
Pogromnacht - Auftakt am 7. November 1938 in Hessen
Die Pogrome vom 7.-10. November 1938 sind eine zentrale Wegmarke im eliminatorischen Rassenantisemitismus des NS-Regimes: Wurde die jüdische Bevölkerung seit der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ 1933 bereits systematisch ausgegrenzt und verfolgt, so offenbarte sich in der sog. „Kristallnacht“ unverhüllt der mörderische Charakter der NS-Diktatur. Hierbei kommt Hessen die unrühmliche Rolle zu, den Auftakt der Novemberpogrome gebildet, ja geradezu den Testfall dafür abgegeben zu haben, inwieweit die Inszenierung des „Volkszorns“ gegen Synagogen, Geschäfte, Wohnungen und nicht zuletzt gegenüber jüdischen Personen von der Mehrheitsbevölkerung toleriert oder gar unterstützt wurde.
Bereits am 7. November, dem Tag des Attentats Herschel Grynszpans auf Legationsrat vom Rath in Paris, kam es zu Synagogenbrandstiftungen und weiteren Ausschreitungen in den nord- und osthessischen Städten Kassel, Bebra, Rotenburg, Baumbach und Sontra. Am 8. November folgten zahlreiche weitere Städte und Dörfer im gesamten Regierungsbezirk Kassel, bevor sich die Pogrome wie ein Flächenbrand über das gesamte Reichsgebiet ausbreiteten.
Das Staatsarchiv Marburg hat die damaligen Vorgänge anlässlich der 70. Wiederkehr der Novemberpogrome 1938 mit zahlreichen Originaldokumenten neu aufgearbeitet und eingeordnet in die Geschichte der Judenverfolgung im Nationalsozialismus von 1933 und 1945. Die vorliegende Online-Ausstellung gliedert sich in sechs Kernbereiche, nämlich:
Darüber hinaus werden in der Online-Version der Ausstellung – in Ergänzung und Vertiefung der in der Realausstellung des Staatsarchivs Marburg in 2008/09 gezeigten Exponate – zahlreiche weitere Dokumente bzw. Dokumentenbestände angeboten, die über weiterführende Links erreichbar sind.
Grundstock der Ausstellung bilden die für diese Fragestellungen reichhaltigen Bestände des Staatsarchivs Marburg, ergänzt durch Unterlagen u.a. des ITS Bad Arolsen, des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes in Berlin sowie private Dokumente. Erstmalig werden zudem Fundstücke aus der im Juli/August 2008 durchgeführten Ausgrabung der Marburger Synagoge gezeigt.
In dem Bereich "HAUPTTEIL" sind alle Dokumente und Materialien aus der Real-Ausstellung im Staatsarchiv Marburg online verfügbar. Die Gliederungssytematik folgt den Ausstellungsvitrinen Nr. I - Vi. bzw. den dazugehörigen Ausstellungsplakaten Nr. 1-12.
Vertiefendes und weiterführendes, umfängliches Quellenmaterial, das in der Ausstellung nicht gezeigt werden konnte, findet sich im Abschnitt "ZUSATZMATERIAL". Auch dieser Abschnitt folgt der Systematik der Hauptausstellung.

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 begann die systematische Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Der eliminatorische Antisemitismus gehörte zum Wesenskern des NS-Regimes und ihm kam in der Umwandlung der bürgerlichen Zivilgesellschaft in die rassenideologisch definierte Volksgemeinschaft eine Schlüsselbedeutung zu. Wichtige Stationen der staatlich sanktionierten Ausgrenzung der Juden bis 1938 waren:
- der sog. „Judenboykott“ vom 1. April 1933,
- die Ausschaltung der Juden aus dem Berufsbeamtentum am 7. April 1933,
- die Einrichtung einer „zentralen Judenkartei“ zur Erfassung und Überwachung der reichsweiten jüdischen Organisationen 1935,
- die Nürnberger Gesetze von 1935, die die rechtliche Grundlage für die Ausschließung der Juden aus dem deutschen Staatsbürgerrecht bildeten und die zugleich schon den Personenkreis definierten, der später den Deportationen in die Vernichtungslager 1941/42 unterworfen war,
- Kennkartenzwang für jüdische Bürger und Stempelung der Pässe mit einem roten „J“ sowie Einführung von Zwangsvornamen „Sara“ und „Israel“ 1938.
Parallel dazu übten örtliche NSDAP-, SA- und HJ-Trupps einen „kontrollierten“ Terror gegen ihre jüdischen Mitbürger aus. Diese Schlägertrupps konnten sich der heimlichen oder offenen Komplizenschaft breiterer Bevölkerungskreise sicher sein und sie hatten keine staatliche Strafverfolgung zu befürchten – gleichwohl waren sie in ihren Aktionen durchaus mitgesteuert vom NS-Machtapparat. Gerade im nordhessischen Raum finden wir auf lokaler Ebene zahlreiche Beispiele dafür:
In Kassel setzte unmittelbar nach Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 24./25. März 1933 ein brutaler SA-Terror gegen politische Gegner sowie führende jüdische Persönlichkeiten der Stadt ein. Die dabei erlittenen Verletzungen führten im Falle von Dr. Max Plaut sogar zum Tode. Das Beispiel Sterbfritz zeigt die systematische Terrorisierung der jüdischen Bevölkerung auf dem Lande. Auch Synagogen wurden wie in Felsberg (1934) bereits zum Ziel nationalsozialistischer Aktivisten. Ein Fall von sog. „Rassenschande“ mit mittelalterlich anmutender Zurschaustellung des „Täters“ ist für Marburg (1933) dokumentiert.
Zusatzmaterial zu KAPITEL I in den Abschnitten ...
"Ich habe ein Christenmädchen geschändet"
Bildkommentierung, Jakob Spier und Presseartikel am Pranger einpflegen.
Zitat aus: Dr. Friedrich .....
Meldung, dass in der Nacht vom 22. auf den 23. März 1934 bei sechs jüdischen Familien Fensterscheiben und Schaufensterscheiben zertrümmert worden wären. Auch in der Synagoge seien sechs Scheiben zerstört worden. Verdächtigt werden zwei Angehörige der NSDAP. Die Bevölkerung unterstütze ein solches Vorgehen nicht.
Dieses Gesetz bildet einen Teil der "Nürnberger Gesetze".
Laut § 1 seien Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen "deutschen oder artverwandten Blutes" verboten. Trotzdem geschlossene Ehen seien nichtig.
Laut § 2 sei der außereheliche Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen "deutschen oder artverwandten Blutes" verboten.
Laut § 3 dürften Juden weibliche Staatsangehörige "deutschen oder artverwandten Blutes" unter 45 Jahren in ihrem Haushalt nicht beschäftigen.
Laut § 4 sei Juden das Hissen der Reichs- und Nationalflagge und das Zeigen der Reichsfarben verboten.
Schreiben der Kasseler Staatspolizei, bezüglich der Erstellung einer zentralen Judenkartei, Kassel 27.08.1935
Im August 1935 ersucht die Staatspolizeistelle Kassel die Landräte des Regierungsbezirkes Mitgliedslisten aller jüdischer Vereine und Organisationen zu erstellen und sie bis zum 15. Oktober zu übersenden. Diese Listen sollen zur Einrichtung einer zentralen Judenkartei verwendet werden.

In der Judenverfolgung des NS-Regimes kommt Kurhessen die unrühmliche Rolle zu, den Auftakt der Novemberpogrome 1938 gebildet, ja geradezu den Testfall dafür abgegeben zu haben, inwieweit diese Inszenierung des „Volkszorns“ gegen jüdische Personen und Einrichtungen von der Mehrheitsbevölkerung toleriert oder gar unterstützt wurde.
Nach groß aufgemachten Berichten der „Kurhessischen Landeszeitung“ über das Pariser Attentat Herschel Grynszpans auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath kam es bereits im Laufe des 7. November zu ersten gewalttätigen Übergriffen: In der Nacht vom 7./8. November wurden u.a. die Synagogen in Kassel, Bebra und Sontra verwüstet, in den Landkreisen Fulda und Melsungen, in Eschwege und Rotenburg jüdische Wohnungen und Geschäfte demoliert. In Felsberg gab es das erste jüdische Todesopfer in Kurhessen. Am 8./9. November kam es auch in Kirchhain zu schweren Ausschreitungen, mit zahlreichen Plünderungen und der völligen Verwüstung der Synagoge. Am gleichen Abend brannte in Bad Hersfeld die erste Synagoge.
Auch Marburg gehörte zu den „frühen“ Tatorten: Ein erster dilettantischer Brandstiftungsversuch auf die Synagoge ist bereits für die Nacht vom 7./8. November nachweisbar, bevor das Gebäude dann in den frühen Morgenstunden des 10. November endgültig den Flammen zum Opfer fiel. Es folgte eine auffallend schnelle Sprengung noch am Abend des 10. November wegen angeblicher Einsturzgefahr der Kuppel. Diese Vorgehensweise entsprach einer wenig später eingehenden Generalanweisung der Gestapo Kassel, von einem „Wiederaufbau zerstörter oder ausgebrannter Synagogen … bis auf weiteres abzusehen.“
Umfang und Verlauf der Pogrome in Nordhessen sind sich so ähnlich, dass eine Inszenierung und Steuerung dieser Aktionen wie auch des reichsweiten Pogroms vom 9./10. November von zentraler Stelle anzunehmen ist. Dazu gehört auch die strafrechtliche Niederschlagung der Vorgänge: So wurden die Staatsanwaltschaften umgehend angewiesen, in keinem Falle „Ermittlungen in Angelegenheiten der Judenaktionen“ vorzunehmen. Dementsprechend meldete der Marburger Oberstaatsanwalt Otto Lautz dem Reichsjustizminister am 10. November, dass über die Brandursache „nichts“ zu ermitteln gewesen sei. Am 11. Januar 1940 folgte seine Verfügung: „Weglegen – Täter nicht ermittelt“.
Der Marburger Kaufmann Samuel Bacharach macht eine Strafanzeige gegen einen Unbekannten. Er stellte fest, dass in der Synagoge sämtliche Fenster beschädigt waren und Steine lagen. Überdies vernahm er einen intensiven Benzingeruch.
Der Marburger Kriminal-Oberassistent schreibt in seinem Bericht vom 09.11, dass am 08. November 1938 durch Unbekannte Scheiben der Synagoge in der Universitätsstraße zertrümmert wurden und eine Explosion stattfand. Die Suche nach den Tätern sei erfolglos verlaufen. Die Geschädigten stellen keinen Strafantrag.
Am 10.11 schreibt selbiger, dass die Synagoge am 10. November restlos ausgebrannt sei. Die Suche nach den Tätern wäre negativ geblieben. Er stellt die These auf, dass die Brandlegung eine spontane Protestaktion gegen das Attentat auf den deutschen Diplomaten in Paris, vom Rath, gewesen sei.
Vernehmungsprotokoll mit der Aussage von Peter Guenther im Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch am 7./8. November 1938 in Bebra, im März 1946.
Der Zeuge berichtet über das Eindringen von SA-Männern in die Wohnungen von Juden in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1938 wie vom Verbrennen von geraubten Inventar auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz in der Nach vom 9. auf den 10. November 1938. G. hatte die Beteiligten erkannt und mit Namen benannt.
Der Polizeimitarbeiter schrieb, dass die Angaben "der Wahrheit entsprechen" dürften.
Vernehmungsniederschrift mit der Aussage von Käthe Schreiber im Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch am 7./8. November 1938 in Bebra, 29. Dezember 1945
Die Zeugin beschreibt das Eindringen und Plündern in einer Wohnung in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1938 wie auch die schweren Mißhandlungen von Siegfried Abraham in dessen Wohnung und das Eindringen in die Kellerräume in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1938. "Die abziehende Menge war betrunken." Entwendete Möbel seien auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz zusammengebracht und anschließend abgebrannt worden.
Einige der Täter nennt die Zeugin namentlich.
Polizeibuch der Stadt Fulda mit Eintragung der polizeilichen Tätigkeiten in den Tagen des Novemberpogroms 1938, vom 7. - 12. November 1938
Nr. 691-694 7.-8.11.1938
keine relevanten Eintragungen
Nr. 695, 9.11.38
Um 2.30 Uhr, meldet der Kaufmann Köhler, Mittelstr. daß bei der Firma Wertheim, Mittelstr. eine Schaufensterscheibe eingeschlagen worden sei. Der mutmaßliche Täter sei in der Richtung nach dem Gemüsemarkt davongelaufen.
Durch Feststellung der Nachtstreifen wurde vorstehende Meldung bestätigt. Auslagen aus dem Fenster wurden nicht entwendet.
Bericht ist vorgelegt.
Nr. 696, 9.11.38
Um 13.20 Uhr wurde fernmündlich die Polizei angerufen und um Entsendung von Polizeibeamten gebeten. Im Stockhaus würden die Fensterscheiben von jüdischen Wohnungen zertrümmert.
Pol.O.M. Braun und sämtliche auf Polizeiwache anwesende Polizeibeamte wurden auf Anordnung des Polizeikommissars entsandt.
Die eingesetzten Polizeibeamten haben die Ruhe und Ordnung wieder hergestellt.
Nr. 697, 9.11.38
Die Ehefrau Fährmann, Schildeckstraße Nr. 7 wohnhaft meldete um 14.50 Uhr und 15 Uhr fernmündlich, daß mehrere Kinder in die Judenschule eingedrungen seien und darinn alles zertrümmern würden.
Pol.Hptw. Watermann wurde entsandt.
Zur Verstärkung wurde um 15.40 Uhr mittels Kraftwagen Pol.Mstr. Neuland, Pol.Hptw. Schmidt II und Gröning entsandt.
Nr. 698, 9.11.38
Um 15.15 Uhr wurden die Beamten auf Befehl des Pol.Kom. Berend ala[r]miert
Nr. 699, 9.11.38
Um 17.30 Uhr wurde fernmündlich durch den Bauunternehmer Bernjus, wohnhaft hier Heinrichstraße 16 mitgeteilt, daß in der Heinrichstraße von den Kindern die Wohnungen der Juden zerstört werden.
Pol.Oberm. Braun, 0.W. Hanstein u. Pol.Hptw. Hasselfeldt begaben sich mittels Kraftwagen nach dort.
Nr. 700, 9.11.38
Um 19.45 Uhr, meldet Stadtsekr. Gutberlet , daß in dem Hause Löherstr. No. 28 Jugendliche Fensterscheiben eingeworfen hätten.
Pol-Mstr. Neuland u. P.O.W. Vöckel wurden mittels Pol.-Kraftwagen entsandt.
Pol-Mstr. Neuland stellte zu vorstehender Sache fest, daß um 18.30 Uhr, von 4 Jugendlichen (15-17 Jahre, 2 Jungens u. 2 Mädels) in der im Erdgeschoß liegenden Wohnung des Juden Claus 4 Fensterscheiben eingeworfen wurden. Die Täter wurden von dem Spenglermeister Krönung verjagt. Er will die Täter aber nicht erkannt haben.
Nr. 701, 9.11.38
Um 19.45 Uhr, wurde gemeldet, daß auf dem jüdischen Friedhof in der Edelzellerstr. Beschädigungen vorgekommen seien.
Pol-Mstr. Neuland und P.H.W. Hasselfeld, P.O.W. Vöckel u. Krim.Oberass. ? wurden entsandt.Pol.Mstr. Neuland meldet nach Rückkehr, daß das Leichenhaus einschließlich Dach demoliert u. sämtliche Grabsteine umgeworfen seien. Beim Eintreffen der Polizei sei niemand auf dem Friedhof gewesen. Anscheinend sei die Demolierung bei einkehrender Dunkelheit verursacht worden.
Nr. 702: 10.11.38
01:15 Uhr Schwerer Verkehrsunfall mit Todesfolge: SS-Mann Helmer aus Giesel stößt mit seinem Motorrad mit einem PKW in Fulda bei der Gastwirtschaft "Zum Rädchen" zusammen und verstirbt auf dem Weg ins Krankenhaus.
Nr. 703, 10.11.38
Um 5.20 Uhr wurde von Friseur Englert fernmündlich mitgeteilt, daß die Synagoge brennen würde.
Feuerwehr wurde sofort alarmiert. Gleichzeitig wurden 5 Beamte an die Brandstelle entsandt.
Um 5.25 Uhr wurde vom Postamt mitgeteilt, daß die Synagoge brennen würde.
Nr. 704, 10.11.38
Um 6.00 Uhr, wurde auf Veranlassung des Pol-Kom. Brand, der Filialleiter Scheuermann von dem Schuhgeschäft Springmann in der Marktstr. in Schutzhaft genommen und sofort dem Amtsgericht zugeführt.
P.H.W. Schmidt I u. Wohn führten den Transport mittels Kraftwagen aus.
Nr. 705, 10.11.38
Um 19 Uhr machte die Ehefrau Minna Katzenstein, wohnhaft in Fulda, Heinrichstr. 16 fernmündlich folgende Mitteilung: Ein uniformierter Mann sei soeben bei ihr in der Wohnung gewesen und gegen Aushändigung einer Quittung ohne Unterschrift 20.- RM Verpflegungsgeld für ihren Ehemann verlangt. Weil die Quittung nicht unterschrieben war, rief die Ehefrau Katzenstein die Polizeiwache an, worauf der fragl. Mann sich entfernte.
Bericht ist von den entsandten Beamten Pol.Hptw. Wohn und Hasselfeldt vorgelegt.
Nr. 707: 11.11.38
23.35 Uhr: Fernmündliche Meldung, "dass sich an der Brandstelle der Synagoge Unbefugte zu schaffen machten, wodurch die Anwohner in ihrer Nachtruhe gestört würden."
noch Nr. 707: 12.11.38
00.15 Uhr: In betrunkenem Zustande eingeliefert wird der Vermessungsinspektor Paul Bartel, nach Ausnüchterung wieder entlassen um 05:50 Uhr. B. "hatte Teile eines Bretterzaunes beseitigt u. sich als Führer von einigen Volksgenossen auf die Brandstelle begeben um dieselbe zu besichtigen". Der beschadigte Bretterzaun wurde soweit möglich wieder befestigt.
Transkription:
Sofort!
Bericht an G. RJM in Berlin W8, …
Durch S.H.G Stle in Kassel (2 Stücke)
Betr. Brand der Synagoge in Marburg a.L.
Fernmündliche Ausführung vom 10.11.1938
Am 10.11.38 gegen 6 Uhr morgens erhielt die Ortspolizeibehörde in Marburg durch den Synagogendiener der Jüdischen Kultusgemeinde Marburg a.L. die Mitteilung, daß in dem Gebäude Universitätsstraße 11, der Synagoge der jüdischen Kultusgemeinde, ein Brand ausgebrochen sei.
Die daraufhin alarmierte Feuerwehr trat sofort in Tätigkeit, musste sich jedoch im Wesentlichen auf den Schutz der Nachbarhäuser beschränken, da die Synagoge selbst nicht mehr zu retten war. Der Dachstuhl und das Innere der Synagoge ist abgebrannt, die Grundmauern u. die steinerne Kuppel stehen noch. Es besteht Einsturzgefahr, sodaß mit der Niederlegung der Kuppel aus bau- und sicherheitspolizeilichen Gründen gerechnet werden muß. Der Unterzeichnete überzeugte sich im Laufe des Vormittags an Ort und Stelle von der Tätigkeit der Feuerwehr u. der Polizeiorgane. Die Brandstätte, die in belebter Straße liegt, war u. ist abgesperrt.
Über die Brandursache ist nichts zu ermitteln gewesen. Nach dem Bericht der Ortspolizeibehörde sind die Ermittlungen nach etwaigen Brandstiftern ergebnislos verlaufen.
Das Gebäude ist bei der Hessischen Brandversicherungsanstalt Kassel mit 78.000 RM versichert, die Mobilien sind bei der Allianz- und Stuttgarter Versicherungsgesellschaft mit RM 10.000,- versichert.
Unterschriften
L. 10.11.38

Mit den November-Pogromen unmittelbar verbunden war die sog. „Judenaktion vom 10.11.1938“, d.h. die auf ausdrückliche Weisung Hitlers erfolgte Verschleppung von annähernd 30.000 männlichen Juden in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen. Die Juden aus dem Regierungsbezirk Kassel wurden – unter Mitwirkung der kommunalen Ortspolizeibehörden, der Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister – in das KZ Buchenwald verbracht, wobei sie die Transportkosten selbst zu bezahlen hatten.
Die Zahl der vom 10.-14. November 1938 in Buchenwald eingelieferten Juden belief sich auf insgesamt 9.845. Nach den Aufzeichnungen der Lagerverwaltung fanden 207 Juden während der Lagerhaft den Tod, darunter auch der aus Marburg stammende Gerson Isenberg. Die grauenvolle Wirklichkeit im „Totenwald“, insbesondere für die jüdischen Lagerinsassen, schildert eindringlich der christliche Schriftsteller Ernst Wiechert, der vom 7. Juli bis 24. August 1938 im KZ Buchenwald inhaftiert war.
Eine Schlüsselrolle im Kontext der Novemberpogrome nimmt die am 12. November 1938 unter dem Vorsitz Hermann Görings im Berliner Reichsluftfahrtministerium abgehaltene Besprechung zur Judenfrage ein. Die interministerielle Konferenz hatte den Zweck, die „entscheidenden Schritte“ auf dem Weg zur existentiellen Vernichtung des Judentums in Deutschland zentral zusammenzufassen. An der Sitzung nahmen die Minister bzw. die Staatssekretäre aller relevanten Ressorts sowie der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, teil. Nach einer Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes hatte die Besprechung als Ergebnis: Arisierung der Wirtschaft und Enteignung von jüdischem Grundbesitz, Prüfung der Zwangsarbeit des jüdischen Proletariats, Verbot des Besuchs von Theatern usw., Auferlegung einer Kontribution von 1 Mrd. Reichsmark sowie Förderung der jüdischen Auswanderung auf jede Weise.
Die Pogromverordnungen vom 12. November 1938 zur „Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" usw. setzten diese Ziele unverzüglich in die Praxis um. Goebbels notierte anschließend triumphierend in seinem Tagebuch: „Jedenfalls wird jetzt tabula rasa gemacht“.
"Judenaktion vom 10.11.1938" "Judenaktion vom 10.11.1938" Verzeichnis der inhaftierten "Aktionsjuden" in Kirchhain, 10. 11.1938
GeStaPo Kassel an den Bürgermeister in Roth, betr. die Entlassung des Schutzhäftlings Heinz Birkenstein aus dem KZ Buchenwald, 13. Dezember 1938.
Birkenstein wird wg. Minderjährigkeit entlassen. Die Angehörigen sind beschleunigt zu veranlassen, das Rückreisegeld von Weimar/Th. nach dem Wohnsitz telegraphisch an die Kommandantur des Konzentrationslagers Buchenwald abzusenden.
Rechnungen für die Überführung der Juden Höchster und Bergenstein mit dem PKW von Roth nach Kirchhain [Buchenwaldaktion] usw. am 11.11.1938, 15. November 1938
"Streng vertrauliche" Aufzeichnung von Unterstaatssekretär Woermann für Reichsaußenminister Ribbentrop über die Besprechung zur Judenfrage im Reichsluftfahrtministerium unter der Leitung von Hermann Göring am 12.11.1938 in Berlin, 12. November 1938
Der Besprechung über die Judenfrage vom 12.11.1938 bei H. Göring kommt eine historische Schlüsselrolle zu: Die Konferenz hatte den Zweck, die "entscheidenden Schritte" auf dem Weg zur existentiellen Vernichtung des Judentums in Deutschland zentral zusammenzufassen.
An der Sitzung nahmen die Minister bzw. die Staatssekretäre aller relevanten Ressorts sowie der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, teil. Die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" und die weiteren Verordnungen zur Judenfrage vom 12.11.1938 wurden auf dieser zentralen Besprechung gebilligt.
In der zweiseitigen Aufzeichnung von Unterstaatssekretär Woermann sind die Ergebnisse der Konferenz in 9 Punkten zusammengefasst, und zwar:
1. Arisierung der Wirtschaft soll beschleunigt durchgeführt werden ...
2. Enteignung von jüdischem Grundbesitz usw.
3. Zwangsarbeit des jüdischen Proletariats soll gepüft werden ..
4. Verbot des Besuchs von Theatern usw.
5. Auferlegung einer Kontribution von 1 Mrd. Reichsmark
6. Jüdische Auswanderung soll auf jede Weise gefördert werden.
7. Schaden der Aktionen gegen die Juden gehen zu Lasten der deutschen Juden
8. Strengstes Verbot eigenmächtiger Aktionen ...
9. Beteiligung des AA an allen Massnahmen ist generell und im Einzelfall sichergestellt ...
DigAM dankt dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes für die Genehmigung zur Publikation des vorliegenden Dokumentes.

Die Novemberpogrome und die sog. „Judenaktion vom 10.11. 1938“ markieren einen entscheidenden Wendepunkt im eliminatorischen Antisemitismus des NS-Regimes: Konsequent wurde nun der Weg zu Vertreibung und Vernichtung beschritten. Hierzu erteilte Göring dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, am 24. Januar 1939 den Auftrag zur Errichtung einer „Reichszentrale für die jüdische Auswanderung“. Diese hatte zum Ziel, die „Auswanderung der Juden aus Deutschland mit allen Mitteln zu fördern."
Mit Kriegsbeginn wurde die „Zwangsauswanderung“ jedoch obsolet. Es begann jetzt die Ghettoisierung der verbliebenen Juden in „Judenhäusern“ und eine immer stärker werdende Einschränkung ihrer Freizügigkeit. Schließlich wurde sogar die „Säkularisation“ der „jüdischen Totenhöfe“ verordnet, wobei die aufgrund der „starken Abwanderung“ überflüssig gewordenen Friedhöfe sobald als möglich einer „wirtschaftlichen Nutzung“ zugeführt werden sollten.
Der Weg in die Todeslager für die im Regierungsbezirk Kassel verbliebene jüdische Bevölkerung vollzog sich in drei zentral durchgeführten Deportationen. Die behördliche Vorbereitung und „reibungslose“ Durchführung auf der Ebene der Landkreise und Städte mit minutiösen Abfahrtszeiten der Zubringerzüge usw. kann weitgehend vollständig rekonstruiert werden:
- Die Deportation von Kassel nach Riga am 9. Dezember 1941 mit insgesamt 1024 Personen. Das Durchschnittsalter lag bei 39 Jahren, 100 Personen aus diesem Transport überlebten.
- Die Deportation von Kassel „nach dem Osten“ (Izbica/Sobibor) am 1. Juni 1942 mit 508 Personen. Eine Fotoserie dokumentiert die Abfahrt des Teiltransportes von Hanau nach Kassel am 30. Mai 1942.
- Die Deportation von Kassel nach Theresienstadt am 7. September 1942 mit insgesamt 755 Personen. Aus diesem letzten Transport wurden 207 Personen im September und Oktober 1942 weiter nach Treblinka verschleppt. Im Frühjahr 1943 überstellte man 87 und im Laufe des Jahres 1944 weitere 157 Insassen dieses Transportes nach Auschwitz. Nur 70 erlebten die Befreiung von Theresienstadt.
Weiterführendes Material: Im Rahmen dieser Ausstellung konnte nur eine Deportationsliste exemplarisch wiedergegeben werden. Vollständig aufgenommen sind die Deportationslisten, in denen nach Gemeinden in alphabetischer Reihenfolge geordnet die aus dem Landkreis Marburg deportierten Juden erfasst sind, in der Ausstellung "Quellen zur Geschichte der Juden 1933-1945" (Dokumente 33, 33.1, 33.2, 33.3, 33.4, 33.6, 33.7, 33.8, 33.9, 33.10, 33.11, 33.12, 33.13, 33.14, 33.15). Zum Ablauf der zweiten Deportation aus Marburg am 31. Mai 1942 gibt auch ein Schreiben von SS-Sturmbannführer Lüdcke von der Staatspolizeistelle in Kassel vom 22. Mai 1942 Auskunft, dem darüber hinaus eine Namensliste der deportierten Juden beigelegt ist (Dokumente 38, 38.1). Des Weiteren finden sich Angaben über die Vorbereitungen der dritten Deportation aus dem Landkreis Marburg am 6. September 1942 in dem Ausstellungsraum mit Dokumenten aus der Landratsamtsakte 180 Marburg 4830 mit dem Titel "Verhandlungen über die dritte Judenevakuierung aus Marburg 1942-1944" (Einführung in den Ausstellungsraum mit Dokumenten aus der Akte 180 Marburg 4830).
"Die Auswanderung der Juden aus Deutschland ist mit allen Mitteln zu fördern" (H. Göring, 24.1.1939)
Das Schreiben Görings betrifft die Einrichtung einer "Reichszentrale für die jüdische Auswanderung", mit deren Leitung der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, beauftragt wird. Die Reichszentrale hat die Aufgabe, "alle Maßnahmen zur Vorbereitung einer verstärkten Auswanderung der Juden" zu treffen. (Schreiben Görings als Anlage/Abschrift eines Rundschreibens von Heydrich vom 11. Febr. 1939 an die Pr. Regierungspräsidenten pp. , siehe Dok. ...)
Mit Erlaß Görings vom 31. Juli 1941 (IMT Bd. XXVI, S. 266/67) wird der Auftrag Heydrichs erweitert auf die Vorbereitung "für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa." Heydrich wird beauftragt, "in Bälde ... einen Gesamtentwurf zur .. Endlösung der Judenfrage" vorzulegen. (> Wannsee-Konferenz, Jan. 1942)
Das Schreiben ist an den Polizeipräsidenten in Kassel, den Polizeidirektor in Hanau, die Landräte des Bezirks Kassel sowie die Oberbürgermeister der Städte Kassel, Hanau, Fulda und Marburg gerichtet.
Der Regierungspräsident sieht aufgrund der starken Abwanderung der Juden einen jüdischen Totenhof für den Landkreis Kassel als ausreichend an. Die überflüssigen Totenhöfe sollen sobald als möglich einer Säkularisation / Verweltlichung zugeführt und wirtschaftlich wieder nutzbar gemacht werden.
In der Liste sind die in Kirchhain wohnenden Juden mit dem jeweiligen Datum ihrer Deportation, die am 8. Dezember 1941 bzw. 31. Mai 1942 erfolgte, erfasst. In einem Fall ist das Todesdatum, der 25. Januar 1942, vermerkt.
Für weitere Informationen zu den Deportationen aus dem Landkreis Marburg siehe den Einführungstext dieses Ausstellungsraumes.

Nach der Wiedereinsetzung deutscher Gerichtsbarkeit durch die amerikanische Militärregierung im Oktober 1945 begannen die Strafverfolgungsbehörden in Hessen, nun auch die Delikte der Novemberpogrome 1938 strafrechtlich zu verfolgen. Der neue Marburger Oberstaatsanwalt Hadding hob am 14. Dezember 1945 die Einstellungsverfügung seines Amtsvorgängers Lautz in Sachen Synagogenbrandstiftung aus dem Jahre 1940 förmlich auf und ersuchte die Kriminalpolizei Marburg, „die Ermittlungen wieder aufzunehmen.“
Gegen den ehemaligen Führer des SA-Sturms 3/11, Schneidermeister Hans Steih, den Hilfsarbeiter Friedrich Groos, den Textilwarenkaufmann Paul Piskator, den Elektriker Heinrich Völker und den Sprachlehrer Otto Spengler wurde am 5. September 1947 Anklage erhoben. In der Hauptverhandlung vom 21. November 1947 verurteilte die 1. Strafkammer des Landgerichts Marburg Steih wegen vorsätzlicher Inbrandsetzung, begangen in Tateinheit mit schwerem Landfriedensbruch, zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren, Groos und Piskator als Mittäter zu einem Jahr und sechs Monaten beziehungsweise einem Jahr Zuchthaus, während sie Völker und Spengler freisprach.
Im Verfahren wurden deutliche Ungereimtheiten hinsichtlich des Tatherganges selbst deutlich – und es bleiben erhebliche Zweifel an der Haupt- bzw. Alleinverantwortlichkeit der Verurteilten. Hermann Bauer kritisierte in der „Marburger Presse“ zu Recht, dass der Kreis der Attentäter viel weiter reiche und vom Gericht „weitere restlose Aufklärung und Sühne des Verbrechens vom 9/10 November 1938“ zu wünschen sei. Diese Erwartung trog allerdings: Unterlassung von weiteren Ermittlungen, Verfahrenseinstellungen, milde Urteile und Freisprüche wie im Fuldaer Synagogenbrandprozess wg. angeblicher „Trunkenheit“ der Angeklagten waren an der Tagesordnung.
Ein kritischer Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit war in den Anfangsjahren nach 1945 in der deutschen Mehrheitsbevölkerung keineswegs vorauszusetzen: Angesichts sich häufender antisemitischer Vorkommnisse, darunter auch der erneuten Schändung jüdischer Gebetshäuser und Friedhöfe, sah sich der Minister für politische Befreiung, Binder, im Januar 1948 veranlasst, eine landesweite Plakatkampagne zu starten mit der Aufschrift: „Mitbürger – Antisemitismus ist Dummheit und Barbarei!“
1940 teilt der Oberstaatsanwalt Lautz der Kriminalpolizei Marburg mit, dass die Ermittlungen gegen den unbekannten Brandstifter, der die Synagoge in der Wettergasse anzündete, eingestellt sind und der Täter nicht ermittelt werden konnte.
1945 ersucht der neue Oberstaatsanwalt Hadding die Kriminalpolizei Marburg um die Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens bezüglich des unbekannten Brandstifters, der am 10.11.38 die Synagoge in der Universitätsstraße in Brand setzte.
Die Öffentliche Sitzung der Strafkammer l des Landgerichts Marburg verhandelt die Strafsache gegen Hans Steih, Friedrich Groos, Paul Piscator, Heinrich Völker und Otto Spengler betreffend die Beteiligung am Synagogenbrand vom 09./10.11.1938 in Marburg.
Hauptdokument s. http://www.digam.net/?dok=8128
Fortsetzung von http://www.digam.net/?dok=8132
Aussagen der Zeugen Paul Penzler und Otto Domsky zur Beteiligung der Angeklagten am Synagogenbrand am 09. November 1938.
Die Öffentliche Sitzung der Strafkammer l des Landgerichts Marburg verhandelt die Strafsache gegen Hans Steih, Friedrich Groos, Paul Piscator, Heinrich Völker und Otto Spengler betreffend die Beteiligung am Synagogenbrand vom 09./10.11.1938 in Marburg.
Hauptdokument s. http://www.digam.net/?dok=8128
Fortsetzung von http://www.digam.net/?dok=8155
Aussagen der Zeugen Johann Peter Fritsch, Christian Wege, Karl Müller und Hans Albrecht.
Es ergehen folgende Urteile:
Hans Steih:drei Jahre Zuchthaus
Friedrich Groos: ein Jahr und sechs Monate Zuchthaus
Paul Piscator: ein Jahr Zuchthaus
Freispruch für Heinrich Völker und Otto Spengler.
Das Plakat "Antisemitismus ist Dummheit und Barbarei" soll in allen Gemeinden ausgehängt werden.
Schreiben an die Landräte des Landes Hessen durch die Hand des Regierungspräsidenten.

Während unter dem Einfluss der Besatzungsmächte die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime auf justizieller Ebene früh einsetzte, war der Umgang mit seiner Geschichte in weiten Kreisen der Gesellschaft vom Verdrängen geprägt. Die im Laufe der Jahrzehnte eingetretene Veränderung wird hier schlaglichtartig beleuchtet.
Für das Erforschen und Dokumentieren steht die bundesweit einmalige Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen.1963 wurde sie in Frankfurt unter dem Eindruck des Auschwitz-Prozesses auf Anregung des hessischen Kultusministers Prof. Ernst Schütte eingerichtet. Ziel war es, die Geschichte der Juden in Hessen auf wissenschaftlicher Basis zu erforschen. Hierzu wurde eine Schriftenreihe gegründet, in der bislang 30 Bände veröffentlicht wurden. 1981 wurde mit einer Dokumentation jüdischer Friedhöfe in Hessen begonnen, 2008 das Projekt eines Handbuchs der Synagogen in Hessen gestartet.
Zwei Formen des Erinnerns repräsentieren die Synagoge Roth und das Projekt „Stolpersteine” des Kölner Künstlers Gunter Demnig. Sofern sie nicht niederbrannten oder nach ihrer Verwüstung abgerissen wurden, gelangten Synagogen nach der Pogromnacht zwangsweise zumeist in Privatbesitz. Die neuen Eigentümer rissen sie ab oder bauten sie um und nutzten sie nach Belieben, denn Denkmaleigenschaft besaßen sie im Nachkriegsdeutschland zunächst nicht. Dem Engagement örtlicher Initiativen ist es nicht zuletzt zu verdanken, dass seit den 1980er Jahren eine ganze Anzahl restauriert wurde, die nun als kulturelle Stätten vielfältig genutzt werden. Ein denkmalpflegerisches Konzept, das die Verletzungsspuren der Pogromnacht konservierte, ließ in der Synagoge Roth einen „Denk-Raum” von besonderer Ausstrahlung entstehen. Die Synagoge gehört dem Landkreis Marburg-Bieden-kopf, für die Gedenkstätten- und Kulturarbeit ist der ehrenamtlich tätige Arbeitskreis Landsynagoge Roth e.V. auf der Basis eines Nutzungsvertrags verantwortlich.
Mit seinen kleinen, die Namen, Lebensdaten und Orte der Ermordung tragenden Messingplatten, die vor dem letzten Wohnort von Verfolgten des NS-Regimes im Straßenpflaster verlegt werden, schafft Gunter Demnig seit 2000 zahllose Erinnerungsorte an Einzelpersonen. Bundesweit und in einigen Ländern Europas wird an mehreren Hundert Orten mittlerweile etwa 16500 Personen gedacht.