren und andern orten sovil mnglichen verkommen werde, das das teutsche kriegsvolk da nicht hienein in Franckreich kommen muge. Bitten hierauf E. L. furderliche antwort und freuntliches bedenken, dann wir nit gemeint sein, den unsern zuvergonnnen wider die lehr des Evangelii, die auszureuten, zudienen. Euer L. freuntlichen zudienen etsc.
Copie.
Landgraf Philipp von Hessen, Verzeichnis der Adressaten des Condéschen Ausschreibens, [24.] Mai 1562
Das Ausschreiben Condés befindet sich nicht bei den Akten
Landgraf Philipp von Hessen an Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz, 24. Mai 1562 Cassel
Arthur Heidenhain, Die Unionspolitik Landgraf Philipps von Hessen 1557-1562, Halle 1890, Beilagen LIX 1562, S. 98
(Schickt ihm zwanzig Exemplare des Condéschen Manifestes in deutscher Sprache gedruckt zu; ist erbötig, auf Wunsch dem Kurfürsten mehr zu senden.)
Zettel: Uns hett gut gedaucht das der prinz von Conde und seine parthey auch teutsche reuter angenommen hetten, dann euer lieb werden sehen, kommen zwei thausent teutscher pferdt, so recht-schaffen sein in Franckreich, das sie den Condischen, wann sie nit auch mit teutschen reutern gefast sein, grossen schaden thun werden; und glauben, wann es deme von Conde und seiner parthei ubel gehn solte, da doch got vor sey, es werde an uns gedacht werden, und das man gewoldt, das sie die Condischen mit teutschen reutern weren gefast gewessen; ist auch zubesorgen, wann die religion in Franckreich gedempft, und die papisten uberhandt behilten, die kugel mochte weiter laufen.
Copie.
Landgraf Philipp von Hessen an Herzog Christoph von Württemberg, mutatis mutandis Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz, 28. Mai 1562 Allendorf a.d. Werra
Arthur Heidenhain, Die Unionspolitik Landgraf Philipps von Hessen 1557-1562, Halle 1890, Beilagen LX 1562, S. 98-99
Unser freundlich dienst etsc. Nachdem wir sehen, das die geistlichen grosse furderung thun denn Papisten in Franckreich das inen leute zuziehen; zum andern, das wir sehen, (las das Concilium ein gross ufsehens uf dem handel in Franckreich hat und ohne zweifel da die Christen in Franckreich solten underdruckt werden, das das Concilium desto härter schliessen, Brachium Seoulare anruffen und gegen uns Teutschen mit der that ufs greulichste auch furnehmen werden,
So hetten wir nicht vor ungut angesehen das den Christen in Franckreich auch huelf geschee, das der Pfaltzgrave Churfurst zwenn, E. L. zwenn, desgleichen wir zwenn ridtmeister verordneten, das ein jeder vierthalb hundert teutscher reuter annehmen und inen zufurete, und das man sollichen ridtmeistern etzliebe tausent gulden vorsetzte, uf das sie in Frankreich mochten kommen, und darnach in derer besoldung und bestallung angenehmen wurden; und das dieselbigen, wer sein vorgestreckt gelt under uns dreien wieder wolt haben, uns das bezahlete; dann wir warlich besorgen, solten jene teutschen reuter haben und die evangelischen nit, mochte es inen schwer fallen.
Was nun E. L. bedenken darin ist, wollen sie uns anzeigen, soll an uns etzliche zuverordnen kein mangel sein, auch an vorsetzung etzlichs gelts; und da es E. L. gefallen wurde, so mochte man es eilendts die evangelischen in Franckreich wissen lassen, das sie jemandts heraus schickten mit bestallung und gelt, ein und zwanzig hundert pferde anzunehmen.
E. L. freundtlich zu dienen etsc.
Copie.
François Hotman (Straßburg) an Landgraf Philipp von Hessen, 7. Juni 1562 Strassburg
Arthur Heidenhain, Die Unionspolitik Landgraf Philipps von Hessen 1557-1562, Halle 1890, Beilagen LXI 1562, S. 99-103
[Übersetzung]
Durchlauchtiger hochgeborner ferst, gnedigster her, es haben mich der Prinz von Conde, der admiral und ander fursten des orlienssischen kriegsfolks abgefertigt, und bin gestern abent anhero gein Straspurgk kommen. Als ich zu Orlienz abgezogen, welchs der 29 Maii war, seindt die sachen in dissem stande gewesen.
Es wolte der Prinz von Conde den 7. Juni nach mittage von Orlienz abziehen und seinen lager verrucken, nicht derhalben, das er albereits zum kriege gnugsam gefast sey, sondern das er menniglichen zu gefallen were, dan jederman ruffit und begert, das er sein kriegsfolk nur eine meile wegs hinaus fure, alsdan werde jedermenniglich zulaufen.
Er hat uff disse zeit bey sich zum wenigsten funfzehen thaussent zu fuess und funf thaussent pferde; mit geschuz und anderm darzu gehorig ist er nichts gefast. Es seindt aber die evangelischen (soviel man aus menschlicher vernunft abrechnen kan, und mit verleihung Gottes) den Gwisianischen an der zaal des kriegsfolks, an dapferkeit, an gelt, auch an begirde zuschlagen weit uberlegen, dan es haben die Gwisianischen beynahe nichts von kriegsfolk als parisische sacktreger, trösser, koche, hudeler und ander lose gesinde, welche zu ehister irer gelegenheit nichts anders im sinne haben oder begeren, dan die stadt Pareis zuplündern; darnach werden viel von hoff sich zu uns begeben, deren namen ich in dissem meinem schreiben nicht nambhaftig machen wil; were ich aber bei euern fn. gn., wolte ich iro alle geheime dinge sagen.
Weiter hat die konigin heimblich zu unsern fursten ein Botschaft geschickt, und durch die barmherzigkeit Gottes gebetten, das ir balt hilf geschee, dan unsere feinde hetten sie stranguliren wollen, sie geheissen eine llorentinor und gedrauet sie zuerwurgen.
Es haben der herzog von Gwise, der Connestable und der marschalk von Sanct Anndre uff begeren des Bapsts und des konigs zu Hispanien, auch zuderselbigen gefallen ein offentliche declaration des catholischen glaubens zuthun, dem konig und der konigin den vierten tag Maii ein supplication ubergeben, das alle fursten, stende, und andere des konigs underthanen sich der confession von den Sorbonisten aus den artickeln der catholischen apostolischen und romischen kirchen gemacht und gezogen underschrieben, und welche solchs weigerten solten des konigreichs verwiessen werden. Sollicher supplication, auch des Prinzen von Conde darauf gethaner antwort, im druck verfertigt, bin ich teglich gewertigk, und hat mir der Prinz von Conde bevohlen, euern f. gn. sollichs zuzeschicken, damit euer f. g. sehen muge, was Bestalt mit denen fridde gemacht werden konne, welche in ganz Franckreich nicht einen einigen orth ledig gelassen, da die wahre religion frey gepredigt werden mochte.
Es hat der Bapst den Gwisianischen allen monat funfzig thaussent chronnen zu bezalen zugesagt, hat auch albereits die erste bezalung erlegt. Die Schweizer, so papistisch seindt, haben den 22. Maii uff dem gehaltenen tage zu Solenthurn dem feinde sechs thaussent zu fuess zuschicken bewilligt, und ist Frolich desselbigen kriegsvolks obrister. Aus Hispania werden auch sechs thaussent zu fuess und etzliche reuter geschickt, welchs dem admiral von hoff zwen tage zuvor, ehir ich zu Orlienz abgezogen bin, kuntbar gemacht wardt, haben auch des andern tags, das sollichs also war sey, aus einem aufgefangenen schreiben verstanden, darin dem herrn von Burien,'» gubertorn in Aquitania, bevolen wardt, denselbigen kriegsvolk entgegen zuziehen. Als sollichs Monluccius, der furnembst kriegsmann under den Papisten, erfaren, ist er mit etzlichem kriegsfolk nahe an Tholosam geruckt. Da seindt die evangelischen burger zum rathaus gelaufen, und das geschutz zu sich genommen; so haben die papistischen die pforte und thore eingenommen. Es ist aber durch etzlicher leute underhandlung widderumb fridde gemacht worden, und als der fridde gemacht, und die waffen hingelegt, haben die Papisten der alten regel nach, das den ketzern kein glaube gehalten werden solle, die unsern unverwarnt und ungerustet uberfallen. Es ist Monluccius widderumb ab und zuruck gefordert worden, welcher in einem tage ein thaussent sechs hundert und funfzig personen erwurgt und auch wol soviel gefenglich eingezogen hat. Als sollichs die unsern erfaren, seindt sie ganz betruebt worden, und ist der von Andelot in das drittagige feber gefallen.
Es haben die Sorbonisten mit dem Parlament zu Pareis einen fridden gemacht und sich miteinander vergliechen des artikels halber, das der nicht vor ein konig zuhalten sey, welcher von der romisehen kirchen abfelt, sonderlich weil der konig zu Franekreich genant werde der allerchristlichste konig, und ein erstgeborner sohnder romischen kirchen; ob welcher der Sorbonisten vergleichung und schliessung die papisten durch ganz Franekreich ein grosse zuversicht geschepft haben, also das zu Angiers die unsern, als sie ire wehre hingelegt, und fridde gemacht, von den Papisten unversehenlich uberfallen und erwurgt worden seindt. Die vornembsten unter den Papisten riefen, es lebe unser konig der von Gwise. Sie schemeten sich auch nicht, uff iren helmlein seidene feltzeichen von geler und roter farbe zufuhren, welche zwo farben deren von Gwise und Lot-ringen farbe seindt. Die von Pareis sagen offentlich, man solle die konigin in Italiam schicken, und das sie keinen konig haben wollen, er sey denn catholisch; es sey inen aber zu einem konige gegeben von Gott der grosse konig von Gwisse.
Ich kann nicht umbgehen euer f. gn. zuberichten, das euere furstliche gnaden die dinge von der konigin, darvon ich hiroben meldung gethan, welche in grosser gefar gewesen, das sie nicht von den Gwisianischen strangulirt wurde, in des Prinzen von Conde antwort, wilche er neulich zu drucken bevolen hat, lesen werden, uff das euere f. g. hiran keinen zweifel tragen; es wirdet auch mir in den credenzbrieven, so ich in kurzem euer fn. g". zuschicken wil, von sollichem under anderm euer f. g. zuberichten bevolen; ich bezeuge mich vor Got welcher mich alspalt wan ich liege undergehen lasse, das ich selbst vom bischoff von Valenz, als er gein Orlienz geschickt war, gehort habe, das er disse worte sagte: es hat mir die konigin gesagt, sie haben mich stranguliren wollen, und drauen mir zum ersten die gorgel abzustechen; also bringt die konigin tag und nacht hin in schreien und weinen und hat nechst Got alle ire hoffnung uf den Prinzen von Conde und den admiral gesetzt.
Vom konig zu Navarra darf ich nichts schreiben, dan man hofft, er solle palt die tyrannen verlassen; mitler zeit wollen wir inen nicht angreifen oder verzurnen; so hat man auch ein hoffnung zum Connestable.
Die konigin von Navarra, die betruebste under allen weibern, ligt zu Vendome verborgen, kommet zu niemants, ist tag und nacht in bekummernus und bringt die zeit hin mit klagen und weinen. Sie fragte mich vielmals, was ich vor ein hoffnung zu den deutschen fursten hette, ob sie nicht versuchen wurden, diss konigreich Franck-reich von einer solchen tyrannei zuerlosen.
Nachdem sich nun die dinge also erhalten wie obgemelt, als haben die stende zu Orlienz vor gut angesehen, von euer f. g. hilf zu begeren; dan wiewol sie ein mehrers, besser und getreuer kriegsfolk haben, als unsere feinde, jedoch weil sie bedenken, das der capitain Frolich sechs thaussent Schweizer, der von Buren sechs thaussent Spanier, der von Rogendorff drey thaussent deutscher pferde, und der Reingrave zwolf fenlein knecht dem feinde zufuren, und das der Babst und die bischoffe mit gelt hilf thun, so haben sie beschlossen, auch frembter fursten hilf zu begeren; derwegen sie auch den freyhern von Dhon zu euer f. gen. abgefertigt, welcher aber umb der unsicherheit willen nicht mehr als ein schreiben an den Pfalzgraven Churfursten mit sich gehabt; die andere schreiben, welcher an der zaal sechs und zwanzig waren, seindt uff der post gein Leon geschickt worden, uff das sie dadannen durch die schweizerische post weiter geschickt wurden; es ist aber der bot nach dem willen Gottes, welcher alles regiert, niddergelegen, welchs uns nicht wenig bekummert gemacht; dan es hielten viel brieve an die Schweizer, des-gleichen an die deutschen fursten; derwegen ist bedacht worden, die briefe in andere wege zurecht zuschicken. Also ist ein junger Deut-scher vom Adel, Chunradt von Schombergk, uff der post abgefertigt worden mit einem credenzbrief an Pfalzgraven Churforsten; die andern brieve haben sollen kommen durch Burgundt und einstheils durch Schampanien und Lotringen. Der Bot so durch Burgundt reiten sollen ist noch nicht ankommen; so hab ich auch allhie von dem Schonbergk nichts geliert, ich hoffe aber, er sey zu Heidelbergk gewesen. Dein aber sey wie ime wolle, so hab ich diesses in bevehlich:
Es begeren die stende zu Orlienz, das euer f. g. durch die barmherzigkeit Gottes inen zu ehister zeit wolle etzliche reuter zu hilf schicken, und dieselbigen etzliche monath besolden, dergestalt, das euern f. g. alles gelt, so hirzu ausgewendet, getreulich widder gegeben werde, darfur sie die stende euern f. g. alle ire gutter, beweglich und unbeweglich, verpfenden; die stende begeren sollichs so heftig und empsig, das sie auch mehr nicht thun konnten; sie verstehen sich auch, es werde der allerchristlichste konig und seine trau mutier die konigin euern f. g. darfur sich dankbarlich erzeigen; wurden aber sie die stende von dessen von Rogendorffs und des Reingraven deutschen kriegsvolk underdruckt, und inen von den evangelischen fursten kein hilf gescheen, so wollen sie protestiren, das sie in irer gerechten und pillichen sachen zu erhaltung der religion, des konigs und des vatterlandts hilflos gelassen worden seien; soviel mich belangt habe ich sie alwege getrostet und gesagt, sie solten in gutter hoffnung sein, es wurde e. f. g. inen hilf schicken; dergleichen habe ich auch dem Pfalzgraven und dem herzogen von Wirtenbergk geschrieben.
Ich bitte den almechtigen Got, das er euere f. g. zur errettung und beschirmung der kirchen in Franckreich, des konigs und der frommen konigin erwecken wolle, und so euer f. g. hilfe thun wollen, muss sollichs furderlich gescheen, es sey dann das ir wollet, das euch balt zuerkennen gegeben werde, das die stende schaden erlitten; und des Unglücks einsteils in Deutschlauch (da es Got nicht verhütet), kommen werde.
Damit Got bevolen, zu Strasspurgk den 7. Junii Anno 1562.
Ich bin vorn schreiben mude, dann ich habe auch gleicher gestalt dem Pfalzgraven und dem herzogen von Wirtenbergk geschrieben, bitte derwegen undertheniglich, e. f. g. wolle von dissen dingen die fursten zu Sachssen berichten, das sie mich entschuldigt nemen; sie haben Petrum Clarum abgefertigt, sie wissen aber nicht, das derselbige von ganzem herzen gut Gwsianisch ist; so wirdet ime auch der Prinz von Conde nicht glauben; begere das sollichs Ire f. g. erfaren mugen.
E. F. G.
gehorsamer diener
Hotomannus D.
Landgraf Philipp von Hessen an François Hotman (Straßburg), 26. Juni 1562 Cassel
Arthur Heidenhain, Die Unionspolitik Landgraf Philipps von Hessen 1557-1562, Halle 1890, Beilagen LXIII 1562, S. 104-105
Unsern gnedigen grus u. s. w. Wir haben euer abermals schreiben, das geben ist Strasburg den 16. Junii entpfangen. gelesen; nun gehet es nicht so schlecht zu, wie ir meynet und bey euch speculiret, das in einer solchen eyle reuter ufgebracht werden kennen, als wan es gemalte und geschnitzte reuter weren, wildre uf einmahl aus einem sack geschuttet werden konten, dan ir wisset wohl, wan reuter ufgebraeht werden sollen, das alda gelt und bestallung seyn mus.
Es nimpt uns wunder das euer parthey so langsam zur sachen gethan, und sich nit eher nach deutschem krigsfolk beworben hat, weyl sie so zeytlich im April den handel angefangen und gleichwohl bis dahero ganz und gar nichts ausgerichtet und zugesehen haben, das sich die veinde von tag zu tage gesterkt, und nimpt idermann wunder, das eure parthey so lange zeit im armbrust gelegen und ganz und gar nichts ausgerichtet haben, da sie doch im ersten starker als der veind gewesen; mcynen es musse ein simuliren darbey gewest seyn.
Ir wisset, was wir euch alweg gesagt und auch geschriben haben, das Pfalz und Wurtenberg thun und leysten wurden, das wir auch sovil als ir einer thun wolten; dessen erbietens seiht wir auch noch, und sol desfals an uns kein mangel sein; das wir uns aber allein in den handel stecken selten, ist uns ganz bedenklich. Darumb ist von nothen, inmassen wir euch hiebevor auch geschriben haben, das ir deshalben weyter bey uns, sonder bey Pfalz und Wurtenbergk ansuchet und anhaltet; was dieselbigen bewilligen und leysten werden, wollen wir, wie obgerurt, auch sovil thun, als irer eyner.
Wir werden aber itzo halt zum pfalzgraven Churfursten kommen; wollen wir uns mit S. L. von dissen dingen underreden, und werdet ir alsdann bericht entpfangen, worauf die sache beruhe. Wir besorgen aber, es werde kein offentliehe hulf geselleen, sondern dahin gehandlet werden, das euer parthey zu reuter und knechte gute befurderung geschee, und etwo denselbigen etzlich gelt vorgestreckt werden mochte, welchs wir, sovil das gelt belangt, doch nicht gewis wissen.
Das wir euch u. s. f.
Zettel: Wir verstehen aus eurem schreiben, das ir euch ganz und gar uf menschliche hulf und macht verlasset; nun mus got vertrauet sein; der ist der rechte heller; der kan mit wenigem volk vil schlagen; so seit ir auch uf euer seyten so stark, das ir uf einen tag mit euren feynden gnungsam schlagen konnet; so musset ir auch andere vortheil suchen und euch deren gebrauchen; wann man sich allein uf menschliche macht wil verlassen, und nicht uf gott, so hat mancher daruber schaden gelitten.
Zettel: Ir wisset wohl was fur ein dissention in dem articul des nachtmals ist, da dan Wurtenberg, pfalzgraf Wolfgang, Sachssen und Sachssen und beynahe alle fursten in Teutschlant, auch der mehrer theil der stet, der parthey seindt, die man lutherisch nennet; dieweil aber nun die franzosischen kirchen einer andern opinion seind, ist die ursach, das sich gar schwerlich dieselbigen obgemelten forsten und stende in hulf eynlassen werden.
Es nimbt uns wunder, das Engellant und die christliche orte im Schweizerlant, als nemlich Bern, Zurieh, Basel und die andern, wilche doch in dem articul das nachtmal belangent mit euch einig seint, dein prinzen von Conde seiner parthey nicht hulf thun; datum vt in Iris.
Copie.
Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz an Landgraf Philipp von Hessen, 6. Oktober 1562 Heidelberg
Pfalzgraf Friedrich übersendet Philipp 6 Exemplare des Condéschen Ausschreibens. [Das Ausschreiben selbst nicht bei den Akten]
Louis I. de Bourbon, Prinz von Condé [Ludwig von Bourbon] an Landgraf Philipp von Hessen, mit Conditionis pacis,13. März 1563 (Orleans)
[noch zu bearbeiten]
Louis I. de Bourbon, Fürst von Condé (* 7. Mai 1530 in Vendôme; † 13. März 1569 in Jarnac) war ein französischer Feldherr und Begründer des Hauses Condé, einer Seitenlinie des Hauses Bourbon. Nach seinem Übertritt zum Protestantismus führte er die calvinistische Partei während der Hugenottenkriege.
Er kämpfte gegen die Spanier bei der Belagerung der Festung Metz 1552 und in der Schlacht von Saint Quentin im Jahr 1557.
Als Prinz von Geblüt versuchte Louis, eine bedeutende Rolle im Königreich zu spielen. Nach der Verschwörung von Amboise wurde er 1560 verhaftet, musste jedoch wieder freigelassen werden, weil die Guisen seine Beteiligung nicht ausreichend beweisen konnten. Er wurde im Sommer erneut verhaftet, als man entdeckte, dass er ein neues Komplott vorbereitete. Zum Tode verurteilt, wurde er im letzten Moment durch den plötzlichen Tod des Königs Franz II. gerettet.
Der Fürst von Condé war Anführer der Protestanten in den ersten beiden Hugenottenkriegen. Er wurde 1562 bei Dreux gefangen genommen und handelte 1563 das Edikt von Amboise aus, das den Hugenotten eine gewisse religiöse Toleranz garantierte.
Das Edikt von Amboise (französisch L’édit d’Amboise) sicherte den Hugenotten Frankreichs eine an bestimmte Orte gebundene, freie Religionsausübung zu. Das am 19. März 1563 auf Schloss Amboise unterzeichnete Edikt besiegelte einen Vergleich, den Katharina von Medici und die Reformierten geschlossen hatten. Diese Kultusfreiheit wurde 1570 im Frieden von Saint Germain noch erweitert, obwohl die Hugenotten in den ersten drei (1562/63, 1567/68 und 1568–70) der insgesamt acht konfessionellen Bürgerkriege unterlegen waren. Ihnen wurden u. a. auf zwei Jahre vier Sicherheitsplätze zugesprochen.
Der Krieg brach 1567 erneut aus, und Condé wurde in der Schlacht von Jarnac von dem Hauptmann Joseph François de Montesquiou getötet. Den Protestanten zufolge wurde er feige ermordet. Tatsächlich war er bereits schwer verwundet und entwaffnet, als Montesquiou ihn tötete. Sein Leichnam wurde zum Gespött der katholischen Armee auf einem Esel herumgeführt.
Conditionis pacis:
Auf diesem dem Schreiben Condés vom 13. März 1563 beigefügten Blatt sind die zentralen Bestimmungen des wenige Tage später von Karl IX. verkündeten Edikts von Amboise (19. März 1563) zusammengefasst. Vollständiger Text des "Edit de pacification qui permet le libre exercise de la religion reformée" bei Isambert, Receuil général, Bd. XIV, Paris 1819, S. 135-140
François de Coligny-d’Andelot an Landgraf Philipp von Hessen, 14. März 1563
François de Coligny-d’Andelot (* 18. April 1521; † 27. Mai 1569) war Colonel général der französischen Infanterie und Bruder von Gaspard II. de Coligny. François diente in den Kriegen Heinrichs II., und wurde 1555 an der Stelle seines Bruders Gaspard Generaloberst der französischen Infanterie. In Saint-Quentin 1557 gemeinsam mit ihm gefangen genommen, entfloh er und nahm im folgenden Winter an der Einnahme von Calais und Guines teil.
Auf einer Reise in Deutschland für die Reformation gewonnen, wurde er auf Befehl des Königs verhaftet und saß ein Jahr als Gefangener in Melun. Wieder frei, trat er als Verteidiger seiner Glaubensgenossen auf und nahm aktiv an den Hugenottenkriegen teil. Nachdem er am 2. April 1562 Orléans überrumpelt hatte, warb er in Hessen ein Heer von 3300 Reitern und 4000 Landsknechten an, mit dem er 1562 in der Schlacht von Dreux kämpfte.
Orléans verteidigte er gegen den Herzog François de Lorraine, bis dessen Ermordung der Belagerung ein Ende machte. Nach der Schlacht von Jarnac damit beschäftigt, in Saintonge ein neues Heer zu sammeln, starb er 27. Mai 1569 am Fieber.
François de Coligny-d’Andelot an Landgraf Philipp von Hessen, 14. März 1563
François de Coligny-d’Andelot (* 18. April 1521; † 27. Mai 1569) war Colonel général der französischen Infanterie und Bruder von Gaspard II. de Coligny. François diente in den Kriegen Heinrichs II., und wurde 1555 an der Stelle seines Bruders Gaspard Generaloberst der französischen Infanterie. In Saint-Quentin 1557 gemeinsam mit ihm gefangen genommen, entfloh er und nahm im folgenden Winter an der Einnahme von Calais und Guines teil.
Auf einer Reise in Deutschland für die Reformation gewonnen, wurde er auf Befehl des Königs verhaftet und saß ein Jahr als Gefangener in Melun. Wieder frei, trat er als Verteidiger seiner Glaubensgenossen auf und nahm aktiv an den Hugenottenkriegen teil. Nachdem er am 2. April 1562 Orléans überrumpelt hatte, warb er in Hessen ein Heer von 3300 Reitern und 4000 Landsknechten an, mit dem er 1562 in der Schlacht von Dreux kämpfte.
Orléans verteidigte er gegen den Herzog François de Lorraine, bis dessen Ermordung der Belagerung ein Ende machte. Nach der Schlacht von Jarnac damit beschäftigt, in Saintonge ein neues Heer zu sammeln, starb er 27. Mai 1569 am Fieber.

Tafel 22: Reformation in Spanien und den Niederlanden
Gegen Ende seines Lebens wird Karl V. von einer quälenden Frage beunruhigt: Ob er, da unter seiner Regentschaft die Einheit der Kirche zerbrochen sei, dafür im Jenseits zur Rechenschaft gezogen werde. Seinem Sohn und Nachfolger auf dem spanischen Thron, Philipp II., legt er testamentarisch die Bewahrung der kirchlichen Einheit, wenigstens in den spanischen Gebieten, als oberste Pflicht auf.
Philipp II. setzt den väterlichen Auftrag mit aller Härte durch. 1556 kommt es in Sevilla, 1558 in Valladolid zu großen Inquisitionsprozessen gegen „Luteranos“, die jedoch mehr den Ideen Calvins verpflichtet sind als denen Luthers. Diese beiden Prozesse, von denen auch enge Vertraute des Königshauses, z.B. der Sevillaner Erzbischof Carranza, betroffen sind, markieren das Ende einer weltoffenen und durch und durch vom Humanismus geprägten Intellektualität.
Es ist die Stunde der staatlichen Untersuchungsbehörde, des „Santo Oficio de la Inquisición“, die nun jegliche Glaubensabweichung rücksichtslos verfolgt und Spanien vom Rest Europas isoliert.
Noch in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts sind viele Großinquisitoren humanistisch geprägte Intellektuelle wie der Kardinal und Gründer der Universität von Alcalá de Henares, Francisco Jiménez de Cisneros (1436-1517). An den Universitäten wie Salamanca und Alcalá blüht das geistige Leben mit neuen Ideen z.B. zum Status der kolonisierten Völker und zum Völkerrecht (Bernhardino de Sahagún; Francisco de Vitoria).
Das Nachdenken Karls V. über seinen Umgang mit Luther – dem „Ketzer“ – auf dem Wormser Reichstag zieht weitere Kreise, um den Irrtum, der ins Ungeheuerliche gewachsen ist, zu stoppen Es wäre ein Irrtum, die Ketzer nicht zu verbrennen, wie ich irrte, denn ich wäre nicht verpflichtet gewesen, mein Wort zu halten, da ja der Ketzer gegen einen größeren Herrn sündigt, der Gott ist. Es ist die Erfahrung Karls V. mit der Ausbreitung des „Luthertums“, die ihn auch den Humanismus kritisch sehen lässt: Die erasmistischen Ideen bilden das Einfallstor protestantischer Denkweise. Die spanische Inquisition hat ab ca. 1545 sowohl den Humanismus bekämpft als auch alle protestantischen Ansätze um den Preis der Abschottung des Landes erfolgreich zu unterdrücken gewusst. Nur eine elitär-abgehobene „Reformbewegung“ wie die Mystik, wie sie Teresa von Ávila vertritt, fällt nicht unter das Verdikt, solange sie sich scheinbar im Rahmen der römischen Kirche entwickelt.
Zur Reinerhaltung des Glaubens in Spanien ist es notwendig, auch die anderen habsburgischen Territorien durch die Inquisition zu kontrollieren. Das betrifft vor allem die burgundischen Erblande, denn vor allem von Antwerpen aus gelangt protestantisches Schriftgut nach Spanien. Dies führt in den Niederlanden zum erbitterten Kampf des Adels gegen die spanische Krone. 1565/66 vereinigen sich rund zweitausend Mitglieder des niederen Adels zum „Kompromiss der Adligen“. Dessen Anhänger unternehmen 1566 einen Marsch auf Brüssel. Sie fordern von Margarete von Parma, Philipps Generalstatthalterin in den Niederlanden, die Aussetzung der Ketzergesetze. Bis zu einer endgültigen Entscheidung sagt sie zu, die Ketzergesetze nicht mit voller Härte anzuwenden. Diese Zusage wird als Aussetzung der Gesetze ausgelegt. Die Nachricht davon verbreitet sich in Windeseile und führt dazu, dass exilierte und andere in ihren Territorien verfolgte Protestanten, vor allem französische Hugenotten, in die Niederlande strömen.
In den nördlichen Provinzen, unter dem Einfluss Wilhelms von Oranien (1533-1584), verschmelzen das Bekenntnis zum Calvinismus und das Streben nach Unabhängigkeit von Spanien. Die religiöse Identität, mit nationalem Freiheitsdrang verknüpft, hat als Hintergrund die Confessio Belgica von 1561, die ganz im Sinne der französischen Confessio Gallicana von 1559 – von Calvin und Beza mitgetragen – abgefasst ist. Unter den genannten politischen Vorgaben wird der niederländische Protestantismus, der anfangs recht unbestimmt ist und sowohl lutherische als auch täuferische Bestrebungen enthält, durchweg calvinistisch.
Für die Herausbildung einer nationalen Identität in den nördlichen Niederlande spielt der Calvinismus eine entscheidende Rolle. Nach fast 80jährigen Kampf (1568-1648) erhalten die Reformierten in den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück die gleichen Rechte wie die Katholiken und die Anhänger der Augsburgischen Konfession.
Calvinistischer Bildersturm in Antwerpen, 1566
Philipp II von Spanien (1527-1598)
Spanische Gebiete unter Philipp II um 1560/80

Tafel 23: Der Augsburger Religionsfrieden 1555
Mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 endet das Reformationszeitalter in Deutschland: Die "Augsburgische Konfession" wird als gleichberechtigtes Bekenntnis neben der katholischen Religion anerkannt und reichsrechtlich bestätigt. Wenn auch an dem Ziel eines Religionsausgleichs zwischen Katholiken und Protestanten noch ausdrücklich festgehalten wird, so ist mit Augsburg die konfessionelle Spaltung des Reiches doch endgültig besiegelt. Die universale, auf der religiösen Einheit beruhende Kaiseridee ist gescheitert und die Zentralgewalt im Reich noch weiter geschwächt - zugunsten der Territorialfürsten.
Karl V. kommt der Bewilligung des Augsburger Reichstagsabschieds durch die Niederlegung seiner Kronen zuvor, ein historisch beispielloser Vorgang. Bei seinem freiwilligen Rückzug von der Macht zeigt sich der Kaiser noch einmal als gelehriger Schüler des Erasmus: Dieser hatte dem jungen Prinzen Karl in seiner Institutio Principis Christiani (Die Erziehung eines christlichen Fürsten) 1516 den Ratschlag mit auf den Weg gegeben, in einer Situation, in der er seine Herrschaft nur um den Preis von Rechtsverletzungen, großem Blutvergießen oder einer ungeheuren Beschädigung der christlichen Religion behaupten könne, lieber abzudanken und den Umständen zu weichen. Immerhin sichert Karl V. durch die Übertragung der spanischen Krone auf seinen Sohn Philipp II. die unverbrüchliche Erhaltung der katholischen Lehre in Spanien - und damit auch im gesamten spanischen Imperium der Neuen Welt.
Den Augsburger Reichstagsabschied unterzeichnet König Ferdinand, Karls Nachfolger auch im Kaiseramt. Die Hauptbestimmungen des Religionsfriedens 1555 sind:
- Gleichstellung der katholischen und lutherischen Konfession: Der Religionsfrieden gilt nur für die Anhänger der Augsburgischen Konfession und der alten Religion (Katholiken), Reformierte und andere bleiben ausgeschlossen.
- Die Untertanen müssen dem Bekenntnis des Landesherren (ius reformandi ) folgen (cuius regio eius religio); nur in den Reichsstädten gibt es religiöse Toleranz.
- Untertanen, die aus Gründen der Religion ihr angestammtes Land verlassen wollen, haben das Recht zur Auswanderung (ius emigrandi).
Der Augsburger Religionsfrieden ist noch nicht ein Dokument konfessioneller Toleranz, denn innerhalb der Territorien besteht nur Religionsfreiheit für den Landesherren, dessen Glaubenszugehörigkeit für die Untertanen bestimmend wird. Gleichwohl zeigen sich in Augsburg erste Ansatzpunkte einer Entwicklung, die religiöse Koexistenz unterschiedlicher Konfessionen auf friedliche Weise zu gewährleisten und das Reich aus der verhängnisvollen Verbindung von Religion und Politik zu lösen.
Auszüge aus den Bestimmungen des "Augsburger Religionsfriedens" aus dem Jahre 1555.
Der Augsburger Religionsfrieden, 1555
1. Deklaration König Ferdinands vom 24. September 1555
Wir haben kraft Vollmacht Römischer kaiserlicher Majestät unseres lieben Bruders und Herren [...] entschieden, [...] daß die den Geistlichen zugehörigen Ritterschaften, Städte und Kommunen, die [schon] lange der Augsburgischen Konfession anhängen und derselben Religion Glauben, Kirchengebräuche, Ordnungen und Zeremonien öffentlich [...] und bis auf den heutigen Tag gebrauchen, [...] bis zu christlicher und endgültiger Religionsvergleichung unbehelligt gelassen werden sollen.
2. Auszug aus dem Reichstagsabschied [Religionsfrieden], 25. September 1555
Wir, Ferdinand, von Gottes Gnaden Römischer König, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs etc. [...] gebieten, daß hinfort niemand [...] um keinerlei Ursachen willen [...] den andern befehden, bekriegen, berauben, fangen, überziehen und belagern, [...] sondern ein jeder dem anderen in echter Freundschaft und christlicher Liebe begegnen soll. [...] Und damit dieser Frieden auch im Hinblick auf die Religionsspaltung [...] desto beständiger zwischen der Römischen Kaiserlichen Majestät, uns, sowie den Kurfürsten, Fürsten und Ständen des Heiligen Reiches deutscher Nation aufgerichtet und gehalten werde, so sollen die Kaiserliche Majestät, wir, sowie Kurfürsten, Fürsten und Stände des Heiligen Reiches keinen Stand des Reiches der Augsburgischen Konfession wegen [...] gewaltsam überziehen [...] oder sonst gegen sein Wissen, Gewissen oder Wollen von dieser Augsburgischen Konfession, [von] Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Zeremonien [...] auf andere Wege drängen [...]. Dagegen sollen die Stände, die der Augsburgischen Konfession zugehörig sind, jene Stände, die der alten Religion anhängen [...], gleicherweise bei ihrer Religion [...] bleiben lassen. [...] Doch sollen alle anderen, die den beiden genannten Religionen nicht anhängen, in diesem Frieden nicht gemeint, sondern [vom Frieden] gänzlich ausgeschlossen sein. [...]
Wo ein Erzbischof, Bischof, Prälat oder ein anderer geistlichen Standes von unserer alten Religion abtreten würde, hat derselbe sein Erzbistum, Bistum, Prälatur und andere Benefizien, einschließlich aller Einkommen [...] zu verlassen.
Wo aber [...] Untertanen, die der alten Religion oder der Ausburgischen Konfession anhängen, wegen dieser ihrer Religion [...] mit Weib und Kindern an andere Orte ziehen und sich niederlassen wollten, soll ihnen Ab- und Zuzug, auch der Verkauf ihres Hab und Guts gegen sehr billigen Abtrag der Leibeigenschaft und Nachsteuer [...] unbehindert bewilligt sein. [...]
Nachdem aber in vielen freien und Reichsstädten die beiden Religionen [...] bisher eine Zeitlang in Gang und Gebrauch gewesen sind, sollen dieselben hinfort auch so bleiben [...] und die Bürger und anderen Einwohner, geistlichen oder weltlichen Standes, dieser freien und Reichsstädte friedlich und ruhig bei- und nebeneinander wohnen. [...]
Abschied des Augsburger Reichstages (Religionsfrieden), 25. September 1555
Nachdem im Vertrage von Passau (2. August 1552) bereits ein vorläufiger Vergleich zwischen den Religionsparteien geschlossen worden war, wurde auf dem Augsburger Reichstag die reichsrechtliche Anerkennung des lutherischen Bekenntnisses als gleichberechtigte Konfession neben der katholischen Religion verankert. Kaiser Karl V. kam der Bewilligung des Reichstagsabschieds durch die Niederlegung seiner Kronen zuvor - an seiner Stelle unterzeichnete sein Bruder Ferdinand, römischer König. Die Hauptbestimmungen des Augsburger Abschieds waren:
1) Der Religionsfrieden gilt nur für die Anhänger der Augsburgischen Konfession (CA) und der alten Religion (Katholiken), Reformierte und andere bleiben ausgeschlossen. 2) Die Untertanen haben dem Bekenntnis des Landesherren (ius reformandi ) zu folgen ( cuius region eius religio); nur in den Reichststädten gibt es religiöse Toleranz. 3) Untertanen, die aus Gründen der Religion ihr angestammtes Land verlassen wollen, haben das Recht zur Auswanderung (ius emingrandi).
Zwar wurde an dem Ziel eines Religionsausgleichs ausdrücklich festgehalten, gleichwohl war mit Augsburg die konfessionelle Spaltung des Reiches endgültig besiegelt - ebenso wie die Konfessionseinheit in den Territorien.
Wir Ferdinand von gottes genaden, Römischer könig, zu allen zeiten mehrer des reichs etc. ...
Religionsfrieden.
[§ 13] Dieweil auf allen, von dreißig oder mer jaren gehaltenen reichstägen und etlichen mer particular-versamblungen von einem gemeinen beharlichen und bestendigen frieden zwischen des heil. reichs stenden der strittigen religion halben aufzurichten, vielfaltig gehandlet, geratschlagt und etlich mal friedstende aufgericht worden, welche aber zu erhaltung des friedens niemals genugsam gewesen, sonder deren unangesehen die stende des reichs für und für in widerwillen und misvertrauen gegen einander stehen blieben .. . Solche nachdenkliche unsicherheit aufzuheben, der stende und untertonen gemüter widerumb in rage und vertrauen gegen einander zu stellen, die Teutsch nation, unser geliebt vatterland vor endlicher zertrennung und undergang zu verhütten, haben wir uns mit ... churfürsten ... fürsten und stenden . . . und sie hinwider sich mit uns vereinigt und verglichen.
[Religionsfriedensformel]
[§ 15] Und damit sölcher fried auch der spaltigen religion halben, wie aus hievor vermelten und angezogenen ursachen die hohe notturft des heiligen reichs Teutscher nation erfordert, desto bestendiger zwischen der Röm. Kei. Mai., uns, auch churfürsten, fürsten und stenden des heil. reichs Teutscher nation angestelt, aufgericht und erhalten werden möchte, so sollen die Kei. Mai., wir, auch churfürsten, fürsten und stende des heil. reichs keinen stand des reichs von wegen der Augspurgischen confession und derselbigen lehr, religion und glaubens halb mit der tat gewaltiger weiß uberziehen, beschedigen, vergewaltigen oder in andere wege wider sein conscienz, gewissen und willen von diser Augspurgischen confessions religion, glauben, kirchengebreuchen, ordnungen und ceremonien, so sie aufgericht oder nochmals aufrichten möchten in iren fürstentumben, landen und herschaften, tringen oder durch mandat oder in einiger anderer gestalt beschwären oder verachten, sonder bei sölcher religion, glauben, kirchengebreuchen, ordnungen und ceremonien, auch iren haabgütern, liegend und farend, land, leuten, herrschaften, obrigkeiten, herrlicheiten und gerechtigkeiten rüglich und friedlich bleiben lassen, und soll die streitig religion nicht anderst, dann durch christliche freundliche, friedliche mittel und wege zu einhelligem, christlichem verstand und vergleichung gepracht werden, alles bei Kei. und Kö. würden, fürstlichen ehren, waren worten und peen des lantfriedens .. .
[In § 16 übernehmen die Stände Augsburgischer Konfession die gleiche Verpflichtung gegenüber den Katholiken.]
[Ausschluss Andersgläubiger]
[§ 17] Doch sollen allen andere, so obgemelten bede religionen nit anhängig, in diesem frieden nit gemeint, sondern genzlich ausgeschlossen sein.
[Jus emigrandi]
[§ 24] Wo aber unsere, auch der churfürsten, fürsten und stende undertonen, der alten religion oder Augspurgischen confession anhengig, von sölcher irer religion wegen aus unsern, auch der churfürsten, fürsten und stende des heil. reichs landen, fürstentumben, stetten oder flecken mit iren weib und kindern an andere ort ziehen und sich nider tun wölten, denen sol solcher ab- und zuzug, auch verkaufung irer haab und güter gegen zimblichen billichen abtrag der leibaigenschaft und nachsteuer, wie es jedes orts von alters anhero ublichen, herpracht und gehalten worden ist, unverhindert meniglichs zugelassen und bewilligt, auch an iren ehrn und pflichten allerding unentgolten sein, doch sol den obrigkeiten an iren gerechtigkeiten und herkommen der leibeigenen halben, dieselbigen ledig zu zelen oder nit, hirdurch nichts abgeprochen oder benomen seine.
[Religionsvergleichung]
[§ 25] Und nachdem ein vergleichung der religion und glaubenssachen durch zimbliche und gepürliche wege gesucht werden solle, und aber one bestendigen frieden zu christlicher freuntlicher vergleichung der religion nit wol zu kommen, so haben wir, auch der churfürsten rete, anstat der churfürsten, erscheinende fürsten, stende und der abwesenden potschaften und gesandten, geistlich und weltlich, disen friedstand von geliebts friedens wegen, das hochschädlich mißvertrawen im reich aufzuheben, diese löbliche nation vor endlichem vorsteendem undergang zu verhütten, und damit man desto ehe zu christlicher freuntlicher und endlicher vergleichung der spaltigen religion kommen möge, bewilligt, sölchen frieden in allen obgeschriebnen articuln, biß zu christlicher freundlicher und endlicher vergleichung der religion und glaubenssachen stet, vest und unverprüchlich zu halten, und demselbigen treulich nachzukommen.
Wo dan solche vergleichung durch die wege des generalconciliums, nationalversamblung, colloquien oder reichshandlungen nit erfolgen würde, sol alsdann nichts destoweniger diser friedstand in allen oberzelten puncten und articuln bei kreften biß zu endlicher vergleichung der religion und glaubenssachen bestehn und pleiben; und sol also hiemit obberürter gestalt und sonst in alle wege ein bestendiger beharlicher unbedingter, für und für, ewig werender fried aufgericht und beschlossen sein und pleiben.
[...]
Geschichte in Quellen, Bd. III. Renaissance, Glaubenskämpfe, Absolutismus, München 1966, S. 204ff., Dok. 90.


Tafel 24: Gegenreformation und Konfessionelles Zeitalter
Unter dem Druck der Reformation erneuert sich die römische Kirche; sie wird dadurch zur neuen katholischen Kirche. Ziel dieser Neudefinition, deren sichtbarster Ausdruck die 1534 von Ignatius von Loyola gegründete Societas Jesu (Jesuiten) darstellt, ist die Rekatholisierung der protestantisch gewordenen Gebiete. Im Konzil von Trient (1545-1563) werden die dogmatischen Voraussetzungen dafür geschaffen und ein Programm für die Gegenreformation entwickelt: Religiöse Unterweisung der Massen, Ausbildungsinstitutionen für den Klerus, eine Kurzfassung der Glaubensinhalte im Katechismus, Kontrolle des Glaubens durch die Inquisition. Träger der Gegenreformation sind die Jesuiten. Nach den Tridentinischen Konzil wird zwar die friedliche Missionierung versucht, oft aber endet die Frontstellung von Gegenreformation und Reformation, vor allem aus machtpolitischen Gründen, in kriegerischen Auseinandersetzungen.
Beim Versuch der Habsburger, die spanischen Niederlande nicht protestantisch werden zu lassen, findet die jesuitisch geprägte Gegenreformation ein erstes Zentrum – doch die Rekatholisierung scheitert. Der Kampf um die konfessionelle Einheit der Niederlande steht am Beginn der religiös wie machtpolitisch bedingten Konfessionskriege nach dem Augsburger Religionsfrieden. In Frankreich findet der Religionskampf im Blutbad an den Hugenotten in der Bartholomäusnacht 1572 einen traurigen Höhepunkt.
Mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 beginnt das Zeitalter der Konfessionalisierung. Für das Deutschen Reich bedeutet das Machtzuwachs der einzelnen Territorialfürsten, räumliche Zersplitterung, oft aufgezwungene Religion. Herrschaftsausübung im frühmodernen Staat ist nun zugleich Religionskontrolle und absolutistische Disziplinierung der Untertanen. In Frankreich, wie im übrigen Europa, bilden sich Staatskirchen aus.
Höhepunkt der konfessionellen Auseinandersetzung ist der Dreißigjährige Krieg (1618-1648). Dieser hat mit der Wahl des Führers der protestantischen Union, Friedrich V. von der Pfalz, zum böhmischen König begonnen. 1620 verliert die protestantische Seite die entscheidende Schlacht am Weißen Berg bei Prag. Dreißig Jahre lang tobt der Religionskrieg als europäische Auseinandersetzung. Was als Krieg um den Glauben begonnen hat, wird als reiner Kampf um die Hegemonie der beteiligten Staaten enden. Beim Westfälischen Frieden ist Europa zerstört, entvölkert und bis zur Toleranzbereitschaft erschöpft.
Papst Paul III., Bulle »Regimini militantis ecclesiae«: Bestätigung des Jesuitenordens, 27. September 1540
Ignatius von Loyola (1491-1556) war der Begründer des Jesuitenordens, der "Gesellschaft Jesu" (Societas Jesu, SJ). Mit sechs befreundeten Kommilitonen (s.u.) an der Universität Paris vereinigte er sich 1534 zu einer christlichen Gemeinschaft und gelobte Armut, Keuschheit und Mission in Palästina.. Dieses gemeinsame Gelöbnis war der Anfang des Jesuitenordens, dessen Regeln Papst Paul III. 1540 in Rom bestätigte. Die Jesuiten verpflichteten sich zu treuem Gehorsam gegenüber dem Papst und zählten zu den wichtigsten Akteuren der Gegenreformation.
Wir haben kürzlich nun davon Kenntnis erhalten, daß Unsere geliebten Söhne Ignatius von Loyola, Petrus Faber, Jakob Laynez, Claudius Jaius, Paschasius Broet, Franz Xavier, Alfons Salmeron, Simon Roderich, Johann Coduri und Nikolaus von Bobadilla, Priester aus den Städten und Diözesen Pamplona, Gen€vois, Siguenza, Toledo, Viseu, Embrun und Palencia, Magistri artium der Universität von Paris und seit mehreren Jahren Studenten der Theologie, aus Eingebung des Heiligen Geistes — wie es der fromme Glaube sieht — schon seit langem aus verschiedenen Teilen der Welt sich zurückgezogen und zu einer Gemeinschaft vereinigt haben. Sie sind Genossen [socii] geworden und haben den Verlockungen dieser Welt entsagt und ihr Leben für immer dem Dienst [servitium] unseres Herrn Jesus Christus und Unserer Person bzw. der Uns folgenden Päpste von Rom geweiht. Sie sind schon seit mehreren Jahren ruhmreich im Weinberg des Herrn tätig. Mit hinreichender Vollmacht ausgestattet, predigen sie das Wort Gottes öffentlich. Privat ermahnen sie die Gläubigen zu einem guten und seligen Leben und zu frommen Gedanken. Darüber hinaus dienen sie in Krankenhäusern und unterweisen Kinder und Ungebildete in dem, was zur Bildung eines Christen erforderlich ist. Kurz: an allen Orten, wohin sie gekommen sind, haben sie sich viel Ruhm verdient, indem sie alle Liebespflichten erfüllten und alles taten, was der Tröstung der Seelen dient. Jetzt aber sind sie in diese erhabene Stadt gekommen und haben, fest durch das Band der Liebe verbunden, eine Regel des Lebens [vivendi forma] vorgelegt, die die Einheit ihrer Gesellschaft [societas] in Christus vollenden und bewahren soll. Diese Regel enthält Anweisungen, von denen sie durch Erfahrung gelernt haben, daß sie dem ins Auge gefaßten Ziel dienlich sind, und steht zugleich in Übereinstimmung mit den evangelischen Räten und den kanonischen Gesetzen [sanctiones] der Väter. Deshalb hat es sich ergeben, daß das Leben dieser Genossen, so wie es durch die Regel [formula] gestiftet wird, nicht nur bei vielen rechtschaffenen und für Gott eifernden Männern Anerkennung findet, sondern daß ihm einige sogar so sehr zustimmen, daß sie es zu ihrem eigenen machen wollen. Der Wortlaut der besagten Regel ist folgender:
»Jeder, der in unserer Gemeinschaft, die wir mit dem Namen Jesu auszeichnen wollen, unter dem Banner [vexillum] des Kreuzes Gott Kriegsdienste leisten [militare] und allein dem Herrn und dem römischen Papst als seinem Stellvertreter auf Erden dienen [servire] will, muß sich nach dem feierlichen Gelübde ewiger Keuschheit vor Augen halten, daß er Teil jener Gesellschaft ist, die vor allem dazu gegründet wurde, daß sie sich um den Fortschritt der Seelen in christlichem Leben und christlicher Lehre und um die Ausbreitung des Glaubens durch öffentliche Predigten und Dienst am Worte Gottes, geistliche Übungen und Werke der Liebe sowie vor allem durch christliche Unterweisung von Kindern und Ungebildeten und geistliche Tröstung der Gläubigen im Beichthören bemüht. Er soll danach streben, zunächst Gott, sodann aber auch den Zweck dieses seines Instituts, der auch ein gewisser Weg zu Gott ist, immer vor Augen zu haben und dieses von Gott gesetzte Ziel mit allen Kräften zu verfolgen ... Sodann sollen alle Genossen wissen und nicht nur am Beginn ihres gelobten Wandels [professio], sondern zeit ihres Lebens täglich im Herzen bewegen, daß diese Gesellschaft als ganze und alle einzelnen in ihr für Gott Kriegsdienste leisten im treuen Gehorsam gegenüber unserem Heiligsten Herrn, dem Papst, und seinen jeweiligen Nachfolgern als Bischöfe von Rom.
Wie uns ja schon das Evangelium belehrt und der rechtschaffene Glaube erkennen läßt, sowie wir selbst mit Nachdruck bekennen, sind alle Gläubigen Christi dem römischen Papst als ihrem Haupt und als dem Stellvertreter Jesu Christi unter-stellt. Doch zur größeren Demut unserer Gesellschaft und zur vollkommenen Abtötung eines jeden einzelnen sowie der Entsagung unseres eigenen Willens erachten wir es als höchst nützlich, wenn sich jeder von uns — über jenes gemeinsame Band hinaus — mit einem speziellen Gelübde verpflichtet. Inhalt dieses Gelübdes soll sein, daß wir ohne jedes Zögern und ohne Ausreden — soweit es in unserer Macht steht — sofort alles ausführen, was der gegenwärtige oder später der jeweilige Papst zum Nutzen der Seelen und zur Ausbreitung des Glaubens befiehlt. Da-bei darf er uns schicken, wohin er will, sei es zu den Türken oder zu anderen Ungläubigen, auch wenn sie im sogenannten >Indien< leben, sei es zu irgendwelchen Häretikern oder Schismatikern, sei es zu bestimmten Gläubigen ... Insbesondere sollen sie sich die Unterweisung von Kindern und Ungebildeten in der christlichen Lehre von den Zehn Geboten und anderem Elementarwissen, was je nach Person, Ort und Zeit nötig zu sein scheint, anbefohlen sein lassen. Denn für diesen Aufgabenbereich müssen Oberer [praepositus] und Versammlung besonders Sorge tragen, da bei den Nächsten ohne ein Fundament kein Gebäude des Glaubens entstehen kann, und bei uns die Gefahr besteht, daß sich vielleicht gerade die Gelehrteren bemühen, diesem auf den ersten Blick unscheinbaren Gebiet auszuweichen. In Wahrheit aber bringt keine andere Tätigkeit größere Frucht für den Nächsten, deren Erbauung sie dient, und für uns, denen sie Gelegenheit gibt, der Pflicht der Liebe und der Demut in gleicher Weise nachzukommen .. .
Da wir wissen, daß unser Herr Jesus Christus seinen Dienern, die allein nach dem Reiche Gottes trachten [Mt 6,33], alles Notwendige an Nahrung und Kleidung zur Verfügung stellen wird, sollen alle für sich und als Gemeinschaft ewige Armut geloben und erklären, daß sie nicht nur einzeln, sondern auch gemeinsam zum Unterhalt und Nutzen der Gesellschaft [Jesu] keinen weltlichen Rechtsanspruch auf festen Besitz oder auf Erträge und Einkünfte erwerben können. Um das zu bekommen, was zum Leben notwendig ist, sollen sie mit dem Nutzungsrecht [usus] der ihnen zugedachten Stiftungen zufrieden sein. Allerdings können sie an den Universitäten ein oder mehrere Kollegien mit eigenen Einkünften, Besitz und Vermögen unterhalten, soweit dies zum Nutzen und für die Bedürfnisse der Studierenden verwandt wird. Dabei soll dem Oberen und der Gesellschaft jede Aufsichts- und Weisungsbefugnis über die Kollegien und Studenten vorbehalten bleiben . . . Diese [die Studenten] wiederum können in unsere Gesellschaft aufgenommen werden, wenn ein Fortschritt im Geist und in der Wissenschaft erkenn-bar ist, und sie eine ausreichende Probezeit hinter sich haben. Alle Genossen aber, die heilige Weihen empfangen haben, sind jeweils für sich privat, nicht aber gemeinsam, zum kirchlichen Breviergebet verpflichtet, auch wenn sie keine kirchlichen Pfründen oder deren Einkünfte haben ... Jesus Christus möge auf unser zagendes Beginnen gnädig herabsehen zur Ehre Gottes, des Vaters, dem allein sei Lob und Preis in alle Ewigkeit. Amen.«
Da im Vorstehenden nichts zu finden ist, was nicht fromm und heilig ist, verkündigen wir, damit die Genossen, die Uns in aller Demut eine diesbezügliche Bitte unterbreitet haben, um so bereitwilliger bei ihrem frommen Lebensvorsatz bleiben, je huldvoller sie sich vom Apostolischen Stuhl umfangen wissen und je klarer sie sehen, daß auch Wir das Vorstehende billigen, folgende Entscheidung: Aufgrund des vorliegenden Schreibens, das Wir genau zur Kenntnis genommen haben, billigen, bestätigen und segnen Wir kraft Unserer Apostolischen Vollmacht die Regel im ganzen und in allen Einzelheiten und verleihen ihr ewige Geltung, da sie dem geistlichen Fortschritt der Genossen und der übrigen christlichen Herde förderlich ist. Die Genossen selbst nehmen Wir in Unseren besonderen Schutz und in den Schutz dieses heiligen Apostolischen Stuhles, wobei Wir ihnen zugleich das uneingeschränkte Recht verleihen, für sich besondere Konstitutionen [particulares Constitutiones] zu erlassen, wenn sie der Meinung sind, daß diese dem Ziel der Gesellschaft, der Ehre unseres Herrn Christus und der Förderung des Nächsten dienen .. .
zit. nach Heiko A. Oberman, Die Kirche im Zeitalöter der Reformation, Neukirchen-Vluyn 4. Aufl. 1994, Dok. 94, S. 196-198
Ignatius von Loyola, Religionspolitik und Ketzerkampf: Brief an Petrus Canisius, 13. August 1554
Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, macht in seinem Brief an Petrus Canisius (1521—1597) rigorose Vorschläge zur radikalen Bekämpfung der »Ketzerei«. Canisius, 1549 von Ignatius als achtes Mitglied in die Societas Jesu aufgenommen, wirkte als enger Vertrauter von König Ferdinand maßgeblich für die Erneuerung der katholischen Kirche in Deutschland; 1552 gründete er das Wiener Jesuitenkolleg; ab 1556 prägte er als der erste >Obere< der oberdeutschen Ordensprovinz der Jesuiten die Ausbreitung des Ordens in Deutschland.
Zunächst dürfte es zweifellos das wirksamste und wichtigste aller den Menschen zu Gebote stehenden Heilmittel sein, wenn die königliche Majestät sich nicht nur (wie schon immer) als katholisch, sondern auch als scharfer, unerbittlicher Gegner der Ketzereien bekennt und allen Irrtümern der Ketzer offen und nicht nur insgeheim den Krieg erklärt. Daraus würde dann als zweitwichtigste Maßnahme folgen, daß die königliche Majestät in ihrem Kronrat [consilio regio] keine Ketzer duldet und überhaupt nichts auf solche Menschen gibt, von denen man annehmen muß, daß ihre Ratschläge [consilia] offen oder insgeheim darauf abzielen, daß sie die verderbliche Ketzerei, mit der sie sich befleckt haben, fördern und begünstigen. Außerdem wäre es von größtem Nutzen, wenn man in der Verwaltung einer Provinz oder eines Ortes — besonders an höchster Stelle — sowie in irgendwelchen Ämtern oder Ständen von Rang niemanden belassen würde, der von der Ketzerei befallen ist. Schließlich sollte deutlich und allen bekannt sein, daß niemand durch Ehrungen oder Besitz ausgezeichnet werden darf, sobald er einer verderblichen Ketzerei überführt oder dringend verdächtig ist, sondern daß ihm dann vielmehr beides entzogen wird. Und wenn man einige Male durch Todesstrafe oder durch Konfiskation der Güter und Verbannung ein Exempel statuieren und damit deutlich machen würde, daß die Religionsfrage ernstgenommen wird, so wäre dieses Heilmittel um so wirksamer. An der Universität in Wien und anderswo müssen unserer Meinung nach alle öffentlichen Professoren und auch jene, denen die Verwaltung obliegt, ihrer Ämter enthoben werden, wenn sie im Hinblick auf den katholischen Glauben keinen guten Ruf haben. Das gleiche gilt von Rektoren, Leitern und Dozenten privater Kollegien; wer nämlich die Jugend zur Frömmigkeit erziehen [informare] soll, darf sie nicht verderben. Man darf dort also Verdächtige oder gar offene Ketzer keinesfalls behalten, damit sie nicht die Jugend anstecken; und auch Gelehrte [scholastici], von denen nicht zu erwarten ist, daß sie leicht wieder zur Einsicht kommen, müssen in diesem Falle ohne jede Rücksicht relegiert werden. Ja, alle Lehrer und Erzieher [ludimagistri et pedagogi] müssen einsehen und am eigenen Leibe erfahren, daß es für sie in den königlichen Gebieten keinen Platz mehr gibt, wenn sie es nicht vorziehen, katholisch zu sein, und dies auch unter Beweis stellen.
Alle ketzerischen Bücher, die bei einer sorgfältigen Fahndung im Besitz von Buchhändlern [bibliopolae] oder Privatleuten gefunden werden, sollten entweder verbrannt oder ins Ausland befördert werden. Ebenso sind nach unserer Meinung auch die Bücher von Ketzern, die selbst nicht ketzerisch sind, wie über Grammatik oder Rhetorik oder die Dialektik des Melanchthon, wegen der Ketzerei ihrer Verfasser gänzlich aus dem Verkehr zu ziehen. Denn es ist gefährlich, sie zu nennen und der Jugend zu empfehlen, da sich die Ketzer bei dieser durch solche Werke ein-schmeicheln, in denen Dinge zu lesen sind, die allerdings gelehrt sind und mit der ernsten Gefahr, um die es hier geht, wenig zu tun haben. Überhaupt wäre es von größtem Nutzen, wenn unter Androhung schwerer Strafen verboten würde, daß ein Verleger eines der besagten Bücher drucken läßt, und wenn man in Kommentaren keine Anmerkungen eines Ketzers aufnimmt, die auch nur in einem Beispiel oder Wort an die gottlose Lehre erinnern oder mit dem Namen ihres ketzerischen Autors versehen sind. Entsprechend darf es natürlich – bei Androhung der gleichen Strafen – auch keinem Händler oder sonst jemandem erlaubt sein, anders-wo gedruckte Bücher dieser Art in den Herrschaftsbereich des Königs einzufühen.
Man darf keine Priester [curiones] und Beichtväter [confessarii] dulden, die im Ruf der Ketzerei stehen; und wenn sie überführt sind, dann sollte man ihnen sogleich alle kirchlichen Einkünfte entziehen. Denn es ist besser, wenn eine Herde ohne Hirte ist, als wenn sie zum Hirten einen Wolf hat. Soweit die Geistlichen [pastores] im Hinblick auf ihren Glauben zwar katholisch sind, aber durch ihre große Unwissenheit und ihr schlechtes Beispiel als öffentliche Sünder das Volk verderben, müssen sie unserer Meinung nach von ihren Bischöfen aufs härteste bestraft werden, ihre Einkünfte verlieren und auf jeden Fall von der Seelsorge [cura animarum] ausgeschlossen werden. Denn das schlechte Leben und die Unwissenheit solcher Leute haben die Seuche der Ketzerei über Deutschland gebracht.
Die Prediger und Führer der Ketzer und überhaupt alle, die dabei ertappt werden, wie sie andere mit dieser Seuche infizieren, müssen schwer bestraft werden. Dabei sollte man überall öffentlich erklären, daß alle, die innerhalb eines Monats nach dieser Bekanntmachung wieder zur Einsicht kommen, vor beiden Gerichten mit einer gnädigen Amnestie [absolutio] rechnen können. Wer jedoch nach dieser Frist als Ketzer ergriffen wird, der soll ehrlos [infames] sein und niemals ein Amt bekleiden [inhabiles ad omnes honores] dürfen. Es wäre vielleicht sogar noch ratsamer, wenn man bestimmte Leute mit Verbannung, Kerker oder unter Um-ständen auch mit dem Tode bestrafen könnte; aber von dieser Höchststrafe und von der Einrichtung der Inquisition will ich nicht sprechen, denn dies könnte Deutschland in seiner jetzigen Verfassung wohl nicht ertragen.
Wer die Ketzer »evangelisch« nennt, soll dies mit einer angemessenen Geldstrafe büßen, damit sich der Satan nicht darüber freuen kann, daß sich die Feinde des Evangeliums und des Kreuzes Christi einen Namen anmaßen, der zu ihrem Tun in Gegensatz steht. Außerdem soll man unserer Ansicht nach die Ketzer bei ihrem richtigen Namen nennen, damit man schon erschrickt, wenn man jene als das bezeichnet, was sie sind, und damit sie nicht ihr tödliches Gift unter dem Deckmantel des heilsamen Namens verbergen können.
zit. nach Heiko A. Oberman, Die Kirche im Zeitalter der Reformation, Neukirchen-Vluyn 4. Aufl. 1994, Dok. Dok. 111, S. 230-32 (Auszüge)
Ernst Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, 1906.1
Der nachstehende Bericht über den Vortrag von Ernst Troeltsch auf dem Stuttgarter Historikertag 1906 beruht auf einer von dem Redner autorisierten Zusammenfassung, in der die zentralen Punkte seiner Ausführungen wiedergegeben sind.
Bericht über die neunte Versammlung deutscher Historiker zu Stuttgart. 17. bis 21. April 1906
Am 21. April, Sonnabend, vormittags 9 Uhr sprach Prof. Dr. Troeltsch (Heidelberg) über die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt.2
Innerhalb der bald vierhundertjährigen Geschichte des Protestantismus – so führte der Vortragende ungefähr aus — gilt es den Altprotestantismus vom Neuprotestantismus, der den ersteren seit dem 18. Jahrhundert abgelöst hat, zu unterscheiden, und da der Neuprotestantismus selbst einen Teil der modernen Welt bildet, so kommt es vor allem darauf an, die Bedeutung des Altprotestantismus darzustellen. Innerhalb des letzteren sind nicht nur das Luthertum und der Calvinismus zu unterscheiden, sondern vor allem auch die im konfessionellen Staate unterdrückten Richtungen des Wiedertäufertums und der humanistischen Theologie, die beide auf ersteren einen großen Einfluss ausgeübt haben.
Der Protestantismus hat zunächst nur eine neue Antwort auf eine alte von der katholischen Welt erörterte Frage, auf die nach der Heilsgewissheit, gesucht. Er hat grundsätzlich den alten Begriff der Kirche als einer infalliblen [unfehlbaren] und intoleranten Heils- und Erziehungsanstalt durchaus beibehalten, und wenn er auch Mönchtum und Zölibat verwarf, so blieb doch die alte Askese und die alte Lehre von der Nichtigkeit der Welt, die innerlich zu überwinden sei, beibehalten. In Wirklichkeit hatte aber die Neugestaltung des Kirchenwesens die unbeabsichtigte Folge, dass durch die Beseitigung der Alleinherrschaft der katholischen Kirche die Kraft des Kirchentums überhaupt geschwächt wurde, denn drei infallible [unfehlbare], sich gegenseitig verdammende Kirchen mussten der Freigeisterei Vorschub leisten. In diesem Kampfe musste aber der Protestantismus, vermöge seiner sehr viel schwächeren inneren Struktur dem Ansturm der modernen Ideen viel leichter unterliegen als die fester gefügte katholische Kirche.
Im Familienleben behielt der Protestantismus die strenge Unterordnung von Frau und Kindern unter den patriarchalisch-absolutistischen Hausherrn bei, aber das protestantische Pfarrhaus gab zugleich ein einzig dastehendes moralisches Beispiel des Familienlebens.
Im Rechtsleben hat er das alte barbarische Strafrecht nicht geändert, auch den Hexen- und Zauberwahn beibehalten. Das Naturrecht wurde in humanistischen Kreisen entkirchlicht, und die Entstehung des modernen Lebens bedeutet auf dem Gebiete des Rechts geradezu vielfach den Bruch mit den Anschauungen des Altprotestantismus.
Den Staat hat der Protestantismus zwar von der Hierarchie befreit, ihn aber trotzdem als religiöses Institut aufgefasst und keine modernen Staatsideen zugelassen. Der aufgeklärte Absolutismus ist aber doch aus ihm, und zwar hauptsächlich aus dem Luthertum herausgewachsen, wo der Landesherr auch die Kirche kommandierte. Die konservativen Prinzipien im Staatsleben hat vor allem das Luthertum gepflegt, aber in dieser Hinsicht besteht ein großer Unterschied zwischen ihm und dem Calvinismus: jenes vertrat die Unterwerfung der Untertanen unter die Obrigkeit und der unteren Stände unter die oberen, dieser bevorzugte eine aristokratische republikanische Staatsform, lehrte den Widerstand gegen gottlose Obrigkeiten und gegebenfalls sogar den Tyrannenmord. Die eigentliche Demokratisierung der modernen Welt ist eine Frucht des Rationalismus ebenso wie z. T. die Ideen der Menschenrechte und der Gewissensfreiheit. Selbst in Nordamerika gab es zunächst keine Freiheit des Gewissens; nur Pennsylvanien und Rhode Island machten eine Ausnahme, aber hier leben wiedertäuferische Lehren im Quäkertum fort.
Im Wirtschaftsleben war Luthers Auffassung von der Berufssittlichkeit und seine Rechtfertigung des Erwerbslebens schon lange vorher katholische Lehre gewesen; er formulierte diese nur neu und forderte bestimmter, jeder sei seinem Stande zu erhalten und die Obrigkeit habe ihm seine Nahrung zu garantieren. Der Calvinismus dagegen verwarf das Zinsverbot; der Geist des sogenannten Kapitalismus, der den Erwerb nur um des Erwerbes willen kennt und den Menschen zum Sklaven seiner Arbeit macht, ist zu einem guten Teil auf calvinistische Anschauungen zurückzuführen. Gerade die Askese, die Geringschätzung der Weltfreuden, zeitigte eine systematische Arbeit, die Selbstzweck war und Geld anhäufte aus Freude an der Leistung. Den Beweis bieten am besten die puritanischen Schotten, aber ähnliche Wirkungen hat auch der Pietismus gehabt.
In der Wissenschaft hat der Protestantismus die bisherige kirchliche Bewältigung des Wissens, die Scholastik, gestürzt und das Erziehungswesen verstaatlicht. Die wissenschaftliche Kritik und Ehrlichkeit geht in ihren Keimen auf die antikatholische Bibelkritik zurück, obwohl der Protestantismus erst eigentlich die Infallibilitätstheorie [Unfehlbarkeitstheorie] der Bibel begründet hat.
In der Kunst hat der Calvinismus mit seinem Bildersturm und seiner Schmuckfeindlichkeit geschadet, das Luthertum aber in der Musik und religiösen Lyrik neue eigenartige Leistungen hervorgebracht. Der Katholizismus aber blieb der Kunst immer in höherem Grade verwandt. Immerhin hängt Rembrandts Kunst mit dem Protestantismus eng zusammen, denn keine protestantische Richtung hat versucht, die künstlerische Empfindung zu einer Verklärung der Sinnlichkeit zu erheben, und demgemäß sind Klassizismus und Romantik in ihrem innersten Wesen dem Luthertum fremd.
Die direktesten Wirkungen des protestantischen Geistes zeigen sich auf religiös-ethischem Gebiete. Luther setzte das Innewerden der unmittelbaren Heilsgewissheit allein durch den Glauben an die Stelle des katholischen sakramentalen Wunders. Sein Ziel war dabei das gleiche wie das der katholischen Kirche, aber der von ihm eingeschlagene neue Weg wurde allmählich wichtiger als das Ziel selbst, denn er führte, wenn auch erst in längerer Zeit, zu einer Gefühls- und Gewissensreligion ohne dogmatischen Zwang, zu einer autonomen inneren Selbständigkeit des Gewissens, in der das Wesen der modernen Religiösität zu suchen ist. In diesem Punkte berührt sich der Protestantismus mit den Grundpfeilern des modernen Denkens, dem Freiheits- und Persönlichkeitsgefühl. Der protestantische Zug zur Gewissensfreiheit hat im Kampfe, aus dem die moderne Welt hervorgegangen ist, großes geleistet, aber er ist vielleicht auch noch einmal wertvoll im Kampfe gegen Mächte, die nicht auf dem alten Boden entstanden sind, sondern gerade auf die moderne Welt zurückgehen.
Nur die kausalen Zusammenhänge vorzuführen, nicht etwa Werturteile zu fällen, war die Absicht dieser Ausführungen, der [sic!] mit großem Beifall aufgenommen wurde. Als einziger Redner ergriff Prof. Karl Müller (Tübingen) das Wort, um dem Vortragenden den Dank der Versammlung auszusprechen und einige allgemeine Bemerkungen daran zu knüpfen.
1) Der Vortrag ist vollständig im Druck erschienen in der „Historischen Zeitschrift”, 97. Bd. (1906), S. 1 - 66 und auch als selbständige Schrift (München, R. Oldenburg, 1906).
Ernst Troeltsch, Kritische Gesamtausgabe Bd. 8. Schriften zur Bedeutung des Protestantismus für die moderne Welt, Berlin, New York 2001, S. 375-377
Ernst Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, 1906.
Die Historikerin Luise Schorn-Schütte zur Position Troeltschs in der protestantischen Reformationsgeschichtsschreibung (2011).
"Die Vorstellung, dass die Reformation das Mittelalter und damit die Autoritätsgläubigkeit des Einzelnen überwunden habe, so dass sich seitdem der Aufbruch in die Neuzeit zielgerichtet vollziehen könne, hat das Selbstverständnis der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung sehr lange geprägt. […]
Scharfe Kritik an dieser Sichtweise kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus den eigenen Reihen, durch den Berliner Religionshistoriker und -soziologen Ernst Troeltsch (1865-1923). Anders als die bis dahin dominante Forschung befasste er sich intensiv auch mit den reformatorischen Bewegungen als sozialen Erscheinungen; dazu gehörte nicht zuletzt die Bearbeitung der sogenannten Außenseiter (Täufer, Spiritualisten). Aus diesen verschiedenen Wurzeln entstand, so Troeltsch, die Reformation. Sie war eingebunden in die spätmittelalterliche Autoritätskultur, die „auf dem Glauben an eine absolute und unmittelbare göttliche Offenbarung [...] in der Erlösungs- und Erziehungsanstalt der Kirche beruht” (Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, 1906, S. 5). Die spätmittelalterliche Einheitskultur wird durch die Reformation aufgelöst, in einem modernen Sinne weitergeführt durch den Calvinismus, da nur er die Merkmale der Entkoppelung von Staat und Kirche, von Religion und Politik in der Anerkennung von Gewissens- und Glaubensfreiheit auch für das Individuum aufweisen kann. Das Luthertum aber, wie auch der vom Tridentinum geprägte Katholizismus, blieben der autoritären Einheitskultur des Mittelalters dadurch verbunden, daß sie, wenn auch nur für einen begrenzten Wirkraum, die Verzahnung von Religion und Politik, von Staat und Kirche erneuerten. Damit widersetzten sie sich der Entwicklung zur modernen Welt, die Troeltsch mit der Entwicklung hin zur europäisch-amerikanischen Kultur gleichsetzte, und gingen einen eigenen, im Falle des Luthertums spezifisch deutschen Weg. Die deutsche Moderne begann deshalb erst mit dem Einsetzen der aufklärerischen Forderungen nach Gewissensfreiheit, die im Ergebnis auf die endgültige Trennung von Religion und Politik zielte.
Was für die Reformation insgesamt galt, traf, so Troeltsch, erst recht auf Luther zu. Mit seinen politischen Ordnungsvorstellungen war er dem spätmittelalterlichen patriarchalisch-ständischen Denken zutiefst verhaftet. Das war auf „weltindifferente” Ethik zurückzuführen, „die vom einzelnen Christen nur den Glauben und die unmittelbare Nächstenliebe forderte, die Dinge der Welt aber ihren eigenen Gesetzen, d.h. einem rein positivistisch verstandenen Naturrecht der Macht überlässt” (Bornkamm, Heinrich, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte, Göttingen 1970, S. 108). Dadurch entstand bei Luther eine doppelte Moral, die den Gegensatz von politischem Handeln und privatem Glauben in den einzelnen Christen hineinverlegte: im politischen Amt musste er anders handeln als im privaten Leben.
Dass diese Deutung bei den protestantischen Zeitgenossen von Troeltsch auf vehemente Kritik stieß, leuchtet ein, wurde doch damit die kirchengeschichtliche Interpretation der Reformation als Beginn der protestantischen Moderne grundsätzlich in Frage gestellt. Mit seiner Reformations- und Lutherdeutung ging es Troeltsch [...] um eine Erneuerung des zeitgenössischen Protestantismus im Sinne einer Erneuerung seiner frömmigkeitsbezogenen und gemeinchristlichen Wurzeln. Die aber lagen nicht im lutherischen Altprotestantismus."
Luise Schorn-Schütte, Die Reformation. Vorgeschichte, Verlauf, Wirkung, München 5. Aufl. 2001, S. 94-96
Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt.
Vortrag1), gehalten auf der IX. Versammlung deutscher Historiker zu Stuttgart am 21. April 1906
von Ernst Troeltsch.
I.
[…] Die moderne Kultur ist hervorgegangen aus dem großen Zeitalter der kirchlichen Kultur, die auf dem Glauben an eine absolute und unmittelbare göttliche Offenbarung und auf der Organisation dieser Offenbarung in der Erlösungs- und Erziehungsanstalt der Kirche beruhte. Nichts ist mit der Macht eines solchen Glaubens zu vergleichen, wenn der Glaube wirklich naturwüchsig und selbstverständlich ist. Dann ist überall Gott, sein unmittelbarer, genau erkennbarer und von einem unfehlbaren Institut getragener Wille gegenwärtig. Dann kommt alle Kraft zu höherer Leistung und alle Sicherung des letzten Lebenszieles aus dieser Offenbarung und aus ihrer Organisation in der Kirche. Mit der Schöpfung dieses gewaltigen Baues hat die Antike unter der entscheidenden Einwirkung des Christentums geendet, und dieser Bau ist das Zentrum der ganzen sog. mittelalterlichen Kultur. […] Es ist eine Autoritätskultur im höchsten Grade […]
An diesem Gegensatze [zur mittelalterlichen] erhellt nun das Wesen der modernen Kultur. Sie ist überall die Bekämpfung der kirchlichen Kultur und deren Ersetzung durch a u t o n o m erzeugte Kulturideen, deren Geltung aus ihrer überzeugenden Kraft, aus ihrer immanenten und persönlich wirkenden Eindruckskraft folgt. Die wie immer begründete Autonomie im Gegensatz gegen die kirchliche Autorität, gegen rein äußere und unmittelbare göttliche Normen, beherrscht alles. Auch wo man neue Autoritäten prinzipiell aufrichtet oder tatsächlich befolgt, wird doch deren Geltung selbst auf rein autonome und rationale Überzeugung begründet, und auch wo die religiösen Überzeugungen bestehen bleiben, wird doch ihre Wahrheit und verpflichtende Kraft zuerst auf eine innere persönliche Überzeugung und nicht auf die herrschende Autorität als solche begründet. Die unmittelbare Folge einer solchen Autonomie ist aber notwendig ein immer gesteigerter Individualismus der Überzeugungen, Meinungen, Theorien und praktischen Zielsetzungen. […]
Ein großer Teil der Grundlagen der modernen Welt in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst ist völlig unabhängig vom Protestantismus entstanden, teils einfach Fortsetzung spätmittelalterlicher Entwicklungen, teils Wirkung der Renaissance und besonders auch der vom Protestantismus angeeigneten Renaissance, teils in den katholischen Nationen wie Spanien, Osterreich, Italien und besonders Frankreich nach Entstehung des Protestantismus und neben ihm erworben worden. Gleichwohl ist seine große Bedeutung für die Entstehung der modernen Welt ganz offenbar nicht zu bestreiten. Die große Frage ist nur, worin nun im einzelnen wirklich diese Bedeutung besteht. […]
II.
[...] Der alte, echte Protestantismus des Luthertums und des Calvinismus ist durchaus im Sinne des Mittelalters kirchliche Kultur, will Staat und Gesellschaft, Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft und Recht nach den supranaturalen Maßstäben der Offenbarung ordnen und gliedert wie das Mittelalter überall die Lex naturae als ursprünglich mit dem Gottesgesetz identisch sich ein. Der moderne Protestantismus seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ist dagegen überall auf den Boden des paritätischen oder gar toleranten Staates übergetreten und hat die religiöse Organisation und Gemeinschaftsbildung im Prinzip auf die Freiwilligkeit und persönliche Oberzeugung übertragen unter grundsätzlicher Anerkennung der Mehrheit und Möglichkeit verschiedener religiöser Überzeugungen und Gemeinschaften nebeneinander. […]
Wird aber das im Auge behalten, so ist für jede rein historische Betrachtung und insbesondere für unsere Fragstellung Alt- und Neuprotestantismus wohl zu unterscheiden. Der Altprotestantismus fällt unter den Begriff der streng kirchlich supranaturalen Kultur, die auf einer unmittelbaren und streng abgrenzbaren, vom Weltlichen zu unterscheidenden Autorität beruht, und sucht geradezu mit seinen Methoden diese Tendenz der mittelalterlichen Kultur strenger, innerlicher, persönlicher durchzusetzen, als dies dem hierarchischen Institut des Mittelalters möglich war. Die Autorität und Heilskraft der reinen Bibel soll durchsetzen, was den Bischöfen und dem Papste bei der Äußerlichkeit ihrer Mittel und bei der starken Verweltlichung der Institution nicht erreichbar war.
Wenn nun aber das deutlich erkannt ist, dann trennt sich der Altprotestantismus auch deutlich von denjenigen historischen Gebilden, die neben ihm hergehen und die der Neuprotestantismus mehr oder minder in sich aufgenommen hat, oft bis zur Ununterscheidbarkeit, die aber von jenem innerlich tief unterschieden waren und ihre eigene historische Wirkung hatten, nämlich von der humanistischen, historisch-philologisch-philosophischen Theologie und dem Täufertum und Spiritualismus.
Der Altprotestantismus hat sich von beiden scharf und mit blutiger Gewalttätigkeit unterschieden, nicht aus kurzsichtiger Leidenschaft oder theologischer Rechthaberei oder aus Opportunismus oder aus epigonenhafter Engherzigkeit. Er hat sich in allen Führern wie Luther, Zwingli und Calvin von Anfang an innerlich und wesentlich von ihnen geschieden, und zwar deshalb, weil von beiden die Idee der kirchlichen Kultur und die absolute Gegebenheit der Offenbarungsgrundlage einer solchen Kultur trotz aller prinzipiellen Christlichkeit geleugnet wird. Gerade ihr Rückzug auf kleine, fromme Kreise, ihre Fernhaltung vom Staat und ihr Verzicht auf religiösen Zwang war gegen die Idee der Reformatoren, die wie der Katholizismus eine Offenbarung, die nicht alles Menschliche dem Göttlichen unterwirft, für keine wahre Offenbarung halten konnten. Die Objektivität des Kircheninstituts, die Sicherheit der Bibel und die klare staatlich-kirchliche Leitung der Gesellschaft oder des einheitlichen corpus Christianum, das jede Kirche wenigstens auf dem ihr durch die Landesregierung erreichbaren Gebiete herstellte, wurde durch jene bedroht. Erst als der Neuprotestantismus die Idee der kirchlichen Gesamtkultur aus den Augen verloren hatte, konnte er die Gewissensforderung der historisch-philologischen Kritik und die Offenbarungslehre der inneren persönlichen Überzeugung und Erleuchtung als genuin protestantische Prinzipien bezeichnen, während der echte Protestantismus das alles mit den Kategorien des „Naturalismus” einerseits und des „Fanatismus” oder „Enthusiasmus” anderseits belegte und heute noch in seinen Resten bei teilweiser Anerkennung dieser Häresien um so leidenschaftlicher ihren Geist bekämpft. […]
III.
Stehen aber die Dinge so, dann liegt auf der Hand, daß die in Frage stehende Bedeutung des Protestantismus überhaupt nichts Einfaches ist. Aus der kirchlichen Kultur des Protestantismus kann kein direkter Weg in die kirchenfreie moderne Kultur führen. Seine im allgemeinen offenkundige Bedeutung hierfür muss vielfach eine indirekte oder gar eine ungewollte sein, und das Gemeinsame, das trotzdem beide verbindet, muß sehr tief in den verborgenen und nicht unmittelbar bewußten Tiefen seines Gedankens liegen. Darin liegt geradezu der eigentliche Reiz des Problems, und um diesen verständlich zu machen, muß zunächst der Gegensatz des Protestantismus gegen die moderne Kultur noch schärfer bezeichnet werden.
Das Wichtigste ist, daß religions- und dogmengeschichtlich angesehen der Protestantismus nur eine Umbildung des Katholizismus ist, eine Fortsetzung katholischer Fragestellungen, denen nur eine neue Antwort zuteil wird. Erst nach und nach haben sich aus dieser neuen Antwort die radikalen religionsgeschichtlichen Konsequenzen entwickelt, erst bei einem Bruch mit der ersten Gestalt des Protestantismus zeigte sich die weit über eine neue Beantwortung alter Fragen hinausgehende Konsequenz. […] Der Protestantismus beantwortet zunächst nur die alte Frage nach der H e i l s g e w i ß h ei t, die die Existenz Gottes und sein ethisch-persönliches Wesen überhaupt voraussetzt und nur die Not zum Problem macht, wie angesichts der Verdammung aller zur Hölle durch die Erbsünde und angesichts der Schwäche oder Nichtigkeit aller menschlich-kreatürlichen Kräfte die Rettung aus dem Sündengericht, die ewige Seligkeit und ein gleichmäßiger, hoffnungssicherer Friede des Herzens auf Erden erlangt werden könne. Es ist durch und durch die alte Frage, die durch die Erziehung des Katholizismus immer tiefer und eindrucksvoller in die Herzen geschrieben worden war.
[…] Die Prädestinationslehre wird protestantische Zentrallehre im Interesse der Heilsgewißheit, bei Luther, Zwingli und Calvin gleich ursprünglich und gleich notwendig. Der Calvinismus hat dann allerdings diese Lehre zunehmend zum Angelpunkt seines Systems gemacht und in seinen großen Weltkämpfen daraus die feste Kraft des Erwählungsbewußtseins geschöpft, hat aber dafür freilich auch die Rationalität und universale Güte im Gottesbegriff geopfert, während das Luthertum zum Schutze beider Interessen zunehmend den Prädestinationsgedanken abgeschwächt, damit seinem Gedanken aber auch das Heroische und Eherne genommen hat. Der Prädestinierte fühlt sich als der berufene Herr der Welt, der in der Kraft Gottes zur Ehre Gottes in die Welt eingreifen und sie gestalten soll. Der bloß aus Gnaden Gerechtfertigte hat sein Heil freilich auch nur aus Gott, aber hütet sich in der Scheu vor prädestinatinischen Konsequenzen überhaupt vor jeder strengen Abgrenzung und Beziehung von Gott und Welt und flüchtet sich lieber in die rein religiöse Sphäre aus der Welt, die, dazu in einem unklaren und Gott allein bekannten Verhältnis stehend, lieber nur geduldet und ertragen wird.
Steht derart das alte Interesse der Heilsgewißheit im Zentrum, und ist die Vergewisserung nur durch eine einfachere Fassung der Offenbarung und eine innerlichere Aneignung der Offenbarung erreicht, dann ist ganz selbst-verständlich auch die alte Grundidee einer durch und durch autoritativen rein göttlichen Heilsanstalt bewahrt. Der Protestantismus wollte die Gesamtkirche reformieren und ist nur durch Zwang zur Aufrichtung eigener Kirchen gekommen. Sie sind Landeskirchen nur geworden, weil der Protestantismus sein Kirchenideal bloß mit Hilfe der Regierungen durchsetzen konnte und daher jenseits der Landesgrenzen auf sein Ideal verzichten mußte. Den Gedanken der Kirche selbst aber als der erlösenden und erziehenden supranaturalen Heilsanstalt hat er nirgends aufgegeben […] und konstruiert sie nur rein aus der Bibel. Die Bibel enthält das Dogma, sie trägt in sich die Bekehrungs- und Heilskräfte, sie ist das Instrument und die Quelle des Kultus, ihre fachmäßige Kenntnis begründet das geistliche Amt. […] Unter diesen Umständen besteht für den Protestantismus auch noch gar nicht das moderne Problem des Verhältnisses von Kirche und Staat. Er sieht darin so wenig wie der Katholizismus getrennte Organisationen, er sieht darin nur zwei verschiedene Funktionen innerhalb des untrennbar einen und selbigen gesellschaftlichen Körpers, des Corpus Christianum. Die Geltung der religiösen Maßstäbe für das ganze Corpus, die Ausschließung oder mindestens Entrechtung der Ungläubigen und Irrgläubigen, die Intoleranz und die Infallibiltät sind daher auch für ihn selbstverständlich. […]
In alledem setzt sich die katholische Idee der supranatural geleiteten Kultur fort. Aber auch noch ein weiteres Hauptcharakteristikum dieser Kultur dauert fort, die Askese. Freilich pflegt man es als einen besonderen Vorzug des Protestantismus zu preisen, daß er der Askese ein Ende gemacht und das Weltleben wieder zu Ehren gebracht habe. Allein man braucht nur zu bedenken, daß der Protestantismus die jenseitige Abzweckung auf Himmel und Hölle aufs strengste beibehalten hat, daß er beide durch die Beseitigung des vermittelnden und aufschiebenden Fegfeuers nur noch eindrucksvoller gemacht hat, und daß seine zentrale Frage nach der Heilsgewißheit gerade auf die ewige Rettung aus der Erbsünde sich bezieht; man braucht ferner nur zu beachten, daß der Protestantismus die augustinischen Dogmen von der absoluten Erbsündigkeit und der völligen natürlichen Verdorbenheit aller Kräfte noch gesteigert hat; und man wird sich sagen müssen, daß die unausbleibliche Konsequenz der asketischen Idee hier nicht verschwunden sein, sondern nur die Form und den Sinn gewechselt haben kann. So ist es auch in der Tat. Der Protestantismus hat die Unterscheidung der beiden Stufen der christlichen Sittlichkeit beseitigt, mit der schon die alte Kirche einen Kompromiß zwischen den Forderungen der Weltmoral und der jenseitigen weltindifferenten altchristlichen Moral geschlossen hatte. Er hat das Mönchtum und die Monachisierung des Klerus aufgehoben. Aber er hat es nicht getan, weil er die innerweltlichen Werte und Güter als Selbstzwecke in irgendeinem Sinne anerkannt hätte, sondern weil er in der Absonderung von der Welt eine unerlaubte, weil selbstgewählte und äußerliche Erleichterung der Aufgabe sah. Er betrachtet die Welt und ihre Ordnungen als durch die Schöpfung gegeben und als natürlichen Boden und Voraussetzung des christlichen Handelns. Diesen natürlichen Voraussetzungen soll man sich nicht künstlich entziehen und durch selbstgemachte besondere Bedingungen sich die Aufgabe scheinbar erschweren und in Wahrheit erleichtern. Das fördert nur den Wahn von Verdiensten und menschlichem Mitwirken mit der Gnade und verbirgt das eigentliche Schwere der Aufgabe, die Welt zu haben, als hätte man sie nicht. […]
Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, dass der Protestantismus nicht unmittelbar die Anbahnung der modernen Welt bedeuten kann. Im Gegenteil; er erscheint zunächst als Erneuerung und Verstärkung des Ideals der kirchlichen Zwangskultur, als volle Reaktion mittelalterlichen Denkens, die die bereits errungenen Ansätze einer freien und weltlichen Kultur wieder verschlingt. Er hat zudem auch den Katholizismus zu einer Neubelebung seiner Idee veranlaßt, und so erlebt Europa wieder zwei Jahrhunderte mittelalterlichen Geistes. Wer freilich von der Geschichte des Staatslebens oder der Wirtschaft herkommt, wird diesen Eindruck nicht haben, da hier die Ansätze des Spätmittelalters sich ungebrochen weiterentwickeln, ja den Protestantismus zum guten Teil in ihren Dienst nehmen. Aber wer von der Geschichte der Religion und der Wissenschaft herkommt, wird sich dem Eindruck nicht entziehen können, daß erst der große Befreiungskampf des endenden 17. und 18. Jahrhunderts das Mittelalter beendet.
Nur um so dringlicher wird aber dann die Frage, inwiefern trotz alledem der Protestantismus hervorragend mitbeteiligt ist an der Hervorbringung der modernen Welt. Die Paradoxie löst sich auf, wenn wir dem mit dieser Problemstellung gegebenen Fingerzeig folgen und die Wirkungen großenteils in indirekten und in unbewußt hervorgebrachten Folgen, ja geradezu in zufälligen Nebenwirkungen oder auch in wider Willen hervorgebrachten Wirkungen suchen, wenn wir insbesondere auch neben dem eigentlichen Protestantismus auf die mit ihm sich verschlingenden Auswirkungen der humanistischen Kritik und des täuferischen Subjektivismus achten. Um so klarer wird sich dann auch die Stelle zeigen, an der ein wirklich direkter und unmittelbarer Zusammenhang besteht. […]
IV.
Der erste und am meisten in die Augen fallende Umstand ist der, daß der Protestantismus durch die Zerbrechung der Alleinherrschaft der katholischen Kirche die Kraft der kirchlichen Kultur trotz vorübergehender Wiederbelebung überhaupt bricht. Drei einander ausschließende und verdammende infallible [unfehlbare] Kirchentümer diskreditieren das Kirchentum überhaupt, von dem es keinen Plural gibt. Das 16. und 17. Jahrhundert sind nicht mehr Mittelalter, aber sie sind auch nicht Neuzeit; sie sind das konfessionelle Zeitalter der europäischen Geschichte, und erst aus der gegenseitigen, freilich nur relativen Zerreibung dieser drei Übernatürlichkeiten ist die moderne Welt entstanden, die zwar wohl das Übersinnliche, aber nicht mehr das mittelalterlich Übernatürliche kennt. So zersetzt der Protestantismus das christliche Kirchenwesen und seine supranaturalen Grundlagen überhaupt, ganz gegen seinen Willen, aber mit tatsächlicher, immer deutlicher hervortretender Wirkung […].
V.
[…] Wo aber liegen nun direkte und unmittelbare Wirkungen des Protestantismus zur Hervorbringung des modernen Geistes? Gibt es solche überhaupt oder handelt es sich auch hier nur um Wirkungen gegen sein eigenes Prinzip und wider Willen? Hierauf kann nach der bisherigen Untersuchung mit Bestimmtheit eines geantwortet werden: wenn es solche gibt, so müssen sie auf dem eigentlichen Zentralgebiet des Protestantismus, auf dem des religiösen Denkens und Fühlens selber liegen, denn auf den mehr peripherischen Kulturgebieten liegen sie sicherlich nicht. […]
Um das zu verdeutlichen, knüpfe ich an die im Anfang gegebene Charakteristik seiner religiösen Idee wieder an. Dasjenige, worauf es für ihn wesentlich ankam, war die Sicherung des alten stets erstrebten Zieles, die Heilsgewißheit, die völlige Gewißheit über die Rettung aus der Verdammung der Erbsünde durch die in Christus offenbare und von Christus bewirkte Gnade. Das war sein Hauptinteresse, aber dieses Hauptinteresse war kein neues, sondern nur die kräftig vereinfachende und leidenschaftliche plastische Herausarbeitung des alten. Was er neu brachte, war ein neues Mittel zur Erreichung dieses Zieles, ein Mittel, das von den Unsicherheiten menschlicher mitwirkender Verdienste, fremder unverstandener Autoritäten und bloß dinglicher, sakramentaler Einflößungen frei war, das den ganzen inneren Menschen absolut sicher und fest bis ins Zentrum hinein ergriff und ihn in innerlichste Berührung mit dem geistlichen Wirken selber bringen sollte. Wenn dem Katholiken gerade die äußere Autorität und die Dinglichkeit der Gnade das Heil zu verbürgen schien, so war für Luthers Gefühl jene Autorität unsicher und fremd, und diese Dinglichkeit unverständlich und unergreifbar. Er brauchte für das persönliche Leben etwas rein Persönliches. Das Mittel war daher der Glaube, die sola fides, die Bejahung eines Gedankens durch völlige Hingabe der Seele an diesen uns verständlich und klar kundgemachten Gedanken Gottes. […] Alles das hat Luther nur getan, um der Gnade völlig sicher zu werden, die ihm auf dem Wege der Verdienste und des Mönchtums, der Sakramente und der Priester-Autorität immer fremder und äußerlicher, immer menschlicher und bedingter und damit immer unsicherer zu werden drohte. Das Ziel war das alte, aber der Weg war ein radikal neuer. […]
So wurde der Protestantismus zu der Religion des Gott-Suchens im eigenen Fühlen, Erleben, Denken und Wollen, zu einer Sicherung der allgemeinsten Haupterkenntnis durch Zusammenfassung aller persönlichsten Überzeugungen und einem vertrauenden Offenlassen aller weiteren dunklen Probleme, über die die Dogmatik des Altprotestantismus so viel zu sagen gewußt hatte. Auch hier ist es Lessing, der in seinem berühmten Worte von dem Vorzug des Suchens nach der Wahrheit vor dem Besitz der fertigen Wahrheit die moderne Religiosität typisch charakterisiert und der damit aus dem Gewebe des Protestantismus denjenigen Faden hervorzieht, an dem die moderne Welt bis heute eifrig weiter spinnt. Eigenes persönliches Suchen in selbsterlebter Gewissens- und Zweifelsnot, Ergreifen der in den geschichtlichen Offenbarungen sich bietenden Hand Gottes, um dann doch immer weiter aus eigener persönlicher Verantwortung und Entscheidung die endgültige Überzeugung zu gewinnen, und ruhiges Ertragen all der Rätsel, die auf diesem Wege ungelöst bleiben, das charakterisiert die moderne Religiosität und hängt in seiner festen Überzeugung, daß das nicht schwächliche Skepsis, sondern männlich-mutiger, das Leben zu tragen vermögender Glaube sei, mit Luthers Lehre vom Glauben eng zusammen. […]
Die moderne Kultur ist jedenfalls durch eine ungeheure Ausbreitung und Intensität des Freiheits- und Persönlichkeitsgedankens charakterisiert und wir erblicken darin ihren besten Gehalt. Dieser Gedanke ist von allen Lebensgebieten her unter der besonderen Konstellation der Umstände spontan entwickelt worden und hat vom Protestantismus nur ein überaus mächtiges, übrigens für sich selbst unabhängiges religiös-metaphysisches Fundament erhalten.
1) Ernst Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, Historische Zeitschrift Bd. 97, 1906, S. 1-66. Ausschnitte nach dem Originaltext von 1906 zusammengestellt von Reinhard Neebe.

Die Tafelausstellung Luther und Europa fragt nach den europäischen Dimensionen der Reformation. Aus dieser Perspektive zeigt sich, dass neben Wittenberg auch andere Reformationszentren wie Zürich und Genf von Bedeutung sind, ohne die die Ausbreitung des neuen Glaubens in Europa nicht denkbar gewesen wäre.
Vor dem Hintergrund der in unterschiedliche Glaubensrichtungen „gespaltenen Reformation“ rückt zugleich als weiteres Kernland der Reformation die Landgrafschaft Hessen in den Fokus. Der fürstliche Reformator Landgraf Philipp von Hessen führt nicht nur als einer der ersten den neuen evangelischen Glauben in seinem Lande ein, sondern agiert – weit über das Marburger Religionsgespräch von 1529 hinaus – als europäischer Mittler und zentraler „European Player“ im Reformationszeitalter.
Die Tafelausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert und kann auf Anfrage ausgeliehen werden. Bitten wenden Sie sich an:
- Hessisches Staatsarchiv Marburg
- RPI Religionspädagogisches Institut
- Evangelischer Bund
Kontaktadressen und Ansprechpartner siehe auch Flyer >
Ausstellungstafeln "Luther und Europa" - Flyer
Die Ausstellung können Sie ausleihen bei:
- Hessisches Staatsarchiv Marburg
- RPI Religionspädagogisches Institut
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Ausstellungstafeln "Luther und Europa" - Vorschau
Die Ausstellung können Sie ausleihen bei:
- Hessisches Staatsarchiv Marburg
- RPI Religionspädagogisches Institut
- Evangelischer Bund
Luther 2017 - Schlagzeilen
Pop-Oratorium Luther: Das Projekt der 1000 Stimmen
https://www.youtube.com/watch?v=jv_TgcWU0Wo
Martin Luther Superstar
Claudia Keller, Tagesspiegel, 10.05.2016
Lasst uns froh und Luther sein
Jürgen Kaube, FAZ 31.10.2016, S. 9
Mehr Luther wagen
Reinhard Bingener, FAZ 31.10.2016
Ihre Reformation haben Sie vergeigt, Herr Luther
FAZ 29.10. 2016, S. 18 Friedrich Christian Delius
Warum Europa mehr Erasmus, weniger Luther wagen sollte
Thomas Schmid | Die WELT 03.11.2016
Ein Gespenst namens Protestantismus
Thomas Kaufmann, FAZ 19. März 2016
Der Fundmentalist Luther
Arno Widmann, FR 30. Oktober 2016
Super-Martins Erbe
Johan Schloemann, Süddeutsche Zeitung 29/30. Oktober 2016